Dieser eine letzte Kuss - Caitlin Crews - E-Book

Dieser eine letzte Kuss E-Book

CAITLIN CREWS

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Beschreibung

Sexy Reeder Theo Tsoukatos verlangt von seiner untreuen Frau, die Details ihrer Scheidung dort zu klären, wo sie einst ihr größtes Glück erlebten - in Barcelona. Doch sein Racheplan scheitert: Nicht nur, dass die Erinnerungen an ihre Flitterwochen ihn plötzlich selbst einholen, jetzt behauptet Holly, dass sie ihn nie betrogen hat. Und als sie den stolzen Milliardär in den spanischen Nachtclubs so heißblütig wie früher küsst, hegt er plötzlich Zweifel. Er muss wissen, warum Holly damals vor ihm geflohen ist, denn nach ihrem letzten Kuss darf er sie nicht nochmal entkommen lassen…

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2015 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „Greek’s Last Redemption“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: PRESENTS Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2246 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706951

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Theo Tsoukatos’ Miene verfinsterte sich, als seine Bürotür aufschwang, obwohl er Order gegeben hatte, ihn nicht zu stören. Normalerweise wurden seine Anordnungen strikt befolgt. Niemand, der für ihn arbeitete, war scharf darauf, mögliche Konsequenzen einer Zuwiderhandlung zu riskieren.

Ich werde meinem alten Herrn von Tag zu Tag ähnlicher, dachte Theo in grimmiger Selbstkritik. Allerdings bezog sich das allein aufs Business. Sich auch im privaten Bereich wie sein weithin gefürchteter Vater aufzuführen, erschien ihm unvorstellbar und absolut inakzeptabel.

Das wird niemals geschehen! hatte er sich bereits in Kindertagen geschworen.

„Ich nehme an, das Gebäude steht in hellen Flammen?“ Seine dunkle Stimme troff geradezu vor Sarkasmus angesichts der ungebetenen Störung. „Oder droht zumindest, in Brand zu geraten?“

„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte seine Sekretärin völlig unbeeindruckt vom harschen Ton. Mit dem stahlgrauen Haar und ihrem gluckenhaften Getue erinnerte Mrs Papadopoulos ihn an seine Tante Despina, die auch immer bemüht gewesen war, ihn aus schwierigen Situationen herauszuhalten, anstatt sie zu verursachen, wie er es von seinen Eltern gewohnt war. „Aber der Tag hat ja eben erst begonnen …“

Theo stieß einen ungeduldigen Seufzer aus, da er gerade dabei war, wichtige Fakten zur Steigerung der Effizienz und Optimierung bestehender Strategien zusammenzufassen, die er im bevorstehenden Meeting auf den Tisch packen wollte. Frustrierend genug, dass er ausgerechnet heute für seinen Vater einspringen musste, nur weil der alte Fuchs wieder einmal irgendwelche gesundheitlichen Belange über das Familienbusiness stellte.

Mit gefurchter Stirn starrte Theo durch die raumhohe Fensterfront auf Athen, Griechenlands Metropole, deren brodelnde Energie und hektische Nervosität ihn seit er denken konnte wie ein unsichtbarer Motor innerlich antrieb. Und ihm als Mahnmal dafür diente, dass alles, was derart rasant wuchs, irgendwann vergehen musste, bevor es stärker als zuvor wiederauferstehen konnte.

Es war so etwas wie ein unausgesprochenes Glaubensbekenntnis seiner Familie und irgendwie auch die Geschichte seines eigenen Lebens. Und es zeigte sich in jedem Höhenmeter des stolzen Tsoukatos-Towers. Ja, in jedem einzelnen Stahlträger der imposanten Architektur dieses futuristischen Bauwerks – der sichtbar manifestierten Vision eines einzelnen Mannes, des mächtigen Reeders Demetrious Tsoukatos – seines Vaters. Einer Vision von rücksichtsloser Expansion, ungeachtet aller Hindernisse, eingeschlossen erklärter Gegner und einer stagnierenden Wirtschaftslage.

Heutzutage galt der Tower in den Augen der ebenso interessierten wie wachsamen Wirtschaftswelt auch als Symbol für Theos Präsenz und Status in diesem Sektor. Seiner wachsenden Bedeutung als furchtlosem Risikoträger und waghalsigem Querdenker in einer Branche, die Gefahr lief, durch das Nichthandeln all derer, die zu ängstlich und zögerlich dachten und agierten, komplett unterzugehen. Aber das galt nicht für die Tsoukatos-Flotte!

Auch wenn die Außenwelt ihn hauptsächlich als verwöhnten Erben und notorischen Womanizer aus der Presse kannte, demonstrierte Theo der Finanzwelt in den letzten vier Jahren auf eindrucksvolle Weise, dass er genauso erfolgreich und einschüchternd sein konnte wie sein alter Herr.

Es überraschte ihn selbst, wie gut er darin war. Als ob ihm dieses rücksichtslose Machtstreben tatsächlich im Blut lag, wie sein Vater es immer behauptet oder sich zumindest gewünscht hatte. Und hier, in der Chefetage der familieneigenen Reederei, waren diese Attribute auch durchaus angebracht und als positiv zu bewerten.

Gut, sein Privatleben konnte im Vergleich dazu als absolutes Desaster bezeichnet werden, wenn auch nicht aus den gleichen Gründen wie im Fall seines Vaters. Ich mag vielleicht nicht glücklich sein, sagte er sich immer wieder, aber wenigstens bin ich kein Lügner, kein Betrüger und kein Heuchler.

Dafür jedoch war er umgeben von zu vielen Menschen, die das nicht von sich behaupten konnten, wie er sich bitter eingestehen musste.

Theo seufzte erneut und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Mrs Papadopoulos zu, die sich inzwischen strategisch vor seinem Schreibtisch aufgebaut hatte und ihn mit einer Mischung aus mildem Tadel und instinktiver Ablehnung musterte, was er perverserweise durchaus genoss. Diese aufrechte, gradlinige und bis auf die Knochen loyale Frau symbolisierte für ihn so etwas wie ein Büßerhemd. Sie war seine Nemesis, seine Göttin des gerechten Zorns und der Vergeltung.

Dabei sah er sich selbst gar nicht mal als einen Mann, der sich seiner zahlreichen Sünden und Verfehlungen rühmte oder gar mit ihnen kokettierte. Im Gegenteil. Gerade in den letzten viereinhalb Jahren hatte er ausreichend Gelegenheit gehabt, in sich zu gehen und eine Art Retrospektive über sein Leben zu halten. Eine Art Nabelschau, bei der er weit weniger positiv abschnitt, als er es sich gewünscht hätte, obwohl er …

„Es ist Ihre Frau“, erklärte Mrs Papadopoulos schmallippig, und Theo, der gedanklich gerade sein Sündenregister vor dem inneren Auge durchblätterte, erstarrte.

Meine Frau.Holly!

Theo hatte sich so sehr an den Sturm unkontrollierter Wut und Rage gewöhnt, der ihn allein bei der Nennung ihres Namens heimsuchte, dass er ihn einfach über sich ergehen ließ, ohne dass er ständig Gefahr lief zu explodieren. Inzwischen waren über vier Jahre vergangen, seit er seine Frau das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte. Vier endlose Jahre, in denen er sie nicht berührt, nicht geschmeckt und sich nicht in ihr verloren hatte …

Was natürlich nie wieder passieren wird! ermahnte er sich kalt. Denn vor vier Jahren hatte er schließlich auch die bittere Wahrheit herausgefunden, was Holly betraf. Nicht du hast sie aufgedeckt! höhnte die kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Sie selbst hat sie dir präsentiert, quasi auf dem Silbertablett.

Verdammt!

Er konnte und wollte jetzt nicht gedanklich dorthin zurückkehren. Nicht heute! Und nicht hier an seinem Arbeitsplatz, wo er sich antrainiert hatte, unter allen Umständen eisige Ruhe und Entschlossenheit zu demonstrieren.

Nie wieder!

Er sollte doch längst darüber hinweg sein – und hatte das eigentlich auch angenommen. Doch jetzt bekam er nur mühsam Luft und versuchte, seine Hände zu entspannen, die er instinktiv zu Fäusten geballt hatte. Verzweifelt rang er darum, sich so unbeeindruckt zu zeigen, wie er sich nach all der Zeit eigentlich fühlen müsste.

„Wenn es um meine Frau geht, bin ich nicht nur zu beschäftigt, sondern absolut desinteressiert!“ Seine Stimme hatte er offenbar noch nicht wieder im Griff. „Sie sollten es wirklich besser wissen, als mich mit derartigen Banalitäten zu belästigen, Mrs Papadopoulos. Wenn meine Frau sich damit vergnügen will, mir sinnlose E-Mails oder Voice-Mails zu schicken und zu hinterlassen, die ich ohnehin nur äußerst selten checke, ist das …“

„Sir.“

Theo wusste nicht, was ihn mehr überraschte: dass seine Sekretärin es überhaupt wagte, ihn derart rüde zu unterbrechen, oder die Art und Weise, wie sie dastand und ihn ohne mit der Wimper zu zucken streng fixierte.

„Sie besteht darauf, dass es sich um einen Notfall handelt.“

Das Letzte, worüber Theo heute oder für den Rest seines Lebens nachdenken wollte, war Holly – sein Niedergang oder – wie weniger Wohlmeinende es formulieren würden – seine verdiente Strafe. Und in seinen dunklen Momenten war er sogar geneigt, ihnen recht zu geben, weil er geheiratet hatte, was er selbst nie gewollte hatte. Er hatte eine Lügnerin und Betrügerin zu seiner Frau gemacht, in einem atemberaubend weiblichen Gewand …

Beschämend genug, daran zu denken, wie viel Zeit er jeden einzelnen Tag damit verbrachte, nicht an Holly zu denken! Meist mithilfe der Stunden, die er in seinem privaten Fitnessraum verbrachte und wie besessen auf den ledernen Sandsack oder gelegentliche Sparringspartner einprügelte. Oder die er bis zur totalen Erschöpfung auf dem Laufband verbrachte, immerzu verbissen darum kämpfend, nicht an Hollys Ehebruch zu denken, den sie ihm ganz offen gestanden hatte. Einen One-Night-Stand mit irgendeinem Touristen, nach dessen Name sie nicht einmal gefragt hatte.

Er wollte nicht mehr an die permanent wiederkehrenden, qualvollen Szenen denken, die unauslöschlich in sein Hirn eingebrannt waren, als wäre er selbst Augenzeuge des Betrugs gewesen. Wollte nicht wahrhaben, wie dumm er gewesen war, auf ihre Lügen hereinzufallen, obwohl er es besser hätte wissen müssen.

Vier Jahre war es auch her, dass er sich Hals über Kopf in das Familienunternehmen gestürzt hatte, um jede Erinnerung an die verlogene, betrügerische Kreatur auszulöschen, die er geheiratet und die ihn in jeder Hinsicht ruiniert hatte. Sie hatte ihn der Lächerlichkeit preisgegeben, und, was noch viel schlimmer war, ihm das Herz aus der Brust gerissen. Ein Herz, von dem er nichts gewusst hatte, bis Holly in sein Leben getreten war.

Und am wenigsten konnte er ihr vergeben, dass sie ihre Ehe damit auf das gleiche Niveau herabgezogen hatte wie die lieblose Verbindung zwischen seinen Eltern.

Holly war der lebende, atmende und sprechende Beweis seines Versagens. Die Verkörperung seiner vergeudeten Jugend als verwöhnter Playboy, als größte Enttäuschung seines Vaters und ständige Bedrohung für den geachteten, ehrenwerten Familiennamen.

Theo wollte nicht mehr daran denken, wie rettungslos er sich damals in diese unwiderstehliche blonde Venus aus den Vereinigten Staaten verliebt hatte, die ihn von der ersten Sekunde an angehimmelt hatte. Oder zumindest so getan hatte als ob. Wie besessen war er nach einer einzigen Woche mit ihr auf dieser paradiesischen Insel gewesen. Keine sechs Monate nach der romantischen Blitzhochzeit hatte sie ihn betrogen.

Und dafür konnte er niemandem die Schuld geben als sich selbst. Jeder hatte ihn gewarnt. Was für ihn ein bezauberndes, charmant naives Geschöpf gewesen war, das nach dem Tod des Vaters allein auf sich gestellt durch Europa tourte, um auf andere Gedanken zu kommen, war in den Augen der anderen nicht mehr als eine texanische Goldgräberin gewesen. Eine äußerst attraktive junge Frau, die mit großen, himmelblauen Augen nach dem besten Fang Ausschau hielt. Und in jenem Sommer auf Santorini war er der Fisch an ihrer Angel gewesen.

„Du bist Erbe des Tsoukatos-Vermögens und mein Nachfolger“, hatte sein Vater ihn mit ernster Miene gewarnt, „und dieses Mädchen ist ein Niemand. Du musst doch einsehen, dass es zu nicht mehr als einer Urlaubsromanze reicht, Theo.“

Immer wieder hatten er und Brax ihn beschworen, kein Narr zu sein. Doch Theo wollte sich von dem Mann, der seine eigene Mutter immer wieder betrogen hatte, weder Vernunft noch Moral predigen lassen. Und erst recht nicht von seinem jüngeren Bruder, der für ihn damals nur ein unreifer Bengel war. Nachdem die beiden das endlich begriffen hatten, verlangten sie von ihm, dass er wenigstens die notwendigen Schritte unternahm, um sein Privatvermögen und die Zukunft des Familienunternehmens abzusichern.

Natürlich hatte er auch in diesem Punkt ebenso wenig auf sie gehört wie während der vorangegangenen Jahre, die allein von Genuss und Begierde geprägt waren. Als überzeugter Hedonist scherte sich Theo damals um nichts und niemanden außer sich selbst – und nun plötzlich auch um eine kurvige, kleine Sirene mit blonder Mähne und himmelblauen Augen. Und mit einem Lächeln, in dem er sich rettungslos verlor …

Sein jetziger Zustand war die Strafe für sein ungestümes Verlangen, seine Vermessenheit. Ebenso wie die demütigende Ehe, an der er immer noch festhielt. Er wollte Holly nicht die Genugtuung geben, behaupten zu können, sie hätte ihn mit ihrer Untreue so tief getroffen, dass er schnellstmöglich von ihr loskommen wollte. Zumindest redete sich Theo das ein.

Und das seit inzwischen viereinhalb Jahren. Seit ihrer überstürzten Heirat in dem heißesten Sommer, den Griechenland im letzten Jahrzehnt erlebt hatte. Und er würde diesen Zustand, getrieben von kalter, unversöhnlicher Wut, lässig noch einmal so lange durchhalten wenn nötig. Er wollte Holly nicht länger begehren und hatte sich selbst geschworen, sich eher von Santorinis Klippen zu stürzen, als sie zurückzunehmen – aber er wollte verdammt sein, wenn er ihr so einfach die Freiheit zurückgab, ohne dass sie ihn auf Knien darum anflehte.

Er war ein einfacher, schlicht gestrickter Mann mit klaren Regeln: Auge um Auge, Demütigung um Demütigung …

„Meine Frau hat das zweifelhafte Talent, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen“, behauptete er bissig, sah, wie sich seine Sekretärin kaum merklich versteifte, und bewunderte einmal mehr, mit welch stoischer Gelassenheit sie seine finsteren Stimmungen ertrug. „Ihre Definition von Notfall bezieht sich wahrscheinlich auf den aktuellen Kontostand und …“

„Ich glaube, es geht um etwas Ernsteres, Mr Tsoukatos.“

Theo spürte, wie sein ohnehin von Natur aus dünner Geduldsfaden zu reißen drohte. Er hatte jetzt schon mehr Zeit, als er sich erlauben konnte, wegen Holly verloren. Aus den Augenwinkeln sah er die unerledigte Liste seiner E-Mails auf dem Bildschirm. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag immer noch die Präsentation, die er für das anstehende Meeting fertig machen musste. „Und das glauben Sie ihr, nur weil sie es behauptet?“

„Ihre Frau ist uns per Video zugeschaltet.“ Mrs Papadopoulos legte ein Tablet, das sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten und das er nicht bemerkt hatte, direkt vor ihn auf die Schreibtischplatte. „Bitte sehr, Sir …“ Damit zog sie sich diskret zurück.

Theo blinzelte irritiert, bevor er den Kopf senkte und auf das eingefrorene Display mit Hollys Gesicht starrte, als erwarte er, sie würde aus dem Bildschirm springen und ihm erneut ein scharfes Messer bis zum Heft ins Herz rammen.

Reiß dich zusammen! ermahnte er sich selbst und streckte die Hand aus, um die Konferenzschaltung zu beenden, ehe er das Gespräch überhaupt angenommen hatte. Doch Hollys blasses, eingefrorenes Gesicht hielt ihn davon ab. Er spürte sie immer noch, in jeder Zelle seines Körpers, wie er frustriert feststellte, und fühlte, wie der Druck in seiner Brust stetig wuchs. Er hasste sich für seine Schwäche und konnte dennoch nichts dagegen tun. Wie in Trance starrte er in Hollys zarte Züge, die sich in den letzten vier Jahren sichtbar verändert hatten.

Verschwunden war das offene Geschöpf mit den sonnengeküssten, runden Wangen und der weizenblonden Mähne, das ihn von der ersten Sekunde an fasziniert hatte. Holly war schlanker und erwachsener geworden. Das hatte er bereits auf den Fotos sehen können, die immer wieder mal in diversen Zeitschriften auftauchten. Das Haar war immer noch hellblond, aber in einem klassischen Knoten zusammengenommen, das Make-up extrem zurückhaltend. Und ihr Kleid, zumindest das, was er auf dem Monitor davon sah, ein Meisterwerk an elegantem Unterstatement.

Holly Holt war verschwunden, wenn sie überhaupt je existiert hatte …

Theo schluckte trocken und starrte mit brennendem Blick auf Holly Tsoukatos, die engagierte Philanthropin, die mit dem Geld ihres Mannes so viel Gutes tat. Des Mannes, dem sie sich zunehmend entfremdet hatte, seit er als ernst zu nehmende Größe im Worldwide Business galt und inzwischen als ebenso erfolgreich und gefährlich wie sein berühmt-berüchtigter Erzeuger angesehen wurde.

Verdammt! Er hasste und verachtete sich selbst mindestens so sehr wie Holly und die ganze verfahrene Situation. Theo konnte nicht fassen, dass er sich immer noch nach dieser unkultivierten kleinen Amerikanerin verzehrte, die einen welterfahrenen Womanizer wie ihn in einer einzigen Woche derart bezirzt hatte, dass er …

Das hier auf dem Bildschirm ist die echte Holly, sagte er sich energisch. Diese kühle, beherrschte Frau, die sich mithilfe seines Vermögens ein eigenes kleines Imperium aufgebaut hatte und mit der er aus guten Gründen inzwischen nur am Telefon sprach, wenn überhaupt.

Mit einem Fluch drückte er die Taste, um den Kontakt zu aktivieren. „Was willst du?“, fragte er barsch, ohne auch nur den Versuch zu machen, seinen Gemütszustand zu kaschieren. „Hast du es inzwischen geschafft, mich völlig zu ruinieren?“

Die wohl durchdachte und perfekt geplante Videoverbindung geriet zu einem Desaster.

Das erkannte Holly in der Sekunde, als Theo sich meldete. Ihre mühsam aufgebaute Courage, ihre Entschlossenheit und, was das Schlimmste war, auch ihre Stimme hatten sich schlagartig verabschiedet.

Was für ein Riesenfehler! Der letzte in einer endlosen Reihe von Fehlern, seit dieser Mann in ihr Leben getreten war. Er überwältigte sie schlichtweg, so wie er es von der ersten Sekunde an getan hatte, ohne auch nur einen Finger rühren zu müssen. Allein wie einschüchternd imposant er hinter diesem riesigen Schreibtisch thronte: breitschultrig, mit brütendem Blick und umwerfend attraktiv platzte er nach all den Jahren rücksichtslos in ihr einsames, trostloses Leben hinein. Und sie stand schlagartig in Flammen …

Er dagegen war immer noch wütend auf sie, das war nicht zu verkennen.

Ihn nur anzusehen oder seine Stimme zu hören, glich einem Vollkontakt im Kampfsport, besonders seit sie kein Liebespaar mehr waren. Bei jedem der wenigen Telefonate während der letzten vier Jahre hatte sie es so empfunden, wobei es ausschließlich um leidige Geldangelegenheiten ging. Doch jetzt konnte sie es sehen, in seinen Augen, so schwarz und heiß wie der starke griechische Kaffee, den er ihr in besseren Zeiten am Bett serviert hatte. Bevor ich alles ruiniert habe …

Sie konnte es auch an der harten Kinnlinie ablesen, den zusammengepressten Lippen, und plötzlich spürte sie seine schwelende Wut als heißen Schauer, der ihr über den Rücken rann und sie bis ins Innerste erbeben ließ. Es fühlte sich an wie eine Warnung, und Holly war froh, ihm nur über sechstausend Kilometer hinweg via Bildschirm zugeschaltet zu sein.

Was hast du denn erwartet? verhöhnte sie die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie so fatal an ihren Vater erinnerte – Gott hab ihn selig! Er hasst dich, und dass er es tut, hast ganz allein du zu verantworten.

Nach den langen, einsamen Jahren an der Seite ihres Vaters, der den Treuebruch seiner Frau nie verwunden hatte, hätte sie es besser als jede andere wissen müssen und kein derartiges Risiko eingehen dürfen. Ihr Vater hatte seine Gefühle der untreuen Gattin gegenüber nie als Hass bezeichnet, sondern nannte sie Trauer. Doch Holly, die damals noch ein kleines Mädchen war, hatte fortan mit den Folgen des Flächenbrands leben müssen, den ihre Mutter in ihrer beider Leben hinterlassen hatte.

Und nun sah sie sich dem gleichen Feuersturm gegenüber, der ihren Vater und damit auch ihr eigenes Leben verzehrt und mit grauer, kalter Asche bedeckt hatte.

Nur diesmal richtete er sich direkt gegen sie – und das in Hochpotenz.

Theo lümmelte nachlässig im ledernen Chefsessel hinter einem mit Papieren übersäten Schreibtisch. Das schwarze Haar war zerzaust und eine Spur zu lang, wie sie es von früher kannte. Er wirkte noch anziehender und unwiderstehlicher auf Holly als in ihrer Erinnerung. Dabei hatte sie ihn nie anders als einen nahezu perfekten Adonis angesehen, mit dem Körper eines Athleten und dem Gesicht eines griechischen Gottes.

Für eine Sekunde schloss Holly gepeinigt die Augen und hasste sich mehr denn je für ihre Schwäche, die sie jedes Mal überfiel, wenn sie Theo sah, seinen Namen hörte oder auch nur an ihn dachte. Und noch mehr hasste sie sich für das, was sie ihm angetan hatte. Oder besser, es behauptet hatte …

Mindestens so hart ging sie mit sich selbst ins Gericht, wenn sie an ihre überstürzte Hochzeit dachte und das riesige schwarze Loch, das sich hinterher vor ihr aufgetan hatte. In der Rückschau deklarierte Holly es als Reue … eine Empfindung, die zumindest positiver besetzt war als Hass. Sie hatte geglaubt, daran zu ersticken, musste aber stattdessen lernen, mit den Folgen ihrer unbedachten Wahnsinnstat zu leben.

Der Drang, sich vorzubeugen und durch den Bildschirm hindurch seine warme, bronzefarbene Haut zu berühren und den maskulinen Duft des kraftvollen Männerkörpers einzuatmen, wurde fast übermächtig. Sie sehnte sich danach, die Finger in Theos dichtem dunklen Haar zu vergraben und mit den Locken in seinem Nacken zu spielen, was sie schon damals immer verrückt vor Verlangen gemacht hatte. Und noch sehnlicher wollte sie seinen harten, fordernden Mund wieder auf ihrem spüren und …

Holly nahm sich zusammen und seufzte lautlos. Es gab keinen Weg zurück, das musste sie endlich einsehen. Alte Narben wieder aufzureißen und die Wunden erneut zum Bluten zu bringen, war Theo gegenüber einfach nicht fair.

Andererseits … wie sollte sie es fertigbringen, ihr Leben ohne ihn weiterzuführen? Egal wie oft sie darüber nachdachte, eine Lösung war nicht in Sicht. Sie selbst hatte diese absurde, unerträgliche Situation provoziert und zu verantworten. Und anstatt sich damit abzufinden, dass sie nicht nur ihre Zukunft, sondern auch ihr Lebensglück zerstört hatte, suchte Holly immer noch verzweifelt nach einer Möglichkeit, um das Ruder herumzureißen.

Aus lauter Angst, so zu werden wie ihr Vater, hatte sie die Rolle ihrer Mutter übernommen. Aber damit wollte und konnte sie nicht länger leben. Ich muss etwas dagegen tun, egal was! Dass es hart sein würde, war ihr natürlich bewusst gewesen, schon vor der Kontaktaufnahme. Aber Theo jetzt vor sich zu sehen …

Selbst via Bildschirm überwältigte es sie wie bei ihrer ersten Begegnung – in diesem kleinen Restaurant auf Santorini, wo sie damals während ihres Europatrips gestrandet war, an ihrem Nachmittagskaffee nippte und noch keine Ahnung hatte, wie spektakulär ihr Leben auf Kollisionskurs mit dem des Fremden am Nebentisch geraten würde.

„Holly?“

Theos harsche Stimme riss sie brutal aus ihrer Verzauberung. Allein ihren Namen aus seinem Mund zu hören, versetzte jeden Nerv in ihrem Körper in Schwingung. Nur gut, dass er ihre Reaktion nicht sehen konnte – und auch nicht das winzige Hoffnungsflämmchen in ihrem Innern, das einfach nicht verlöschen wollte.

„Ich bin schwer beschäftigt.“ Um seinen Mund spielte ein bitteres Lächeln. „Außerdem gibt es nichts, was ich dir zu sagen hätte … zumindest nichts Höfliches.“

Es war so verlockend, die Deckung aufzugeben und ihn einfach mit der Wahrheit zu konfrontieren. Doch Holly wusste jetzt schon, dass Theo ihr nicht glauben würde. Nicht nachdem sie ihn vor Jahren auf diese brutale Weise quasi gezwungen hatte, sie gehen zu lassen. Damals hatte sie ihn bewusst dazu gebracht, sie zu verabscheuen, und jetzt musste sie sich an ihre Rolle in dieser traurigen Scharade erinnern, um nicht zu verlieren, bevor sie überhaupt angefangen hatte.

Darum zwang Holly sich zu einem Lächeln. Allerdings ähnelte es nicht im Mindesten der sonnigen Variante von damals, als sie völlig naiv und unbefangen auf diesen dunklen Adonis losgesteuert war. Jetzt lächelte sie bedacht und zurückhaltend. Gelernt hatte sie es in den einsamen Jahren ohne ihn, dieses Lächeln, mit dem sie aus der Asche ihrer Ehe auferstanden war und ihr neues Leben ohne Theo meisterte. Oder es zumindest versuchte.

Wie habe ich nur glauben können, je wieder glücklich zu werden, indem ich mein größtes Glück, die Liebe meines Lebens, opfere, um dem Schicksal zuvorzukommen? Einem unausweichlichen Schicksal, das jedem droht, der zu sehr liebt, wie ihr Vater ihr eingetrichtert und mit seinem bedrückenden, eingeschränkten Leben demonstriert hatte. Aus Angst, zu enden wie ihr Dad, hatte sie Theo von sich gestoßen. Damals hatte sie geglaubt, ihre Lügen würden es ihm einfacher machen, sie zu verdammen, sich zurückzuziehen und die Scheidung einzureichen.

Aber auch darin hatte sich Holly getäuscht, wie in allem anderen.