Doggy Style - Ina Linger - E-Book

Doggy Style E-Book

Ina Linger

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Beschreibung

Inhalt: Wenn es eines gibt, das Liam Chandler, A-Klasse-Schauspieler, reich und gutaussehend, im Übermaß hat, dann sind das eindeutige Angebote von schönen Frauen zum netten Zeitvertreib. Bedauerlicherweise hat seine neue, tierische Mitbewohnerin Grace Kelly große Freude daran, genau diese Damen aus dem Haus zu graulen – bis Nayeli Lopéz in Liams Leben tritt. Die selbstbewusste ‘Hundeflüsterin’, die sich weder von Liams Reichtum und Ruhm noch von seinem Aussehen beeindrucken lässt, macht sich mit Eifer daran, die gestörte Zweibeiner-Vierbeinerbeziehung wieder ins Lot zu bringen. Dabei weckt sie ungewollt Liams Interesse und Ehrgeiz, denn wie kann es sein, dass jemand gegen seinen Charme immun ist? Bald schon steht bei den gemeinsamen Trainingsstunden mit Gracie zumindest für Liam ein neues Ziel im Vordergrund: Nayeli verführen – ohne sich dabei in sie zu verlieben. Zu Liams großer Überraschung scheint letzteres allerdings schwerer zu sein als geahnt …

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ImpressumCopyright: © 2019 Ina Linger und Cina Bard

www.inalinger.de

Email: [email protected]

Veröffentlicht durch: I. Gerlinger, Spindelmühler Weg 4,

12205 Berlin

Einbandgestaltung: Ina Linger

Fotos: shutterstock.com; Javier Brosch

Schriften: Typodermic Fonts; Font Diner

Lektorat: Faina Jedlin

All rights reserved

 

 

 

 

Inhalt

 

Die Leiden des jungen L.

Freuden des Alltags

Begegnung der tierischen Art

Backstage-Gedanken

Sensei Nayeli

Hund aufs Herz

Neid der Hundelosen

Little und andere Monster

Gefährliche Wildnis

Lausbuben

Mildernde Umstände

Plötzlich berühmt

Fan-atisch

Vernunft ade

Gefühlswirrwarr

Grenzwertig

Kampfhunde

Hundlos unglücklich

Hundsgemein

Schwanzeinzieher

Hunde gut, alles gut

Epilog

Glossar

Liebe Leser,

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"Der Hund ist der sechste Sinn des Menschen."

Christian Friedrich Hebbel (1813 - 1863), deutscher Dramatiker und Lyriker

 

 

 

 

 

 

Die Leiden des jungen L.

 

 

 

 

 

Montag.

 5:30 Uhr: Nach einer weiteren rauschenden Party ins Koma … Bett fallen.

5:40 Uhr: Zwei Aspirin einwerfen und mit einem Dreiviertelliter eines importierten Hochgebirgsbachwassers herunterspülen.

06:30 Uhr: Toilettengang Nummer 1.

06:32 Uhr: Toilettengang Nummer 2.

07:12 Uhr: Aufwachen auf dem flauschigen Badezimmerteppich mit einem Handtuch als Decke und Toilettengang Nummer 3.

11:30 Uhr:…

 

Schrecklich. Er hatte ein solch schreckliches Leben. Was genau so schrecklich war? Alles. Obwohl derzeit keine Dreharbeiten anstanden, hatte er heute bereits sehr früh aufstehen müssen. Um acht! Acht Uhr! Morgens! Trotz seines offensichtlich schonungsbedürftigen Zustandes hatte sein Personal Trainer keine Gnade gekannt und ihn schreckliche zwei Stunden lang in seinem Privatfitnessstudio schwitzen lassen. Die Aspirin sowie jahrelanges Partytraining hatten ihn zwar vor Kopfschmerzen bewahrt, jedoch bestimmt nicht vor dem Muskelkater, der ihn die nächsten Tage begleiten würde und es jetzt schon vom letzten Mal tat. Und das alles nur, weil dieser Schinder ihn neben dem Training, als das er seine Malträtierungen verkaufte, mit der grässlichen Aussicht auf eine drohende Zukunft als schwabbeliges Dickerchen, das keiner mehr engagieren würde, zusätzlich unter Druck gesetzt hatte.

Zum Frühstück hatte es obendrein einen dieser schrecklichen, zuckerfreien Proteinshakes gegeben. Mit Spirulina und Spinat – Liam kannte kein Lebensmittel, das mit diesen beiden Buchstaben begann und das er nicht grauenvoll fand. Spitzkohl, Sprotten, Sprossen … allesamt furchtbar. Und nun durfte er sich gerade mal eine halbe Stunde ausruhen.

Die Sonne brannte unbarmherzig heiß vom Himmel herab. Es war einer dieser Tage, an denen man sich am liebsten mit einem eisgekühlten Drink an den Pool verzog. Unter einen riesigen Sonnenschirm! Mit Klimaanlage … und vielleicht einem Halstuch, damit man sich nicht erkältete bei all dem kühlen künstlichen Wind.

Wieso nur hatten andere Menschen es so gut, während er dieses Leben voller Entbehrungen führen musste? Und es war keines, das er sich selbst ausgesucht hatte, wie sein bester Freund Nick ihm in seiner unendlichen Naivität immer weiszumachen versuchte: Zum Schauspieldasein wurde man geboren, es war eine Berufung, etwas, dem man folgen musste. Er hatte gar keine Wahl gehabt.

Während er matt an seiner mit einem isotonischen Getränk gefüllten Trainingsflasche nuckelte und auf einem gütigerweise von seinem Personal Sadist im Halbschatten bereitgestellten Stuhl mehr hing als saß, war alles, was er wollte, nun endlich wenigstens kurz dem Vogelgezwitscher in den Rosen- und Hortensienbüschen um sich herum lauschen zu dürfen. Doch nicht einmal das war ihm vergönnt, denn statt des lieblichen Gesanges, ertönte eine Reihe kurzer klackernder Geräusche, die auch direkt neben ihm nicht aufhörten, sondern sich sogar noch steigerten. Dazu  stieg ein beinahe stechender Vanilleduft in seine Nase. Das stakkatoeske Geräusch kam von einem Paar teurer High Heels, genaugenommen nur noch von einem, und fand mit einem harten, letzten Schlag einer roten Sohle auf hellen Terrakottafliesen seinen fulminanten Abschluss. Im nächsten Augenblick baumelte etwas vor seinem Gesicht herum und kleine Teile davon bröckelten in seinen Schoß und auf den Boden.

„Alycia, Liebes, bitte mach keinen Dreck, den du nicht selbst entfernen möchtest“, brachte er geschwächt heraus. „Die neue Haushälterin kommt frühestens morgen Vormittag und ich habe bei meinem brutalen Tagesprogramm nun wirklich keine Zeit, selbst aufzuräumen.“

„Oh“, ertönte ihre zuckersüßzitronensaure Stimme. „Ohooo, das tut mir aber leid, aber vielleicht wäre das gar nicht erst passiert, wenn dieses ungezogene Biest eine Erziehung genossen hätte!“

„Hattest du wieder Streit mit deiner Schwester? Das tut mir leid zu hören“, sagte Liam nach außen hin mitfühlend, innerlich die Augen verdrehend.

Er wollte sich nicht schon wieder langweilige Einzelheiten des letzten Streits zwischen seiner zeitweiligen Geliebten und ihrer ehemaligen Studentinnenverbindungsschwester anhören, aber wenn Alycia in dieser Laune war, dann war es besser, sie einfach quatschen zu lassen und innerlich abzuschalten. Was etwas schwer war, da das seltsame Gebilde, das sie in der Hand hielt, nun komplett in seinen Schoß fiel. Sein müder Blick sank nach unten. Rosa … Leder … eine halbe Blüte … oh. Das war eine der Sandalen, die er Alycia zu ihrem Geburtstag gekauft hatte und die nun offensichtlich das neueste Opfer seines kleinen felligen Lieblings geworden waren. Vermutlich hatte dieser die andere in eines seiner Geheimverstecke getragen und kaute gerade genüsslich darauf herum.

Mit einem schmerzverzerrten Verziehen des Gesichtes öffnete er die Schenkel und das, was einmal das Werk eines talentierten Schuhmachers gewesen war, fiel zu Boden. „Kauf dir doch einfach neue“, murmelte er matt.

„Einfach so? Ich dachte, das war eine Spezialanfertigung, ein Unikat, nur für mich designt. Einmalig, Liam!!“

Er schloss kurz die Augen. Seine deutlich benötigte Ruhepause wurde empfindlich dezimiert – er fragte sich ohnehin, warum Alycia immer noch da war, schließlich wohnte sie nicht bei ihm – und die Morgensonne war gewandert und verwandelte sein schattiges Plätzchen langsam in eines in der direkten Sonne.

„Alycia, Liebes, komm doch bitte kurz her.“

„Ich bin doch schon da!“, giftete sie, doch er setzte seinen besten Hundeblick auf und registrierte zufrieden, wie ihre wütende Fassade Risse bekam.

„Noch ein wenig näher … hier herüber“, er streckte matt eine Hand nach ihr aus und winkte sie heran, ließ seinen flehenden Blick weiterhin auf ihren Augen ruhen und Alycia bewegte sich langsam auf ihn zu.

„Stopp“, rief er und schob sie an der Hüfte ein paar Millimeter zurück und nach links. „So ist es perfekt.“

Und das war es auch, denn ihr großer Sonnenhut und ihre noch riesigere Handtasche befanden sich nun genau im richtigen Winkel, um seinen ausgestreckten Füßen wieder Schatten zu bieten. Ansonsten hätte er sie anziehen müssen und dazu war er nach den Strapazen der letzten Stunden nun wirklich nicht in der Lage.

Alycia sah ihn irritiert an und hüpfte dann mit einem kleinen Kreischen wieder in den Schattenbereich der Markise. „Willst du, dass ich eine Lederhaut bekomme wie Meghan Williams von nebenan?! Sie ist fünfundvierzig und sieht aus wie siebzig. Igitt! Du weißt doch, wie empfindlich meine Haut ist!“

Natürlich tat er das, schließlich erinnerte sie ihn jeden Tag daran. Ein dauerhaft sonniger Ort wie L.A. war nichts für jemanden wie sie, aber wenn man es genau nahm, war sie ja auch nicht wegen des Wetters hier.

Liam gab ein unwilliges Brummen von sich und musste seine eigene Suche nach mehr Sonnenschutz nun ganz allein bewältigen. Er hob seinen Hintern gerade mal so viel, dass er den Stuhl ein paar Zentimeter zurückschieben konnte, ohne Kratzer auf den Fliesen zu hinterlassen. Also zusätzliche zu denen von Alycias Absätzen. Gott, es nahm aber auch wirklich niemand Rücksicht auf ihn!

Das Klacken ertönte erneut, weil Alycia die armen Terrakottafliesen wieder mit ihrem Schuh bearbeitete.

„Du musst endlich etwas gegen dieses gemeingefährliche Vieh unternehmen!“, verlangte sie.

Liam hielt inne und sandte ihr einen wütenden Blick. „Sie ist kein Vieh, sondern eine kleine Lady!“ Im Gegensatz zu manch anderer Anwesender.

„Ach, kleine Ladies zerkauen also anderer Leute Schuhe, wenn der kleine Gentleman nicht daheim ist?!“, schnappte sie.

Liam wollte etwas entgegnen, doch Alycia giftete weiter. „Womit wir zur nächsten Frage kommen: Wo war der Herr denn gestern Nacht beziehungsweise heute bis in die frühen Morgenstunden?! Ich hab dir mindestens zehn Nachrichten hinterlassen und ich weiß, dass du an deinem Handy klebst, als wäre es ein Körperteil!“

Ooops. Normalerweise um keine Ausrede verlegen, arbeitete Liams Hirn heute aufgrund all der Strapazen der vergangenen Stunden noch auf Sparflamme. „Ich … war nur mit ein paar Freunden unterwegs.“

„Und einer dieser Freunde hieß nicht zufällig Joel Milano? Der gestern eine Privatparty in seinem Club veranstaltet hat?“

Er-wischt.

„‚Woher weißt du das denn, Alycia?‘“, ahmte sie seine Stimme mehr schlecht als recht nach. „Das weiß ich von den Reportern draußen, weil die gefragt haben, wieso ich nicht da war!“

„Kann sein, dass er auch dabei war …“, wich Liam aus.

„Liam Chandler! Du hast versprochen, mich ihm vorzustellen! Du hast gesagt …“

Er hörte nur mit halbem Ohr hin, als eine erneute Tirade über ihre Zukunftspläne folgte, die er gemeinerweise boykottierte, wenn er sie nicht zu jeder Party mitschleppte. Was ja eigentlich zu Beginn einer der Hauptgründe ihres Zusammenseins gewesen war. Er hatte das ehemalige Model durch einen Kollegen bei TFP kennengelernt – oder eher auf dessen Geburtstagsparty. Mit ihren hellblonden Locken, den großen blauen Augen und ihrer zierlichen Figur machte sie sich einfach gut als Eventbegleiterin. So quasi als gewisses Extra zu seiner eigenen sexy Erscheinung. Anfangs hatte er sie sogar dafür bezahlt, mit ihm auf Filmpremieren, Partys oder anderen Events zu erscheinen, bis sie schließlich zusammen im Bett gelandet waren und ihre ‚Beziehung‘ persönlicher geworden war. Dass er sie anschließend weiter in seinem Leben geduldet hatte, lag eindeutig an Nicks halbjähriger Abwesenheit und dem Gefühl der Einsamkeit, das Liam meist in dieser Zeit verstärkt quälte. Alycia und er hatten zwar nicht viel gemein, aber es war besser, von ihr genervt zu sein, als sich über einen längeren Zeitraum allein und ungeliebt zu fühlen. Zumindest hatte er das zu Beginn angenommen.

Dann hatte sie leider begonnen, sich ebenfalls für eine Schauspielkarriere zu begeistern, und versuchte nun permanent, ihn und seine ‚Connections‘ als Sprungbrett in eben diese zu nutzen. Anfangs hatte er es noch irgendwie niedlich gefunden. Außerdem war der Sex gut und es ab und an auch mal ganz angenehm, wenn er nicht ständig mit einer neuen Begleiterin auftauchte, der er erst alles erklären musste. Die Presse liebte es, weil sie zur Abwechslung über eine ernsthafte Beziehung spekulieren konnte – was es aus seiner Sicht selbstverständlich nicht war – und wenn die Presse zufrieden war, war er zufrieden. Meistens. Manchmal. Dann und wann … Hauptsache, sie schrieben immer wieder brav über ihn. Darüber hinaus: Ständig eine Neue haben konnte ja jeder und diese eigentlich recht lockere Beziehung dauerte nun bereits die erstaunliche Zeit von zwei Monaten an.

„… würde vorschlagen, dass wir heute Nachmittag einen dieser Käfige bestellen, die so viele haben. Die Hunde sollen sich darin sogar ganz wohl fühlen und ich würde natürlich auch einen großen kaufen, obwohl … sie ist ja so ein kleines Vi… Ding, da reicht dann auch die Standardgröße.“

Liam blinzelte, aber nicht wegen erneuten Sonneneinfalls. „Entschuldige?“, erkundigte er sich in der Hoffnung, sich verhört zu haben.

„Ein Hundekäfig für Gracie“, wiederholte die junge Frau vor ihm so, als würde sie über das Wetter reden.

„Meine Gracie wird nicht eingesperrt!!“, fuhr er auf und auch Alycias Augen funkelten zornig.

„Liam Chandler, wenn das hier“, sie wedelte mit der Hand zwischen ihnen beiden hin und her, „ernst werden soll, dann muss etwas passieren! Meine Güte, ich habe ja nicht verlangt, dass du sie weggeben sollst!“

Liams Unterkiefer klappte herunter.

„Und für die Zeit, in der sie nicht da drinnen ist, habe ich ihr schon einmal etwas gekauft und zwar einen ganz süßen, pinken, mit Swarovski-Diamanten besetzten  Maulkorb –“ Alycia stockte, als Liam sich mit einem übertriebenen Stöhnen von seinem Stuhl erhob und sie daraufhin um einen Kopf überragte.

„Du hast was?“, fragte er wütend.

Alycia sah ihn verständnislos an, machte dann aber einen Schritt zurück, allerdings nicht aus Angst, sondern offensichtlich aufgrund seines postalkoholischen Mundgeruches, wie sie mit einem Handwedeln vor ihrer Nase demonstrierte. Schließlich zuckte sie die Schultern.

„Wir können ja auch eine andere Farbe nehmen, wenn dir pink nicht gefällt“, bot sie an.

Liams Mund öffnete und schloss sich wieder und das ein paar Mal in Folge, weil selbst einem wortgewandten Mann wie ihm im ersten Moment buchstäblich die Worte angesichts solcher Infamie fehlten. Vor seinem inneren Auge tauchte eine zitternde, leise winselnde Gracie auf, die traurig in einem Metallgefängnis saß, und er schnappte entsetzt nach Luft. Sein geschockter Geist ersetzte Gracie daraufhin durch Alycia, was ihn zu einem kurzen belustigten Grunzen veranlasste. So war es viel besser, bloß keine furchtbaren Erinnerungen hochkommen lassen.

„Du wirst dich jetzt aber nicht übergeben, oder?“, missinterpretierte die Frau vor ihm das Geräusch pikiert und brachte vorsichtshalber noch ein wenig mehr Abstand zwischen sie beide, nervös auf ihr Kleid – reine indische Mugaseide, maßgeschneidert – und ihre Schuhe – mit einer berühmten roten Sohle und aus der eigentlich erst nächste Woche erscheinenden Sommerkollektion – blickend.

Liam, seines Zeichens edler, wenn auch nicht uneigennütziger Spender all dieser Gaben richtete sich hoch auf und versuchte, seine schmerzenden Glieder zu ignorieren.

„Meine liebste Alycia“, begann er zu sprechen und sich gleichzeitig auf sie zuzubewegen. „Eher (aua) wird Cooper Bradley (aua) vor mir einen (uff) Oscar bekommen (auaha), als dass (aua) Lady Grace Kelly (oy) erneut zu einer Gefangenen (aua, aua) in ihrem eigenen Reich wird (autsch). Ist. Das. Klar?!“

Alycia war automatisch synchron rückwärts ins Haus gelaufen und legte nun eine wohlmanikürte Hand an ihre Nase. „Abgesehen davon, dass du dringend Pfefferminzpastillen oder einen anderen Atemerfrischer zu deinen neuen Begleitern machen solltest: HÖRST DU DIR ÜBERHAUPT SELBST ZU?!?!“

Sein lieblicher kleiner Engel ließ sein zartes Stimmchen vernehmen und im nächsten Augenblick kam er, einem laufenden Wollknäuel ähnelnd, um die Ecke gefegt, direkt auf Alycia und ihn zuhaltend. Das Knäuel stoppte abrupt ab, schlitterte auf dem blankpolierten Steinboden noch einen halben Meter weiter und rannte dann so schnell wie möglich wieder zurück, Alycia dabei lautstark ihre Verärgerung kundtuend.

„Ihr Reich?!“, mischte sich Alycias Kläf… Stimme in das Gebell und der kleine Hund sprang vorwärts in Richtung ihrer Füße. „Du hast doch einen – lass das, Gracie!! – du hast doch einen – Gracie! Liam, jetzt tu doch mal was!“

„Gracie, Darling, lass das …“, sagte Liam nach ein paar Sekunden des mit sich Ringens, weil es so schön war, sein Schätzchen glücklich spielen zu sehen.

„Bitte nicht so nachdrücklich!“, beschwerte sich Alycia und versuchte, den kleinen Hund zu packen. „Gracie, AUS!!“

Sie schüttelte ihren Fuß und Liam beugte sich schnell hinunter, um seinen kleinen Schatz hochzunehmen, bevor er möglicherweise noch verletzt wurde. „Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.

„Natürlich NICHT!“, keifte sein Gegenüber und er bedachte sie mit einem abfälligen Blick.

„Ich rede mit Gracie!“, ließ er sie wissen und sie schnappte empört nach Luft, während seine Hundedame sich in seinen Armen wand, um freizukommen, ihm dann kurz das Gesicht abschleckte und weiterbellte.

„Du … du hast doch einen Knall!“, rief Alycia und hob ihre Handtasche auf, die ihr im Trubel heruntergefallen war. „Das ist doch nicht normal, Liam! Den Hund über mich zu stellen – hat man Worte?!“

„Na, du offensichtlich eine ganze Menge mehr, als ich hören wollte“, gab er über das Gebell hinweg laut zurück und Alycias Mund öffnete sich entsetzt, schloss sich aber gleich wieder, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und durch das Wohnzimmer Richtung Haustür rauschte.

„Es ist aus, Liam! AUS! Meine Sachen werde ich später holen!“, rief sie und kreischte dann entsetzt auf, weil Gracie es endlich geschafft hatte, Liams Umarmung zu entkommen und lautstark ihre Verfolgung aufzunehmen.

„Welche Sachen?“, rief er ihr verständnislos nach. „Du wohnst doch gar nicht hier!“

„Du wirst noch an mich denken!“, war das Letzte, was er von seiner vermeintlichen Mitbewohnerin vernahm, bevor sie erneut loskreischte.

Memo an ihn selbst: Neue Begleitung für Hugh Jacksons große Party in drei Wochen besorgen und überlegen, ob es zu früh war, den Beziehungsstatus in den sozialen Medien wieder auf ‚Single‘ zu setzen.

Liam widmete sich diesen überaus bedeutenden Gedanken noch einen Moment, dann rannte er, heldenhaft seine verkrampfte Muskulatur ignorierend, hinter Gracie her, damit sie in ihrer Spiellaune nicht von der rücksichtslosen Alycia in der Tür eingeklemmt wurde.

 

 

 

 

 

 

Freuden des Alltags

 

 

 

 

 

Dienstag.

 4:30 Uhr: Nach drei Stunden Schlaf aufstehen und duschen.

4:40 Uhr: Instantkaffee in Thermosbecher füllen.

4:41 Uhr: Küchentresen und Boden von Kaffeeüberschwemmung befreien.

4:42 Uhr: restlichen Kaffee mit kaltem Wasser auffüllen.

4:43 Uhr: Hund schnappen und übermüdet die Straßen entlangstolpern.

5:00 Uhr: Hund bei Mutter abliefern und zum ersten Job des Tages fahren.

5:30 Uhr: *QUIEEETSCH BUMM KRCHXZ*

5:32 Uhr: Nicht heulen und keinen Mord begehen.

 

Im ersten Moment begriff Nayeli nicht ganz, was passiert war. Eben noch hatte sie an einem weiteren Kaffee genippt, nach einem neuen Sender gesucht, der etwas anderes als Einschlafmusik spielte, und dann einen kurzen Blick auf ihr Handy geworfen. Auf die Ampel schielte sie kaum. Sie kannte diese Kreuzung. Irgendetwas stimmte seit Jahren nicht mit der Ampelanlage. Der Fehler verzögerte das Umschalten, sodass man vergleichsweise lang dort stehen musste, also hatte sie praktisch alle Zeit der Welt – die sie eigentlich nicht hatte, weil ihr Tag minutiös durchgeplant war und vierundzwanzig Stunden noch zu wenig waren – um noch einmal kurz zur Ruhe zu kommen, bevor der  Stress begann.

Von einer auf die andere Sekunde quietschte und krachte es plötzlich, ihr Wagen wurde ein Stück nach vorne geschoben, der lauwarme Kaffee ergoss sich über das Armaturenbrett und sie selbst flog unangenehm in ihrem Sitz nach vorne. Sicherheitstechnische Spielereien wie einen Airbag besaß der alte Wagen nicht, doch der Gurt hielt gut. So gut, dass sie für eine Sekunde keine Luft mehr bekam, bevor ihr Oberkörper wieder zurück gegen den Sitz kippte. Dort blieb sie wie erstarrt sitzen, schaute auf die lauwarme, braune Brühe, die über den Lenker hinab auf ihr Hosenbein und in den Fußraum tropfte. Sie schloss kurz die Augen, schüttelte den Kopf und nahm einen heftigen Atemzug, der abgasverunreinigten Sauerstoff in ihr Hirn und Leben zurück in ihre Glieder brachte. Mit zittrigen Fingern schnallte sich ab und stieg aus.

Die Kraft des Aufpralls saß Nayeli noch in den Knochen und ihre Beine waren recht weich, trugen sie aber dennoch an das Auto des Mannes hinter ihrem heran. Der Mann, der gerade mit einem schiefen Grinsen ausstieg und sich am Kopf kratzte, während er sich die Misere besah; der Mann, den sie am liebsten am Kragen gepackt und durchgeschüttelt hätte, damit in seinem Oberstübchen alles wieder an den richtigen Platz fiel; der Mann, der es tatsächlich wagte, in dieser Situation Folgendes zu äußern: „Oops.“

Oops? Nayeli verschluckte sich fast an ihrer eigenen Spucke. OOPS?!

„Alles okay mit – “

„SAG MAL, HAKT’S BEI DIR?!“, platzte es in Stadionlautstärke aus Nayeli heraus und der Typ machte einen erschrockenen Schritt rückwärts. „HAST DU DEN FÜHRERSCHEIN IM LOTTO GEWONNEN?? BIST DU FARBENBLIND ODER WARUM ZUM HENKER FÄHRST DU MIR HINTEN REIN, WÄHREND ICH AN EINER ROTEN AMPEL STEHE?!?!“

„Whoa!“, der junge Mann vollführte eine abwehrende Geste mit den Händen, ein in der Morgensonne glitzerndes Smartphone in der rechten haltend. „Wir müssen mal chillen und das Ganze wie – “

„Chillen? Chillen?! ICH GEB DIR GLEICH CHILLEN!“ Nayelis Augen sprühten Funken und sie hob warnend einen Zeigefinger. „Und wenn du jetzt wagst, das Wort ‚Erwachsene‘ zu benutzen, werde ich dafür sorgen, dass du dieses Alter nicht erreichst!“

„I-ich bin einundzw – “

„Erwachsene sind umsichtig! Erwachsene sind verantwortungsvoll und Erwachsene fahren einem NICHT HINTEN REIN, WEIL SIE IHRE AUGEN AUF DEM HANDY STATT DER FAHRBAHN HABEN!!“

Eingeschüchtert ließ der junge Mann sein Mobiltelefon in der Hosentasche verschwinden. Okay, okay, sie hatte auch auf ihres geschaut, aber sie hatte gestanden. Und natürlich waren Erwachsene oft nicht die Vorbilder, die sie sein sollten, aber in dieser Situation konnte ihr auch niemand hundertprozentige Logik abverlangen. 

„Also … wie machen wir das jetzt …?“, fragte der  unfähige Fahrer nervös, als sie ihr eigenes Smartphone aus dem Wagen holte und zunächst einige Beweisbilder machte.

Immer noch vor Wut kochend wandte sie sich zu ihm um. „Komisch, bei deiner Fahrweise müsstest du doch den genauen Ablauf bereits kennen. Ich meine, das ist ja bestimmt nicht dein erster Unfall.“

„Na ja“, er kratzte sich verlegen am Kopf und Nayelis Stresspegel schoss von ‚durch die Decke‘ Richtung ‚drittes Universum von links‘, weil sie bereits eine Ahnung davon hatte, was er jetzt gleich gestehen würde. Wie sie es hasste, wenn sie in solchen Momenten recht hatte!

„Du bist nicht versichert“, sprach sie tonlos für ihn weiter und er nickte mit einem schiefen Grinsen, mit dem er sicher reihenweise Frauenherzen brach, Nayelis allerdings immer weiter zu Eis erstarren ließ. Sie konnte Typen, die ihr attraktives Äußeres einsetzten, um sich durchs Leben zu schummeln, nicht ausstehen. Dasselbe galt selbstverständlich für Frauen.

„Verstehst du, ich bin Schauspieler“, erklärte er mit einem sehr einstudiert wirkenden Augenaufschlag, „und stehe noch am Anfang, da kann ich mir so was nicht leisten, weil ich wirklich alles in meine Karriere investiere, in exklusiven Clubs Drinks ordern muss, die ein Monatsgehalt kosten, weil ich die Connections –“

„Wie ein Irrer Auto zu fahren kannst du dir aber leisten, ja?“, fuhr sie auf.

„Maaann, ich hab die rote Ampel schon auf etwa 200 Meter Entfernung gesehen, aber –“

„Die du ja bei deinem Fahrstil in einer Sekunde überwunden haben dürftest.“

„– ich bin von der Bremse abgerutscht“, gestand er lahm und ihr Blick fiel automatisch auf seine Füße. Flip-Flops! FLIP FLOPS!!!

„Hey, hör mal … das können wir doch bestimmt auch so klären …“, fuhr er beschwichtigend fort.

„Na klar“, sie grinste falsch. „Ich rufe nur kurz die Polizei.“

Abwehrend hob er die Hände. „Aber wieso denn?“ Er machte eine Geste in Richtung ihres Wagens. „Schau mal, wenn wir ehrlich sind, ist deine Karre ja jetzt auch nicht sooo viel wert.“

„WAS?!“, herrschte sie ihn an und er biss sich auf die Unterlippe.

Nayeli wollte ihm eine weitere wütende Antwort um die Ohren hauen, starrte ihn aber nur zornig an und presste die Lippen zusammen.

Ganz falscher Punkt, auch wenn er recht hatte. Ihr Auto hatte bessere Tage gesehen und das nicht nur bezüglich dieses Unfalls. Die traurige Wahrheit war: Selbst wenn sie die Polizei rief und dieser Junge nicht log, nur damit man seine Versicherungsbeiträge nicht heraufsetzte, würde sie für ihren Wagen wenig bis gar nichts bekommen. Das war nicht ihr erstes gebrauchtes, altes Auto. Auch vor dem Unfall hatte es gerade noch so als fahrtüchtig gegolten. Der Aufprall hatte – neben dem abgefallenen Auspuff, der kaputten Stoßstange und dem zerstörten Rücklicht – unter Garantie die alte Achse verzogen und somit einen Totalschaden verursacht, was bedeutete, dass sie maximal den Schrottwert ihres Wagens ausbezahlt bekommen würde, und der war zu gering, um sich einen neuen leisten zu können.

Sie bewegte ihre Schultern und dehnte vorsichtig ihren Nacken gegen die aufkommenden Verspannungsgefühle, die so oft ihre Begleiter waren und im schlimmsten Fall in fiesen Kopfschmerzen endeten.

„Oh, du … du hast jetzt aber kein Schleudertrauma oder so, oder?“, drang die unsicher-genervte Stimme des Autofahreralptraums an ihr Ohr. „O Mann, das ist bei mir finanziell echt gar nicht drin …“

Schleudertrauma? Madre de Dios! An so etwas durfte sie nicht einmal denken! Und es war auch nicht ihr Problem, dass er sich die Folgen seines talentfreien Fahrens nicht leisten konnte. Aber was brachte es, eine Anzeige und einen vermutlich langwierigen Prozess anzustrengen, für den sie weder Nerven noch Zeit, geschweige denn Geld hatte? Selbst wenn die Kosten im Endeffekt an ihrem Gegner hängenblieben, konnte sie sich momentan nicht mal eine Erstberatung bei einem Anwalt leisten. Und wenn der Junge tatsächlich kaum Geld hatte und Privatinsolvenz anmeldete, bekam sie ohnehin nichts.

Noch mehr Wut stieg in Nayeli auf. Dieser Unfall bedeutete für sie so viel mehr, als dieser verdammte kleine Möchtegernschauspieler-Hosenscheißer sich überhaupt vorstellen konnte. Keinen eigenen fahrbaren Untersatz zu haben, kam in ihrer jetzigen Situation und mit ihrem derzeitigen Beruf einem Desaster gleich! Sie hatte zu hart gearbeitet, sie verdiente es nicht, einen derart miesen Strich durch die Rechnung gemacht zu bekommen!

„Sag mal … heulst du etwa?“, hörte sie die Stimme des jungen Mannes.

„Natürlich nicht, ich hab Heuschnupfen!“, fauchte sie, speziell, weil sie spürte, wie tatsächlich Tränen ihre Wangen herunterliefen. Nayeli war bestimmt nicht empfindlich und heulte bei jeder Gelegenheit los wie ein Kleinkind. Es handelte sich hier um eine fiese Kombination aus Schlafmangel, Dauerstress, Geldsorgen und PMS – etwas, was ein Mann nie verstehen und persönlich keinesfalls lebend überstehen würde.

Das ihr gegenüberstehende Exemplar dieser Art begann in seinen Taschen herumzuwühlen und Nayeli sah ihn warnend an. „Biete mir kein Taschentuch an!“

„Ja, aber – “

„Nein!“, stellte sie klar. „Das einzige, nach dem du in deinen Taschen suchen wirst, ist dein Geld!“

Und sie in ihren nach einem Zellstofftuch, mit dem sie sich dezent die Nase schnäuzte, während sie zusah, wie der bestimmt nicht nächste Zac Efron die Schultern zuckte und dann zu seinem Wagen ging.

„Abhauen nützt nichts, ich hab dein Kennzeichen“, ließ sie ihn wissen und er nickte brav.

„Hol nur meine Kohle.“

 

Mit 223,75 Dollar („Das ist echt alles, was ich habe!“) mehr in der Tasche und einem fahrbaren Untersatz weniger unter dem Hintern, stand sie, bepackt mit ihrem Rucksack (der glücklicherweise auch immer Wechselsachen beinhaltete) anschließend gerade mal in Höhe des Dodger Stadions – was etwa einem Drittel ihres Weges entsprach – am Straßenrand und atmete tief durch. Wenigstens tat sie das nicht mehr ganz so zittrig.

Super. An diesem ohnehin bereits mit Terminen vollgepackten Tag war sie extra noch früher als sonst aufgestanden, weil sie auf dem Weg zu ihrem ersten Klienten noch einen zweiten Zwischenstopp in Montebello einlegen wollte. Gut, ‚wollen‘ war zu viel gesagt, weil ihre Mutter ihr aufgetragen hatte, ihrer Cousine Valentina eine Pastete und ein paar andere Sachen vorbeizubringen. Weil es ja ‚auf dem Weg lag‘ – ein sehr dehnbarer Begriff, wenn es nach ihrer Mutter ging.

Der einzige Grund, aus dem Nayeli ab und zu einen Zwischenstopp in Montebello einlegte, war, ihre beste Freundin Tula zu besuchen, die dort in einem Coffeeshop arbeitete, der den besten Kaffee machte, den sie kannte. Da sie beide recht viel beschäftigt waren und Tula vor einem Jahr ihr zweites Kind bekommen hatte, waren gemeinsame Momente rar gesät. Oft genug fanden ihre Treffen gegen sechs Uhr in der Früh statt, wenn der Verkehr auf den Straßen noch fließend genug war, um eine Strecke von gut 40 Kilometern in der einfachen Zeit exklusive statt der dreifachen inklusive Staus hinter sich zu bringen.

Ihr Handy vibrierte, sie wischte sich erneute Tränen ab und zog es aus ihrer Tasche.

„Mija“, drang die Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr und begann sofort mit ihrer Lieblingsfrage nach dem Standort ihrer Tochter. „Dónde estas? Hast du Valentina die Pastete und die Babykleidung für Rafael gegeben?“

„Nein“, antwortete sie matt.

„Por qué no?“, klang es verwundert aus dem Hörer. „Ich habe dir doch alles eingepackt. Hast du wieder vergessen, es abzugeben? Naye, wieso kannst du mir nie richtig zuhören? Mira, ahora tengo que ...“

Nayeli lehnte sich gegen ihren Wagen, den sie mithilfe des junges Mannes an den Straßenrand geschoben hatte, und atmete tief durch, während sie den Hörer ein Stück  weghielt und die Beschwerden ihrer Mutter darüber, was ihr Kind ihr jetzt an Zusatzarbeit aufgehalst hatte, zu einem Hintergrundgeräusch verblassten. Langsam zählte sie bis zehn und hob das Telefon anschließend wieder an ihr Ohr.

„Mamá, kannst du mir die Nummer von Tante Tia geben?“, fragte sie in eine Atempause hinein. Beim letzten Handywechsel vor zirka einer Woche waren bedauerlicherweise nicht alle wichtigen Nummern übertragen worden, was sie nun zu ihrem Leidwesen dazu brachte, ihre Mutter in die unangenehme Angelegenheit miteinbeziehen zu müssen.

„Tia?“, echote ihre Mutter. „Wieso? Que pasó? Hattest du etwa einen Unfall? Bist du okay?!“

Nayeli biss kurz die Zähne zusammen und hielt die Luft an. „Ja, aber mein Wagen ist Schrott.“

Erneut erfolgte ein ganzer Schwall Worte, die eine Mischung aus Besorgtheit und Vorwürfen bildeten, die nur ihre Mutter hinbekam.

 „Mamá, hör mal, ich habe jetzt keine Zeit, okay? Bitte schick mir die Nummer, ich muss jetzt schauen, dass ich einen Bus zu meinem nächsten Job bekomme. Hab dich lieb.“

Damit legte sie auf und atmete aus. Sie googelte die beste Verbindungsmöglichkeit per Bus nach Anaheim, mit einem Zwischenstopp in Pico Rivera, bei ihrer Cousine. Da sie immer überpünktlich losfuhr und diesmal eine gute Stunde bei Tula eingeplant hatte, konnte sie es noch rechtzeitig zu ihrem ersten Kunden schaffen – leider ohne einen Besuch bei ihrer Freundin. Der bei ihrer Cousine konnte das nicht aufwiegen.

Zähneknirschend schrieb sie Tula eine Textnachricht und telefonierte unter der währenddessen eingegangenen Nummer mit ihrer Tante. Im Anschluss holte sie zwei Kaffee in einer naheliegenden Bäckerei und wartete, starrte auf die sich allmählich mehr mit Autos und Menschen füllenden Straßen. Wenn sie die Zeit hatte, zog sie es vor, so wie heute, ihren Weg durch Nebenstraßen zu nehmen. Das war wie eine kleine Sightseeingtour und sie entdeckte immer etwas Neues. Andere Leute machten solcherlei Dinge im Urlaub, ein Luxus, den Nayeli sich nicht leisten konnte.

 

Nach zwanzig Minuten und vier weggedrückten Anrufen ihrer Mutter bog Tias Abschleppwagen um die Ecke und sie nahm die Tasche mit den Babysachen sowie die Form mit der Pastete aus dem Wagen.

„Holla, mi ninscha“, begrüßte die knapp vierzigjährige Frau sie in ihrem wie üblich betont grauenvollen Spanisch durch das offene Seitenfenster, schon bevor sie ausstieg, und begutachtete kurze Zeit später erst sie und dann den Wagen.

„Alles okay bei dir? Deine Mutter hat hysterisch bei mir angerufen und verlangt, dass ich ihr sofort Bescheid sage, wie es dir geht, weil du ja unter Schock stehen würdest und einfach aufgelegt hättest. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten, dein Handy bei der Polizei orten zu lassen. Also: Möchtest du vor oder nach dem Anruf zum Arzt? Vielleicht wäscht der dir ja auch die Kaffeeflecken aus der Kleidung.“

Trotz der schrecklichen Situation musste Nayeli lachen und Tia zog sie kurz in die Arme und gab ihr einen Kuss auf den Kopf, bevor sie sie auf Armeslänge von sich weg hielt. „Jetzt mal im Ernst: geht es dir gut – also so den Umständen entsprechend?“

„Nein“, antwortete Nayeli wahrheitsgemäß, „aber ich bin nicht verletzt.“

Tia nickte verständnisvoll und wandte sich dem Wagen zu. „Ja …“, lautete ihr Urteil kurz darauf, „das hat der Achse hinten den Rest gegeben. Möchtest du dich noch kurz verabschieden?“

Entgegen aller Logik hatte es ein klitzekleines Hoffnungsfünkchen in Nayeli gegeben, das nun auch erlosch. Tía Tia hatte, seit sie ein Kind gewesen war, in der Autowerkstatt ihres Vaters und Großvaters geholfen und Nayeli kannte niemanden, der sich besser mit Autos und Motorrädern auskannte als sie.

„Leider habe ich gerade auch so gar keinen Ersatzwagen für dich … hm …“ Tia kratzte sich ihr kurzes, blondes Haar. „Zumindest heute nicht mehr … aber Jack kriegt morgen was rein, meint er, dann kommst du vorbei, okay? Es sei denn, du hast das hier über deine miese Versicherung laufen lassen und bekommst von denen …“ Sie studierte die genervt hochgezogenen Brauen ihres Gegenübers und nickte. „Wie viel hast du bekommen?“

„223,75 Dollar.“

„Fünfundsiebzig Cent??“, lachte Tia und nahm den angebotenen Kaffee vom Wagendach dankbar an.

„Der schmeckt furchtbar“, ließ sie ihre unfreiwillige Kundin nach dem ersten Schluck wissen und deutete auf das Fahrerhäuschen. „Wohin musst du zum Kläfferhüten?“

Nayelis Augen verengten sich. „Du glaubst, wenn du mir aus der Patsche hilfst, darfst auch du dich ungestraft über meinen Job lustig machen?“

Tia nickte begeistert und Nayeli schnaubte abfällig, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. Sie liebte Tia. Wenn man es genau nahm, war diese nicht ihre wirkliche Tante, sondern die Tochter einer Freundin von Nayelis Mutter. Kurz nachdem Anita López mit ihrer Familie in die USA gekommen war, hatte sie drei Jobs angenommen, um sich über Wasser zu halten, und Tia war in dieser Zeit so lieb gewesen, für einen geringen Stundenlohn auf ihre Kinder aufzupassen. ‚Tía Tia‘ hatte Nayeli sie immer genannt und dieser Name war nicht nur an Tia haften geblieben, sondern zierte seit zwanzig Jahren auch den Namensschriftzug ihres Abschleppdienstes.

„Nach Anaheim“, antwortete Nayeli letztendlich doch noch auf die zuvor gestellte Frage und Tia kratzte sich erneut am Kopf. „Bis Pico Rivera kann ich dich bringen, aber dann muss ich weiter in die Avo Heights.“

Nayeli nickte dankbar, wartete, bis der Wagen aufgeladen war, stieg ein und rief als erstes ihre Mutter an, um diese vor einem Herzinfarkt zu bewahren. Dann starrte sie auf die zwölf neuen Nachrichten von Little Monster, las sie kopfschüttelnd durch und tippte eine kurze Antwort, in der sie erklärte, dass sie erst am späten Abend wieder erreichbar sei.

„Und? Konntest du deine Mammassitta beruhigen?“, erkundigte Tia sich und Nayeli warf ihrer ehemaligen Babysitterin einen konsternierten Blick zu.

„Du weißt schon, dass das nicht für ‚Mamalein‘ steht, sondern du sie quasi grad als heiße Braut bezeichnet hast?“

Ein breites Grinsen legte sich auf Tias Gesicht. „Natürlich! Deine Mama sieht aber auch gut aus für ihr Alter. Freu dich, Kleine, wenn du nach ihr kommst, brauchst du später kein Botox.“

Nayeli lachte. Tia hatte sie schon immer aufmuntern können. Ihr Spanisch war auch wesentlich besser, als es sich gerade anhörte. Im Laufe der Jahre hatte sie die Sprache von Nayeli und ihrer Mutter gelernt und Nayeli war sehr streng gewesen, was die Aussprache betraf, weshalb Tia sie heute noch gerne damit aufzog, indem sie einzelne Worte ganz grauenvoll schlecht aussprach.

„Viel zu tun heute?“, fragte Tia als nächstes.

Nayeli blies die Wangen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen, während sie nickte.

Ihren Terminplan ‚voll‘ zu nennen, war eine Untertreibung. Allein heute hatte sie vier reguläre Termine, weil die meisten ihrer Klienten aus unerfindlichen Gründen den Dienstag für die beste Zeit für ein Treffen hielten. Am gestrigen späten Abend hatte sie eine weitere Anfrage erhalten und die äußerst aufgebrachte Dame hatte wiederholt die Dringlichkeit ihres Anliegens betont und auf dem Folgetag bestanden. Noch konnte Nayeli sich ihre Aufträge nicht wirklich aussuchen und als sie gehört hatte, für welche Art Klient sie arbeiten würde, hatte sie es zunächst für einen Scherz gehalten, dann jedoch allein auf die Gefahr hin, dass es keiner war, zugesagt.

Gott sei Dank lagen die einzelnen Termine zeitlich recht gut auseinander, nur einen hatte sie aufgrund der neuen Situation ein wenig nach hinten verschieben müssen, was glücklicherweise der bei ihrer unproblematischsten Kundin war.

In Pico Rivera verabschiedete sie sich von Tia, legte draußen kurz die Finger an die Lippen und dann auf das Blech ihres verbeulten Autos, nickte in stummer Verabschiedung und hievte die Gaben für ihre Cousine auf Schulter und Arme. Noch ein kurzer Besuch, drei Termine und stundenlange Busfahrten, bis sie ihren neuesten Klienten treffen würde. Hoffentlich lohnte sich der Besuch, ansonsten würde sie an diesem Tag im schlimmsten Fall draufzahlen, statt etwas zu verdienen – und gleich zwei Schauspieler waren dann an einer nicht unerheblichen finanziellen Einbuße schuld.

 

 

 

 

 

 

 

Begegnung der tierischen Art

 

 

 

 

 

Nachdem Nayeli den Taxifahrer bezahlt hatte, stieg sie aus und wartete, bis dessen Wagen wieder verschwunden war. Zusammen mit ihrem sauer verdienten Geld. Sie nahm kein Taxi, wenn es sich vermeiden ließ, nur leider war sie nach dem letzten Termin arg spät dran gewesen und hatte bei ihrem neuen Kunden keinesfalls mit Unpünktlichkeit glänzen wollen. Die Konsequenz war, dass die unfallbedingte Fahrt hier raus sie ein kleines Vermögen gekostet hatte und sie immer noch rund zehn Minuten zu spät ankam. Na ja, sie konnte in der nächsten Woche ja auch einfach mal nichts essen. Oder sich selbst bei ihrer Mutter einladen und sich dann wieder stundenlang anhören, dass sie sich doch einen ‚echten‘ Job suchen solle, einen, der einem auch ein geregeltes Einkommen garantierte.

Wenn es nach ihrer Mutter gegangen wäre, hätte sie gleich nach der Schule eine Ausbildung zur Verkäuferin im Schuhladen ihres Onkels gemacht. Den ganzen Tag stinkige Käsequanten anderer Leute riechen zu müssen, war allerdings nichts, was bei Nayeli Begeisterungsstürme auslöste. Eigentlich hatte sie Tiermedizin studieren wollen und das war immer noch ihr großer Traum. Leider war das Studium alles andere als billig. Sie hatte sich um ein Stipendium beworben, das dann aber an jemand anderen vergeben worden war. Wochenlang war Nayeli am Boden zerstört gewesen. Bis ihre beste Freundin Tula ihr schließlich vorgeschlagen hatte, ihr Gespür für Tiere anderweitig zu nutzen und sich damit selbstständig zu machen.

Das Wort ‚Hundeflüsterin‘ hatte sie nicht sofort in den Mund genommen, aber Nayeli hatte es aus ihren großen braunen Augen gelesen, als hätte es jemand dort eingemeißelt. Wie die Idee sich in Tulas hübschem Kopf eingenistet hatte, war nicht schwer zu erraten gewesen. Tulas Lieblingstante besaß einen furchtbar unerzogenen Dackel, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen lange Zeit sinnloses Herumbellen und Hackenbeißen gezählt hatten – bis sich Nayeli bei einem der gemeinsamen Besuche mit ihrer Freundin entschlossen hatte, sich dieses Problems anzunehmen. Nach ein paar Wochen intensiven Trainings mit Hund und Frauchen, war aus dem garstigen Prince ein relativ handzahmes Hündchen geworden und Nayeli laut der dankbaren Tante zu einem Engel mit unsichtbaren Flügeln avanciert.

„Hey, ich halte dich nicht für ein Wunderwesen wie Tante Emeline“, hatte Tula vor einem halben Jahr zu ihr gesagt, „aber du hast ein großes Talent, was gestörte Viecher angeht – warum willst du das nicht nutzen? L.A. ist voll von Spezialisten für die merkwürdigsten Dinge und fähige Hundefl- … trainer sind begehrt. Wenn du Glück hast, meldet sich vielleicht sogar irgendwann eine berühmte Schauspielerin bei dir, weil deren Fiffi ihr immer in die Silikonmöpse beißt, und ehe du dich’s versiehst, schwimmst du in Geld. Dann kannst du dir den Traum vom Medizinstudium schneller erfüllen, als du ‚Hundehaufen‘ sagen kannst.“

Die Schauspielerin mit den Silikonbrüsten entpuppte sich zwar gerade als Schauspieler mit Sixpack (wenn die Bilder, die Nayeli sich schnell im Internet angesehen hatte, aktuell und nicht extrem gephotoshopt waren), aber sonst hatte Tula mit ihrer Prognose recht gehabt. Noch machte ihre Arbeit als ‚Hundepsychologin‘ Nayeli nicht reich, die Einkünfte genügten jedoch, um sich über Wasser zu halten und nach und nach ihr Sparkonto fürs Studium zu füllen. Liam Chandler und sein verzogenes Hündchen konnten allerdings das Sprungbrett hinein in die High Society Hollywoods sein und ihr im Endeffekt den Geldsegen bringen, den sie brauchte – jetzt dringender denn je.

Sie strich sich rasch die schlichte, rosa Bluse glatt, die sie sich in Tias Abschlepper zusammen mit einer hellen Jeans übergeworfen hatte, und schloss den vorwitzigen Knopf, der sich leider bereits zum dritten Mal an diesem Tag geöffnet hatte. Ohne ihr Einverständnis und einen großzügigeren Blick auf ihr recht üppiges Dekolletee gestattend, als es erwünscht war. Wenn sie bei ihren Klienten keinen falschen Eindruck erwecken wollte, musste sie  ihre Wechselsachen demnächst unbedingt sorgfältiger aussuchen. Anschließend trat sie an das prunkvolle Tor heran, hinter dem ein Kiesweg vorbei an blühenden Rhododendron- und Rosenbüschen hinauf zur Prachtvilla des – wenn man den Gerüchten glauben konnte – neuen Oscaranwärters Hollywoods führte.

‚Angeber’, dachte Nayeli und schob den Hauch von Neid rasch beiseite, bevor sie auf die Klingel am Seitenpfeiler des Tores drückte.

Ein Summen über ihr machte sie auf die Sicherheitskamera auf dem Pfeiler aufmerksam, die sich nun eindeutig auf sie richtete. Die Sprechanlage knackste kurz, aber anstatt einer Stimme aus dieser ertönte ein weiteres Summen am Tor, welches sich wie von Geisterhand öffnete und sie einlud, hineinzukommen.

Nayeli zögerte, straffte dann aber die Schultern und machte sich auf den Weg hinauf zum Haus, nein, beinahe schon Schloss, dessen seitlicher, etwas schlichterer Anbau sicherlich für das Personal bestimmt war. Es hätte sie nicht gewundert, auf dem Platz hinter dem Springbrunnen eine Kutsche vorzufinden, doch es war nur ein ‚schlichter‘ Maserati in knallroter Lackierung.

„Angeber“, kam es nun doch leise und in der Sicherheit, nicht gehört zu werden, über ihre Lippen.

Reiß dich zusammen!, befahl ihre Stimme der Vernunft postwendend. Wir sehen unsere Kunden nur als Menschen mit Problemen und bewerten sie nicht aufgrund ihres Äußeren oder der Umstände, unter denen sie leben. Freundlich und verständnisvoll – so gehen wir auf sie zu.

Nayeli bewältigte die breiten Marmorstufen zu der ebenso breiten und edlen Tür des Hauses ohne weitere negative Gedanken und betätigte dann die güldene Klingel zu ihrer Seite. Die Tür vor ihr bestand zum großen Teil aus dickem Milchglas und so konnte sie sehen, dass sich ihr jemand näherte. Vermutlich der Hausdiener, denn als Berühmtheit vergaß man ja oft, wie solch komplizierte Dinge wie Türöffnen funktionierten. Noch schlimmer wurde es nach den ersten Filmpreisen, da brauchte man dann sicherlich sogar jemanden, der einem das zeit- und kräfteraubende Zähneputzen abnahm.

Verdammt, Nayeli! Schluss jetzt mit den abfälligen Gedanken! Welch wunderliche Fügung des Schicksals Mr. Chandlers Freundin auch dazu gebracht hat, ausgerechnet dich als Rettung in der Not anzurufen – sei dankbar dafür und benimm dich!

Die Tür öffnete sich und sie blickte in das Gesicht eines braungebrannten, blonden Adonis’, dessen umwerfendes Lächeln ihr den Atem stocken ließ. Für einen viel zu langen Augenblick fehlte ihr die Sprache. Sie hatte gewusst, dass Liam Chandler gut aussah, dies jedoch auch der heutigen Fotobearbeitungstechnik zugerechnet. Wer hätte ahnen können, dass der Mann im Original mit stylisch verwuscheltem Haar, dem Bartschatten um Lippen und Kinn und ohne Make-Up noch besser aussah. Auch wenn sie normalerweise mehr auf innere Werte achtete und die Männer, die sie gewöhnlich datete, bestimmt nicht als Model arbeiten konnten, konnte sie sich nicht dagegen wehren, sich auf den ersten Blick extrem von diesem Kerl angezogen zu fühlen.

„Ein bisschen spät, oder?“, fragte der nun und riss sie damit glücklicherweise ruckartig aus ihrer Trance.

„Ja … ich … ich hatte heute Morgen einen kleinen Autounfall und dadurch Schwierigkeiten mit der Einhaltung meines Zeitplans“, stammelt sie. Na toll! Schlechter erster Eindruck beim verwöhnten Prinzlein, aber wenn man es genau nahm, war sie nicht zu spät, denn am Telefon hatte es geheißen ‚zwischen elf und zwölf‘ und nun war es gerade zehn nach elf, aber sie war nicht hier, um zu streiten.

„Oh.“ Er machte einen leicht bestürzten Eindruck. „Aber du hast dich nicht verletzt, oder? Es funktioniert noch alles, ja? Besonders Hände, Knie? Ansonsten habe ich ein ganz tolles Schmerzmittel, das mir gestern auch nach meinem Training das Leben gerettet hat.“

Hände und Knie?? Sie stutzte – hauptsächlich wegen der etwas seltsamen Formulierung seiner Sorge um sie sowie dem ungefragten Duzen.

„Ich will nicht unsensibel wirken, aber ich brauche wirklich ganz dringend Hilfe!“ Seine sicherlich von einem Profi gezupften, etwas dunkleren Brauen, die darauf schließen ließen, dass er keine natürliche ‚Blondine‘ war, wanderten in milder Verzweiflung aufeinander zu. „Das kann auf keinen Fall noch länger warten.“

Ah! Daher wehte der Wind! Jetzt erst vernahm Nayeli aus dem Hintergrund das gedämpfte Kläffen eines vermutlich kleineren Hundes. Er musste das Tier vorsorglich eingesperrt haben, was wohl hieß, dass es in der Tat Schwierigkeiten mit dem Auftauchen von Besuch hatte. Große Schwierigkeiten – so gestresst wie Mr.. Chandler aussah.

„Bis auf einen leichten Schock geht es mir gut“, beantwortete sie nun doch noch seine Frage. Wahre Größe war, über die kleinen Schwächen der Mitmenschen hinwegzusehen und trotzdem mit ihnen zusammenarbeiten zu können. „Aber um ehrlich zu sein, war ich nicht darauf vorbereitet, gleich heute mit der Arbeit anzufangen. Ich dachte, wir lernen uns erst einmal alle kennen.“

Für viel mehr hatte sie auch keine Zeit, da ihr nächster Termin bereits um zwei Uhr war. Normalerweise hätte sie diesen neuen Job auf den nächsten Tag verschoben, aber als sie gehört hatte, wer ihr neuer Klient und wie dringend die Angelegenheit war, hatte sie nicht riskieren wollen, dass ihr die Konkurrenz den Kunden wegschnappte.

Ihr Gegenüber machte ein enttäuschtes Gesicht, nickte dann aber einsichtig. „Komm doch erst einmal rein“, sagte der junge Mann und trat zur Seite, sodass sie seiner Aufforderung nachkommen konnte. Marmorboden und ein Vorraum, der ungefähr die Größe ihrer gesamten Wohnung hatte, begrüßten sie.

„Vielleicht zeig ich dir erst mal das Haus?“, schlug er zu ihrer Überraschung vor.

Sie zuckte etwas unschlüssig die Schultern. „Ja“, begann sie und konnte sich gerade noch beherrschen, das desinteressierte ‚Warum nicht?‘ auszusprechen, auch wenn sie von der Idee, sich seinen Reichtum anzusehen, alles andere als begeistert war. „Gern, Mr.. Chandler“, fügte sie stattdessen hinzu.

„Prima!“, freute er sich und lief ihr voran durch den Flur, dessen Garderobe bestimmt teurer war als ihre komplette Inneneinrichtung. „Und bitte nenn mich ‚Liam‘ und sag ‚du‘, sonst komm ich mir so alt vor. Ich hab dich ja auch gleich geduzt, weil wir das hier alle so machen. Ich hoffe, das war okay?“

Sie nickte lächelnd, auch wenn es das nicht war.

„Das Büro zeige ich dir später“, sagte er im Vorbeigehen an der Tür, hinter der sein Hund ein Bell- und Heulkonzert erster Klasse veranstaltete. „Gracie ist grad ein bisschen unleidlich.“

Unleidlich? Herrje! Da bahnte sich ja was an! Im Stillen hatte sie gehofft, dass die Auftraggeberin übertrieben hatte und der Hund nur ein wenig zu verwöhnt und verspielt war. Das, wonach sich die Geräusche hinter der Tür anhörten, erreichte allerdings eher das Level ‚Katastrophe‘. Gerade polterten sogar einige Dinge zu Boden. Mist!

„Gracie heißt sie also, ja?“, erkundigte sich Nayeli betont interessiert.

„Eigentlich Grace Kelly“, führte er weiter aus, „aber das spricht sich so schlecht und ist nur für den Stammbaum und die Presse. Ich persönlich mag’s kurz und bündig. Gracie, Liam, Nick … das sind gute Namen. Alles mit mehr als zwei Silben verschwendet nur meine Zeit. Wie heißt du denn?“

Sie konnte es sich nicht verkneifen, die Brauen zu heben und ihren Namen überdeutlich auszusprechen: „Na-ye-li Ló-pez.“

Liams Adamsapfel wanderte unter der Haut sichtbar auf und ab. „Sehr schöner Name“, erwiderte er und setzte rasch wieder sein charmantes Lächeln auf. „Dafür verschwende ich gern meine Zeit.“

Er öffnete eine Tür und wies ihr den Weg hinein in die Traumküche schlechthin. Hell, geräumig mit einem separaten Koch- und Arbeitsbereich in der Mitte.

„Das ist die Küche …“, erklärte er unnötigerweise.

„Ist ja riesig!“, stieß sie beeindruckt aus.

„Das täuscht. Meine letzte Haushälterin hat für die Grundreinigung nur ungefähr zwei Stunden gebraucht.“

Nayeli sah ihn etwas hilflos an. Smalltalk war allem Anschein nach nicht gerade seine Stärke. „Das ist schön“, gab sie der Höflichkeit halber zurück. Und nun bitte Hund und Freundin vorstellen und dann weitere Termine machen.

„Ja …“ Er sah sich nachdenklich um, als würde er seine eigene Küche zum ersten Mal betrachten. „Die Fenster haben auch schon länger kein Wischtuch gesehen.“

„Ist für mich kein Problem“, winkte sie ab und seine Gesichtszüge erhellten sich, als hätte sie gerade verkündet, der Weltfrieden sei eingetreten.

„Ich sehe schon – wir bewegen uns auf einer Wellenlänge“, lächelte er und ging ihr voran, wieder hinein in den Flur.

Ihre Hoffnung, dass er nun endlich seinen Hund aus dem Büro lassen würde, erfüllte sich jedoch nicht. Stattdessen öffnete er eine andere Tür und stellte den dahinterliegenden Raum als ‚Gästebad‘ vor. Die erste nützliche Information. Bedauerlicherweise ging es danach weiter zum Wohnzimmer – oder auch Saal –  mit Kamin, Hausbar und einer Couchlandschaft, auf der man ein ganzes Rugbyteam unterbringen konnte, und dann hinüber zu einer breiten Treppe, die zum oberen Stockwerk führte.

Nayeli blieb davor stehen und Liam, der bereits die ersten Stufen erklommen hatte, sah irritiert zu ihr hinunter. „Warum kommst du nicht mit?“

„Was ist denn da oben?“, wollte sie wissen.

„Drei Schlafzimmer, zwei Bäder, ein Arbeitszimmer und der Fitnessraum.“

„Schön.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Dann weiß ich das ja jetzt.“

„Das reicht?“ Er kam erstaunt zu ihr hinunter.

Sie runzelte die Stirn. „Ja. Ich hab nicht vor, die Räume oben zu betreten.“ Was dachte sich der Kerl eigentlich?!

Er lachte, blinzelte dann verwirrt, wohl weil sie nicht in sein Lachen einstimmte, und zog anschließend die Brauen zusammen. „Bedeutet das, du hast dich schon entschieden, nicht für mich zu arbeiten?“

Was sollte das denn jetzt heißen? War es einfach eine seltsame Form der Höflichkeit, erst einmal eine komplette Hausführung zu machen, reines Protzen oder hatte er angenommen, sie würden nur bei ihm daheim arbeiten?

„Was? Nein, das heißt das selbstverständlich nicht!“, sagte sie schnell. „Wir müssen da nur ein paar Dinge klarstellen, denke ich.“

„Selbstverständlich, aber ich dachte, wir regeln die Dauer der Anstellung und die Bezahlung später.“

Nayeli zog die Brauen zusammen. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie aneinander vorbeiredeten. „Dauer der Anstellung?“, wiederholte sie. „Wie lange wolltest du mich denn engagieren?“

„Na, ich dachte schon an ein paar Jahre“, war die schockierende Antwort.

„Jahre?!“ Sie riss die Augen auf und schluckte schwer. Normalerweise bot sie nach einem kostenlosen Probetermin je nach zu erwartendem Arbeitsaufwand ein Grundtraining von fünf bis zehn Terminen á anderthalb Stunden an, das dann wahlweise verlängert werden konnte.

„Ich mag keine ständigen Wechsel der Belegschaft“, erklärte Liam rasch. „Leute, die für mich arbeiten, tun das in der Regel für längere Zeit und sind meist sehr zufrieden.“

Nayeli schloss kurz die Augen und schluckte den Ärger hinunter, der in ihr aufkam. Heute war so gar nicht ihr Tag und ihre Geduld nahezu nicht mehr existent, aber sie sollte sich das hier wirklich nicht verderben.

„Das ist noch so ein Punkt, den ich gern klarstellen würde“, erklärte sie mit einer Ruhe, die sie nicht besaß, „ich arbeite nicht für dich, sondern mit dir.“

„Was?!“ Liam machte ein entsetztes Gesicht. „Mit mir?“

„Selbstverständlich! Was dachtest du denn?“

„Na, ich wollte bestimmt nicht die ganze Zeit daneben sitzen und dir zugucken, sondern schon mal das Haus verlassen, wenn …“

„Das Haus verlassen?? Etwa allein?!“ Sie sah ihn entgeistert an. „Entschuldige, aber das macht überhaupt keinen Sinn! So arbeite ich nicht.“

Na toll! Wieder jemand, der dachte, sie könne sein Haustier wie ein technisches Gerät seinen Wünschen entsprechend neu justieren und ihm dann einfach übergeben.

„Du willst, dass ich zugucke?“ Er hob überrascht die Brauen. „Ist das … äh … eine Art Fetisch von dir?“

„Fetisch?!“ Der Typ hatte einen Schaden! Langsam riss ihr selbst der vorgespielte Geduldsfaden. „Ich komme hier her, damit du zusiehst und von mir lernst. Du sollst das, was ich tue, ja schließlich irgendwann allein können.“

Liam öffnete den Mund, brauchte jedoch ein paar Anläufe, um auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag: „Wenn ich das selbst machen wollte, würde ich niemanden einstellen, der es für mich tut. Ich dachte, du bist eine Fachkraft und weißt, wie die Dinge laufen.“

Nayeli schnappte empört nach Luft. „Ich bin eine der Besten in meinem Job!“, fuhr sie auf und ignorierte ihre innere Stimme, die ihr zuschrie, ihr Temperament sofort zehn Stufen herunterzufahren. „Aber ehrlich – jemand wie du ist mir noch nie begegnet! Wie kann man sich derart aus dem Schlamassel ziehen wollen und dann am besten auch noch Wunder von der Fachfrau erwarten?!“

„Ich erwarte keine Wunder, sondern nur ordentliche Arbeit!“, gab Liam nun ähnlich verärgert zurück.

„Die du von mir ganz bestimmt nicht bekommen wirst!“, stieß sie aus, bevor sie ihre Worte durchdacht hatte. „Mir tut es nur um die arme Gracie leid, die jetzt weiter mit ihrem problematischen Verhalten leben muss.“

„Mein Hund ist nicht problematisch!“, entfuhr es Liam aufgebracht. „Persönlich zu werden, wird dir auch keine Anstellung verschaffen!“

„Persönlich?“, wiederholte sie schrill. „Gracie ist der Grund, warum ich hier bin!“

„Was?!“ Liam blinzelte verwirrt, brauchte einen Moment, um die nächsten Worte herauszubringen. „Ich suche jemanden, der mich und mein Haus umsorgt – nicht meinen Hund!“

Nayeli, die schon wieder Luft geholt hatte, um dem Mistkerl eine gepfefferte Antwort zu servieren, hielt inne und starrte Liam mit großen Augen an.

„Dein … Haus“, wiederholte sie und der Schauspieler nickte nachdrücklich.

„Das Wort Haushälterin deutet eigentlich darauf hin, nicht wahr?“, sagte er mit einem arroganten Gesichtsausdruck.

Nayeli biss kurz die Zähne zusammen. Ein Teil von ihr stürmte aus viel zitiertem Gebäude, zerschmetterte vorher noch ein paar teure Gegenstände und kehrte diesem Mann für immer den Rücken. Natürlich. Der Sexismus bei seiner Verwechslung störte sie weniger als der Rassismus. Er sah nicht nur eine Frau, nein, er sah eine Frau mit augenscheinlich lateinamerikanischen Wurzeln und natürlich konnte sie nichts anderes sein als die neue Haushälterin, auch wenn es hier offensichtlich zwei Positionen zu besetzen gab. Es war nicht das erste Mal, dass ihr so etwas passierte und würde auch nicht das letzte Mal sein. Sie konnte gehen, ihren Stolz über alles stellen und den Job sausen lassen. Oder das tun, was sie schon so oft getan hatte und hasste, weil sie es sich nicht leisten konnte, Aufträge auszuschlagen: Augen zu und durch und irgendwann in der Lage sein, unter ihren Klienten diejenigen auszusuchen, die sie ihrer Zeit für wert befand.

„Ja, so wie das Wort Hundetrainerin bedeutet, dass der Hund im Vordergrund meiner Arbeit steht“, erwiderte sie schließlich mit einem falschen Lächeln.

„Hundetrainerin?“, echote dieses Mal Liam und Nayeli nickte nachdrücklich. „Aber ich sagte deiner Firma klar und deutlich, dass ich eine neue Haushälterin brauche. Haus-häl-te-rin. Die beiden Worte kann man doch gar nicht durcheinanderbringen. Die klingen vollkommen unterschiedlich!“

„Ich arbeite für keine Firma“, klärte sie ihn rasch auf. „Ich bin selbstständig. Deine Freundin hat mich angerufen und den Termin für heute mit mir ausgemacht. Sie sagte, das sei mit dir abgesprochen.“

„Freundin?“ Liam blinzelte perplex. „Ich hab keine Freundin.“

Nayeli wurde heiß und kalt zugleich. War sie etwa Opfer eines dummen Streichs unter Freunden geworden? Immerhin hatte sie sich nach Eingang des Anrufs ja erst einmal selbst gewundert, wie die Freundin eines derart berühmten Schauspielers ausgerechnet auf sie gekommen war. So bekannt war sie bedauerlicherweise ja noch nicht.

„Sie … sie sagte aber, sie sei deine Freundin“, stammelte sie. „Ihr Name ist Alycia Bowles und …“

„Alycia?“ Liam schnappte nach Luft. „Alycia hat dich angerufen? Um was zu tun? Meinen armen Hund zu quälen?“

„Ich quäle keine Hunde!“, entfuhr es Nayeli nun doch wieder verärgert. „Ich helfe ihnen! Oder besser ihren Besitzern.“

Liam lachte unecht. „Wir brauchen keine Hilfe“, behauptete er, obwohl das helle Kläffen seines Hundes weiterhin durch das gesamte Haus hallte und nun auch noch von einem nervigen Kratzen an der Tür begleitet wurde.

Zu Nayelis Ärger fügte sich langsam Angst. Sie brauchte diesen Job, hatte das Geld bereits fest eingeplant – insbesondere, weil sie sich jetzt nun auch noch ein neues Auto zulegen musste. „Deine Freundin sagte aber …“

„Seit gestern Ex-Freundin“, verbesserte Liam sie, bevor sie weitersprechen konnte. „Oder eher Ex-Geliebte.“

Nayelis Herz sank. Oje, das war gar nicht gut.

„… Ex-Geliebte“, griff sie seine Formulierung dennoch auf, „sagte mir, Gracie wäre bissig und würde jeden Gast aus dem Haus graulen.“

Die Dame hatte am Telefon hysterisch geklungen, weshalb Nayeli angenommen hatte, es würde sich um starke Übertreibung handeln.

„Was?!“ Liam stieß einen empörten Laut aus. „Dieses Miststück! Ich meine Alycia, denn Gracie ist mein kleiner Engel und ganz bestimmt nicht bissig. Meine Ex wollte bestimmt nur meinen …“

„Das heißt, es gibt keine Schwierigkeiten, wenn Besuch erscheint?“, hakte Nayeli rasch nach und warf demonstrativ einen Blick in Richtung der Zerstörungsgeräusche. Wenn der Hund so weiter machte, würde er bald durch die Tür brechen.

Liam zögerte deutlich und hob schließlich die Schultern. „Nein?“

Nayeli unterdrückte ein Grinsen. Solche Reaktionen waren ihr vertraut.

„Zumindest nicht, wenn ich sie wegsperre“, setzte er hinzu.

„Und das Theater macht sie dann immer?“ Sie wies mit dem Daumen über die Schulter.

„Nein. Es … variiert ein wenig.“

Nun erschien ihr Grinsen doch, glücklicherweise aber nur für eine halbe Sekunde. „Und du fühlst dich mit der Praxis, sie einzusperren, wohl?“, hakte sie vorsichtig nach.

„Selbstverständlich nicht!“, platzte es etwas ungehalten aus Liam heraus, dann hatte er sich wieder im Griff, musterte Nayeli aus ihrer Sicht viel zu lange von oben bis unten und seufzte schließlich leise.

„Gut. Nehmen wir mal an, ich hätte Schwierigkeiten mit der Erziehung der Herzdame in meinem Leben – wie würde das mit uns dann ablaufen?“

„Ich würde den Hund kennenlernen und euch beiden im Umgang miteinander zusehen, du würdest mir beim gemütlichen Zusammensitzen erzählen, welche Verhaltensänderungen bei Gracie du dir wünschst und dann würden wir gemeinsam die Termine fürs Training planen.“

Liam schürzte nachdenklich die Lippen und sah hinüber zum Ort Terrors.

„Keine Sorge, ich bin noch nicht sehr teuer, auch wenn mein Ruf bereits ein sehr guter ist“, setzte Nayeli hinzu.

Der Schauspieler gab ein Geräusch von sich, das wie ein unterdrücktes Lachen klang. „Geld ist hier nicht das Problem“, sagte er und öffnete die Arme zum Raum um ihn herum, alles andere als dezent auf seinen Reichtum hinweisend.

„Was dann?“, hakte sie nach, weil sein Zögern noch deutlich spürbar war.

„Mein Ruf“, gestand er ihr. „Ich bin derzeit einer der gefragtesten Schauspieler Hollywoods und stehe ständig im Mittelpunkt der Presse. Du hast die Paparazzi beim Betreten meines Hauses vielleicht nicht bemerkt, aber sie sind da, lauern in Büschen und Autos und überlegen schon, wie sie die Fotos von dir verkaufen können.“

„Von mir?!“, entfuhr es Nayeli entsetzt und Liam nickte mitfühlend.

„Nimm es als kostenlose Promotion für dein Geschäft hin … oder besser nicht – was mich gleich zum eigentlichen Problem zurückführt. Wenn wir das hier machen“, er wedelte mit der Hand zwischen ihnen hin und her, „dann darf niemand wissen, dass du das Verhalten meines Hundes korrigierst …“

„Wir! Wir machen das! Zusammen!“, verbesserte Nayeli ihn rasch und stutzte dann. „Was soll das heißen, niemand darf davon wissen?“

„Weil das meinem Ruf schadet“, war die für sie noch unsinnigere Antwort. „Ich sehe schon die Schlagzeilen: ‚Liam Chandler – A-Klasse-Schauspieler – F-Klasse-Hundebesitzer’ oder Liam Chandler – Tierliebhaber oder Tierquäler?’, ‚Warum sich Superstars keine Tiere halten sollten – Fallbeispiel Liam Chandler‘. Nee, nee, nee. Davon dürfte niemand etwas erfahren.“

„Gut dann …“ Nayeli dachte schnell nach, obwohl das Ganze ihren eigenen Plan, sich durch ihn einen Namen unter den Promis zu machen, durchkreuzte. Den Job überhaupt zu bekommen hatte allerdings zunächst Priorität. „… dann bin ich eben offiziell“, sie unterdrückte einen Seufzer, „doch deine neue Haushälterin.“

„Willst du denn zusätzlich auch das Haus putzen und bei Bedarf Essen kochen?“, hakte er nach.

„Auf keinen Fall!“

„Dann geht das nicht, schließlich wird demnächst hier wieder eine echte neue Haushälterin ein- und ausgehen und die Presse wird sich dann fragen, wer sie ist.“

„Was sie nichts angeht?“ Nayeli zuckte die Schultern und erntete einen großväterlich-nachsichtigen Blick von Liam. Nun gut, von solcherlei Dingen verstand er wohl tatsächlich mehr als sie.

„Gut, dann bin ich deine Yogalehrerin“, schlug Nayeli vor.

„Hab ich schon“, gab Liam mit einem leichten Kopfschütteln zurück.

„Persönliche Assistentin?“

„Jenny ist darin ausgezeichnet.“

„Motivationscoach?“

„Brandon Kutscher – nicht verwandt mit Ashton und ebenfalls ein Ass in seinem Fach.“

„Fitnesstrainerin?“

Liam gab ein unterdrücktes Prusten von sich und seine Augen flogen kurz über ihren Körper – jedoch nicht, ohne für eine halbe Sekunde an ihrem Dekolletee hängenzubleiben (Verdammter Knopf!). Sie hatte eine normale Figur, war weder sonderlich trainiert noch spindeldürr oder sonst etwas, das seinem Anspruch zu genügen schien.

„Wir sollten schon was nehmen, was man dir glaubt.“

Nayeli unterdrückte ein empörtes nach Luft schnappen, während sie sich darum bemühte, den störrischen Knopf ihrer Bluse möglichst unauffällig zu schließen. Trotz aller Widrigkeiten war sie auf dem Weg zu einem erfolgreichen Geschäftsabschluss und durfte sich das jetzt nicht mehr durch ihr gekränktes Ego verderben.

„Psychologin?“, fiel ihr noch ein.

Liam verzog sein Gesicht, als hätte sie ihn geohrfeigt. „Das wär dann noch schlimmer als die Hundetrainerin – also nein.“

Sie stöhnte genervt auf. „Da mir langsam Ideen und Zeit ausgehen, mache ich dir einen Vorschlag: Ich lerne erst einmal deinen Hund und euer gemeinsames Problem kennen und wenn wir dann immer noch der Meinung sind, dass es eine gute Idee ist, zusammenzuarbeiten, können wir erneut unsere Fantasie spielen lassen, was meine Rolle in deinem Leben angeht, ja?“

Liam dachte kurz über ihre Idee nach und nickte schließlich. „Na, dann …“, sagte er und wies hinüber zum Flur.

Nayeli wollte schon losmarschieren, doch Liam hielt sie überraschenderweise am Arm fest. „Mir fällt gerade ein, dass du vielleicht deine Schuhe ausziehen solltest.“

„Oh, teurer Boden, verstehe“, sagte Nayeli und beugte sich hinunter, um sie auszuziehen. Aus dem Augenwinkel nahm sie das Kopfschütteln ihres potenziellen Klienten wahr und hielt inne.

„Das ist eines der … Konfliktgebiete“, erklärte Liam.

„Meine Schuhe?“

Er nickte mit einem Hauch von Verlegenheit in seiner Mimik. „Das, was Alycia als ‚Bissigkeit‘ deklariert hat, richtet sich nicht gegen Menschen, sondern gegen ihr Schuhwerk.“

Nayeli runzelte die Stirn. „Dein Hund hasst Schuhe?“

„Nein! Gracie liebt sie! Sie will sie nur gern … zerkauen. Alle. Nacheinander, manchmal abwechselnd. Insbesondere Absatzschuhe.“