Die silberne Riesin - Jeannine Meighörner - E-Book

Die silberne Riesin E-Book

Jeannine Meighörner

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Beschreibung

Eine zahme Bestie auf Grand Tour d'Europe: Nashorn trifft Kaiserin! Das erste Nashorn, das nach Jahrhunderten Europa lebend erreichte Maria Theresia, Voltaire, Madame Pompadour – sie alle wurden zu Nebenfiguren, als sie in Europa eintraf: die gefürchtete und gefeierte Nashorndame Clara. Wieso schrieb ihr Casanova ein Liebesgedicht? Was hat Clara mit Tabak und Bier zu tun? Und wie konnte sie für die Menschen gleichermaßen eine Höllenbestie und eine Salonschönheit sein?Jeannine Meighörner erzählt eine außergewöhnliche und einzigartige Geschichte: die Reise der Nashorndame Clara, die, nachdem Wilderer ihre Mutter ermordeten, in Gefangenschaft geriet – und dort wie ein Schoßhündchen aufwuchs. Bis sie ihre Reise von Indien über Kapstadt nach Wien, Rom und Versailles antrat, wo sich die Monarchen, Künstler und Philosophen um eine Audienz rissen. Denn niemand in Europa hatte seit Jahrhunderten je ein lebendes Nashorn zu Gesicht bekommen. Politische Machtspiele inbegriffenEs ist aber nicht nur ein idyllisches Bild von menschlicher Neugier und Zuneigung zu diesem Wundertier, das Meighörner zeichnet, sondern auch ein aufregender Einblick in die Machtkämpfe zwischen den europäischen Adelsfamilien des 18. Jahrhunderts, die diesem Schauspiel zugrunde lagen. Clara traf das Who-is-Who des europäischen Adels. Maria Theresia wurde sogar vor dem Treffen gewarnt: "S'Monstrum schauen" könnte ihrem ungeborenen Kind schaden. Es wagten aber auch noch andere: Friedrich der Große, König Ludwig XV mit seiner Madame Pompadour genauso wie Diderot, Rousseau, Johann Sebastian Bach und Casanova. In allen europäischen Zentren mit all ihren kulturellen Besonderheiten: Wien, Roman, Venedig, Zürich und Versailles. Mit allen Sinnen eintauchen in Claras Geschichte Clara ist für manche von Meighörners Figuren eine unselige Missgeburt, für andere das Wunder von Leiden oder die Orangenprinzessin – in jedem Fall aber eine silberne Riesin. Dass sie Claras Geschichte auf Papier erzählt, hält Meighörner aber nicht davon ab, die ganze Bandbreite unserer Sinne zu bedienen: Wer wissen will, wie eine kahl rasierte Glatze in der brütenden Hitze Indiens unter einer zu stark gepuderten Perücke juckt, der kann das bei Meighörner nachfühlen. Und was Maria Theresia bei ihrem ersten Treffen mit Clara gerochen hat, steigt von den Buchseiten direkt in die Nase. Es war überraschend, so viel sei verraten!

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Jeannine Meighörner

Die silberne Riesin

Als Maria Theresia das Nashorn traf

Ein historischer Roman

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
I. ’s Monstrum nicht schauen …?
5. November 1746 – Schloss Schönbrunn
II. ’s Monstrum doch schauen …!
5. November 1746 – Wien
III. Tabak, Bier und Blut
25. Oktober 1740 – Chinsurah, Bengalen
IV. Die Salonschönheit des Herrn Sichterman geht auf Reisen
26. Oktober 1740 – Chinsurah, Bengalen
V. Wellengeflüster
30. November 1740 bis 22. Juli 1741 – Chinsurah, Kap der Guten Hoffnung, Rotterdam
VI. Clara und der Knochenmann
22. Juli 1741 bis Frühjahr 1744 – Rotterdam, Leiden
VII. Wie werde ich mit einem Nashorn reich?
Frühjahr 1744 bis April 1746 – Leiden, Hamburg, Hannover
VIII. „Madame seien korpulent!“
20. April bis 22. Mai 1746 – Berlin
IX. „Man muss einen ordentlichen Wirbel veranstalten …“
Ende Mai bis 5. November 1746 – Frankfurt an der Oder, Breslau, Wien
X. Gefeiert und gefürchtet
26. November 1746 bis 23. Februar 1747 – Linz, Salzburg, München, Regensburg
XI. Weißes Gold
März bis 19. April 1747 – Freiberg in Sachsen, Dresden, Leipzig, Kassel
XII. Gellert, Bach und die Macht der Fuge
23. April bis Oktober 1747 – Leipzig, Kassel
XIII. Ein Rhinozeros auf dem Rhein
November 1747 bis März 1748 – Mannheim, Straßburg, Basel, Bern, Zürich, Schaffhausen
XIV. Monarchen machen müde
April bis 13. Oktober 1748 – Schwarzwald, Stuttgart, Ulm, Nürnberg, Würzburg, Mainz, Leiden
XV. Jungfer Clara und die Pompadour
17. Januar bis 2. Februar 1749, Versailles
XVI. Clara träumt, Casanova spricht in Paris von Liebe
3. Februar bis Sommer 1749 – Saint Germain, Lyon, Marseille
XVII. Venedig sehen und sterben?
11. November 1749 bis Dezember 1751 – Neapel, Rom, Bologna, Venedig, Verona, Leiden
XVIII. Lebensmüde in London
Januar 1752 bis 14. April 1758 und darüber hinaus – Leiden, London
Epilog: Das Wunderhorn und die Gier
Jeannine Meighörner
Zur Autorin
Impressum

Für Elmo und Moses

„Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir. Alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir.“

Franz von Assisi

„Ganz Paris, so leicht berauscht von kleinen Dingen, ist nun gefesselt von einem Tier genannt Rhinozeros.“

Denis Diderot in einem Brief an Friedrich Melchior Grimm

I. ’s Monstrum nicht schauen …?

5. November 1746 – Schloss Schönbrunn

Maria Theresia gähnte mit weit aufgerissenem Mund. Erstaunlich weiße Zähne blitzten im fahlen Licht eines Tages, der noch keine Farben besaß. Ihr erster Blick galt dem Gesicht ihres Mannes. Dessen Lider flatterten insektenflügelgleich. Ein Kaiser lag als einfacher Mann in seinem Nachtschweiß, gefangen in einem Traum. Sollte sie die Flatterlider küssen?

Sie beugte sich über den Schlafenden – und schreckte zurück: Der Burgenländer vom Souper sprach aus ihm. Bis Mitternacht hatte er getafelt, seine Lippen purpurn vom Wein. Das zunehmende Licht verriet: Der Rote hatte auch wie mit Tinte gezeichnete Konturen um seinen Mund hinterlassen. „Lustige Lachwinkel“, kicherte sie leise. Kein Mann außer ihm war ihr je begegnet, der so wohlgeformte Lippen besaß. Dabei gab sich halb Europa bei ihr die Klinke in die Hand. Zerrte an ihr.

Umso mehr genoss sie diese süße Benommenheit, wenn der Tag noch jung war und sie nur ein vernarrtes Ding mit vom Schlaf zerwühltem Haar, das seine Nase kitzeln würde bei einem Kuss. So widerstand sie. Sie liebte ihren Mann, liebte aber auch die frühen Stunden, wenn er noch schlief.

Man lag jede Nacht beisammen. Wo gab es das in ihren Kreisen? Ihr Ehebett − genau mittig zwischen ihren und seinen Gemächern platziert − war ihre Arche in dem stürmischen Ozean, zu dem ihr Leben geworden war. Noch wollte sie das wohlige Nest nicht verlassen, dabei war sie als Frühaufsteherin gefürchtet, als „Generalin des Morgengrauens“. Sie kannte das Geschwätz der Domestiken.

Das untrügliche Rauschen des Regens drang durch die großen Fenster, die im Sommer das gewaltige Grün von Schönbrunn und die Sonne in ihre Gemächer einluden. Sie hatte schon barfuß auf Sonnenkringeln getanzt. Heute würde man sie unter einem Himmel aus Blei durch holprige Straßen voll schlammiger Pfützen karren. Durch das Zimmer kroch eine klamme Kälte wie ein ängstliches Tier.

Sie dachte an die seltsame Kreatur, der sie später begegnen würde. Man stelle sich das vor: Ein Kaiserpaar verließ seinen Palast, um einem Tier die Ehre zu erweisen. Hofierte ein Stück Vieh. Aber war es das überhaupt? Man hörte Abenteuerliches über dieses … dieses … Ding. Kam es tatsächlich aus einem Land der ewigen Sonne? Dann fror es nun wohl jämmerlich, denn auf der Freyung ging immer der Wind. Aber dieser Platz im Herzen der Stadt war mit Kalkül gewählt, ihn umgaben Adelspaläste mit spendierfreudigem Publikum.

Aber wozu sich jetzt den Kopf zerbrechen? Sie hauchte: „Noch bin ich nicht im Geschirr.“ So nannte sie das Repräsentieren- und Regierenmüssen, die Mühsal des ewigen Taktierens. „Noch lastet auf meinem Nacken kein schweres Joch.“ War sie erst im Geschirr, galt es, mit aller Kraft zu ziehen und dabei die Richtung zu bestimmen in unwegsamem Terrain bei erdrückender, voller Verantwortung. „Keinem Zugtier mutet man das zu, keinem Bierross, keinem Fiakergaul.“ Sie bemerkte das Selbstgespräch und verstummte.

Gottseidank war sie mit robuster Gesundheit gesegnet und mit Humor, am liebsten Wienerisch derb. Überhaupt war sie jetzt nur eine Frau, die den warmen Körper eines Mannes neben sich spürte und die Bettdecke fester an sich zog. Noch war sie ihr Schutz gegen all das, was dieser Tag zu werden drohte. Ihre Hände glitten wie von selbst unter ihr Nachtgewand. Die Handflächen formten einen Halbmond unter ihrem Nabel. Die Haut fühlte sich dort seltsam an: weich und wellig.

Ihre Schwangerschaften hatten Spuren hinterlassen. Rillen des Lebens. Sie blieben Franz Stephan nicht verborgen. Leider. „Madame, Ihre Taille zieren Jahresringe, da ich ein so guter Bevölkerer bin. Haha, ein Bevölkerer mit einem Glückstreffer pro Jahr.“ Dieser Scherz war sein liebster. Ja, er konnte sich aufplustern wie ein spanischer Don Juan, und so war er auch unterwegs. Man hatte es ihr zugetragen. Ein Seufzer drang tief aus ihrer Brust. Selbst eine Frau wie sie besaß ihren Mann nie für sich allein. Zumindest aber besaß sie die Mittel, ihren Hahn überwachen zu lassen und sein Kratzen in einem anderen Hühnerhof mit dem Sand der Diskretion zu bestreuen.

Sie biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Nun, bei Tageslicht betrachtet, hatte sie tatsächlich keine Taille mehr: Sie besaß ein eng geschnürtes Korsett. In den zehn Jahren ihrer Ehe war ständig Leben in ihr herangewachsen. Sie war eigentlich immer schwanger gewesen oder in den Wehen gelegen. Erst vor Kurzem mit Maria Amalia. Nie hatte sie Zwillinge geboren und keine Leibesfrucht zu früh verloren. Sie wusste von Frauen, die von Fehlgeburt zu Fehlgeburt allmählich ihr Leben aushauchten. Unter Blutstürzen, Schmerzen und Scham. Doch hatte eine einfache Weibsperson die Wahl? Ja hatte sie eine Wahl? Nein, der Druck lastete doppelt auf ihr, neues Leben hervorzubringen. Bevorzugt Söhne, Söhne, Söhne. „Ich muss im Geschirr gebären“, seufzte Maria Theresia.

Plötzlich huschte ein Lächeln um ihren Mund, sie erinnerte sich an eine weitere Sottise ihres Mannes: Sie sei ein guter Mutterboden für seinen Samen. Der Kaiser neigte zu Zweideutigkeiten, lag sie in seinen Armen. Über den Mutterboden hatten sie beide herzlich gelacht.

Die Umarmungen Franz Stephans taten ihr jedoch nicht immer gut. So hatte sie ihren neuen Leibarzt Gerard van Swieten mit der für eine Frau ungeheuerlichen Frage konsultiert: „Wie bereitet mir die Liebe mehr Pläsir?“ Mir! Seine Antwort, schmallippig vorgetragen, hatte sie aus dem Stand heraus erzürnt: Das Glück einer Ehefrau liege im Empfangen und Erdulden. Im Erdulden? Was solle sie noch alles erdulden? Ewige Schwangerschaften und einen ihr von eitler Mannhaftigkeit aufgezwungenen Krieg? Als sie den Holländer in ihre Dienste genommen hatte, hielt sie ihn für einen Vertreter des neuen Denkens. Einen Reformer. Schließlich war er ein Schüler des legendären Naturforschers Herman Boerhaave aus Löwen gewesen, der schon ihren Franz Stephan als jungen Mann von den Blattern geheilt hatte. Doch galt dieses Denken allein für Männer der Wissenschaft? Die sei Frauen ja verboten. Selbst die Heilkunde für Frauen sei ein vermaledeiter Herrenclub, hatte sie noch in ihrer Empörung geschimpft. Der Doktor war über ihre Worte sichtlich erstaunt gewesen. Nun, der kühle Kopf von der Nordsee würde sich an ihr Temperament gewöhnen müssen, sonst hätte er keine Zukunft in Wien.

Sie hatte beschlossen, ihrem weiblichen Instinkt mehr zu vertrauen. Wieso eigentlich nicht jetzt? Sie betastete die Rillen des Lebens mit den Fingerkuppen, zeichnete behutsam deren Ränder nach. Hielt den Atem an, hörte in sich hinein. Mhm … Keimte da wieder etwas unter diesen Hautfalten? Wuchs neues Leben heran in ihr? Puh … Nicht schon wieder, es wäre ihr neuntes Kind! „Zehn sind genug“, hörte sie sich sagen. „Zehn!“ Die Zahl zischte aus ihrem Mund, messerscharf und fest entschlossen. Sie wäre bald im dreißigsten Jahr, wäre also nicht mehr jung, jedes Kindbett wäre riskanter. Das wusste auch ihr Leibarzt, der Geburtshilfe sogar an der Wiener Universität unterrichten lassen wollte. Aber wie sollte sie Franz Stephan beibringen, dass sein Talent bald nicht mehr gefragt wäre? Sein Talent als Bevölkerer. Man führte ja doch eine sehr körperliche Ehe.

Sie kaute auf ihren Lippen herum, bis es wehtat – eine schlechte Angewohnheit! Sie durften nicht anschwellen, nicht bluten. Später müsste sie makellos aussehen, selbst vor Leuten, die sie nie in Schönbrunn empfinge. Jenem Geschäftemacher mit diesem angeblichen Wundertier und den angelockten Gaffern. Sie beäugten ein Vieh und begafften dabei doch sie. Wo läge der Unterschied? Das Volk gierte nach Sensationen. Gab es nicht auch Rangeleien um die besten Plätze bei Hinrichtungen?

Sie spürte wieder Unmut in sich und kämpfte dagegen an, indem sie sich auf ihr Bett besann und den Mann darin. Bewies ihre stolze Kinderschar nicht auch ihr gemeinsames Glück? Ihre ewige Vernarrtheit ineinander? Diese wurde adeligen Damen selten zuteil, wenn sich ihre Don Juans – fern vom Ehebett – mit ihren Mätressen vergnügten. Ihr Mann lag zumindest nachts bei ihr. Jede Nacht. Und wagte er nicht kürzlich die Prognose: Es wäre bald wieder an der Zeit – sie empfinge ja schon, wenn er sie nur anlächle?

Doch ihr Bauch gehörte nicht nur ihm und schon gar nicht ihr allein. Nein, der Bauch einer Herrscherin war ein öffentlicher Bauch, ein Herrschaftsbauch. Der Fortbestand des Hauses Habsburg und das Schicksal seiner Untertanen hingen von ihrem Körper ab, seinem simplen Funktionieren. So sah das ihr Doktor van Swieten unter seinem Männerhut der Wissenschaft. Sie wusste das längst, besaß aber die Schläue einer Frau. Nicht umsonst ließ sie jede Empfängnis als Ereignis zelebrieren. Wenn sie erste Kindsbewegungen spürte und sich sicher war, ließ sie sich feierlich in einer prunkvollen Sänfte zum Gottesdienst tragen und schwebte auf Samtkissen und Blattgold gleich einem Himmelswesen in die Kirche ein. Ein starkes Signal, das verriet: Heureka! Unsere Königin von Gottes Gnaden ist wieder gesegneten Leibes!

Als sie vor drei Jahren eine Schwangerschaft länger verheimlicht hatte – es war ihre sechste und jene mit Maria Elisabeth gewesen, sie wusste dies immer ganz genau –, taten alle verstimmt. Dabei wollte sie nur dummes Gerede vermeiden, als sie als Reiterin beim sogenannten Damenkarussell in der Wiener Hofreitschule auftrat, um einen Sieg über Preußen zu feiern, dem sie Böhmen hatte entreißen wollen. Ihr goldenes Böhmen! Sie war auf einem Hengst in die Hofreitschule geprescht, dass der Sand aufstob, wollte sich ein Mal als siegreiche Kriegsherrin fühlen, gefeiert vom Publikum. Sie hatte sogar heimlich Reitstunden genommen, um auf dem feurigen Gaul eine gute Figur zu machen. Kämpferisch wie eine Amazone.

Und gönnte man ihr dieses Amüsement? Die Wiener Gesellschaft applaudierte zum Schein, hintenherum echauffierte man sich jedoch. Eine Dame und gute Mutter führe sich nicht so auf, hieß es. Doch keine dieser Puderpomeranzen mit ihren degoutanten Schönheitspflästerchen war so mutig, wie sie es war. Während man sie in Böhmen für ihren Sieg feierte, tobte sich daheim die Blödheit an ihr aus. Am schlimmsten lärmten die Hanswurste, die Bierbäuche. Der Kaiser bringe sicher noch ein paar künftige Kaiser und Könige zusammen, sofern seine Madame von ihrem hohen Ross heruntersteige, vergnügte man sich in den Dorfschenken.

Ein weiterer Seufzer drang aus ihrer Brust. Sie gab ihr Bestes, war bienenfleißig, liebte ihre Heimat, verließ sie ungern und tat alles für sie. Drang dies durch bis zu jenen vorlauten Bierwänsten? Nein! Aber Franz Stephan flogen die Herzen zu. Allein weil er ein Mannsbild war.

Dabei hatte ihre Familie ihn, nicht er sie gerettet. Vor gut fünfzehn Jahren und nach der Besetzung Lothringens durch die Franzosen hatte ihr Vater den seiner Heimat beraubten Pechvogel gnädig am Wiener Hof aufgenommen. Der junge Exilant hatte es verstanden, sich als dessen Jagdgefährte beliebt zu machen und durch seine lustige Art hervorzutun. Auch sie, ein dürres, blasses Hascherl, hatte Franz Stephan zum Lachen gebracht. Aus ihren Albernheiten erwuchs jedoch ein Gefühl, größer als eine Kinderfreundschaft. Dabei hatte ihr Vater weit bessere Partien für sie im Sinn gehabt, schließlich war sie die Tochter des Kaisers. Aber sie wollte sich nicht ins Ausland verschachern lassen wie eine Trophäe. Und schon gar nicht nach Berlin. Ihr Herz hing an Wien und an einem charmanten Flüchtling. Nicht umsonst war ihr Vater erzürnt. Sie hätte die Ressentiments Preußens beenden können. Mit einem Ehering und einem befruchteten Herrschaftsbauch. Oh, glückliches Österreich, heirate! Oh, unglückliches Österreich, heirate den Falschen?

Nun verströmte ihr Herzensdieb seinen Nachtgeruch, den sie mochte – bis auf die saure Note des Weins. Plötzlich rundete er die Lippen, als küsse er die Luft. Der dunkle Rotweinrahmen um seinen Mund kräuselte sich und seine Hände tasteten auf der Suche nach Maria Theresias Körper über das Bettlaken. Ein komischer Anblick, fast hätte sie laut herausgeprustet, doch man durfte Franz Stephan selbst im Halbschlaf nicht unterschätzen. So kam es ihr gelegen, als aus ihrem Ankleidezimmer ein Lichtschein unter der Türschwelle aufleuchtete. Sie hatte die Kammerzofen heute früher bestellt.

Sie schlüpfte aus dem Bett und tapste auf nackten Füßen dem Streifen Honiglicht entgegen. Die Kälte des Bodens machte sie hellwach. Nach einigen Schritten hielt sie jedoch abrupt inne. Sie erschauerte unter einem Gefühl: zart und gewaltig zugleich. Es war, als flöge ein Schwarm Schmetterlinge an ihrer Bauchdecke entlang. Ihr entfuhr ein erstauntes „Oh!“. Wie in Trance zog sie ihren Morgenmantel über, streifte Pantoffel über die Füße. Nichts war vergleichbar mit dem Moment, wenn sich erstmals neues Leben bei seiner Mutter ankündigte. Diesem Zauber. Sie wollte lachen, tanzen, weinen – sie, die ewig Schwangere.

Dieser Taumel war noch in ihr, als sie das Reich ihrer Kleider betrat. Mit einem versonnenen Lächeln schloss sie die knarzende Tür. Und erschrak! Anstatt einer Zofe stolperte ihre Obersthofmeisterin, Maria Karolina von Fuchs-Mollard, ins Licht. In ihrem Blick ein Ausdruck, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Maria Theresia zog irritiert die Augenbrauen hoch. Brauen, die selbst ihre Kritiker beeindruckten. Auch ihre ausdrucksstarken Augen gefielen weit besser als ein Kuriosum in der Politik: eine Frau. Seit dieses seltsame Tier quer durch Europa stampfte, das sie später besichtigen sollte, hatte man sie auch schon als „das Monstrum an der Macht“ verhöhnt. Sie!

„Meine Königin, ich muss Euch warnen: Meidet dieses Monstrum. Solltet Ihr wieder einmal guter Hoffnung sein, dürft Ihr nur Schönes anschauen, soll ’s Kind hübsch werden. Ihr dürft Euch auch nicht erschrecken und dabei berühren, soll ’s Kind kein Muttermal bekommen. Und vor allem vor großem Schrecken muss man’s bewahren, sonst bekommt ’s Kindl das böse Wesen.“

Die Stimme der Obersthofmeisterin überschlug sich fast. Dazu verdrehte sie ihre Augäpfel, als gäbe ihr der Allmächtige eine Botschaft ein. Eine Geheimbotschaft für Ihre Majestät. Im flackernden Kerzenschein war das doch ein recht gruseliger Anblick. In ihrer unermüdlichen Wachsamkeit hatte sie mitunter etwas Furchteinflößendes. Nicht umsonst nannte man sie „die Füchsin“. Tatsächlich besaß sie ein Pelztierwesen, das überall Gefahren witterte und für Palastintrigen einen Riecher hatte.

„Mir guten Morgen zu wünschen, kam Euch nicht in den Sinn? Nur dieser Unsinn? Ihr seid zu hoch geschnürt, werte Füchsin. Spart Euren Atem, bedenkt Euer Alter“, erwiderte Maria Theresia nun betont kühl. Das saß. Sie wollte diese alarmierte Stimmlage auf Abstand halten zwischen sich und dem, was in ihr geschah. Diesem Wunder. Eigentlich schätzte sie den Rat der Füchsin und empfand tiefe Zuneigung zu ihr. Aber heute kam sie zu Unzeiten in ihre privaten Gemächer. Und dann mit so einem Benehmen?

*

Die Füchsin spürte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg. Sie neigte zu nervösen Flecken an Hals und Dekolleté. Nicht umsonst hatte sie sich mitten in der Nacht herrichten und pudern lassen. Sie musste überzeugen, musste diese törichte, vom Schlaf zerwühlte Frau beschützen. Seit deren Geburt tat sie kaum etwas anderes. Zwar hatte der 13. Mai 1717 dem Wonnemonat alle Ehre gemacht, man hatte die neugeborene Maria Theresia Walburga Amalia Christina aber noch im Licht desselben Tages getauft – auch auf ihr Zuraten hin. Die Seele der Kleinen wäre so nicht an den Teufel gefallen, hätte der Kindstod nach ihr gegriffen. Immerhin starben Neugeborene ja wie die Fliegen. Auch deshalb hatten die Kindseltern, Kaiser Karl VI. und seine Frau Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel – früher eine überzeugte Protestantin –, eine verdiente Hofdame als Kinderfrau gewählt und als persönliche Beschützerin des Mädchens: sie, die Füchsin.

Die kleine Resi, so Maria Theresias Kosename, hatte an ihrer Hand die ersten Schrittchen gewagt. Und man beschritt auch den weiteren Weg zusammen − seit nunmehr fast dreißig Jahren. Doch ausgerechnet jetzt musste sie Resi auf dem falschen Fuß erwischen. Deren Herrschaftsfuß. Zwar trug Maria Theresia Pantoffeln aus nachtblauer Seide, doch sie klapperte damit durch ihre Gemächer, als treibe ein Uhrwerk sie an. Tack, tack, tack.

Die Füchsin probierte ein Lächeln, doch es geriet ihr schief. Sie fühlte sich in Resis Gegenwart uralt und linkisch, die Junge war um ihr Auftreten zu beneiden. Ja selbst in diesem Aufzug und mit ihrem unfrisierten Haar wirkte Maria Theresias Körperhaltung majestätisch. Trüge sie eine Maske, würde man sie dennoch an ihrem Gang erkennen, während verkleidete Bauern sich mit groben Gebärden immer als Bauern verrieten, dachte die Füchsin. Doch hinter Maria Theresias kinderblauen Augen, ihrem freundlich geformten Mund, ihrem alabasternen Teint – sie besaß die Haut ihrer Mutter, die ihr Vater „meine weiße Lisl“ genannt hatte – und ihrer natürlichen Grazie verbarg sich ein eiserner Wille zur Macht. Sie wollte alles wissen, alles kontrollieren. Sie war mehr als eine Generalin des Morgengrauens, sie war eine Generalin, bis sie am Abend die Augen schloss, selbst wenn sie wie ein Engel aufzutreten verstand.

Sie durfte sich von dieser Frau nicht bezirzen lassen, von ihrem gefährlichen Charme. Kein Geringerer als Friedrich von Preußen hatte mit diesen Worten seine Gesandten in Wien gewarnt.

Nicht umsonst nannte Maria Theresia ihren Erzfeind aus Berlin ganz uncharmant „das Monstrum“. Er schimpfte sie die „Wiener Gebäranstalt“. Sie hasste ihn umso mehr, da er ihr Schlesien und Böhmen abgenommen hatte, kaum war ihr Vater verstorben. Ohne Kriegserklärung war er einmarschiert, diese preußische Viper.

Zwar hatte ihr Vater sie zur Erbtochter des Hauses Habsburg bestimmt mittels jener Pragmatischen Sanktion, über die nun alle sprachen. Er hatte seiner Erbtochter aber jede politische Erziehung vorenthalten. Dass sie zierlich tanzte, talentvoll schauspielte und eine helle Gesangsstimme besaß, zählte nicht in der Weltpolitik. Und Verträge, die ihr Vater ausgehandelt hatte, damit ein Frauenzimmer als alleinige Erbin der habsburgischen Monarchie anerkannt und in Europas Zirkel der Macht geduldet wurde, waren nach seinem Tod das Papier nicht wert gewesen.

Sie hatte in seine Fußstapfen treten müssen wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führte. Jeder Herrscher in Europa hatte die unbedarfte Idiotin fallen sehen wollen, jeder hatte ihr Land begehrt. Anfang zwanzig war sie damals gewesen und von Feinden umzingelt. Karl Albrecht von Bayern bedrängte sie mit Waffen, aber auch Philipp von Spanien, August III. von Sachsen und die ewig lauernden Franzosen – alle wollten sich ein Stück aus dem zarten Fleisch des habsburgischen Lämmchens herausschneiden. Ein Filetstück. Zu allem Elend waren auch noch ihre Staatskassen leer.

Kurze Zeit nach ihr war dann jener Friedrich von Preußen an die Macht gekommen, kaum älter als sie. Man hatte ihn ja als Heiratskandidaten gehandelt, aber sie hatte Wien für diesen Abkömmling eines kaltherzigen Soldatenkönigs nicht verlassen wollen. Genauso wenig wie ihre Jugendliebe Franz Stephan.

Was hatte der Verschmähte getan, den sein eigener Vater als „Deserteur“ hart bestraft und als Nichtnutz beschimpft hatte, als einen Schwärmer und weibischen Flötenspieler ohne politischen Verstand? Kaum hatte der Tod seinem Soldatenvater die Macht entrissen, marschierte der Flötenspieler in Schlesien ein. Maria Theresias Schlesien, ihrer Kornkammer. Selbst Böhmen versuchte er an sich zu reißen. Der Preuße entfachte einen blutigen Krieg, den Österreich auf den Schlachtfeldern meist verlor. Sie war zu jung gewesen, ihre Generäle zu alt und ihre Soldaten zu schlecht bewaffnet.

So war sie notgedungen selbst zu einer Art Generalin geworden. Wagte Reformen, studierte nächtelang Akten, wenn der Palast noch schlief. Ihr Mann sowieso. Nun, sie war klug genug, Franz Stephan zu lieben, ohne eine Einmischung in ihre Geschäfte zu dulden. Davon verstand er nichts. Und nun?

„Erspart mir diesen Aberglauben“, unterbrach Maria Theresia die Füchsin jäh. „Wir sind in Schönbrunn, nicht unter Bauern mit einem stinkenden Misthaufen als Gipfel der Erkenntnis.“

„Aber Majestät, Ihr handelt ausdrücklich gegen das Hofdekret vom 27. August 1773. Ich zitiere: ‚Mit grässlichen Schäden behaftete Bettler sind fortzuschaffen, weil daraus üble Folgen für eine Leibesfrucht Ihrer Majestät entstehen könnten …‘“

„Herrgott, ich bin der Hof“, wurde die Füchsin erneut unterbrochen. Sie wusste, dass Maria Theresia nicht leicht zu beeindrucken war und ihre Schwangerschaften bisher erstaunlich mühelos ertrug. Sie wusste auch, dass körperliche Schwächen sie ungeduldig machten, ja ärgerlich. Aber eine Füchsin hatte einen langen Atem und war listenreich. Sie würde Maria Theresia diesen riskanten Besuch schon noch vergällen.

„Aber Majestät, es stand auch in den Gazetten und im Wienerischen Diarium ganz groß, dass die Bestie mit ihrem Teufelshorn eine ungesunde Belustigung sei. Zudem ordinär.“ Die Füchsin griff in ihr Dekolleté und zog einen Fetzen Papier hervor, den sie Maria Theresia vor die Nase hielt. Diese nahm ihn mit spitzen Fingern.

„Was soll an einem Tier ordinär sein? Und Euer Beweisstück ist von Eurem Busen gewärmt“, stöhnte Maria Theresia pikiert.

Das bedruckte Papier zeigte ein seltsames Wesen, daneben posierte ein Mann in einer fremdartigen Uniform. Er wirkte winzig, das Wesen riesengroß. Ein verstörender Anblick. Aber nun war nicht der Moment, Schwäche zu zeigen. „Der Pöbel eilt, vom Bösen verführt“, zeterte die Füchsin.

Maria Theresia ließ das Blatt zu Boden fallen und erhob ihre Hand: das Signal, zu schweigen. Eine schmale, weiße Hand, aber eine herrische Geste. „Der Besitzer dieses Tieres scheint sein Handwerk zu verstehen. Und was die Wiener in Scharen anlockt, soll ich ignorieren? Meine Wiener? Versteht Ihr denn gar nichts von Politik?“ Maria Theresia verdrehte die Augen wie die Füchsin zuvor.

„Aber Ihre Majestät solltet dort nicht hingehen als Mutter“, schnaubte die Füchsin und zog einen Schmollmund.

„Ich bin eine Herrschermutter. Wisst Ihr, was das heißt?“, konterte Maria Theresia und deutete auf die Brust der Füchsin: Dort erblühten rote Flecken wie Spalierrosen.

Die Mokierte schwieg, errötend vor Scham.

„Ich trage zwei Kronen, jede fühlt sich an wie ein eiskalter Eisenhut. Kronen machen Kopfweh“, Maria Theresia griff in ihre Morgenmähne, als setzte sie sich eigenhändig eine Krone aufs Haupt.

Eigentlich trägst du drei Eisenhüte, bedenkt man die Kaiserkrone, die du deinem Mann beschafft hast, kam der Füchsin in den Sinn. Dafür hast du mit dem verhassten Preußenlümmel Frieden schließen und ihm Schlesien abtreten müssen, damit er der Wahl deines Gatten zum Kaiser zustimmte. Du wirst dir Schlesien zurückholen wollen, aber seither schätzt du die Kaiserkrone gering. Die Füchsin wusste auch, dass die Erbtochter Habsburgs die Krone ihrer Vorväter voller Stolz trug und von Gottes Gnaden, da deren Blut auch in ihr floss: den Adern einer Frau. Als gesalbte Königin von Böhmen und als Königin von Ungarn mochte sie sich nicht noch als Kaiserin krönen lassen. Wozu auch? Sie wäre nur Kaiserin als ein Anhängsel: als Ehefrau. Mit ihrer Ablehnung missachtete Maria Theresia den ausdrücklichen Wunsch ihres Mannes.

Zwar war sie mit ihm ins deutsche Frankfurt gereist – sie, die so ungern reiste –, die Krönungszeremonie hatte sie aber aus der Ferne von einem Balkon aus verfolgt, ihrem Mann kokett zuwinkend. Er, dem als Franz I. Stephan die Kaiserkrone Karls des Großen aufs Haupt gesetzt wurde, war von seiner Gattin „mein Mäusl“ gerufen worden. „Die junge Habsburgerin traut sich etwas“, hatten wohlmeinende Beobachter daraufhin gescherzt. Kritiker jedoch hatten gemurrt: „Was ist der Eigensinn eines Weibes verglichen mit der Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation? Und eine Krönungszeremonie im altehrwürdigen Dom zu Frankfurt ist kein Wiener Kaffeehaus.“

Und ausgerechnet heute forderte ihre Resi einmal mehr das Schicksal heraus. Das galt es als Obersthofmeisterin zu verhindern. Es gab klare Regeln für Frauen, es gab Traditionen. „Ihre Majestät erinnern sich, dass man Euch nicht an das Sterbebett Eures Herrn Vaters ließ, damit Euer Ungeborenes keinen Schaden nähme“, mahnte die Füchsin in der Hoffnung, sie dadurch überzeugen zu können.

„Das war falsch!“, schoss es allerdings aus Maria Theresias Mund. „Ich trug Joseph unterm Herzen und da sich dies anders anfühlte als bei den Mädchen, wollte ich ihm sagen, dass ich den ersehnten Stammhalter erwarte. Als Kaiser sollte er es wissen.“ Die schmerzliche Erinnerung schien sie erneut hin und her zu treiben. Tack, tack, tack. Die Füchsin folgte ihr auf den Fersen, die alte und die junge Frau verband eine seltsame Choreografie.

„Ihre Majestät wird in Europa bewundert als die schönste Monarchin.“ Die Füchsin änderte ihre Strategie ins Schmeichlerische.

Doch Maria Theresia wirbelte jäh herum, öffnete ihren Morgenmantel und entblößte sich kurz.

Die Obersthofmeisterin erschrak, wusste aber, dass ihre Resi hinter verschlossenen Türen durchaus zu impulsiven Reaktionen fähig war.

„Ha … bewundert man mich dafür? Für mein quellendes Fleisch? Haha! Warum bewundert man mich nicht für meinen Verstand?“, rief sie voller Lust an der Provokation.

„Aber Ihre Majestät sehen immer noch aus wie ein Mädchen. So strahlend. Nur damals war Eure Statur noch so … entsetzlich … dünn“, stammelte die Füchsin und kicherte künstlich.

„Und heute?“, Maria Theresia deutete auf ihr Dekolleté und blies die Backen auf, um ihr Gesicht voluminöser erscheinen zu lassen.

Die Füchsin senkte ihren Blick. Peinliche Stille trat ein.

„Heute bin ich die dicke Resi“, schnaubte Maria Theresia. Aber schon einen Moment später lachte sie spitzbübisch. „Aber auch in der Politik bin ich ein Schwergewicht. Schlecht für jene, die mich unterschätzen. Ha … vielleicht bin ich ja das Rhinozeros der Weltpolitik. Dieses exotische Tier soll doch ein Weibchen sein?“

Es war eine ihrer größten Stärken, dass selbst im Unmut immer wieder ihr Humor aufblitzte. Alle Stimmungen verkörperte sie kraftvoll. Als Mittel der Diplomatie konnte sie sogar aus dem Stegreif weinen. So war sie als frisch gekrönte Königin von Ungarn vor den ungarischen Landtag getreten und hatte – in Tränen aufgelöst – um Unterstützung gegen Preußen gebeten. Auf ihrem blonden Schopf hatte die Stephanskrone erdrückend gewirkt – natürlich, es war ja auch eine Männerkrone – und in ihrem Arm hatte der erst wenige Monate alte Joseph, ihr Kronprinz, gestrampelt. Eine herzzerreißende Szene für jene, die sie gesehen hatten. Es waren nur Männer anwesend gewesen. Gerührt gelobte der ungarische Adel dann: „Unser Leben und Blut für unseren König Maria Theresia!“ Dass sie als König eindeutig weiblichen Geschlechts war, sah ihre Landesverfassung nicht vor. So sah man über ihre wogende Mutterbrust hinweg und gelobte einem König Treue, der weinte wie ein Mädchen. Dabei war der alteingesessene ungarische Hochadel nicht minder eigensinnig als dieses Frauenzimmer aus Wien.

Seit diesem gewaltigen Erlebnis nutzte Maria Theresia ihr Schauspieltalent auf der politischen Bühne und orchestrierte es mit ihren Reizen: einem ansteckenden Lachen mit einem appetitlichen Gebiss, Kinderaugen mit einem Funken Schalk darin, ausdrucksstarken Händen, der vitalen Energie ihres Körpers mit einem Talent für Posen. All dies summierte sich zu jenem „gefährlichen Charme“, vor dem ihr Erzfeind aus Preußen seine Mitstreiter warnte.

„Meine Königin, meidet das Monstrum“, jammerte die Füchsin einmal mehr.

„Das Monstrum ist doch gar nicht hier“, bekam sie zur Antwort.

„Doch … es ist in Wien!“, insistierte sie.

„Herrgott, ich meine das wahre Monstrum, kein unschuldiges Tier.“

„Kein Tier?“, japste die Füchsin irritiert.

„Das wahre Monstrum ist Friedrich von Preußen und er sah das Rhinozeros in Berlin. Da soll ich es nicht wagen?“ Sie stemmte ihre Fäuste in ihre Taille. Wieder gelang ihr eine starke Pose.

„Wagt es nicht“, jammerte die Füchsin weiter.

„Ich wage, was ich wagen muss. Ich begleite den Kaiser.“

„Ihr dürft Euren Gemahl nicht begleiten“, presste die Füchsin hervor, sie gab einfach keine Ruhe.

Maria Theresia raffte ihr Nachtgewand mit beiden Händen und trat energisch auf sie zu. „Wisst ihr denn nicht, wann es genug ist? Erteilt Ihr mir Befehle? Mir?“ Ihre Stimme bebte und sie stampfte mit dem Fuß auf.

Fast hätte ihr Pantoffel einen Zeh der Füchsin getroffen, die erschrocken zurückwich. In ihr war ein Zittern, sie wusste, sie hatte den Bogen überspannt.

„Nun habe ich einen Befehl. Ihr werdet mich begleiten! Ihr – mitsamt der Entourage. Lasst die Kutschen anspannen und schickt Eilboten zu den Gazetten mit der Nachricht: ‚Der Kaiser und die Kaiserin besichtigen das Wundertier.‘ So erfährt es auch das wahre Monstrum in Berlin, denn Zeitungen schreiben voneinander ab.“ Maria Theresias Körper straffte sich und sie hob ihr Kinn als Zeichen ihrer Würde.

Die Füchsin begriff, nun war gegen ihre Resi von einst kein Ankommen mehr. Sie war eine Herrscherin mit harter Hand, wenn es darauf ankam.

„Was stiehlt Sie mir noch die Zeit? Spute Sie Sich. Toute suite!“, zischte Maria Theresia, als vertreibe sie eine Magd.

Die Füchsin wandte sich ab, ihr Gang verriet ihre Niederlage.

Sie hörte Maria Theresia noch laut in die Hände klatschen und nach den Zofen rufen, die sicherlich gelauscht hatten. „Ich möchte angekleidet werden. Sofort!“ Sie war voller Energie eines Sieges, eines kleinen Sieges zwar – aber immerhin.

II. ’s Monstrum doch schauen …!

5. November 1746 – Wien

Sie zählte Schlaglöcher, die Kutsche ruckelte durch Nummer fünfzehn. Das gab Maria Theresia das Gefühl, Kontrolle über ein Geschehen zu bewahren, das sich längst ihrer Kontrolle entzogen hatte. Jeder Schlag fuhr ihr in die Magengrube. Zu allem Elend zwickte ihr englischer Reifrock, als bissen Mäuse in ihr Hinterteil. Hatte der Preußenkönig tatsächlich verkündet, ihr stünden ihre Röcke nicht bei ihrer Statur, überhaupt sei das Englische aus der Mode? So trug man es ihr wieder einmal zu. Sie hatte gekontert, dass sie dem Geschmack eines Flötenspielers misstraue, der sich als Kriegsherr gebärde und alles Französische nachäffe wie ein Modegeck. Wohl wissend, ihre Worte gelängen bis nach Berlin. Auch sie beherrschte die Politik der Nadelstiche.

Wieso waren Frauen in Mieder eingeschnürt und im Gestänge ihrer Röcke gefangen? Obenherum rang man um Atem, untenherum fühlte es sich an, als stecke man in einem Vogelkäfig fest, verborgen unter schwerem Stoff. Herrje, hier kam das sechzehnte Schlagloch. Brachte die neue Federung der Kutschen denn gar nichts?

Ihre Entourage bestand nur aus einem guten Dutzend gedeckter Wägen, das war der Eile geschuldet. Ihr Erscheinen würde allemal ein großes Rauschen im Blätterwald erzeugen, da sie die Zeitungsschreiber hatte herbeizitieren lassen. Die Schreiberzunft schrie ihrerseits wiederum nach den Porträtisten. Maria Theresia hoffte auf Schlagzeilen wie diese: „Ihre Majestäten, der Kaiser und die Kaiserin, studieren ein einzigartiges exotisches Tier. Das Kaiserpaar fördert die moderne Wissenschaft.“

Diese Art von Berichterstattung wäre auch dem Kaiser nützlich. Gerade ihm. Er hatte bisher in der Politik Europas kaum Spuren hinterlassen, daheim lenkte sie die Geschicke als Erzherzogin von Österreich und als doppelte Königin. Dabei wünschte sie sich einen Mann an ihrer Seite, der ihr zwar die Zügel überließ, aber dennoch Schneid besaß. Einen Mann, auf den sie stolz sein konnte. Wenn Franz Stephan sich mehr auf die Liebe und aufs Jagen verstand als auf das Regieren, dann sollte er zumindest als Förderer der Wissenschaften gelten, was man andernorts für sich beanspruchte: in Frankreich, in England und auch in Berlin.

Das siebzehnte Schlagloch. Sie wusste, wieso sie das Reisen hasste, schon diese Kutschpartie war degoutant. War es klug, sich das zuzumuten? In ihrem Zustand, der sie schon vom Geruch ihres Mannes zurückschrecken ließ?

Deshalb hatte sie auch vor dem Besteigen der Kutsche noch einen Rat gesucht. Den Rat einer Frau. Und ihre engste Vertraute war immer noch die Füchsin.

„Ich sorge mich um den Geruch.“

„Majestät meinen sicher den Geruch des Monstrums“, ihre Pelztieraugen waren aufgeblitzt. Die Angst vor Gerüchen war wie das Eingeständnis einer Schwangerschaft.

Maria Theresia hatte auf der Stelle betreut, sich so leichtfertig verraten zu haben, aber für mehr Diplomatie hatte ihr vor der Abfahrt dann plötzlich die Kraft gefehlt.

„Majestät, da dieses Monstrum ein Teufel ist, wird es sicherlich bestialisch stinken: nach Schwefel, nach Tod und nach Schießpulver. Der Gestank wird ein Höllengestank sein, als zersteche der Beelzebub eitrige Geschwüre der ewig Verdammten mit glühendem Eisen. Ich warne Majestät erneut.“

„Aha, ist das ein Beweis weiblicher Logik?“, hatte Franz Stephan die Füchsin gefragt, hinter einer Kutsche hervortretend, die ihn zuvor verborgen hatte.

Diese war auf den Schlag verstummt, bis auf ihr nervöses Atmen. Eilig hatte sie sich unter vielen Verbeugungen entfernt.

„Ich hoffe, eine Kaiserin hört nicht auf solches Gerede? Seit wann ist die gute Füchsin so gewöhnlich?“

„Sie plagt mich seit dem Aufstehen damit, dass dieses Rhinozeros ein Dämon sei“, hatte sie Franz Stephan erklärt.

„Altweibergeschwätz“, hatte er gelacht und ihr galant die Hand zum Einstieg in die Kutsche gereicht. Dies hatte ihr gutgetan in diesem Moment der Schwäche.

Und nun? Seit der Kutscher die Peitsche hatte knallen lassen und man die besseren Wege von Schönbrunn verließ, geriet ihre Zuversicht ins Wanken, und das Gift, das die Füchsin ihr eingeträufelt hatte, zeigte langsam Wirkung. Die Lamentiererin wusste, dass der Glaube ihrer Königin stark war, sie auch vor politischen Entscheidungen die Kraft im Gebet suchte. Aber konnte man gegen Gestank anbeten? „Wenn der Herrgott nicht hilft, mag ein parfümiertes Taschentuch den Teufel vertreiben“, machte sie sich Mut.

Franz Stephan schlief ein. „Ich schone meine Augen“, hatte er vorgegeben, aber in ihm wirkte noch der Rotwein, dessen Ausdünstungen er ebenfalls hinter Parfüm verbarg. Zu verbergen suchte zumindest. Denn seine Geruchswolke hing dennoch in der engen Kutsche. Dieser Mann konnte immer und überall schlafen, während die Fäden der Macht Tag und Nacht bei ihr zusammenliefen und an ihrem Nervenkostüm scheuerten.

Schlagloch Nummer achtzehn: Ein bitterer Geschmack füllte plötzlich Maria Theresias Mund. Sie schluckte – starr vor Ekel. Kam ihr sprichwörtlich die Galle hoch? Die Zofen hatten ihr Korsett zu eng geschnürt. „Ich bin doch keine Madame de Pompadour“, hatte sie geschimpft und es doch ertragen für den großen Auftritt. „Wieso kann ich nicht daheim sitzen in einem luftigen Hauskleid wie andere Damen in guter Hoffnung und meinen Bauch streicheln bei einer Tasse Schokolade?“, stöhnte sie und verdeckte ihr Gesicht mit ihrem Fächer für den Fall, dass Franz Stephan erwachte, weil ihr Magen erneut rebellieren würde. So sollte er sie nicht sehen, so derangiert. Kaum hatte sie sich jedoch der Illusion hingegeben, einen Moment allein zu sein, spürte sie Feuchtigkeit auf ihren Wangen. Sie weinte. Weinte still.

Dieser fünfte Tag im November schien verhext. Kaum hatte sie ihre Schwangerschaft bemerkt, hatte ihre Obersthofmeisterin – dies ahnend – versucht, sie mit all ihrer Macht davon abzubringen, das zu tun, was sie jetzt tat. Bei Schlagloch Nummer neunzehn füllte wieder dieser üble Geschmack ihren Mund. Sie musste würgen und rang nach Luft. Geschähe ihr dieses Malheur bei der Besichtigung dieses Untiers, wäre sie blamiert. Öffentlich blamiert. „Ihre Majestät wurde unpässlich beim Anblick des exotischen Tieres“, würden die Zeitungsschmierer berichten. So eine Berichterstattung wäre ein gefundenes Fressen in Berlin. Sie wischte ihre Tränen mit dem Handrücken weg und schleuderte den Fächer neben sich auf die leere Sitzbank. „Bei der Wiener Gebäranstalt ist es bald wieder so weit“, flüsterte sie mit männlich verstellter Stimme, das Preußisch imitierend, das Friedrichs Gesandte sprachen. Das hob ihre Stimmung etwas.

Franz Stephan antwortete mit Schnarchen. Er könnte auf einem schlingernden, vom Sturm gepeitschten Schiff dessen Untergang verschlafen, dachte sie kopfschüttelnd. Doch sie war froh, keine Konversation machen zu müssen auf ihrem eigenen inneren Schlingerkurs. Sie wollte sich festhalten. Auch mit den Augen festhalten, weshalb sie an die Decke der Kutsche starrte, die mit rotem Seidenstoff und aufgestickten Sternen ausgeschlagen war. Sie beschloss, diese zu zählen – nebst den Schlaglöchern. Zählen war ihr Trick, die Angst in Schach zu halten. Simples Zählen half ihr auch, wenn sie fürchtete, verloren zu gehen. Verloren in sich.

Doch die Sterne waren klein und die Kutschfahrt dergestalt, dass das Firmament in Unordnung geriet. Da erspähte sie etwas Lebendiges. War das eine Motte nur zwei Handbreit oberhalb der Perücke ihres Mannes? Eine seiner Paradeperücken aus Paris. Ein voluminöser Puschel und ein Festmahl für Ungeziefer. Sicher fräße so eine Motte auch Löcher in die Stoffbespannung der Kutsche. Einer Triumphkutsche! Das Personal hatte das Ungeziefer nicht hinausgefegt. Sie spürte Ärger in sich aufsteigen – zusätzlich zur Übelkeit.

Als die Bäume weiter auseinanderrückten, drang mehr Helligkeit in den Wagenfond. Lichtstrahlen ließen grüngelbe Flügel aufblitzen. Das Insekt musste ein Zitronenfalter sein. Er hatte sich vor der Herbstkälte in die Kutsche geflüchtet, den Sommer in sich tragend. Das versöhnte sie mit dem Insekt und bannte ihre Aufmerksamkeit. Beim zwanzigsten Schlagloch fuhr es ihr wieder in die Glieder, aber die Übelkeit schien irgendwie gedämpft. Vielleicht war der kleine Schmetterling ein gutes Omen für ihr späteres Rendezvous mit einem Koloss. Einer Höllenbestie, wie die Füchsin sie hatte glauben machen wollen. Die haderte nun in einer anderen Kutsche mit ihrem Schicksal, denn sie würde die vermeintliche Bestie ja auch sehen müssen.

Als der Tross die besseren Straßen der Stadt erreichte, gewann Maria Theresia die Kontrolle über ihren Körper zurück. Sie funktionierte, wenn sie musste, war nun wieder ganz in ihrem Geschirr der Macht. Franz Stephan schlug die Augen auf, für sie ein weiterer Beweis, dass er das Talent besaß, Unliebsames einfach zu verschlafen.

„Mein Mäusl hat gut geschlafen?“, begrüßte sie ihn freundlich.

„Danke. Aber ich möchte dann nachher nicht ‚Mäusl‘ genannt werden, dies ist keine Anrede für einen Kaiser, ich nenne Madame ja auch nicht ‚Resi‘ vorm Volk.“

Die Zurechtgewiesene starrte auf den Zitronenfalter und schwieg. Schwieg lange.

„Madame sind blass, ist Euch nicht wohl?“, erkundigte sich Franz Stephan schließlich.

„Ich müsste nicht zu diesem Termin. Ich besuche lieber ein Singspiel im Theater anstatt einer Bestie“, fauchte sie indigniert.

„Aber Resi, nimm doch nicht alles so persönlich. Du magst Tiere doch auch“, verteidigte er sich.

„Ach, wir sind beim Du? Ich mag meine Schoßhunde und die Lipizzaner der Hofreitschule. Selbst die exotischen Vögel und Affen in Eurem Bestiarium finde ich possierlich, aber vor dem Monstrum, das uns erwartet, graust es mir. Deshalb ist mir nicht wohl!“ Die Sätze schleuderte sie Franz Stephan regelrecht ins Gesicht.

„Wieso fahren wir dann dorthin?“, wunderte der sich.

„Um über mein Befinden zu sprechen, fehlte heute morgen die Zeit. Mit Verlaub: Der Kaiser schlief lange. Aber es gibt zwei ernste Gründe für diesen Termin.“

„Gleich zwei ernste Gründe? Gibt es unernste?“, tat er amüsiert.

„Es ist mir ernst, dass Ihr aus Eurem Bestiarium etwas Großes macht“, sagte sie bestimmend, „etwas, wofür man Österreich bewundert. Schafft einen Tierpark in Schönbrunn! Dort könnte ich mit meinen Hofdamen flanieren. Vielleicht sogar das Volk? Aber niemand soll sich fürchten. Ich sag’ es gleich: Diese Bestie kauf’ ich dem Kaiser nicht!“

„Bestie? Aus der Kaiserin spricht wohl die Füchsin. Aber mir gefällt die Idee, mein Bestiarium größer zu gestalten“, er ergriff die Hand seiner Frau, führte sie an seinen Mund.

Der Kuss war nicht nur angedeutet, sie spürte seine Lippen warm und weich. „Charmeur, so ging mein Herz verloren“, hauchte sie, doch gleich wurde ihr Ton wieder sachlich. „Der zweite Grund, wieso ich Euch begleite, interessiert Euch nicht?“

„Gibt es einen besseren Grund als die Liebe?“, säuselte er.

„Freut Euch nicht zu früh, ein anderer Mann macht mich schlaflos“, warnte sie und zog die rechte Augenbraue hoch. Eine Geste, die sie schon mehrfach vor dem Spiegel geprobt hatte.

„Ein Nebenbuhler?“, platzte es aus ihm heraus, schlagartig ließ er ihre Hand sinken.

Dass man ihr zugetragen hatte, ihr Mann habe eine neue Favoritin, verschwieg sie. Das würde sie ihm eiskalt servieren, wenn sie ihm ihre neue Schwangerschaft mitteilte. Er sollte sich doppelt schuldig fühlen. Sie war in allem Politikerin, auch wenn ihr Franz Stephan mitunter das Herz zerriss.

„Wer ist der Schuft, ich will es wissen“, echauffierte er sich.

„Du kennst ihn, Mäusl“, gurrte sie, ihre Grausamkeit genießend.

„Weib, verhöhne keinen Kaiser. Ich kenne diesen Schuft auch noch?“

Sie sah die Irritation in seinem Blick, er wirkte keinesfalls kaiserlich. So würde sie sich ihn vorstellen, wenn Eifersucht sie wieder plagte: als einen verwirrten Mann. War es falsch, dass sie ihn mit jeder Faser liebte? Ach, die Liebe war eine Falle … Doch auch er liebte sie – auf seine Weise. „Es gibt Liebe und es gibt Diskretion“, hatte er einmal gemeint. Nun rührte sie seine entflammte Eifersucht. „Mäusl, es ist Friedrich von Preußen“, beschwichtigte sie ihn und griff nach seiner Hand, die er ihr entzog. Ruppig.

„Das ist Irrsinn! Der Preuße ist dein Erzfeind“, schnaubte er.

„Genau deshalb besichtige ich diese Bestie, denn er sah sie in Berlin. Zweimal sah er sie.“

„Moment! Ihr besichtigt ein Biest, vom dem Euch graust, da Euer Feind dies tat?“, er schlug sich konsterniert an die Stirn. Seine Perücke staubte, staubte edel, ein Kaiser puderte sich mit Alabaster. „Verstehe einer die Frauen“, nun klatschte eine Handfläche auf seine seidenen Kniehosen.

„Ich möchte wissen, was meinen Feind begeistert. Ich kann ihn besser schlagen, wenn ich ihn verstehe“, sagte sie unbeeindruckt von Franz Stephans Getue.

„Einen Gegner schlagen? Dies geschieht auf dem Schlachtfeld, Madame. Aber Frauenzimmer sind keine Soldaten“, raunte er.

„Ich kämpfe mit meinen Waffen und Ihr könnt es mich gerne wissen lassen, solltet Ihr je auf einem Schlachtfeld siegreich sein – außer am Spieltisch“, antwortete sie zuckersüß.

Franz Stephan erstarrte, dann zupfte er schweigend an seiner Perücke herum.

Unterdessen klopfte sie den Perückenstaub von seinen Schultern, eine weitere Demütigung, die er still ertrug. „Ich mache mit diesem Nashorn Politik, sofern ich den Besuch überlebe“, sagte sie voller Entschlossenheit.

In seinem Disput bemerkte das Kaiserpaar erst spät, dass man das Ziel erreicht hatte: die Freyung. Inmitten des Platzes ragte ein weißes Zelt auf, wie ein Berg aus Schnee. Dort erwartete sie also das Grauen.

Maria Theresia stopfte je ein parfümiertes Taschentüchlein in ihre Handschuhe aus feinstem Rehleder. An ihren Handgelenken wären sie griffbereit. Das musste genügen. Sie ordnete ihren Reifrock, atmete so tief durch, wie es ihr Korsett zuließ, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. „Mutter Maria, bewahre mich vor Übelkeit und schenke mir Stärke angesichts des Bösen.“ Franz Stephan staubte sich noch einmal ab. Stirnrunzelnd.

Den Ausstieg aus der Kutsche begleiteten „Ahs“ und „Ohs“, vermischt mit Applaus. Das Kaiserpaar umströmte ein wogendes Meer aus Menschenleibern, das eine bereitgestellte Garde zurückdrängte.

Sie flüsterte: „Kamen die alle wegen uns oder wegen der Bestie?“

„Nichts begeistert mehr als die Lust, sich zu gruseln. Sollte das Viehzeug ausbrechen, wird es doppelt lustig“, antwortete Stephan.

Sie spürte, wie ihre Nasenspitze erbleichte. Dabei wollte er sie sicherlich aufheitern.

Kaum erspähte sie die Zeitungsschreiber, fing sie sich. Einige machten Notizen. Das Kaiserpaar anzusprechen, war ihnen verboten, wohl aber war ihnen erlaubt, es auf Abstand zu begleiten. Die Kohlenstifte der Porträtisten flogen über die Skizzenblöcke.

Maria Theresia wandte sich den Menschen zu und schenkte ihnen ein Lächeln. Ein entzückendes Lächeln, dem man die Anspannung nicht ansah. Die aufgeputzte Erscheinung mit ihrer goldbestickten Robe, dem Perlencollier, den großen Perlen, die schwer an ihren Ohrläppchen baumelten, schien plötzlich ein anderes Wesen zu sein: ein Landkind. Es gelang ihr stets von einer Sekunde auf die andere zu sein, was sie sein wollte: herrschaftlich und machtbewusst, um sich urplötzlich volksnah zu geben, leutselig sogar. Der Kaiser beobachtete ihr lebendiges Mienenspiel, sie schien ihn immer noch zu verblüffen.

Die Entourage war den nachfolgenden Kutschen entstiegen und flankierte das Kaiserpaar gemäß dem Zeremoniell. Die Füchsin tat dies mit einem Ausdruck, als führe man sie zu ihrer eigenen Enthauptung. Die anderen Höflinge überspielten gekonnt, wie deplatziert sie sich fühlten. Wieso zwang man sie zu einem so fragwürdigen Trubel um ein Tier? Einer Jahrmarktsposse. Und war das Monstrum tatsächlich so gefährlich, dass es der Kaiserin schaden konnte? Die dramatische Einschätzung der Obersthofmeisterin hatte sich in Windeseile herumgesprochen, wie sich alles bei Hofe herumsprach.

Nur Doktor van Swieten zeigte offen Begeisterung. Ganz gegen seine sonstige Zurückhaltung wedelte er mit seinem schwarzen Dreispitz in der Luft herum, als sei er Ehrengast bei einer Festtagsparade.

„Verstehe einer die Holländer“, wunderte sich Maria Theresia.

„Vielleicht passt sein Hut nicht auf seine Perücke?“, flüsterte Franz Stephan zurück, Maria Theresia verblüffend. Dessen Perücke war ungleich voluminöser. Würde er seinen Hut aufsetzen, wäre dies, als pfropfte man einen Kochtopf auf einen Busch. Nun, er war der Kaiser. Aber es amüsierte sie, dass diese Haarungetüme es ihren Trägern fast unmöglich machten, ihre Hüte dort zu tragen, wo sie hingehörten: auf den Kopf.

Sie näherten sich dem Zelt. Es wurde von acht Kürassieren mit gezogenen Säbeln bewacht, ähnlich gekleidet, wie man es in Wien von den Türkenkriegen kannte, auch ihre mit langen Federn geschmückten Pelzmützen sahen danach aus. Der Anblick dieser kriegerischen Gestalten war zum Fürchten. Maria Theresia wurde ungern daran erinnert, dass ihr Vater noch gegen die Osmanen hatte kämpfen müssen, steuerte aber äußerlich ungerührt auf die Schwertkämpfer zu.

„Das ist aber viel Theaterdonner“, sagte sie laut und nachdrücklich. Sie war jetzt in ihrem Geschirr als Kaiserin und wollte, dass man sie überall hörte.

Die Kürassiere blickten stur geradeaus, der Hofstaat nickte hingegen zustimmend, als zöge ein Puppenspieler an einem Faden, der alle Köpfe miteinander verband.

„Vielleicht ist die Bestie ja auch nur verkleidet? Eine verkleidete Kuh?“, fragte sie in gespielter Ironie.

Die Höflinge lachten wie aus einem Mund und animierten das Publikum. Wieder einmal schien Franz Stephan sie zu beneiden. Die Zeitungsschreiber witterten offensichtlich eine Sternstunde ihrer Berichterstattung und nickten sich gegenseitig zu. Nah am Herzschlag der Stadt wussten sie, dass diese unerschrockene, den Menschen zugewandte Frau dabei war, ihren Mann an Beliebtheit zu überflügeln. Zumindest in Wien. Wien war Maria Theresia.

Ein Mann trat mit einer Verbeugung auf sie zu. Er war auffallend groß, schlank und blond. Ein echtes Blond! Seine schulterlangen Haare wurden im Nacken mit einem schlichten, schwarzen Band zusammengehalten. Es gefiel ihr, dass er keine Perücke trug, kein Haarungetüm nach der neusten Mode. Man trug sie in Blond, mit dem Blütenstaub von Schwertlinien gefärbt, oder mit geriebener Muskatnuss in Braun, was ihr zusetzte, da die bittere Nuss bei ihr Niesanfälle auslöste. Dann gab es noch schwarze Perücken mit einer Mischung aus Eichenwurzelrinde, Walnussschalen, Myrtenöl und Rotwein gefärbt. Ja, Rotwein! Angeblich hatte der Geruch des Lieblingsgetränkes ihres Mannes schon den Sonnenkönig in Versailles zu Lebzeiten bei seinen Amouren stimuliert. Nun dirigierte dieser aus dem Jenseits gespensterhaft seinen Nachahmer, wie Maria Theresia gerne ihren Mann neckte, der Perücken in allen Farben besaß, am liebsten aber die Rotweindunklen spazieren führte wie der alte Hahnenstolz aus Versailles. In Franz Stephans Adern floss eben doch französisches Blut.

Dieser Unbekannte in Blond wirkte nun erfrischend anders, auch seine Verbeugung war nicht die eines Höflings. Sie war ohne Unterwürfigkeit. Er trug den langen Mantel eines Kapitäns, aus schwerem, marineblauem Tuch gefertigt mit breitem Stehkragen, der bei einer steifen Brise die Wärme am Körper halten sollte. Sommersprossen um eine gerade gewachsene Nase verrieten Maria Theresia, dass seine Haut nicht gepudert war. Die langen Wimpern des Fremden trugen die Farbe von Dünen, seine Augen waren so stahlblau, wie sie sich eine Brandung vorstellte. Das entschlossen wirkende Kinn zierte eine Narbe – gut verheilt, nicht entstellend. Sie unterstrich den Eindruck eines wehrhaften Mannes. Einer, vertraut mit den Gefahren der Welt.

„Ihre kaiserlichen Majestäten begrüße ich auf das Herzlichste in meinem Reich. Mein Name ist Douwe Mout, ich kam von Kalkutta mit meinem Schiff Knappenhof über das Meer.“ Sein Akzent war singend.

„Der Seefahrer meint, Er wäre in Seinem Reich? In meinem Wien? Er ist dreist oder verwirrt“, antwortete sie kühl.

Erstaunen zeigte sich auf den Gesichtern der Schaulustigen, denn diese so auffällig weibliche Erscheinung sprach in einer Art, die keinen Widerspruch zu dulden schien.

„Ihre Hoheit mögen mir verzeihen, ich bin Holländer.“

„Entschuldigt dies Seine Verwirrung?“, hakte sie nach.