Die Traumfrau - Dirk Lemm - E-Book

Die Traumfrau E-Book

Dirk Lemm

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Beschreibung

Wenn Träume lebendig werden! Der Protagonist des Romans ist der 14-jährige Eddie, der mit seinen Eltern in Florida lebt. Er träumt seit seinem 13. Lebensjahr regelmäßig denselben Traum, in dem er von anderen Kindern gedemütigt und beleidigt wird. In seinem Traum verliebt er sich in Lana und trifft tatsächlich ein Mädchen, dass seiner Traumfrau zum Verwechseln ähnelt. Er gibt seine Suche irgendwann auf und wird sesshaft. Über Umwege lernt Eddie Lana tatsächlich kennen und sie stellen fest, dass auch Lana diesen Albtraum träumt. Gefährlich wird es, als sich eine geheimnisvolle Organisation in das Leben der Träumer einmischt. "Der Autor Dirk Lemm spinnt mit seiner Geschichte ein verworrenes Netz um die Bedeutung der Träume und ihrer Träumer. Es beginnt ein Kampf zwischen Gut gegen Böse, der durch das moderne Internetzeitalter definitiv konfuser und verstrickter wird."

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Vielen Dank an meine liebe Frau, die keinen Spaß beim Lesen von Büchern hat und mich somit herausforderte. Ich schrieb dieses Buch in der Hoffnung, dass ich sie doch noch für die Literatur begeistern kann.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Kapitel 99

Kapitel 100

Kapitel 101

Kapitel 102

Kapitel 103

Kapitel 104

Kapitel 105

Kapitel 106

Kapitel 107

Kapitel 108

Kapitel 109

Kapitel 110

Kapitel 111

Kapitel 112

Kapitel 113

Kapitel 114

Kapitel 115

Kapitel 116

Kapitel 117

Kapitel 118

Kapitel 119

Kapitel 120

Kapitel 121

Kapitel 122

Kapitel 123

Kapitel 124

Kapitel 125

Kapitel 126

Kapitel 127

Kapitel 128

Kapitel 129

Kapitel 130

Kapitel 131

Kapitel 132

Kapitel 133

Kapitel 134

Kapitel 135

Kapitel 136

Kapitel 137

Kapitel 138

Kapitel 139

Kapitel 140

Kapitel 141

Kapitel 142

Kapitel 143

Kapitel 144

Kapitel 145

Kapitel 146

Kapitel 147

Kapitel 148

Kapitel 149

Kapitel 150

Kapitel 151

Prolog

Spring! Spring! Spring endlich!«, rufen sie alle, aber ich kann nicht. Was auch nicht verwunderlich ist, denn sie wollen, dass ich aus 15 Meter in einen dunklen tiefen See springe. Der See ist eingerahmt von hohen, mit Bäumen bewachsenen steilen Berghängen. Und von hier oben sieht die Wasseroberfläche so tiefschwarz aus, dass der Eingang zur Hölle nicht dunkler sein könnte. Warum versuchen sie mich also zu drängen?

Sie schreien: Feigling, Angsthase und drohen mir damit, dass sie alles in der Schule rumerzählen werden. Ich werde zum Gespött der ganzen Schule gemacht und das werde ich kaum ertragen können. Ihre Stimmen dringen mir durch Mark und Bein, ich zittere am ganzen Körper und kann mich nicht mehr bewegen.

Marie ist die Schlimmste, sie macht Fotos von mir, während ich mit zitternden Beinen auf dem Felsvorsprung stehe und anfange zu weinen. Ich fühle mich so gedemütigt und mein Körper ist starr vor Angst. Marie ist die Sprecherin unserer Jahrgangsstufe und in meiner Wahrnehmung ein sehr vorlautes und verzogenes reiches Mädchen. Ich mag es nicht, wenn sie versucht, die anderen Mitschüler einzuschüchtern. Die meisten versuchen ihr aus dem Weg zu gehen, aber ich habe dazu keine Chance, denn sie ist die Babysitterin meiner kleinen Schwester und regelmäßig bei uns zu Hause. Während ich nicht mehr aufhören kann zu weinen und immer mehr Tränen den Boden vor mir tränken, wird das Gelächter von Marie, Lana, Tim und Paul immer schlimmer.

Tim und Paul sind die Draufgänger der Schule, denn beide sammeln Beschwerden von Eltern und Nachbarn wie andere Briefmarken. Wir sind alle 13 Jahre alt, und ich habe mich heimlich in Lana verliebt.

Für mich ist sie das schönste Mädchen der ganzen Schule. Sie sieht so hübsch aus mit ihren langen schwarzen Haaren, die sie häufig zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet.

Für mich ist klar, dass ich Lana später heiraten werde, aber dieses süße Geheimnis behalte ich besser für mich.

Ich weiß, mein Leben wird ab morgen ein anderes sein, wenn ich nicht springe …

Kapitel 1

Der Traum

Ich lebe in einer Kleinstadt am Rand des Geirangerfjords im Westen Norwegens mit etwa 500 Einwohnern. Die meisten Einwohner leben vom Fischfang oder dem Tourismus und in unserem Dorf gibt es nicht viel Abwechslung. Die Tristesse wird nur durch einen Supermarkt unterbrochen, der auch gleichzeitig ein Treffpunkt für viele Einwohner ist. Dazu gibt es noch ein Hotel, ein Tourismuscenter und einen Campingplatz. Auf dem Campingplatz von Arne und Meike verdienen wir uns ein paar Kronen, indem wir den Touristen beim Aufbau ihrer Zelte helfen. Schon in unserem ersten Sommer war das eine großartige Zeit. Wir fühlten uns alle so frei und glücklich, dass wir uns schworen, jeden Sommer hier zu arbeiten. Arne und Meike überlassen uns dann ein eigenes Zelt und wir können den ganzen Tag die Zelte der Gäste aufbauen, was uns immer großen Spaß bereitet.

Meine Eltern und ich wohnen auf den Homlungsvegen in einem kleinen roten Holzhaus am Rande der Stadt. Es ist ein schönes Haus und ich habe mein eigenes Zimmer und meinen eigenen Fernseher. Meine Schwester hat auch ein eigenes Zimmer direkt neben meinem und weit entfernt von dem Schlafzimmer unserer Eltern, sodass ich manchmal länger den Fernseher anlasse, als es erlaubt ist.

Meine Eltern lieben die Ruhe und Abgeschiedenheit und sie bemühen sich, meiner Schwester und mir jeden Wunsch zu erfüllen, sofern sie es sich leisten können. Meine Schwester und ich haben alles, was wir brauchen. Ich habe ein eigenes Fahrrad, mit dem ich jeden Tag zur Schule fahre und eine eigene Angel.

Viele Eltern meiner Freunde leben vom Tourismus und bieten Bootstouren zu den bekannten Wasserfällen an, darunter auch den der Sieben Schwestern: Sieben Wasserfälle, die fast 300 Meter in die Tiefe stürzen. Ich freue mich immer sehr, wenn meine Freunde mich mit auf das Boot nehmen dürfen. Ich mag Wasserfälle, und auf dem Boot kann man immer etwas Geld mit den Touristen verdienen. Ich kaufe vorher von meinem Taschengeld Schokolade und Wasser und verkaufe es an die Touristen auf dem Boot. Die anderen trauen sich das nicht, aber ich war noch nie schüchtern und daher kann ich mein Taschengeld im Sommer sparen, und mein verdientes Geld gebe ich für Süßigkeiten aus.

Jeder kennt jeden in unserem Ort und die Verbindung untereinander ist sehr eng. Dafür sorgt auch unsere Bürgermeisterin Mette Flo, eine übergewichtige Mittfünfzigerin, die mit ihrer Frau Martha und deren hübscher Tochter Caroline (»So sieht ein Model aus!«, sagt Tim immer) am Rande der Stadt auf der Prachtstraße – Mjelkesletta – in einem schicken Haus mit beheizbarem Pool wohnt.

Frau Flo sorgt dafür, dass alle Einwohner aktiv sind. Sie gründete einen Wanderverein, eine Klettergruppe, einen Ski-Club und eine Elchjagdgruppe. Und alle Einwohner, die sich in keinem der Clubs aktiv zeigen, werden unausgesprochen ausgegrenzt. Entweder macht man mit oder man wird von den anderen mehr oder weniger ignoriert.

Ich bin in der Klettergruppe der 10-15-jährigen und habe viel Spaß beim Klettern. Aber das hier jetzt gerade ist etwas anderes: 15 Meter den Wasserfall hinunterspringen, der in den 30 Meter tiefen Jostein-See hineindonnert. Warum sollte ich das tun? Meine Eltern werden mir ein Jahr Hausarrest geben, wenn sie herausbekommen, dass ich tatsächlich gesprungen bin. Und sie werden es herausbekommen, dafür wird Marie schon sorgen.

Und das erwartet mich also ab Morgen, wenn ich nicht springe: die völlige Isolation! Gedemütigt muss ich die nächsten Wochen und Monate aushalten. Und Marie wird bestimmt dafür sorgen, dass ich noch erbärmlicher aussehen werde, als ich es im Moment tatsächlich tue.

Wie werden meine Eltern das verkraften? Mein Vater arbeitet als Lehrer an meiner Schule. Er wird alles direkt mitbekommen.

Das kann ich ihm nicht antun, das kann ich meiner ganzen Familie nicht antun!

Ich muss einfach springen.

Aber warum sprangen Tim, Marie, Paul und Lana ohne nachzudenken aus 15 Metern in den dunklen See? Waren sie mutiger als ich? Oder einfach dumm?

Meine Knie zittern, ich weine immer noch und nun wird mir auch noch übel und ich muss mich übergeben, und das alles unter den Augen der »4Kids«, wie sie sich selbst nennen.

Als ob das nicht schon genug gewesen ist, höre ich hinter mir die Stimmen von Tore und Daphne, dem einzigen Rockerpaar der Stadt. Tore ist ein Mittzwanziger, der noch nie eine Schule besucht hat, wie er allen stolz in seiner Bar erzählt. Tore kam vor drei Jahren zufällig in unsere Stadt, verliebte sich in Daphne, ebenfalls 25 Jahre alt, die Tochter des Bankdirektors unserer Stadt, Gustav Male, und blieb. Tore kommt aus Schweden, er wuchs bei seiner Oma auf und hat seinen Vater nie kennengelernt. Er war schon als Kind in psychologischer Behandlung und hat sich für jede seiner Therapien später ein Tattoo stechen lassen, und er hat sehr viele Tattoos. Daphne, der ganze Stolz ihres alleinerziehenden Vaters Gustav, macht diesem von Tag zu Tag mehr Kummer. Sie hat ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgebrochen und kellnert in Tores Bar. Sie leben von den Touristen, die im Geiranger Hotel wohnen und ihr Bier nicht an der Hotelbar trinken wollen.

Zu essen gibt es in Tores Bar nur Fertigpizza, sodass er von den Anwohnern niemanden für sich begeistern kann. Aber er liebt es, der Rocker der Stadt zu sein und genießt es, wenn die Rentner wegen ihm die Straßenseite wechseln.

Tore und Daphne kommen oft zum Jostein-See, um Marihuana zu rauchen. Auch wenn sie das Rockerpärchen sind, trauen sie sich nicht, in der Stadt oder der Bar ihren Joint zu rauchen, sondern machen sich mit der Harley Davidson immer öfter auf den Weg zum See.

Sie sehen mich oben stehen und zittern. Sie lachen und machen Fotos von mir.

»Du wirst der Trottel der Stadt sein«, grölt Tore. Und Daphne kommt näher und näher, bis sie fast neben mir steht.

»Was ist mit dir, Kleiner? Das ist doch nicht tief!« Sie fängt an, sich auszuziehen und als sie nur noch ihre Unterwäsche trägt, springt sie in die Tiefe. Jetzt sehe ich noch erbärmlicher aus als vorher und ich muss eine Entscheidung treffen – und zwar sofort!

Kapitel 2

Eddie

Plötzlich wache ich schweißgebadet auf. Immer wieder dieser Albtraum, und das schon seit einem Jahr, jede Sonntagnacht, seit meinem 13. Geburtstag. Und wer sind überhaupt Tim, Marie, Paul und Lana?

Ich heiße Eddie, bin 14 Jahre alt und lebe in Sarasota, Florida. Ich bin 1,85 m groß und der Star-Quarterback der Obama-Highschool. Sarasota ist eine schöne Stadt mit 55.000 Einwohnern. Direkt am Golf von Mexiko gelegen, sind wir häufig am Strand, um ein paar Bälle zu werfen, oder am St. Armand Circle. Der Circle ist das absolute Highlight, denn hier befinden sich, kreisförmig angelegt, die tollsten Geschäfte der Stadt. Da ist der Tommy Bahama Store, Alvin‘s Island und Ben & Jerry’s. Aber am liebsten fahre ich mit dem Fahrrad nach Longboat Key, denn da gibt es schöne abgelegene Strände und man kann Spaß haben, ohne dass man jemanden trifft, der es direkt den Eltern erzählt. Nicht falsch verstehen: Ich habe großartige Eltern! Sie heißen Mark und Anna und sind beide 37 Jahre alt. Sie haben sich auf der Louisiana State University-LSU kennengelernt und sind nach dem Studium nach Sarasota gezogen. Wir wohnen in einem prächtigen Haus auf der Laurel Street, direkt am Payne Park.

Da bin ich manchmal nach der Schule, um mit meinen Freunden ein paar Bälle zu werfen oder um ein bisschen Musik zu hören. Ich bin manchmal gerne für mich und in meiner Musik versunken. Bei Pearl Jam und Bruce Springsteen kann ich am besten nachdenken und ich habe viel nachzudenken! Zum Beispiel über meinen Traum, der mich jede Woche beschäftigt. Meine Eltern wissen nichts davon, sie würden das sicherlich für pubertären Nonsens halten. Mein Vater ist Lehrer an meiner Highschool und unterrichtet Geschichte und Sport. Er ist ein cooler Lehrer und gleichzeitig ein echt cooler Papa und meine Mutter arbeitet als Büroangestellte bei der örtlichen Polizei. Mein Vater macht sein ganzes Leben schon Sport; ab und zu fährt er sogar mit seinem Skateboard über das Schulgelände. Und dann ist da noch meine kleine Schwester. Brin ist fünf Jahre alt und die süßeste Schwester der Welt.

Mein Leben scheint perfekt. Ich habe sehr viele Freunde, und Annie, die Tochter des Sheriffs Mick, ist meine erste Freundin. Wenn nur nicht dieser Traum wäre, jede Sonntagnacht, und das seit einem Jahr. Ich kann niemandem von meinen Träumen erzählen, das würde alles zerstören – vor allem meinen echten, meinen schönen Traum, Profi-Footballer zu werden.

Denn das ist mein großes Ziel: Ein College-Stipendium zu bekommen, um dann die Profikarriere zu starten. (Ich habe irgendwie die Hoffnung, dass der ganze Spuk mit diesen Albträumen bald vorbeigeht, damit ich mich wieder auf die Schule und Football konzentrieren kann).

Kapitel 3

Emily

Lana, komm endlich nach draußen und lass uns Volleyball spielen. Immer muss ich bitten und betteln, dass du mit mir spielst!«

Ich heiße Emily, bin 14 Jahre alt und lebe am Niederrhein in Deutschland. Ich gehe in die 7. Klasse des Goethe-Gymnasiums, und Lana ist meine Schwester. Ich bin die Sportliche von uns beiden. Ich spiele Hockey, Volleyball und tanze sehr gerne . Ich bin ein sehr offener Mensch, der bei allen auf der Schule beliebt ist und ich lasse mir nichts vorschreiben, wenn ich einen Jungen küssen möchte, dann mache ich das. Leider kann ich das im Moment aber nicht, denn ich habe einen festen Freund und irgendwie mag ich Willi echt gern, denn er ist so verliebt in mich, dass er alles für mich tun würde. Aber es ist auch ein bisschen armselig und ich sollte ihn vom Haken lassen.

Doch solange ich alles von ihm bekomme und er meine Hausaufgaben macht, lass ich ihn lieber noch ein bisschen zappeln.

Meine Schwester Lana dagegen ist anders, sie ist lieber allein und eher eine Künstlerin. Sie spielt Klavier und Saxofon, liest viele Bücher und ist die beste Schülerin der gesamten Jahrgangsstufe. Sie ist auf ihre Art und Weise ebenfalls beliebt, doch sie hat sich verändert. Es fing vor ca. einem Jahr an, als sie sich immer mehr zurückzog. Unsere gesamte Familie hat den Eindruck, dass sie etwas beschäftigt, aber sie möchte oder kann nicht darüber reden.

Ich spreche häufig mit Mama und Papa über Lana, aber ich kann ihr nicht helfen. Ich bin schon froh, wenn sie ab und zu vor die Tür geht und mit mir spielt. Ich liebe Lana und mache mir Sorgen, allerdings lasse ich mir nichts anmerken, denn meine Rolle ist die des coolen Mädchens, die jeden Jungen als Freund haben kann, wenn sie will. Aber ich habe Willi als Freund, der mir die Hausaufgaben macht, immer eine Cola mit zur Schule bringt und das Kino bezahlt.

Lana macht uns allen Sorgen. Ihre Lehrer haben auch schon mit unseren Eltern gesprochen, ob irgendetwas vorgefallen sei, aber Mama und Papa können es sich auch nicht erklären. Die Schulnoten von Lara sind unverändert gut, aber irgendetwas stimmt nicht.

Wir leben in einem kleinen schicken Haus mit einem großen Garten und ganz vielen Rosensträuchern. Papa hat das Haus von seinen Eltern geerbt und es ist ein tolles freistehendes Haus. Mama sagt dazu immer im Spaß, dass es aussieht wie ein Hexenhäuschen. Es ist ein kleines Backsteinhaus mit vielen Fenstern und einem tollen Garten, indem wir im Sommer unsere Freizeit als Familie verbringen. Mama liebt es, sich stundenlang im Garten um die Rosen zu kümmern und Lana beobachtet sie immer dabei, nur hörte das vor einem Jahr auf. Lana versucht, immer weniger zu Hause zu sein. Sie stürzt sich immer mehr in verschiedene Schulprojekte oder sitzt nach Schulschluss im Klassenzimmer und lernt.

Mein Zimmer ist direkt neben Lanas Zimmer, und ich bemerke immer öfter, wie Lana im Schlaf spricht, aber ich kann es weder verstehen noch deuten. Ich kann mir das nicht erklären und ärgere meine Schwester manchmal damit.

Wir sind beide 14 Jahre alt und unterscheiden uns mittlerweile immer mehr. Das finde ich sehr traurig, da wir noch bis vor einem Jahr unzertrennlich waren und alles gemeinsam unternommen haben. Früher hat mir Lana immer alles erzählt. Hat mir von ihrem ersten Kuss mit Ben erzählt und wir haben uns beide darüber lustig gemacht, wie die Jungs immer versucht haben, mit uns ein Eis essen zu gehen und anschließend im Park versuchten, uns zu küssen. Aber seit einem Jahr ist alles anders. Ich erkenne meine Schwester gar nicht mehr wieder.

Kapitel 4

Eddie und Familie

Es ist kalt geworden, für den Mai untypisch hier in Florida. Das Schuljahr neigt sich dem Ende und die Sommerferien stehen ganzheitlich im Zeichen von Familienurlaub in Europa. Meine Oma, die ich leider nie kennengelernt habe, stammt aus Deutschland und meine Mutter ist mit 14 Jahren von zu Hause weggelaufen und ist mit 17 Jahren in die USA gekommen. Mehr weiß ich nicht, da sie nie darüber spricht.

Wo sie die drei fehlenden Jahre gewesen ist, weiß noch nicht mal mein Vater. Ich kann nur erahnen, dass es keine gute Zeit gewesen sein muss, und immer, wenn Papa oder ich versuchen, meine Mutter danach zu fragen, spricht sie sofort ein anderes Thema an.

Aber jetzt möchte meine Mutter meine Oma aufsuchen, um ihr alles zu erklären. Meine Mutter hat zu meiner Oma keinen Kontakt und wir bekommen nie Geschenke oder einen Brief. Ich glaube, meine Oma weiß gar nicht, wo wir wohnen oder dass sie überhaupt Enkel hat. Ich will sie so gerne kennenlernen und freue mich schon sehr.

Morgen geht es los, und die ganze Familie ist schon ziemlich aufgeregt.

Ich habe heimlich etwas Deutsch gelernt, damit ich meine Mutter glücklich machen kann!

Der Wecker klingelt, es ist 4 Uhr morgens und ich wache sehr müde auf, da ich kaum geschlafen habe. Ich bin als erster im Bad und wasche mich, bevor ich Brin wecke und mich um sie kümmere. Ich kümmere mich gerne um meine kleine Schwester und mache ihr gerne das Frühstück. Die Anspannung, was uns als Familie in Deutschland erwartet, ist spürbar. Meine Mutter ist sehr nervös, aber sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. So wie sie aussieht, hat sie die ganze Nacht nicht geschlafen und Papa versucht mit kleinen Scherzen die Anspannung etwas zu lockern, aber es gelingt ihm nicht. Um 4:45 Uhr geht die Fahrt zum Flughafen nach Fort Myers los. Über die Interstate 75 brauchen wir fast 90 Minuten. Brin und ich schlafen fast die ganze Zeit und als wir ankommen, werden wir von Mom sanft geweckt. Wir kaufen uns am Flughafen bei Starbucks ein kleines Frühstück und dann geht es nonstop nach Düsseldorf.

Wir alle konnten noch ein wenig schlafen und uns Filme ansehen, sodass die Zeit schnell vorüberging. Papa übernimmt das Kommando und kümmert sich um den Mietwagen, während Mom und ich die Koffer abholen.

Brin schläft mal wieder, so wie fast den ganzen Flug über. Es ist 7.00 Uhr morgens in Düsseldorf an einem Samstag mit kalten 13 Grad Celsius.

Wir fahren los in Richtung Niederrhein und in etwa 30 Minuten werde ich vielleicht meine Oma kennenlernen. Die Fahrt ist sehr spannend, weil es mein erster Deutschlandbesuch ist und ich ziemlich neugierig auf meine Oma und meine Familie bin.

Am Niederrhein angekommen, beobachte ich Mom, die immer angespannter wird. Es scheint so als fühle sie sich wieder wie ihr 14 Jahre altes Ich, denn sie spricht kaum und spielt nervös mit ihren Fingern.

An Moms Zuhause angekommen, fängt sie an zu weinen und schreit: »Stopp, nicht weiterfahren!« – und das so laut, dass uns allen der Schrecken in die Glieder fährt.

»Ich kann das nicht, wir fahren sofort ins Hotel!«

Meine Oma ist so nah, keine 50 Meter von mir entfernt, aber was ist denn bloß los mit Mom? Das Ganze macht mir große Sorgen. Was ist denn damals passiert, dass Mom so große Angst hat, nach Hause zu kommen? Die Stimmung ist ziemlich gedrückt und ich erkenne meine Mutter nicht mehr wieder. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz und kaut nervös auf ihren rot lackierten Fingernägeln herum.

Warum hat meine Mutter so große Angst? Das macht mich so traurig, dass ich anfange zu weinen.

Meine Mutter nimmt keine Notiz von mir, und Papa versucht mich und Brin zu beruhigen, die ebenfalls anfängt zu weinen.

Als wir im Maritim Hotel in Düsseldorf ankommen, ist die Stimmung sehr gedrückt, da Mom sich einfach nicht beruhigen kann. Papa hat eine gute Idee, denn er packt die Badetasche und wir alle fahren zum Düsselstrand, einem Erlebnisbad mit einer Riesenrutsche, damit wir uns alle wieder etwas beruhigen. Dort angekommen, gehe ich mit Brin sofort ins Kinderbecken, um Mom und Dad zur Ruhe kommen zu lassen.

Wir planschen im Kinderbecken etwas herum und haben eine Menge Spaß beim gegenseitigen Nassspritzen. Plötzlich steht ein Mädchen hinter mir am Beckenrand und fragt uns etwas. Mit meinem gelernten Deutsch kann ich schon ein bisschen verstehen.

Als ich mich umdrehe, schaue ich schockiert in das Gesicht des Mädchens. Sie sieht aus wie Lana aus meinem Traum.

Ich bin starr vor Schreck und kann nicht antworten. Sie starrt etwas irritiert und geht ins große Schwimmerbecken zurück. Ich dagegen kann mich nicht bewegen. Brin bekommt Angst und fängt sofort an zu weinen, aber ich bewege mich immer noch nicht, und das Mädchen kommt zurück zu uns und beruhigt Brin.

Jetzt kommen auch Mom und Dad, um nach uns zu sehen, und meine Mutter unterhält sich mit dem Mädchen, ohne dass wir etwas verstehen.

Nach gefühlten Stunden geht das Mädchen wieder, dieses Mädchen, das genauso aussieht wie Lana, meiner großen Liebe aus dem Traum.

Was passiert hier gerade mit mir? Bin ich etwa verrückt? Wie kann das sein? Ich bin völlig fertig und erzähle meinen Eltern irgendeine Geschichte. Was ich ihnen erzähle, weiß ich später nicht einmal mehr, aber da meine Eltern mich nicht noch einmal darauf ansprechen, scheint es logisch gewesen zu sein.

Mom beruhigt sich nach einigen Stunden wieder, aber meine Eltern beschließen, wieder zurückzufliegen. Also das war dann unser Deutschland-Urlaub? Einen Tag in Düsseldorf und dann wieder zurück? Ich würde am liebsten hierbleiben und das Mädchen suchen, dass so aussieht, wie Lana aus meinem Traum.

Den ganzen Rückflug über grüble ich, was denn mit mir bloß nicht stimmt. Meine Mutter, die ganz geknickt auf ihrem Fensterplatz sitzt, ignoriere ich dabei völlig. Ich bin viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt.

Als wir wieder zurück in Sarasota sind, komme ich mir albern vor. Den ganzen Deutschlandtrip über war ich wie unter einer Glocke und bekam kaum etwas von meiner Umgebung mit. Ich war wie in Trance bei dem unbekannten Mädchen aus dem Schwimmbad.

Wir hatten uns zwar keine fünf Minuten gesehen und nicht miteinander gesprochen, aber verdammt noch mal, es war Lana, meine große Liebe aus dem Traum!

Ich überlege ernsthaft zum Schulpsychologen zu gehen, wenn die Schule wieder anfängt, denn ich glaube nicht, dass ich meinen Traum noch länger für mich behalten kann. Den Rest der Ferien unternehme ich sehr viel mit Annie und meinen Freunden, um die größtmögliche Ablenkung zu bekommen. Wir sind oft auf Longboat Key, spielen am Strand Football und manchmal übernachten wir auch am Strand. Aber sobald ich zur Ruhe komme, fange ich an nachzudenken. Über meinen Traum, über Mom und das unbekannte Mädchen aus Düsseldorf. Und der Rest der Ferien vergeht dann doch wie im Flug und die schöne Zeit auf Longboat Key ist zu Ende. Die Ablenkung tat gut, denn ich wollte und konnte nicht die ganze Zeit über nachdenken, ich hatte dann das Gefühl verrückt zu werden. Ich werde die Nächte am Strand vermissen und das Flanieren am St. Armands Circle ebenso.

Zurück aus Deutschland, hat sich Mom verändert. Erst ist es abends ein Glas Weißwein mehr und am Ende der Woche sind es schon zwei Gläser mehr als sonst. Woher ich das weiß? Mein Vater trinkt keinen Weißwein, und zu meinen Aufgaben gehört es, das Altglas zu entsorgen.

Ich mache mir darüber keine allzu großen Sorgen, denn Mom hatte ja bei unserem kurzen Aufenthalt in Deutschland wirklich eine schlimme Zeit. So aufgewühlt und fertig habe ich sie noch nie gesehen und wenn es nur eine Phase ist, dann ist immer noch alles gut. Dad wird schon auf sie aufpassen.

Mein Footballtraining begann eine Woche nach unserer Rückkehr aus Deutschland. Mir fehlt jede Motivation und ich bin kurz davor, alles hinzuschmeißen.

Ich möchte einfach das Mädchen aus Düsseldorf finden. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht, um ihr alles zu erzählen …

Kapitel 5

Emily

Lana, wenn du keine Lust auf Volleyball hast, dann lass uns schwimmen gehen. Wir haben doch Ferien und ich will unbedingt etwas unternehmen!«

Lana muss jetzt einfach mitkommen, ich habe keine Lust, mit Willi zu sprechen. Ich habe mich heimlich, in Absprache mit meinem Klassenlehrer und Mama und Papa, bei einem Schüleraustauschprogramm beworben und bin genommen worden. Als ich Lana davon erzähle, nimmt sie es teilnahmslos zur Kenntnis und das hat mich schon sehr enttäuscht.

Es scheint, als sei ich ihr mittlerweile egal. Das tut verdammt weh seine Schwester so zu erleben, aber ich freu mich schon sehr auf die USA, denn dank des Austauschprogramms unserer Schule habe ich das Glück für sechs Monate nach Sarasota/ Florida auf die Obama-Highschool gehen zu dürfen, in der Nähe von Downtown Sarasota, welche gute Bewertungen und ein Matrosen-Maskottchen hat. Es wird Willi zwar endgültig das Herz brechen, aber ich muss es tun. Vielleicht ist es auch gut für Lana und mich, wenn wir eine Weile getrennt sind.

»Ja, ich komme mit zum Schwimmen, Emily!«, ruft Lana aus ihrem Zimmer. Wow, damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Endlich unternehmen wir etwas zusammen!

Zum Schwimmbad haben wir es nicht weit. Wir holen unsere Fahrräder und fahren los und unterwegs treffen wir Willi und seine Fußballmannschaft. Besser jetzt, dann habe ich es hinter mir, denke ich und halte mit dem Fahrrad an. Ich sage Willi, dass ich für sechs Monate in die USA gehe und ich mich deshalb von ihm trenne.

Willi nimmt die Nachricht nicht gerade mit Fassung auf, er weint hemmungslos und bettelt darum, dass ich nicht gehe. Was für ein Looser.

Schlimmer hätte sich Willi vor seiner Mannschaft nicht verhalten können. Er sieht so erbärmlich aus, dass alle über ihn lachen.

Ich gebe Lana das Zeichen, dass wir weiterfahren, und zehn Minuten später sind wir am Düsselstrand angekommen. Wir schließen unsere Fahrräder ab, gehen sofort auf die Riesenrutsche und haben eine Menge Spaß. Als ich uns eine Cola holen will, gehe ich am Kinderbecken vorbei und höre jemanden Englisch sprechen, so wie in den YouTube Videos, die ich mir von Sarasota angesehen habe. Ich überlege, ob ich den süßen Jungen mit seiner Schwester ansprechen soll und mache es einfach. In meinem besten Englisch spreche ich den Jungen an, der sich zu mir herumdreht und nichts sagt, absolut gar nichts. »Was für ein komischer Typ ist das denn?«, denke ich, und dann fängt auch noch seine kleine Schwester an zu weinen. Na toll, was hast du wieder angerichtet, grummle ich vor mich hin und versuche, die süße Kleine zu beruhigen. Puh, jetzt kommen noch die Eltern, was für ein perfekter Tag, denke ich, bis mich die Mutter in sehr gutem Deutsch anspricht. Was denn passiert sei, will sie wissen. Ich erzähle ihr, dass ich nur »Hello« gesagt habe, da ich bald in die USA reise und mein Englisch trainieren möchte. Die Frau bedankt sich bei mir und alle gehen fort.

»Was war denn los?«, fragt Lana. »Nichts«, antworte ich, »ich habe den Jungen angesprochen und die Schwester fing an zu weinen«.

»Oh Mann, Emily, das ist ja mal wieder typisch für dich«, schmunzelt Lana, und wir verbringen noch einen schönen Tag im Düsselbad.

Kapitel 6

Lana

Boah, schon wieder will Emily irgendetwas unternehmen. Kann sie mich denn nicht einfach in Ruhe lassen. Ich habe doch genug mit mir selbst zu tun, was soll ich mich da noch mit meiner lieben, aber nervigen Schwester beschäftigen. Immer wieder das gleiche. Komm, Lana, lass uns Volleyball spielen gehen, obwohl ich mittlerweile Volleyball hasse. Komm, Lana, lass uns schwimmen gehen, komm, Lana, lass uns mit den Jungs Eis essen gehen. Ich möchte das alles nicht mehr. Ich möchte nur verstehen, warum ich jeden Sonntag immer wieder den gleichen Traum habe und warum ich in diesem Traum in Eddie verliebt bin, der es noch nicht einmal schafft, von einem großen Stein ins Wasser zu springen.

Was ist bloß mit mir los? Warum bin ich denn so anders? Ich möchte es doch gar nicht sein.

Ich möchte doch nur ein normales und glückliches Mädchen sein.

Kapitel 7

Eddie und Emily

Es ist Montag, der 15. August – der Tag, an dem sich mein Leben komplett verändern wird …

Es ist 8.00 Uhr, als die 100 Jahre alte Schulglocke läutet und wir in unsere Klassenräume trotten. Heute stehen Chemie, Mathe und Deutsch auf unserem Stundenplan, jeweils eine Doppelstunde und ich bin gespannt, wie meine erste offizielle Deutschstunde werden wird. Keiner meiner Mitschüler versteht, warum ich diese schwere Sprache lernen möchte, aber ich tue es für meine Mom.

Wir beginnen mit Deutsch, und ich bin schon sehr gespannt auf unsere neue Austauschschülerin aus Deutschland. Ich hoffe, dass sie nett ist, denn insgeheim spekuliere ich schon darauf, dass sie mir als Star-Quarterback der Highschool bei den Aufgaben helfen wird.

Mrs. Riley beginnt pünktlich um 8.15 Uhr mit dem Unterricht, als plötzlich die Tür aufgeht und Direktor Fred Mosby mit der Austauschschülerin die Klasse betritt.

Ich sehe die Austauschschülerin und falle vom Stuhl. Die ganze Klasse lacht und sowohl Mrs. Riley als auch Direktor Mosby sehen mich sehr böse an. Es ist Lana, die dort steht, das Mädchen aus meinem Traum!

Sie stellt sich als Emily aus Düsseldorf in Deutschland vor. Sie sieht fantastisch aus und setzt sich auf den zugewiesenen Platz vor mir.

Ich komme wieder zu mir, als die Stunde zu Ende ist und ich allein im Klassenraum sitze. Mrs. Riley fragt, ob alles in Ordnung sei und ob ich nicht in die Pause gehen möchte. Ich stammle irgendetwas und verlasse den Klassenraum. Ganz untypisch setze ich mich allein auf eine Bank und träume vor mich hin. Meine Freunde Pat und Toby kommen zu mir und fragen, ob alles in Ordnung ist. Eigentlich bin ich auch der Star der Pause und für jeden Spaß zu haben, aber das ist heute anders. Alles ändert sich ab sofort und für immer.

In den nächsten Wochen beginne ich, die Nähe zu Emily zu suchen. Ich habe immer andere Ausreden:

»Komm, ich zeig dir das Schulgelände. Soll ich dir Sarasota zeigen? Magst du beim Footballtraining zusehen?«

Meine Freunde und meine Mitschüler haben für mein Verhalten gar kein Verständnis.

Mein Vater bekommt das selbstverständlich auch mit und zu Hause weiche ich seinen Fragen aus. Meine Mutter dagegen verhält sich ungewohnt passiv. Sie hört sich die immer neuen Versuche an, die ich unternehme, um Emily näher zu kommen.

Emily, die sich schnell zum Liebling der ganzen Schule entwickelt, hat für mein Verhalten ebenfalls kein Verständnis und gibt mir jedes Mal zu verstehen, dass ich nicht ihr Typ sei und ich sie in Ruhe lassen soll. Emilys Typ kann jeder sehen, sie hängt nämlich mit den älteren Schülern ab, die schon ein Auto haben. Manche erzählen, Adam, der Klassensprecher der 9. Klasse, sei bereits ihr fester Freund.

Ich kann aber trotzdem nicht aufhören, ihre Nähe zu suchen. Sie heißt zwar Emily und nicht Lana, aber sie ist das Mädchen aus meinem Traum, dass ich heiraten werde.

Mittlerweile ist es so schlimm, dass mich ihr Freund Mat aus der 10. Klasse an einem sonnigen Tag nach der Schule aufhält und mir zu verstehen gibt, dass ich aufhören soll hinter Emily herzulaufen, ansonsten würde ich einige Zeit kein Football mehr spielen können.

Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem mich fast die ganze Schule ausgegrenzt hat, weil ich mich so seltsam verhalte.

Beim Football ist es nicht besser, da die gegnerischen Teams davon wissen und ich den Spott sogar während des Spiels ertragen muss. Ich weiß nicht weiter, soll ich meine Gefühle verdrängen, oder ist es einfach nur eine pubertäre Spinnerei? Und was soll der ganze Nonsens mit dem Traum? Bin ich verrückt oder krank oder so etwas? Warum kann ich mich nicht wieder normal verhalten und der Liebling der Schule sein?

Warum muss ich dieser Emily nachstellen und es riskieren, von Mat verprügelt zu werden? Warum ziehe ich meine Eltern damit hinein?

Warum das Ganze? Warum?

Die nächsten Wochen ergeben immer das gleiche Bild. Entweder versuche ich Emily und meinen Traum zu ignorieren und fühle mich schlecht dabei, weil ich immer denke, die Liebe meines Lebens zu verpassen. Aber kann man das mit 14 Jahren überhaupt schon wissen, wer die Liebe des Lebens ist?

Oder ich laufe Emily hinterher und mache mich immer mehr zum Gespött der Schule. Alle halten mich dann für einen Freak und meine Eltern müssen sich komischen Fragen stellen, ob ihr Sohn verrückt sei.

Das Schulhalbjahr ist eine einzige Katastrophe, aber es neigt sich dem Ende entgegen. In zwei Tagen wird Emily zurück nach Deutschland fliegen und es ist für mich Fluch und Segen zugleich.

Ich habe ihr einen Brief geschrieben, um mich für mein Verhalten zu entschuldigen und ihr von unserer Begegnung im Schwimmbad in Düsseldorf erzählt, aber ich habe leider keine Reaktion erhalten.

Emily ist weg und ich beruhige mich langsam wieder. Meinen Freunden und Mitschülern erzähle ich eine verrückte Geschichte von neuen Medikamenten und deren Nebenwirkungen. Nach einigen Wochen ist alles vergessen und alle sehen mich wieder als den Star-Quarterback an und respektieren mich. Nur meine Eltern wissen, dass das nicht die Wahrheit ist, aber sie hinterfragen meine Lügengeschichte nicht.

Sie sind nur froh, dass ich wieder der Sohn bin, der ich vorher war und Brin hat von alldem nichts mitbekommen, sie ist noch zu klein.

Kapitel 8

Emily

Emily, steh endlich auf!«, höre ich meine Mutter in einem bösen Ton rufen. »Du verpasst den Flug!«

»Ja ,Mama, ich bin schon wach und angezogen!« Tatsächlich liege ich noch im Bett und denke über den langen Flug nach. Ich bin noch nie geflogen und habe ein bisschen Angst, aber die behalte ich natürlich für mich. Ich spiele wieder meine Rolle: Emily, die coole Schwester und Tochter.

Da bin ich, angezogen, gut drauf und bereit auf das Abenteuer. Meine Eltern stehen schon ziemlich genervt in der Tür und warten. Von Lana keine Spur. »Komm endlich, Emily, wir müssen fahren!«

»Wo ist Lana?«

»Sie schläft noch, hat dir aber einen Brief geschrieben.«

Wow, was für eine Enttäuschung! Ich bin sechs Monate weg, und meine Schwester schläft.

Auf dem Weg zum Auto drehe ich mich um und schaue auf Lanas Fenster. Dort steht sie und winkt mir zu. »Sie liebt mich doch noch«, denke ich und werfe ihr einen Luftkuss zu.

Ich habe das Glück, dass der Flug nicht ausgebucht ist. Es ist ein entspannter Flug, denn ich sitze in meiner Dreier-Reihe am Fenster ganz allein und kann es mir sehr bequem machen. Wir landen auch pünktlich in Fort Myers und als ich meine Koffer wieder bekommen habe, suche ich verzweifelt die Bushaltestelle, um nach Sarasota fahren zu können. Ich habe zwar fleißig Englisch gelernt, aber traue mich noch nicht so richtig, jemanden anzusprechen, der mir Auskunft geben könnte. Ich bemerke, dass mich ein älterer Mann in einem grauen Anzug beobachtet und werde schon etwas nervös. Dann kommt er auch noch zu mir gelaufen und spricht mich an.

»Hallo, kann ich dir helfen«?

»Oh, Sie sprechen Deutsch? Ich suche den Busbahnhof.«

»Du musst durch den Nordausgang gehen und bist direkt da. Dreh dich einfach um, da ist schon der Ausgang.«

»Vielen Dank!«

»Gern geschehen.«

Am Busbahnhof in Sarasota angekommen, werde ich von meiner Lehrerin abgeholt. Eine sehr nette, offensichtlich Schokolade liebende Frau um die 40. Überall in ihrem Auto liegt Süßigkeitenpapier.

Ich werde die ganzen sechs Monate bei ihr wohnen, sagt sie mir. Als ich das höre, denke ich nur: Klasse, bei der Lehrerin zu wohnen – wie viel Pech kann man nur haben?

Aber Maggie Riley scheint nett zu sein. Ein etwas verrückter Single, aber nett. Ich habe in Maggies Haus ein eigenes Zimmer, im Garten steht ein Whirlpool und es blühen so viele Rosen, meine Mutter würde sich mit Maggie bestens verstehen.

Ich habe jetzt noch das Wochenende, um mich etwas an die Umgebung zu gewöhnen, und dann geht es auf ins Abenteuer. Maggie hat eine große Familie und lädt direkt am nächsten Morgen alle Familienmitglieder in meinem Alter zu einer Gartenparty ein. Das ist eine gute Idee, denn so kann ich direkt für meinen Start an der Schule die ersten Freundschaften knüpfen.

Und dann kommt der große Tag, mein erster Schultag in den USA. Maggie nimmt mich in ihrem Auto mit und ich lerne direkt den Schuldirektor kennen. Fred Mosby heißt er, hat eigentlich mal Architektur studiert und ist ein ziemlich cooler Typ. Zu alt für mich, aber verdammt heiß.

Während Maggie in ihre Klasse geht, unterhalten wir uns ein wenig und dann bringt er mich zu Maggie in die Klasse.

Ich werde den anderen Schülern vorgestellt, und wen sehe ich? Den Freak aus dem Düsselbad. Das kann doch kein Zufall sein! Und was macht der Typ? Sieht mich und fällt vom Stuhl. Perfekter Einstand, Emily: Die Jungs sehen dich und fallen vom Stuhl. Ich werde hier viel Spaß haben, sehr viel Spaß, das steht schon mal fest.

In den nächsten Wochen muss ich feststellen, dass Eddie, so heißt der Freak, ziemlich süß, aber leider komplett verrückt ist. Wo ich bin, ist er auch; ich habe das Gefühl, er läuft mir hinterher, und das ist echt nervig.

Ich habe es eher auf die älteren Schüler abgesehen und habe mir Mat geschnappt, der bereits in die 10. Klasse geht. Es ist echt cool mit den Älteren, und ich bin jetzt schon der Liebling der Schule. Alle wollen so sein wie »die Deutsche«. Die, die keine Hemmungen hat, sich das zu nehmen, was sie möchte.

Ich find mein Leben toll und es gibt doch nichts Schöneres, als den Jungs beizubringen, wie sie Männchen machen.

Die sechs Monate gehen schnell vorbei, leider zu schnell. Ich könnte noch ein halbes Jahr verlängern, aber meine Eltern wollen, dass ich nach Hause komme.

Mat ist auch schon traurig, er hat sich tatsächlich in mich verliebt. »Mensch, ist das einfach«, denke ich oft, aber irgendwie habe ich das Talent dazu, dass sich die Jungs in mich verlieben.

Maggie fragt mich auch eines Abends, als sie etwas betrunken von einem miesen Date nach Hause kommt, wie ich das so anstelle. Ich erzähle ihr, wie ich die Jungs um den Finger wickle, und drei Dosen Bier später (es war das erste Bier in meinem Leben) hat es Maggie verstanden. Sie geht auf ihr Profil der Dating-Website, und ich mache aus Maggie, der Lehrerin, eine Klassefrau, die jeder haben will – und es funktioniert. Maggie hat an dem Abend so viele Date-Anfragen wie im ganzen letzten Jahr.

Noch zwei Tage, dann geht es zurück nach Deutschland. Zu Lana habe ich keinen Kontakt gehabt und Mama erzählte am Telefon, dass es Lana nicht so gut geht und sie mit Papa überlegt, ein Internat für Lana zu suchen.

Und damit mir der Abschied nicht so schwerfällt, schickt mir Eddie auch noch einen Brief, indem er irgendein wirres Zeug über Düsseldorf und unser erstes Treffen schreibt. Ich bleibe dabei, er ist süß und auch irgendwie mein Typ, aber echt irre.

Schade eigentlich, mit Eddie hätte ich bestimmt viel Spaß gehabt.

Kapitel 9

Lana

Lana, kommst du runter, das Frühstück ist fertig.«

»Ja, ich komme sofort!«

Was war das wieder für eine Nacht. Schon wieder dieser Traum und ich kann damit überhaupt nicht umgehen. Warum ich? Warum ich? Frage ich mich jeden Montagmorgen. Ich möchte diesen Traum nicht mehr haben, ich möchte doch nur ein ganz normales Mädchen sein. Das Schlimmste für mich ist, dass ich niemandem davon erzählen kann, denn alle würden mich für verrückt erklären und mein Leben würde noch schlimmer werden. Vielleicht sollte ich einfach weggehen von zu Hause, nur dann hören die Träume auch nicht auf. Meine Lage ist aussichtslos und ich muss irgendwie versuchen, mit diesen Träumen zu leben.

Eine Woche später:

Es ist schon wieder passiert. Tim, Paul, Marie und ich schwimmen im Wasser und Eddie traut sich nicht zu springen. Warum immer wieder dieser Traum? Warum träume ich so etwas? Und gibt es meine Freunde im Traum wirklich? Träumen sie auch jeden Sonntag immer wieder den gleichen Traum?

Wenn dem so ist, wo sind denn meine Freunde? Wie kann ich sie denn finden?

»Lana, kommst du? Du musst zur Schule!«

»Ja, ich komme sofort.«

Und wieder beginnt eine Woche ohne diesen Traum. Das ist das Schönste an einem Montag: eine Woche traumfrei.

Kapitel 10

Eddie

In diesem Schuljahr soll alles besser werden, habe ich mir geschworen, doch meine Vorsätze halten gerade Mal zwei Tage. Dann geschieht etwas Merkwürdiges: Es kommt ein neuer Schüler in unsere Klasse. Er stellt sich als Mat aus New Orleans vor. Seine Eltern haben einen neuen Job im örtlichen State Hospital gefunden.

Nach zwei Tagen Eingewöhnungszeit verändert sich Mat plötzlich und verhält sich wie mein bester Freund. Wo ich bin, ist er auch.

Mat versucht erfolglos, ins Footballteam zu kommen, aber er ist völlig untalentiert.

Was stimmt nicht mit ihm? Alle machen sich über ihn lustig, weil er sich mir gegenüber so verhält, wie ich es bei Emily tat. Hatte er etwa auch so einen verrückten Traum? Bin ich etwa nicht allein?

Ich fange wieder an über meinen Traum und Emily zu grübeln und vernachlässige die Schule und das Footballteam komplett.

Meine Schulnoten gehen steil bergab, meine Mitschüler grenzen mich komplett aus und mit meinem Vater habe ich täglich Streit. Und zu allem Übel hört Mat nicht auf, sich wie mein bester Freund zu verhalten.

Soll ich Mat konfrontieren und von meinem Traum erzählen, in der Hoffnung, er macht das Gleiche durch? Wenn er diese Träume aber nicht hat, dann bin ich der vollkommene Idiot auf der Schule.

Was soll ich tun?

Die Entscheidung wird mir nach vier langen Monaten von meinen Eltern abgenommen.

Mein Dad nimmt das Angebot als Schulleiter an einer neuen Schule an und wir ziehen weg. Mein Vater sagt mir im Streit, dass er nur wegen mir das Angebot angenommen hat, da er es mit seinen Kollegen nicht mehr aushalten kann: Ständig diese Sticheleien, was für ein Freak sein Sohn geworden sei.

Die neue Schule ist drei Autostunden entfernt, und die neue Highschool hatte sich bemüht, es uns so angenehm wie möglich zu machen. Ganz in der Nähe von Miami Beach haben wir ein Haus zur Verfügung gestellt bekommen, sogar mit einem kleinen Pool für Brin – eigentlich läuft alles gut.

Auf der Gump-Highschool geht es relaxed zu. Es ist eine große Highschool mit einem tollen Campus und tollen Bereichen zum Entspannen und Chillen. Die Highschool legt sehr viel Wert auf das Sportangebot und es gibt Angebote für Golf, Fußball, Volleyball und Football. Das Footballteam ist besser als mein altes, aber der Quarterback ist lange nicht so gut wie ich. Ich bin schon nach einer Woche der neue Star-Quarterback und habe mich gut integriert.

Nach ein paar weiteren Wochen kann ich erste Freundschaften schließen und lasse mein altes Leben in Sarasota komplett zurück. Keine Nachrichten, keine Anrufe und ich verhalte mich so, als hätte es Sarasota nie gegeben.

In meiner Klasse fällt mir nach einiger Zeit ein Mädchen auf, ihr Name ist Alicia. Sie ist die Tochter meines Football-Physiotherapeuten. Sie ist süß, wir haben alle Kurse zusammen und verstehen uns super. Wir hängen zusammen ab und haben auch erste gemeinsame Dates.

Es ist einfach perfekt, um ehrlich zu sein, zu perfekt. Ich habe das Gefühl, irgendetwas stimmt nicht.

Nach einiger Zeit fängt Alicia an, sich wie Mat zu verhalten und wird sehr anhänglich. Ich habe die Wahnvorstellung, dass sie bestimmt auch so einen Traum wie ich hat und beginne langsam an ihrer Zuneigung zu zweifeln. Ich tue ihr vielleicht Unrecht, aber ich kann nichts anders. Ich möchte nicht noch einmal das Ganze durchleben müssen. Ich beginne langsam, mich von ihr zu entfernen und weise sie immer mehr zurück, obwohl sie perfekt für mich ist. Ohne meine Träume hätte es die Frau meines Lebens werden können. Aber aus lauter Angst tue ich das, was ich für das Beste halte, und breche ihr das Herz.

Alicia versteht die Welt nicht mehr, sie ist so unendlich traurig, als ich mit ihr Schluss mache, dass sie sich sehr lange nicht davon erholt und erst Jahre später ihren ersten festen Freund hat.

Kapitel 11

Emily

Als ich aus Sarasota zurückkomme, warten meine Eltern und Lana am Düsseldorfer Flughafen auf mich.

»Lana, toll, dass du mich abholst, das freut mich sehr!«

Lana lächelt mich an und drückt mich so sehr, dass ich kaum noch Luft bekomme.

»Emily, ich habe dich so sehr vermisst!«, schluchzt Lana. »Ich möchte, dass du immer bei mir bleibst.«

Das rührt mich so sehr, dass ich auch anfange zu weinen, und dann weinen wir alle Vier, alle irgendwie vor Glück.

Als wir uns ein wenig beruhigt haben, nimmt mich Lana in den Arm und sagt: »Du musst mir alles erzählen, und vor allem von den Jungs!«

So vergnügt habe ich meine Schwester schon lange nicht mehr gesehen.

Ich erzähle ihr alles am späten Abend in meinem Zimmer, das mit Willkommens-Ballons geschmückt ist. Ich erzähle von Mat, vom verrückten Eddie und von Maggie, die mir das Bier-Trinken beigebracht hat.

Ich genieße die nächsten Tage mit meiner Schwester und freue mich schon wieder auf die Schule. Das wird ein Spaß, denke ich, wenn sich alle für mich interessieren und ich stolz von meinem Abenteuer erzählen kann.

Das meine Freude nur kurz währt, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Denn meine Eltern haben mir nicht den Grund von Lanas guter Laune verraten. Lana wird in fünf Tagen auf ein Internat nach Hamburg gehen und wir werden uns nur noch in den Ferien sehen.

Für Lana ist es wohl eine sehr große Befreiung von uns entfernt zu sein. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ihre Laune immer besser wird, je näher der Abschied heranrückt. Meine Stimmung wird dagegen eher trauriger, ich hätte gerne wieder mehr Zeit mit meiner Schwester verbracht.

Als der Tag des Abschieds gekommen ist, gehe ich noch mal mit Lana spazieren. Es ist kalt geworden in Düsseldorf. Wir haben mittlerweile Oktober, und Lana und ich haben unsere Winterjacken aus dem Keller geholt und sitzen auf einer Bank in unserem Park, indem wir immer gespielt haben.

»Emily«, sagt Lana mit ernster Stimme, »ich muss dir etwas erzählen.«

Sie erzählt mir, dass es einen Grund gibt, warum sie sich so verändert hat und dass sie unbedingt aus Düsseldorf wegmuss.

»Es ist nichts schlimmes, Emily, wirklich nicht. Ich habe dir einen Brief geschrieben, und du musst mir versprechen, dass du den Brief nicht eher aufmachst, bis ich es dir sage. Versprichst du mir das, Emily? Versprichst du es?«

»Aber Lana, ich kann dir das nicht …«

»Stopp, Emily! Du musst es mir versprechen, sonst werden wir uns nie wieder sehen!«

Ich bekomme Angst. »Was ist denn mit dir, Lana, bist du krank?«

»Nein, aber du darfst den Brief nicht öffnen, bevor ich es dir sage. Schaffst du das?«

»Ja, ich schaffe das«, sage ich zu Lana. (Es wird viele Jahre dauern, bis ich diesen Brief öffnen darf, den Lana mir an diesem Tag gibt.

Kapitel 12

Lana

Endlich, ich bin frei! In zehn Minuten fährt mein Zug in den Hamburger Bahnhof ein und mein Abenteuer Internat kann beginnen. Es wurde auch Zeit, dass ich von meiner Familie Abstand bekomme. Es ist nicht so, dass ich meine Familie nicht liebe. Aber dieses Getuschel hinter meinem Rücken: »was ist denn nur mit Lana los? Warum hat sie sich denn so verändert und warum ist sie so introvertiert?« Das konnte ich einfach nicht mehr ertragen. Hier in Hamburg kann ich so sein, wie ich sein möchte und niemand wundert sich darüber. Ein größeres Geschenk konnten mir meine Eltern nicht machen, dass sie mir die Möglichkeit gaben auf ein Internat zu gehen. Gut, meine schulischen Leistungen sind auch wirklich gut und das war harte Arbeit, doch es hat sich gelohnt. Hoffentlich finde ich hier neue Freunde und kann ein neues Leben beginnen. Denn ich habe vor, nie wieder zurückzugehen. Doch davon erzähle ich meiner Familie nichts, sie würden es einfach nicht verstehen.

Da sind wir, Hamburg Hauptbahnhof. Was ist das bloß für ein großer Bahnhof, wo so viele Menschen von Bahnsteig zu Bahnsteig hetzen. Es sieht völlig unkoordiniert und chaotisch aus, aber beim näheren Hinsehen erkennt man, dass jede kleine Ameise ihren eigenen Weg auf einer vordefinierten Bahn abläuft.

Jetzt muss ich nur noch am Ausgang meine Tutorin finden und meine Reise in ein neues Leben beginnt.

Als ich gerade, bepackt mit meinem Koffer und meinem Aunts & Uncles Rucksack aus dem Zugabteil aussteige, sehe ich, dass meine Suche nach der Tutorin beendet ist.

Ich sehe eine junge schlanke Frau mit einem zu großen Schild in der Hand, auf dem mein Name steht.

Mein Gott, ist das peinlich, alle schauen zu mir herüber, als ob ich irgendein YouTube-Star wäre.

Ich laufe zu der jungen Frau und stelle mich als Lana vor. Sie wirkt auf mich sehr freundlich und hilfsbereit. Martha ist eine Angestellte des Internats und kümmert sich um die Neuankömmlinge. Als wir im Parkhaus sind und vor ihrem Auto stehen und dabei sind mein Gepäck einzuladen, weiß ich bereits alles von ihr.

Die Frau spricht ohne Punkt und Komma und kann einfach nicht aufhören zu erzählen. Ich dachte Emily ist hyperaktiv, aber in Martha hat selbst Emily ihre Meisterin gefunden. Martha ist 25 Jahre alt, Single und lebt in einer Dachgeschosswohnung in der Nähe des Internats.

Während der 20-minütigen Autofahrt kenne ich alle Lebensläufe der Lehrerinnen und Lehrer und alle Regeln des Internats, wie gemeinsames Frühstück um 7.30 Uhr, gemeinsames Abendessen um 19.00 Uhr und Licht aus um 22.00 Uhr. Keine nächtlichen Besuche der Jungenzimmer, kein Alkohol und keine Zigaretten innerhalb des Internatsgeländes.

Willkommen beim Militär, denke ich mir, aber das ist genau das Richtige für mich. Ich möchte mich einfach auf die Schule konzentrieren und ein sehr gutes Abitur machen. Wenn ich dazu noch eine Freundin finde, wäre das perfekt.

Aber von meinen Träumen werde ich niemandem erzählen, das steht für mich fest.

Kapitel 13

Emily

Von Lana hören wir nur noch sporadisch. Sie telefoniert hin und wieder mit Mama und Papa, mir schickt sie ab und zu mal eine Whatsapp-Nachricht, aber das war’s auch schon; sie tut so, als wären wir nicht mehr ihre Familie, sondern nur noch irgendwelche Bekannte. In den Ferien hat sie auch immer wieder neue Ausreden, warum sie nicht nach Hause kommen kann.

Ich muss mich damit abfinden, dass ich meine Schwester verloren habe. Also versuche ich, mein Leben noch extravaganter zu leben, als ich es bisher getan habe. Mittlerweile bin ich 18 Jahre alt und habe mir mein erstes Tattoo stechen lassen und niemand hat mir gesagt, dass es so weh tun würde. Aber ich bin stolz auf das Ergebnis. In meinen Leisten habe ich mir jeweils einen Delphin tätowieren lassen und die Überraschung meiner wechselnden Partner ist jedes Mal riesengroß, wenn sie mich nackt sehen. Apropos Partner: Ich habe mich wohl zu einem One-Night-Stand-Girl entwickelt- und es gefällt mir. Wenn ich jemanden sehe, nehme ich ihn mit und es stört mich kein bisschen, morgens schnell und unerkannt aus den Wohnungen der Männer zu verschwinden. Echte Liebe habe ich noch nie empfunden.

Ich habe jetzt nach dem bestandenen Abitur keine Vorstellung, was ich machen möchte. Ganz im Gegensatz zu Lana, die uns schreibt, dass sie das Abitur mit 1,0 bestanden hat und jetzt in Mailand Mode studieren will.

Aus Langeweile und weil ich überhaupt nicht weiß, was ich will, fange ich auch an zu studieren. Und das ziemlich lustlos und wenig erfolgreich. Zwei Semester BWL, dann zwei Semester Pädagogik, dann vier Semester Englisch.

Jetzt bin ich 22 Jahre alt und aus dem einst coolen Mädchen ist eine coole Frau geworden – allerdings ohne Studienabschluss und Job.

Ich wohne immer noch bei meinen Eltern und habe Lanas Zimmer zum Ankleidezimmer umdekoriert.

Es ist Montagnachmittag, als mein Vater in mein Zimmer kommt und sagt, er hätte einen Job für mich: Peter, sein bester Freund, arbeitet bei der Bank of New York, bzw. in deren Niederlassung in Düsseldorf und da braucht man mich.

»Mich braucht man, Papa, bei der Bank of New York? Mit wem muss ich dafür schlafen?«, lache ich laut los. Mein Vater versteht den Scherz nicht und schaut mich etwas ungläubig an.

»Sie suchen eine junge Frau, die ungebunden ist und die die englische Sprache beherrscht. Du musst öfter nach New York fliegen«, meint mein Vater.

Es könnte mich schlimmer treffen, denke ich und sage meinem Vater, dass ich mich bei Peter melden würde.

»Das brauchst du nicht, Peter sitzt im Wohnzimmer.« Mein Vater grinst, er hat mich reingelegt.

Peter ist Papas bester Freund und ein sehr lieber Mensch. Er ist schon 20 Jahre mit Anna verheiratet, aber kinderlos geblieben.

»Emily, was meinst du, wäre das etwas für dich?« Ich überlege nicht lange.

»Klar, Peter, ich nehme den Job!« Wie kann man zu einem Diensthandy, einer BahnCard, € 2.500,00 netto und Firmenflügen nach New York schon nein sagen?

Kaum zu glauben: Ich habe tatsächlich einen Job, einen richtig coolen, und zehn Tage später stellt mich Peter den Kolleginnen und Kollegen vor. Erst da begreife ich, dass ich Peters Assistentin geworden bin, ich bin also schon wieder reingelegt worden. Aber es gibt schlechtere Jobs mit 22 Jahren und ohne Ausbildung.

Der Job gefällt mir.

Ich habe zwar in den ersten Wochen meine Schwierigkeiten mit meinem Arbeitsbeginn um 8.00 Uhr und komme einige Male zu spät, aber jetzt habe ich es geschafft, ich bin immer gegen 7.55 Uhr im Büro. Auch nervt mich der Dresscode ein wenig:

Pumps und ein schwarzes Kostüm stehen nur Hollywood-Schauspielerinnen und nicht mir. Obwohl ich fast Modelmaße habe mit 85-60-85, finde ich die weißen Blusen, die Röcke und Pumps irgendwie voll 90iger.

Meine Kolleginnen empfangen mich immer noch mit etwas Argwohn, da den Job scheinbar viele im Büro haben wollten und jetzt neidisch auf mich sind. Aber zumindest lästern sie nur hinter meinem Rücken, und mich stört es überhaupt nicht.

Jetzt sitze ich also hier, in einem weißen lichtdurchfluteten Büro mit Blick auf den Rhein – einfach toll! Peter ist sehr nett zu mir, er hilft mir bei allem und ist sehr geduldig bei den Erklärungen. Ich freue mich auch schon auf meinen ersten Flug nach New York. Was die Jungs so angeht: leider Fehlanzeige. Die, die da sind, sind fast alle erst Mitte Zwanzig und Nerds. Alle wollen Peter gefallen, arbeiten 16 Stunden und hoffen, schnell Karriere zu machen. Das ist so gar nicht meine Welt.

Aber wer mir gefällt, ist Charles. Er ist schon 32, geschieden und hat zwei Kinder. Er ist auch so ein Nerd, denn er ist schon Senior Partner und hat die 16 Stunden Schichten wohl mit Auszeichnung gemeistert. Niemand ist so schnell Senior Partner geworden. Er sieht gut aus und hat braune Haare, ist 180 cm groß und nebenbei ein Supersportler. Er läuft Marathon, spielt Volleyball und fährt Motorradrennen. Alles in allem wäre er eine Sünde wert.

Ab und zu treffen wir uns an dem Kaffeeautomaten, denn er holt sich seinen Kaffee immer selbst, im Gegensatz zu Peter, der jeden Morgen um 10.00 Uhr seinen Kaffee von mir gebracht haben möchte. Eine von Peters Marotten, neben der, dass ich ihm täglich um 15.00 Uhr ein Stück Apfeltorte bei Heinemann, zehn Minuten vom Büro entfernt, kaufen muss.

Und so vergehen die ersten zehn Monate meines Arbeitsalltags mit Kaffee- und Torte-Holen, hier und da mal einen Flug buchen und Papierkram. In den letzten Tagen fiel mir allerdings auf, dass Charles immer häufiger bei Peter ist. Was haben die beiden wohl zu besprechen? Und immer, wenn Charles vorbeikommt, bleibt er kurz bei mir stehen und wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Er gefällt mir, aber ich halte mich mal lieber etwas zurück.

In der nächsten Woche hat Peter Urlaub und Charles vertritt ihn. Charles hat mich gebeten, ihm einige Unterlagen zu bringen.

Also laufe ich, es ist Freitagnachmittag und das Wochenende steht vor der Tür, um 15.00 Uhr zu Charles und bringe ihm die Unterlagen. Er sieht auch heute wieder gut aus in seinem dunkelgrauen Anzug, dem weißen Hemd mit den Manschettenknöpfen und seinen Budapestern.

»Danke, Emily, für die Unterlagen. Können wir darüber heute Abend im Gloria sprechen?«

Ich erschrecke, denn das Gloria ist das angesagteste Restaurant in Düsseldorf. Ist das tatsächlich jetzt ein Date? Ich kann mich nicht zurückhalten.

»Charles, ist das eine Einladung zu einem Date?«

»Natürlich!« Charles lacht. »Was denn sonst? Meinst du, ich will im Restaurant mit dir über die Arbeit sprechen?«

»Okay. Wann soll ich denn dort sein?«

»Der Tisch ist für 20.00 Uhr reserviert. Soll ich dich abholen?«

»Besser nicht, mein Vater bekommt sonst einen Herzinfarkt!«, und wir beide lachen lauthals.

Es ist 15.30 Uhr, als ich zurück in meinem Büro bin. Irgendwie schwebe ich auf einer Wolke, so süß finde ich die Einladung. Ich packe im Büro schnell alles zusammen, sage kurz Mia, meiner Kollegin Bescheid, dass ich etwas früher gehe und fahre direkt zur Düsseldorfer Kö, wie die Prachteinkaufstrasse in Düsseldorf genannt wird. Ich brauche ein Kleid, Schuhe und noch irgendwie einen Friseurtermin. Ich entscheide mich für das kleine Schwarze und dazu schwarze Ballerinas. Da ich keinen Friseurtermin mehr bekomme, muss ein Pferdeschwanz reichen.

Später fahre ich mit dem Taxi zum Restaurant und bin natürlich etwas zu spät. Charles wartet schon auf mich, und als ich ihn sehe, denke ich nur: Na toll!

»Du siehst toll aus, Emily! Etwas overdressed, aber toll!« Und Charles, der auf mich zu kommt in Jeans, Sneaker und einem Polohemd von Stone Island, nimmt mich in den Arm und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich erröte und das Erste, was ich sage, ist: »Ich hatte nichts anderes zum Anziehen« – und muss über mich selbst lachen. Das Eis ist schon einmal gebrochen.

Wir haben einen wunderschönen Abend, trinken einen Rotwein aus Italien, der Cepparello heißt, essen Trüffelnudeln und anschließend noch ein Semifreddo, dazu einen Vin Santo. Einfach fantastisch!

Charles fragt mich nach dem Essen, ob er mich nach Hause fahren darf, oder ob wir vorher noch zu ihm fahren sollen. Er habe noch einen großartigen Rotwein offen, den ich probieren muss. Natürlich sage ich zu, denn die Chance möchte ich mir nicht entgehen lassen.

Der angekündigte Rotwein ist tatsächlich großartig, ein Barolo von Gaja. Charles spricht so ehrfürchtig von dem Wein, dass ich ihn für ein bisschen seltsam halte.

Der Abend mit der Musik von José González und den Parlotones ist sehr romantisch, und als ich meinen letzten Schluck aus dem Glas nehme, stelle ich das Glas ab, beuge mich zu ihm rüber und küsse ihn so leidenschaftlich wie ich kann. Charles ist nicht überrascht und küsst mich ebenfalls so leidenschaftlich, dass wir nicht lange brauchen, um nackt in seinem Bett zu landen. Ich mache meinem Namen als One-Night-Stand-Emily mal wieder alle Ehre.

(So ist zumindest mein Plan, aber es soll anders kommen …).