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Wenn aus einer Online-Freundschaft plötzlich so viel mehr wird ...
Alex Parks würde am liebsten im Erdboden versinken. Da hat sie all ihren Mut zusammengenommen, um Eric Collins gegenüberzutreten - dem Mann, mit dem sie seit Monaten online flirtet -, doch der hat keine Ahnung, wer sie ist! Völlig gedemütigt will sie nur eins: nichts wie weg aus Coer d’Alene. Das muss Joe - Erics Bruder - mit allen Mitteln verhindern. Der in sich gekehrte Barkeeper wollte eigentlich nur den Online-Dating-Account seines Bruders löschen, ist dabei aber auf Alex’ Profil gelandet - und hat augenblicklich sein Herz an die lustige, wunderschöne Frau verloren. Doch kann er Alex überzeugen, dass er der Mann ist, in den sie sich online verliebt hat?
Band 2 der Reihe um die Dive-Bar-Barkeeper von Spiegel-Bestseller-Autorin Kylie Scott!
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Seitenzahl: 366
KYLIE SCOTT
Dirty, Sexy, Love
Roman
Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek
Alex Parks ist fassungslos! Zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie auf ihr Herz gehört und allen Mut zusammengenommen, um den Mann persönlich zu treffen, mit dem sie seit Monaten online flirtet. Sie fährt nach Coer d’Alene, um Eric auf seiner Geburtstagsparty in der Dive Bar zu überraschen – aber als sie ihm endlich gegenübersteht, wird sofort klar: Er hat keine Ahnung, wer sie ist und was sie von ihm will! Alex ist tief verletzt und gedemütigt: Genau das ist der Grund, warum sie sich nicht auf Männer einlässt – sie wird ohnehin nur enttäuscht! Sie will so schnell es geht zurück nach Seattle, doch das muss Joe Collins – Erics Bruder – mit allen Mitteln verhindern. Der in sich gekehrte Barkeeper wollte eigentlich nur den Online-Dating-Account seines Bruders löschen, als er auf Alex’ Profil landete. Sie ist lustig, wunderschön und faszinierend – einfach alles, was er in einer Frau sucht. Er hätte nie geahnt, dass ihre E-Mail-Freundschaft einmal so tief gehen könnte – dass sie einander ihre intimsten Geheimnisse erzählen könnten. Um das Missverständnis aufzuklären und sich zu entschuldigen, fährt er Alex sofort hinterher. Doch sie will nichts von ihm wissen. Aber so leicht gibt Joe nicht auf: Er ist fest entschlossen, sie davon zu überzeugen, dass er derjenige ist, in den sie sich online verliebt hat. Auch wenn er mit seinem Bart und den langen Haaren so ganz anders aussieht als der Mann auf dem Profilbild. Doch kann Alex es wirklich wagen, erneut verletzt zu werden?
An meine Leser:
Vielen Dank.
Scheiß auf Nummer sicher.
Mit zitternden Händen und wummerndem Herzen stand ich vor der Dive Bar. Meine Nerven waren außer Rand und Band, aber egal, sollten sie sich austoben. Auf keinen Fall würde ich zurück nach Seattle huschen und mich verkriechen. Nicht jetzt. Sei auf der Hut, wunderschöner, heißer Mann aus dem Internet. Ich bin da.
Jawohl, das Schicksal war, verkörpert durch mich und ein Rückflugticket, in Coeur d’Alene, Nord-Idaho, eingetroffen.
Jepp, das war die richtige Denke.
Ich holte tief Luft und schüttelte die Haare (schulterlang und braun). Meine beste Freundin Val hatte mich vor Reiseantritt geschminkt, und die Frau verstand ihren Job. Das Make-up würde es nicht wagen zu verlaufen. Ich strich die Falten in meinem Kleid (kurz und schwarz) glatt. Die Schultern anweisungsgemäß zurück, die Brust raus. Zugegeben, meine Zehen waren dabei, sich in den lächerlich hohen, schwarzen Wildlederstilettos in gefrorene Stummel zu verwandeln, und ich hatte Gänsehaut an den nackten Beinen und Armen. Doch das war nebensächlich. Val und das Mädchen in dem Geschäft hatten geschworen, dass ich in dem Outfit atemberaubend aussähe. Absolut zum Anbeißen und etwa eine Million Mal besser als gewöhnlich, was nicht zuletzt an dem Push-up-BH und der figurformenden Miederhose lag.
Ein bisschen fühlte ich mich wie eine Edelnutte. Na und wenn schon. Der erste Eindruck war entscheidend. Und wenn man Val und der Verkäuferin glauben durfte, war diese Aufmachung der Weg zum Erfolg – anders als die langweilige, aus Stiefeln, Jeans und Bluse bestehende Kluft, die ich sonst bei einer Verabredung trug. Aber normalerweise war ich auch nicht so verrückt nach dem Kerl wie nach Eric Collins. Bei diesen Dates ging es nur um schnelle Befriedigung.
Ja, ich weiß. Der blanke Horror: Eine alleinstehende Frau, die sich regelmäßig auf unverbindlichen Sex einlässt. Ohne auch nur einen Funken Zuneigung zu fraglichem Mann. Verbrennt mich auf dem Scheiterhaufen oder ertränkt mich in einem Fluss. Valerie nannte mich einen emotionalen Feigling, aber ich mochte mein Leben unkompliziert und vorzugsweise allein daheim im Pyjama. Feste Beziehungen? Komplizierter ging es nicht. Trotzdem war ich jetzt hier in Nord-Idaho, wider besseres Wissen beseelt von der Hoffnung, in alle möglichen Komplikationen verstrickt zu werden. Die Außenwelt ängstigte mich, gleichzeitig bedeutete mir Eric Collins zu viel, um ihn als vorübergehende Internetschwärmerei abzutun. Ich musste ihn sehen und herausfinden, weshalb er vor einer Woche den Kontakt sang- und klanglos abgebrochen hatte. Ausgerechnet bei seiner Geburtstagsparty aufzutauchen, verlieh der Veranstaltung ein gewisses Überraschungsmoment.
Vielleicht hatte ich in jungen Jahren zu oft mit Braut-Barbie gespielt. Was weiß ich.
Das »Geschlossen«-Schild hing im Fenster der Bar, die Außenbeleuchtung war gedimmt. Aber drinnen fand etwas statt. Gedämpfte Musik und Stimmengemurmel wurden in die kalte Nachtluft hinausgetragen. In der Ferne zuckten Blitze, und der Wind frischte auf. Sogar das Wetter ermahnte mich, nicht länger zu zögern.
Ungeachtet des Schilds war die Tür unverschlossen. Mein Trolley holperte hinter mir her, als ich mich hineinwagte. Anfangs nahm niemand Notiz von mir. Etwa ein Dutzend Leute tummelte sich trinkend und essend an dem langen Holztresen. Mein Magen zog sich zusammen, als mir der köstliche Duft von Pizza in die Nase stieg. Ich war zu nervös gewesen, um vor oder auf dem Flug etwas zu mir zu nehmen.
Mir entfuhr ein Keuchen. Da war er.
Heiliger Bimbam, sein Profilbild wurde ihm nicht annähernd gerecht. Der Mann stellte jedes Topmodel in den Schatten. Er leuchtete buchstäblich, was vor allem auf sein langes dunkles Haar, das im Licht schimmerte, und sein perlmuttweißes Lächeln zurückzuführen war. (Nicht, dass ich ihn nicht auch wegen seines Intellekts bewundert und respektiert hätte, denn das tat ich. Immerhin basierte unsere Beziehung bislang einzig und allein auf Internetmitteilungen und damit auf einer höchst platonischen Ebene. Es war überfällig, dass ich ihn endlich in Fleisch und Blut zu sehen bekam.)
Meine innere Anspannung legte sich, und ich ließ erleichtert die Schultern fallen. Gleichzeitig wurde das Lächeln in meinem Gesicht immer breiter. Es hieß, niemand gäbe im Internet wirklich die Wahrheit über sich preis. Das World Wide Web war im Grunde genommen nur dazu entwickelt worden, Fremde anzuschwindeln und Katzenfotos zu teilen. Darum war es ein gewaltiger Vertrauensvorschuss meinerseits gewesen, in dieses Flugzeug zu steigen. Eric hätte sich als zweihundertfünfzig Kilo schwerer Perverser entpuppen können, der lediglich Fotos von meinen Titten ergattern wollte, um sich bei deren Anblick einen runterzuholen. Wahlweise als Familienvater mit fünf Ehefrauen und dreiundvierzig Kindern, der darauf hoffte, dass ich mich seiner Sippe anschließen und ihm noch ein paar weitere Bambini gebären würde.
Aber Fehlanzeige. Der Mann entsprach exakt seinen eigenen Beschreibungen. Blieb nur zu hoffen, dass ich seine Erwartungen ebenfalls erfüllte. Schlagartig kehrte die Anspannung zurück, und mit ihr der Knoten in meinem Magen. Andererseits hatte ich weder meine wuchtigen Schenkel noch meine überschaubare Körbchengröße beschönigt. Entweder gefiel ich ihm in natura oder eben nicht. Es gab nichts, was ich jetzt noch daran ändern könnte.
Die erste Person wandte den Kopf und bemerkte mich. Weitere folgten ihrem Beispiel, bis die gesamte Partygesellschaft abwartend verstummte.
»Hi«, ergriff jemand das Wort. »Sorry, aber wir haben heute Abend geschlossen. Dies ist eine Privatveranstaltung.«
»Ich weiß«, entgegnete ich. Indem ich die Tische umrundete, ohne eine Sekunde den Blick von Eric abzuwenden, steuerte ich auf ihn zu. Der Nervenkitzel dieses Moments war derart übermächtig, dass mir die Tränen kamen und ich die Fassung zu verlieren drohte. Ich würde diesen Abend bis an mein Lebensende nicht vergessen. Eric war hinreißend, einfach wundervoll. Allein durch das Lesen seiner E-Mails hatte ich mich fürchterlich in ihn verknallt, aber es war dieser Augenblick, in dem wir uns endlich zusammen im selben Raum befanden und die Verbindung zwischen uns spürten, der die Sache perfekt machte.
Eric Collins’ Schicksal war besiegelt. Er würde mir, Alexandra Parks, so heftig verfallen, dass es wehtat.
Als ich fast bei ihm war, konnte ich mich nicht länger beherrschen. Schwungvoll warf ich mich in seine Arme. Und wie ich es vorhergesehen hatte, fing er mich auf.
»Alles Gute zum Geburtstag, Eric«, sagte ich mit einem vor Nervosität und Freude zittrigen Lächeln.
»Danke.«
Ich lachte auf. Es klang nur leicht hysterisch. »Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich hier bin.«
Wunderschöne jadegrüne Augen starrten mich verdutzt an.
»Ähm … Überraschung«, fügte ich hinzu.
»Wow.« Eine Pause entstand, und er leckte sich über die perfekten Lippen. »Kennen wir uns?«
Die Welt schien plötzlich stillzustehen.
»Wie bitte?«, entfuhr es mir.
Ein leises Lachen, das sein Unbehagen deutlich verriet. »Wir sind uns also schon mal begegnet, hm?«
»Eric«, sagte ich in tadelndem Ton.
Er antwortete nicht, sondern sah mich weiterhin irritiert an. Als wäre ich ihm komplett fremd.
»Ist das ein Witz?« Mein Körper versteifte sich in seinem Griff. »Eric, ich bin’s. Alex.«
Nichts.
Keine noch so winzige verfluchte Reaktion.
Alle beobachteten uns, in sämtlichen Gesichtern derselbe verwirrte Ausdruck. Hochgezogene Brauen, zaghaftes Lächeln, das ganze Programm. Gott. Monatelang hatte ich mir dieses Szenario wieder und wieder vor meinem geistigen Auge ausgemalt. Aber das hier war dabei definitiv nie herausgekommen. Was immer das hier war.
Ich löste mich aus den Armen meines vermeintlichen Liebsten, während sich erst leichte, dann starke Zweifel in mir regten. Gleich darauf verwandelten sie sich in einen Tsunami der Fassungslosigkeit, der mein Herz und meine Seele unter sich begrub. Ich ertrank in ihm, während mich langsam, aber unaufhaltsam Panik überwältigte. Das war es, was einem blühte, wenn man sich aus seiner Komfortzone wagte: schlimme Erfahrungen. Wahrhaft beschissene, grausame Erfahrungen. Warum zur Hölle hatte ich mein Zuhause überhaupt verlassen?
»Ich verstehe nicht.« Meine Stimme klang nun laut und schrill. »Natürlich kennst du mich. Wir kommunizieren seit Monaten. Über E-Mail.«
Noch immer nichts.
»Wir haben uns auf Hearting dot com kennengelernt. Erinnerst du dich nicht?«
Die Umstehenden taxierten mich weiter mit ausdruckslosen Mienen. Inklusive Eric.
Aufgebracht erwiderte ich seinen Blick. »Dann hast du mich also absichtlich zappeln lassen? Du hast niemandem von mir erzählt, und jetzt streitest du einfach alles ab? So willst du aus der Nummer rauskommen? Im Ernst?«
»Möglicherweise habe ich nur deshalb niemandem von dir erzählt, weil ich keinen Schimmer habe, wer du bist«, konterte er und musterte mich von Kopf bis Fuß. Auf einmal flackerte ein nachdenklicher Ausdruck über seine Züge. »Warte mal. Bist du nicht die Kleine, der ich es auf dieser Party in Spokane in einem begehbaren Kleiderschrank von hinten besorgt habe?« Sein Lächeln war gleichermaßen mitleidig, entschuldigend und anzüglich, wie auch immer er das anstellte. »Scheiße, du bist es, oder? Entschuldige, dass ich dich nicht sofort wiedererkannt habe. Vielleicht, wenn du mir deinen Hinterkopf gezeigt hättest.«
Mir fehlten die Worte.
»Manchmal ist es einfach schwer, sich nach einer rauschenden Nacht an Gesichter zu erinnern. Außerdem habe ich an dem Abend Flaming Blue Jesus’ gemixt. Du weißt schon, diesen Cocktail aus Rum, Pfefferminzschnaps und Pfirsichlikör, mit einer hauchdünnen Schicht Tequila obendrauf.« Er leckte sich die Lippen. »Da fahr ich voll drauf ab.«
Ich schüttelte bedächtig den Kopf. »Du hast es mir nicht von hinten in einem Kleiderschrank besorgt.«
»Nein? Bist du ganz sicher? Dürfte ich kurz mal einen Blick auf deinen Hinterkopf werfen?«
»Wir haben uns nicht auf einer Party kennengelernt, Eric«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Sondern im Internet. Wir haben uns monatelang geschrieben.«
»Das war ich nicht.«
»Und ob du das warst.«
»Hör zu, das ist nicht mal realistisch.« Eric stemmte die Hände in seine schmalen Hüften. »Jeder in diesem Raum weiß, dass so etwas nicht zu mir passt. Meine Aufmerksamkeitsspanne reicht dafür nicht.«
»Das ist wahr«, bestätigte jemand, woraufhin etliche andere nickten. Sie mochten Eric auf den Leim gehen, aber ich würde mich nicht täuschen lassen.
»Schon klar«, feuerte ich zurück. »Dann habe ich mir das Ganze wohl nur ausgedacht.«
»Schon möglich.« Er grinste. »Haben meine vielen E-Mails etwa um den Zeitpunkt herum begonnen, als du deine Medikamente abgesetzt hast?«
»Eric«, wies ihn eine der Frauen zurecht. Sie war schlank, rothaarig und schwanger.
»Du bist Nell.« Ich winkte ihr mit den Fingern. »Er hat mir von dir erzählt und mir Bilder von euch allen und der Dive Bar geschickt.«
Die Augen der Frau wurden groß.
»Allerdings hat er nie erwähnt, dass du ein Kind erwartest. Glückwunsch.«
»Danke«, entgegnete sie zögerlich.
Als Nächstes wandte ich mich dem anderen Rotschopf im Raum zu, einem großen, gut gebauten, über und über tätowierten Mann. »Und du bist Vaughan, Nells Bruder. Du bist Musiker und seit Kurzem mit Lydia verlobt, der hübschen Blondine neben dir. Hi.«
»Hi.« Sie kniff überrascht die Lippen zusammen.
»Wenn ich eine Irre wäre, woher wüsste ich diese Dinge dann?« Ich drehte mich wieder zu Eric um und stützte nun ebenfalls die Hände in die Hüften. »Oder dass du mit den meisten hier zur Schule gegangen bist? Dass ihr als Kinder nur wenige Straßen voneinander entfernt gewohnt habt?«
Eric klappte der Mund auf, aber es kamen keine Worte heraus.
»Oh mein Gott.« Eine vertraute, bildschöne dunkelhäutige Frau mit wilden Korkenzieherlocken trat vor. »Bist du etwa eine von diesen Hellseherinnen? Meine Mutter schaut sich diesen Quatsch immer im Fernsehen an. Ich habe bisher nie daran geglaubt, aber …«
»Nein, sie ist eine Stalkerin«, unterbrach Eric sie. »Muss so sein. War vorherzusehen, dass ich früher oder später eine am Hals haben würde.«
»Ich bin keine Stalkerin.« Wenngleich meine vor Zorn geballten Fäuste durchaus zur Folge haben konnten, dass ich schon bald wegen Körperverletzung angeklagt wurde.
»Versuch’s mal bei mir«, forderte die dunkelhäutige Frau mich auf. »Wer bin ich?«
»Rosie, eine der Kellnerinnen.«
»Volltreffer!« Sie lächelte. »Kannst du mir etwas über meine Zukunft sagen?«
»Sorry, aber ich bin wirklich nicht hellsichtig.«
»Oh.« Ihre Mundwinkel sackten nach unten. »Wie schade.«
»Was ist hier los?«, ließ sich hinter uns eine tiefe, dröhnende Stimme vernehmen.
Ich fuhr herum und fand mich einem überrascht dreinblickenden Mann gegenüber, einem blonden Riesen, der lässig einen Kasten Bier gestemmt hätte. Seine goldene Mähne wallte über seine breiten Schultern, und seine untere Gesichtshälfte wurde von einem Bart verdeckt. Vermutlich wärmte er ihn im Winter, aber mal ehrlich. Wer brauchte so viele Haare?
»Hallo, Bruderherz, willkommen im Wahnsinn.« Eric schlug dem Hünen auf den Rücken. »Du hast mir nicht zufällig als Geburtstagsgeschenk eine hellsichtige Stripperin geschickt?«
Ein entgeisterter Blick aus dunklen Augen traf mich. Joe. Es war sein Bruder Joe, natürlich. Der Kerl war in echt nur noch ein ganzes Stück größer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Nicht, dass ich darauf viel Zeit verschwendet hätte.
»Was?« Er schüttelte verwirrt seinen Zottelkopf. »Ganz sicher nicht.«
»Eine Stripperin?«, echote ich ungläubig. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
Eric taxierte meine Schuhe. »Du musst zugeben, diese Stilettos könnten einen auf gewisse Gedanken bringen.«
Da hatte er nicht ganz unrecht. Trotzdem bezweifelte ich, dass ich wie eine Frau aussah, die regelmäßig mit Pasties angetan auf Partys auftauchte. Geschweige denn über tänzerisches Können verfügte oder wusste, wie man sich an einer Stange räkelte.
»Okay, es reicht jetzt«, ergriff Nell das Wort. »Womöglich ist dieses arme Mädchen Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden.«
Mir blieb die Spucke weg.
»Äh, na ja … irgendetwas ist hier jedenfalls nicht ganz koscher«, meinte Joe. »Wieso bringen wir sie nicht nach hinten ins Büro, da ist es etwas privater. Wir wollen sie nicht in Verlegenheit bringen.«
»Mir scheint, ich habe so ziemlich den Gipfel der Oberpeinlichkeit erreicht.« Ich bedachte ihn mit einem gezwungenen Lächeln. »Trotzdem danke.«
Merkwürdig, aber seine Haut, vielmehr das bisschen, das davon zu sehen war, war aschfahl geworden. Er sah aus, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Oder in Ohnmacht fallen.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«, erkundigte sich Vaughan, der es ebenfalls bemerkt hatte.
»Ja, ja. Ging mir nie besser.« Es war verwunderlich, dass seine Nase nicht länger wurde. Sogar ich erkannte, dass er log wie gedruckt.
»Also bist du Eric nie zuvor persönlich begegnet?«, hakte Nell nach. »Sondern nur online?«
Ich nickte. »Ja. Wir haben uns ausschließlich E-Mails geschrieben.«
Mit bedauerndem Blick trat Nell näher und senkte die Stimme. »Es kann nicht Eric gewesen sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht mal den Anschaltknopf an einem Computer finden würde, geschweige denn imstande wäre, regelmäßig Nachrichten zu schreiben. Es hat ewig gedauert, bis er lernte, auch nur seinen Namen zu buchstabieren.«
Eric zog die Stirn kraus. »He, das tut hier nichts zur Sache.«
»Pst.« Nell bedeutete ihm mit einem Handzeichen, still zu sein. »Ich bezweifle, dass er überhaupt derjenige war, der den Account auf dieser Dating-Seite eingerichtet hat.«
»Das habe ich sehr wohl«, widersprach Eric missmutig. »Verdammt noch mal, Nell. Hör auf, so zu tun, als würde meine Hälfte des Görs dümmer werden als deine. Das wird nicht passieren.«
»Nenn mein Kind nicht Gör«, warnte Nell ihn und stieß ihm den Finger in die Brust.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Plötzlich war alles entsetzlich klar.
»Das Baby ist von dir?«, konfrontierte ich den Schmierlappen vor mir. »Wen wundert es da, dass du behauptest, mich nicht zu kennen? Gott. Du Arschloch. All diese Dinge, die du zu mir sagtest, während du gleichzeitig Vater-Mutter-Kind mit ihr gespielt hast.«
»Was?« Erics Du-hast-sie-ja-nicht-alle-Blick potenzierte sich mit drei. »Nein. Ich … Kacke. Joe hat mir geholfen, diesen blöden Dating-Account einzurichten, danach hab ich ihn fast vergessen. Ich brauchte ihn nicht. Darum hab ich Joe gebeten …«
Stille.
»Joe?« Blinzelnd drehte Eric sich zu seinem Bruder um.
Auch Nell wandte sich dem blonden Hünen zu.
Dieser krümmte sich sichtlich unter ihren Blicken. Er machte den Eindruck, als wünschte er sich eine Falltür unter seinen Füßen, um darin zu verschwinden.
»Hast du ihr die E-Mails geschickt, Bruder?«, fragte Eric.
»Ja, hab ich.« Der blonde Bigfoot wirkte nicht glücklich darüber. »Ich … wir haben eine Weile miteinander kommuniziert. Wir kennen uns.«
»Tun wir nicht.« Entrüstet starrte ich Joe an, der definitiv nicht mein Typ war. Sein Bruder? Absolut. Aber er? Nix da. »Ich kenne Eric, nicht dich.«
Bigfoot seufzte.
Ich zeigte anklagend mit dem Finger auf den dunkelhaarigen Mann meiner Träume. »Er war der auf dem Profilfoto. Ihm habe ich sozusagen meine Seele offenbart. Nicht dir. Ich weiß nicht mal, wer du bist.«
»Lass es mich erklären.« Joes/Bigfoots Blick wurde durchdringender, er galt allein mir. Seine dunkelbraunen Augen sahen mich so ernst an, als könnte er mich durch schiere Willenskraft dazu bringen, diesen Schlamassel zu durchschauen. »Ich hab deine Nachricht gelesen und … keine Ahnung. Du kamst mir vor wie jemand –«
»Den man verarschen kann?«
»Nein.« Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Du warst so witzig und real und –«
»Real?« Ich wich einen Schritt zurück, konnte nur mit dem Kopf schütteln.
»Ja, real. Anfangs wollte ich nur meinem Bruder helfen, indem ich versuchte, ihn zur Abwechslung mal für jemand Nettes zu interessieren. Eine Frau, die mehr Vorzüge hat als nur eine große Oberweite.« Sein Blick glitt zu meinem optimierten, aber immer noch eher flachen Busen, und ein Ausdruck von Panik huschte über sein Gesicht. »Nicht, dass du keine hättest –«
»Spar dir die Mühe.«
»Doch dann habe ich dich besser kennengelernt und festgestellt, dass du jemand bist, mit dem ich mich wirklich austauschen kann.« Er bedachte die Leute, die uns umringten, mit einem zutiefst verlegenen Blick. »Ich schätze, ich war einsam. Keine Ahnung.«
Oha, schämte sich der armselige Wichser am Ende? Mir blutete das Herz.
»Aber du warst an Eric interessiert, darum …«
»Darum was?«
Er sagte nichts.
»Versuchst du etwa, mir weiszumachen, deine Motive seien vollkommen rein gewesen? Im Ernst?« Wieder konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Ob aus Verwunderung oder Entsetzen wusste ich selbst nicht. »Ich habe dir geglaubt, aber du warst von Anfang an nichts anderes als ein Hochstapler.«
Sein Mund wurde verkniffen. »Das ist nicht wahr. Ich bin dein Freund.«
»Bullshit. Ein Freund würde so etwas niemals tun.«
Unter den Umstehenden erhob sich Gemurmel. Was immer das hier war, scheiß drauf. Scheiß auf Eric, auf Joe, auf die gesamte Menschheit, das Internet, auf all meine Hoffnungen und Träume. Ich würde auf direktem Weg nach Hause zurückkehren und mich dort einigeln. Ich wich noch einen Schritt zurück, dabei stieß ich mit dem Hintern gegen die Rückenlehne eines Stuhls. Er kippte um und schlug mit einem ohrenbetäubenden Knall auf den Boden. »Mist. War keine Absicht. Ich, äh …«
Die Gesichter um mich herum verschwammen, und in meinem Kopf rauschte es. Großer Gott. All die höchst privaten Dinge, die ich ihm anvertraut hatte. Wie offenherzig ich gewesen war. Ich war einfach nur ein weiteres dummes Mädchen, das von der großen Liebe und einem Leben träumte, das mehr zu bieten hatte. Hier würde ich nichts davon finden.
Zeit, den Rückzug anzutreten.
Ich machte auf dem Absatz kehrt, eilte auf direktem Weg zu meinem Koffer, fasste ihn an seinem Plastikgriff und stürmte aus der Tür in die kalte Nachtluft, die mich wie eine wohlverdiente Ohrfeige mitten ins Gesicht traf. Auf dem Gehsteig geriet ich in meinen albernen Schuhen ins Stolpern, trotzdem lief ich weiter, schneller und immer schneller, um so viel Abstand wie möglich zwischen mich und dieses ganze Debakel zu bringen.
Mein Koffer holperte auf seinen Rollen über den Asphalt. Ich fühlte mich taub vom Kopf bis zu den Zehen. Nicht existent. Der einsetzende Regen hätte eigentlich durch mich hindurchgehen müssen, anstatt in mein geliehenes Baumwollkleid zu sickern.
»Alex!«, ertönte hinter mir die Stimme eines Mannes. Seine.
Sie trieb mich nur noch schneller voran. Weit und breit keine Autos oder Zeichen von Leben. Die Welt schien ausgestorben. Da waren nur ich, diese Stimme und der Sturm.
Gott, es war so falsch gewesen, hierher zu kommen. So ungeheuer falsch.
Was zur Hölle hatte ich getan?
Heterosexuelle Frau, Alter 29.
Grafikdesignerin. Arbeitet von zu Hause aus.
Geboren und aufgewachsen in Seattle.
Mag Liebesromane, Action-, Science-Fiction- und Horrorfilme, außerdem Sendungen über Gebäudesanierungen.
Keine Haustiere, es sei denn, man ließe das Eichhörnchen in dem Baum draußen gelten. Sein Name ist Marty.
Wertvollster Besitz: ein Laptop. Meine gesamte Arbeit befindet sich darauf. Nicht mitgerechnet die Sicherungskopie auf einem USB-Stick, den ich Marty anvertraut habe.
Größter Stolz: die von mir gegründete und geleitete Grafikagentur.
Für die kommenden fünf Jahre habe ich mir vorgenommen, mein Geschäft auszubauen, in eine Immobilie zu investieren und mich im Renovieren zu versuchen.
Ich bin auf der Suche nach jemandem, der berufstätig, ordentlich und herzeigbar ist, eine künstlerische Ader sowie Sinn für Humor hat.
Nach einem amüsanten Ausgehabend mit einem neuen Freund.
Sexuelle Kompatibilität ist Grundvoraussetzung.
Das Wichtigste in einer Beziehung ist Ehrlichkeit.
Heterosexueller Mann, Alter 28.
Gastronom.
Geboren und aufgewachsen in Nord-Idaho.
Mag Filme und Musik.
Wertvollster Besitz: Familie und Freunde.
Größter Stolz: das von mir aufgebaute und geleitete Restaurant mit Bar.
Für die kommenden fünf Jahre habe ich mir vorgenommen, meine Traumfrau zu finden und mich mit ihr in einem Heim, das wir mit unseren eigenen Händen geschaffen haben, niederzulassen, um eine Familie zu gründen.
Ich suche nach jemandem, der vorzeigbar ist.
Und offen dafür, an amüsanten Ausgehabenden neue Freundschaften zu schließen.
Sexuelle Kompatibilität ist absolute Grundvoraussetzung,
Das Wichtigste in einer Beziehung ist Aufgeschlossenheit.
»Alex!«, erklang eine tiefe männliche Stimme.
Ich hätte es besser wissen müssen, als es drauf ankommen zu lassen. Was war ich nur für eine Idiotin. Hätte ich doch einfach weiter meiner Schwärmerei für den einen oder anderen Fernsehdarsteller gefrönt. Das war wesentlich sicherer. Und was Valerie betraf, die mir falsche Hoffnungen eingeflößt und mich ermutigt hatte, ein Flugticket zu kaufen, standen die Chancen, dass ich ihr in nächster Zukunft mit einem glitschigen Fisch eins überbraten würde, extrem hoch. Oh, diese Bastarde. Diese herzlosen, seelenlosen Wichser, die mich an der Nase herumgeführt hatten. Männer waren verabscheuungswürdiger als jedes andere bekannte Geschöpf.
»Jetzt warte doch mal.« Joes große Hand packte mich am Arm und brachte mich zum Stehen.
Unwillkürlich bleckte ich die Zähne.
»Grundgütiger.« Er wich hastig zurück und ließ mich los.
»Fass mich nicht an«, warnte ich in eisigem Ton, genau in dem Moment, in dem der Himmel seine Schleusen öffnete und es wie aus Kübeln zu gießen begann. Großartig, einfach grandios.
»Schon gut, schon gut«, sagte er. »Entschuldige.«
»Geh weg.« Ich atmete zischend ein. »Joe, Eric, wer zum Henker du auch bist, es spielt keine Rolle. Lass mich einfach in Frieden.«
Mit entschlossener Miene drehte ich mich um und lief ziellos weiter, Hauptsache, ich gelangte so schnell wie möglich von der Dive Bar und diesem verdammten Pack weg.
»Bitte warte«, rief er mir nach. »Alex, du musst es mich erklären lassen. Ich hätte dich nicht belügen dürfen, das weiß ich, aber Eric hätte sich nie bei dir zurückgemeldet. Eigentlich wollte ich dir eine Nachricht schicken, um dir zu sagen, dass du dir darüber nicht den Kopf zerbrechen musst, aber dann hat es mir gefallen, mit dir zu schreiben.«
»Schön für dich.«
Mit gesenktem Kopf und eingezogenen Schultern stapfte ich weiter. Nasse Haarsträhnen klebten mir im Gesicht, und die Kälte drang mir bis in die Knochen, sodass ich schlotterte. Die mit etwa einem halben Liter Regenwasser pro Seite vollgesogenen Polster meines Push-up-BHs machten mich topplastig. Dolly Parton war ein verfluchter Witz gegen mich. Und meine für vierhundert Dollar im Schlussverkauf erstandenen Wildlederpumps waren ruiniert, aber das ließ sich nicht ändern. Das Geld war längst von meinem für mein zukünftiges Traumhaus angelegten Sparkonto abgebucht. Ein weiterer Grund, den Kerl zu hassen.
Ich brauchte einen Unterschlupf. Außerdem trockene Klamotten und einen ordentlichen Drink, und zwar in exakt dieser Reihenfolge. Schwere, platschende Schritte neben mir, während Donner durch den dunklen Wolkenhimmel grollte.
»Hör zu, es tut mir leid, dass du enttäuscht bist. Mir ist klar, dass du nach einem hübschen Jungen suchst, der weiß, wie man ein Mädchen umgarnt, und der bin ich definitiv nicht«, fuhr er fort. »Abgesehen davon bist du auch nicht unbedingt mein Typ. Soll keine Beleidigung sein.«
Kackbratze.
»Trotzdem finde ich dich toll, und es ist gut, dass wir Freunde sind. Wir unterstützen einander, Alex.«
Ich ging schneller.
Leider hatte der Typ dank seiner langen Beine kein Problem mitzuhalten. »Wir beide können über alles reden, ohne Kritik oder Klatsch befürchten zu müssen. Ganz ehrlich, du warst in den vergangenen Monaten so ziemlich das Einzige, das mir meine geistige Gesundheit bewahrt hat.«
Ich legte noch einen Zahn zu, um ihm zu entkommen. Vergeblich.
»Ach, verdammt. Ich hatte dir doch gesagt, dass wir das Treffen verschieben sollten.«
Abrupt blieb ich stehen. »Moment mal. Du willst ernsthaft mir die Schuld in die Schuhe schieben?«
»Nein«, knurrte er. »Ich versuche nur, meinen Standpunkt klarzumachen.«
»Und der wäre?« Ich verzog spöttisch die Lippen. »Na?«
Wasser tropfte aus seinem Bart und versickerte in seinem T-Shirt, das schon jetzt an seinem Körper klebte. Ich hatte den Verdacht, dass ihm der pudelnasse Look besser stand als mir. Mistkerl. Selbst im Licht der Straßenbeleuchtung war nicht zu übersehen, wie fit und stark er war. Ein hünenhafter Mann mit gewaltigem Brustkasten, wohingegen sein Bruder eher schmal gebaut war. »Ich will darauf hinaus, dass unsere Freundschaft funktioniert und es wert ist, erhalten zu werden. Und ich habe kapiert, dass du kein Interesse an einem Kontakt mit mir gehabt hättest, wäre da nicht Erics Foto gewesen. Stimmt’s oder hab ich recht?«
»Ich schätze, das werden wir nie herausfinden.«
»Bullshit.«
»Leck mich«, spie ich ihm entgegen und stieß ihm den Finger in die Brust. »Du hast mich belogen. Wieder und wieder. Mich glauben lassen, du seist jemand anderes. Klingt das für dich nach einer Freundschaft? Schieb es ruhig auf deine Unsicherheit, deine Einsamkeit, Geschwisterrivalität oder sonst was. Mir egal. Aber du hast die Entscheidung getroffen, das zu tun. Nicht ich. Sondern du. Ich bin fertig mit dir.«
Und ich meinte es so. Ich marschierte weiter, ließ ihn einfach da stehen, mit Gewittermiene im Gesicht.
Lumbersexuelle Männer waren mit Abstand die schlimmsten. Um ehrlich zu sein, war ich nie ein großer Fan von Bärten gewesen. Bestenfalls hatten sie mich kaltgelassen. Doch inzwischen widerten sie mich regelrecht an. Ein hässlicher, borstiger Rahmen für lügende Lippen und gespaltene Zungen, das waren sie. Diese verabscheuungswürdigen, haarigen Drecksäcke. Sollten sie alle in Rauch aufgehen.
»Es ist mitten in der Nacht, und es tobt ein Sturm«, bellte Herr Schlaumeier mir hinterher. »Wo willst du hin, Alex?«
Ich ignorierte ihn und lief weiter. Der Teil der Innenstadt, wo die Dive Bar gelegen war, bot nicht viele Optionen. Ein paar Geschäfte, die derzeit alle geschlossen hatten. Coeur d’Alene an sich war hingegen relativ groß. Sobald ich meinem Verfolger entwischt wäre, würde ich einen Uber-Wagen bestellen und mich im erstbesten Hotel einquartieren.
»Bis zum Stadtkern sind es noch sechs Häuserblocks. Willst du bei diesem Regen wirklich so weit laufen?«
Jedenfalls wusste ich jetzt, dass ich in die richtige Richtung unterwegs war.
»Lass mich dir wenigstens mit deinem Koffer helfen.«
Ohne ihn zu beachten, packte ich den Griff meines halb rollenden, halb holpernden Koffers fester.
Ein steter Strom grummelnder Laute, unterbrochen von der einen oder anderen Verwünschung, folgte mir auf den Fersen. Hier waren mehr oder weniger nur er, ich, mein polternder Koffer und das Trommeln des Regens. Irgendwann würde er aufgeben und verschwinden. Ganz bestimmt.
Nur tat er das nicht.
Als ich mich endlich die Stufen zum Lake Hotel hochmühte, hatte ich ihn noch immer im Schlepptau. Und das, obwohl ich ihn die ganze Strecke keines Blickes gewürdigt hatte. Jetzt blieb er geduldig wartend im Regen stehen, während ich das Gebäude betrat. Das Innere war sehr ansprechend. Vor einer Ledercouch brannte ein Feuer im offenen Kamin, und die deckenhohen Fenster blickten hinaus in die Dunkelheit.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Ma’am?«, fragte der junge Mann hinter der Rezeption höflich und lächelte starr.
»Ich hätte gern ein Zimmer«, antwortete ich mit so viel Würde wie möglich. Kein leichtes Unterfangen, während ich den Fliesenboden volltropfte. Meine Beine waren mit Schlamm bespritzt. Die Pfützen am Straßenrand hatten meine Designerschuhe in ein bräunliches Bild des Jammers verwandelt. Reizend. Ich war wegen des kalten Regens halb zu Eis erstarrt, und Blasen bedeckten das, was von meinen Füßen übrig war. Ich zerfloss in Selbstmitleid. »Falls noch eines frei ist?«
»Selbstverständlich.« Er brauchte einen Augenblick zu lange, um den Blick von mir loszureißen und ihn auf den Computer zu richten. Wenig verwunderlich. »Ich könnte Ihnen ein klassisches Zimmer anbieten, oder alternativ –«
»Verfügt es über eine warme Dusche und eine Minibar?«
»Ja, Ma’am.«
»Dann nehme ich es.«
Er zwinkerte. »Äh, natürlich, Ma’am. Es steht Ihnen gleich zur Verfügung.«
Fast hätte ich vor Dankbarkeit losgeheult. Aber mein triefnasser Anblick schien den Knaben schon genug aus der Fassung zu bringen. So verstohlen wie möglich linste ich über meine Schulter. Die Straße war verwaist. Er war weg. Puh.
Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis sich mein kleines Abenteuer in eine erzählenswerte Anekdote verwandelte. Nur dass kein Teil von mir darüber lachen konnte. Nicht eine einzige Zelle. Mein Eric, der wunderschöne Mann aus dem Internet, existierte nicht. Nicht wirklich. Denn der Typ, der mich mit langen, weitschweifenden E-Mails über das Leben und alles Mögliche bezirzt hatte, war ein Lügner. Und denen durfte man bekanntlich nicht trauen.
Erneut spähte ich über meine Schulter nach draußen in den Regen. Er war und blieb verschwunden. Wahrscheinlich würde ich ihn nie wiedersehen, und das wäre auch besser so. Gar keine Frage. Morgen würde ich die Heimreise antreten. Zurück in den sicheren Hafen meiner Wohnung und in mein straff organisiertes, unkompliziertes Leben. Über kurz oder lang würde ich alles, was wir uns in diesen Mails anvertraut hatten, vergessen, genau wie das Gefühl von Verbundenheit und die Aufregung, die mich erfasst hatte, wann immer sein Name in meiner Inbox aufgetaucht war. Oder die Art, wie ich mein Leben danach ausgerichtet hatte, seine nächtlichen Schreiben zu lesen. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend blinzelte ich die salzigen Tränen zurück, die in meinen Augen brannten.
Jawohl, die Erinnerung würde verblassen, und bei mir würde wieder alles ins Lot kommen.
Vor fünf Monaten gesendete Nachricht:
Liebe Alex,
hab deinen Steckbrief gelesen. Werde bald geschäftlich in Seattle sein und würde dich gern zum Abendessen ausführen, sofern du Zeit hast. Eric
Erhaltene Nachricht:
Hallo Eric,
freut mich, dich kennenzulernen. Was denkst du, wann du in der Stadt sein wirst? Es würde mich sehr interessieren, mehr über dein Restaurant zu erfahren. Spielst du wirklich mit dem Gedanken, mit eigenen Händen ein Haus zu bauen? Ich habe große Pläne, irgendwann meine Zweizimmerwohnung zu renovieren. Aber ein ganzes Haus … wow.
Alex.
»Du nimmst mich auf den Arm!«, drang Vals entrüstete Stimme blechern aus meinem Handy.
»Leider nein.«
Die Fahrstuhltüren glitten auf, und ich trat in die Hotellobby. Die grelle Morgensonne, die durch die Fenster hereinstrahlte, schien mich und meine miese Laune zu verhöhnen. »Ich wünschte, es wäre so.«
»Dieses verlogene Stück Scheiße!«
»Du sprichst mir aus der Seele.« Ich blieb stehen, um mich zu schnäuzen. Das Geräusch war alles andere als appetitlich. Dank des zauberhaften Spaziergangs im Regen letzte Nacht war ich heute Morgen mit einer fiesen Erkältung aufgewacht. Inklusive Halsweh, roter, laufender Nase und hämmernden Kopfschmerzen. Ich fühlte mich, als hätte jemand mich verkehrt herum aufgehängt und meine Nasengänge mit schnell trocknendem Zement gefüllt. Und das gerade als ich dachte, schlimmer könnte es nicht werden.
»Gott, du klingst furchtbar«, stellte sie fest. »Wenn ich daran denke, dass er dir seine Freundschaft angeboten hat, obwohl ihr euch noch nie begegnet wart. Ich hatte solch große Hoffnungen in ihn gesetzt.«
»Ja, ich auch.« Ich seufzte.
»Und ich habe dich noch ermutigt.« Sie verstummte kurz. »Solltest du mich nicht darauf hinweisen, dass du insgeheim recht hattest und ich nicht? Außerdem müsstest du mir eigentlich einen Vortrag über deine Theorie hinsichtlich eines unkomplizierten Lebens halten.«
»Bringt doch nichts. Du hast das alles schon gehört, und ich hab nicht die nötige Energie.«
»Ach, du armes Ding. Wenn du dich nicht mal zu einem ›Ich hab’s dir doch gesagt‹ aufraffen kannst, muss es dir echt dreckig gehen.« Sie ließ ein Schnauben hören.
Valerie und ich hielten zusammen wie Pech und Schwefel, seit dieselbe Gruppe Rabauken uns in der achten Klasse aufs Korn genommen hatte. Ich war schon immer eine tollpatschige graue Maus ohne Peilung gewesen. Ein leichtes Angriffsziel für die coolen Kids, die in den Schulfluren das Sagen haben wollten. Damals war Valerie noch Vincent gewesen und hatte so wenig wie ich dazugehört. Wir hatten einiges an Kränkungen, gebrochenen Herzen und schließlich eine Geschlechtsumwandlung zusammen durchgestanden. Folglich gehörte es wohl zu ihrer Jobbeschreibung, wegen dem, was mir passiert war, in Harnisch zu geraten. Aber ich hatte damit abgeschlossen. Ich fühlte mich innerlich halb tot und emotional verausgabt. Alles, was ich zu geben hatte, war letzte Nacht auf Nimmerwiedersehen stiften gegangen.
»Ich komme zu dir«, verkündete sie mit fester Stimme.
Ich zog eine Grimasse. »Wozu um alles in der Welt solltest du hierherkommen? Ich sitze hoffentlich am Nachmittag im Flugzeug, allerspätestens heute Abend.«
»Spielt keine Rolle. Dieser Joe/Eric-Wichser braucht einen Tritt in den Arsch. Ich werde kommen.«
»Nein, wirst du nicht.«
»Oh doch, und ich werde meine spitzesten Stilettos anziehen«, beharrte sie. »Du kennst sie noch nicht, sie sind nagelneu. Mit Leopardenmuster. Der Hintern dieses Kerls ist Geschichte.«
»Ach, da fällt mir etwas ein. Meine Schuhe sind hinüber.«
Sie schnappte nach Luft. »Nicht die um fünfzig Prozent reduzierten YSL!«
»Genau die. Ich hab dir gleich gesagt, dass man mir keine Designerstücke anvertrauen darf.«
»Aber sie standen dir so gut. Damit ist die Sache entschieden. Ich werde definitiv kommen und ihm wehtun.«
Ich atmete tief ein. Durch den Mund, nicht die Nase. Die war keine Option.
»Mann, das hört sich echt schlimm an«, bemerkte Val.
Ich quittierte das mit einem Grunzen und schnäuzte mich wieder. Ich war die reinste Rotzfabrik.
»Igitt. Das ist ja widerlich. Im Ernst, ich bin nicht sicher, ob du in diesem Zustand fliegen solltest.« Sie klang besorgt.
»Das wird schon wieder.« Ich schob den Packen Papiertücher zurück in die Gesäßtasche meiner Jeans. »Ich brauch nur einen Kaffee.«
Das Morgenlicht blendete mich trotz meiner Sonnenbrille. Ich trat aus dem Hotel, dann blieb ich stehen, damit meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnen konnten. Im Zentrum von Coeur d’Alene war es um diese frühe Uhrzeit noch ruhig, nur gelegentlich fuhr ein Wagen vorbei, und ein Stück weiter den Gehsteig hinauf verwiesen einige Schilder auf Cafés. Die diversen schicken Modeboutiquen und Souvenirshops hatten noch geschlossen. Die kühle Luft kitzelte mich bedenklich in Nase und Hals. Vermaledeite Kälte.
Ein Stoßseufzer von Val. »Bist du ganz sicher, dass ich nicht kommen und in deinem Namen eine Gewalttat verüben soll?«
»Ja, trotzdem danke für das Angebot.«
»Es gibt in der Gegend eine Menge Wälder. Die Leiche würde nie gefunden, das verspreche ich.«
»Sei vernünftig. Du weißt, wie sehr du die Natur hasst.«
»Nie lässt du mich Spaß haben.«
»Ich bin nun mal ein Biest.«
»Ruf mich an, falls du es dir anders überlegst«, sagte sie. »Ich bin hier … und wetze meine Absätze.«
»Danke.« Ich lachte leise. Mehr Anflug von Heiterkeit brachte ich nicht zustande. »Bis später.«
Und jetzt einen Kaffee.
Ich würde das durchstehen.
Am Straßenrand parkte ein ramponierter silberner Bronco. Das Ding glich eher einem Monstertruck, aber wahrscheinlich waren die hier weit verbreitet. Im Tiefschnee Berge hochzufahren, dürfte einiges an Leistung erfordern. Allerdings war es nicht der Wagen, der meine Aufmerksamkeit erregte. Nein, was mich veranlasste, wie vom Donner gerührt stehen zu bleiben, war das bizarre Wirrwarr aus blonden Kopf- und Barthaaren, das sich ans Seitenfenster presste.
Verdammt. Das konnte nicht sein. Ich trat näher. »Eri… Joe?«
Dornröschen schlummerte weiter.
Klopf nicht ans Glas. Schlafende Stalker sollte man nicht stören. Klopf nicht ans Glas.
Und dennoch tat ich es … ganz behutsam.
»Hä?« Ein Ächzen, begleitet von flatternden Augenlidern und Blinzeln. »Ja, schon gut. Ich bin wach.«
Langsam fuhr das Fenster nach unten.
»Hey«, sagte er mit schlaftrunkener Stimme. »Morgen.«
Wir starrten uns mit perplexen Mienen an.
»Du hast im Auto übernachtet?«
Er zuckte die Achseln. »Ich wollte nicht, dass du abreist, bevor wir die Chance hatten zu reden.«
Ich wandte mich ab und verschränkte die Arme.
»Hör zu, Alex … ich würde das gern klären.« Die Wagentür ging auf, und ich trat einen riesigen Schritt zurück, als er auf dem Gehsteig in voller Größe vor mir aufragte. Er sah völlig zerknittert aus, was angesichts der Umstände kaum verwunderte. Offenbar hatte er sich vor Beginn seiner Nachtwache trockene Sachen angezogen. Seine langen Beine wurden jetzt von einem anderen Paar abgewetzter Bluejeans verhüllt, seine obere Hälfte von einem ausgeblichenen grauen Kapuzenpulli. Der Stoff spannte leicht über seinen breiten Schultern. Enorm große Sneaker komplettierten sein Outfit. Ich fragte mich, ob es Männer gab, die absichtlich übergroße Schuhe kauften, um von dem Irrglauben zu profitieren, dass man von den Füßen auf die Penislänge schließen könne. Gab es einen Markt für so etwas? Da stand ich nun und starrte wie benommen auf den Schritt des Kerls.
Mein Blick zuckte zu seinem Gesicht, das zu einem herzhaften Gähnen verzogen war. Zum Glück hatte er mich nicht ertappt. Das wäre schlecht gewesen. Ich musste meine kranken, irrlichternden Gedanken unbedingt unter Kontrolle bringen.
»Bitte«, sagte er und sah mich flehentlich an.
»Ich bin mir sicher, dass wir gestern alles besprochen haben.«
Für einen Moment ließ er den Kopf hängen, dann schaute er mir wieder in die Augen. »Und ich bin mir sicher, dass dem nicht so ist. Bitte. Ich lade dich zum Frühstück ein. Du musst etwas essen. Oder wenigstens ein Kaffee?«
Im Auto zu pennen, bewies definitiv Engagement. Abgesehen davon brauchte ich Koffein. »Meinetwegen.«
Er lächelte. Es war kein breites Grinsen, sondern eher ein zaghaftes Lupfen der Mundwinkel. »Cool. Danke.«
Ich nickte.
»Gleich da vorn ist ein gutes Lokal.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und bedachte mich mit einem Seitenblick.
Mann, diese Kälte war einfach ätzend. Ich kramte meinen Packen Papiertücher heraus und putzte mir zum x-ten Mal an diesem Morgen die Nase. Oje. Meine armen Nasenlöcher waren schon ganz wund. Ich brauchte dringend Aloe-Vera-Kleenex und mehr Aspirin. »Gibt es hier irgendwo eine Apotheke?«
»Ja, etwa fünf Minuten mit dem Auto. Bist du krank?« Er betrachtete mich mit skeptischer Miene. »Du siehst nicht besonders gut aus, aber ich will mir nicht noch mehr Ärger einhandeln, indem ich das Falsche sage.«
»Weise Entscheidung.«
Er schwieg.
»Ich muss mir letzte Nacht im Regen eine Erkältung eingefangen haben.«
Er verzog das Gesicht. »Schöner Mist. Das tut mir leid.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich bring dich gern zur Apotheke oder wohin du sonst willst.«
»Ist schon gut«, wiegelte ich ab, während ich neben ihm herzuckelte. Eine schnellere Gangart hätte Energie erfordert. »Ich kann mich von Uber zum Flughafen fahren lassen.«
Keine Antwort.
Auf halber Höhe des nächsten Blocks blieb er vor einem Café stehen und hielt mir die Tür auf. »Da wären wir.«
Es machte einen netten Eindruck, mit den hellgrünen, von Anschlagzetteln bedeckten Wänden. Nur wenige der glänzenden alten Tische im Diner-Stil waren zu so früher Stunde besetzt. Joe rückte mir am Fenster einen Stuhl zurecht, woraufhin ich mich setzte und ein Danke murmelte. Dieses Frühstück würde schrecklich unbehaglich werden. Vielleicht sollte ich mich nur schnell mit Koffein vollpumpen und türmen. In Richtung Spokane. Natürlich müsste ich dann stundenlang am Flughafen herumhängen, aber selbst das wäre besser, als meiner ach so peinlichen Vergangenheit mit diesem Mann ins Auge zu blicken.
Was ich wirklich wollte, war, mich in ein großes weiches Bett kuscheln und eine Woche durchschlafen. Zu schade, dass das keine Option war.
Nachdem Joe mir gegenüber Platz genommen hatte, rutschte er auf seinem Stuhl nach vorn und stützte die Arme auf dem Tisch auf. Ich hatte mich wieder auf meine übliche Kluft verlegt, bestehend aus engen Jeans, Stiefeln (nur zwei Paar Socken und etwa hundert Pflaster schützten meine geschundenen, von Blasen übersäten Füße) und einem weiten, gemütlichen schwarzen Sweatshirt. Logischerweise hatte ich weder Make-up aufgelegt, noch meine Haare gestylt. Falls es Joe überraschte, dass ich heute nicht mehr den Glamour von letzter Nacht versprühte, zeigte er es nicht.
Mit der figurformenden Unterwäsche, dem Lipgloss, den hohen Hacken und dem kurzen Kleid hätte man mir fast unterstellen können, dass ich vortäuschen wollte, jemand anderes zu sein. Jedoch schlug seine Täuschung meinen Spanx-Slip samt Push-up-BH um Längen.
Wir schwiegen beide, taxierten uns vorsichtig.
Eine niedliche, kokette Kellnerin kam zu uns und lächelte Joe strahlend an. Dann bedachte sie mich mit einem neugierigen Blick, bevor sie gleich darauf das Interesse an mir verlor. Ich schwöre, die Frau brauchte nicht mehr als eine Nanosekunde, um zu entscheiden, dass ich in Bezug auf meinen derangierten, behaarten, tätowierten Begleiter keine Konkurrenz für sie war. Wenn sie wüsste, dass ich schon immer nachempfinden konnte, wieso Jean Grey aus X-Men auf Cyclops und nicht auf Wolverine stand. All das Testosteron und Machogehabe, gepaart mit dem schmuddeligen Gesicht und der generellen Leck-mich-am-Arsch-Einstellung hinsichtlich seines äußeren Erscheinungsbilds waren so gar nicht nach meinem Geschmack. Ganz ehrlich, ich würde an jedem einzelnen Tag der Woche einem coolen, ruhigen, gepflegten Mann den Vorzug geben vor einem, der Probleme mit der Aggressionsbewältigung und übermäßiger Körperbehaarung hatte. Sie konnte Joe geschenkt haben. Indem sie sich leicht zur Seite drehte und die Hüfte anhob, schloss sie mich aus der Unterhaltung aus.
Oh ja, ich würde ihr ein echt dickes Trinkgeld dalassen. Nach dem Motto »Leck mich«.
»Hallöchen«, flötete sie. »Schön, dich zu sehen, Joe.«
»Hi, Jess.«
»Das Übliche?«
Joe, der nicht zu bemerken schien, wie offensichtlich sie ihn anmachte, wandte sich mir zu. Interessant, dass seine Augen im Sonnenlicht haselnussbraun waren, wie Schokolade mit bernsteinfarbenen Tupfen. Letzte Nacht hatten sie dunkel und hinterhältig gewirkt, voll von Lügen und Geheimnissen, aber heute Morgen war er einfach nur ein Mann. Einer, von dem ich witzigerweise geglaubt hatte, ihn zu kennen, bis sich herausstellte, dass ich vollkommen ahnungslos gewesen war. Oder vielleicht war es anders herum. Ich hatte gedacht, nicht allzu viel über ihn zu wissen, doch auf bizarre Weise tat ich das doch – was die Sache noch komplizierter machte.
»Sie bereiten hier köstlichen Kaffee und frischgepresste Säfte zu«, sagte er. »Die Pfannkuchen sind ebenfalls ausgezeichnet. Na, wie klingt das?«
»Gut.«
Wieder glitt ein winziges Lächeln über sein Gesicht, bevor er für uns beide bestellte. Ich gab mein Bestes, die beiden auszublenden. Dann bewies die niedliche, kokette Kellnerin, dass sie es voll draufhatte, indem sie ihm einen tiefen Einblick in ihre Bluse gewährte. Na schön, vielleicht war ich in Anbetracht meiner Minibrüste ein bisschen neidisch. Und ja, dank der jüngsten Ereignisse und meiner Erkältung war meine Laune auf dem absoluten Tiefpunkt. Aber falls das Universum die Frau als Mittel zum Zweck benutzte, um mir zu vermitteln, dass Joe tatsächlich attraktiv war … tja, das wusste ich schon. Muskulöse Bartträger standen auf der Abschussliste vieler Frauen. Nur eben nicht auf meiner. Gut möglich, dass ich Keanu Reeves in Matrix