Die Schatten von Sizilien: Faith Zanetti ermittelt - Band 3 - Anna Blundy - E-Book
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Die Schatten von Sizilien: Faith Zanetti ermittelt - Band 3 E-Book

Anna Blundy

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Beschreibung

Wo die Sonne am hellsten scheint, sind die Schatten umso dunkler! Der Urlaubskrimi »Die Schatten von Sizilien« von Anna Blundy als eBook bei dotbooks. Mamma mia – her mit der Flasche Wein! Warum muss ihr Chef die Reporterin Faith Zanetti für die Recherche zu einem nie aufgeklärten Flugzeuganschlag ausgerechnet nach Italien schicken? Dort gibt es schließlich kein Entkommen vor Eden, dem charismatischen Journalisten, dem Faith schon lange ein brisantes Geheimnis verschweigt … Aber nicht nur das hält Faith auf Trab: Bei ihren Nachforschungen zu dem Anschlag tauscht plötzlich ein vertrauter Name auf – doch welche Verbindung kann es zwischen der Mafia und ihrem Vater geben, der vor vielen Jahren tödlich verunglückte? Um den Fall zu lösen, bleibt Faith nichts anderes übrig, als sich den Geheimnissen ihrer eigenen Familiengeschichte zu stellen. Die Spuren führen sie und Eden schon bald zu einer rätselhaften Villa in Palermo – aber laufen sie damit geradewegs hinein in eine tödliche Falle? »Faith Zanetti ist Bridget Jones auf dieselstarkem Wodka: Sie ist cool, kompetent und sehr gut darin, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien.« The Guardian Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Kriminalroman »Die Schatten von Sizilien« von Anna Blundy – der dritte Fall in der spannenden Faith-Zanetti-Reihe, in der jeder Band unabhängig gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 469

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Über dieses Buch:

Mamma mia – her mit der Flasche Wein! Warum muss ihr Chef die Reporterin Faith Zanetti für die Recherche zu einem nie aufgeklärten Flugzeuganschlag ausgerechnet nach Italien schicken? Dort gibt es schließlich kein Entkommen vor Eden, dem charismatischen Journalisten, dem Faith schon lange ein brisantes Geheimnis verschweigt … Aber nicht nur das hält Faith auf Trab: Bei ihren Nachforschungen zu dem Anschlag tauscht plötzlich ein vertrauter Name auf – doch welche Verbindung kann es zwischen der Mafia und ihrem Vater geben, der vor vielen Jahren tödlich verunglückte? Um den Fall zu lösen, bleibt Faith nichts anderes übrig, als sich den Geheimnissen ihrer eigenen Familiengeschichte zu stellen. Die Spuren führen sie und Eden schon bald zu einer rätselhaften Villa in Palermo – aber laufen sie damit geradewegs hinein in eine tödliche Falle?

»Faith Zanetti ist Bridget Jones auf dieselstarkem Wodka: Sie ist cool, kompetent und sehr gut darin, sich aus gefährlichen Situationen zu befreien.« The Guardian

Über die Autorin:

Anna Blundy, geboren 1970 in London, ist eine englische Schriftstellerin und Journalistin. Sie studierte Russisch an der Oxford University, arbeitete für einen amerikanischen TV-Sender in Moskau, wo sie abends in einer Blues-Band sang, war als Kolumnistin für die »Times« tätig und reiste so oft wie möglich nach Amerika, Afrika und in den Nahen Osten. Als ersten Roman veröffentlichte sie die Memoiren ihres Vaters, der als Auslandskorrespondent bei einem Auftrag in El Salvador ums Leben kam: Erlebnisse, die Anna Blundy auch in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe aufgreift. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Italien.

Anna Blundy veröffentlichte bei dotbooks in ihrer »Faith Zanetti«-Reihe auch:

»Mord in Jerusalem – Band 1«

»Die Toten von Moskau – Band 2«

***

eBook-Neuausgabe Januar 2021

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Double Shot« bei Sphere, an imprint of Little Brown Book Group, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Pizza piccante« bei Ullstein und im Marion von Schröder Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2008 by Anna Blundy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin / Marion von Schröder Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Aleksandar Todorovic, ND700, schankz

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-426-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anna Blundy

Die Schatten von Sizilien

Faith Zanetti ermittelt

Aus dem Englischen von Sybille Uplegger

dotbooks.

Für Shash

Prolog

Wir sitzen in einem Keller, in dem es so riecht, als stünde er voll mit Gerätschaften zur Weinherstellung. Kurz bevor die Tür ins Schloss fiel, habe ich noch einen flüchtigen Blick auf eine große, bauchige Glasflasche erhaschen können. Ich glaube, in solchen Gefäßen haben die Bewohner dieser Gegend früher ihren Wein aufbewahrt. Oder das Olivenöl?

Der Gestank von Alkohol liegt in der Luft.

Einen echten Fußboden hat der Keller nicht. Unter meinen Händen ertaste ich Erde, und hin und wieder höre ich irgendetwas rascheln: kleine Tiere, die im Finstern umherhuschen. Ich habe beschlossen, sie für Eidechsen zu halten und nicht für Schlangen, aber strenggenommen ist das natürlich einerlei. Ändern kann ich sowieso nichts daran.

Ich möchte meine Hand ausstrecken, um seine Stirn zu berühren oder ihm über den Arm zu streichen, aber das geht nicht, weil meine Hände hinter dem Rücken gefesselt sind. Ich wette, es gibt irgendeinen Trick, sie zu befreien – warum habe ich den nie gelernt? Eine ganz bestimmte Art, die Handgelenke hin und her zu drehen, so dass die Stricke plötzlich wie von Zauberhand abfallen. Aber auch diese Überlegungen sind müßig, denn erstens hat man uns nicht mit Stricken gefesselt, sondern mit Kabelbindern, und zweitens glaube ich mich dunkel daran erinnern zu können, dass der Trick nur dann funktioniert, wenn man ihn anwendet, während man gefesselt wird. Dafür ist es jetzt wohl ein Momentchen zu spät.

Er war so gut wie bewusstlos, als man uns in dieses Loch gezerrt hat, aber ich höre, wie er atmet. Es scheint ihm also gut zu gehen. Ich meine, natürlich geht es ihm nicht gut, er liegt schließlich im Sterben. Aber das steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit unserer Entführung, wie unselig die ganze Geschichte auch immer sein mag. Ja, ich glaube, man hat ihm nicht allzu sehr zugesetzt. Dafür haben sie mir eins in die Fresse gehauen. Mistschweine.

Als ich noch ganz klein war, hatte mein Großvater mütterlicherseits einmal einen Schlaganfall. Großvater kam mir damals ungeheuer groß vor, und deswegen hatte es in meinen Augen etwas besonders Trauriges, ihn plötzlich so gebrechlich zu erleben. Immer wieder fiel er hin. Es war ein sehr weiter Weg nach unten.

Und jetzt sitzt neben mir ein anderer Mann, ebenfalls alt, ebenfalls ziemlich groß. Ein Mann, der bald das Zeitliche segnen wird, und zwar diesmal wie ein ganz normaler Mensch, ohne heldenhaftes Getue. Bestrahlung – dadurch gewinnt er vielleicht ein halbes Jahr. Dann Chemo – möglicherweise noch einen Monat oder zwei. Und irgendwann (gesetzt den Fall, es gelingt mir überhaupt, uns aus dieser misslichen Lage zu befreien) wartet das Ende: ein Tropf mit Morphinlösung und ein allmähliches Hinübergleiten in die Ewigkeit. O nein, Faith, fang jetzt bloß nicht an zu weinen. Es gibt Wichtigeres zu tun.

Seltsam: Meine Füße fühlen sich ganz kalt an, dabei ist es draußen unglaublich heiß. Die Orangen hängen prall und saftig an den Bäumen, und als wir gestern auf der Hotelterrasse saßen, war selbst die Brise vom Meer her schwer und schwül und voller Salz. Vielleicht habe ich kalte Füße, weil man mir die Schuhe von den Füßen gerissen hat, nachdem ich einen der Männer ins Gesicht getreten und ihm dabei die Nase gebrochen habe. Einige seiner Kollegen sind daraufhin in schadenfrohes Gelächter ausgebrochen – offenbar konnten sie ihn genauso wenig leiden wie ich. Schon wieder eine Rivalität unter Geschwistern? Sind diese Kerle hier eigentlich alle miteinander verwandt? Vollidioten – sie müssen doch wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wie hoffnungslos, wie selbstmörderisch dieser ganze Zirkus ist!

Also: Entweder versuche ich jetzt, meine Hände zu befreien und eine Möglichkeit zur Flucht zu finden, oder wir bleiben hier und warten, dass jemand kommt und uns rettet. Ob unsere Entführer ein Lösegeld fordern werden? Von wem? Von Eden vielleicht? Oder vom Chronicle? Und wenn ja – wird sich auch jemand finden, der es bezahlt? Sind wir hier unten wenigstens vor den anderen in Sicherheit – wer auch immer die sein mögen? Oder hat es sich mittlerweile überall herumgesprochen, dass er nicht mehr lange zu leben hat? Dass bald endlich alles vorbei ist?

Ich krieche über den Boden in die Richtung, aus der ich seine Atemgeräusche höre, und lehne mich neben ihm an die Wand. Als er mich an seiner Seite spürt, wird er munter und versucht, sich aufzusetzen.

»Na?«, sage ich, und er lässt den Kopf auf meine Schulter sacken. Sein Atem geht flach und schnarrend. Ich küsse ihn und seufze.

Es gibt so vieles, wonach wir uns im Innern unseres Herzens sehnen. In der Dunkelheit der Nacht, wenn es Freunde und Geliebte längst zu anderen, fröhlicheren Menschen gezogen hat und die Welt um uns herum noch immer in Flammen steht. Und falls sie nun Wirklichkeit würden, diese geheimen Wünsche, wären sie dann tatsächlich das, worum wir all die Zeit gebetet haben? Mein Leben lang habe ich genau das tun wollen, was er jetzt tut: den Kopf sinken lassen, die Augen schließen. In meinen Träumen gab es sie, die breite, starke Schulter, an die ich mich lehnen konnte. Und mit ihr gab es die Gewissheit, dass alles gut war.

Aber dieser Traum wird nie Wirklichkeit werden. Im wahren Leben wird es immer genau umgekehrt sein. Damit habe ich mich inzwischen abgefunden.

Ich beiße die Zähne zusammen und beginne den Kabelbinder, der meine Handgelenke einschnürt, an einem scharfen Vorsprung in der feuchten Mauer zu schaben. Die Männer draußen rufen und schreien noch immer wild durcheinander, Schüsse hallen aus den Hügeln wider. Der Kampf tobt unvermindert weiter. Verflixt noch mal!, denke ich unwillkürlich. Wir werden direkt in einen Kugelhagel hineinspazieren – wie Butch Cassidy und Sundance Kid. Falls wir es überhaupt so weit schaffen.

»Wie Butch Cassidy und Sundance Kid« – das muss ich wohl laut gesagt haben, denn plötzlich flüstert er mir etwas zu. Sein Mund ist dicht an meiner Schulter, die Stimme nicht viel mehr als ein Röcheln. Sein Sinn für Humor jedoch ist nach wie vor intakt, und ich höre das schiefe Grinsen in seiner Stimme, als er fragt:

»Und welcher der beiden bin ich?«

Ich kann nicht anders: Ich muss lachen, und meine Augen füllen sich mit Tränen.

»Was denkst du denn? Sundance natürlich. Robert Redford.«

Kapitel 1

Alles in meinem Leben hat sich verändert, seit Tamsin mich damals in ihr Büro zitierte, um mir den Cairnbridge-Auftrag zu erteilen.

Das Wort »Büro« ist hier eigentlich ein Euphemismus. In Wirklichkeit besteht die Redaktion des Chronicle aus Hunderten senkrecht stehender MDF-Platten, die den Raum in ganz viele winzige Zellen aufteilen. Wenn man richtig wichtig ist, so wie Tamsin, dann bekommt man noch ein paar Quadratmeter Plexiglas und eine Tür dazu. Ein Schreibtisch aus Walnussholz mit Aussicht auf den Hudson River? Nicht ganz.

»Zanetti! Herkommen!«, trompetete sie, am Ende ihres Kugelschreibers kauend. Sie ist der festen Überzeugung, dieser Gestus verleihe ihr Würde und Autorität, was natürlich blanker Unsinn ist. Genannte Eigenschaften bezieht sie allenfalls aus dem Umstand, dass ihre Haut am ganzen Körper aschgrau ist, da sie in den letzten zehn Jahren insgesamt nicht mehr als zehn Minuten Sonnenlicht abbekommen hat. Und dann war da natürlich noch ihr Charles-und-Camilla-Coup. Ihr hatte man seinerzeit nämlich die Camillagate-Bänder zugespielt, wodurch sie es zu beträchtlichem Ruhm brachte. Nicht, dass dazu irgendein Beitrag von ihrer Seite nötig gewesen wäre – wochenlange Recherchen und all die anderen Dinge, die gemeinhin zur Arbeit eines furchtlosen Reporters zählen. Aber die Sache bescherte ihr dennoch die Aussicht auf eine lebenslange Anstellung (wenn nicht bei unserer Zeitung, dann bei einer anderen) sowie die ehrfürchtige Hochachtung sämtlicher Berufsgenossen. Tamsin wohnt mit einem der ihr unterstellten Redakteure zusammen und glaubt allen Ernstes, niemand wüsste etwas davon. Die beiden sind so tief in ihre absurde Scharade verstrickt, dass sie zwar gemeinsam zur Arbeit fahren, sich dort aber den ganzen Tag lang eisern ignorieren. Das ist ziemlich peinlich, und mir wäre es wirklich lieber, ich hätte nie davon erfahren.

Wie auch immer, ich betrat also ihr Büro.

Seit Bens Geburt »half« ich in der Auslandsredaktion aus. Und was für eine Hilfe ich war! Meine Arbeit bestand vornehmlich darin, alte Bekannte anzuklingeln, die irgendwo an den Brennpunkten dieser Welt im Busch herumkrochen, und Dinge zu sagen wie: »Wir brauchen fünfhundert Wörter bis sechzehn Uhr!«

Die meisten dieser äußerst deprimierenden Telefongespräche liefen etwa so ab:

»Hi, Blitz. Wie steht’s mit den Nachrichten des Tages? Wer treibt was? Wer ist gestorben? Wie reagieren wir?« Dann seufzte ich und betrachtete meine abgekauten Fingernägel.

»Zanetti? Bist du das? Was machst du denn in der Redaktion? Ich sage dir, hier herrscht das absolute Chaos. Die haben ganz vergessen, wer hier eigentlich wen bekriegt, der Waffenstillstand ist für den Arsch und ... ach du Scheiße! Mann, ich muss auflegen! Wir sprechen uns später!«

Mein Magen drehte und wand sich dann jedes Mal in stiller Qual vor lauter Eifersucht, und ich fühlte mich genötigt, die Beine hochzuschwingen und meine Füße in ihren Cowboystiefeln auf den Schreibtisch krachen zu lassen, um wenigstens ansatzweise das Gefühl zu haben, dass alles unter Kontrolle war. Wundert es da noch jemanden, dass die Kollegen von mir genauso die Nase voll hatten wie ich von ihnen? Nein. Zu Hause konnte ich nicht rauchen, also verbrachte ich den Großteil meiner Arbeitszeit draußen auf der Feuertreppe, von wo aus ich, einen Plastikbecher mit Espresso umklammernd, mit dem Kindermädchen telefonierte.

Daher hatte ich, als mich Tamsins Order erreichte, instinktiv angenommen, sie wolle mir mitteilen, dass ich gefeuert sei.

»Was gibt’s?«, fragte ich argwöhnisch.

»Der Chefredakteur hat ein Problem«, eröffnete sie das Gespräch.

Ich nickte ernst. »Das habe ich schon immer vermutet.« Ich setzte mich.

Tamsin verdrehte die Augen bis in die Schädelhöhle hinein. »Der Chefredakteur hat ein Problem in Bezug auf Cairnbridge«, präzisierte sie und bemühte sich erfolgreich, mir nicht ins Gesicht zu blicken, während sie dies sagte.

Ich stöhnte und ließ meinen Kopf auf ihre Tischplatte sinken, die Arme schützend darübergeworfen.

»Faith«, fuhr Tamsin in begütigendem Tonfall fort. »Ich habe geahnt, dass du so reagieren würdest ...«

Ich richtete mich wieder auf. »Sieh einer an, du hattest recht mit deiner Ahnung. Was ist bloß los mit dem Mann? Wir sind die einzige Zeitung weit und breit, die nach all den Jahren immer noch seine beknackten Verschwörungstheorien abdruckt. Und das, obwohl der Gerichtshof in Den Haag das Urteil gegen diesen Libyer gerade erst bestätigt hat! Pff. Als ob man den Fall überhaupt wieder hätte neu aufrollen müssen, zumal ungefähr tausend Leute damals gesehen haben, wie der Mann einen Koffer, auf dem dick und fett ›BOMBE‹ stand, ins Flugzeug geladen hat!«

Na ja, vielleicht war die Sache nicht haargenau so abgelaufen, aber die wesentlichen Fakten stimmten. Außerdem war das alles Ewigkeiten her.

Vielleicht hätte ich mich ein wenig diplomatischer verhalten sollen, aber ich konnte einfach nicht anders. Die Obsessionen unseres Chefredakteurs raubten einem wirklich den letzten Nerv. Natürlich weiß jedes Kind, dass man sowieso praktisch geisteskrank sein muss, um Chefredakteur einer Zeitung zu werden. Das ist wahrlich kein Geheimnis. Mit den Chefredakteuren ist es so ähnlich wie mit den Premierministern. Wenn jemand den Posten unbedingt haben will, dann ist allein das bereits ein sicheres Zeichen dafür, dass er ihn niemals bekommen sollte. Aber da es offenbar keine geistig gesunden Menschen gibt, die sich für diese Art von Tätigkeit hergeben möchten ... bleibt sie eben den Wahnsinnigen vorbehalten.

Unser Chefredakteur Sam Fischer zum Beispiel war besessen von Prinzessin Diana. Teil dieser Besessenheit war die felsenfeste Überzeugung, sie sei von christlichen Fundamentalisten ermordet worden, die zu verhindern versucht hatten, dass ein Moslem eine wie auch immer geartete Verbindung mit dem Königshaus einging. Er hatte die Prinzessin ein einziges Mal getroffen, auf irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung, und fortan darauf beharrt, sie seien allerbeste Freunde. Nach ihrem Tod hatte er ungefähr fünfundzwanzig Kilo abgenommen. Aber keine Sorge, es hätten auch gut und gern sechzig sein dürfen.

Sein zweites Steckenpferd war Cairnbridge. Er hatte unser Rechercheteam von Im Visier bestimmt schon fünfzehn Mal auf die Story angesetzt, und darüber hinaus hatte unser Blatt immer wieder all jenen Spinnern als Sprachrohr gedient, die behaupteten, sie würden für die CIA arbeiten und wüssten genau, was damals passiert sei. Und überhaupt, die Libyer seien unschuldig. Der wahre Grund, weshalb die US-amerikanische Regierung und die CIA und alle anderen, die ihre Finger in der Sache stecken hatten, immer wieder beteuerten, nicht den Schimmer einer Ahnung zu haben, wer die Männer gewesen seien und für wen sie gearbeitet hätten, sei einzig und allein die Tatsache, dass sie – also die Libyer – »zu viel wüssten«.

Aha. Ich glaube, damit weiß ich auch schon zu viel. Viel zu viel.

»Zanetti!«, bellte Tamsin empört.

Oh. Ich hatte mir, ohne es zu merken, eine Zigarette angesteckt. Prompt fing der Rauchmelder an zu kreischen, und noch bevor ich den Glimmstängel in Tamsins Kaffeetasse ersäufen konnte, kam ein Sicherheitsbeamter ins Zimmer gestürmt. Seine rechte Hand ruhte auf etwas an seinem Gürtel.

»Mein Gott, Sie sind ja bewaffnet!«, entschlüpfte es mir.

»Seit Juli.« Er nickte. »Warten Sie, ich schalte das rasch ab. Da war wohl jemand ungezogen«, tadelte er zungeschnalzend, während er mit seinen schweren schwarzen Stiefeln Tamsins Schreibtisch erklomm.

»So bin ich eben«, lautete meine Antwort.

Tamsin reckte den Kopf an seinen Waden vorbei und versuchte, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. »Wie du zweifellos weißt, jährt sich das Unglück in diesem Jahr zum fünfundzwanzigsten Mal ...«

Lieber Herrgott, rette mich! »Ja, so viel ist mir bekannt«, räumte ich ein.

»Und Der Chefredakteur ...«, fuhr sie fort. Ich bin hier übrigens nicht diejenige, die das »Der« von »Der Chefredakteur« großschreibt. Das machte sie mit ihrer Stimme. Warum sie ihn nicht einfach Sam nennen konnte, so wie alle anderen auch, war mir schleierhaft. »Der Chefredakteur möchte eine Sonderausgabe in Gedenken an den Anschlag herausbringen ...«

»Tams! Ich dachte, wir würden uns neuerdings darum bemühen, eine jüngere Lesergeneration zu indoktrinieren – die armen Schafe, die damals noch gar nicht auf der Welt waren. Ernsthaft! Ich werde ihn mir gleich mal zur Brust nehmen.« Ich stand auf und wandte mich zum Gehen.

»Faith, Schätzchen. Setz dich wieder hin«, befahl Tamsin sanft. Der Sicherheitsbeamte mit seiner dicken Knarre war mittlerweile verschwunden, und sie hatte ihren Schreibtisch wieder für sich. Mit der Handfläche wischte sie imaginäre Stiefelabdrücke von der Platte. Ihre Finger sind blass und knochig und wirken durch die schwarzen Kostüme, die sie trägt, geradezu totenbleich.

»Faith. Glaubst du allen Ernstes, du könntest ihm die Sache ausreden? Glaubst du, ich hätte ihm gegenüber nicht genau dieselben Einwände vorgebracht wie du gerade?«

Ich seufzte unwillig und fischte eine neue Zigarette aus meiner Schachtel. Dann steckte ich sie wieder zurück. »Nein. Vielmehr glaube ich, dass du brav genickt und gesagt hast: ›Ooooh, Sam, was für eine geniale Idee! Lass uns sofort damit anfangen!«‹

Im grünlichen Grablichtgeflacker der Leuchtstoffröhre, die über unseren Köpfen schwebte, war es schwer zu erkennen, aber ich glaube, Tamsin wurde rot. Das war wohl auch das Mindeste.

»Wie auch immer deine persönliche Auffassung zu der Sache aussehen mag«, begann sie erneut geschäftsmäßig, während sie unerklärlicherweise einen Stapel Papier vor sich zurechtrückte. Papier – so etwas benutzen wir doch gar nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie zu Hause ihre Rezeptschublade ausgemistet. »Die Sonderausgabe wird erscheinen, und darin werden auch einige der diversen Theorien über den Bombenanschlag zu lesen sein, die Der Chefredakteur im Laufe der Jahre verfochten hat. Aber darüber hinaus wünscht er sich einen Exklusivbericht für die Titelseite. Und an genau dieser Stelle kommst du ins Spiel. Unseren Leuten von Im Visier ist es nämlich auch nach all der Zeit nicht gelungen, alle am Anschlag beteiligten Personen zu befragen ...«

»Tatsächlich?« Langsam wurde es mir wirklich zu bunt. »Ob das möglicherweise daran liegt, dass es diese beiden Libyer waren, die niemand interviewen kann, weil einer im Knast sitzt und der andere auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist!?«

Mehrere Kollegen reckten, durch mein Gebrüll aufgeschreckt, die Hälse. Meine Haare hatten sich teilweise aus dem Pudelschwänzchen gelöst, zu dem ich sie zurückgebunden hatte, und bestimmt sah ich ziemlich wild aus. Ich habe einen blonden Lockenschopf, der aussieht wie ein Afro. Ben tut nichts lieber, als an den Strähnen zu nuckeln, genau wie ich es als kleines Kind immer gemacht habe.

Tamsin fuhr unbeirrt fort: »Außerdem sind sie wiederholt gescheitert, als es darum ging, sämtliche Drogenkuriere zu identifizieren, die mit Erlaubnis der amerikanischen Regierung die Flüge in die USA zum Transport von Heroin genutzt haben. Und, was nach Ansicht Des Chefredakteurs am wichtigsten ist: Uns fehlt immer noch diejenige Person, die für die Reykjavik-Warnung verantwortlich zeichnet. Aber darüber bist du ja sicher bestens informiert ...«

Ich ließ meine Faust auf Tamsins Schreibtisch niederkrachen. Leider zuckte sie nicht einmal zusammen. »Aber nicht doch! Ich arbeite schon mein halbes Leben bei diesem Blatt – aber lesen, was drinsteht? Wo denkst du hin? Die Reykjavik-Was?«

Also schön, natürlich kam ich nicht jeden Tag dazu, die gesamte Zeitung von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen. Aber es bestand kein Grund, das meiner Chefin auf die Nase zu binden. Und überhaupt – jedes Kind wusste über die Reykjavik-Warnung Bescheid. Die Geschichte ist schnell erzählt: Vor ungefähr zwei Milliarden Jahren rief jemand bei der US-Botschaft in Reykjavik an, um die Mitteilung zu machen, dass bald ein Bombenanschlag auf ein amerikanisches Flugzeug verübt werden würde. Diese Warnung wurde überall auf der ganzen Welt an den Schwarzen Brettern der Botschaften ausgehängt, aber niemand machte sich die Mühe, dem Sicherheitspersonal am Frankfurter Flughafen Bescheid zu geben, und das, obwohl der Anrufer ausdrücklich gesagt hatte, dass die Bombe in Frankfurt an Bord geschmuggelt werden solle.

»Also, Faith, hier ist dein Auftrag: Finde den Mann, der die Warnung ausgegeben hat, bring ihn zum Reden, schreib einen Artikel darüber und dann hol dir deinen Gehaltsscheck ab. Ein Foto wäre nett. Wiedersehen.«

Moooooment, nicht so schnell. Das war kein Auftrag, das war vorprogrammiertes Scheitern. Nicht, dass ich dem Team von Im Visier unbedingt dieselbe glühende Bewunderung zollte, mit der sie selbst ihre Arbeit zu betrachten pflegten – aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie sich redlich bemüht hatten und so weiter.

»Ich mache das nicht!«

»Gut. Dann geh bitte zu Sam und erklär es ihm. Und viel Glück bei der Suche nach einem Arbeitgeber, der nichts gegen dein Baby, dein Alkoholproblem und deine miese Einstellung einzuwenden hat«, sagte Tamsin und drückte abschließend die Return-Taste ihres Computers, um endlich die E-Mail zu versenden, an der sie während unseres kleinen Beisammenseins unablässig herumgeschrieben hatte.

»Ach, Tams. Es ist fast drollig, mitanzusehen, wie du die Wut, die du angesichts der Leere und der Sinnlosigkeit deines Daseins empfindest, an deinen Untergebenen auslässt.«

Auf dem Weg nach draußen warf ich ihr noch eine Kusshand zu. Dann ließ ich mich hinter meinen Schreibtisch plumpsen und tippte »Cairnbridge« in die Suchmaske von Google ein. Zu mehr konnte ich mich vorerst nicht durchringen.

Interessanterweise herrscht selbst in Bezug auf diese Bezeichnung Uneinigkeit. Die Amerikaner nennen die Katastrophe nämlich »TAA 67«.

Ich habe kein Alkoholproblem, und Tamsin kann mir mal den Buckel runterrutschen.

Kaum dass ich von meiner Schwangerschaft erfahren hatte – damals arbeitete ich noch in Moskau –, stand ich auch schon bei den Anonymen Alkoholikern auf der Matte. Eigentlich war es sogar ganz lustig: Man saß im Kreis und hörte zu, wie Wildfremde anfingen, freimütig von all den schändlichen Dingen zu berichten, die sie unter Alkoholeinfluss angestellt hatten. Wie zum Beispiel mit dem besten Freund des eigenen Ehemanns ins Bett zu gehen oder allerlei andere Dummheiten, zu denen sie sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch im nüchternen Zustand hätten hinreißen lassen. Nur dass sie dann nicht auf die verhängnisvollen siebzehn Gläser Gin Tonic hätten verweisen können, die sie zum Tatzeitpunkt getankt hatten – eine Ausrede, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Neun Monate lang hatte ich nicht einen Tropfen angerührt, und auch jetzt konnte gewiss niemand behaupten, ich würde die ganze Zeit stockbesoffen durch die Gegend torkeln. Ich habe keine Ahnung, wieso sich Tamsin das Recht herausnahm, die Sache dermaßen aufzubauschen.

Und eins will ich Ihnen sagen: Es ist noch gar nicht allzu lange her, da gehörte es praktisch zum guten Ton, nach dem Mittagessen angeschädelt in die Redaktion zurückzuwanken. Kurz bei El Vino vorbeischauen, zehn Flaschen Bordeaux und ein Zungensandwich zum Mitnehmen – und erst zum Redaktionsschluss war man wieder halbwegs nüchtern. Und jetzt hatte sogar Eden angefangen, mich unablässig damit zu nerven, ich würde zu viel trinken – ganz so, als sei er selbst ein Vorbild an Nüchternheit. Eden hatte übrigens vor einiger Zeit eine Erleuchtung und wohnte nun in einem riesigen Haus auf einem Berg irgendwo im hintersten Winkel der Toskana, wo er an einem Buch über China schrieb und ab und zu eine Kolumne über toskanische Lebensart für den New Yorker zu Papier brachte. Der pure Kitsch: »Während die Abendsonne langsam über meinem kleinen Olivenhain untergeht und die Eidechsen aufgeregt hierhin und dorthin huschen, um sich im Licht der letzten Sonnenstrahlen zu wärmen ...« Sie kennen das bestimmt.

Wie jede andere Erleuchtung, so war auch seine im Kern nichts als ein monumentaler Egotrip, der darauf hinauslief, dass ich die Gelackmeierte war und mit dem blöden Baby ganz allein dastand.

Um Gottes willen, natürlich ist Ben kein blödes Baby! Er ist ein kleines Stückchen Himmel in meinem Leben und so lieb und süß, dass seine bloße Existenz diese ganze ekelhafte Welt verschönert. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich mit ihm in London festsaß, während sich Eden mit den Signorinas aus seinem Dorf anfreundete und sich von ihnen erklären ließ, wo man nach dem Regen die besten Pilze fand. Das letzte Mal, als Ben und ich bei ihm zu Besuch gewesen waren, hatte er auch Don und Ira aus Moskau eingeladen, und Ira bekam man gar nicht mehr aus dem Wald heraus, so versessen war sie auf die Porcini oder wie auch immer die Dinger heißen. Ihr Mann Don, ein mehrfach ausgezeichneter Kriegsfotograf a. D., meinte hingegen leicht säuerlich, das beschauliche Leben in einem Moskauer Vorort hätte ihn selbst schon fast in einen Fungus verwandelt.

Mir gegenüber behauptete Eden, seine Trinkgewohnheiten an die der Italiener angepasst zu haben: ein Glas zum Mittagessen, ein oder zwei zum Abendessen, und um zehn liege er bereits im Bett. Na dann: herzlichen Glückwunsch.

»Lass mich dir eins sagen, Jones. Wenn du dich jeden Morgen ins Büro schleppen müsstest, nachdem du die ganze Nacht wach warst, weil ein Baby – nein, dein Baby – nicht aufhören wollte zu schreien, würdest du dein jetziges Pensum im Leben nicht durchhalten«, hatte ich ihm bei einem unserer unerfreulichen Gespräche an den Kopf geworfen. »Wenn ich so leben könnte wie du, würde ich vermutlich mit einem Schlückchen Quellwasser und einem Trüffel pro Tag auskommen!«

Vielleicht sagte ich ihm das auch nur in Gedanken, dafür aber ziemlich oft und ziemlich energisch. Ich konnte mir nicht helfen: Ich vermisste den alten Eden. Den Eden, auf den immer Verlass gewesen war, wenn man um Mitternacht an einer Straßensperre von drogenbenebelten Teenagern mit Kalaschnikows bedroht wurde. Möge der einzige Leser, den sein China-Buch je finden wird, vorzeitig ins Gras beißen! Oder lieber nicht – vermutlich werde ich das sein. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der sich Eden Jones’ historischen Abriss über die letzten vierzig Jahre wirtschaftlicher Entwicklung im Reich der Mitte zu Gemüte führen will. Sie etwa?

Nach meiner »Besprechung« mit Tamsin rief ich ihn umgehend an.

»Jones!«

»O Gott! Ist Ben etwas passiert?«, stieß er mit erstickter Stimme hervor.

»Woher soll ich das wissen? Ich bin im Büro! Ruf doch die Nanny an. Was ich dich fragen wollte: Weißt du irgendetwas über Cairnbridge?«

Er lachte auf. Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie er am Schreibtisch saß, mit Blick auf den Obstgarten.

»Ist das wirklich Vogelgezwitscher, was ich da höre?«, fragte ich und zündete mir eine Kippe an.

Er lachte erneut. »Dein Chef ist verrückt geworden. Hat ihm niemand gesagt, dass das Gericht in Den Haag das Urteil gegen den Libyer bestätigt hat? Du solltest ihn schnellstens aufklären, Eff Zett.«

»Damit er mich auf die Straße setzt? Wir bringen eine Sonderausgabe zum fünfundzwanzigsten Jahrestag heraus ...«

Das ließ ihn aufhorchen.

»Ein Vierteljahrhundert. Tja, da kommt man ins Grübeln«, sagte ich.

»Ist das wirklich schon fünfundzwanzig Jahre her? Unmöglich. Ich habe mich noch gar nicht entschieden, was ich werden will, wenn ich groß bin!«

»Ein Wichser?«

»Ach ja, stimmt. Das war es. Aber – fünfundzwanzig Jahre ...«

»Also schön, wir sind alle alt geworden. Jedenfalls soll es eine Gedenkausgabe geben –«

»Hui! Da wird die Auflage aber glatt durch die Decke gehen!«

»Mein Gott, Eden, hör mir doch mal zu! Du musst mir unbedingt helfen. Warst du nicht irgendwann deswegen auf Zypern und hast dort recherchiert?«

»Klar. Damals zum zehnten Jahrestag. Ein Artikel für den Telegraph. Riesenbudget. Kein Loch, in das ich nicht gekrochen bin. Aber Faithy, glaub mir, es war der Libyer ...«

»Okay, ich weiß. Um den geht es ja auch gar nicht. Übrigens – wo sitzt der eigentlich? In Schottland? Oder hat man ihn an seine Heimat ausgeliefert? Egal. Ich soll herausfinden, wer der Anrufer von Reykjavik war.«

»Keine Chance.«

»Großartig. Vielen Dank. Na dann – auf Wiederhören.«

»Jetzt sei doch nicht so. Weißt du was? Setz dich einfach in den nächsten Flieger nach Pisa und komm her. Ich hole dich vom Flughafen ab. Wenn du möchtest, kannst du meine Unterlagen benutzen. Aber bring das Kindermädchen mit, ich habe furchtbar viel zu tun.«

»Klar. Wenn du ihren Flug bezahlst.«

»Faith ...«

»Eden?«

»Also schön. Ohne Kindermädchen.«

»Okay.«

Kapitel 2

Womöglich denken Sie jetzt, die Tatsache, dass Eden und ich Eltern eines gemeinsamen Kindes sind, müsste in unserer Beziehung endlich für Klarheit gesorgt haben. Aber das denken Sie nur, wenn Sie selbst keine Kinder haben. Alle anderen wissen nämlich, dass dadurch alles nur noch milliardenfach komplizierter wird, als es vorher ohnehin schon gewesen ist. Wenn sich zwei Parteien nicht einigen können, ist es da hilfreich, noch eine dritte hinzuzuholen? Eben.

Irgendwann hatte ich Eden natürlich darüber informiert, dass ich von ihm schwanger war. Es schien mir kleinlich, es ihm weiterhin zu verschweigen, und darüber hinaus kam ohnehin der Punkt, an dem sich die Tatsache nicht mehr verheimlichen ließ. Dass ich diesen Punkt erreicht hatte, wurde mir während eines Geschäftsessens mit einer Verlegerin vor Augen geführt, für das ich extra von Moskau in die Heimat geflogen war. Sie hatte mich ins Orso eingeladen, wo wir mit Ziegenkäse, Spargel und Peperoni belegte Minipizzen zu Mittag aßen. Sehr pikant.

Sie behielt die ganze Zeit über ihre schwarze Sonnenbrille auf und redete mit einer dünnen Stimme auf mich ein, ich solle unbedingt meine Memoiren schreiben. Da musste man sich ja alt vorkommen ... Während sie aus ihrer am Boden stehenden Tasche einige Fotokopien herausfischte, erzählte sie mir von einem altgedienten Nachrichtenproduzenten, der für einen amerikanischen Sender arbeite und seine Kollegen zu einer Besprechung gerufen habe, um die Devise auszugeben, man brauche mehr »Schnitten in den Schützengräben«. Das, so dachte sie, sei doch ein ganz ausgezeichneter Titel für mein Buch. Die Schnitte im Schützengraben.

»Muss in diesem Szenario auch jemand die Schnitte sein?«, erkundigte ich mich lachend, während ich an der Folienverpackung meiner Nicorette-Kaugummis herumfummelte. Seht alle her: eine schwangere Neurotikerin im Restaurant!

Meine Frage war eigentlich als Witz gemeint, brachte die gute Frau aber tatsächlich in Verlegenheit. »Nein, nein, so habe ich das nicht –«, begann sie, nur um gleich wieder betreten zu verstummen.

Wir nahmen beide einen Schluck von unserem Mineralwasser.

»Schon gut.« Ich schenkte ihr ein gütiges Lächeln.

Aber das ist es ja gar nicht, was ich erzählen wollte. An einem Nachbartisch saß nämlich ein entfernter Bekannter, der immerzu ungläubig auf meinen Bauch starrte.

Ich zwinkerte ihm zu.

»Zanetti?«, fragte er laut und hätte um ein Haar seine Rotweinflasche von der Tischkante gestoßen. Ich glaube, er arbeitet bei Associated Press. Derek. Derek oder Craig. Hat irgendeinen Preis gewonnen für eine Reportage über eine Schule voller Kinderleichen, auf die er in Ruanda gestoßen ist. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er damals mit versteinerter Miene im Mille Collines auftauchte, uns alle in einen Toyota-Truck lud und mit uns, bewacht von rotäugigen Teenagern mit Kasanraketen über der Schulter, ins staubige Niemandsland fuhr. Don McCaughrean war gerade krank. Also, Derek oder wie auch immer du heißt: Du hast dir deinen Rotwein redlich verdient.

Ich tätschelte meinen Bauch. »Tja, wie sich herausstellt, bin ich ein biologisch voll funktionsfähiges Weibchen. Wer hätte das gedacht?«

Gleich nach dieser Begegnung rief ich Eden an. Keine Ahnung, wieso ich so lange damit gewartet hatte. Hatte ich mich etwa an die Hoffnung geklammert, es sei strenggenommen alles gar nicht wahr – zumindest nicht richtig –, solange der Kindsvater nichts wusste? Wäre mir durchaus zuzutrauen.

»Gib sofort den Posten in Moskau ab«, befahl er mir.

»Auf keinen Fall«, erwiderte ich trotzig – nur um wenig später im Zuge der nächsten personellen Umstrukturierungsmaßnahmen (verklärend für »Kündigungswelle«) zurück nach London versetzt zu werden.

Ich sagte der Verlegerin zu, auch wenn ich dabei ein komisches Gefühl hatte – als müsste ich meinen eigenen Nekrolog verfassen. Übrigens hat mir jemand mal einen sehr interessanten Tipp gegeben: Der Schlüssel dazu, im Leben stets die richtige Entscheidung zu treffen, liege darin, von Zeit zu Zeit probehalber seinen Nachruf zu schreiben, um zu prüfen, ob man mit dem Inhalt zufrieden ist. Auf die Frage, was zu tun sei, wenn man nicht zufrieden wäre, wusste er allerdings nichts Erhellendes zu sagen. Wenn ich mich recht erinnere, ist er vor einigen Jahren an einer Überdosis Kokain gestorben. Kein Kommentar.

Eden fing natürlich sofort wieder mit seinem Lieblingsthema an. »Ach, Schatz, lass uns zusammenziehen und endlich eine richtige Familie sein!« Aber wie üblich hielt diese Phase nicht lange an. Er liebt es einfach, so zu tun, als sei ihm etwas sehr, sehr ernst, und vielleicht glaubt er in dem Moment sogar selbst daran, aber letztlich ist es nichts weiter als ein Hirngespinst. Im Klartext bedeutete sein Vorschlag nämlich: »Komm, lass uns versuchen, so zu tun, als wären wir nicht die, die wir sind.« Wem wollte er etwas vormachen? Seine Berggipfelepiphanie würde kein halbes Jahr andauern. Spätestens dann hieß es wieder: ab ins nächstgelegene Krisengebiet, soll die Olivenernte doch an den Bäumen verrotten! Und was mich angeht ... nun ja. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass ich nicht fürs Rosenschneiden und Marmeladekochen geschaffen bin.

Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Irgendwann kommt man nämlich in ein Alter, in dem all die bange Erwartung, mit der man der Antwort auf die Frage entgegengefiebert hat, was für ein Mensch man einmal sein wird, verflogen ist. Das Ergebnis liegt vor, und von nun an muss man mit dem arbeiten, was man hat. Ich für meinen Teil kann einfach nicht so tun, als hätte ich keine Schmetterlinge im Bauch, wenn ich irgendwo aus einem Flieger steige, einer Wand aus brütender Hitze entgegentrete, und mir ein schnurrbärtiger Unhold eine Waffe an den Schädel hält. Ich will, während um mich herum ein mörderischer Sandsturm tobt, meine kugelsichere Weste anlegen, an die Front rausfahren und aus dem Mund eines Mannes, der mit einer Granate in der Faust im Dreck liegt, erfahren, was los ist. Niemand zwingt mich dazu. Ich will es eben so.

Ben lebte bei mir in London, und ich hätte, ohne eine Sekunde zu zögern, mein Leben für ihn gegeben. Noch nie habe ich einen Menschen auf die Weise angelächelt, wie ich ihn anlächle, noch nie das empfunden, was ich empfinde, wenn er »Mama« sagt. Der Tod ist mir nur deswegen zu einer Angstvision geworden, weil mein Sohn dann ohne Mutter dastünde, und nicht etwa all der nihilistischen Schauerszenarien wegen, die früher in meinem dauerverkaterten Hirn herumgespukt hatten.

Ja, ich hätte mein Leben für ihn geopfert. Aber versauern wollte ich seinetwegen nicht. Ich habe es oft genug mit eigenen Augen gesehen: Frauen, deren Geist und Körper verdorren, weil sie tagein, tagaus auf einer Bank am Rande eines asphaltierten Spielplatzes sitzen und gegen Tränen der Einsamkeit und Langeweile ankämpfen müssen. Wie sie sich nach seelischer und geistiger Herausforderung sehnen, dies als gewöhnlichen Hunger missverstehen und schleichend fett werden. Nicht, dass ich mir deswegen hätte Sorgen machen müssen. Wahrscheinlich hätte ich sogar ein paar Pfund zulegen können. Ein Espresso ist nicht gerade eine Kalorienbombe.

Ich glaube – ich hoffe –, dass Ben mir eines Tages in meiner Einschätzung der Dinge zustimmen wird: nämlich, dass es besser ist, eine glückliche Mutter zu haben – eine Mutter, die vielleicht nicht jede Sekunde seines Lebens an seiner Seite ist – als eine verbitterte alte Schachtel, deren Verzweiflung ihn früher oder später mit ins Verderben reißen wird.

Dessen ungeachtet hatte Tamsin meinen flehentlichen Bitten, mich wieder auf einen Auslandsposten zu versetzen, keinerlei Beachtung geschenkt. Es stimmt, in Bagdad war damals nicht alles nach Plan gelaufen (ich hatte den Verstand verloren), und als man mich danach endlich wieder von der Leine ließ (bloß nach Moskau, aber ich wollte nicht meckern), war ich gleich als Erstes hingegangen und hatte mich schwängern lassen. Vor dem Hintergrund dieser Vorfälle war mein neuer, völlig sinnloser Cairnbridge-Auftrag also eine große Chance. Sollte es mir tatsächlich gelingen, den Anrufer von Reykjavik ausfindig zu machen, hätte ich damit meine Verhandlungsposition meinen Arbeitgebern gegenüber entscheidend gestärkt und würde mir in absehbarer Zeit meine Posten vielleicht wieder selbst aussuchen können.

Ich hatte nämlich keineswegs vergessen, wie es sich anfühlte, als diese unfähige Hohlbirne Alessandra Biagi nach dem Einmarsch der Israelis in den Libanon nach Jerusalem gehen durfte! Ich dachte, ich falle auf der Stelle tot um vor Wut. Zu allem Überfluss war ich auch noch diejenige, die mit ihr Telefonkontakt halten und ihre Artikel redigieren musste (sie konnte keinen anständigen Satz formulieren, die dumme Gans), während sie sich gemütlich unter einem Zitronenbaum am Brunnen des American Colony Hotels fläzte. Das ist mein absolutes Lieblingshotel im gesamten bekannten Universum, auch wenn sich meine Freundin Shiv dort das Leben genommen hat.

»Ich bin gerade aus Ramallah zurück«, sagte Alessandra zum Beispiel, und sofort hatte ich die staubige Straße und die Palmen vor Augen und die zu riesigen Pyramiden aufgeschichteten Wassermelonen und den Sonnenuntergang in der Wüste und die Betonhölle der palästinensischen Großstadt und ... Um es kurz zu machen: London ist einfach nicht dasselbe. Jedenfalls nicht für mich.

Nachdem Tamsin mir an jenem Nachmittag den Marschbefehl erteilt hatte, fuhr ich nach Hause und gab Kristy, dem Kindermädchen, für den Rest der Woche Urlaub. Bezahlt wird sie so oder so, also freut sie sich immer enorm über freie Tage. Sie ist überhaupt ein Mädchen, das sich oft freut. Auf ihre Schulter hat sie sich den Schriftzug »Serendipity« tätowieren lassen, und in dem kleinen Hautfetzen, der das Zahnfleisch mit der Innenseite der Oberlippe verbindet, trägt sie einen Ring. Warum? Wer weiß das schon.

Ben weinte bitterlich, als sie sich von ihm verabschiedete, und ich versuchte tapfer, deswegen nicht eingeschnappt zu sein. Das ist eben der Preis, den man bezahlen muss. Oder vielmehr der Preis, den ich bezahlen muss.

Im Gatwick Express auf der Fahrt zum Flughafen las ich ihm aus den Abenteuern des Hundes Hairy Maclary vor, und er bellte fleißig mit. Auf meine Eröffnung hin, wir würden Daddy besuchen, hüpfte er vor lauter Freude auf meinem Schoß auf und ab.

Zu diesem Zeitpunkt waren es nur noch wenige Stunden bis zum ersten Anruf ... Aber womöglich verwirrt es nur, das Leben aus dieser verqueren Perspektive zu betrachten und darüber nachzugrübeln, wie man sich gefühlt hätte, wenn man Bescheid gewusst hätte.

Die Atmosphäre auf dem Flughafen schien anders als sonst. Normalerweise reise ich allein, bin immer in Eile, nehme den Flug, den niemand freiwillig nehmen würde – den mit einer ganzen Latte an zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen und angespannt vor sich hinstarrenden Passagieren. Flughäfen habe ich schon immer mit einem erhöhten Adrenalinspiegel verknüpft. Man gießt sich an der Bar Wodka hinter die Binde, qualmt, was das Zeug hält, und hetzt dann in allerletzter Minute zum Gate.

Aber jetzt sah ich weit und breit nichts als Familien: Frauen mit Kinderwagen und Väter, die am Wechselschalter anstanden. Lauter Menschen, die zu ihren Feriendomizilen unterwegs waren. »Vergiss nicht die tausend Euro für Stefano und das Dach!«

Selbstverständlich schaue ich Nachrichten. Ich weiß von Streiks, gestrandeten Urlaubern, gestrichenen Charterflügen. Aber ich persönlich habe Flughäfen nie mit Urlaub in Verbindung gebracht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich im Laufe meines Erwachsenenlebens jemals im Urlaub gewesen bin. Vermutlich würde mich das nur nervös machen: Anderswo brennt die Luft, und ich muss am Meer sitzen und mit den Zehen im Sand wühlen. Aber hier waren sie, Tausende und Abertausende von Menschen, die genau das im Sinn hatten und bereits die absonderliche Freizeitkluft trugen, in der sie später an den Strand gehen würden. Ich dagegen trug wie immer Lederjacke, Jeans und Cowboystiefel, hatte aber immerhin Ben und seinen Buggy dabei.

Als ich es mir an der Sektbar gemütlich machte, sah der Mann neben mir neugierig auf. Seine Haare waren hinten und an den Seiten rasiert wie die eines Mitglieds des US Marine Corps. Ich schenkte ihm ein Lächeln. Er war entschieden zu jung für mich, aber ansehnlich genug, um nicht allein aufgrund des Altersunterschieds durch mein Suchraster zu fallen.

Dazu fällt mir übrigens eine wunderbare Stelle aus Walt Disneys Film Die Schöne und das Biest ein: Der Erzähler berichtet von einer Frau, die beim Prinzen an die Tür klopft. Als dieser öffnet, zeigt er sich »entsetzt von ihrer abgerissenen Erscheinung«. Von wegen. Wahrscheinlich hatte sie am Abend zuvor bloß ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.

Da wir gerade beim Thema sind: In der Maschine schenkte mir die Flugbegleiterin zwei Flaschen Sauvignon Blanc und einen verschwörerischen Seitenblick, weil ich einen betrunkenen Fluggast erfolgreich von dem Vorhaben abgelenkt hatte, seinen Frust an ihr auszulassen.

»Zum Glück fliegen wir in ein zivilisiertes Land!«, blökte er. Sie hatte die Kühnheit besessen, ihn aufzufordern, sein Handy auszuschalten, während er gerade ein hochwichtiges Gespräch mit seinem Agenten führte. »Tut mir leid, Danny, aber die Saftschubse sagt, ich muss Schluss machen!«

Er wollte gerade Luft holen, um sie zünftig anzubrüllen, als ich mich quer über den Gang lehnte und ihm die rechte Hand entgegenstreckte. »Hi, ich bin Faith«, stellte ich mich vor. »Erzählen Sie mir doch etwas über Ihr Buch!«

Das schien ihn zu besänftigen.

Es gab unmittelbar nach Bens Geburt eine Phase, in der dieser Ansatz nicht so recht funktionieren wollte. Zuvor wäre es mir niemals in den Sinn gekommen, dass es sich dabei überhaupt um einen »Ansatz« handeln könnte – bis es auf einmal nicht mehr klappte. In meiner Naivität hatte ich angenommen, dass sich Männer grundsätzlich freuen, wenn eine Frau neben ihnen sitzt. Dem ist nicht so, wie ich am eigenen Leib erfahren musste. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich mir über derlei Dinge Gedanken mache, aber so ist es nun mal.

Inzwischen jedoch hat sich alles wieder normalisiert.

In seinem Buch ging es um einen Mann, der im Gehirn einen Tumor hat, welcher irgendwann die Kontrolle über seinen Verstand übernimmt. Aber wer weiß, vielleicht habe ich auch nicht richtig hingehört.

Am Zielort wurden wir von Eden erwartet. Wieder einmal trug er das stark gewöhnungsbedürftige Outfit, das seine toskanische Passion vorzuschreiben schien. Er, der früher nichts als Jeans und weiße Hemden im Schrank gehabt hatte, trat in senfgelben Hosen, einem korallenroten Hemd und einem grünen Kaschmirpullover, den er sich lässig über die Schultern gelegt hatte, auf uns zu.

»Ciao, ciao! Benvenuti!«, begrüßte er uns, nahm mir Ben ab und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Eine Italienerin, die an einer rosafarbenen Leine ein Schoßhündchen hinter sich herzog, beobachtete die Szene mit beifälliger Miene. Typisch: Männer kriegen Extrapunkte, wenn sie ihre eigenen Kinder liebhaben. Frauen natürlich nicht.

»Was soll die Aufmachung?«, fragte ich, während ich mir erst mal eine Zigarette anzündete.

Eden wandte sich zu mir um, und eine Wolke Aftershave schlug mir entgegen. »Ich bin unter die Italiener gegangen«, erklärte er und stieß im selben Moment mit einem Mann zusammen, der ein Pappschild in die Höhe hielt. »Also dann: Andiamo!«

Auf dem Flughafen von Pisa duftet es nach Kaffee und Pizza, und überall gibt es Läden, in denen Artikel angeboten werden, die es sich tatsächlich zu kaufen lohnt. Im Gewimmel fiel mein Blick zufällig auf den Mann von der Sektbar. Komisch – er war mir im Flugzeug gar nicht aufgefallen. Aber was hieß das schon?

Auf dem »Heimweg« (denn hier in der Toskana, so malte sich Eden aus, würden wir eines Tages unser gemeinsames Leben beginnen und sein Ideal einer pastoralen Idylle verwirklichen, in der ich eine dralle Hausfrau war, die mit beiden Armen im Brotteig steckte. Durchaus verlockend, aber nur in der Fantasie) tat Eden kund, er wolle noch einen kurzen Zwischenstopp einlegen, um fürs Abendessen Forellen zu besorgen.

»Enrico wird dir bestimmt gefallen«, sagte er, und sogleich beschlich mich die dunkle Ahnung, dass eine Lektion in toskanischer Lebensart unmittelbar bevorstand. Jeden Augenblick würde er anfangen, mir unerwartete Einblicke in die italienische Sprache zu gewähren: »Wusstest du übrigens, dass Vespa ›Wespe‹ bedeutet? Siehst du? Sie sehen wirklich wie Wespen aus!« Hm. Oder auch: »Rate mal, was Ciabatta bedeutet. Na los, rate mal! Wie sieht denn ein Ciabatta-Brot aus? Na, kommst du drauf? Wie ein Hausschuh natürlich!«

Alles klar.

»Wer bist du?«, fragte ich ihn stirnrunzelnd. Er glaubte natürlich, ich hätte einen Witz gemacht. Das glauben die Leute oft. Muss wohl an mir liegen.

Wir hielten neben einem großen Gebäude unmittelbar an einem munter dahinplätschernden Fluss, das aussah wie eine leerstehende Lagerhalle. Am Eingang hing ein hölzernes Schild, auf das jemand »Trote Vive« – lebende Forellen – gekrakelt hatte. Eden stieg aus, winkte mir, ihm zu folgen, und läutete eine Glocke, auf die ein Pfeil und der Schriftzug »Campanello« hinwiesen. Die Klingelschaltung sah aus, als würde sie jedem, der ihr zu nahe kam, sofort einen tödlichen Stromschlag versetzen. Ben hatten wir im Wagen gelassen. Er saß im Babysitz auf der Rückbank von Edens Cinquecento (ein weiteres unentbehrliches Accessoire in seinem befremdlichen Lebenstraum) und schlief. In Kälte und Dunkelheit warteten wir vor dem metallenen Eingangstor, bis nach einigen Minuten ein Mann in einer Ape angeknattert kam. (Das sind diese typisch italienischen dreirädrigen Kleintransporter. Das Wort ape, apäh ausgesprochen, bedeutet übrigens »Biene«.)

»Es klingelt in seinem Haus oben auf dem Hügel«, erklärte Eden.

»Aha.« Ich nickte, stampfte mit den bestiefelten Füßen auf und rauchte.

Enrico, ebenfalls mit Zigarette – die er übrigens die ganze Zeit über nicht aus dem Mund nahm –, schloss die Kette auf, mit der die Tür versperrt war, und gemeinsam traten wir ins Innere, wo es noch kälter war als draußen. Die riesige leere Halle war von einer einzigen flackernden Glühbirne beleuchtet, die an einem staubigen Kabel von der Decke hing. Der Fluss war in die Halle umgeleitet worden (die allem Anschein nach früher eine Papiermühle gewesen war) und durchfloss mehrere große Becken, in denen sich tanzend und springend die Fische drängten, so dass in kleinen Fontänen immer wieder das Wasser aufspritzte. Ein paar alte Möbel und Gerätschaften standen herum – eine Kommode, eine Schüssel mit Krug, eine uralte fußbetriebene Singer-Nähmaschine –, allesamt von einer dünnen Schicht kalten fischigen Schleims überzogen. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich gedankenverloren mit dem Finger über die Kommode strich und es gleich darauf bereute.

Enrico tauchte einen großen Kescher ins Wasser, und kurz darauf zappelten einige schillernde Forellen im Netz. Er langte hinein, holte die zwei größten mit der Hand heraus und schlug ihnen gekonnt mit einem Holzknüppel auf den Kopf.

»Die Iren nennen das Ding einen Priester«, ließ Eden mich wissen.

»Typisch«, lautete mein Kommentar.

Enrico wog die Fische auf einer Waage, die so aussah, als habe sie im neunzehnten Jahrhundert in einem Dorfladen Dienst getan, nahm sie aus und reichte sie dann, in eine Plastiktüte verpackt, an Eden weiter. Diesen schien es in blendende Laune versetzt zu haben, hautnah Zeuge der brutalen Schlachtung unseres Abendessens geworden zu sein. Gemeinsam kehrten wir zum Wagen zurück, wo Ben noch immer tief und fest schlief und dabei an einem Zipfel seiner Decke nuckelte. Vor uns lagen weitere zwanzig Minuten Fahrt auf einer einspurigen Straße, die sich bis zu Edens Haus den Berg hinaufschlängelte.

Unterwegs sahen wir ein Stachelschwein, das bei unserem Herannahen blitzschnell in die Büsche floh.

Sosehr ich auch über den Symbolgehalt von Edens Haus lästern möchte (und es sicherlich noch tun werde), es ist wirklich wunderschön. Es liegt hoch oben an einem Berghang in einem Örtchen namens Brandeglio, das mit der Toskana, wie man sie üblicherweise von Postkarten kennt, rein gar nichts gemein hat. Hier oben ist alles üppig grün, und das Dorf liegt in herrlicher Ruhe ganz am Ende einer Straße. Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus etwa dreißig steinalten Leuten (die Hälfte davon bettlägerig) und einem großen Rudel Wildschweine.

An diesem Abend lag alles unter einer tiefhängenden Wolke verborgen, und die Luft roch nach den Kastanien, die die Dorfbewohner im Herbst auf ihren Feuern rösten.

Edens Haus ist rosa angestrichen und halb verfallen. Es hat einen schmiedeeisernen Balkon und im Vorgarten einen Springbrunnen. Die Fußböden sind aus Terrakotta. (Eden: »Das bedeutet ›gekochte Erde‹. Eigentlich ganz logisch, oder? Panna cotta heißt schließlich ›gekochte Sahne‹.« Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Antworten auf Fragen, die ich nie gestellt habe. Für den Fall, dass ich etwas wirklich dringend wissen will, melde ich mich schon, abgemacht?) Das Haus hat schwere Balkendecken und mehrere offene Feuerstellen, die so groß sind, dass man eine ganze Sau darin braten könnte.

»Willkommen daheim«, sagte Eden und stieß, da er Ben auf dem Arm trug, die Eingangstür mit dem Fuß auf. Im Haus lag noch der warme Duft vom knoblauchhaltigen Abendessen des Vortags. Ich knipste das Licht an.

»Also, wo sind deine Cairnbridge-Unterlagen?«, fragte ich, noch bevor ich meine Tasche und den zusammengeklappten Kinderwagen abgestellt hatte. »Und wo steht der Wein?«

Eden mochte es nicht, wenn ich mir nicht erst einmal ein paar Minuten nahm, um anzukommen und »Familie« zu spielen. Aber das lag mir einfach nicht. Es machte mich nervös. Also setzte er sich Ben auf die Hüfte und nahm eine Flasche Wein aus seinem großen blauen Kühlschrank, der aussah wie ein Chevrolet aus den Fünfzigerjahren.

»Gläser sind da oben.« Er machte eine Kopfbewegung. Ich angelte zwei Weingläser von einer grünen Anrichte.

»Ich habe schon alles Nötige auf meinem Schreibtisch bereitgelegt«, sagte er und strich mir zärtlich übers Haar. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich mich von seiner Geste erweichen lassen sollte, entschied mich dann aber dagegen.

»Super.« Ich lächelte, nahm mein Weinglas und verschwand die steinerne Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch lag ein ganzer Berg von Unterlagen – offizielle Dokumente, Verhandlungsprotokolle, Notizen, die sich Eden gemacht hatte. Ich zog mir mit dem Fuß den Stuhl heran, dessen Beine laut über den Steinboden schabten, und ließ mich darauf nieder. Ich erwartete nicht, in dem unübersichtlichen Wust an Papieren irgendetwas zu finden, das mich auch nur ansatzweise fesseln würde. Ich hörte, wie meine Jungs sich unten munter brabbelnd unterhielten, und unternahm eine Riesenanstrengung, das warme, wohlige Gefühl zu unterdrücken, das sich in meiner Magengegend auszubreiten drohte.

Lag bestimmt nur am Wein.

Das Nervenzentrum einer Boeing 747, von dem aus sämtliche Navigations- und Kommunikationssysteme gesteuert werden, befindet sich zwei Stockwerke unter dem Cockpit und ist lediglich durch eine dünne Wand vom vorderen Frachtraum getrennt. Ermittler, die das Wrack untersuchten, gelangten zu dem Schluss, dass die Wucht der Detonation diese Wand zerschlagen und die Flugkontrollkabel in Mitleidenschaft gezogen haben musste, was dazu führte, dass der vordere Teil des Rumpfs unkontrolliert zu rollen, zu nicken und zu gieren begann.

Du liebe Zeit. Allein die Begriffe: Rumpf. Rollen. Nicken. Gieren. Kontrollkabel. War es im Zimmer kalt geworden, oder lag es an meiner Lektüre, dass mir ein Schauer über den Rücken lief? Manchmal träume ich von abstürzenden Aufzügen ...

Alle 231 Passagiere sowie die 14 Besatzungsmitglieder kamen bei dem Unglück ums Leben. Nachdem das Cockpit weggebrochen war, peitschten Luftströme von der Stärke eines Tornados durch das Innere der Kabine, rissen den Passagieren die Kleider vom Leib und verwandelten lose Objekte wie Getränkewagen in tödliche Geschosse. Infolge des plötzlichen Luftdruckabfalls dehnten sich die Gase innerhalb der Körper der Passagiere schlagartig bis auf das Vierfache ihres normalen Volumens aus, was bei vielen zu einer Lungenüberdehnung mit anschließendem Kollaps führte. Nicht angeschnallte Passagiere sowie alle ungesicherten Gegenstände wurden aus der Kabine in die –46°C kalte Luft geschleudert und fielen etwa zwei Minuten lang aus neun Kilometern Höhe in Richtung Boden. Diejenigen Passagiere, die zum Zeitpunkt der Explosion ihre Sitzgurte angelegt hatten, verblieben im Rumpf und waren folglichnoch beim Aufprall der Maschine in ihren Sitzen angeschnallt. Die meisten Insassen wurden aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund des Sauerstoffmangels während des Falls bewusstlos, allerdings gehen Gerichtsmediziner davon aus, dass einige beim Erreichen sauerstoffreicherer Luftschichten das Bewusstsein wiedererlangten. Dr. Graham W. Cheam, Leiter des gerichtsmedizinischen Instituts an der North Carolina State University, der die Ergebnisse der Autopsien untersuchte, nimmt an, dass die Cockpitbesatzung, einige der Flugbegleiter sowie 147 Passagiere sowohl die Bombenexplosion als auch die darauffolgende Dekompression überlebten und erst durch den Aufprall starben. Wie Dr. Cheam den ermittelnden Behörden mitteilte, hätten Abdrücke am Daumen des Piloten darauf schließen lassen, dass dieser während des gesamten Absturzes das Steuer der Maschine festgehalten hat und bei der Landung noch am Leben war. Kapitän MacDonald, sein Erster Offizier, der Flugingenieur, eine Flugbegleiterin und mehrere Passagiere der ersten Klasse, die im vorderen Teil des Flugzeugs gesessen hatten, wurden an der Absturzstelle, einem Feld in der Nähe der schottischen Ortschaft Cairnbridge, angeschnallt in ihren Sitzen gefunden. Während der Anhörung wurde darüber hinaus bekannt, dass die Flugbegleiterin den Absturz zunächst überlebt hatte, jedoch verstarb, bevor die Frau eines Landwirts, die sie gefunden hatte, Hilfe herbeiholen konnte. Ein männlicher Passagier wurde ebenfalls lebend geborgen, und Mediziner äußerten die Vermutung, dass er gute Überlebenschancen gehabt hätte, wäre er zu einem früheren Zeitpunkt gefunden worden.

War ich übermüdet? Oder woran lag es, dass es mir unmöglich war, den Bericht mit der nötigen Distanz zu betrachten? Ich saß allein in Edens Arbeitszimmer, hörte, wie unten die Forellen in der Pfanne brutzelten, und stürzte gleichzeitig wie in einem Traum gemeinsam mit der Stewardess durch den Himmel, fühlte das raue Nylon ihrer Uniform am Hals, spürte, wie ihr die flachen Schuhe von den Füßen gerissen wurden. Dann der Aufprall ihres Kopfes auf dem Boden und das Blut, das ihr in Mund und Nase schoss. Die immense Erleichterung – ja, vielleicht war es wirklich Erleichterung –, endlich festen Grund unter sich zu spüren, noch einmal das Gras und die Erde riechen zu können, bevor sie starb. In ihrem Schädel sang noch der pfeifende Wind, hallte der Druck der Detonation wider, kreischte das Metall der auseinanderbrechenden Maschine. Dann dachte ich an den Kapitän und seinen Daumen am Steuerknüppel. Wie fest kannst du ihn halten? Wie fest, MacDonald?

Woran liegt es eigentlich, dass uns einige Dinge mehr berühren als andere? Ich habe in meinem Leben schon viele Leichen gesehen. Und viele Gräueltaten sind seit diesem Unglück unzähligen Menschen widerfahren: Ruanda und Jugoslawien. Afghanistan. Irak. Das Morden, die Vergewaltigungen, das Foltern, all das hört niemals auf, gleichgültig wie viele Menschen ganz fest die Augen zukneifen und wie viele Gebete über ihre Lippen kommen – Gebete, die ein mitfühlender Gott zweifellos erhören würde und für die sie ihre Hände mit derselben Verzweiflung aneinanderpressen wie der arme Pilot seinen Daumen um das Steuer seines Flugzeugs gelegt hat. Dieser Daumen, den seine Mutter früher einmal geküsst hatte, einfach aus Freude, dass es ihn gab.

Ich glaube, die Geschichte nahm mich deshalb so mit, weil sie aus demselben Stoff gemacht schien wie meine Alpträume: unschuldige Menschen, die Opfer eines Blutbads werden. Ohne Vorwarnung, aus heiterem Himmel. Oder aber ich ahnte bereits, was kommen würde. Vielleicht erfüllt die Wahrheit wie unsichtbare Spinnfäden die Luft und senkt sich unmerklich auf diejenigen nieder, die sie suchen. Manchmal womöglich sogar auf die, die es nicht tun.

Herrje. Ich musste mir doch tatsächlich eine Träne verdrücken. Oder ein paar mehr.

Und gerade in diesem Augenblick klingelte mein Handy. Mein Klingelton ist »Love me tender« von Elvis. Das stimmt wirklich.

»Telefon, Zanetti!«, brüllte Eden von unten. Der Apparat lag direkt neben mir. Er regt sich immer darüber auf, dass ich manchmal einfach nicht drangehe. Und das wiederum regt mich auf: Schließlich ist es nicht sein Telefon. Wie ein Außerirdischer mit giftigen Tentakeln saugte er sich an jedem kleinen Fitzelchen meines Lebens fest, um Stück für Stück die Kontrolle über mich zu gewinnen, bis ich eines Tages nicht mehr ich sein würde, sondern nur noch ein Teil von ihm.

Na also! Endlich hatte ich seinen perfiden Plan aufgedeckt!

Kapitel 3

Mein Handy klingelt ziemlich oft. Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache. Demzufolge zeigte ich mich auch jetzt nicht weiter überrascht. Vorsichtig legte ich meine Zigarette auf der Kante von Edens Schreibtisch ab.

»Salaamu aleikum?« Ich melde mich gern in wechselnden Sprachen. Irgendwie muss man ja dafür sorgen, dass man ein bisschen Spaß hat.

Am anderen Ende der Leitung räusperte sich jemand. Ich konnte hören, dass es ein Mann war.

»Faithy?«, sagte er.