9,99 €
Ein Titel aus der Reihe Wissen & Leben Herausgegeben von Wulf Bertram Hormone zur Hochzeit und Gehirnforschung für den Alltag Wer glaubt, Wissenschaft könne nur langweilig präsentiert werden, hat noch keines der unterhaltsamen Bücher von Manfred Spitzer gelesen! In seinen neuesten Essays, die wieder einmal ebenso wissenschaftlich fundiert wie amüsant sind, geht es nicht nur um käsekuchensüchtige Ratten. Daneben nimmt er viele andere Fragen aufs Korn, die uns schon lange beschäftigen: Wir alle wissen, dass zuviel Zucker einen negativen Effekt auf den Leibesumfang hat, aber wussten Sie auch, dass Zucker hilft, unsere Zukunft zu planen? Oder dass auch Väter Schwangerschaftsdepressionen bekommen und Testosteron uns nicht automatisch zu aggressiveren Menschen macht? Warum Teenager sich so sehr für Sex and Crime interessieren und wie Liebe und Sex unser Denken verändern? Dass ökologisch verantwortungsbewusst einkaufende Konsumenten noch lange nicht zu besseren Menschen werden? Dies sind nur einige der Aspekte, zu denen Spitzer in "Dopamin und Käsekuchen" die spannendsten Erkenntnisse der Hirnforschung auf leicht verständliche Art vorstellt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 242
Manfred Spitzer
Dopamin & Käsekuchen
Hirnforschung à la carte
Prof. Dr. Dr. Manfred SpitzerUniversität UlmPsychiatrische KlinikLeimgrubenweg 12–1489075 Ulm
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Besonderer Hinweis:In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung in elektronischen Systemen.
Schattauerwww.schattauer.de© 2011 by J. G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger GmbH, gegr. 1659, StuttgartAlle Rechte vorbehaltenPrinted in GermanyUmschlagillustration: Gitasree DuttaGesetzt von am-productions GmbH, WieslochDatenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.dePrintausgabe: ISBN 978-3-608-42813-1E-Book: ISBN 978-3-608-16834-1PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-26643-6Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
herausgegeben von Wulf Bertram
Dopamin und Käsekuchen – ein solcher Titel bedarf der Rechtfertigung, klingt er doch zunächst schlimmer als Sauerkraut und Vanillesoße. Auch dies passt nicht gut zusammen, auf dem Teller. Als Begriffspaar jedoch haben diese Dinge wenigstens noch die Gemeinsamkeit des Essbaren. Aber ein Neurotransmitter und eine süße Backware?
Vielleicht ist der Titel Ausdruck meiner Weltsicht, denn für mich ist die Welt nicht in abgeschlossene Bereiche eingeteilt, die nichts miteinander zu tun haben. Schließlich bin ja mindestens ich selber immer der gleiche – egal ob ich am Esstisch oder am Schreibtisch sitze. Meine Lebenswelt, wie das der Philosoph nennt, durchzieht also die unterschiedlichsten Seinsbereiche und verbindet auf diese Weise auch das vermeintlich Inkommensurable. So hatten schon frühere Sammlungen meiner Beiträge aus der Nervenheilkunde Titel wie Schokolade im Gehirn (2002) oder Ketchup und das kollektive Unbewusste (2001).
Es denkt sich sehr einfach in Kästchen. Wenn man ausblendet, dass jährlich 10 Millionen Babys unnötig an Durchfall sterben oder dass eine Milliarde Menschen nicht ausreichend mit Trinkwasser versorgt sind oder dass hunderttausende Kinder hierzulande zu dick sind, kann man sich mit allem Möglichen beschäftigen: dem Wassergehalt der oberhessischen Blutwurst, den Schwächen der neuen Wagner-Inszenierung oder der Kragenweite von Oberhemden. Wenn aber alles mit allem zusammenhängt, und wenn man Kinder hat, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, warum man mit seinem Leben macht, was man macht. Ich könnte auch in einer Werbeagentur arbeiten und für Zigarettenwerbung zuständig sein. Dann wären die Früchte meines Tagwerks – Tote! Ich könnte das ausblenden, rationalisieren oder gar zu rechtfertigen versuchen (wenn nicht ich, dann machen das andere; der Markt verlangt das etc.), aber Tote bleiben dennoch Tote. Und selbst dann, wenn mein Tagwerk keine Toten produzierte, sondern einfach nur sinnlos wäre, müsste ich mir die Frage gefallen lassen, warum ich nicht etwas Sinnvolleres tue. Spätestens jetzt ist klar, warum ein früheres Büchlein Vom Sinn des Lebens (2007) hieß.
Nun wurde ich glücklicherweise Arzt – nicht aus all den gerade genannten Überlegungen, und daher eben glücklicherweise –, denn so kann ich mich mit Geist, Gehirn und Nervenheilkunde (Titel des ersten Büchleins von 2000) ebenso beschäftigen wie mit Patienten, die mit Verdacht auf Psyche (2003) oder allerlei anderen Geistesblitzen und Gehirngespinsten (2004) in die Klinik kommen. Beim Verlassen der Klinik geht es ihnen in aller Regel sehr viel besser, denn in der Psychiatrie hat man – und das ist nicht in allen Fächern der Medizin so – sehr viele und sehr effektive Therapiemöglichkeiten.
Man kann sich jedoch als Mensch, Wissenschaftler, Bürger und vor allem Vater nicht allein mit seiner Arbeit zufrieden geben. „Papa, warum hast Du nichts geändert, wo Du das doch alles wusstest?“ – Das habe ich wie damals sehr viele junge Menschen meinen Vater früher gelegentlich gefragt. Er war bei Kriegsausbruch 14, und wenn ich heute zurückdenke, war die Frage dumm. Wie hätte er – Kanonenfutter mit Hauptschulabschluss – etwas ändern sollen?
Bei mir ist das anders: Professoren werden ja dafür bezahlt, dass sie unabhängig und eigenständig nachdenken. Ich muss mir also auch schwierige Fragen (wie diejenige, die ich meinem Vater gelegentlich stellte) gefallen lassen oder selber stellen: Tust du das Richtige? Gibst du dir genug Mühe dabei? Büchlein wie Gott-Gen und Großmutterneuron (2006) oder Das Wahre, Schöne, Gute (2009) und auch das vorangegangene, Aufklärung 2.0 (2010), mögen bezeugen, dass ich mich in der Tat mit diesen Fragen beschäftige und mir Mühe gebe.
Er hat sich bemüht – im Führungszeugnis entspricht das einer 5! Es reicht nicht, sich nur zu bemühen; im wirklichen Leben zählen vielmehr die Resultate. Daher werden meine Bücher immer emotionaler: Ich kann nicht mehr zusehen, wie der Karren in den Dreck fährt, sondern möchte das verhindern (auf vielen Ebenen). Man wird erstens älter und sich zweitens dessen immer stärker bewusst: Viel Zeit ist nicht mehr, um etwas Gutes zu tun. Also lieber jetzt als nie … So sagt mein Frontalhirn an Mandelkern (2005) zwar schon länger, aber nicht nur Liebesbriefe und Einkaufszentren (2008) hielten mich davon ab. Vor allem die Routinen des Alltags wirken toxisch, wenn es darum geht, sich zu wirklich wichtigen Dingen aufzuraffen.
Dass sich dies ändern soll, habe ich mir wieder einmal fest vorgenommen: Ich möchte die Kenntnisse aus der Neurowissenschaft zu den Auswirkungen dessen, was wir körperlich und geistig zu uns nehmen, nicht im Elfenbeinturm belassen, sondern sie in die Gesellschaft tragen, wo sie Früchte tragen sollen. Kinder haben gutes Essen und gesunde geistige Nahrung verdient. Beides bekommen sie derzeit nicht, oder nur gelegentlich per Zufall. Das möchte ich ändern. Und vielleicht helfen Sie, liebe Leserin bzw. lieber Leser, dabei mit!
Jeden Herbst erschrecke ich darüber, wie schnell das neue Jahr vergangen ist. Und so ist nun mit diesem Buch auch schon der zwölfte Sammelband mit Beiträgen aus der Nervenheilkunde fertig geworden. Seit 12 Jahren wundere ich mich über mich selber, dass mir noch immer etwas einfällt, und freue mich über die Ausdauer der Mitarbeiter des Schattauer-Verlages mit ihrem ständig im Verzug befindlichen Autor und Herausgeber. Ich möchte daher den Mitarbeitern des Schattauer-Verlags und den Kollegen in der Nervenheilkunde auf allen Ebenen für ihre Nachsicht und Unterstützung ganz herzlich danken: den Verlegern Herrn Dieter Bergemann und Dr. Wulf Bertram, Frau Ruth Becker, Frau Dr. Anja Borchers, Frau Dr. Dagmar Brummer, Frau Birgit Heyny, Frau Dr. Andrea Schürg und Frau Franziska Sokollik.
In diesen wirklich nicht einfachen Zeiten sind mir meine Freunde und Mitarbeiter besonders wichtig. Meinen Kollegen hier in der Klinik und im Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen bin ich sehr dankbar für ihre Mitarbeit, und ich hoffe, dass sie unsere tägliche gemeinsame (Arbeits-)Zeit ähnlich konstruktiv und positiv erleben wie ich. Schade nur, dass man seit längerer Zeit schon das Gefühl hat, auf einer kleinen Insel zu sein, inmitten permanenter Bedrohung von überall her, dass diese Atmosphäre des Loyalität, Kreativität und Gesundheit gegen nahezu tägliche Angriffe verteidigt werden muss. Schade um die viele Zeit, die man mit solchem Unfug verbringen muss. Noch nagt das Ganze nicht so sehr, dass ich schon das Handtuch werfen und mich „auf die Insel“ zurückziehen möchte. Aber manchmal ertappe ich mich bei entsprechenden Fantasien, die sich dann aber im Café Trögele oder Ferreau bei der Nachbesprechung zur Morgenbesprechung mit Thomas und/oder Georg rasch wieder verflüchtigen. Danke!
Dieses Buch ist meiner Mutter gewidmet: Sie brachte früher sonntags den besten Käsekuchen auf den Kaffeetisch und ist trotz hohen Alters noch immer guter Dinge, was man zwanglos mit einem gut funktionierenden Dopaminsystem in Verbindung bringen kann, aber nicht muss.
Ulm, Ende November 2010 Manfred Spitzer
Für meine Mutter
1Dopamin und Käsekuchen
Essen als Suchtverhalten
2Einfach verbieten!
Kinder-TV-Werbung für ungesunde Nahrungsmittel
3Sex and Crime
4Hormone zur Hochzeit
Gentest für Treue, Impfung gegen Scheidung
5Fairness und Testosteron
6Computer in der Schule
The Good, the Bad, and the Ugly
7Schenken Sie doch – schlechte Noten
und geringere Elternbindung
8Gehirnjogging?
9Liebe und Sex, der Wald und die Bäume
10Grün kaufen – egoistisch handeln?
11Gesundheitsbildung
12Schnell leben und jung sterben
13Der Blues der Väter
14Zucker und Zukunft
Leib und Seele
15Finger, Raum, Zahl
Gehirn und Mathematik
16Charisma im Gehirn
Fürbitten im Scanner
17Generation Google
Wie verändern digitale Medien unsere Bildung, Moral und personale Identität?
18Macht Bildung gleich oder ungleich?
19Wie werden wir glücklich?
20Lithium im Trinkwasser – Lithium ins Trinkwasser?
Sachverzeichnis
Wie repräsentative Daten des Berliner Robert Koch-Instituts1 zeigen (19), sind in Deutschland 15% (entsprechend 1,9 Millionen) Kinder und Jugendliche übergewichtig, 6,3% davon (800 000) krankhaft übergewichtig (adipös)2. Der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen nimmt mit dem Alter zu (Abb. 2-1) und er liegt heute etwa doppelt so hoch wie noch vor 20 Jahren.
Zwischen Jungen und Mädchen gibt es beim Übergewicht keinen Unterschied, wohl aber im Hinblick auf soziale Schicht und Migrationshintergrund. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus sind von Übergewicht und Adipositas besonders häufig betroffen, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund auch, Kinder von Müttern mit Übergewicht oder Adipositas ebenfalls. Weltweit sind 155 Millionen Kinder im Schulalter übergewichtig, weshalb Gesundheitsfachleute voraussagen, dass die Generation der derzeit jungen Menschen die erste ist, deren Lebenserwartung im Gegensatz zu den Eltern geringer ausfallen wird (17). Die meisten Übergewichtigen gibt es in den USA, wo der Anteil auch bei den Jungen und Mädchen bei über 30% liegt. Bei den erwachsenen US-Amerikanern liegt die Quote des krankhaften Übergewichts bei über 30%. Unter den erwachsenen Europäern ist krankhaftes Übergewicht bei den Deutschen am häufigsten (1).
Abb. 2-1 Anteil der übergewichtigen (hell) und krankhaft übergewichtigen (dunkel) Kinder und Jugendlichen in Abhängigkeit vom Alter. 9% der Drei- bis Sechsjährigen sind bereits übergewichtig, 15% der Sieben- bis Zehnjährigen und 17% der 14- bis 17-Jährigen. Die Häufigkeit von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) beträgt bei den Drei- bis Sechsjährigen 2,9% und steigt auf über 6,4% bei den Sieben- bis Zehnjährigen bis auf 8,5% bei den 14- bis 17-Jährigen.
Weltweit ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisaton WHO Übergewicht etwa doppelt so häufig wie Mangelernährung und Untergewicht (3, 17). Man spricht mittlerweile von einer Adipositasepidemie, und jährlich sterben 2,6 Millionen Menschen an den Folgen von krankhaft erhöhtem Übergewicht (1). Dass der Prozentsatz Übergewichtiger bei Erwachsenen höher ist als bei Kindern und Jugendlichen darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Übergewicht und Fettleibigkeit oft in der Kindheit bereits angelegt sind, wie entsprechende Studien ergeben (14). Daher ist alles, was bei Kindern das Essen ungesunder Nahrung verursacht, langfristig für deren Gesundheit extrem schädlich. Zu diesen Ursachen gehört in westlichen Industrieländern der Bildschirmmedienkonsum, der bei Kindern und Jugendlichen in den USA bereits 7,5 Stunden täglich beträgt (mehr als die mit Schlafen verbrachte Zeit) und hierzulande bei 5,5 Stunden liegt.