DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI - DRAUGAR I - Leif Inselmann - E-Book

DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI - DRAUGAR I E-Book

Leif Inselmann

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Beschreibung

Norwegen, 9. Jh. n. Chr. Dies ist die Geschichte von Ragnar, genannt Draugabani. Ein dunkles Geheimnis umgibt den jungen Krieger, denn er allein vermag die Toten zu beschwören. Die Suche nach Rache führt ihn schließlich bis in ferne Länder und zu Geheimnissen aus uralter Zeit... Der Roman DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI aus der Feder des deutschen Schriftstellers Leif Inselmann (Jahrgang 1998) ist eine Reise in die Welt der Untoten, Berserker und Blutfehden – der Auftakt zur historischen Dark-Fantasy-Serie DRAUGAR.

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LEIF INSELMANN

 

 

DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI - DRAUGAR I

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Leif Inselmann/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Norwegen, 9. Jh. n. Chr.

Dies ist die Geschichte von Ragnar, genannt Draugabani. Ein dunkles Geheimnis umgibt den jungen Krieger, denn er allein vermag die Toten zu beschwören. Die Suche nach Rache führt ihn schließlich bis in ferne Länder und zu Geheimnissen aus uralter Zeit...

 

Der Roman Die Saga von Ragnar Draugabani aus der Feder des deutschen Schriftstellers Leif Inselmann (Jahrgang 1998) ist eine Reise in die Welt der Untoten, Berserker und Blutfehden – der Auftakt zur historischen Dark-Fantasy-Serie Draugar. 

DIE SAGA VON RAGNAR DRAUGABANI

 

  Erstes Kapitel

 

 

Irland, A.D. 858

So spricht der Herr: Siehe, es wird ein Volk kommen von Mitternacht, und ein großes Volk wird sich erregen vom Ende der Erde,die Bogen und Lanze führen. Es ist grausam und ohne Barmherzigkeit, sie brausen daher wie ein ungestümes Meer und reiten auf Rossen, gerüstet wie Kriegsleute, wider dich, du Tochter Zion! 

Die alten Worte des Propheten Jeremia gingen Bruder Geoffrey durch den Kopf, als er die Schreie von draußen hörte. Er öffnete seine Augen, noch das letzte Gebet auf den Lippen, und hob den Kopf. Ein jeder der Mönche, eben noch in stummer Andacht versunken, wandte seinen Blick hin zur Tür der dunklen Kapelle, von wo die panischen Rufe der Mitbrüder tönten:

»Wikinger!«

Einer nach dem anderen hastete zum Ausgang, die ehrfürchtigen Gebete wichen lauten Fußtritten. Auch Geoffrey streckte den gichtgeplagten Rücken und erhob sich nicht ohne gewisse Schmerzen. Ihn trieb keine Eile, ja er war selbst erstaunt über seine Ruhe im Angesicht dieses Moments. Oft schon hatte er von den schrecklichen Überfällen auf Dörfer und Klöster gehört, die jene heidnischen Barbaren aus dem Norden verübten, unvorhersehbar über nichtsahnende Christen hereinbrechend wie eine Naturkatastrophe. Ein Strafgericht Gottes, ganz wie es die Heilige Schrift verkündet hatte, wieder und wieder.

Es gehe ja niemand hinaus auf den Acker, niemand gehe über Feld; denn es ist allenthalben unsicher vor dem Schwert des Feindes. 

Wer auch vermochte den Plagen zu entgehen, die der Herrgott von den Enden der Erde erweckte, um die elenden Sünder zu strafen, die verzweifelt seine Gunst erbaten? Wer mochte es sein, dem dieses Strafgericht galt, welche Sünde rächte das bittere Schicksal? Geoffrey sah sich seiner eigenen gegenüber – Selbstgefälligkeit. Vertrauen. Er hatte es nie für möglich gehalten, dass auch zwischen den seinen die Sünde wohnte.

O Tochter meines Volks, zieh Säcke an und lege dich in Asche! Trage Leid wie um einen einzigen Sohn und klage wie die, so hoch betrübt sind! Denn der Verderber kommt über uns plötzlich.

Draußen erklang schallend die Glocke, hektisch und unrhythmisch, als risse jemand nur so schnell wie möglich am Seil. Die Mönche hasteten durch die Gänge des Klosters, manche gleich zum Hof, andere hier und dorthin, auf der Suche nach Waffen oder Unterschlupf. Es dauerte, bis auch Geoffrey den Ausgang erreichte, längst keuchte er von der unerwarteten Anstrengung. Längst hatte er nicht mehr das Alter für schnelle Läufe, seine Zeit war nurmehr dem Beten und dem Studieren der Texte gewidmet.

Kaum, dass er in den Hof des Klosters trat, vernahm er das dumpfe Zuschlagen des Tores. Verwaist lagen die nahen Gärten, deren Früchte nun vielleicht nie geerntet werden konnten. Schnaufend schleppte sich auch Geoffrey die Treppe zur Mauer hinauf, wo zahlreiche Brüder sich versammelt hatten und furchtsam gen Osten blickten.

Das Meer lag ruhig und tiefblau da im Schatten des Klosters, ein allzu gewohnter Anblick – wäre da nicht das Schiff, jenes mit Schilden besetzte Boot mit einem geschnitzten Drachenkopf am Vordersteven, das mit geblähtem Segel auf den Strand zuhielt. Niemand konnte Zweifel haben an diesem Anblick – das Verderben, das immer wieder Irlands und Britanniens Küsten heimsuchte, war nun auch zu ihnen gekommen.

Auch der Abt war zu ihnen getreten, betrachtete für einen Moment den näherkommenden Feind, um sich dann zu den Brüdern umzudrehen und Anweisungen zu geben. Ein jeder Mann suchte nach Waffen, dieses sein Heim zu verteidigen in verzweifelter Hoffnung. Schaufeln, Rechen und Harken schleppte man herbei, auch einige zum Holzhacken gemachte Äxte und große Messer.

Armseliges Gerät, das die Männer Gottes den Barbaren aus dem Norden entgegenzusetzen dachten, doch kampflos würden sie sich nicht ergeben. Keinesfalls durfte der heilige Ort den Heiden zur Plünderung gereichen, solange ein Mann Gottes sich ihm entgegenzustellen vermochte. Doch waren es nicht nur die Waffen von Eisen, die man in dieser größten Not auffuhr – beherzte Gebete drangen längst wieder von der Kapelle empor, den himmlischen Vater verzweifelt um Beistand bittend. Doch der blieb aus, kein Lüftchen regte sich gegen das drachenköpfige Schiff, das unten knirschend auf den Strand auflief. Geoffrey hatte mit jeder Hoffnung in dieser Welt längst abgeschlossen – seine stummen Gebete galten allein seiner Seele und denen seiner Brüder.

Von der Mauer aus beobachteten sie, wie das Boot seine todbringende Fracht entlud. Männer sprangen von Bord, kräftig und bis an die Zähne bewaffnet mit Äxten und Schwertern. Es dauerte nur Augenblicke, die sie sich am Strand sammelten, dann drangen sie vereint die Küste herauf bis zum Kloster.

Mit klopfenden Herzen harrten die gottesfürchtigen Männer aus, das Unvermeidliche erwartend. Der Feinde waren vielleicht etwa dreißig, nicht mehr als die Mönche, doch kampfgestählt und wildentschlossen, wenn man ihre Erscheinung deutete. Zuvorderst schritt ein großgewachsener Mann mit wehendem schwarzem Haar, einen Schild mit verziertem Buckel in der linken Hand. Ihm folgten auf dem Fuße drei hagere Hünen, die Gesichter hinter eisernen Brillenhelmen verborgen. Nicht weniger furchteinflößend war der Rest, kräftige Barbaren mit glänzenden Waffen. Vor dem Tor des Klosters hielten sie schließlich inne, gerade noch in sicherem Abstand, dass man keine allzu großen Steine von oben auf sie herabzuschleudern vermochte. Wartend sahen die Mönche zu ihnen herab, ihre notdürftigen Waffen mit zitternden Fingern umschlossen.

Gerade wollte der Abt die Stimme zu den Fremden erheben, als der Anführer der Nordmänner einen Schritt vortrat. Gepflegt wirkte er, den Bart auf Fingerbreite gestutzt, die Gewandung dunkel, nicht farbig wie bei den anderen. Geoffrey glaubte ein Glänzen im Nacken des Wikingers zu erkennen, wohl der Ansatz eines darunter getragenen Ringpanzers. Den Blick zu den Mönchen emporgerichtet, ergriff der Fremde nun das Wort.

»Portam aperite!«, rief er zu den Mönchen herauf.

Öffnet das Tor. Geoffrey war nicht wenig überrascht, dass der nordische Barbar des Lateinischen mächtig war. Aus den Mienen seiner Mitbrüder sprach dieselbe Verwirrung.

»Nomen meum est Ragnar.« Der Fremde schlug seinen Mantel zurück, um die Scheide eines Schwertes an seiner Hüfte zu enthüllen. »Portam aperite, tum non vobis violare cogito. Alioqui omnim necare debeo, qui me opponere audet.«

Eine unmissverständliche Ansage. Öffnet das Tor, dann will ich niemanden verletzen. Sonst muss ich jeden töten, der es wagt sich mir entgegenzustellen. Und er hieß offenbar Ragnar, der Fremde.

Der Abt indes war noch alles andere als überzeugt, die furchterregenden Nordmänner hereinzulassen, auch wenn sie jetzt noch Schonung versprachen. So beugte er sich nun von der Mauer hinab und rief seinerseits eine Erwiderung, wenig freundlich und ebenfalls auf Latein: »Dies ist ein Ort des Herrn. Seid auch ihr Männer Gottes?«

Einen Augenblick herrschte angespannte Stille – dann lachten die Fremden schallend auf. Nur jene drei Behelmten in verlumpter Kleidung blieben stumm neben ihrem Anführer stehen.

»Ich will auch zu eurem Gott beten, wenn er mir beweist, dass er es wert ist!«, spottete Ragnar. »Bis dahin vertraue ich auf Thor und meine eigenen Arme.« »Dann«, erwiderte der Abt, »gibt es hier keinen Platz für Euch.«

Manch einer der Mönche sah furchtsam zu ihrem Oberhaupt, der so leichtfertig feindselige Töne spuckte. Doch der Anführer der Fremden verfiel nicht in Zorn, noch nicht.

»Ich hatte nicht um Obdach gebeten!«, rief er hinauf. »Werdet ihr uns nun einlassen, oder muss ich zu altbewährten Mitteln aus meiner Heimat greifen?« Die Mönche sahen einander an, im Flüsterton beratend. »Sie werden uns sofort niedermachen, wenn wir sie reinlassen!«, zischte einer.

Der Nordmann indes schien nicht die Geduld zu haben, den Ratschluss der Christen abzuwarten. Er drehte den Kopf kurz zu zweien seiner behelmten Begleiter und nickte bestätigend.

»Vorsicht!«, rief einer der Mönche seine Brüder zur Ordnung, auf die drohende Gefahr aufmerksam machend. Da hatten die Feinde schon im Laufschritt die Mauer erreicht – und stießen sich unvermittelt mit beiden Füßen zum Sprung ab.

Des einen Finger krallten sich in die Brüstung, der ganze Leib frei hängend. Erschrocken wichen die Verteidiger zurück – und verspielten damit die einzige Gelegenheit, die Angreifer noch abzuwehren. Im nächsten Moment schon nämlich zog sich der Streiter über die Mauerkrone, als wiege sein Körper nichts, und stand mit einem Mal vor den entsetzt zurücktaumelnden Mönchen. Wenige Schritte weiter nur zog sich soeben der zweite Krieger herauf, doch alle Augen waren nur auf die mächtige, Axt gerichtet, die sein Vorgänger in die Hände nahm. Weit ausholend hieb er um sich, niemanden treffend – doch allein beim entsetzten Ausweichen stolperten gleich zwei der Mönche übereinander. Geoffrey stand hinten, sich jetzt noch weiter entfernend, die ganze Menge seiner Brüder zwischen sich und dem Feind – doch wahre Hoffnung bereitete ihm dies nicht.

Zugleich stießen mehrere Mönche mit Rechen und Schaufeln zu – doch die armseligen Werkzeuge zersplitterten lautstark unter blitzschnellen Hieben der tödlichen Axt. Mit einem Mal war der Nordmann heran, hieb wahllos mit seiner Waffe um sich. Der panisch emporgerissene Arm eines Mönches wurde knapp unter der Schulter abgetrennt, ein zweiter Hieb ging mühelos durch den Hals seines nächstgelegenen Mitstreiters.

Da ertönte unvermittelt ein Ruf von unten – und wie gefroren erstarrte der Kämpfer in der Bewegung, obgleich seine Axt schon auf dem Weg hinab zum Kopf eines Mönchs gewesen war. Nun aber regte er sich kaum, dann zog er seine Waffe gar zurück.

Nicht einmal eingegriffen hatte der zweite Krieger hinter ihm, die Scheide mit dem Langsax noch immer unberührt an seiner Seite hängend. Dieser nun sprang die Mauer hinab in den Hof – niemand wagte es, ihn aufzuhalten.

Es blieben nur noch die Schreie des Verstümmelten, die gegen das Rauschen des Windes ankämpften, ein jeder sonst war wie erstarrt. Unter Heulen sank der Bruder schließlich zu Boden, Blut noch immer in Strömen aus seinem Armstumpf sprudelnd. Der Feind blieb davon gänzlich unberührt – die schwere Axt ohne jede Spannung in der einen Hand, stand er reglos da und blickte hinab zu seinem Anführer.

Unten hatte sein Gefährte das Tor erreicht. Ohne Worte packte der Nordmann den dicken Holzbalken, den die Mönche mit drei Mann zum Verschluss emporgewuchtet hatten, und begann ihn hochzudrücken. Atemlos verfolgte Geoffrey den schier unglaublichen Kraftakt, den der Hüne scheinbar mühelos zu vollbringen schien – bis er im Augenwinkel eine Bewegung gewahrte.

Es war Brendan, einer der jüngeren Brüder. Das Gesicht vor Wut verzerrt angesichts des zu seinen Füßen verendenden Bruders, den abgetrennten Kopf des anderen vor Augen, hob er sein großes Küchenmesser und trat aus den reglosen Reihen der Mönche hervor. Geoffrey lag schon der Ruf auf der Zunge, den Jungen zurückzupfeifen, doch es war längst zu spät. Der Feindeskrieger, den Blick noch immer zu den Genossen vor dem Tor hinabgerichtet, vermochte nicht mehr zu reagieren – mit einem Aufschrei trieb ihm der junge Mönch das Messer in den Leib, geradewegs durch den Rücken bis zum Heft.

Der Nordmann drehte sich um. Man sah die Spitze des Messers aus seiner Brust ragen, dem jungen Mönch durch die ruckartige Bewegung aus der zitternden Hand gerissen. Und auch Geoffrey vermochte nur noch das eine zu sehen, diese mattgraue Messerspitze zwischen durchbohrter Wolle – und kein Blut, kein einziger roter Tropfen. Ebenso schockiert war Brendan, wie gelähmt die Augen auf sein Werk gerichtet. Jede Warnung kam zu spät – mit einem schier ansatzlosen Rückhandschlag raste die Axt empor, auf ihrem Weg gen Himmel geradewegs durch das Antlitz des jungen Bruders. Geoffrey sah noch einen Schatten von Blut und Knochen emporspritzen, bevor der Körper Brendans ohne jede Spannung zusammenbrach.

Keiner konnte fassen, was sie gerade beobachtet hatten. Das Messer schien dem Mann nichts auszumachen, ja bemerkte er überhaupt, dass es noch immer in ihm steckte? Mochte das einer jener legendären unverwundbaren Berserker des Nordens sein, von denen dunkle Gerüchte kündeten?

»Ein unnötiger Tod.« Die Stimme Ragnars kam von der falschen Seite, wie Geoffrey erst im nächsten Moment realisierte – längst stand der Feind mitsamt seinen Kriegern im Hof des Klosters, das Tor stand sperrangelweit offen. Doch den verängstigten Mönchen widmete er keinen weiteren Blick, sondern drehte sich um und marschierte weiter, geradewegs zur Kirche.

Bruder Geoffrey war schließlich der einzige, der es wagte, die Stufen hinabzuhumpeln und den Fremden zu folgen, während seine Brüder sich noch nicht zu regen trauten.

»Was war das?«, rief der alte Mann seinem Feind hinterher. »Welch Teufelswerk habt Ihr...«

Ragnar drehte sich mit einem Mal um und sah dem Mönch in die Augen. Sein Blick war düster, schier verzehrend. »Es überrascht mich euer Erstaunen, wo euer Heiland doch selbst solcherlei Wunder vollbracht haben soll.« Mit einer Hand winkte Ragnar seinen Krieger zu sich, der sich längst nicht mehr um die Mönche scherte, die ihn aus sicherer Entfernung anstarrten wie Schafe einen Wolf. Gemeinsam mit diesem und einigen seiner übrigen Männer schritt er weiter, nur einige Wikinger sicherten mit düsteren Gesichtern und gezückten Waffen den Hof.

Geoffrey aber ließ sich nicht einschüchtern. So schnell ihn seine alten Beine trugen, rannte er dem Fremden hinterher, der inzwischen schon das Portal der Kirche erreicht hatte. Kaum, dass Ragnar einen schmutzigen Schuh in die geweihte Halle setzte, packte Geoffrey ihn an der Schulter. »Ich will wissen, was ich gesehen habe!«

Zahlreiche Waffen richteten sich schlagartig auf ihn, erschrocken ließ er ab von dem Fremden.

»Solch heidnische Ketzerei willst du ergründen?« Ragnars Miene zeigte eine düstere Belustigung. »Ich sehe sie immer wieder, diese Heuchelei bei euch Christenmenschen.«

Kurz nickte er seinem verwundeten Gefolgsmann zu. Während Ragnar nun seinen Weg in die Kirche fortsetzte, den Mönch hinter sich zurücklassend, führte der Krieger – apathisch wie stets – eine Hand zum Kopf und zog sich den Helm vom Schädel.

Schlagartig schien Geoffrey das Herz auszusetzen. Er wich stolpernd zurück, über die Stufen des Eingangsportals, wie in der verzweifelten Hoffnung, die geweihte Stätte möge ihn beschützen vor diesem Ungetüm. Doch ungehindert folgte das Grauen in Mannesgestalt, das in diesem Moment selbst die gräulichsten Schrecken der Johannesoffenbarung zu übertreffen schien. Geoffrey konnte nicht fassen, was er gesehen hatte, glaubte für einen Moment sich getäuscht zu haben, als sich das Gesicht seines Verfolgers in den Schatten des Torbogens verdunkelte – und wusste sein Entsetzen kaum einen Wimpernschlag später wieder bestätigt, da der Krieger ins Licht des Gotteshauses trat. Leere Augenhöhlen blickten ziellos ins Nichts, graue Haut dünn wie Papier spannte sich über bloßes Gebein.

Zwischen den zurückgeschrumpelten Lippen erkannte Geoffrey das ganze Gebiss, abgenutzte Zähne mit freiliegenden Hälsen, keine Reste einer Zunge dazwischen. Das Antlitz eines Toten, eines vor Dekaden begrabenen Leichnams war es, das stumm auf einem dürren Körper saß, von Beinen wie lebendig vorwärtsgetragen, treu seinem Herrn hinterher. Und Geoffreys Blick fiel, da er dem Grauen auszuweichen versuchte, auf die zwei anderen Behelmten, die ebenso wortlos ihrem Anführer folgten. War das nicht graue Haut, die sich unter dem Helm über Wangen und Kinn spannte, schrecklich dürre Hände, die ausgemergelt danieder hingen aus vermoderten Ärmeln?

»Ihr seid es doch, die ihr stets die Auferstehung der Toten predigt.« Ragnar schien geradezu Freude zu haben an dem Entsetzen, das Geoffrey zur Schau tragen musste. »Fallt ihr schon vom Glauben ab, da ihr ihrer ansichtig werdet?«

Suchend blickte er sich um, den Innenraum des Gotteshauses absuchend nach was auch immer. Nicht um Schätze schien es dem Nordmann zu gehen, denn ungerührt zog sein Blick über die silbernen Leuchter rund um den Altar hinweg.

»Wo ist die Gruft?«, herrschte er Geoffrey schließlich an.

Der wusste nichts zu entgegnen, stand nur reglos da im verzweifelten Versuch, seinen Blick von dem menschlichen Ungetüm abzuwenden, ohne dieses im Rücken zu wissen.

»Die Gruft?«, wiederholte Ragnar.

Aufstöhnend, als der Mönch nicht antwortete, schloss er im Stehen die Augen. Und Geoffrey musste mitansehen, wie Ragnar plötzlich die Hände ausstreckte, wie ein Blinder vorwärtstastend. Er machte vorsichtig Schritte, die Handflächen zum Erdboden gerichtet, öffnete schließlich wieder die Augen, maß weiter Schritt für Schritt den Kirchenboden ab – und mit einem Mal erhellte sich sein Blick.

»Dein Schweigen nützt nichts, eure Geheimnisse zu bewahren«, verkündete er zufrieden und steuerte geradewegs die Nische hinter dem Altar an, wo eine Treppe hinab in die Krypta führte.

Geoffrey folgte voller Furcht dem Fremden, als der ihn mit einer schroffen Geste mit sich winkte. Einer der Wikinger entzündete eine kleine Öllampe und reichte sie seinem Anführer. Den verängstigten Mönch im Schlepptau, stieg Ragnar in die dunkle Gruft hinab.

»Was sucht Ihr?«, fragte Geoffrey. »Was wollt Ihr hier?«

Ragnar lachte kurz. »Ihr glaubt, das mein Volk nur gen Süden ausfährt, um Gold und Weiber zu rauben, nicht wahr? Hier wäre ich wohl wahrlich am falschen Ort dafür.«

Wieder streckte der Fremde eine Hand aus wie gerade zuvor, mit geschlossenen Augen leise Silben murmelnd. Dann schritt er voran, vorbei an den paar alten Sarkophagen, die zu beiden Seiten des engen Ganges standen, vorbei an zahlreichen Holzsärgen in dunklen Wandnischen. »Zu jung«, zischte er leicht verärgert und wandte sich schließlich wieder dem verstörten Mönch zu. »Und ich will auch nicht eure Toten, falls du dies denkst, um sie ihrem ewigen Schlaf zu entreißen und wieder auf Erden wandeln zu lassen. Mein Ziel ist ein einziges: Das Grab des Medardus Magnus.«

»Medar...« In Geoffreys Kopf arbeitete es. Hatte er diesen Namen einst gelesen, in den verstaubten Chroniken des Klosters?

»Medardus Magnus«, wiederholte Ragnar. »Ein Feldherr des alten Imperiums, der einst in Britannien gegen die Feinde Roms kämpfte. Und als er sein Reich zusammenbrechen sah unter Barbarenvölkern und innerem Zwist, da erkannte er, dass nichts von dieser Welt es würde retten können. Und brach auf ins ferne Irland, auf der Suche nach jener Reliquie, die ihm den Sieg über die Feinde seines Glaubens ermöglichen sollte.«

Und mit einem Mal erinnerte sich Geoffrey an die Legende, die er viele Jahre zuvor vernommen hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---