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Die etwas andere Weihnachtsgeschichte
Der bekannte Podcaster und YouTuber Maximilian Pollux hat sich mit seinem Kinderbuch "Die Zimtrevolution” einen großen Herzenswunsch erfüllt. Es ist ihm gelungen, ein fantasievolles Weihnachtsbuch zu schreiben, das Kindern ab 7 Jahren eine wichtige Botschaft mit auf den Weg gibt: Setz' Dich für andere ein!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
MAXIMILIAN POLLUX
EINE AUSSERGEWÖHNLICHE WEIHNACHTSGESCHICHTE
Illustrationen von Juli Waich
Für meine Mutter, die stärkste Frau, die ich kenne.Und für Cat, die mein Leben gerettet hat.Ohne euch gäbe es dieses Buch nicht.Ich liebe euch.
Maximilian Pollux wurde u. a. wegen Raubüberfällen auf Drogenhändler zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die Zeit im Gefängnis nutzte er, um zu reflektieren und an sich zu arbeiten – und um dieses Kinderbuch zu schreiben. Heute engagiert sich Pollux als systemischer Anti-Gewalt-Trainer und arbeitet mit Jugendlichen in Schulen und Jugendhäusern, aber auch in Gefängnissen. In Podcasts und auf seinem YouTube-Kanal spricht er ohne Zurückhaltung über seine kriminelle Vergangenheit.
Kapitel 1Das Geheimnis
Kapitel 2Der Schatz
Kapitel 3In der Höhle des Löwen
Kapitel 4Auf dem Dach
Kapitel 5Verbündete
Kapitel 6Im Lager
Kapitel 7Zwickenpflugs Höllenmaschine
Kapitel 8„Ich bin der Weihnachtsmann!“
Kapitel 9Sturm auf Eingang Z
Kapitel 10Die Zimtrevolution beginnt
Kapitel 11Zwickenpflugs Rache
Kapitel 12Rosa Weihnacht
Der Schnee knirschte leise, als sie sich vorsichtig ein Stück nach vorne schob. Von ihrem verstecktem Platz aus konnte Lea alles ganz genau sehen. Sie hatte die komplette Bühne im Blick. Die Tannenbäume im Hintergrund, die riesigen rotweißen Zuckerstangen, die an den Seiten aufgestellt waren, und vor allem den Ledersessel, der genau in der Mitte stand. In wenigen Minuten musste es so weit sein.
Leas Beobachtungspunkt lag etwa 15 Meter von der Bühne entfernt auf dem Dach eines Glühweinstandes. Als der Besitzer des Standes für einen Moment lang abgelenkt gewesen war, war sie über die Wassertonne aufs Dach geklettert.
Lea war außerordentlich geschickt und alle in der Schule wussten, es gab kein Hindernis, das sie nicht überwinden konnte. Gut, einmal war sie, beim Versuch, den hohen Apfelbaum im Schulhof zu bezwingen, abgestürzt. Die Bruchlandung war furchtbar gewesen, denn Lea war nicht nur genau auf ihrem Hintern gelandet, es hatten auch noch alle gesehen.
Anstatt sich jetzt jedoch zu schämen, klopfte sich Lea den Staub von der Hose und lachte. Der Apfelbaum und sie blieben vorerst Rivalen, aber Lea nahm sich vor, ihn im nächsten Jahr, wenn sie ein paar Zentimeter gewachsen wäre, zu bezwingen.
Auf den Glühweinstand hinaufzukommen, war hingegen kein Problem gewesen. Den Platz hatte Lea sorgfältig ausgewählt. Auf dem ganzen Weihnachtsmarkt gab es keinen Stand, von dem aus man die Bühne besser beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Lea war aufgeregt. Seit über einer Woche beschäftigte sie sich jetzt schon mit diesem ganz bestimmten Thema und heute würde sich hoffentlich alles klären.
Es hatte damit begonnen, dass Ole, einer der besten Schüler der Klasse, damit geprahlt hatte, alle seine Weihnachtsgeschenke bereits gesehen zu haben. Zwar waren sie eingepackt gewesen, doch er behauptete, er habe das Geschenkpapier vorsichtig geöffnet und darunter genau die Spiderman-Actionfigur entdeckt, die er sich zu Weihnachten wünschte. Deshalb wusste er, dass es sich um seine Geschenke handelte.
Der springende Punkt jedoch war, WO Ole dieses Geschenk gesehen hatte.
Nämlich im Schlafzimmer seiner Eltern! Diese waren nicht zu Hause gewesen, und als er und sein Bruder verstecken spielten, hatte Ole zufällig den Haufen Geschenke entdeckt. Verborgen im Schrank seiner Eltern. Diese Nachricht schlug in der Klasse ein wie eine Bombe. Es gab wohl kein Kind, das an diesem Tag nicht das Schlafzimmer seiner Eltern auf den Kopf stellte. Auch Lea wagte sich in das Zimmer ihrer Mutter, als diese abends unter der Dusche stand. Leas Vater war kurz nach ihrer Geburt gestorben, und sie und ihre Mutter bewohnten die kleine Wohnung zu zweit.
Schnell, aber gründlich suchte Lea nach Hinweisen auf die Geschenke. Dabei plagte sie ihr schlechtes Gewissen. Ihrer Mutter würde diese Suche ganz sicher nicht gefallen, aber Leas Neugier war einfach zu groß. Sie nahm sich vor, die nächsten Tage ganz besonders brav zu sein, um diesen kleinen Vertrauensbruch wiedergutzumachen. Mit einem Ohr auf die Dusche achtend, durchsuchte sie das Schlafzimmer.
Nichts!
Enttäuscht musste Lea feststellen, dass ihre Geschenke hier nicht zu finden waren. Obwohl sie den Rest der Dreizimmerwohnung in- und auswendig kannte, suchte sie auch hier in allen möglichen Verstecken.
Nichts!
Der Keller!, fiel ihr ein. Mit der Erklärung, sie müsse noch schnell einen Sticker auf ihr Fahrrad kleben, verließ Lea die Wohnung und rannte in den Keller hinab. Die Antwort ihrer Mutter, die gerade ihr Haar föhnte, hörte sie bereits nicht mehr. Oft war ihr der Keller gruselig vorgekommen, aber heute hatte sie keine Zeit für Furcht. Entschlossen öffnete sie das kleine Vorhängeschloss und die Tür aus Holzlatten glitt quietschend auf. Mit fliegenden Fingern durchstöberte sie jeden Karton und schaute hinter jedes Brett.
Nichts!
Verschwitzt und mit Staubflusen im Haar verließ Lea den Keller. Sie nahm sich vor, Ole am nächsten Tag genauer auszuquetschen. Vielleicht hatte er gelogen. Er war schon öfter wegen kleinerer Flunkereien aufgefallen. Den ganzen Weg zurück in den dritten Stock, wo sie mit ihrer Mutter lebte, schämte sich Lea für das Durchstöbern der Wohnung. Und es war auch noch völlig umsonst gewesen. Sie zog die Nase kraus und nahm sich vor, so etwas nicht mehr zu tun.
Als sie jedoch am nächsten Morgen in die Schule kam, wurde ihre Verwirrung nur noch größer. Drei weitere Kinder, Louise, Hanna und Joshua, hatten ebenfalls ihre Geschenke entdeckt. Joshua im Keller, die anderen beiden auch im Schlafzimmer. Alle anderen Kinder hatten keine Spur ihrer Geschenke gefunden. Das Ganze wurde immer seltsamer.
Wieso waren die Geschenke bereits vor Heiligabend im Haus? Woher kamen sie und was war mit den Kindern, die keine Geschenke zu Hause gefunden hatten?
Es gab eigentlich nur einen, der die Antworten auf all diese Fragen kennen konnte, und auf genau den wartete Lea nun auf dem Dach des Glühweinstandes. Sie wusste leider noch nicht, wie sie ihm ihre Fragen stellen würde, ohne zugeben zu müssen, dass sie das Zimmer ihrer Mutter durchwühlt hatte. Denn was würde der Weihnachtsmann davon halten? Wohl eher nichts. Und sie wollte ihre Aussicht auf Geschenke auf keinen Fall ganz verspielen. Deswegen hatte sie vor, erst einmal zu beobachten, und dann im geeigneten Moment … würde ihr schon etwas einfallen.
Während sie so auf dem Bauch liegend nachdachte, kam plötzlich Bewegung in die Menge, die sich vor der Bühne versammelt hatte. Die Kinder im Publikum reckten die Hälse und tatsächlich raschelte es zwischen den Tannenbäumen hinter der Bühne und der Weihnachtsmann trat hervor. Er trug einen rot-weißen Mantel. Der lange weiße Bart wehte im Wind und mit Mühe zog er einen riesigen, schweren Leinensack hinter sich her. Ein ehrfürchtiges Staunen ging durch die Menge und die Augen der umstehenden Kinder glänzten. Langsam nahm die majestätische Gestalt auf ihrem Ledersessel Platz.
Lea kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Jetzt brauchte sie nur noch eine gute Idee, wie sie dem Weihnachtsmann ihre Fragen stellen konnte.
Mitten auf dem Tisch stand ein kleines, in silbern glänzendes Papier eingewickeltes Päckchen. An dessen Oberseite war eine rote Schleife befestigt. Sie gab dem kleinen Paket ein feierliches Aussehen und machte klar, dass es sich dabei um ein Geschenk handelte.
Alle Kinder, und wohl auch die meisten Erwachsenen, hätten an diesem Anblick ihre Freude gehabt. Doch wie gesagt, wohl nur die meisten Erwachsenen. Der Erwachsene, der im Moment auf das Päckchen auf seinem Schreibtisch starrte, gehörte nicht zu ihnen. Sein Name war Siegbert Zwickenpflug und er war der oberste Steuerbeamte in der Hauptstadt.
Düster blickte er das Päckchen über den Rand seiner runden, schwarzen Brille hinweg an.
„Schon wieder!“, knurrte er gerade. „Mit mir kann man es ja machen. Tja, falsch gedacht! Dieses Jahr werde ich das Ganze zu verhindern wissen!“ Siegbert Zwickenpflug schnaubte.
Mit der flachen Hand schlug er auf den Tisch, um dem Päckchen zu zeigen, wie ernst er es meinte. Während seines Wutausbruchs zitterte nicht nur sein dünner Schnurrbart, auch sein Toupet verrutschte, sodass man seine Glatze sehen konnte. Sie glänzte mit dem Päckchen um die Wette. Nervös rückte Zwickenpflug sein Toupet wieder zurecht. Dabei blickte er sich verstohlen um. Zum Glück hatte niemand etwas gesehen. Das war nicht wirklich eine Überraschung, schließlich war er ja ganz allein in seinem Büro. Nur er und das kleine, silberne Paket.
Heute war der 23. Dezember und morgen würde unter jedem Weihnachtsbaum ein solches oder ähnliches Geschenk liegen. Ein Gedanke, der ihm Übelkeit verursachte. Ihm wurde so heiß, dass er seinen geliebten Pullunder auszog.
„Ich werde persönlich dafür sorgen, dass es dieses Jahr anders kommt“, brummte er fest entschlossen, während er seine Brille, die ihm fast von der Nase gerutscht wäre, wieder zurückschob. Siegbert Zwickenpflug war wahrscheinlich (ganz sicher!) nicht der netteste Mensch auf dem Planeten. Er hielt ganz offensichtlich nichts von Geschenken. Süßigkeiten drehten ihm den Magen um und mit Musik konnte man ihn jagen. Tiere mochte er nur gebraten und wenn es etwas gab, was er wirklich verabscheute, dann waren das Kinder.
Einen Sympathiepreis würde er wohl nie gewinnen und Freunde wollte er keine. In einer Sache war Siegbert Zwickenpflug jedoch hervorragend – und zwar im Rechnen. Schon als Kind, obwohl er selbst sicher abstreiten würde, je ein Kind gewesen zu sein, war er gut in Mathe gewesen. Er schrieb nur Einsen und gewann sogar den Schulwettbewerb im Kopfrechnen.
Manche behaupteten, Zwickenpflug hatte nur so gut rechnen gelernt, weil er unglaublich geizig war. Das war natürlich nur ein Gerücht und keine Menschenseele wusste Genaueres. Sicher hingegen war, dass seine Fähigkeit, alles bis ins letzte Krümelchen genau auszurechnen, ihm in seinem jetzigen Beruf von großem Nutzen war.
Zwickenpflug arbeitete im Finanzamt. Dort wurden alle Steuergelder eines Landes verwaltet.
Seit er als Kind in der Schule von diesen sogenannten Steuern gehört hatte, wollte er im Finanzamt arbeiten.
Der Lehrer hatte erklärt, dass jede Bürgerin und jeder Bürger eine Zwangsabgabe namens Steuer entrichten musste. Diese Steuergelder bildeten die Haupteinnahmequelle des Staates.
Wer berechnete denn so etwas Wundervolles, hatte sich der kleine Zwickenpflug gefragt. Sein Traumberuf war gefunden! Von diesem Tag an wusste er, dass er der Richtige für den Job war.
Schnell fand er heraus, dass es Dutzende verschiedener Steuern gab. Hier in diesem Land allein 232. Der Staat bezahlte von den Steuereinnahmen Schulen, Krankenhäuser und auch Straßen und Brücken.
Doch was genau der Staat mit dem Geld machte, interessierte Zwickenpflug herzlich wenig. Bei seiner Arbeit fürs Finanzamt zählte für ihn nur, dieses Geld zu bekommen. Nie verrechnete er sich und nie ließ er jemanden, der auch nur einen einzigen Cent schuldete, entkommen.
Der Minister, für den er arbeitete, schätzte das an ihm und Zwickenpflug wurde immer wieder befördert. Bald war er der oberste Steuerbeamte im ganzen Land. Hinter seinem Rücken wurde er mittlerweile der König der Erbsenzähler genannt.
Auch seinen neuesten Plan hatte Zwickenpflug aufgrund genauer Berechnungen entwickelt. Schon vor Längerem war ihm aufgefallen, dass es jedes Jahr zur Weihnachtszeit große Unstimmigkeiten in seinen Unterlagen gab. Die roten Zahlen in den Bilanzen sorgten für graue Haare bei sämtlichen Angestellten. Sein Toupet überstand die schwierige Zeit zwar ohne Farbverlust, dennoch blieb die Tatsache, dass das Amt ins Minus rutschte.
Mit einfachen Worten: Es fehlte Geld!
Trotz intensiver Nachforschungen konnte nicht geklärt werden, weshalb die Rechnung nicht aufging. Bis schließlich vor einer Woche der entscheidende Hinweis aufgetaucht war.
Zwickenpflug, der das Finanzamt nur sehr ungern verließ, hatte noch einen abendlichen Rundgang durch die Büros gemacht und war dabei rein zufällig auf das „Beweisstück A“ gestoßen. Selbstzufrieden warf er einen kurzen Blick auf das vor ihm stehende silberne Päckchen.
Vom ersten Augenblick an war ihm das Päckchen verdächtig vorgekommen, wie es da, beinahe nicht zu sehen, hinter der Kaffeemaschine stand. Sicherheitshalber hatte Zwickenpflug es an sich genommen
Als er am nächsten Tag in den Büros nachfragte, gehörte das silberne Paket mysteriöserweise niemandem. Erst als eine der Sekretärinnen einwarf, dass es doch aussehe wie ein Weihnachtsgeschenk, fiel es Zwickenpflug wie Schuppen von den Augen: Der Grund für die alljährlich wiederkehrenden roten Zahlen waren die Weihnachtsgeschenke!
Zwickenpflug hatte mit Weihnachten nie etwas am Hut gehabt und sich deshalb auch nie gefragt, woher die Geschenke kamen. Erst jetzt, nachdem dieses silberne Ungetüm wie aus dem Nichts aufgetaucht war, befasste er sich mit den Fragen: Wer brachte all diese Weihnachtsgeschenke? Und was noch viel wichtiger war: Wieso um alles in der Welt bezahlte derjenige keine Steuern? Denn es war doch so: Jedes Mal, wenn jemand etwas kaufte, bezahlte er auch gleichzeitig Steuern, die waren im Preis inbegriffen. Da nun aber jedes Jahr um die Weihnachtszeit Geld bei den Einnahmen des Finanzamtes fehlte, musste es so sein, dass derjenige, der die Weihnachtsgeschenke brachte, keine Steuern bezahlte. Aber Siegbert Zwickenpflug würde nicht der König der Erbsenzähler genannt werden, wenn er nicht schon eine Idee hätte, um die Schulden des Geschenkebesorgers einzutreiben.
Und heute war der entscheidende Tag. In wenigen Minuten würde Zwickenpflug dem Minister von seinem großen Plan erzählen und dann … Ja dann, wenn sein Plan aufging, war alles möglich. Vielleicht würde er sogar selbst zum Minister befördert werden? Bei diesem Gedanken begann sein Schnurrbart zu zittern.
Nervös nahm er den Hörer ab und wählte auf der Telefonanlage die Durchwahl seiner Sekretärin, Frau Maldonado.
„Ja, Herr Zwickenpflug?“, schepperte ihre Stimme aus dem Hörer.
„Wie steht es mit der Videokonferenz? Können wir endlich anfangen?“, schnauzte Zwickenpflug. „Ich nehme doch an, der Minister ist bereits informiert.“
Zwickenpflug hielt sich nie lange mit Begrüßungen auf. Um ehrlich zu sein, er hatte sogar ein wenig Angst vor Frau Maldonado und versuchte daher, diese Angst mit seinem strengen Auftreten zu überspielen. Sie war eine resolute, ältere Frau, die schon vor seiner Zeit in diesem Büro gearbeitet hatte. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, dass sie sich über ihn lustig machte. Doch erstens erledigte sie ihre Aufgaben gewissenhaft und kam immer pünktlich zur Arbeit und zweitens war sie groß und kräftig. Sie würde also bleiben. Wahrscheinlich würde sie sogar länger als er selbst in diesem Büro hier arbeiten. Aus all diesen Gründen erschien es ihm klüger, sich nicht mit ihr anzulegen.
„Die Videokonferenz kann sofort beginnen, Herr Zwickenpflug.“ Frau Maldonados schrille, viel zu laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Gut, dann lassen Sie uns anfangen“, knurrte er.
Mit einer Fernbedienung schaltete er den großen Flachbildschirm an der Wand ein. Noch einmal rückte er die Brille auf seiner Nase zurecht und dachte an seinen Plan. Ein böses Lächeln erschien unter dem Schnurrbart und während Siegbert Zwickenpflug darauf wartete, dass der Minister auf dem Bildschirm auftauchte, blickte er drohend auf das kleine, silberne Päckchen.
„Potztausend, Zwickenpflug!“, brüllte der Minister, als sein zorngerötetes Gesicht endlich auf dem Flachbildschirm erschien. „Was ist denn so wichtig, dass Sie mich stören müssen?“
Dieser Zwickenpflug war ein ausgefuchstes Kerlchen, überlegte der Minister, und sicher hatte er eine Idee, wie sich das ein oder andere Sümmchen dazuverdienen lassen würde. Also würde er ihm wohl oder übel zuhören müssen
„Nun erzählen Sie doch endlich!“, forderte der Minister ungeduldig.
„Jawohl, Herr Mister … äh Minister“, begann Zwickenpflug stotternd, während ihm die Brille von der Nase rutschte. Im letzten Moment fing er sie wieder auf und schob sie zurück. Vor sich hatte er die Unterlagen ausgebreitet, die seinen genialen Plan beschrieben. Nachdem er sie zum hundertsten Mal geordnet hatte, begann er endlich zu sprechen: „Also, äh, seit einiger Zeit beobachte ich einen großen, äh riesigen, einen geradezu gewaltigen Fall von Steuerhinterziehung. Ich spreche von Betrug! Jawohl, Betrug! Uns entgehen Millionen, wenn nicht noch mehr. Wie ich in mühevoller Kleinarbeit herausgefunden habe, steckt ein einzelner Mann hinter dem Ganzen. Und jetzt haben wir endlich die Chance, diesen Schwerverbrecher ein für alle Mal, ähm, zur Verrechenschaft, ich meine Rechtantwortung, also ähm, auf jeden Fall dingfest zu machen.“
Zwickenpflugs Kopf war knallrot angelaufen, während er sich so in Rage geredet hatte, und nun schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. „Es ist an der Zeit, dass wir den Machenschaften dieses Superschurken ein Ende bereiten.“
„Von wem sprechen Sie eigentlich, Zwickenpflug?“, unterbrach ihn der Minister. „Sagen Sie schon seinen Namen und wo wir ihn finden können!“
Der Minister war aufmerksam geworden, als er das Wort „Millionen“ gehört hatte. Seiner Meinung nach konnte man nie genug Geld haben und dabei noch einem Superschurken das Handwerk zu legen, das würde ihm sicher viele Wählerstimmen bringen. Und wie immer standen die nächsten Wahlen kurz bevor.
Nervös ruckelte Zwickenpflug auf seinem Schreibtischstuhl. „Leider kennen wir seine wirkliche Identität nicht“, gab er zu. „Und wir wissen auch nicht genau, wo er sich aufhält.“
„Was? Wie? Wir haben weder Namen noch Adresse? Wie wollen wir den Kerl dann verhaften lassen?“, fragte der Minister erschrocken. In Gedanken sah er die schönen Millionen bereits wieder davonfliegen.
„Wir wissen, wie die Person aussieht“, antwortete Zwickenpflug. „Wir wissen, wie sie genannt wird, und wir haben eine Menge Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort. Falls wir sofort zuschlagen, stehen unsere Chancen gut, die Person zu erwischen. Leider gibt es mehrere Doppelgänger und die müssten wir auch erst einmal festsetzen, später werde ich dann persönlich herausfinden, wer der Gesuchte ist.“
Auf dem Gesicht des Ministers spiegelte sich seine Überraschung wider. „Reden sie schon, Mann! Wen suchen wir?!“
Zwickenpflug lächelte böse, als er den verwirrten Ausdruck des Ministers bemerkte. „Herr Minister, der Name des Verdächtigen ist Father Christmas, Santa Claus oder einfach nur: der Weihnachtsmann.“
Es war bitterkalt und Lea fror erbärmlich.
Die Minuten vergingen quälend langsam und obwohl sie vom Dach des Glühweinstandes einen perfekten Blick auf alles hatte, brachte sie das keinen Schritt weiter. Der Weihnachtsmann ließ ein Kind nach dem anderen auf die Bühne kommen, damit es sich auf seinen Schoß setzen und ihm seine Wünsche erzählen konnte. So ging das jetzt schon geraume Zeit und Lea sah nicht, wie sie das näher an die Lösung ihres Rätsels bringen sollte. Um nicht zu erfrieren, denn damit wäre ja niemandem geholfen, beschloss Lea deshalb, ihren Beobachtungsposten zu verlassen.
Fast wäre sie beim Herunterklettern vom Besitzer des Standes erwischt worden, doch als der laut „Stehen bleiben!“ rief, dachte sie nicht daran und flitzte stattdessen durch die Menge davon.
Sie hatte genug gesehen. Ihr war klar, sie musste näher heran, wenn sie wirklich etwas erfahren wollte. Deshalb begann sie nun, sich von hinten durch die Christbäume, die hinter der Bühne standen, an den Weihnachtsmann heranzuschleichen. Der gab jedem der Kinder auch noch ein kleines Geschenk aus seinem Sack. Vielleicht sollte sie einfach in der Nähe des Sacks auf ihn warten. Wenn er dann irgendwann endlich mit alldem fertig war, würde sie ihn zur Rede stellen.
Leas Augen blitzten mutig auf. Sie hatte zwar schon davon gehört, dass weniger brave Kinder auch mal Besuch von einem weniger netten Weihnachtsmann bekamen, doch sie fürchtete sich nicht. Immerhin war sie eigentlich das ganze Jahr über ziemlich brav gewesen. Bis auf ein, zwei Ausrutscher versteht sich. In der Schule lief es auch nicht immer ganz glatt, aber die Schule war ja so etwas wie Arbeit, und die Regel, dass man brav sein musste, galt doch nur für die Freizeit, oder?
Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob ihre Idee wirklich so gut war. Würde der Weihnachtsmann ihr ohne Weiteres sagen, wo die Geschenke herkamen? Gab es nicht so etwas wie einen geheimen Pakt zwischen Eltern und dem Weihnachtsmann? Was, wenn Lea hier einer Verschwörung auf die Spur gekommen war?
Es half alles nichts, ihre Neugier war einfach zu groß. Lea war ein außergewöhnliches Mädchen. Furcht war ihr zwar nicht fremd, aber sie ließ sich nicht von ihr bestimmen. Die Angst, etwas könne schlecht ausgehen, wurde sofort besiegt von der Hoffnung auf einen wundersam positiven Ausgang. Am Ende würde alles gut, daran glaubte Lea fest.
Langsam stieg sie also die paar Stufen zur Bühne hinauf und schlich zwischen den dort aufgestellten Christbäumen nach vorn. Sie roch die frischen Tannennadeln, und Schnee knirschte unter ihren Stiefeln. Schon konnte sie den Sessel, auf dem der Weihnachtsmann saß, von hinten sehen. Sie war nur etwa fünf Meter entfernt.
Leise ging Lea in die Hocke und beobachtete die wenigen Kinder, die noch in der Schlange neben dem Sessel standen. Es konnte nicht mehr lange dauern.
Obwohl es so kalt war, dass sie ihren Atem in kleinen Wölkchen sehen konnte, wurde ihr bei dem Gedanken, bald mit dem Weihnachtsmann sprechen zu können, ganz warm. Lea begann sich ihre Worte genau zurechtzulegen. Sie wollte dem Weihnachtsmann so schnell wie möglich klarmachen, warum sie ihm hier auflauerte.
Während sie so dasaß, verließ ein Kind nach dem anderen die Bühne. Jedes bekam ein kleines Geschenk und der Sack leerte sich allmählich. Hin und wieder hörte Lea das bekannte „HO-HO-HO!“ des Weihnachtsmanns und alles schien vollkommen normal.
Dann geschah es.
Zuerst hörte sie nur ein fernes Flattern, eine Art Rauschen, das schnell näher kam. Es wurde immer lauter und Lea suchte den mittlerweile dunklen Abendhimmel mit ihrem Blick ab.
Da, ein Hubschrauber!
Im selben Moment, in dem Lea begriff, woher der Lärm kam, leuchtete ein gleißender Lichtstrahl mitten auf den Weihnachtsmann. Für einen Augenblick war Lea vom Scheinwerferlicht des Helikopters geblendet und ihr Haar flatterte wild im Wind, den die Rotoren erzeugten. Trotz des ohrenbetäubenden Lärms hörte sie einige der Kinder schreien, während ihre Eltern sie so schnell wie möglich von der Bühne zerrten.
Der Pilot hatte doch nicht wirklich vor, genau hier zu landen?! Oder doch?
Plötzlich ertönte eine knarzende Stimme durch ein Megafon: „Keine Bewegung! Steuerfahndung! Wir haben alles unter Kontrolle!“
Lea hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Sie wusste nicht, was eine Steuerfahndung war, und dass hier irgendjemand alles unter Kontrolle hatte, konnte sie nicht so recht glauben. Aber was auch immer hier passierte, es hatte nichts mit ihr zu tun. Gerade als sie sich umdrehen und davonlaufen wollte, erstrahlte auch hinter der Bühne ein Scheinwerfer, und im selben Moment hörte sie das Getrappel schwerer Stiefel, die die Treppe hinaufstürmten. Nur eine Sekunde später sah sie die dazugehörigen Männer. Sie waren komplett schwarz gekleidet und jeder trug einen riesigen Helm. Lea musste beinahe lachen, als der erste der Männer, scheinbar vom Gewicht seines Helms nach vorn gezogen, stolperte und die nachfolgenden beiden über ihn fielen. Trotz dieser Unterbrechung würden sie gleich hier sein und dann würde Lea erklären müssen, was sie hier hinten zu suchen hatte. Ihr Lächeln erstarb. Sicher würden sie ihre Mutter anrufen und der Ärger wäre vorprogrammiert. Darauf hatte Lea überhaupt keine Lust. Sie brauchte ein Versteck, und zwar sofort! Blitzschnell traf sie eine folgenschwere Entscheidung.
Kurz darauf schafften es die Riesenhelme, sich aufzurappeln und auf die Bühne zu stürmen. Der Weihnachtsmann schien von dem ganzen Schauspiel so überrumpelt, dass er immer noch regungslos auf dem roten Ledersessel saß.
„Keine Bewegung!“, blaffte einer der Riesenhelme den vollkommen verdutzten Weihnachtsmann an. „Im Namen der Steuerfahndung, Sie sind verhaftet!“
Der brüllende Riesenhelm trug einen glänzenden goldenen Stern auf der Brust. Seine Kollegen standen mit wackelnden Helmen im Halbkreis um den Sessel.
„Aber meine Herren, das muss ein Missverständnis sein. Ich …“ Weiter kam der Weihnachtsmann nicht, denn schon wurde er zwischen den Tannen hindurch nach hinten gestoßen.
„Los oder soll ich dir Beine machen?“ Einer der Riesenhelme hielt einen Knüppel, den er drohend in seine behandschuhte Hand schwingen ließ.
„Schon gut“, versicherte der Weihnachtsmann schnell. „Immer mit der Ruhe, junger Mann, ich folge Ihnen.“ Stolpernd stieg der Weihnachtsmann die Metalltreppe hinunter und wurde sofort in den hinteren Teil eines neben der Bühne wartenden Kleinbusses gesetzt.
Wieder ertönte die Megafonstimme aus dem Helikopter: „Bitte weitergehen, es gibt nichts zu sehen! Danke für Ihr Verständnis.“
Die Eltern, von denen einige noch vor dem Podium standen, hielten ihre Kinder an sich gepresst. Ein Junge weinte. Alle hatten Angst.
Nun sprach der Riesenhelm mit dem goldenen Stern in ein Funkgerät: „Die Operation ist erfolgreich ausgeführt. Verdächtiger in Gewahrsam. Jawohl, Sir … Beweismittel sichern!“, brüllte er einem der anderen Riesenhelme zu. Dieser erschrak, verlor das Gleichgewicht und wäre um ein Haar von der Bühne gestürzt. Im letzten Moment konnte er seinen gewaltigen Helm unter Kontrolle bringen und begann, sich nach Beweismitteln umzusehen.
„Sheriff, der Sack!“, rief er. „Ich denke, wir sollten den Sack mitnehmen.“
„Sie sollen nicht denken, Sie sollen handeln!“, blaffte der Sheriff zurück.
„Jawohl, Sir!“
Bei diesen Worten zuckte Lea zusammen. Vielleicht war ihr Versteck doch nicht so klug gewählt. Durch den braunen Stoff hindurch konnte sie zwei der Riesenhelme auf sich zukommen sehen.