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Kann man die sogenannten Reichsbürger einfach als Spinner abtun, die nicht wissen, dass die bestehende freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik unumkehrbar ist? Kann man sie als verwirrt bezeichnen, weil sie ihrer abstrusen Fantasy nachhängen? Nein, das kann man nicht, denn dazu sind sie viel zu extrem und gefährlich geworden. Man kann und sollte sie spüren lassen, dass die geballte Kraft des Rechtstaates zuschlagen kann und muss. Man hat es nicht mir Verwirrten zu tun, sondern teilweise auch mit Mördern und Hochverrätern und das gibt zu denken. Diejenigen, die an Verschwörer Mythen glauben und verbreiten, sind eben keine verschwindend kleine Randgruppe mehr, es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft und mutmaßlich zu allen entschlossen sind, entschlossen vor allem, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Und auch wenn diese Erkenntnis erst einmal Angst macht, ist sie vor allem ein Auftrag, nämlich zu schützen, was uns oft selbstverständlich erscheint: Die Demokratie in diesem Land.
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Seitenzahl: 132
Walter Brendel
Die Verwirrten
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
Was sind eigentlich Reichsbürger und was haben sie für eine Bewegung? Reichsbürger steht für einen oder die Angehörigen des Deutschen Reichs nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 und einen mit vollen politischen Rechten ausgestatteten deutschen Staatsbürger in der NS-Zeit sowie einen oder die Anhänger der Reichsbürgerbewegung, welche verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachgeht.
Der Begriff Reichsdeutsche war die zeitgenössische, umgangssprachliche Bezeichnung der deutschen Bewohner des Deutschen Reiches von 1871 bis 1945. Dieser Begriff kam mit der Reichsgründung 1871 in Gebrauch, als sich die Mehrheit der deutschen Fürstenstaaten, die etwa zwei Drittel des damaligen deutschen Sprachgebietes umfassten, zusammengeschlossen hatte. Angelegenheiten, die die Bewohner betrafen, wurden mit dem Wort reichsdeutsch umschrieben, parallel zu jenen der weiterhin geltenden Staatsbezeichnungen Preußen, Bayern usw. Die im Reich wohnenden Deutschen blieben Staatsangehörige der einzelnen Bundesglieder wie etwa der Königreiche und Fürstentümer. Erst 1913 wurde ein gemeinsames Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht im Deutschen Reich geschaffen (und schließlich 1934 eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit eingeführt. Dieses wurde 1935 noch durch das Reichsbürgergesetz überlagert. Die nationalsozialistische Kategorie des „Reichsbürgers“ diente vor allem der Vorbereitung und Durchführung des Völkermordes an den Juden und wurde 1945 wieder eliminiert. Der Begriff „Reichsdeutsche“ wurde insbesondere von der deutschsprachigen Bevölkerung verwendet, die nach der Reichsgründung 1871 die Staaten außerhalb des Reiches bewohnte, z. B. das Saargebiet 1920–1935, um so zwischen den Deutschen innerhalb und außerhalb des Reiches zu unterscheiden. Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 unterschieden zwischen Reichsbürgern und einfachen Staatsangehörigen. Nur Reichsbürger waren im Besitz voller politischer Rechte. Davon waren alle deutschen Staatsangehörigen jüdischer Herkunft ausgeschlossen. Der Begriff des deutschen Reichsbürgers war damit mit Antisemitismus verbunden. Erstmals findet sich der Begriff „Reichsbürger“ in seiner heutigen Verwendung bei dem RAF-Terroristen Horst Mahler, der Ende der 1980er Jahre die Reichsbürgerbewegung begründete.
Die Reichsbürgerbewegung ist ein Sammelbegriff für eine organisatorisch und ideologisch sehr heterogene Szene aus meist Einzelpersonen, seltener teilweise sektenartigen Klein- und Kleinstgruppen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat bestreiten sowie seine Repräsentanten und die gesamte deutsche Rechtsordnung fundamental ablehnen. Zu den von sogenannten Reichsbürgern vertretenen Ideologien gehören oft die Ablehnung der Demokratie, Ideologieelemente des Monarchismus, Rechtsextremismus, Geschichtsrevisionismus und teilweise Antisemitismus, Esoterik bzw. Rechtsesoterik oder die Leugnung des Holocausts. Sie t eilen eine Haltung der Ablehnung einer offenen und pluralistischen Gesellschaft und weigern sich, unter anderem Steuern und Bußgelder zu zahlen oder Gerichtsbeschlüsse und Verwaltungsentscheidungen zu befolgen. Dabei berufen sich „klassische“ Reichsbürger darauf, dass ihrer Meinung nach das Deutsche Reich statt der Bundesrepublik weiterhin fortbestehe, entsprechend ihrer Ideologie entweder in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs oder in denen von 1937. Dieses Deutsche Reich werde als Organisation durch eine „kommissarische Reichsregierung“ oder Ähnliches vertreten, deren Befugnisse die oft miteinander konkurrierenden Gruppen jeweils für sich beanspruchen.
Der Szene zugeordnet werden ebenso die in den 2010er Jahren vermehrt auftretenden sogenannten Selbstverwalter, die behaupten, durch einseitige Erklärungen aus der Bundesrepublik und ihrer Gesetzgebung austreten zu können. Dabei beziehen sie sich allerdings nicht unbedingt auf das Deutsche Reich. Die Innenbehörden bezeichnen daher Die „Reichsbürger“-Szene entstand in den 1980er Jahren und tritt seit 2010 verstärkt in Erscheinung, einzelne Akteure seit 2013 auch mit gewaltbereiter Militanz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnete dem Spektrum mehr als 20.000 Personen zu. Davon gelten etwa 1.000 Personen als Rechtsextremisten (Stand: 15. Juni 2021). Dies Behörde und die Landesbehörden für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt schätzten 2018, dass von 2015 bis Mitte 2017 über 10.500 Straftaten von „Reichsbürgern“ begangen wurden.
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Was bedeutet Gewaltbereitschaft? Der Begriff Gewaltbereitschaft beschreibt die Neigung einer Person, Gewalt anzuwenden. Der Mensch unterliegt dabei verschiedenen natürlichen Hemmschwellen, die die Gewaltbereitschaft einschränken. Diese können durch ethische Grundsätze, Erziehung, sozialem Umfeld u. Ä. geprägt werden und sind dem Menschen nicht immer bewusst. Es gibt verschiedene Ansätze, die erhöhte Bereitschaft zur Gewaltanwendung theoretisch zu begründen. Ein Erklärungsmuster entwickelt aggressive Verhaltensmuster aus der Evolution: Ohne aggressive Verhaltensmuster sei die Chance auf Überleben der Art verringert. Viele ältere Theorien, etwa Konrad Lorenz, halten Aggression auch beim Menschen für einen echten Instinkt. Andere ältere Theorien entwickeln Aggression aus der Frustration oder aus Lernprozessen. Auch Sigmund Freud geht von aggressiven Trieben als Grundbestandteil der menschlichen Psyche aus.
Neuere Forschungen untersuchen das komplexe Zusammenwirken verschiedener Einflüsse:
Ein häufiger Ansatz ist die Erklärung erhöhter Gewaltbereitschaft aus der familiären Situation. Gewaltbereite Jugendliche kämen häufig aus einem familiären Umfeld, in dem Gewalt an der Tagesordnung sei. Ein anderer Ansatz untersucht die Auswirkungen des kindlichen Gewaltkonsums durch Medien und Computerspiele.
Zur Bewertung der Wirkung medialer Gewalt auf die Gewaltbereitschaft gibt es verschiedene Ansätze. Die Katharsis-Hypothese legitimiert die Gewalt in Medien und Spielen als Möglichkeit, Gewaltpotentiale sozial unschädlich auszuleben und abzubauen. Die Imitations-These geht dagegen davon aus, dass Kinder Gewalt in Medien und Spielen in ihrem Alltag imitieren (etwa Albert Bandura und Jo Groebel, Direktor des Europäischen Medieninstituts in Düsseldorf). Ähnlich geht auch die Stimulations-Theorie davon aus, dass der Konsum gewaltdarstellender Filme und Spiele die reale Gewaltbereitschaft förderten. Die Inhibitions-Hypothese untersucht, ob das Beobachten medialer Gewalt bei den Kindern aggressive Impulse erzeugt und wie solche Impulse kontrolliert werden. Die Abstumpfungs-Hypothese, vertreten etwa von dem Bochumer Psychologen Rita Steckel und Clemens Trudewind, geht davon aus, dass der mediale Gewaltkonsum das Mitleid mit den Opfern senke und Hemmschwellen abbaue.
Bei der Diskussion um die Förderung der Gewaltbereitschaft durch Medien und PC-Spiele ist ein Aspekt die Debatte um die Unabhängigkeit medialer Forschung. Hier wird von Seiten der Forscher häufig unterstellt, dass die Medienproduzenten bewusst verhinderten, dass die deutlichen Zusammenhänge zwischen Formen jugendlicher Gewalt und medialer Gewaltdarstellung offengelegt würden. Als Beispiel werden in diesem Zusammenhang oft Amokläufe von Jugendlichen angeführt. Warum von Millionen Spielern solcher Spiele nur Einzelne gewalttätig werden, kann die Forschung bislang nicht erklären.
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Klären wir nun Fragen der Grundannahmen und Verschwörungstheorien dieser Bewegung. Verschwörungstheorien sind für die Ideologie der Reichsbürgerbewegung konstitutiv. Die Anhänger gehen üblicherweise davon aus, dass das Deutsche Reich fortbestehe, da die Weimarer Reichsverfassung von 1919 niemals abgeschafft wurde Die Bundesrepublik sei aber nicht mit dem Deutschen Reich als Staat identisch, sondern völker- und verfassungsrechtlich illegal und de jure nicht existent. Allein das Deutsche Reich als Organisation bestehe in rechtsgültiger Weise fort. Verschiedene Akteure der Szene vertreten die Auffassung, es habe eine Regierung in Gestalt einer meist von ihnen selbst gebildeten „kommissarischen Reichsregierung“, die zwar noch keine faktische Staatsgewalt innehabe, jedoch rechtsgültig die Regierungs- und Amtsgeschäfte für Deutschland ausführe. Gesetze, Gerichte und die erhobenen Steuern der Bundesrepublik seien dagegen unrechtmäßig.
Diese erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen gründen auf juristischen Diskussionen und politischen Interessenlagen, die sich aus der Besatzungszeit und der darauf folgenden deutschen Teilung ergaben. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht übernahmen zunächst die Alliierten gemeinsam die Regierungsgewalt über Deutschland. 1949 wurden dann sowohl das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als auch die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik verabschiedet. Beide jeweils mit dem Anspruch, allein „Deutschland“ zu repräsentieren und auch die Bürger des jeweils anderen Staates als Staatsbürger zu behandeln. Die Bundesrepublik ging dabei davon aus, dass sie das räumlich teilidentische weiterbestehende Deutsche Reich sei. Die Annahme einer völkerrechtlichen Identität der als westdeutscher Teilstaat errichteten Bundesrepublik Deutschland mit dem Reich schließt die gleichzeitige Annahme des Fortbestandes eines von der Bundesrepublik getrennten Völkerrechtssubjekts Deutsches Reich aus. Da die Existenz der DDR im Widerspruch zu diesem Weiterbestehen stand, erkannte die Bundesrepublik diese bis zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrages von 1972 nicht an. Die DDR verstand sich hingegen zwar anfangs ebenfalls als identisch mit dem Deutschen Reich, vertrat aber später die These von dessen Untergang und sah sich einzig als dessen Rechtsnachfolgerin. Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und der Wiedererlangung der vollen Souveränität ist das vereinte Deutschland – die vergrößerte Bundesrepublik – auch bezogen auf seine räumliche Ausdehnung völkerrechtlich vollidentisch mit dem Deutschen Reich. In der Literatur entwickelte Ansätze, wonach das Deutsche Reich mangels effektiver Staatsgewalt endgültig untergegangen und auf seinem Staatsgebiet ein neuer Staat entstanden sei, vermochten nicht zu überzeugen.
Eine der wichtigsten Argumentationsgrundlagen für diese Gruppierungen ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1973 (Az.: BVerfGE 36, 1 ff.) – wohlgemerkt lange vor der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für Gesamtdeutschland –, in der es in erster Linie um die Frage der Rechtmäßigkeit des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik (Westdeutschland) und der DDR ging. Im Rahmen dieser Entscheidung stellte das Gericht auch dar, welche völkerrechtlichen Probleme sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Teilung Deutschlands hinsichtlich des deutschen Staates („als Ganzes“) aufgetan hatten. Die für die Reichsideologen wichtigsten Sätze des Urteils lauten: „Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort (BVerfGE 2, 266 ; 3, 288 ; 5, 85 ; 6, 309 , besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. […] Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches […].“
„Reichsbürger“ verwickeln sich bei Verwendung dieses Arguments zudem in einen Selbstwiderspruch, soweit sie von der Rechtsgültigkeit des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ausgehen, da sie eigentlich dessen Legitimität als Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland ablehnen.
Eine weitere Argumentationslinie vieler „Reichsbürger“ ergibt sich aus der Aufhebung des Artikels 23 des Grundgesetzes von 1949 im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung. Der Artikel regelte den Geltungsbereich des Grundgesetzes vor dem Hintergrund der deutschen Teilung und ermöglichte den Beitritt anderer Teile Deutschlands zu diesem Wirkungsbereich. Der Artikel wurde nach Beschluss vom 12. September 1990 für obsolet befunden, da mit dem Beitritt der DDR die Einigung Deutschlands in seinen endgültigen Grenzen vollzogen werde. Mit Wirksamkeit des Beitritts am 3. Oktober 1990 wurde der Art. 23 GG in seiner alten Fassung aufgehoben. Manche „Reichsbürger“ beziehen sich dabei auf mündliche Äußerungen der Außenminister James Baker und Eduard Schewardnadse; diese hätten am 17. Juli 1990 bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen in Paris Artikel 23 außer Kraft gesetzt. Das habe ein generelles Erlöschen des Grundgesetzes zur Folge gehabt, da es seit diesem Tag über keinen definierten Geltungsbereich mehr verfüge. Ohne geltendes Grundgesetz sei Deutschland nicht mehr als souveräner Staat zu betrachten. Diese Argumentation übersieht zum einen, dass Wortbeiträge von Außenministern nicht die Verfassung eines Drittstaates außer Kraft setzen können. Zudem ist im Einigungsvertrag (Art. 3) klar der Geltungsbereich des Grundgesetzes definiert: „Mit dem Wirksamwerden des Beitritts tritt das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland […] in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es bisher nicht galt, […] in Kraft.“ Gleichzeitig wurden in Artikel 4 Nr. 1 des Vertrags die neue Präambel des Grundgesetzes und insbesondere dessen Geltung für Gesamtdeutschland festgelegt:
„Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk.“
Auch die Präambel stellt einen rechtlich wirksamen Gesetzesbestandteil dar, durch die Aufhebung des Art. 23 GG durch den Einigungsvertrag ergab sich also nie die Situation eines unklaren oder nicht bestehenden Wirkungsbereichs des Grundgesetzes. Davon abgesehen ist bereits die diesem Argument der Reichsanhänger zugrunde liegende Behauptung falsch, Gesetze ohne ausdrücklich genannten Geltungsbereich seien unwirksam: „In der Regel gelten Gesetze und Rechts-VOn für das ganze Gebiet der Körperschaft, deren Gesetzgeber oder Verordnungsgeber sie erlassen haben. Wird von dieser Regel eine Ausnahme gemacht, so muss das Gebiet, für das eine Sondervorschrift gesetzt wird, im Gesetz bezeichnet werden.“ (Deutsches Verwaltungsblatt) Schließlich ist nach gängiger Staatstheorie eine Verfassung oder ein Grundgesetz auch kein entscheidendes Kriterium für eine eventuelle Staatlichkeit.
Ein weiteres Argument einiger „Reichsbürger“ ist ihr Verweis auf den Wortlaut von Artikel 146 des Grundgesetzes, nach dem das Grundgesetz seine Gültigkeit verliert, wenn eine vom Volk beschlossene Verfassung in Kraft tritt. Die „Reichsbürger“ leiten aus den unterschiedlichen Begriffen „Verfassung“ und „Grundgesetz“ ab, dass Letzteres keine Staatsverfassung sei. Diese Interpretation ist falsch, der Parlamentarische Rat hatte ausdrücklich die Aufgabe, eine Verfassung zu erstellen, der Name „Grundgesetz“ war lediglich ein symbolisches politisches Zugeständnis an eine erhoffte baldige Wiedervereinigung, die durch den Erlass einer „Verfassung“ nicht getrübt werden sollte.
Verschiedene Reichsideologen behaupten zudem, das Grundgesetz habe keine direkte demokratische Legitimation, da es ohne Plebiszit auf Geheiß der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs verabschiedet wurde. Allerdings ist eine demokratische Legitimierung für eine Verfassung nicht notwendig. Zudem waren die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Delegierte der zuvor demokratisch gewählten deutschen Landtage. Ein neuerer Ansatz innerhalb der Szene ist, mittels unterschiedlichster Argumentationen zu behaupten, die Bundesrepublik wäre kein Staat, sondern eine privatrechtliche Organisation, aus der man austreten könnte bzw. welche keine hoheitlichen Befugnisse gegenüber den „Reichsbürgern“ habe.
Unter Bezugnahme auf die UN-Resolution A/RES/56/83 versuchen vor allem sogenannte „Selbstverwalter“, mithilfe einer überstaatlichen Rechtsnorm eine eigene staatliche Souveränität zu begründen, verkennen dabei allerdings den Inhalt dieser UN-Resolution. Der Wortlaut der Bestimmung, auf die sie sich beziehen, findet sich in Artikel 9 der Resolution: „Das Verhalten einer Person oder Personengruppe ist als Handlung eines Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten, wenn die Person oder Personengruppe im Falle der Abwesenheit oder des Ausfalls der staatlichen Stellen faktisch hoheitliche Befugnisse ausübt und die Umstände die Ausübung dieser Befugnisse erfordern.“
Bei dem Dokument handelt es sich jedoch um eine Resolution der Vollversammlung. Eine solche hat selbst für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen nur Empfehlungscharakter, d. h. sie ist rechtlich nicht bindend und gibt wegen der grundsätzlich fehlenden Rechtsverbindlichkeit keine Rechtsgrundlage. In ihrem Kern gewährt die UN-Resolution mitnichten das Recht zur Selbstverwaltung, sondern beschreibt die Verantwortlichkeit von Personen, die quasi-staatliche Macht in einem Gebiet ausüben, in dem es keine staatliche Autorität gibt. Mit ihrer Bezugnahme setzen die „Reichsbürger“ also voraus, dass die Bundesrepublik nicht (mehr) existiert bzw. keine legitime Regierung oder Verwaltung besitzt.
Darüber hinaus argumentieren „Reichsbürger“, die Bundesrepublik Deutschland existiere zwar, doch wäre sie kein Staat, sondern eine GmbH also ein Unternehmen, und ihre Bürger wären nur deren „Personal“, was schon das Vorhandensein eines Personalausweises beweise. Diese Verschwörungstheorie missachtet jedoch die Tatsache, dass der ‚Personalausweis‘ bereits im Reichsgesetzblatt aus dem Jahr 1916 in der Ausgabe Nr. 143, Gesetznr. 5291, S. 601–609, „Bekanntmachung, betreffend Ausführungsvorschriften zu der Pass Verordnung“ erwähnt wird, auf S. 603 wird der „Personalausweis als Pass Ersatz“ bezeichnet.