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Ich habe heute in älteren Notizen über absonderliche Erlebnisse geblättert, die uns in dem kritischen Jahre 1923 beschert wurden. Ich sage beschert, denn Harst und ich nehmen eben jedes uns sich darbietende eigenartige und aufregende Abenteuer als ein Geschenk hin. Zu meinem Erstaunen fand ich da die Photographie einer jener kleinen Schildkröten, wie diese auch bei uns in Deutschland vorkommen. Auf diesem Lichtbilde hatte ich mit Bleistift vermerkt: »Schildkröte am Halensee. 13. Oktober 1923. Karman Tichu, Anita Galski.«
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Inhalt
Die Schildkröte von Halensee.
1. Kapitel.
In Jakobsohns Flur.
2. Kapitel.
Nur ein Scherz.
3. Kapitel.
Spanische Zigeunerin?!
4. Kapitel.
Die Schildkröte.
5. Kapitel.
Hagenbecks Indertruppe.
Die andere Schildkröte.
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band 191
Die Schildkröte von Halensee
© 2023 Librorium Editions
ISBN : 9782385740948
Die Schildkröte von Halensee.
In Jakobsohns Flur.
Nur ein Scherz.
Spanische Zigeunerin?!
Die Schildkröte.
Hagenbecks Indertruppe.
Die andere Schildkröte.
Ich habe heute in älteren Notizen über absonderliche Erlebnisse geblättert, die uns in dem kritischen Jahre 1923 beschert wurden. Ich sage beschert, denn Harst und ich nehmen eben jedes uns sich darbietende eigenartige und aufregende Abenteuer als ein Geschenk hin. Zu meinem Erstaunen fand ich da die Photographie einer jener kleinen Schildkröten, wie diese auch bei uns in Deutschland vorkommen. Auf diesem Lichtbilde hatte ich mit Bleistift vermerkt: »Schildkröte am Halensee. 13. Oktober 1923. Karman Tichu, Anita Galski.«
Mein Gedächtnis reagierte auf diese dürftigen Angaben prompt. Mit einem Schlage standen in meiner Erinnerung wie aus einer Versenkung all jene Szenen mit lebenswarmer Frische auf, die für uns mit dem Namen des großen Bankiers Karman Tichu verknüpft waren. Anderseits wunderte ich mich aber auch, weshalb ich diesen merkwürdigen Kriminalfall bisher der Öffentlichkeit vorenthalten habe. Die Gründe hierfür kenne ich nicht mehr, vermute lediglich, daß das Bild der Schildkröte mir nicht rechtzeitig wieder in die Hände geriet und daß andere Erlebnisse das Andenken an jenen seltsamen Zauberkünstler bei mir rascher zum Schwinden brachten, als er es verdient hat. Denn er war in seiner Art fraglos eins der größten Rätsel, die ein Inder jemals dem gelehrten Europa dargeboten hat. —
… Oktober 1923 … Das war damals, als die Inflation uns zu Billionärchen gemacht hatte, als die Darlehnskassenscheine wieder »Geld« vorzutäuschen schienen und die Rentenmark Pseudobillionäre zu armen Schnorrern machte.
Uns auch …
Harst, der den Verlust seines ererbten Millionenvermögens nur aus dem Grunde so schmerzlich hinnahm, weil er nun nicht mehr aus Liebhaberei seiner Neigung für absonderliche Kriminalprobleme nachgehen konnte, sondern wie jeder andere Durchschnittssterbliche »aufs Verdienen« angewiesen war, schickte mich am 13. Oktober vormittags neun Uhr nach der Stadt. Ich sollte einen der Edelsteine verkaufen, die er in den flachen Ebenholzkästen seiner Sammlung nicht mehr hatte unterbringen können. Diese Sammlung, sowie die losen Steine, alles Geschenke indischer Klienten, rechnete er nicht als Vermögen in dem Sinne, sie etwa zu Gelde zu machen und so die zerronnenen Millionen wieder neu hervorzuzaubern. Nein, für ihn waren all diese so überaus mannigfachen Geschenke orientalischer Fürstlichkeiten und Großkaufleute genau so unveräußerlicher, ideeller Besitz, wie etwa unser Heim, das Harstsche Familiengrundstück in Berlin-Schmargendorf. Und daß er sich jetzt dennoch von einem fast haselnußgroßen wundervollen Edelstein trennte, hatte lediglich die eine schwerwiegende Ursache: wir waren vollständig »abgebrannt«, — eine Tatsache, die bei Harald geradezu eine Gemütsdepression zur Folge gehabt hatte, und diesem unerträglichen Zustand wollte er ein Ende machen.
Ich fuhr also mit der Straßenbahn nach der Tauentzienstraße, wo in einer Seitengasse ein uns bekannter früherer Juwelier wohnte, der nun als Rentier eifriger Sammler erstklassiger Diamanten geworden war, was er sich trotz Inflation schon leisten konnte, weil er sein Vermögen vorzeitig in holländischem Grundbesitz angelegt hatte.
Herr Julius Jakobsohn war Junggeselle, bewohnte in dem stillsten Teile der Passauer Straße zusammen mit seiner Wirtschafterin und zwei sehr scharfen deutschen Schäferhunden, die ihm die Kinder ersetzten, eine feudale Fünfzimmerwohnung und führte das stille, beschauliche Dasein eines älteren Herrn von vielseitigen, geistigen Interessen. Er gehörte zu jenen Juden, spanischer Abkunft, deren schmale, kluge Gesichter, schlanke, aufrechte Gestalten und feine, zierliche Hände im Verein mit einer stolzen, abgeklärten Ruhe und einem leicht bronzenen Teint deutlich die Vermischung mit Sarazenenblut verraten. Als seine Vorfahren einst nach Deutschland einwanderten, hatten sie den klangvollen poetischen Namen Maritoja gegen das nichtssagende Jakobsohn eintauschen müssen.
Als ich die zwei läuferbelegten Treppen in dem vornehmen Miethause zu unseres Bekannten Wohnung emporstieg, kam eine tief verschleierte Frau sehr eilig an mir vorüber. Ein zarter Duft nach Ambra umwehte mich sekundenlang. Dann war die Frau bereits auf der Straße, die Haustür klappte zu und ich stand vor Jakobsohns Flurtür.
Merkwürdig — sie war nur angelehnt. Bei Jakobsohns Vorsicht zweifellos auffallend. Die Flur war von innen gepanzert und hatte zwei Kunstschlösser. Das wußte ich.
Ich läutete. Ich war daran gewöhnt, daß nach dem Läuten sofort die beiden Hunde anschlugen.
Alles blieb still. Niemand kam.