Dirty Talk - Janet Mullany - E-Book

Dirty Talk E-Book

Janet Mullany

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Beschreibung

Verrat mir deine intimsten Sehnsüchte! Wo wirst du am liebsten berührt? Welche Stellung erregt dich am meisten? Die Radiomoderatorin Jo Hutchinson ist einem Mann verfallen, den sie nie gesehen hat - nur gehört. Nacht für Nacht ruft der mysteriöse Mr D. sie im Studio an und flirtet heiß mit ihr. Schnell werden die Gespräche intimer, Jo verrät ihre geheimsten erotischen Wünsche und lässt sich am Telefon zum Höhepunkt bringen. Doch als Mr D. ein reales Date vorschlägt, schreckt sie zurück. Frisch getrennt, ist sie noch nicht bereit für eine neue Beziehung. Stattdessen lässt sie sich auf unverbindlichen Sex mit anderen Männern ein - und teilt ihre Erlebnisse hinterher am Telefon mit Mr D. Insgeheim muss Jo sich bald eingestehen, dass sie jede ihrer erotischen Erfahrungen nur für ihn macht. Alles tut, um ihm zu gefallen. Doch dann zieht eines Tages ein neuer Mieter bei ihr ein. Jo verliebt sich in ihn. Und er sich in sie. Aber um wirklich frei für ihn zu sein, muss Jo sich erst einmal von Mr D. verabschieden. Und das scheint unmöglich …

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Seitenzahl: 570

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Janet Mullany

Dirty Talk

Erotischer Roman

Aus dem Amerikanischen von Jule Winter

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch in der Harlequin Enterprises GmbH Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Tell Me More Copyright © 2011 by Janet Mullany erschienen bei: SPICE Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln Redaktion: Bettina Lahrs Titelabbildung: iStock Satz: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-535-3

www.mira-taschenbuch.de

Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der

In Erinnerung an Macheath,

der mir immer verfallen war.

1. KAPITEL

„Ich will meine Skier abholen.“

Ich sah auf. Er lümmelte im Türrahmen und hatte geklingelt. Ob das ein Akt der Höflichkeit oder Sinnlosigkeit gewesen war, wusste ich nicht so genau. Jedenfalls stand meine Haustür weit offen, um die warme Spätnachmittagssonne hereinzulassen. Hugh lümmelte ziemlich oft herum – und besonders gern in fremden Betten. Ich suchte nach einer schnippischen Antwort. „Wie geht’s der Stabheuschrecke?“

„Flowyr geht’s gut.“

Flowyr. Ich war mit einer Frau namens Flowyr betrogen worden.

„Meine Skier, Jo.“

Ich machte einen Schritt zurück. „Du weißt ja, wo sie sind.“

Er richtete sich auf und schlenderte ins Haus. Dabei trug er ein paar gelbe Blätter mit herein. Ich versuchte, nicht hinzusehen. Irgendetwas war an ihm, sobald Hugh sich bewegte. Etwas, das immer noch eine verheerende Wirkung auf mich hatte. Ein Verlangen, das mich heiß durchströmte und meine Knie weich werden ließ. Mein Körper schien es nicht eilig zu haben, seine Gewohnheiten zu ändern.

Ich hörte, wie er in den Keller ging. „Kannst du nach den Mausefallen gucken, Hugh? Wenn du schon mal da unten bist?“

„Ich dachte, dafür hast du dir diese verfluchte Katze angeschafft.“ Von unten drang ein Poltern und Krachen herauf.

„Die kann aber keine Mausefallen leeren.“

Nach einer Weile kam Hugh wieder nach oben. Er hatte seine Skiausrüstung dabei. „Nichts.“

„War die Erdnussbutter noch in den Fallen?“

„Himmel, Jo! Ich weiß es nicht.“ Er warf die Skier, die Stöcke und die Stiefel mit lautem Getöse auf den Boden. „Ich habe nicht so genau geguckt, klar? Es ist dunkel da unten. Hast du meine Ken-Burns-DVDs noch?“

Ich zeigte Richtung Wohnzimmer. „Schau halt nach.“

Trotzdem folgte ich ihm. Ich sagte mir, dass es mir nicht darum ging, seinen vom Skifahren und Tennisspielen gestählten Körper zu bewundern, als er sich vor dem DVD-Regal bückte. Ich musste aufpassen, damit er nicht meine Stolz und Vorurteil-DVD mit Colin Firth und Jennifer Ehle mitnahm. Er hatte eine Schwäche für Jennifer Ehle und ihre erstaunlich hoch geschnürten Brüste. Ich hingegen liebte all die frei schwingenden Penisse, die man in den Hosen der Männer sah.

„Es ist so“, sagte er und drehte sich halb zu mir um. Mist! Jetzt hatte er mich beim Gaffen erwischt. „Flowyr und ich sind nicht mehr zusammen. Ich hab dir ja gesagt, es war nur eine einmalige Sache. Ein Unfall.“

„Ein Unfall? Du bist ihr aus Versehen hinten draufgefahren oder was?“

„Jetzt hör doch auf, mich anzuschreien, Süße. Du willst doch nicht heute Nacht auf Sendung heiser …“

„Nenn mich nicht Süße!“

Er stand auf, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Himmel, war der Mann gut in Form! In den Händen hielt er einen Stapel DVDs. „Jo, ich …“

„Shaun of the Dead habe ich aber gekauft“, unterbrach ich ihn.

„Um ihn mir zum Geburtstag zu schenken, also gehört er mir. Jo, es tut mir leid.“

Es tut mir leid. Das sind Worte, die man von einem Mann nie erwartet. Aber entschuldigte er sich jetzt, weil er sich von Flowyr hatte überrennen lassen oder weil er mir einen meiner Lieblingsfilme wegnahm?

„Es tut mir leid“, wiederholte er.

Ich sank auf die Couch. Jetzt war ich mit seinem Penis auf Augenhöhe, der ziemlich frei unter der Kakihose schwang.

Er hat sich entschuldigt.

Ach, könnte man einen Moment doch einfach so in Bronze gießen. Hugh ging in die Knie. Er legte die DVDs auf den Boden und kroch langsam näher. Seine Hände legten sich links und rechts neben mich auf die Couch. „Tut mir leid. Ich war so unglücklich, weißt du? Ich weiß, du warst es auch. Ich war so dumm! Ich …“

Das war mir alles so vertraut … Hugh, der sich einfach zur Verfügung stellte. Seine toffeebraunen Augen mit diesen unverschämt langen Wimpern, der hübsche Mund und der Bartschatten, der nach einem halben Tag sein Gesicht zierte – und das alles war nur eine Armlänge von mir entfernt. Alles, was ich an ihm so attraktiv fand. Und er hatte sich entschuldigt, obwohl ich befürchtete, dass das ziemlich bedeutungslos war. Hatte der Mann denn kein Schamgefühl? Wollte er wirklich Shaun of the Dead so unbedingt haben? Sollte ich ihn nicht endlich ein für alle Mal aus meinem Leben verjagen, ohne dass er irgendwann zurückkam?

Nun ja. Eigentlich schon.

Aber …

Ich überlegte rasch. Wann würde ich denn das nächste Mal die Gelegenheit bekommen, unbedeutenden Sex mit jemandem zu haben, der genau wusste, was er tat und was mir gefiel? Sollte ich mir nicht für die lange Durststrecke, die zweifellos vor mir lag, einen Wintervorrat an guten Gefühlen anlegen?

Ein Hauch von Eau de Hugh wehte zu mir herüber und streifte meinen Verstand oder meinen Unterleib. Oder irgendwas dazwischen.

Eine seiner Hände wanderte nach oben und umfasste meine Hüfte.

Unsere Köpfe neigten sich zur Seite und näherten sich einander.

Seine Lippen waren etwas spröde. Ich war eben nicht mehr da gewesen, um ihn dran zu erinnern, seinen Bio-Lippenbalm mit Hanf zu benutzen. Anscheinend hatte diese Schlampe Flowyr (Flowyr!) sich zwar gerne von ihm durchficken lassen, aber wie es um seine Lippen stand, war ihr ziemlich egal. Oder sie mochte es rau. Raue Haut, genau. Raue Haut, die sie an bestimmten Stellen kratzte …

Oh mein Gott. Wir küssten uns, und für einen kurzen Moment war es herzergreifend und wunderschön. Aber dann wurde es anders. Immer noch schön, aber jetzt war es vor allem geil. Hände glitten unter Stoffschichten und schoben Kleidungsstücke beiseite, öffneten Knöpfe und Reißverschlüsse. Fingerspitzen drückten sich in die Haut und fuhren suchend darüber. Wir waren rasch wieder vertraut mit den Eigenheiten des anderen. Mein T-Shirt hing schon bald auf der Höhe des Schlüsselbeins, den BH hatte er geöffnet, seine Zunge steckte tief in meinem Mund, fuhr fordernd über meinen Hals. Ich musste ihn wegstoßen, um meine Klamotten auszuziehen. Als ich mich mit dem dunklen T-Shirt abquälte und meinen BH auszog, waren seine Hände zugleich damit beschäftigt, meine Jeans zu öffnen. Ich hob die Hüften, damit er sie mir ausziehen konnte.

„Oh! Der Weihnachtsmann kommt dieses Jahr aber früh“, bemerkte er belustigt, als er mein Höschen sah.

Na gut. Ich hatte es einfach nicht geschafft, Wäsche zu waschen. Ich beobachtete, wie er seine Hand auf den ausgewaschenen, lustigen Weihnachtself legte und die Finger spreizte. Die Fingerspitzen schlüpften unter das ausgeleierte Gummiband. Darunter war ich inzwischen ziemlich nass.

Ich griff nach seinem Hemd, knöpfte es auf und zog es ihm aus. „Zieh die Hose aus!“

Er stand auf und öffnete seine Kakihose. Sein Schwanz sprang hervor und wippte ein wenig, als wäre er gerade erst aufgewacht und schaute sich neugierig um. Hm, schöner Tag heute. Angenehm warm ist es, und ich bin echt froh, nicht mehr in der engen Hose zu stecken. Ist das eine Muschi, die ich da direkt vor mir sehe?

Ich berührte durch die Baumwolle meines Höschens meine Klit, während er die Hose und seine Boxershorts nach unten schob. Er streifte die Sneakers und die Socken von den Füßen. Das hatte ich ihm beigebracht. Immer die Socken ausziehen, Hugh. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Typen mit Erektion und Socken an den Füßen.

Er beobachtete meinen Finger. Den Mittelfinger, mit dem ich mich immer massierte. „Böses Mädchen“, sagte er leise. „Das ist ein ziemlich nasser Slip.“

Ich spreizte die Beine etwas weiter. „Ich kann mir gar nicht erklären, wie das passieren konnte.“ Mein Finger schob sich unter das Gummiband, wo sein Finger mich vorhin schon gestreichelt und gereizt hatte. Meine Klitoris war hart. Ich wollte kommen. Ich wollte, dass er mir dabei zuschaute. Ich wollte ihn in mir spüren. Dieser schöne, glänzend rosige Schwengel sollte tief in mir stecken. Ich wollte von seiner Zunge und seinen Fingern an verbotenen Stellen verwöhnt werden.

„Ich will …“, fing ich an, aber ich kam nicht weiter, weil Hugh mir einfach seinen Schwanz in den Mund schob. Offenbar macht man das so mit einem bösen Mädchen, das vor deinen Augen an sich herumspielt und nicht so vorausschauend war, in hübschen Slips aus Seide oder Spitze herumzulaufen, sondern nur mit einem Weihnachtshöschen, das schon ziemlich ausgeblichen und ausgeleiert ist. Und dann auch noch zwei Monate vor Weihnachten! Außerdem hatte ich es ja geradezu herausgefordert, weil mein Kopf auf Höhe seines Schritts war und mein Mund halb offen stand, während ich darüber nachdachte, ob ich mir einen Orgasmus gönnen sollte, bevor er dran war.

Ich gab einen erstickten, überraschten Laut von mir. Doch mir gefiel, was er machte. Meine Hände umfassten seinen muskulösen Hintern und ich vergrub die Nase in seinem Schamhaar. Meine Zunge umkreiste seinen Schaft. Ich wusste, wie sehr er das liebte. Er würde gleich anfangen zu stöhnen und seine Hände in meinem Haar vergraben. Er würde unbewusst eine ganze Tirade unanständiger Worte murmeln, während er sich in meinem Mund vor- und zurückbewegte.

„Oh Gott, ja. Oh Gott, Baby, das ist gut, oh ja, oh Gott, ja, ja, genau, mach so weiter. Oh Gott, Jo, Gott, Baby, lass mich endlich kommen, oh ja, lass mich in deinen Mund abspritzen, ja, ja …“

Und auch wenn er gerade ziemlich dämlich klang, machte es mich geil. Ich wand mich und versuchte, mich am nassen Schritt meines Weihnachtshöschens zu reiben. Ich stöhnte und musste mich zugleich ermahnen, dass er absolut kein Recht mehr hatte, in meinen Mund zu kommen. Nicht solange er noch was für mich tun musste. Meine Hände erkundeten ihn, ich streichelte seine Hoden und Oberschenkel, ich kniff ihn, kitzelte und massierte ihn. Hin und wieder rieb sich einer meiner Nippel an seinem Oberschenkel. Die harten Muskeln und die krausen Härchen an seinem Bein kitzelten mich, und ein heißer Schauer durchrann mich bis in die Klit. Bereitmachen zum Abflug, schien mein Körper zu denken, doch sosehr ich mich auch an dem Sofapolster rieb und wand, es passierte nicht, was ich so sehr erhoffte.

Ich zog den Kopf zurück. Jetzt. Wir waren so vertraut miteinander, dass ich es nicht aussprechen musste. Hugh bückte sich nach seiner Hose auf dem Boden und zog aus der Brieftasche ein Kondom. Es war wie ein perfekt choreografierter Sextanz.

Und in diesem Moment, während er die Verpackung aufriss, wurde ich von mehreren Gefühlen und Gedanken auf einmal überrollt.

Er hat ein Kondom dabei.

Was soll das, zum Teufel? Ich will ihn ja auch vögeln.

Aber er war darauf vorbereitet.

Sehr vorausschauend. So hat er die Stabheuschrecke bestimmt auch rumgekriegt.

Hat er die echt immer in der Brieftasche?

Ach, sieh nur, wie er sich das Kondom überstreift. Das sieht so sexy aus, wie er seinen Schwanz streichelt. Ich hätte ihn früher häufiger bitten sollen, das für mich zu tun.

Hatte er wirklich immer Kondome dabei? Auch als er noch mit mir zusammenlebte?

Aber er ist doch hergekommen, weil er mich ficken will. Oder er trägt sie dabei, weil er irgendwann irgendwen ficken will …?

„Hugh“, sagte ich, und er begriff das als eine Aufforderung. In gewisser Weise war es das auch. Eine Aufforderung, mich vom Denken abzuhalten.

Das Weihnachtshöschen flog auf den Fußboden, und Hugh ragte jetzt über mir auf. Dann war er in mir, mein Hintern schwebte über der Sofakante, meine Beine ruhten auf seinen Schultern.

„Gefällt dir das?“, keuchte er. „Ist das genehm für die kleine Dame?“

„Oh ja. Wunderbar.“ Die kleine Dame wurde ordentlich bedient. Sie wurde gevögelt und gefickt, aufgespießt und penetriert und alles, was sie sich nur wünschen konnte.

Es war so gut! Vertraut und ziemlich ungezogen, am helllichten Nachmittag bei offener Haustür Sex zu haben. Ich trug sogar noch die Socken (es handelte sich um eins von Hughs Sockenpaaren, aber ich glaubte nicht, dass er diese ausgefransten Dinger mit Loch in einer Ferse wiederhaben wollte).

Er beugte den Kopf herab und saugte erst an einer Brustwarze, dann an der anderen. Meine Erregung wuchs. Und wuchs, bis ich vergaß, über Socken und DVDs und Kondome nachzudenken, die er zufällig dabeihatte. Es gab nur noch Hughs Mund, seinen Schwanz und seine Finger, die auf meiner Klit kreisten.

Ich schraubte mich zum Höhepunkt hinauf. Etwas in mir zerschellte, und dann schlug die Welle über mir zusammen. Ich kam, und Hugh bemühte sich, mich möglichst lange auf dem Gipfel zu halten. Dann sammelte er sich ein letztes Mal und startete seinen Oh-mein-Gott-ich-komme-Zieleinlauf mit den kurzen heftigen Stößen, die es für mich nicht brachten. Stöhnend sank er auf mir zusammen und faltete mich wie eine Brezel unter sich.

„Hat’s Spaß gemacht?“ Ich streichelte seine schweißnasse Schulter.

Er grunzte.

„Ähm, das scheint wohl grad ein unpassender Zeitpunkt zu sein. Soll ich später noch mal vorbeikommen?“

Beim Klang der unbekannten Stimme mit irischem Akzent erstarrten wir beide.

Hugh sprang auf. „Wer zum Teufel sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?“

Ich griff nach Hughs Hemd, um mich zu bedecken. Mir fiel erst jetzt – viel zu spät! – der Termin ein, den ich heute Nachmittag noch hatte. „Patrick … Soundso?“

Dieser Patrick Soundso stand vor der Haustür. Er grinste und blinzelte durch seine stahlumrandete Brille.

„Ich lass euch lieber allein“, sagte Patrick. Sein Blick fiel auf mein Höschen auf dem Fußboden. „Fröhliche Weihnachten.“

„Himmel!“, stieß Hugh hervor.

Ich versuchte, nicht über Hugh zu lachen, der völlig außer sich mit seinem langsam erschlaffenden und sanft wippenden Schwanz mitten im Wohnzimmer stand. Trotzdem entschlüpfte mir ein Kichern, als das Kondom mit einem leisen Klatschen auf den Boden fiel.

„Wer war dieser … dieser irische Kobold?“

„Er kann nichts dafür, dass er Ire ist. Er wollte sich die Wohnung oben angucken.“

„Warum?“

„Weil ich die Hypothek nicht allein aufbringen kann.“

Für einen Wirtschaftswissenschaftler war Hugh manchmal ziemlich begriffsstutzig.

„Aber … aber du wirst doch nicht allein sein. Ich ziehe ja wieder bei dir ein.“ Er zögerte. „Das tue ich doch, oder? Ich meine … nach dem hier?“

„Hugh. Du bist hergekommen, weil du deine Skier und die DVDs holen wolltest. So ein Fick gibt dir wohl kaum das Recht, wieder bei mir einzuziehen.“ Ich sammelte Höschen, Jeans und T-Shirt auf und begann mich anzuziehen.

Hugh schien zu begreifen, dass ihm seine Nacktheit hier keinen Vorteil bot. Er raffte seine Sachen zusammen. „Jo … wir sollten wenigstens darüber reden. Ich meine, wir lieben uns doch. Es tut mir leid, was … du weißt schon. Alles.“

„Nein.“

Brady trabte mit erhobenem Schwanz ins Wohnzimmer und schnüffelte am Kondom, als gebe es da einen Leckerbissen zu entdecken.

„Du verfluchte Katze!“, meinte Hugh, als Brady sich an seine Füße schmiegte und schnurrte. Schon früh hatte Brady sich Hugh als seinen besten Freund auserkoren und reagierte auf „verfluchte Katze“, als handele es sich um seinen zweiten Vornamen.

„Wer wird denn in Zukunft die Mausefallen für dich überprüfen?“, fragte Hugh selbstgefällig.

„Ich krieg das schon hin. In den letzten drei Wochen habe ich es ja auch geschafft.“

Ich hob den Stapel DVDs auf und gab sie ihm. „Deine anderen Sachen werde ich zusammenpacken und sag dir Bescheid, wenn du vorbeikommen und sie holen kannst. Ich muss jetzt zur Arbeit, Hugh.“

„Wir müssen darüber reden“, sagte er. Stur und aufgebracht stand er mitten im Raum. Vor seiner Affäre mit der Stabheuschrecke hätte er mein Herz zum Schmelzen gebracht.

„Nein, müssen wir nicht. Aber eins muss ich noch fragen, Hugh. Seit wann trägst du immer Kondome in der Brieftasche spazieren? Ich meine, lässt du sie bei Fakultätssitzungen zufällig rausfallen, um den Lehrstuhlinhaber zu beeindrucken oder so?“

Ich konnte mir geradezu bildlich vorstellen, wie die Leute an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät darüber lachten und ihn abklatschten – Letztes Wochenende Glück gehabt, Hugh? Bist schon ein echter Kerl! – während der Professor, der aussah wie ein Doppelgänger von Alan Greenspan, ihn durch die Hornbrille beobachtete.

„Sei nicht albern.“ Hugh sammelte das Kondom auf und verließ das Zimmer.

„Nicht in die Toilette damit! Sie verstopft sonst.“

Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. Argwohn blitzte in seinen Augen auf. „Woher weißt du das?“

„Ich weiß es eben.“ Im Grunde blockierte so ziemlich alles das Gästeklo im Erdgeschoss. Es war für Männer und menstruierende Frauen tabu.

„Du Schlampe“, sagte er. Zu meiner Überraschung wirkte er ehrlich verletzt. Er warf das Kondom in den Papierkorb in der Zimmerecke und war in Nullkommanichts verschwunden. Der Abgang wurde ihm aber nachhaltig versaut, weil er ein letztes Mal ins Haus stapfen und seine Skier holen musste. Ich saß derweil auf der Couch. Brady tretelte auf meinem Schoß, während ich lauschte. Er ließ den Motor seines Wagens aufheulen, setzte aus der Einfahrt zurück, und dann verklang das Brummen in der Ferne. Diesmal klang es sehr endgültig.

Ich weinte ein wenig und dachte darüber nach, wie leid ich es inzwischen war, ständig zu heulen. Aber man konnte eben drei Jahre seines Lebens nicht einfach hinter sich lassen, ohne zu trauern. Brady schnurrte und ließ sich von mir umarmen. Das ließ er eigentlich nur mit sich machen, wenn er Hunger hatte und auf baldige Fütterung hoffte.

Der helle Herbsttag ging inzwischen in die Dämmerung über. Aber bevor ich zur Arbeit musste, hatte ich noch etwas zu erledigen. Ich ging in die Küche und bewaffnete mich mit einem Messer, Erdnussbutter, einer Barbecuezange (sie gehörte Hugh – vielleicht vergaß ich ja danach, sie zu waschen), Gummihandschuhen und einer Taschenlampe. Ich stopfte die Jeans in die Socken. Nur für den Fall, dass da unten noch was lebte und in Panik geriet. (Oje!)

Ich brauchte doch keinen Mann! Hierfür nicht und sonst auch für keine Aufgabe, die mir das Leben stellte.

„Sie klingen wie die Frau aus dem Radio“, sagte die Frau im Laden. „Wir haben eine ganz neue Bio-Erdnussbutter reinbekommen. Möchten Sie die mal probieren? Schmeckt echt gut.“

Ich bin die Frau aus dem Radio. „Nein, das hier wird reichen. Danke.“

Manchmal, wenn ich gerade geselliger Laune war, gab ich sogar zu, die Frau aus dem Radio zu sein. Aber dann erntete ich meist einen ungläubigen Blick und einen komischen Kommentar. Ich dachte, Sie wären größer … älter … jünger … blond. Ich hasse diese Werbung, damit man das Radio unterstützt. Warum spielen Sie so oft Tschaikowsky? Warum spielen Sie nie Tschaikowsky?

Einmal bekam ich sogar zu hören – geradezu pikiert und für mich völlig unerklärlich: Ich dachte, Sie wären schwarz.

Ich packte meine Mausefallenerdnussbutter und mein Essen für heute Nacht – ein Sandwich, eine Suppe, ein Stück Obst – in meinen Rucksack und zog meine Radfahrersachen an: Handschuhe, eine Strickmütze, wie sie von Jägern und Vergewaltigern gerne getragen wurde, Helm und einen Schal, um die Lücke zwischen Strickmütze und meiner leichten Jacke zu schließen. Um mich herum waren hinter den Kassen andere mit Ähnlichem beschäftigt. Einige hatten riesige Rucksäcke auf dem Rücken, in denen die ganzen Biolebensmittel eines Wocheneinkaufs Platz hatten.

In dieser ursprünglichen Collegestadt im Herzen von Colorado wagte es niemand, zwei Meilen zur Arbeit mit dem Auto zu fahren. Ich fuhr mit dem Rad.

Natürlich würde es auch niemand wagen, Mäuse mit anderen Fallen zu fangen als denen, die vollkommen unbedenklich waren und die Mäuse lebend fingen, damit man sie in der überwältigenden Wildnis aussetzen konnte. Es war egal, dass ihnen dort nur wenige Minuten blieben, um ihre neue Heimat zu genießen, bevor sie von jemand anderem gefressen würden. Das war schließlich ganz natürlich. Es war mein böses, dunkles Geheimnis, dass ich die Mäuse ins Nirwana schickte. Aber ihnen blieb ja noch die Henkersmahlzeit in Form von Erdnussbutter (obwohl sie auf keinen Fall die Bio-Erdnussbutter bekamen; so weit ging mein Mitgefühl nun auch wieder nicht. Es ging mir darum, ihr kleines Nagetierdasein zu beenden, und nicht darum, es zu bereichern).

Der Herbst lag inzwischen in der Luft. Es war knackig kalt, und man roch die Holzfeuer. Es konnte jetzt jeden Tag das erste Mal schneien, und dann wollte ich querfeldein mit den Skiern zum Radio fahren. Es war schon lustig, aber irgendwie ging mir erst jetzt auf, dass man den Unterschied zwischen Hugh und mir durchaus daran festmachen konnte, wie wir die Winter verbrachten. Ihm war es am liebsten, mit dem Skilift auf einen Berg zu fahren und den kurzen, aufgeregten Adrenalinstoß zu genießen, den ihm eine rasend schnelle Abfahrt bot, die nach wenigen Minuten vorbei war. Ich liebte es, stundenlang mit Wachs herumzuexperimentieren (okay, ich gestehe: Ich habe sogar schon an Wachs-Workshops teilgenommen … ich bin wohl eine zertifizierte Langlaufbesessene). Man kann doch viel besser gemächlich einen Berg hinaufstapfen und Mutter Natur genießen. Oder man strengt sich richtig an, je nachdem, wie man grad drauf ist. Auf jeden Fall genießt man die lange, gemächliche Abfahrt danach viel mehr.

Das hat jetzt nicht unbedingt etwas mit unserem Sex zu tun. Der war eigentlich immer ganz gut gewesen. Oder meistens. Ziemlich oft war mir nämlich auch eher nach der schnellen, heftigen Nummer auf der Küchenanrichte oder unter der Dusche oder … Ich rutschte auf meinem Fahrradsattel herum und fragte mich, ob es wohl möglich war, einen Orgasmus zu bekommen, weil man über holprige Streckenabschnitte eines Radwegs fuhr. Und wenn man es konnte, stellte sich die nächste Frage: War das sicher? Ich sah mich schon die Lokalnachrichten von einem Krankenbett aus hören.

Ein Unfall mit mehreren Fahrrädern auf dem Douglasien-Radweg forderte heute mehrere Verletzte. Die mutmaßliche Verursacherin des Unfalls, Jo Hutchinson, ist eine lokale Radiomoderatorin. Sie ist weder blond noch groß, zeigte allerdings im Krankenhaus Anzeichen einer erst kürzlich erfolgten sexuellen Erregung. Ein Sprecher der Polizei erklärte: „Dieses unverantwortliche Verhalten nehmen wir sehr ernst …“

Ich schloss die Hintertür zur Radiostation auf und schob mein Fahrrad rein. Andere Räder standen noch hier; heute Abend war ich früh dran. Die Nachrichten liefen gerade, und ich hörte kurz zu, während ich mich aus meinen Sachen schälte. Mir blieb noch eine Stunde Zeit, ehe ich auf Sendung ging. Später, in den frühen Morgenstunden, wollte ich mich einem anderen dunklen Geheimnis widmen. Einem, bei dem es nicht um das vorzeitige Dahinscheiden von Mäusen ging.

In gewisser Weise war ich Hugh genauso untreu gewesen wie er mir. Und das auch noch mit jemandem, dessen Namen ich gar nicht kannte.

2. KAPITEL

Ab genau sechs Minuten nach Mitternacht gehörte die Zeit wieder mir. Die letzten Nachrichten aus dem fernen Washington, D.C. waren verlesen, und ich plauderte noch kurz über das Wetter. Es war eine kalte Nacht, aber morgen war wieder ein perfekter Herbsttag zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit für Schnee stieg allmählich. Ich ließ die Musik im Studio laut laufen und überprüfte die Anzeigen meines Monitors. Alles war in bester Ordnung.

Als ich das Mikro ausschaltete, klingelte mein Telefon.

Er ist früh dran.

Ich fuhr die Lautstärke im Studio herunter und nahm die Kopfhörer ab. Mein Herz hämmerte, als ich ans Telefon ging.

„Hey Jo, Süße! Was hast du Freitagabend vor?“

„Kimberly!“ Obwohl ich im ersten Moment zutiefst enttäuscht war, freute ich mich, von meiner besten Freundin zu hören. Sie war ein Texasblondchen, das hier oben völlig fehl am Platz war und für den Radiosender das Geld beschaffte. Sie war ein echter Workaholic mit aufregendem Privatleben. Und sie war oft zu merkwürdigen Tageszeiten wach – meinen Tageszeiten.

„Ich habe da jemanden, den du kennenlernen solltest. Einen Mann.“ Ma-ann. Ihre Stimme senkte sich verschwörerisch.

„Um Himmels willen! Ich will mich nicht mit irgendwelchen Männern treffen.“

„Das solltest du aber, denn es wäre gut für die Umwelt. All diese elektronischen Geräte, die in deinem Schlafzimmer brummen und zur Klimaerwärmung beitragen. Du bist deine eigene, kleine braune Wolke.“

Die Tür zum Studio ging auf. Jason, der stellvertretende Techniker vom Sender, stand in der Tür und verschloss seinen Fahrradhelm.

„Warte mal, Kim.“ Ich wandte mich ihm zu und lächelte. Er sah so unglaublich süß und schüchtern aus, und nach kurzem Zögern erwiderte er mein Lächeln strahlend. „Hi, Jason. Was ist los?“

„Hi, Jo. Ich wollte dir nur sagen, dass ich jetzt nach Hause fahre. Du bist ab sofort auf dich allein gestellt.“

„Danke. Gute Nacht.“

Er schloss die Tür.

„Ach, der reizende Jason“, schnurrte Kimberly. „Du und er allein in diesem großen, alten Radiosender. Also, wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich ihn mit Haut und Haaren verschlingen.“

„Du würdest ihn zu Tode ängstigen.“ Mir war die Idee auch schon gekommen. Der hübsche schlanke Jason war gerade mal einundzwanzig (das war jung, aber es war legal!), hatte einen Pferdeschwanz, trug ausgebleichte Jeans, Wanderstiefel, einen einzelnen Ohrring, war immer unrasiert … oh Gott, er war wirklich ein wandelndes Klischee! Vor allem war er aber schüchtern und süß und durchaus ein Leckerbissen, wie Kimberly nicht müde wurde zu erwähnen.

„Du denkst doch nicht, dass er schwul ist, oder?“, fragte Kimberly, als ginge sie gerade die Liste ihrer potenziellen Beischlafkandidaten durch.

„Nein, aber ich habe mich schon gefragt, ob er an irgendwelchen geheimen Stellen Piercings hat.“

„Hab ich auch schon überlegt. Denke ich ständig drüber nach. Also dieser Mann, von dem ich gerade sprach, ist auch am Sender interessiert, weshalb ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte. Er ist wirklich sehr geeignet, Jo.“

„Für mich oder für den Sender?“

„Beides. Süße, ich weiß, du kannst die Freitagsschicht auch an einen Volontär abgeben. Darum wirst du morgen früh eine Eintrittskarte für die Sinfonie in deinem Postfach finden.“

Ich imitierte ihren gedehnten, texanischen Akzent. „Ich liiiieeeebe Männer mit ’ner dicken Brieftasche.“

„Ich auch, Süße.“ Aber die Spendensammlerin in Kimberly geriet jetzt voll in Fahrt. „Zusammen mit der Karte schicke ich dir eine Liste mit den Leuten, die wir da treffen. Präg dir ihre Namen ein, und stell dich darauf ein, einfach bezaubernd zu sein. Du kannst dir wieder meinen schwarzen Taftrock ausleihen.“

„Und die Schuhe mit den Mörderabsätzen auch?“, fragte ich hoffnungsvoll. Ich liebte den Rock, denn er raschelte so verheißungsvoll und war über den Knien gerafft. Kimberly besaß eine riesige Garderobe, die nur aus Designerstücken bestand. So stellte man sich die Garderobe einer einstigen Debütantin in Dallas vor, die später einen Ölmagnaten heiraten würde, zu Zeiten, als Ölmagnaten noch richtig viel Geld machten.

„Darauf kannst du wetten. Hey, vielleicht kannst du ihn ja einladen, sich zu dir zu setzen, während du auf Sendung bist.“

Ich glaube nicht. „Vielleicht.“

Wir plauderten noch ein bisschen. Wie so oft in den letzten Wochen musste ich ihr versichern, dass mein Leben ohne Hugh genauso rund lief, wie man es erwarten durfte. Erst nachdem ich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass ich ihr gar nicht von dem irischen Spannerkobold erzählt hatte. Wie schade! Sie hätte die lustige Seite der Geschichte zu würdigen gewusst. Andererseits hätte ich dann auch zugeben müssen, dass ich den schrecklichen Fehler begangen hatte, Hugh noch mal aus der Hose schlüpfen zu lassen.

Und das wiederum erinnerte mich daran, dass ich schon bald eine Entscheidung treffen musste, ob ich das Apartment vermieten wollte oder nicht.

Darum wollte ich mich später kümmern. Ich jagte noch eine E-Mail an die Personalplanerin raus mit der Frage, ob für Freitag ein Volontär als Ersatzsprecher zur Verfügung stand. Dann schaute ich auf die Uhr. Es war noch eine halbe Stunde, bis Scheherazade zu Ende war.

Er rief hoffentlich bald an.

Ich ging durch die Räume des Senders und überprüfte, ob alle Lichter aus waren und die Tür nach draußen verschlossen war. Jason und alle anderen waren inzwischen gegangen. Ich kehrte in mein Studio zurück. Dieser stille kleine Raum mit den weißen Wänden und CD-Regalen, der glänzenden Konsole und den Monitoren war für die nächsten Stunden der Mittelpunkt meiner Welt.

Als das Telefon endlich klingelte und auf dem Bildschirm „Anrufer unbekannt“ aufblinkte, ließ ich es fünfmal läuten, obwohl ich den Radiosprechern immer einschärfte, sie müssten auf jeden Fall nach höchstens zweimal Klingeln drangehen; die einzig akzeptable Entschuldigung war natürlich, dass man gerade auf Sendung war.

Ich nahm den Hörer und meldete mich betont müde.

„Jo?“ Da war die Stimme. Tief und warm.

„Ja?“ Ich tat so, als wüsste ich nicht, wer am anderen Ende der Leitung ist. Mein Inneres schmolz bereits dahin, und meine Nippel drückten sich hart durch den Stoff meines T-Shirts.

„Das ist eine wundervolle Aufnahme.“

„Schön, dass sie dir gefällt.“ Ich fühlte mich irgendwie schüchtern, erregt und nervös. Dabei konnte ich sonst problemlos ganz entspannt zu Tausenden Zuhörern sprechen. Aber jetzt wünschte ich mir einfach, dass einer dieser Zuhörer mir versicherte, dass ich in seiner Gegenwart sicher und geliebt war.

Wir redeten eine Weile über die Musik. Als das silbrige Flötensolo mit seinem melodiösen Auf und Ab kam, schwiegen wir beide. Es war ein einfaches Motiv, das seine Magie niemals verfehlte. Danach diskutierten wir, ob dieser Part oder das Violinsolo, das für Scheherazades Stimme stand, uns mehr Schauer über den Rücken rinnen ließ.

„Hast du Tausendundeine Nacht gelesen?“, fragte er. „Nicht? Oh, die Geschichte ist einfach herrlich, Jo. Geschichten gewoben in Geschichten, die in weitere Geschichten gewoben sind. Es ist wie ein Irrgarten. Auch sehr erotisch, obwohl die früheren Übersetzer sie meist zensiert haben. Erst die letzten Übertragungen bleiben dicht am Original.“

Während er sprach, versuchte ich, seinen Akzent einzuordnen. Vielleicht Boston. Oder jemand, der lange in England gelebt hatte; er hatte diese knappe, präzise Sprache, und die Wortwahl ließ mich an ein Bostoner Blaublut denken … zumindest manchmal.

Wir schwiegen, und ich hörte bei ihm eine Bewegung. „Tut mir leid. Ich musste noch einen Scheit aufs Feuer legen. Heute Nacht ist es ziemlich kalt.“

„Ich wette, von da oben sehen die Pappeln sehr schön aus.“

Er lachte leise. So leicht ließ er sich nicht überrumpeln. „Ja, ich glaube, du hast während der letzten Musikpause erwähnt, dass sie bald ihre Blätter abwerfen. Netter Versuch. Wie geht es dir? Ich hoffe, der Scheißkerl Hugh hat dir nicht wieder Kummer bereitet.“

Ich erzählte ihm die Story von Hughs Besuch und vom Einfall des irischen Kobolds. Ich ließ hier und da ein paar Details weg – ich behauptete, er habe uns in flagranti erwischt und hörte, wie er auflachte.

„Was glaubst du, wie lange hat er dagestanden und euch beobachtet?“

„Ich weiß es nicht. Er hätte theoretisch von Anfang an dort stehen können.“

„Hätte es dir gefallen, wenn er zugeschaut hätte?“

„Ich weiß nicht.“ Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und beobachtete die Lämpchen der Lautstärkeregler, die auf und ab tanzten. Jetzt wagten wir uns auf neues Terrain vor. Wir hatten schon früher geflirtet, wir hatten auch über frühere Beziehungen gesprochen. Aber das hier … nun ja, es wurde zunehmend anzüglich.

Ich räusperte mich und versuchte, möglichst unbeteiligt zu klingen. „Meinst du, ob es mir gefallen hätte, zu wissen, dass er uns beobachtet, oder ob es mir gefallen hätte, später herauszufinden, dass er uns die ganze Zeit zugesehen hat? Ach, verflixt! Mr D., ich muss wieder auf Sendung. Gib mir zwanzig Minuten.“

Mr D. Nachdem ich einmal versucht hatte, mehr über ihn herauszufinden hatte er immerhin zugegeben, um einiges älter als ich („Dekaden, meine Liebe. Frag lieber nicht.“ Ich war nicht sicher, ob ich ihm glauben sollte!) und noch ein Verehrer der alten Schule zu sein. Mindestens die ersten Dutzend Anrufe nannte er mich beharrlich Miss Hutchinson. In meinen Ohren klang das irgendwie pervers. Als ließe ich mich von ihm fesseln und auspeitschen oder so was in der Art. Oder als trüge ich eine Dienstmädchenuniform. Oder beides? Aber mir gefiel dieses Förmliche, diese Zweideutigkeit, die mich an Mr Rochester und Miss Jane Eyre denken ließ. Ich wusste, er musste irgendwo im Einzugsgebiet des Senders leben, und er unterstützte den Sender mit einer regelmäßigen, großzügigen Spende durch eine Stiftung. Ich liebte seine Stimme und die Art, wie er über die Bücher redete, die er gelesen hatte. Oder über die Orte, zu denen er gereist war. Und mir gefiel die Freude, die er empfand, wenn wir entdeckten, dass wir einen gemeinsamen Lieblingsautor hatten. Wir teilten die Leidenschaft für die Berge und für hoch gelegene, einsame Orte.

In den letzten sechs Monaten, während Hugh und ich uns so schmerzlich voneinander entfernt hatten, war Mr D. eine Konstante in meinem Leben gewesen. Ein Freund. Jemand, dem ich alles erzählen konnte.

Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass wir beide enttäuscht sein würden, wenn wir uns eines Tages trafen. Dass diese Beziehung nur auf die Distanz funktionierte, weil wir dann beide das Bild von uns auf Hochglanz brachten und vor allem so waren, wie wir gerne sein wollten. Trotzdem hatte er in mir die Sehnsucht nach Dingen geweckt, die ich nicht hatte. Ich wollte Abenteuer erleben und neue Erfahrungen machen. In mir war der Wunsch, ein moderner, ans Land gebundener Sindbad zu werden, der entdeckte, wie eine Episode zur nächsten führte und immer so weiter …

Als ich wieder auf Sendung ging, leuchtete das „On Air“- Schild draußen über dem Studio auf und tauchte den Raum durch das Glasfenster hindurch in ein warmes rotes Licht. Ich wiederholte die Informationen über die letzte Aufnahme und erzählte, was wir als Nächstes hören würden, ich nannte Temperatur und Uhrzeit … Ich hoffe, Sie haben da draußen einen schönen Abend. Später hören wir Musik, mit der Bach einst seinem Kunden beim Einschlafen helfen wollte. Die Goldberg-Variationen bekommen Sie heute Nacht in voller Länge. Doch vorher gibt es noch ein kleines Stück von Stravinsky …

Wenn das rote Licht das nächste Mal anging, wäre es schon früher Morgen. Dann würde ich die Morgennachrichten verlesen, und in dieser letzten Stunde meiner Schicht würde ich die kurzen Musikeinlagen mehrmals durch Lokalnachrichten und den Wetterbericht unterbrechen. Ich hoffte, dass diejenigen, die jetzt noch wach waren – einsame Liebende, Leute mit Schlafstörungen oder kleinen Babys oder Studenten, die für eine Prüfung lernten – in vier Stunden, wenn die Nachrichten begannen, schon schliefen.

Bach setzte ein. Musik, die einen in den Schlaf lullt. Aber ich will dabei immer aufspringen und tanzen.

Das Telefon klingelte genau in diesem Moment.

„Vierzig Minuten lang darf ich jetzt einem Genie und dir lauschen“, sagte Mr D. „Wo waren wir? Ach ja. Ob er zugeguckt hat.“

„Ich weiß nicht, ob er das so sexy gefunden hätte.“

„Oh, aber natürlich hätte er das.“

„Magst du es, Leuten beim Sex zuzusehen?“ Schon waren wir wieder beim Sexthema. Diesmal war ich es, die damit anfing.

Mr D. wich der Frage gewohnt souverän aus. Er lachte leise. „Fröhliche Weihnachten …“ Er zögerte. „Ich vermute, du hast dir danach andere Unterwäsche angezogen. Erzähl mir, was hast du an?“

„Du willst, dass ich dir sage, was ich anhabe?“ Ich war überrascht. Das kam mir ein bisschen primitiv vor und entsprach nicht gerade dem, was ich von Mr D. erwartete. Ich fragte mich, ob er vielleicht sogar schon abgespritzt hatte und jetzt nach einem zweiten, schnellen Kick suchte. Ich war sogar fast entsetzt, obwohl die zunehmende Intimität, die Geheimnisse, die wir teilten, unsere Geschichten und die gemeinsame Reise der letzten Monate uns im Grunde zielsicher in diese Richtung getrieben hatten. Ich wusste außerdem, ohne dass einer von uns es aussprach, dass wir ohne Probleme das Thema wieder fallen lassen konnten. Wir konnten sofort wieder zu unseren freundschaftlichen Wortgefechten zurückkehren. Zurück in den vertrauten Hafen, als hätten wir uns nie auf diese Reise eingelassen.

„Ich glaube, so fängt man das normalerweise an“, sagte er leise.

So fängt man das normalerweise an. „So kann man es auch beschreiben.“

Er seufzte. Jetzt klang er irgendwie verhalten. „Ich habe so was noch nie gemacht. Ehrlich gesagt, geniere ich mich auch etwas.“

Mir ging es genauso. Ich war aber zugleich erregt, ich war wild und hatte ein bisschen Angst. Meine Hände waren kalt, meine Stirn leicht verschwitzt. Ich drückte den Freisprechknopf und legte das Telefon auf die Basis. „Okay. Ist schon in Ordnung. Ich trage ein schwarzes T-Shirt. Also, ich trug. Ich habe es grad ausgezogen. Meine Haut sieht sehr blass aus, weil es beinahe dunkel ist hier drin. Jetzt meine Jeans. Hörst du den Reißverschluss? Ich trage im Studio nie Schuhe, weshalb ich die Jeans einfach nach unten schieben kann. Siehst du? Schon habe ich sie ausgezogen.“

„Ich kann hören, wie der Jeansstoff raschelt. Aber eigentlich raschelt Jeansstoff nicht, oder? Mir fällt das richtige Wort nicht ein.“

„Ich trage rote Spitzenunterwäsche.“

„Sag mir die Wahrheit, Jo. Du sollst mich nicht bei Laune halten, indem du Lügen erzählst.“ Er klang sehr ernst und traurig. „Ich weiß schon, Männer sind alle gleich, aber bitte … bitte sei ehrlich.“

Tränen brannten in meinen Augen. „Ich sag dir doch die Wahrheit.“ Ich schluckte. Irgendwie klang ich wie ein gescholtenes Kind. „Ich … ich trage immer besonders hübsche Unterwäsche für dich. Ich will, dass du mich willst.“

„Immer?“

„Na ja, seit den ersten Malen, als wir geplaudert haben. Als mir bewusst wurde, dass du mir nie erzählen würdest, wer du bist. Das war alles, was ich dir geben konnte.“

„Es tut mir leid. Danke. Das ist wirklich eine erstaunlich großzügige Geste.“ Seine Stimme klang noch tiefer und etwas schleppend. „Erzähl mir jetzt von der roten Spitzenunterwäsche.“

„Der BH hat so Halbschalen. Meine Nippel sind hart. Ich streichle sie gerade.“ Ich zuckte zusammen. Ich wollte eigentlich nicht wie eine Hure klingen, aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst sagen sollte.

„Sprich weiter.“

„Der Slip … Man nennt so was Jazzpants. Weißt du, wie die aussehen? Sie haben ein bisschen Bein und reichen fast hoch bis zum Bauchnabel. Trotzdem sieht man mein Schamhaar, das am Beinausschnitt herausguckt. Und durch den Spitzenstoff siehst du es auch, weil er so dünn ist.“

„Dein Schamhaar muss dunkel sein. Ich habe dein Bild auf der Webseite des Senders gesehen.“

Ich kicherte. „Aber das Foto zeigt doch nicht mein Schamhaar.“

Er lachte auch, und für den Augenblick fühlten wir uns wieder wohl miteinander. „Ich habe es mir so vorgestellt. Du siehst so frisch und klug aus. Richtig lebendig. Und sinnlich … Eine kleine, schlanke Frau, so stelle ich dich mir vor … du bist bestimmt ziemlich sportlich, weil du überall mit dem Rad hinfährst. Welche Farbe haben deine Augen?“

„Ich zieh mich für dich aus, und du willst meine Augenfarbe wissen?“

„Ach … bitte, ich will nicht betteln. Ich bin schon jetzt gedemütigt.“

„Tut mir leid. Ich werde nervös, und wenn ich nervös bin, sage ich dumme Sachen. Meine Augen sind grau. Sie ändern die Farbe, je nachdem, was ich trage, weshalb sie manchmal blau oder grün wirken.“

„Erzähl mir, wie deine Brüste aussehen. Bitte.“

Ich saß auf meinem Stuhl und hatte die Beine inzwischen gespreizt. „Sie sind nicht besonders groß. Obwohl ich dunkelhaarig bin, ist meine Haut sehr hell und die Nippel sind rosig. Ich werde nicht so schnell braun. Meine Brüste sind sehr empfindlich, und die Nippel werden schnell hart. Ich mag es, wenn der Mann sie liebkost und küsst.“

Ich lauschte seinem schweren Atem.

„Darf ich dich berühren?“, fragte er.

„Ja. Wo?“

„Meine Hände umschließen deine Brüste und drücken sie zusammen. Deine Nippel drücken sich in meine Handflächen. Sie sind verdammt hart.“

„Oh, das liebe ich. Darf ich dich jetzt ausziehen?“ Ich war ziemlich sicher, dass er mit offener Hose am anderen Ende der Leitung saß und sich selbst berührte. Vermutlich hatte er die Hose etwas nach unten geschoben. Mein unbekannter Mann in der dunklen Hütte. Schaute er auf seinen Schwanz in seiner Hand? Oder hielt er die Augen geschlossen? Lächelte er, oder verzog er das Gesicht?

„Später. Zuerst möchte ich dir Lust schenken. Ich streichle dich, langsam wandern meine Hände an deinem Körper nach unten. Aha, hier ist dein Nabel, diese köstliche kleine Vertiefung. Zieh deinen BH aus … ja, gut. Ich halte deine Brüste, ich drücke sie und spüre ihr Gewicht. Ich möchte sie jetzt gern lecken.“

Ich leckte meine Finger und kniff mich in einen Nippel. „Ich kann es bis in meine Klitoris spüren.“ Oh Gott, bin ich vulgär. Heiße Röte stieg mir ins Gesicht.

„Ich glaube, deine Klitoris braucht mehr Aufmerksamkeit, kann das sein? Bist du schon nass? Zieh doch mal dieses hübsche Höschen aus, Liebes. Ich küsse die Innenseite deiner Oberschenkel, wo die Haut ganz weich und seidig ist. Ich kann dich riechen. Oh ja, du bist nass. Tropfnass sogar. Du bist voller Verlangen angeschwollen. Deine Klitoris ist genauso hart wie deine Nippel.“

Meine Haut schimmerte im Licht, und mein Schamhaar war wie ein dunkles Geheimnis. Die Hand tauchte ein und spielte mit meiner Klit.

„Schmeck dich.“ Seine Stimme war heiser, während im Hintergrund leise Bach spielte.

Ich schob die Finger in mich hinein, dann steckte ich sie in den Mund und schmeckte meine eigene Erregung. Mein salziges Aroma. Ich stellte mir vor, wie seine Hand an seinem Schwanz auf und ab glitt. Wie sich die Muskeln seines Unterarms anspannten, als er abspritzte.

„Ich wünschte, ich könnte meine Finger in deinen Mund stecken. Ich möchte spüren, wie du an ihnen saugst und sie ableckst. Und dann möchte ich dich lecken. Deine Lippen, die Brust, deinen Schwengel. Alles. Ich will dich zum Höhepunkt bringen.“

„Ich will dich auch zum Höhepunkt bringen. Ich will diese köstlichen kleinen Geräusche hören, die du dann machst. Fass dir wieder zwischen die Beine, Liebes. Spiel an dir herum. Ich beschäftige mich mit deinen Nippeln. Ich kneife sie, meine Fingernägel graben sich hinein … Gefällt dir das?“

Meine Zehen krümmten sich um die Kante des Mischpults.

„Komm für mich“, flüsterte er. „Komm schon, auch für dich. Tu es einfach.“

Ich kam so heftig, dass es beinahe wehtat. Der Orgasmus riss mich fast vom Stuhl. Ich konnte nicht länger an meiner Brust herumspielen, sondern umklammerte verzweifelt die Armlehne. Einen Moment fürchtete ich, hinzufallen. Die Intensität meines Höhepunkts überrollte mich, doch ich wollte nicht, dass er endete. Ich sank zurück und rang schluchzend nach Luft.

„Wunderschön.“ Seine Stimme war nur ein Flüstern. War er gekommen?

„Hast du …“ Ich hoffte, dass nicht. Ich wollte diesen Moment mit ihm teilen.

„Nein. Tut mir leid.“

„Komm, ich helfe dir.“ Vielleicht war er immer noch schüchtern.

„Deine Lust reicht dir nicht?“

Ich konnte ihn mir vorstellen. Eine dunkle Gestalt, das Gesicht in Schatten getaucht, lag er ausgestreckt irgendwo im Sessel oder auf dem Sofa. Während ich meine Bedürfnisse befriedigt hatte, war seine Hand langsamer geworden, und seine Finger lagen locker um seinen Schwanz. Ein kleines bisschen Nässe rann über seine Finger.

„Also gut.“ Er räusperte sich. „Was passiert als Nächstes?“

3. KAPITEL

Am Ende einer Schicht ist es eigentlich üblich, für den Nächsten aufzuräumen, der auf Sendung geht.

Nachdem ich für diese Nacht fertig war – zwischen zwei und fünf Uhr morgens ist es dunkel im Sender –, vergewisserte ich mich noch einmal, dass keine peinlichen, feuchten Unterwäscheteile irgendwo herumlagen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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