3,99 €
Cameron Kincaid kann kaum glauben, dass sie drei Jahre nach der Trennung ans Krankenbett ihres Ex-Verlobten gebeten wird. Zu schmerzvoll sind die Erinnerungen, zu tief die Wunden, die Blake ihrem Herzen zugefügt hat. Trotzdem keimt ein Funke Hoffnung in ihr auf und sie begreift, dass manchmal nicht alles so ist, wie es scheint. In ihrer Verzweiflung klammert Cameron sich an die Weisheiten ihrer Großmutter und wagt einen Neuanfang. Doch obwohl Blake Cameron um keinen Preis erneut verletzen will, holt ihn seine Vergangenheit ein und ihre Liebe wird erneut auf eine harte Probe gestellt. Um Cameron nicht für immer zu verlieren, muss Blake sich endlich seinen Dämonen stellen. Dieser Roman ist in sich abgeschlossen und gehört nicht zu einer Serie.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2021
Die Stille der Sterne
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Zum Schluss…
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: Marie Weißdorn
Covergestaltung: Britt Toth
Copyright © Karin Lindberg 2018
Erstausgabe Juli 2018
Herz: Pixabay
www.karinlindberg.info
K. Baldvinsson
Am Petersberg 6a
21407 Deutsch Evern
Keine Neuigkeiten mehr verpassen? Zum Newsletter und weiteren Informationen geht es hier: www.karinlindberg.info
Ihr findet mich auch auf Facebook
Instagram @karinlindbergschreibt
Alle Rechte vorbehalten.
Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Erstellt mit Vellum
Dieses Buch ist für alle, die nie aufgehört haben zu träumen.
Blake Livingston stand im Wohnzimmer seines Hauses und drückte die Hand gegen die Scheibe. Er blickte schweigend in die Dämmerung. Die immer schneller ziehenden schwarzen Wolken am Himmel verhießen nichts Gutes. Der Wind wehte böig über den Strand, es würde vermutlich nicht mehr lange dauern, bis das Unwetter die Hamptons erreichte. Er fühlte sich nicht einsam, außer wenn er glücklich war, aber das kam nur noch selten vor. Nein, korrigierte er sich, eigentlich nie mehr. Es hatte eine Zeit gegeben, da war es anders gewesen, aber das war lange her. Es war besser so, er hatte es nicht verdient, einfach zu vergessen und mit seinem Leben weiterzumachen, als hätte er keine Schuld auf sich geladen.
Schnellen Schrittes verließ er das Haus, schlug die Eingangstür ins Schloss und ging über den von den Gärtnern kurz gemähten Rasen bis zum Strand. Der Makler hatte das »Zu verkaufen«-Schild bereits aufgestellt, in naher Zukunft würde er endlich ein für alle Mal mit diesem Kapitel seines Lebens abschließen. Er wollte nicht an die schönen Momente denken, die er hier verbracht hatte, aber sie tauchten unweigerlich vor seinem inneren Auge auf. Gedankenverloren starrte er noch ein letztes Mal in die Ferne. Die Kälte, die sein Herz umschloss, ließ ihn frösteln. Er war kein Opfer, gewiss nicht, auch wenn er sich manchmal so fühlte, als wäre er nur eine Marionette an langen Fäden. Handle, erledige deine Aufgaben und fühle später, hatte man ihm beigebracht, und das tat er auch heute noch. Jeden Tag. Übrig geblieben war eine seltsame Leere, die erwartungslos und zynisch zugleich war.
Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass er schon wieder an Vergangenes dachte, als lägen diese Tage wie ein Kartenspiel ausgebreitet vor ihm, um noch einmal betrachtet zu werden. Manchmal fragte er sich, ob es ihm besser gehen würde, wenn er sie nie kennengelernt hätte. Der Abend vor vier Jahren war wie dieser gewesen. Das Wetter war genauso ungemütlich wie heute. Doch es gab einen wesentlichen Unterschied. Damals war er voller Zuversicht gewesen, heute war nichts mehr davon übrig. Eine Windbö peitschte ihm ins Gesicht. Es würde sicher gleich anfangen zu regnen, er musste los, wenn er nicht im Sturm landen wollte. Blake drehte sich um und eilte zu seinem Wagen. Der Makler würde den Rest erledigen, für ihn gab es hier nichts mehr zu tun.
Die Straße war nicht beleuchtet. Regen prasselte auf seine Scheibe, als hätte jemand die Schleusen zum Himmel geöffnet. Die Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe, dennoch sah Blake die Umrisse des Fahrweges nur noch verschwommen. Er fuhr viel zu schnell, er hatte es eilig, er wollte so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden, der so viele schöne, aber so viel mehr schmerzliche Erinnerungen barg.
Eine Bewegung am Straßenrand lenkte ihn eine Sekunde ab. Dieser kurze Augenblick genügte, um die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Der Jaguar raste in den Abgrund. Das Gefühl, das sich bis in seine Eingeweide ausbreitete, war kaltes Entsetzen. Und dann dachte er, dass er noch nicht bereit war zu gehen. Noch nicht.
Cameron Kincaid zog den Reißverschluss der dünnen Sommerjacke bis zum Hals hinauf, ehe sie sich auf ihr rotes Fahrrad schwang. Sie war spät dran, deswegen konnte sie nicht den etwas längeren Weg wie sonst fahren, sondern nahm die Abkürzung durch das Wohngebiet. Die Sonne war längst aufgegangen, die frische Morgenluft kühl und feucht. Sie liebte diese Zeit des Tages, auch wenn sie noch müde war, aber das würde auf dem Weg zur Arbeit verfliegen. Als sie in die nächste Straße einbog, unterdrückte sie wie immer den Impuls, den Blick nach rechts zu wenden. Aber ihre Aufmerksamkeit wurde auf etwas Weißes gelenkt, das da sonst nicht stand. Sie drehte ihren Kopf und spürte einen Stich im Magen, als sie ein »Zu Verkaufen«-Schild entdeckte.
Wurde ja auch Zeit, dachte sie und trat schneller in die Pedale. Seit drei Jahren mied sie die Straße wie der Teufel das Weihwasser. Auch wenn sie es nicht wollte, fragte sie sich doch unweigerlich, was Blake mittlerweile machte und wie es ihm ging. Wieso wollte er das Haus jetzt verkaufen? Vielleicht mochte seine Neue die Hamptons ja nicht.
Stopp, rief sie sich innerlich zur Räson und schüttelte den Kopf, als ob das die Erinnerungen vertreiben würde. Egal, was war, was sein würde, seine Belange gingen sie nichts mehr an, und das war gut so. Verbitterung hatte den Platz in ihrem Herzen eingenommen, der einst für die Liebe zu ihm reserviert gewesen war. Sie war über ihn hinweg, das hatte sie bis eben jedenfalls gedacht. Sie würde sich nicht von so einem blöden Verkaufsschild irritieren lassen. Auf gar keinen Fall.
Es war ein ruhiger Dienstagvormittag in Crabshell Inn. Die Deckenventilatoren rotierten langsam, die grünen Lampen über den Tischen waren gedimmt. Ein ganz normaler, sonniger Maimorgen in den East Hamptons. Cameron übernahm gerne die Frühschicht, weil das bedeutete, dass sie bereits am Nachmittag Feierabend hatte. Dabei war sie eigentlich eine Nachteule, aber seit der Erkrankung ihrer Großmutter hatte sich einiges verändert. Nicht erst mit ihrer Krankheit, aber momentan war das der Hauptgrund für ihre frühen Schichten im Diner. Die Zeit mit Blake hatte sie ganz tief in einer Schublade ihres Bewusstseins vergraben, und die öffnete sie nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen an alles, was ihn betraf. Ihn und … nein. Nicht jetzt. Aber so sehr sie es auch leugnen mochte, das Verkaufsschild heute Morgen hatte alte Wunden aufgerissen.
Cameron wischte mit einem Lappen über den Tresen, als ihre Aufmerksamkeit auf eine Bewegung vor dem Fenster des Cafés gelenkt wurde. Ethan Foredom schob den Einkaufswagen, in dem er all seine Habseligkeiten verstaute, müde vor sich hin. Sie seufzte, nahm einen Pappbecher und goss Kaffee aus einer Glaskanne ein, dann stellte sie sie zurück auf die Heizplatte.
»Hey, Ethan. Möchtest du einen Kaffee?«, rief sie über die Straße.
Er hob den Kopf. Seine braunen Augen wirkten leer und ausdruckslos. Die Wangen waren durch die ständige Mangelernährung eingefallen, was nicht einmal der ungepflegte Vollbart verbergen konnte. Er tat ihr immer schrecklich leid, wenn sie ihn sah.
Er wich ihrem Blick aus und schüttelte den Kopf. Er war kaum dreißig, wirkte aber viel älter, verbraucht und vom Leben gezeichnet. Das ist das, was die Straße mit einem macht, dachte sie und lief zu ihm, obwohl er sich wie immer gesträubt hatte, etwas von ihr anzunehmen. Sie verstand, dass Ethan kein Bettler war und trotz allem seinen Stolz nicht verloren hatte, aber niemand sonst gab ihm etwas, und ein spendierter Kaffee war das Mindeste, was man für ihn tun konnte. Er war auf die falsche Bahn geraten und schließlich auf der Straße gelandet, weil niemand mehr ein Körnchen auf sein Wort gab. Ethan war einer von vielen Obdachlosen, viele sagten, er sei selbst schuld. Aber so einfach war es nicht. Cameron konnte nicht wegsehen und so tun, als gäbe es ihn nicht. Niemand kümmerte sich um Leute wie Ethan, Cameron war aber nicht wie die anderen.
»Hier, bitte«, sagte sie deshalb und hielt ihm das dampfende Getränk vor die Nase.
»Danke, Cammy«, brummte er, sah zur Seite, nahm aber den Becher zögerlich entgegen. »Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Ich will nichts von dir.« Seine Fingernägel waren schwarz, seine Hand zitterte leicht. Vermutlich hätte er lieber Brandy gehabt als Kaffee. Mit der anderen kramte er in der Hosentasche nach Geld.
»Lass stecken, der geht aufs Haus.« Sie lächelte ihn aufmunternd an, obwohl sie seine schroffe Art irritierte. Das, was aus ihm geworden war, berührte sie zutiefst, deshalb ließ sie sich nichts anmerken. Sie erinnerte sich noch gut an ihn als Teenager, in diesem Ort kannte jeder jeden irgendwie. Er war immer schon ein wenig seltsam gewesen, aber jetzt war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Drogen, Alkohol, die falschen Freunde … Jetzt hatte er niemanden und nichts mehr. Keine Perspektive, kein Zuhause, keine Zukunft. Aber wieso wollte er nicht einmal einen Kaffee von ihr annehmen?
»Verschwende deine Zeit nicht mit mir«, brummte er noch und schob seinen Wagen mit hängenden Schultern weiter.
Sie seufzte leise, dann ging sie zurück ins Café. Sie würde ihm gerne helfen, wieder auf die Beine zu kommen, aber das hatten schon andere vor ihr versucht. Er wollte sich nicht helfen lassen, auch das musste man akzeptieren. Vielleicht hatte Ethan nicht auf der Straße landen wollen, aber mittlerweile hatte er sich seinem Schicksal ergeben. Er hatte aufgegeben.
»Warum machst du das immer wieder?«, fragte ihre Kollegin Liz. Sie hatte ihren Kopf aus der Küche gestreckt.
»Er ist ein guter Kerl.«
»Vor allem ist er ein Alkoholiker, es ist hoffnungslos«, kommentierte Liz.
»Ich zahl den Kaffee, mach dir deswegen mal keine Sorgen. Er hat sonst niemanden.«
»Darum geht es mir doch gar nicht.«
»Worum dann? Alle denken immer nur an sich, wo führt das hin in unserer Gesellschaft?«
»Und du denkst immer nur an andere, Süße. Wann hast du dir das letzte Mal was gegönnt? Und ein Kaffee wird den Penner auch nicht retten.«
Cameron presste die Lippen aufeinander. Liz verstand mal wieder gar nichts. So war es nicht, sie hatte ihm den Kaffee nicht gebracht, weil sie ihn retten wollte. Und ja, sie kümmerte sich um andere, vor allem um ihre kranke Großmutter. Auch wenn das bedeutete, dass sie für den Moment etwas zurückstecken musste. Mhairi Kincaid war alles, was sie noch hatte. Wenn man den Ärzten Glauben schenken mochte, waren diese Tage ohnehin gezählt. Der Kloß in ihrem Hals wurde riesengroß, wie immer, wenn sie daran dachte, dass der Lungenkrebs ihrer Grandma jeden Tag ein bisschen mehr Kraft raubte. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass die Behandlungen endlich erfolgreich sein würden, dass sie den Krebs besiegen konnte. Aber außer einem Berg von Rechnungen hatten sie nach Chemo und Bestrahlung wenig Resultate gesehen. Im Gegenteil, sie wurde immer schwächer, dünner und blasser. Natürlich wollte Grandma nichts darüber hören, Cameron war klar, dass ihre Oma eine gute Schauspielerin war, wenn sie sie jeden Tag aufs Neue anlächelte und ihr sagte, es ginge ihr gut. Ihr einziger Traum sei es, noch einmal nach Schottland in ihre alte Heimat zu reisen, das Dorf zu sehen, in dem sie aufgewachsen war. Dort hatte sie gelebt, bis sie nach Amerika gekommen war, um ihre Tochter zu unterstützen und ihr mit der Erziehung von Cameron unter die Arme zu greifen, nachdem das Leben der Familie zuvor auf so tragische Weise ins Wanken geraten war.
Cameron schüttelte den Kopf, Grandma würde es schaffen. Sie musste es schaffen. Sie würde dafür sorgen, dass sie nach Ayr zurückkehren konnte, noch ein letztes Mal. Wie sie das bewerkstelligen sollte, war eine andere Frage, die sie später beantworten musste. Die Zinsen der Hypothek und die Arztrechnungen hatten jeden Cent aufgefressen, sie wusste kaum, wie sie die nächste Zahlung aufbringen sollte. Aber irgendetwas würde ihr schon einfallen, das war immer so. Von Geldsorgen würde sie sich nicht davon abhalten lassen, Grandmas Traum Realität werden zu lassen. Sie straffte sich und versuchte sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, nahm den Lappen in die Hand und wischte noch einmal, deutlich energischer, über den Tresen. Aus dem Radio dudelte Countrymusik, das beruhigte sie immer ein bisschen, auch wenn sie sonst nicht so auf Songs aus Nashville stand.
»Sag mal, Liz, was gibt’s eigentlich von dir Neues?«, rief sie nach hinten.
Liz streckte ihren Kopf wieder hervor. »Ach, nicht wirklich viel. Leider.«
»Was macht der Babyplan?«
Liz prustete. »Genau so ist es. Wir machen Liebe nach Plan. Aber hey …« Sie zuckte mit den Schultern. »So ist es nun mal. Heute Morgen habe ich Ed buchstäblich zurückgepfiffen, nachdem ich meine Temperatur gemessen hatte.«
»Oh Gott.« Cameron verdrehte peinlich berührt die Augen.
»So erhöhen sich einfach die Chancen, Süße. Um den Eisprung herum ist frau fruchtbar, wenn wir den verpassen, nützt der ganze Sex nichts. Da wäre ich doch blöd, wenn ich das nicht monitoren würde.«
»Das klingt nicht so romantisch.«
»Romantik haben wir in Sachen Kinderplanung lange hinter uns gelassen. Wenn man Ewigkeiten wartet und die Pest jeden Monat überpünktlich eintrudelt – das frustriert. Glaub mir.«
»Es wird schon klappen, der Arzt sagte doch, dass ihr beide gesund seid.«
»Eben drum bin ich so frustriert, wenn man was gefunden hätte, dann könnte man nachhelfen. Hormone oder so was.«
»Ich weiß, es nützt dir nichts, wenn ich das sage, aber du brauchst Geduld, meine Liebe.«
»Pah, Geduld«, stöhnte sie genervt. »Ich will ein Baby! Aber ich glaube, diesen Monat haben wir es gut getroffen.«
»Und jetzt heißt es warten?«
»Genau. Mal wieder vierzehn bis sechzehn Tage zittern, in jedes Ziepen die ersten Schwangerschaftszeichen interpretieren und am Ende enttäuscht heulen, weil die Mens eintrifft.«
»Wenn du so rangehst, klappt es sicher nicht.«
Liz zog eine Schnute. »Ich weiß. Aber es ist so verdammt schwer, weil wir es schon so lange versuchen. Ich will mir einfach nicht zu viele Hoffnungen machen. Und dann mache ich sie mir ja doch wieder. So, genug gejammert. Ich mach hier mal weiter, sonst werde ich nie fertig.«
»Ja, mach das«, sagte sie, aber Liz war schon wieder in der Küche verschwunden. Cameron hob den Kopf, als sie bemerkte, dass eine dunkle Limousine vor dem Fenster hielt. Sie runzelte die Stirn. Üblicherweise holten sich die Reichen und Schönen ihren Coffee-to-Go an angesagteren Plätzen als dem Crabshell Inn. Als sie realisierte, wer aus dem Fond des Wagens ausstieg, erstarrte sie.
Zwei schlanke Beine in Seidenstrümpfen schwangen sich auf den Gehsteig. Die dunklen Lackpumps glänzten in der Sonne. Cameron schluckte und überlegte, ob sie genug Zeit hatte zu verschwinden. Aber es war zu spät, die Tür ging auf und ein kleines Glöckchen bimmelte hell. Ihre Ex-Beinahe-Schwiegermutter blickte sich im Diner um, ihre Augen blitzten zufrieden auf, als sie Camerons Blick begegnete. Grace Livingston musste sich definitiv in der Adresse geirrt haben, aber das glaubte Cameron selbst nicht. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit.
»Guten Morgen.« Hell tönte Grace’ Sopran durch den Diner. Die Klangfärbung täuschte viele, denn diese Frau war eiskalt. Cameron konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum sie hier war. Aber es sah nicht nach einem Zufall aus. Nichts in Grace’ Leben wurde dem Zufall überlassen. Sie hatte bis heute nicht verstanden, warum diese Frau sie von der ersten Sekunde an gehasst hatte. Dass Grace sie nie als Blakes Partnerin akzeptiert hatte, weil sie nur eine einfache Bedienung und ihr Sohn ein aufstrebender Geschäftsmann gewesen war, konnte sie nachvollziehen. Aber das erklärte nicht die offen zur Schau gestellte Abneigung gegen sie, die viel tiefgehender zu sein schien, als dass es nur an ihrer Herkunft oder Berufswahl hatte liegen können. Nun war es einerlei, denn sie beide verband nichts. Nicht mehr, dachte sie voller Bitterkeit und stiller Wut. Wie immer, wenn sie an Blake dachte, legte sie sich eine Hand auf ihren Bauch. Nichts war ihr geblieben, gar nichts.
»Was verschafft mir die Ehre?«, fragte Cameron. Sie beschloss, sich zusammenzureißen, nahm die Schultern zurück und hob den Kopf.
Grace Livingston antwortete nicht sofort. Sie wirkte ungewöhnlich angespannt, die Züge geschärft, was sie älter erscheinen ließ. Sie war groß und anmutig und trug mit Vorliebe teure Businesskostüme, die ihr ausgezeichnet standen. Die klaren, stolzen Konturen ihres Profils und der zum Longbob frisierten dunkelbraunen Haare waren von gebieterischer Schönheit. Cameron hatte keine Angst vor ihr, sie blickte ihr geradewegs ins Gesicht und erschrak. Grace’ Gesicht war nicht mehr schön. Es mochte an ihren Augen liegen, sie waren von undefinierbarer heller Farbe, weder grau noch braun, leblos und nichtssagend. Schon immer hatte sie sich gefragt, weshalb in den Zügen dieser Frau keine Fröhlichkeit lag, obwohl sie doch häufig amüsiert wirkte. Aber die Freude war nie echt gewesen. Gerade jetzt lachte sie, aber ihre Miene verzog sich nicht, was zum Teil wahrscheinlich an den regelmäßigen Botox-Behandlungen lag. Ihre Lippen waren voll und blutrot geschminkt, vermutlich hatte sie mehr Silikon im Mund als Cameron in ihrer Dusche.
»Blake hatte einen Autounfall«, fing sie an, und Cameron spürte, dass alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.
Sie konnte nur hier sein, um ihr zu sagen, dass er tot war. Aber warum machte sie sich die Mühe? Sie hatte seit drei Jahren kein Wort mehr mit ihm gewechselt.
»Geht es ihm … gut?«, stammelte Cameron. Die verschiedensten Emotionen kämpften um die Oberhand, die stärkste war Fassungslosigkeit. Blake konnte nicht tot sein.
Grace hob eine Augenbraue. »Sagen wir es so: Körperlich ist er soweit unversehrt. Ein paar Kratzer, es ist eigentlich nichts.«
Camerons Herzschlag setzte wieder ein, es schlug im doppelten Tempo weiter. Sie hätte nicht gedacht, dass sie Informationen über ihn noch so mitnehmen würden. Sie hatte gehofft, sie wäre längst über ihn hinweg.
Sie hatte sich getäuscht. Wieder einmal. Obwohl ihr das nach der Erkenntnis des Morgens beinahe hätte klar sein müssen.
Aber das ging Grace Livingston nichts an. Cameron riss sich zusammen. »Was wollen Sie von mir?«
»Ich mache es kurz. Er verlangt nach Ihnen, und … in Anbetracht seines Zustandes möchte ich ihm diesen Wunsch erfüllen.« Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung, als wäre es für sie nicht von Bedeutung, wie Camerons Entscheidung ausfiel, ob ihre Einwände richtig oder falsch waren. Möglicherweise, und das war das Wahrscheinlichste, war es Grace Livingston einfach egal, was Cameron wollte, denn die berechnende Person ihr gegenüber bekam immer, wonach sie verlangte. Cameron war sich nicht sicher, ob sie da wirklich eine Ausnahme darstellte.
»Ich wollte Ihnen die Frage stellen, ob Sie die Möglichkeit hätten, sich für eine Weile um Blake zu kümmern. Ich bin mir sicher, dass wir uns über die Bezahlung einigen können. Er liegt ja noch im Krankenhaus, es wäre nur für ein paar Stunden am Tag, bis es ihm geistig wieder … besser geht.«
Camerons Atem stockte. Hatte sie richtig gehört?
Sie lachte humorlos auf, als die volle Bedeutung dieser Bitte in ihr Bewusstsein durchsickerte. Es war ein schmerzerfüllter Laut, der so viel mehr ausdrückte, als sie je hätte in Worte fassen können. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber … leider muss ich ablehnen. Warum übernimmt nicht seine neue Partnerin die Krankenschwesterrolle?«
Sie verstand nicht, warum Grace Livingston zu ihr kam, insgeheim brannte sie darauf zu hören, warum nicht Blakes aktuelle Freundin infrage kam, aber eins war sicher: Sie würde sich nicht von dieser Frau dafür bezahlen lassen, an Blakes Seite zurückzukehren, und sei es auch nur für ein paar Stunden am Tag.
Grace starrte sie irritiert an. »Soviel ich weiß, hatte Blake nach der Zeit mit Ihnen keine neue Beziehung.«
Cameron japste nach Luft, wie war das möglich? Nein, das konnte nicht sein. Warum hätte er sie diesbezüglich anlügen sollen? Cameron versuchte, ihr Erstaunen nicht offen zur Schau zu stellen. »Warum engagieren Sie nicht einfach eine Pflegerin? Herrscht im Krankenhaus etwa Personalmangel? Ich bin jedenfalls nicht die richtige Person für diesen Job.«
Falls Grace überrascht war, ließ sie sich nichts anmerken. Einen kurzen Augenblick schaute sie sie jedoch schweigend und reglos an, als könnte sie nicht glauben, was sie eben gehört hatte. Ehe sie weitersprach, blickte sie auf ihre Hände, als müsse sie sich sammeln, bevor sie die folgenden Neuigkeiten mit Cameron teilen konnte oder wollte.
»Er ist verletzt. Er kann sich an nichts, was in den letzten Jahren passiert ist, erinnern. Die Ärzte raten mir dringend, dass man ihn in sein vertrautes Umfeld …« Sie blickte Cameron mit unverhohlener Missachtung an. »Und das waren zu der Zeit nun einmal leider Sie. Nun ja, sie wollen, dass man sein vertrautes Umfeld für die Dauer seiner Amnesie wiederherstellt. Dabei kann es sich zum Glück nur um ein paar Tage handeln.«
Cameron schnaufte leise. Sie hatte genug gehört und ihr war ebenfalls nicht danach zumute, noch mehr Details über das persönliche Schicksal ihres Exfreundes, Exverlobten, korrigierte sie sich, zu erfahren.
»Tut mir leid«, sagte sie deswegen knapp und erwiderte Grace Livingstons Starren so lange, bis die dunkelhaarige Frau den Blick senkte. Ein Hauch von Verachtung umspielte ihren Mund, als sie einen Moment später wieder aufblickte.
»Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Menschen – zumindest die Klugen unter ihnen. Sie gehören offenbar nicht dazu. Bedauernswert.« Eine kaum merkliche Schicht aus Hohn lag wie Klarlack über dem weichen Klang ihrer Stimme. Und das in diesem Moment, in dem sie sie um ihre Hilfe bat. Diese Person war schlicht und ergreifend unerträglich arrogant.
Wut stieg in Cameron auf wie überkochende Milch. Wenn diese Frau nicht bald verschwand, würde sie sich vergessen. Einzig und allein die Gewissheit, dass sie dem Ruf des Crabshell Inn schaden würde, wenn sie Grace Livingston die Augen auskratzte, hielt sie davon zurück.
»Wir sprechen uns noch«, sagte Blakes Mutter gefährlich leise, ehe sie sich umdrehte und ging. Davonschwebte wäre die passendere Umschreibung. Ungläubig starrte Cameron ihr hinterher.
Nachdem Grace Livingston den Diner verlassen hatte, blickte Cameron auf ihre von der Arbeit rissigen Hände. Der Abgang gab ihr eine trostlose Genugtuung darüber, wie ruhig sie geblieben war. Diese Frau hatte sie vom ersten Tag an verachtet, jetzt war es an ihr, einen absoluten Schlussstrich unter ihr Verhältnis zu ziehen. Dabei hatte sie gedacht, der sei schon vor Jahren gezogen worden.
Wie man sich täuschen konnte. Sie blinzelte ein paarmal und fragte sich, ob sie das alles nur geträumt hatte.
»Was war das denn?«, hörte sie eine Stimme hinter sich.
»Oh Liz, du hast es mitbekommen?« Cameron spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.
»Klar, das konnte man ja nicht verpassen.« Ihre Kollegin kam aus der Küche und hielt sie an den Schultern fest. »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist ganz blass.«
Cameron nagte an ihrer Unterlippe. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang seltsam fern in ihren eigenen Ohren. »Ich … kann mir nicht vorstellen, warum er mich sehen will.«
»Amnesie«, half Liz ihr auf die Sprünge und schüttelte selbst ungläubig den Kopf. Ihre Kollegin kannte die Hintergründe, sie hatte sie seinerzeit aufgemuntert, aufgebaut und unterstützt, als Cameron nach der Trennung kaum mehr als ein Schatten ihrer selbst gewesen war. Sie fühlte sich schlagartig in diese Zeit zurückversetzt, sie fühlte den Schmerz, als wäre es gestern gewesen.
Nein, sie konnte unmöglich an seinem Krankenbett sitzen und so tun, als sei sie noch immer Blakes Partnerin. Zu viel war passiert, als dass sie Grace’ Vorschlag auch nur in Erwägung ziehen konnte.
Cameron hielt sich eine Hand an die Schläfen, die Vielzahl an Erinnerungen, Sehnsüchten und traurigen Wahrheiten in ihrem Kopf erschwerten ihr das Denken. »Es klingt so unwirklich«, murmelte sie. »Das kann doch alles gar nicht sein. Wie ist das möglich?«
»Willst du ihn denn sehen?« Liz’ Stimme war sanft und einfühlsam.
»Nein«, gab Cameron hastig zurück.
Ja, schrie ihr Herz.
Verräter.
Blake Livingston versuchte die Augen zu öffnen, aber es gelang ihm nicht. Der beißende Geruch von Desinfektionsmittel umgab ihn wie undurchdringlicher Nebel.
»Cammy?« Blakes Stimme war heiser, kaum mehr als ein Flüstern.
Keine Antwort.
»Cammy, wo bist du?« Er blinzelte. Die Decke über ihm war weiß, sie bestand aus Kunststoffplatten mit eingelassenen Strahlern, die ausgeschaltet waren. Sanftes Sonnenlicht schien durch das Fenster in den Raum. Es kostete viel Kraft, die Augen offenzuhalten. Kraft, die er nicht hatte. Flatternd fielen seine Lider wieder zu.
Er war in einem Krankenhaus, das stand fest. Aber was war passiert? Er konnte sich nicht erinnern. Er wusste nur, dass er Cameron an seiner Seite brauchte. Wieso war sie nicht bei ihm?
Die Flut der Erschöpfung begann wieder in ihm aufzusteigen. Der Druck hinter seiner Stirn und Brust wurde übermächtig, er war so müde, so unfassbar müde. Es war, als könnte er die immer dichter werdenden Wellen beinahe sehen. Sie waren nicht in seinem Inneren, sondern außerhalb seines Körpers und breiteten sich im Raum aus. Einen Augenblick lang schien es ihm, er wäre allein, verloren in einer grauen Wüste, auf Hilfe angewiesen und wissend, dass niemand kommen würde.
Fühlte es sich so an zu sterben? Alles, was er bisher darüber gehört hatte, war, dass da ein helles Licht sein würde, dass alle Schmerzen vergessen wären. Aber das hier, das fühlte sich an, als wäre er in der Hölle. Brennend heiß, qualvoll – und einsam. Er brauchte Cameron. Warum sagte ihm keiner, wo sie war?
Und dann verlor er das Bewusstsein erneut.
Im Nebel seines Martyriums drangen immer wieder Gesprächsfetzen an sein Ohr.
»Er fragt ständig nach ihr, wie kann das sein? Erinnert er sich denn nicht? Ist das eine Folge des Unfalls?« Die Stimme seiner Mutter klang alarmiert.
Woran sollte er sich erinnern? War ihr etwas zugestoßen? War sie verletzt? Er wollte etwas sagen, aber er konnte sich nicht rühren. Bleierne Müdigkeit lähmte ihn. Warum zur Hölle war es so anstrengend, auch nur die Augen zu öffnen?
»Ihr Sohn hatte großes Glück, aber er hat ein ernstzunehmendes Schädel-Hirn-Trauma. Die Schwellung des Gehirns lässt langsam nach, aber … mehr können wir noch nicht sagen«, sagte jemand, dessen Stimme er nicht kannte. Womöglich ein Arzt? Er wusste es nicht, nahm aber an, dass das die einzig logische Erklärung war. Schließlich war er in einem Krankenhaus, aber warum? Was war passiert?
Dann glitt Blake wieder in die sanfte Ruhe der Bewusstlosigkeit.
Er wusste oft nicht, wann Tag oder Nacht war, für ihn war alles gleich. Er war blind im Gewirr von Licht und Stimmen. Da war das Parfum seiner Mom, sie war immer da. Aber wo zur Hölle war Cameron? Er vermisste sie so sehr, er brauchte sie.
Flatternd hob er die Lider. Es war so anstrengend, es tat so weh. Verschwommen ließ er den Blick durch das Krankenzimmer gleiten. Gedämpftes Licht, halb geschlossene Vorhänge. Apparate, die er vorher nicht wahrgenommen hatte, piepten und blinkten. Seine Mutter war an seiner Seite, wie immer, wenn er für einen Augenblick das Bewusstsein wiedererlangte.
Er spürte einen Anflug kalter Angst. Cameron musste tot sein, sonst wäre sie bei ihm.
»Mom«, krächzte er.
»Ja, Blake-Schatz, ich bin hier.« Sie nahm seine Hand und drückte sie aufmunternd.
»Wo ist Cameron?« Er öffnete die Augen und das Entsetzen im Blick seiner Mutter jagte einen kalten Schauer durch seinen Körper. »Was ist mit ihr? Ich brauche sie. Sag mir endlich, was los ist, ich will es wissen!«
Die Geräte fingen an zu piepen. Sein Herz raste. Er versuchte sich loszumachen, wenn ihm niemand etwas sagte, würde er sie selbst suchen gehen!
»Bleib liegen, Blake. Bitte.«
»Nein, ich muss zu ihr. Wo ist sie? Was zur Hölle ist passiert? Warum sagt mir keiner was?«
Er wusste selbst nicht, woher er die Kraft nahm, aber es war, als wäre eine Schicht der Lähmung von ihm abgefallen. Er zerrte an den Schläuchen an seinem Hals, damit konnte er nicht gehen.
»Hilfe! Wir brauchen Hilfe!«, schrie seine Mutter und versuchte ihn festzuhalten.
Blake hörte Schritte, barsche Kommandos, dann spürte er, wie eine kühle Flüssigkeit durch einen Zugang in die Halsschlagader floss, und es wurde wieder dunkel um ihn.
Cameron radelte wie jeden Tag nach ihrer Schicht nach Hause. Sie hatten zwar immer noch den Pick-up, aber sie ließ sich nach wie vor gerne den lauen Wind um die Nase wehen. Er gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein, auch wenn sie innerlich von einer beklemmenden Leere beherrscht war. Drei Tage waren vergangen, seit Grace Livingston bei ihr gewesen war. Danach hatte sie nichts mehr von ihr gehört. Seltsam. Aber sie wollte jetzt nicht an sie denken. Und auch nicht an Blake.
In welchem Krankenhaus er wohl lag?
»Hey Grandma, ich bin wieder da«, rief sie schon von Weitem und versuchte zu lächeln.
Ihre Oma saß in der Hollywoodschaukel auf der Veranda und las Zeitung, wie jeden Nachmittag. Mhairi Kincaid sprach auch nach mehr als zwanzig Jahren in den Staaten noch mit starkem schottischen Akzent. Sie hatte damals ihre Heimat verlassen und war nach Amerika gekommen, als Camerons Eltern sich getrennt hatten. Mhairi Kincaid war zur Stelle gewesen, als in ihrem Elternhaus nichts mehr gewesen war wie zuvor. Sie hatte sich rührend um ihre Enkelin gekümmert, war immer für sie dagewesen und hatte sie quasi aufgezogen, nachdem ihre Mutter den Lebenswillen verloren hatte und schließlich an Krebs gestorben war.
Ihre Großmutter war damit so viel mehr als nur das, sie hatte sie geliebt und geführt; durch sie war Cameron der Mensch geworden, der sie heute war. Sie fühlte sich aber nicht nur deswegen so innig mit ihr verbunden, sondern auch, weil sie ihr immer Zuversicht gegeben hatte, wo sie selbst keine mehr gesehen hatte. Nach allem, was ihre Familie durchgemacht hatte. Ihre Kindheit war alles andere als einfach gewesen. Alle waren nach dem Schicksalsschlag wie erstarrt gewesen, ihre Mutter hatte jeglichen Lebenswillen verloren. Aber Mhairi Kincaid bejahte das Leben auch nach dem Verlust eines geliebten Menschen, sie trotzte allen Widrigkeiten, was Cameron immer bewundert hatte. Und sie wünschte sich, sie wäre ein Stück weit mehr wie sie.
»Hallo, Sweetheart.« Das faltige Gesicht ihrer Großmutter hellte sich auf. Sie hatte die gleichen Sommersprossen wie sie, früher waren ihre Haare genauso kupferfarben gewesen wie Camerons. Jetzt waren sie weiß und dünn wie Federn. Nach der Chemo wäre das normal, hatte man gesagt. Cameron erinnerte es immer wieder an ihre Krankheit, es tat weh. »Wie war dein Tag?«, fragte Grandma.
Cameron stieg ab und schob das Fahrrad die letzten Meter zum Haus. Sie zuckte die Schultern. »Gut, und deiner? Wie geht’s dir?«
»Komm, setz dich zu mir.« Sie faltete die Blätter zusammen und klopfte auf den Platz neben sich.