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Wie gesagt, wir waren nun richtiggehende Kurgäste in Kranz … Kurgäste, die durchaus nicht zur Erholung hier weilten, sondern im Gegenteil etwas sehr Anstrengendes und unter Umständen sehr Gefährliches beabsichtigten: dem Taubenzüchter von Totenmoor hinter seine Schliche zu kommen!!
Denn so nannte man hier in Kranz den Mr. Ernest Goudsmith unter der einheimischen Bevölkerung, wie uns unsere Wirtin mitgeteilt hatte, als Harst auf das Moor zu sprechen kam.
Im übrigen waren die Kranzer dem Amerikaner gegenüber jedoch durchaus arglos — durchaus! — Warum sollte ein Mann nicht Tauben züchten, und warum sollte er nicht dort im Moor hausen, wo er den Grund und Boden so billig hatte pachten können …! —
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Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band 175
Die Taubenzüchter
1926
© 2023 Librorium Editions
ISBN : 9782385740788
Die Taubenzüchter
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
Die Kreuzottern.
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
Dort, wo die Waldpromenade des Ostseebades Kranz nach Osten zu, von alten Birken eingefaßt, neben der Fahrstraße nach Kranzbeck zum Kurischen Haff hinläuft, zieht sich rechts von dieser Straße und Promenade ein weites mooriges Gelände hin, in dessen undurchdringlichen Dickungen noch der Elch haust und zuweilen bei seinen Wanderungen auch bis an die Straße vordringt, harmlose Spaziergänger erschreckt und doch in stolzer Ruhe niemals irgendwie von ihnen Notiz nimmt.
Ein Teil dieses Moores, durch das nur wenige Wege und Pfade laufen, die stellenweise unter Wasser stehen, heißt im Volksmunde das Totenmoor.
Einer alten Sage nach sollen hier einmal die Ordensritter eine kleine Feste erbaut haben, die dann eines Nachts von den heidnischen Preußen gestürmt worden sei. Die Besatzung aber, so berichtet die Sage weiter, wurde von den Siegern in einem großen Moorloche versenkt. —
Von diesem Totenmoor handelte auch der Brief, den Harald Harst an einem heißen Julitage von dem Besitzer des dem Moor benachbarten Gutes Ludau erhielt.
Nachdem Harald den Brief langsam gelesen, Umschlag, Briefmarke und Poststempel nach seiner Gewohnheit gründlich geprüft hatte, reichte er ihn mir über den Tisch hin und meinte:
»Wenn die Angaben stimmen, scheint es sich in der Tat um eine recht merkwürdige Angelegenheit zu handeln …«
Wir saßen auf der Veranda des Harstschen Familienhauses, hatten soeben gefrühstückt und dabei unsere Tauben gefüttert, die so zahm waren, daß sie vom nahen Stalle stets sofort durch die offenen Fenster in die Veranda geflogen kamen, sehr zum Ärger der Köchin Mathilde, die stets etwas von »Schmutzerei« murmelte, weil die Tierchen eben nicht stubenrein waren und auf den Dielen der Veranda ihren rückwärtigen Nöten freien Lauf ließen.
Ich las folgendes:
»Ludau bei Kranz,Samland, Ostpr.,den 3. Juni 19...
Sehr geehrter Herr Harst!
Sie gestatten, daß ich mich mit einer Angelegenheit an Sie wende, die mich seit Wochen schon beschäftigt, jedoch gestern erst sozusagen spruchreif wurde.
Ich habe am 1. Mai dieses Jahres das zu meinem Gute gehörige Totenmoor (folgte nähere Beschreibung) an einen Amerikaner verpachtet, der, geborener Deutscher ursprünglich, sich jetzt wieder in seinem einstigen Vaterlande und in seiner Heimatprovinz ansässig machen wollte. Er hat seinen Namen Gutschmidt amerikanisiert und nennt sich jetzt Goudsmith, ist etwa fünfzig Jahre alt und ein stiller, ernster Mann, der mir eigentlich recht sympathisch war — — war! — Er pachtete also das Totenmoor auf zwei Jahre, ließ sich von einer Königsberger Firma dort auf der höchsten und sichersten Stelle des Moores ein Blockhaus errichten, das fertig und auseinandernehmbar geliefert wurde und nebenbei einem ebensolchen Stall.
In acht Tagen waren die Gebäude fix und fertig.
Inzwischen war auch Goudsmiths Diener, ein riesiger Mulatte, mit dem Gepäck seines Herrn eingetroffen, eine ganze Wagenladung von Koffern und Kisten, und in weiteren drei Tagen lieferte ein Königsberger Geschäft die Möbel, so daß Goudsmith mir bereits am 12. Mai sein neues Heim zeigen konnte. Das heißt: er zeigte mir nur das Blockhaus, den Stall nicht. Er meinte, an dem Stallgebäude sei ja doch nichts zu sehen. Ich merkte aber genau, er wollte mir den Stall nicht zeigen. Und hiermit begann mein Mißtrauen gegen die beiden Leute, die dort im Totenmoor von den Mücken buchstäblich aufgefressen werden müssen.
Dieser geringe Anlaß, eben Goudsmiths Bestreben, mich von dem Stalle fernzuhalten, genügte mir, bei diesem ersten Besuche auch weiter die Augen gründlich zu gebrauchen.
Noch etwas fiel mir dann auf: der Mulatte, der sich James Kaspar nennt, behandelte seinen Herrn durchaus als Gleichgestellten und trat auch mir gegenüber in einer Weise auf, als ob er nicht Diener, sondern Mitpächter sei. Im übrigen machte dieser James den Eindruck eines gebildeten Mannes.
Als ich von diesem Besuch mit meinem Jagdwagen heimfuhr, wandte sich plötzlich mein alter Kutscher um und meinte:
»Herr Baron, in dem Stalle sind Tauben, mindestens fünfzig Stück … Ich habe durch das eine Fenster hineingeschaut, denn der von innen angebrachte Vorhang war durch eine der Tauben beiseite geschoben worden.«
Mein Kutscher wußte mir dann noch zu berichten, daß die Tauben in der einen Hälfte des Stalles frei umherflogen, und daß im Dache zwei wenig auffällige Türchen vorhanden seien.
In den nächsten Tagen vergaß ich all dies. Wir hatten mit der Frühjahrsbestellung genug zu tun.
Dann — so Ende Mai — meldete mir mein Förster, daß er auf einem nächtlichen Pirschgang beobachtet habe, wie ein Schwarm Tauben von mindestens dreißig Stück von dem Stalle Goudsmith aufgeflogen und in der hellen Mondnacht dann nach Westen davongezogen sei.
In der ersten Juniwoche wieder hörte ich von dem Vorsteher des Bahnhofs Ludau (die Bahnlinie Königsberg—Kranz führt dicht an meinem Gut vorüber), daß Mr. Goudsmith jede Woche eine große Kiste aus Holland erhalte — — mit Tauben! Als Eilfracht! Immer aus demselben holländischen Grenzdorfe Vallenpiep.
Und am 15. Juni konnte mir mein Förster abermals mitteilen, daß ein großer Taubenschwarm nachts von dem Blockhause gen Westen davongeflogen sei.
Ich war nun bereits überzeugt, daß die beiden Einsiedler vom Totenmoor nicht ganz reinliche Dinge trieben, beauftragte den Förster, die Blockhäuser ein paar Nächte hindurch zu beobachten und gab gleichzeitig der Kriminalpolizei in Königsberg einen Wink, doch einmal über Goudsmith und James Kaspar genauere Erkundigungen einzuziehen.
Die Polizei arbeitete schnell. Gestern erhielt ich von dem mir persönlich bekannten Leiter der Kriminalabteilung folgendes Schriftstück, das ich hier wörtlich wiedergebe:
»Gegen die beiden von Ihnen beargwöhnten Herren liegt nicht das geringste vor. Ernest Goudsmith besaß bis vor fünf Monaten in New Orleans, Vereinigte Staaten, ein Juweliergeschäft, das er veräußerte, weil er nach Deutschland zurückkehren wollte.
Mit ihm eng befreundet war der Farbige James Kaspar, Mulatte, Doktor der Chemie an der Negerakademie in New Orleans. Kaspar beschäftigte sich schon dort in Amerika viel mit der Erforschung des Vogelfluges, mit den Wanderungen der Zugvögel und der wissenschaftlichen Prüfung des Orientierungssinnes der Brieftauben. Er gab vor vier Monaten seine Stellung an der Akademie auf und erklärte, er wolle in Deutschland seine Forschungen über Vogelflug usw. fortsetzen.
Die von Ihnen festgestellten Einzelheiten über das Treiben der beiden Amerikaner im Totenmoor dürften durchaus harmlos sein. Doktor James Kaspar wird, wie viele Gelehrte dies tun, seine Forschungen geheim halten wollen.
Nach alledem … liegt für uns kein Grund vor, die beiden irgendwie zu belästigen.«
Dieses Schreiben, Herr Harst, konnte jedoch meinen Argwohn nur verstärken …
Ich entschloß mich, Ihnen den Fall vorzutragen, und betone, daß es doch höchst merkwürdig ist, daß nach wie vor jede Woche eine Kiste Tauben für Goudsmith eintrifft und daß Doktor James Kaspar auch fernerhin hier die Rolle eines Dieners spielt.
Außerdem noch etwas. Goudsmith ist Witwer. Vor zwei Wochen erschien nun im Totenmoor sein einziges Kind, seine Tochter Bessy, die bis dahin in einem Schweizer Pensionat gelebt hatte.
Er machte mir mit dem jungen Mädchen einen offiziellen Besuch, stellte sie mir vor und bat, ob Bessy uns nicht zuweilen auch zwanglos besuchen dürfe, da sie sich dort in der Einsamkeit doch zu sehr langweilen würde.
Uns gefiel Miß Bessy ausgezeichnet. Sie kommt fast jeden zweiten Tag zu uns herüber, macht aber seit ein paar Tagen einen merkwürdig gedrückten Eindruck.
Seit drei Tagen ist sie ausgeblieben. Mein Ältester, der mir bei der Bewirtschaftung von Ludau hilft, war nun gestern nach dem Blockhaus gewandert und hörte dort, daß das junge Mädchen zu Bekannten nach Berlin gereist sei.
Erkundigungen bei den Bahnbeamten unserer Station Ludau ergaben jedoch, daß Miß Bessy von niemandem auf dem Bahnhof bemerkt worden war. Auffallend ist ja auch, daß sie uns von dieser Reise nichts gesagt hat, obwohl sie mit meiner Frau auf recht vertrautem Fuße stand, ebenso mit Erwin, meinem Ältesten.
Sollten nun Ihnen, Herr Harst, diese meine Beobachtungen den Eindruck machen, daß mein Verdacht vielleicht begründet ist, so bitte ich Sie, hierher zu kommen. Über die Honorarfrage werden wir einig werden. Geben Sie mir bitte Nachricht, ob ich Sie erwarten darf. Am besten einen Brief in einem Umschlag mit irgendeinem Firmenaufdruck und ohne Ihre volle Namensunterschrift, da man nie wissen kann, ob ein Schreiben nicht in falsche Hände gerät. Ich habe diesen Brief selbst meinem Sohne verschwiegen, denn ich kenne Ihre Arbeitsmethode, möglichst niemanden einzuweihen.
Ihr sehr ergebener
Udo Freiherr von Balitzki.«