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Heinrich Heine stammt zwar aus Düsseldorf, lebte aber lange in der Hafenstadt an der Elbe, die ihm als Heimat galt. Hier lebte seine Verwandschaft, hier fand er in Julius Campe seinen Verleger, mit dem er "in Rheinwein und Austern schlampampen" wollte, und hier hatte er "eine schöne Zeit, wo ihm das Glück lächelte". Ein Bändchen für alle, die Hamburg und Heine lieben.
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Seitenzahl: 129
Heinrich Heine
Doch Hamburg hat bessere Austern
Eine literarische Stadtrundfahrt
Herausgegeben von Jan-Christoph Hauschild
Hoffmann und Campe
Einleitung
Schöne Wiege meiner Leiden,
Schönes Grabmal meiner Ruh,
Schöne Stadt, wir müssen scheiden, –
Lebe wohl, ruf ich dir zu.
Lebe wohl, du heilge Schwelle,
Wo da wandelt Liebchen traut;
Lebe wohl! du heilge Stelle,
Wo ich sie zuerst geschaut.
Hätt ich dich doch nie gesehen,
Schöne Herzenskönigin!
Nimmer wär es dann geschehen,
Daß ich jetzt so elend bin.
Aus: Buch der Lieder: Junge Leiden, Lieder, V
Frei heraus: Heinrich Heine war Hamburger. Gewiß, in Düsseldorf ist er geboren, vermutlich um die Jahreswende 1797/98, wer weiß das so genau (die behaupten, es genau zu wissen: 13. 12. 1797, am wenigsten). Aber nach seinem Abschiedsbesuch im September 1820 hat Heine seine Vaterstadt nie wiedergesehen. Hamburg dagegen betrachtete er, so überliefert es sein Freund Heinrich Laube, »immer« als seine »spezielle Heimat«, ihr galten auch seine beiden einzigen Deutschlandreisen, die er von Paris aus 1843 und 1844 unternahm. All dem zum Trotz ist sein Verhältnis zur »seelenlosen Schacherstadt« an der Elbe stets überaus konfliktreich gewesen. Ja, gerade deswegen.
Hier war es, wo er im Kreis naher Verwandter seine erste große Liebe fand, wo er eine zweijährige Lehrzeit absolvierte und anschließend, im Auftrag seines Vaters, aber unter eigener Firma, englische Fabrikware verkaufte und nach kurzer Zeit, ohne eigene Schuld, aber mit Eklat, scheiterte. Hier begann er mit ersten Gedichtveröffentlichungen seine literarische Laufbahn, hier fand er 1826 in Julius Campe seinen deutschen Hauptverleger. Last not least war er – fast – Hamburger Staatsbürger: Als er 1818 die provisorische Aufnahme in die jüdische Gemeinde Hamburgs erlangte, kam das einem Quasi-Bürgerrecht gleich.
Heines Verhältnis zur Hamburger Judenschaft stand unter dem Patronat seiner reichen Hamburger Verwandten. Zu einer regelrechten Integration kam es jedoch nicht; Heine betrieb sie auch nicht. Das war zweifellos die Folge der liberalen und unorthodoxen Erziehung, die er im Elternhaus genossen hatte. Sie war von einer gewissen Distanz zu allem Jüdischen und insbesondere zur jüdischen Religion geprägt. Dennoch dürfte er gelegentlich den Gottesdienst in der Reformsynagoge besucht haben: Angeregt durch Reformbestrebungen Berliner Juden, hatten über sechzig Hamburger, darunter Bekannte und Verwandte Heines, den »Neuen Israelitischen Tempelverein in Hamburg« gegründet, dem sich auch Salomon Heine anschloß. Die Prediger der Reformsynagoge, Eduard Kley und Gotthold Salomon, und ihren Gegenspieler, den Orthodoxen Isaak ben Jakob Bernays, sowie den Hamburger Zuckermakler Gerson Gabriel Coh(e)n, einen Anhänger der jüdischen Reformbewegung, erwähnt Heine in Briefen an Moses Moser vom 23. August und 27. September 1823.
Moser gegenüber, einem Bankangestellten, der sein engster Berliner Freund geworden war, nahm Heine auch zahlreiche Vertreter der deutsch-jüdischen kulturellen Symbiose in Berlin aufs Korn, so den Universitätsjuristen Eduard Gans, der im Anschluß an Hegel das Recht der praktischen Vernunft vertrat, Leopold Zunz, der 1822 die Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums begründete, den Orientalisten Ludwig Marcus, den Journalisten Joseph Lehmann und den Pädagogen Immanuel Wohlwill (ursprünglich Joël Wolf, Spitzname »Monas«), der 1823 als Tempelpredigeradjunkt und Lehrer der israelitischen Freischule nach Hamburg ging. Ebenso wie in der Diskussion um die Hamburger Reformsynagoge nahm Heine im innerjüdischen Streit für die Traditionalisten Stellung, die ihm »kraftvoller« erschienen als die Reformer David Friedländer, Israel Jacobsohn, Lazarus Bendavid, Isaak Levin Auerbach und dessen Bruder Baruch Auerbach, die eine radikale Reform des Judentums, seine Modernisierung und Assimilation anstrebten.
15 Hamburg-Aufenthalte zwischen 1814/15 und 1843 hat der verdienstvolle Heineforscher Joseph A. Kruse in seiner Studie über Heines Hamburger Zeit gezählt, was aneinandergereiht eine Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Jahren ergäbe. Die Freie und Hansestadt, die auf eine lange republikanische Tradition zurückblickte, hatte damals bereits um 130.000 Einwohner; bis 1830 kamen noch einmal 40.000 dazu. Handel, Seefahrt, Schiffbau und Hafen machten Hamburg zur größten Handelsmetropole nicht nur Deutschlands, sondern bald auch des Kontinents. Hier befand sich der größte Silbermarkt Europas, neben dem Warenhandel hatte hier das Wechselgeschäft ein bedeutendes Zentrum.
Zunächst absolvierte Harry Heine, wie er bis zu seiner protestantischen Taufe 1825 hieß, von 1816 bis 1818 eine zweijährige Lehrzeit im Kontor des Hamburger Bankhauses Heckscher & Co., an dem sein Onkel Salomon, ein jüngerer Bruder seines Vaters, beteiligt war: ein energischer Geschäftsmann, ein gläubiger Jude mit viel Familiensinn, ein Philanthrop und Wohltäter nicht nur der eigenen Verwandtschaft, dessen nachgelassenes Vermögen 1843 auf umgerechnet 210 Millionen Euro beziffert wurde. Als Stifter des Israelitischen Krankenhauses (Simon-von-Utrecht-Straße 2; das Gebäude dient heute kommunalen Verwaltungszwecken) hat ihn Heine in einem Gedicht porträtiert. Seine Villa »mit Turm und Zinne« am Elbufer im damals dänischen Ottensen war ein Zentrum vornehmer hanseatischer Lebenskultur, ein offenes Haus, in dem Schriftsteller, Schauspieler und Tonkünstler verkehrten. Hintersinnig heißt es in der dritten Abteilung der Nordsee, Salomo »hatte immer eine besondere Liebhaberey für Gold und Affen«.
Für Heine war es im Rückblick vor allem ein Ort schwerer Demütigungen und Diffamierungen: »Affrontenburg« nannte er in einem späten Gedicht den Schauplatz seiner Leiden, von dem heute nur noch das 1832 errichtete Gärtnerhaus erhalten ist (Elbchaussee 31). Heftig reagierte er beispielsweise 1826 auf eher gutgemeinte Versuche seines Schwagers Moritz Embden und des Hamburger Bekannten Coh(e)n, Salomon Heine auf die problematische Situation seines Neffen aufmerksam zu machen, mit dem Ziel, ihn zu seinem eigenen Besten von Hamburg zu »entfernen«. Beeinflußt von ihm übelwollenden Familienmitgliedern und Gästen, so faßte er 1837 zusammen, habe dort »von jeher« eine dem todesschwangeren Dunst mittelitalienischer Sümpfe vergleichbare feindliche Atmosphäre geherrscht, »die meinen guten Leumund verpestete«.
Im Juni 1818 richtete ihm sein Vater in zentraler Lage (südlich vom Jungfernstieg, in der Nähe von Rathaus und Börse) und als Filiale des eigenen Tuchgeschäfts in Düsseldorf eine Kommissionshandlung für englische Manufakturwaren ein: »Harry Heine et Comp.«; Salomon dürfte für das nötige Gründungskapital gesorgt haben. In Düsseldorf nicht abgesetzte Waren wurden hier verkauft. Heine sollte nun aktiv an der Erhaltung des von der Wirtschaftskrise bedrohten Familienbetriebs mitwirken. Doch Samson Heines »Ellen- und Modewaarenhandlung« am Rhein steuerte längst dem Bankrott entgegen. Bereits kurz nach Eröffnung des Hamburger Geschäfts war er endgültig zahlungsunfähig; seine verzweifelten Rettungsversuche ließen den Schuldenberg nur immer weiter anwachsen. Hinzu kam eine psychische Erkrankung, die ihn am Ende völlig handlungsunfähig machte. Als seine Außenstände auf 100.000 Taler angewachsen waren, zog sein Bruder Salomon die Notbremse und ließ seinen Bruder für geisteskrank und geschäftsunfähig erklären und entmündigen, womit auch das Schicksal der Kaufmannskarriere von Harry Heine besiegelt war.
Der innerfamiliäre Konflikt wurde noch zusätzlich angefacht durch eine einseitige, für Heine unglückliche Liebesbeziehung zu Amalie, der zweitjüngsten Tochter des Millionärsonkels. Für sie scheint er sich schon in seiner Düsseldorfer Zeit interessiert zu haben; in Hamburg forcierte er sein Begehren. Es war eine unmögliche Liebe; der hanseatische »Engel« hielt den Vetter auf deutlicher Distanz. Die Poesie war dessen Trost: Im Februar 1817 veröffentlichte die Zeitschrift »Hamburgs Wächter« die ersten Gedichte des Kaufmannslehrlings, der sich noch hinter dem Anagramm Sy. Freudhold Riesenharf (gebildet aus: Harry Heine, Dusseldorff) verbarg.
1819 verließ Heine Hamburg und kehrte zunächst ins Elternhaus zurück. In einem Abschiedsgedicht verklärte er die Stadt zur »schönen Wiege« seiner »Leiden«. Von der emotionalen Bindung an die Elbmetropole, einem Gemenge aus schicksal- wie schuldhaften Verstrickungen, Sehnsüchten, Enttäuschungen und Verletzungen, vermochte er sich zeitlebens nicht zu befreien; darüber zu sprechen, hieß Schuld zuzuweisen. Wem auch immer die Vorwürfe gegolten hätten: Es wäre jemand aus der Familie gewesen. Und das konnte nicht Heines Absicht sein, zumal er dieser Familie außerordentlich viel verdankte.
Gleichzeitig endete auch die Düsseldorfer Zeit der Familie Heine, die nach einer Zwischenstation in Oldesloe 1822 ihren dauernden Wohnsitz in Lüneburg nahm, ehe sie im Frühsommer 1828 zu ihren Verwandten an die Elbe zog. Wegen des wirtschaftlichen und gesundheitlichen Ausfalls Samson Heines nahm nun der Hamburger Onkel die Geschicke seiner Verwandten in die Hand und förderte sie auf großzügige Weise. Die Eltern wurden mit einer Jahresrente versorgt, die Kinder mit Ausbildungsstipendien ausgestattet: Für Harry, den Ältesten, fiel die Wahl auf das Studium der sozial besonders exklusiven Jurisprudenz (anfangs zusätzlich auch der Nationalökonomie); in Verbindung mit der dann fast unausweichlichen Taufe versprach ein juristisches Examen Aussicht auf einen Posten im Staats- und Verwaltungsdienst oder zumindest auf eine Advokatur. Heines Bruder Gustav erhielt die Mittel zur praktischen Ausbildung als Landwirtschaftsinspektor, Maximilian, der jüngste der Brüder, nahm ein Medizinstudium auf. Die Schwester Charlotte, mit der Heine eine innige Geschwisterliebe verband, heiratete 1823 den Hamburger Indigo-Makler Moritz Embden (1790–1866), einen weitläufigen Verwandten.
Zwar verlangte die soziale Konvention von Salomon Familiensolidarität, weshalb er Heine auch nach Beendigung des Studiums öfter Geldbeträge zukommen ließ. Dessen Lebensunterhalt komplett bzw. zu einem beträchtlichen Teil zu übernehmen, weigerte er sich lange; seinen Zahlungen lagen außerordentliche Anlässe zugrunde. Erst nach anderthalbjährigem Zerwürfnis und äußerst schwierigen Verhandlungen gelang es Heine im Herbst 1838, von seinem Onkel eine feste Zusage über einen jährlichen, ab Januar 1839 zu entrichtenden Unterhaltszuschuß in Höhe von 4000 Francs zu erhalten, der nach seiner Eheschließung 1841 auf 4800 Francs erhöht wurde. Zu einer echten Anerkennung der außerhalb der materiellen Sphäre liegenden Leistungen seines Neffen wollte sich Salomon Heine jedoch nicht durchringen, weshalb diese Unterstützung etwas Zweideutiges behielt, von dem Heine sich prinzipiell freizumachen suchte, was ihm freilich nicht gelang.
Wie ein Blitzschlag traf ihn dann der Versuch des Hamburger Familienclans, die Pension nach Salomons Tod am 23. Dezember 1844 um die Hälfte zu kürzen und auch noch die Auszahlung dieser Hälfte an gewisse Bedingungen zu knüpfen; absolute Loyalität, Sparsamkeit und Einschränkung sollten von nun an gelten. Erst von einer Falschmeldung über Heines vermeintlichen Tod aufgeschreckt, lenkte Carl Heine im Herbst 1846 ein: Im Februar 1847 sicherte er seinem Cousin die ungekürzte Fortzahlung der ursprünglichen Jahresrente auf Lebzeiten zu; außerdem erklärte er sich bereit, nach Heines Tod die Hälfte der Pension an seine Witwe weiterzuzahlen.
Eigenem Verständnis nach hatte Heine jedoch durch seine literarische Tätigkeit, die seiner Familie zu gesellschaftlicher Ehre gereichte, Anspruch auf Unterstützung, und daher war sein immerwährender Kampf um diese Gelder auch ein Kampf um seine Identität und Akzeptanz als Schriftsteller. Der Wille, es den Hamburger »Pfeffersäcken« zu zeigen, ihrem kommerziell-materiellen Erfolg einen geistig-literarischen entgegenzusetzen, wurde zu einem der wichtigsten Antriebe seiner literarischen Tätigkeit. Und es war der Hamburg-Komplex aus Familie, Beruf und Erotik mitsamt dem Widerspruch der gleichzeitig erwünschten und verhaßten finanziellen Abhängigkeit, der Hamburg für Heine zu einem immer wiederkehrenden Thema, seine Bürgerinnen und Bürger zu Zielscheiben seines Spottes und seine reichen Verwandten vielfach zu heimlichen Adressaten von Witzen und Anspielungen werden ließ. So, als er 1832 bei Gelegenheit einer kleinen biographischen Untersuchung über den englischen Politiker George Canning erläuterte, dieser sei »geboren von unglücklichen Eltern; späterhin, aus dem kleinen Elend der Armut in das größere Elend einer glänzenden Abhängigkeit übergehend, erduldete er die Unterstützung eines Oheims«.
Von den außerordentlich zahlreichen Hamburg-Reminiszenzen in Heines Werk sind an erster Stelle das humoristische Romanfragment Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski zu nennen. Erzählt werden Stationen aus der fiktiven Biographie eines polnischen Adeligen, den das Schicksal aus seiner polnischen Heimat zunächst nach Hamburg führt, das hier als Hochburg einer saturierten Bürgerlichkeit erscheint. Die Bäder von Lucca, in deren Mittelpunkt die mit sorgfältiger Gemeinheit gearbeitete, ebenso grandiose wie flegelhafte Polemik gegen den Dichter August von Platen steht, schildern die Begegnung mit zwei Hamburgern, dem unsterblichen Pärchen Gumpelino/Hirsch-Hyazinth, für die offensichtlich Don Quixote und Sancho Pansa Pate standen.
In den Florentinischen Nächten, einer erotischen Konversationserzählung, mit der er an die spätromantische Erzählkunst und die Literatur der »Schwarzen Romantik« anknüpfte, schrieb Heine ausführlich und mit großer dichterischer Freiheit über ein Konzert, das Niccolò Paganini, der »Vampir mit der Violine«, im Hamburger Komödienhaus im Frühsommer 1830 gegeben hatte. Neben einem großen dreisätzigen Violinkonzert waren die »Sonata militaire auf der G-Saite« und »Nel cor piu non mi sento« erklungen; Kompositionen des »wunderbaren Meisters«, die beim Erzähler eine Kette halluzinatorischer Erscheinungen hervorrufen.
Endlich die Hamburg-Kapitel XX bis XXVI in Deutschland. Ein Wintermärchen, denen noch ein Caput über Bückeburg und Hannover, die Geburtsorte seines Urgroßvaters bzw. Großvaters, vorangeht. Diese »versifizierten Reisebilder«, in denen Heine ein düsteres Bild von Deutschlands Gegenwart und ein noch dunkleres von seiner Zukunft entwarf, waren sein eingehendster und brisantester Beitrag zur Deutschland- und Preußendiskussion der vierziger Jahre. Witz und Pathos, Ideologie und Satire stehen hier in einem beständigen Wechselspiel. Inhalt und Intention des in der Zeit des persönlichen Umgangs mit Karl Marx entstandenen Werks umriß Heine in einem Brief an Julius Campe vom 17. April 1844: »Es ist ein gereimtes Gedicht, welches […] die ganze Gärung unserer deutschen Gegenwart, in der kecksten, persönlichsten Weise ausspricht. Es ist politisch romantisch und wird der prosaisch bombastischen Tendenzpoesie hoffentlich den Todesstoß geben.«
Beobachtend und reflektierend beschrieb Heine, der seine Kenntnisse auf seiner Deutschlandreise im Herbst 1843 hatte auffrischen können, anhand der kapitelstrukturierenden Reisestationen die politische Realität seines Vaterlandes. Er reagierte damit auf den faktischen Machtzuwachs und die Hegemoniebestrebungen Preußens, das sich seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. als Zentrum der politischen Restauration etablierte und auf einen autoritären Nationalstaat zusteuerte. Hellsichtig erkannte er die Gefahren eines sich modern gebärdenden, bis an die Zähne bewaffneten Nationalstaats, der die politischen Strukturen des Mittelalters zu restaurieren suchte.
Gemessen an der beißenden, akzentuierten Aggressivität des Werks sind die Hamburg-Kapitel bei allem Spott durch eine sympathisierende Grundstimmung charakterisiert. Zum einen ist diese dem Wohnort von Mutter und Onkel sowie des Verlegers geschuldet. Zum andern wurde sie wohl auch durch den verheerenden Brand vom 5. bis 8. Mai 1842 veranlaßt, über den Heine seinerzeit als Paris-Korrespondent der Allgemeinen Zeitung berichtet hatte. Damals waren 51 Tote und über 100 Verletzte zu beklagen gewesen, ein Drittel der Innenstadt brannte ab, rund 20.000 Menschen waren dadurch obdachlos geworden. Der Wiederaufbau kam mit Hilfe internationaler Solidarität rasch in Gang, aber er machte das alte, Heine vertraute Stadtbild unkenntlich, drohte einen Teil seines Jugendlebens auszulöschen: »Es wird doch nicht mehr mein altes Hamburg sein, mein altes, schiefwinklichtes, schlabbriges Hamburg!«
Zur Beschreibung dieses alten Hamburg griff Heine auf zahlreiche hanseatische Spezifika zurück, die uns schon aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski vertraut sind. Ursprünglich vorgesehen war darüber hinaus noch eine Aufzählung von Prostituierten aus der anrüchigen Schwiegerstraße, wo die Edelbordelle lagen. Sie fiel jedoch der Selbstzensur zum Opfer. Erstmals veröffentlicht wurden diese Verse in den Memoiren einer Prostituierten in Hamburg. Nach dem Originalmanuscript bearbeitet von Dr. J. Zeisig, Hamburg-Altonaer Volksbuchhandlung in St. Pauli 1847. Verfasser- und Verlagsangabe sind fingiert: verlegt wurden die Memoiren von Hoffmann und Campe, der Druck erfolgte in Leipzig.
Wir wissen von Heine selbst, daß er in Hamburg, der »großen Rechenstube«, die sich nachts in »ein großes Bordell« verwandelte, gelegentlich Prostituierte aufsuchte, stellten sie doch eines seiner »gewöhnlichen Hausmittel« gegen »körperliches Unwohlsein« und »geistiges Mißbehagen« dar. Dem Berliner Freund Moses Moser gestand er am 11. Juli 1823, »vorgestern nach Mitternacht« habe er Ablenkung von seinem »infernalen Brüten« gesucht und auf der Suche nach einer Entspannungsmöglichkeit »die bekannten Schmutzgassen Hamburgs durchwandelt«. Die meisten Huren traf man auf der anrüchigen Drehbahn, dem Vergnügungsviertel des Hamburger Bergs (später unter dem Namen St. Pauli bekannt) und vor dem Dammtor in Hamburg. Ob darunter auch »die lange Mahle« und »die falsche Marianne«, »die Braunschweiger Mummen-Friedrike« und »die rote Sophie«, »Posaunengel-Hannchen« und »Pique-As-Louise«, »Kuddelmuddel-Marie« und »Dragonerkathrine«, »die große Malvine«, »die keusche Susanne« und »Strohpuppenjette« waren, ist zumindest wissenschaftlich nicht nachzuweisen.
Die Auseinandersetzungen um Deutschland. Ein Wintermärchen können als Musterbeispiel für das gespannte Verhältnis zwischen dem Autor Heine und dem Verlag Hoffmann und Campe auf der einen, Polizei, Zensur und Justiz auf der anderen Seite gelten. Vom Pariser Entwurf bis zum Hamburger Druck, den Heine 1844