Die Tochter des Wilderers - Toni Waidacher - E-Book

Die Tochter des Wilderers E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Ungeduldig schaute Xaver Anreuther den breiten Waldweg hinunter, dann warf er wieder einen Blick auf die Uhr. Beinahe Mittag. Wo er nur blieb? Der Förster schüttelte den Kopf. Er wird sich doch wohl net verfahren haben, dachte er. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Schließlich hatte er eine genaue Wegbeschreibung durch den Ainringer Wald an die Adresse in Passau geschickt. Brutus, der neben ihm lag, hob plötzlich den Kopf und stellte seine Ohren auf. Im selben Moment hörte Xaver Motorengeräusch, das langsam näher kam. Der alte Förster stand auf und ging zur Einfahrt. Er hatte gerade das Tor geöffnet, als ein dunkelgrüner Geländewagen den Weg heraufgefahren kam. Xaver bedeutete dem Fahrer durch Handzeichen, wo er den Wagen abstellen sollte. Dann folgte er ihm und wartete, bis das Fahrzeug stand und die Tür geöffnet wurde. »Grüß' Gott, Herr Kollege«, nickte der junge Mann in der grünen Uniform. »Ein herrliches Wetter haben S' hier.« »Herzlich willkommen, Herr Ruland«, sagte Xaver und schüttelte die dargebotene Hand. »Sagen S' Christian, wenn S' mögen«, bot der neue Förster vom Ainringer Wald an.

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Der Bergpfarrer – 431 –

Die Tochter des Wilderers

Toni Waidacher

Ungeduldig schaute Xaver Anreuther den breiten Waldweg hinunter, dann warf er wieder einen Blick auf die Uhr. Beinahe Mittag. Wo er nur blieb?

Der Förster schüttelte den Kopf. Er wird sich doch wohl net verfahren haben, dachte er. Aber das konnte eigentlich nicht sein. Schließlich hatte er eine genaue Wegbeschreibung durch den Ainringer Wald an die Adresse in Passau geschickt.

Brutus, der neben ihm lag, hob plötzlich den Kopf und stellte seine Ohren auf. Im selben Moment hörte Xaver Motorengeräusch, das langsam näher kam. Der alte Förster stand auf und ging zur Einfahrt. Er hatte gerade das Tor geöffnet, als ein dunkelgrüner Geländewagen den Weg heraufgefahren kam. Xaver bedeutete dem Fahrer durch Handzeichen, wo er den Wagen abstellen sollte. Dann folgte er ihm und wartete, bis das Fahrzeug stand und die Tür geöffnet wurde.

»Grüß’ Gott, Herr Kollege«, nickte der junge Mann in der grünen Uniform. »Ein herrliches Wetter haben S’ hier.«

»Herzlich willkommen, Herr Ruland«, sagte Xaver und schüttelte die dargebotene Hand.

»Sagen S’ Christian, wenn S’ mögen«, bot der neue Förster vom Ainringer Wald an.

»Gern«, nickte Xaver. »Natürlich nennen S’ mich dann aber auch beim Vornamen. Kommen S’ aber erstmal herein. Ich hab’ ein kleines Mittagessen vorbereitet. Dabei können wir uns über alles unterhalten. Und wenn S’ dann noch Lust haben, machen wir einen Gang durch’s Revier.«

»Ich freu’ mich schon drauf«, entgegnete Christian Ruland.

Er stieß einen leisen Pfiff aus, und aus der offenen Autotür kam ein dunkelbrauner Hund gesprungen. Er stürzte gleich auf den immer noch am Boden liegenden Brutus und begrüßte ihn mit lautem Gebell.

»Schäm’ dich, Nero«, tadelte Christian. »Willst den alten Herrn net artig begrüßen? Noch ist das hier sein Revier.«

Als habe er die Worte seines Herrn ganz genau verstanden, warf Nero sich Brutus zu Füßen und winselte.

Schmunzelnd beobachteten die beiden Männer, wie die Hunde sich beschnüffelten.

»Kommen S’, Christian. Die beiden werden sich schon vertragen.«

Der neue Förster staunte nicht schlecht, als er das »kleine« Mittagessen sah. Einen wahren Festtagsbraten hatte Xaver Anreuther vorbereitet, mit Knödeln und Kraut.

»Sagen S’, haben Sie eine Haushälterin?« erkundigte sich Christian. »Das schmeckt ja großartig!«

Der alte Förster schüttelte den Kopf.

»Das hab’ ich mir in all den Jahren selbst beigebracht«, erklärte er. »Wenn man öfter mal für viele Leute kochen muß, dann bekommt man mit der Zeit Übung darin.«

»Oje«, meinte Christian, »da werden die Lehrgangsteilnehmer keine Freude an meiner Kochkunst haben.«

Im Forsthaus wurden des öfteren Lehrgänge für angehende Forstbeamte abgehalten, die dann auch hier wohnten und verköstigt wurden.

»Da holen S’ sich wohl besser Hilfe aus dem Dorf«, lachte Xaver. »Sonst laufen Ihnen die Prüflinge nach einer Woche davon.«

»Wie ist es denn, dieses Sankt Johann?« wollte Christian wissen. »Ich bin schon ganz gespannt.«

»Na, oft werden S’ net hinkommen«, prophezeite Xaver. »Hier im Forst ist mehr zu tun, als man glauben möchte. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen – von allen Dörfern, die ich kenne, gefällt Sankt Johann mir am besten. Es ist einfach schön dort, doch oft werden S’ net hinkönnen, im Revier haben S’ alle Hände voll zu tun.«

»Wie sieht’s denn mit Wilddieben und solchem Gesindel aus?«

Der alte Förster wiegte den Kopf.

»Es hält sich in Grenzen«, antwortete er. »Einer, er war der Schlimmste, sitzt noch. Den hab’ ich für lange Zeit hinter Gitter gebracht. Ansonsten kommt’s schon einmal vor, daß jemand Fallen stellt, oder noch schlimmer, Schlingen legt. Da müssen S’ ein Auge drauf haben. Vor ein paar Wochen haben wir erst zwei solcher Lumpelkerle, Vater und Sohn, geschnappt. Aber, wie gesagt, es hält sich in Grenzen.«

»Sie sagten ›wir‹ – wer war denn noch dabei?«

»Sie werden’s net glauben – der Geistliche von Sankt Johann, Pfarrer Trenker und sein Bruder Max. Er ist der Dorfpolizist.«

»Wirklich? Ein Pfarrer?«

Christian mochte es gar nicht glauben.

»Net ein Pfarrer«, schüttelte Xaver Anreuther den Kopf. »Pfarrer Trenker ist schon ’was Besonderes. Sie werden ihn ja kennenlernen. Wenn S’ einmal net weiter wissen, einen Rat oder Hilfe brauchen, dann wenden S’ sich an ihn. Hochwürden hat für jeden und alles ein offenes Ohr.«

*

Nach dem Essen machten sich die beiden Forstbeamten auf, das Revier zu besichtigen. Brutus und Nero liefen vorneweg. Sie hatten sich offenbar schon angefreundet. Allerdings blieben sie immer in Sichtweite ihrer Herren und kamen sofort zurück, wenn sie das Kommando dazu hörten. Es waren eben ausgebildete Jagdhunde.

Förster Anreuther führte seinen Nachfolger zu den markantesten Punkten des Ainringer Waldes, zeigte ihm, worauf er besonderes Augenmerk haben mußte, und verriet ihm sogar die besten Pilzstellen.

»Dort drüben«, deutete er auf eine Kiefernschonung, »dort ist die Stelle, an der die Schlingen ausgelegt waren.«

»Das ist schon eine niederträchtige Gemeinheit«, sagte Christian.

Xaver wußte, was der junge Kollege meinte. Schonungen wie diese wurden von den Tieren bevorzugt, um dort ihre Jungen abzulegen. Geriet nun zum Beispiel eine Rehmutter in eine Schlinge, verendete sie nicht nur jämmerlich, auch ihr Junges kam unweigerlich ums Leben, weil sich niemand mehr darum kümmerte.

Von allen Arten zu wildern, war dies wirklich die brutalste und gemeinste!

»Da lob’ ich mir einen rechten Wildschütz«, meinte Xaver Anreuther. »Irgendwann hab’ ich noch jeden zur Strecke gebracht. Und wenn sie mir auch oft bittere Rache geschworen haben – ihre Drohungen haben’s nie wahr gemacht.«

Auf dem Rückweg zum Forsthaus liefen die Hunde brav neben den beiden Männern her. Christian spürte, wie sein Herz vor Freude hüpfte. Mit dem heutigen Tag war sein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Der Dreißigjährige würde von nun an sein eigenes Revier haben. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die zu erfüllen er gewillt war. Daß er das Zeug dazu hatte, davon war nicht nur der Leiter seiner vorgesetzten Dienststelle überzeugt. Auch Förster Lehwanger, sein Ausbilder und väterlicher Freund in Passau, hatte ihn für diesen Posten empfohlen. Obgleich er ihn nicht gerne gehen ließ, wie er immer wieder betont hatte. Am liebsten hätte er Christian als seinen Nachfolger gesehen.

Doch der junge Förster hatte sich anders entschieden. Zum einen gab seine Liebe zu den Bergen den Ausschlag dafür – Christian hatte seit Jahren jeden Urlaub in den Alpen verbracht – zum anderen war da eine unschöne Geschichte, in der ein Madel eine bestimmte Rolle spielte, die ihm die Entscheidung aus Passau fortzugehen, leicht gemacht hatte.

Sehr oft hatte er sich gefragt, warum die Menschen es manchmal erst nach Jahren merkten, daß sie nicht zusammenpaßten – ihm war es jedenfalls erst nach langer, langer Zeit bewußt geworden, daß Maike die falsche Frau war. Aber da hatte sie sich schon längst von ihm abgewendet.

Während Christian noch darüber nachdachte, krachte plötzlich ein Schuß. Mit einem pfeifenden Geräusch surrte das Geschoß an den beiden Männern vorbei und traf den herabhängenden Ast einer alten Kiefer.

Während die Hunde stocksteif stehenblieben, sahen sich die Männer fassungslos an. Christian war der erste, der sich von seinem Schrecken erholte. Er packte Xaver am Arm und zog ihn mit sich in Deckung. Brutus und Nero folgten ihnen sofort.

»Wer hat denn da geschossen?« fragte Xaver Anreuther verblüfft, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte.

Christian legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und lauschte. Er hatte sein Gewehr von der Schulter genommen und entsichert. Der alte Förster folgte seinem Beispiel. Irgendwo in der Ferne war das Brechen von Zweigen zu hören. Offenbar lief jemand in großer Eile durch den Wald.

Der unbekannte Schütze?

*

Motorengeräusch durchbrach die Stille des Waldes. Der junge Förster ließ das Gewehr sinken.

»Wer immer da geschossen hat – jetzt fährt er davon«, sagte Christian Ruland.

Er sicherte die Waffe und hängte sie sich wieder um. Sie gingen zu der Stelle, an der sie gestanden hatten, als der Schuß fiel.

»Wenn ich den erwische«, erboste sich Xaver. »Der kann was erleben! Das war doch ein Mordanschlag.«

Christian bückte sich und hob den Ast auf, dann schaute er zum Wipfel des Nadelbaumes empor. Die Kiefer hatte einen schlanken, hohen Stamm, der hoch angesetzte Ast hatte wohl in einer Höhe von zweieinhalb Metern gesessen. Es war ein meisterhafter Schuß gewesen.

»Das glaub’ ich net«, widersprach er und deutete nach oben. »So hoch, wie der Ast saß, ist es schon ein Kunststück, ihn herunter zu schießen. Das war kein Zufall, sondern ein Volltreffer. Einen von uns zu treffen, wäre indes eine Leichtigkeit gewesen.«

Der alte Förster mußte seinem jungen Kollegen zustimmen. Trotzdem verstand er nicht, was das Ganze sollte.

»Ich könnt’ mir denken, daß es eine Warnung sein sollte«, meinte Christian. »Es hat sich ja bestimmt herumgesprochen, daß heut’ der neue Förster seinen Dienst antritt. Wer weiß, vielleicht wollte mir auf diese Weise jemand klar machen, daß er sich vor mir net fürchtet.«

»Vielleicht«, brummte Xaver. »Ich könnt’ mir aber auch denken, daß der Schuß doch mir galt. Sozusagen als Abschiedsgeschenk. Manch einer der Halunken hat ja einen makabren Humor.«

»Mag sein«, antwortete Christian. »Aber, haben S’ net gesagt, daß die Schlimmsten alle im Gefängnis sitzen?«

»Stimmt«, nickte Anreuther. »Vor allem der Schlimmste, der mir bittere Rache geschworen hat. Also, wenn ich’s net besser wüßt’, dann würd’ ich glatt sagen, daß der alte Breithammer der Schütze eben war. So einen Schuß traue ich ihm zu, keiner schießt besser als er. Der Breithammer ist ein wahrer Meisterschütze.«

Fast klang so etwas wie Bewunderung in den Worten des Försters mit.

»Aber, der sitzt mindestens noch ein Jahr«, schüttelte er den Kopf.

»Sie machen mich richtig neugierig«, meinte der Jüngere, als sie weitergingen. »Erzählen S’ doch mal, wie er so ist, dieser Breithammer.«

»Ach, ich glaub’, im Grunde ist er gar kein schlechter Kerl, der Joseph Breithammer«, sagte Xaver. »Er hat einfach viel Pech gehabt im Leben. Früh die Frau verloren, das Kind ganz alleine aufgezogen, naja, wie es dann so kommt – keine Arbeit, der Alkohol… Seine Wutausbrüche damals vor Gericht, als er schwor, sich an mir zu rächen, ich hab’s eigentlich nie wirklich ernst genommen.«

Er warf einen Blick zurück.

»Doch wenn ich’s jetzt bedenke… der Schuß trägt eindeutig seine Handschrift.«

»Sie erwähnten ein Kind«, forschte Christian nach. »Wo ist es denn jetzt, wo der Vater im Gefängnis sitzt?«

Xaver Anreuther schmunzelte.

»Das Kind ist inzwischen eine junge Frau«, erklärte er. »Kathrin Breithammer ist etwa Mitte zwanzig und ein ziemlich hübsches Ding. Der alte Breithammer besitzt ein kleines Waldgrundstück. Da hat er vor Jahren eine Hütte darauf gebaut. Die Kathrin wohnt darin.«

»Ganz alleine im Wald?« wunderte sich Christian. »Wovon lebt sie denn? Ich meine, wer sorgt für sie?«

»Oh, die Kathrin kann für sich alleine sorgen. Sie baut Kartoffeln und Gemüse an. Dann sucht sie Pilze und verkauft sie an Gaststätten und Hotels in der Umgebung, und zuweilen geht sie auf einen Hof, wenn Erntezeit ist, und verdient sich etwas dazu. Ich denk’ schon, daß sie ihr Auskommen hat.«

»Das ist ja sehr merkwürdig«, schüttelte der junge Förster den Kopf. »Warum lebt sie denn net im Dorf? Da hätt’ sie’s doch viel bequemer.«

Xaver Anreuther zuckte mit der Schulter.

»Das hab’ ich sie auch schon fragen wollen«, erwiderte er. »Aber die Kathrin ist net gut auf mich zu sprechen, weil ich ihren Vater ins Gefängnis gebracht hab’. Sie lehnt jeden Kontakt mit mir ab.«

»Na, die ist vielleicht gut«, empörte sich Christian. »Immerhin ist Wilddieberei ein Verbrechen, auf das nun einmal Gefängnisstrafe steht.«

Sie waren inzwischen wieder beim Forsthaus angekommen.

»Naja, sie sieht es wohl ein wenig anders«, meinte Xaver. »Sie werden sie bestimmt einmal kennenlernen. Dann können S’ sich ihr eigenes Bild von ihr machen.«

Es war vereinbart, daß Xaver noch so lange im Dienst blieb, bis Christian sich eingelebt hatte. Der alte Förster würde dem jungen alles zeigen – heute war es ja nur ein erster Rundgang – und ihn mit allem bekannt machen. Dazu gehörte auch die Vorstellung des neuen Revierförsters bei den Brüdern des wöchentlichen Stammtisches im Hotel »Zum Goldenen Löwen« in St. Johann.

»Morgen abend lernen S’ dann auch die ganzen wichtigen Leute kennen«, erklärte Xaver.

Der Nachmittag verging mit der Erledigung der Verwaltungsarbeit – auch der Papierkram mußte sein, wie Xaver sich ausdrückte, außerdem machte Christian sich anhand verschiedener Karten mit dem Ainringer Wald vertraut. Erst kurz vor dem Abendessen kam er dazu, seine Koffer und Taschen in das Zimmer zu schleppen, das er fürs Erste bewohnen würde. Später hatte er ja die ganze Dienstwohnung für sich.

Bis spät in die Nacht unterhielten sich die beiden Förster über dieses und jenes, die Arbeit im Wald, Naturschutz und Umwelt, und als Christian schließlich müde, aber glücklich in seinem Bett lag, da wurde ihm wieder einmal bewußt, was er sich immer dann ins Gedächtnis rief, wenn er abgespannt oder gar erschöpft war, daß er den schönsten Beruf der Welt hatte.

*

»Ah, da schau her«, sagte Max Trenker zu sich selbst und pfiff leise durch die Zähne.

Er saß hinter dem Schreibtisch in seinem Büro und hielt ein Fax in der Hand, das eben gekommen war. Absender war die Dienststelle in der Kreisstadt, und der Inhalt glich einer kleinen Sensation.

Der Polizeibeamte von St. Johann warf einen Blick auf die Uhr an der Wand gegenüber. Kurz vor Dienstschluß. Er erhob sich und faltete das Fax zusammen. Dann steckte er es in die Brusttasche seines Hemdes, nahm Jacke und Dienstmütze vom Haken und machte sich auf den Weg.

Draußen schickte er einen bedauernden Blick in Richtung des Pfarrhauses, das in Sichtweite zu seinem Büro lag. Heute abend würde er leider auf den Genuß verzichten, den das Abendessen der Haushälterin seines Bruders bot. Max hatte noch einen dringenden, dienstlichen Termin, der sich nicht hinausschieben ließ.

Dadurch würde er auch zu spät zum Stammtisch kommen, das ließ sich zwar verschmerzen, nicht aber der Verzicht auf die herzhaften Bratkartoffeln, die Sophie Tappert heute abend servierte. Bestimmt hatte sie dazu ihre pikante Sülze vorbereitet. Immer wenn Stammtischabend war, gab es im Pfarrhaus Deftiges. Offenbar war die Perle seines Bruders der Meinung, daß solch eine Unterlage gut für den Bierkonsum sei…