Dr. Norden Bestseller 102 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 102 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Mit einem fröhlichen »Grüß Gott, Herr Lachner«, betrat Fee Norden die Schreinerwerkstatt. Groß, hell und geräumig war sie und mutete eher wie ein Künstleratelier an. Auch der junge Mann, der Fee Nordens Gruß höflich erwiderte, hatte das ausdrucksvolle Gesicht eines Künstlers, und Christoph Lachner war auch einer, wie Fee dann feststellte, als sie die wunderschöne Eichentruhe betrachtete, die sie bei ihm bestellt hatte. Sie sollte ein Geschenk für ihren Vater sein. »Ich bin begeistert, Herr Lachner«, sagte sie, »das ist ja ein Meisterstück.« »So ähnlich war auch mein Meisterstück, aber zweimal genau dasselbe mache ich ungern«, erwiderte Christoph. »Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gefällt, Frau Doktor. Dann kann ich wenigstens auf diese Weise ein wenig Dank dafür abstatten, dass Ihr Mann meiner Mutter so sehr geholfen hat.« »Das war selbstverständlich«, sagte Fee. »Jetzt muss ich nur noch überlegen, wie ich die Truhe zur Insel befördern lasse.« »Wenn es bis zum Samstag Zeit hat, kann ich sie hinbringen«, sagte Christoph sofort, »da hole ich Mutter doch ab. Im Variant bringe ich sie leicht unter, und dann weiß ich wenigstens auch gleich, dass sie gut ans Ziel kommt.« Er lächelte und wirkte gleich noch anziehender, denn er hatte wunderschöne ebenmäßige Zähne. »Es macht viel Spaß, wenn man nicht genau nach Vorschrift zu arbeiten braucht, wenn einem Spielraum gelassen wird.« »Den lasse ich Ihnen gern, Herr Lachner.

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Dr. Norden Bestseller – 102 –

Die Flucht ins Ungewisse

… denn Ariane hat Angst um ihre große Liebe

Patricia Vandenberg

Mit einem fröhlichen »Grüß Gott, Herr Lachner«, betrat Fee Norden die Schreinerwerkstatt. Groß, hell und geräumig war sie und mutete eher wie ein Künstleratelier an.

Auch der junge Mann, der Fee Nordens Gruß höflich erwiderte, hatte das ausdrucksvolle Gesicht eines Künstlers, und Christoph Lachner war auch einer, wie Fee dann feststellte, als sie die wunderschöne Eichentruhe betrachtete, die sie bei ihm bestellt hatte. Sie sollte ein Geschenk für ihren Vater sein.

»Ich bin begeistert, Herr Lachner«, sagte sie, »das ist ja ein Meisterstück.«

»So ähnlich war auch mein Meisterstück, aber zweimal genau dasselbe mache ich ungern«, erwiderte Christoph. »Ich bin sehr froh, dass es Ihnen gefällt, Frau Doktor. Dann kann ich wenigstens auf diese Weise ein wenig Dank dafür abstatten, dass Ihr Mann meiner Mutter so sehr geholfen hat.«

»Das war selbstverständlich«, sagte Fee. »Jetzt muss ich nur noch überlegen, wie ich die Truhe zur Insel befördern lasse.«

»Wenn es bis zum Samstag Zeit hat, kann ich sie hinbringen«, sagte Christoph sofort, »da hole ich Mutter doch ab. Im Variant bringe ich sie leicht unter, und dann weiß ich wenigstens auch gleich, dass sie gut ans Ziel kommt.« Er lächelte und wirkte gleich noch anziehender, denn er hatte wunderschöne ebenmäßige Zähne. »Es macht viel Spaß, wenn man nicht genau nach Vorschrift zu arbeiten braucht, wenn einem Spielraum gelassen wird.«

»Den lasse ich Ihnen gern, Herr Lachner. Ich bestelle gleich noch eine Truhe für uns. Sie wird sich in unserer Diele auch wunderhübsch machen. Kann ich die Rechnung gleich bezahlen?«

»Aber nein, Frau Doktor, es ist nicht so eilig.«

Nein, eilig war es bei ihnen wohl gewiss nicht. Die Lachners hatten einen schönen Besitz, ein großes Grundstück, auf dem ein altes Haus stand, das allerdings sehr sorgfältig renoviert war und ebenfalls Künstlerhände verriet, dazu ein neues, das der Umgebung geschmackvoll angepasst war. Hinzu kam noch die Werkstatt, in der die Roharbeiten gemacht wurden und dann diese schöne Halle, in der die wertvollen Möbel fertiggestellt wurden.

»Vergessen Sie aber nicht, die Transportkosten mit auf die Rechnung zu setzen«, sagte Fee noch zu Christoph, aber da lachte er auf. »Das wäre ja noch schöner, wenn ich sowieso zur Insel fahre. Und außerdem hat uns der Herr Doktor auch noch keine Rechnung geschickt.«

Er hatte ein freies, ungezwungenes Benehmen, einen natürlichen Anstand und auch ein recht ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Fee gefiel das sehr.

Sie betrachtete noch einen Sekretär, der noch nicht ganz fertig war, als ein bildhübsches junges Mädchen hereingewirbelt kam, das Christoph sogleich um den Hals fiel.

»Ariane«, sagte er mahnend, und sie errötete, als sie nun Fee Norden gewahrte.

»Grüß Gott, Frau Doktor«, sagte Ariane Scheffler. »Verzeihung, ich hatte Sie gar nicht gesehen.«

»Und ich verschwinde gleich«, sagte Fee. »Vielen Dank einstweilen, Herr Lachner. Wie geht es der Mama, Frau Scheffler?«

»Ganz gut«, erwiderte Ariane verlegen.

Fee Norden verabschiedete sich. Ein hübsches Paar, dachte sie, aber Frau Scheffler wird es kaum recht sein, wenn Ariane ihr Herz an den jungen Lachner verloren hat, und ganz so schaute es ja aus.

Fee Norden kannte Renate Scheffler, die verwitwete Frau Ministerialdirektor. Sie war keine unsympathische Frau, aber sehr auf ihr Image bedacht, sehr kultiviert, sehr stolz darauf, dass ihr Sohn mit fünfundzwanzig Jahren seinen Doktor gemacht und die Diplomatenlaufbahn eingeschlagen hatte.

Fee wusste nicht, ob die Ehe der Schefflers glücklich gewesen war. Den Ministerialdirektor hatte sie nur als kranken Mann gekannt, und er hatte ein langes schweres Leiden gehabt.

Man konnte nur sagen, dass die beiden Kinder mustergültig erzogen waren, und Fee wusste, dass Ariane kurz vor dem Abitur stand.

Sie hatte sich gefreut, wie unbeschwert und lieb das Mädchen Christoph begrüßt hatte. Sie hatte sich noch mehr an dem hübschen Anblick gefreut, den das junge Paar in seiner Verlegenheit bot, und doch nicht etwa verschreckt oder bedrückt, weil sie Zeuge dieser Begrüßung gewesen war.

»Frau Norden ist eine tolle Frau«, sagte Ariane, als sie nun mit Christoph allein war. »Bei ihr stimmt wirklich alles.«

»Bei dir auch, Ariane«, sagte er, und er sprach ihren Namen voller Zärtlichkeit aus. »Frau Norden wird auch nicht tratschen, da bin ich gewiss, aber es könnte mal jemand hier sein, der gleich zu deiner Mutter läuft.«

»Und wenn schon«, sagte Ariane. »Sie wird es ja doch bald erfahren. Ich will nur warten, bis ich ihr ein gutes Abiturzeugnis liefern kann, damit sie sieht, dass du nicht schuld bist an einem Leistungsrückgang. Weißt du, Mama ist gar nicht so, wie man meint. Sie hat keine leichten Jahre hinter sich und wollte alles nur in Papas Sinn weiterführen. Er hat doch früher alles bestimmt, und es ist eh ein Wunder, dass sie es auch allein mit uns geschafft hat. Aber seit Konrad seinen Einfluss geltend macht, verfällt sie wieder in die alten Allüren. Sie merkt nicht, dass er es auf sie oder mehr auf ihr Geld abgesehen hat. Er will sich einnisten bei uns, sich von Mama betütteln lassen. Aber das habe ich dir ja schon oft genug gesagt. Mir fällt er auf den Wecker.«

»Aber Tobias hat ihn doch anscheinend recht gern«, sagte Christoph nachdenklich.

»Ach was, Toby schafft sich nur keine Probleme. Er geht bald aus dem Haus. Nach mir die Sintflut, denkt er. Er hat ja erreicht, was er wollte.«

»Und was willst du erreichen, Ariane?«, fragte Christoph.

»Dich«, lächelte sie, »mehr will ich nicht.«

»Den Schreinermeister Christoph Lachner.«

»Du, ich mag nicht, wenn du es so sagst. Ich finde es wunderbar, was du machst. Und ich kann mich für dieses Handwerk auch begeistern. Ich werde zu dir in die Lehre gehen.«

»Und dazu machst du das Abitur?«

»Ich musste ja erst mal mündig werden«, sagte sie mit leisem Lachen. »Mama hätte mich doch sonst in ein Internat gesteckt. Chris, wenn ich mündig bin, kann uns niemand mehr dreinreden.«

»Gegen den Willen deiner Mutter würdest du mich heiraten?«

»Ich liebe dich«, sagte sie schlicht.

Doch ihm war es dabei bange. Ein bildhübsches Mädchen aus bester, vermögender Familie, und die Mutter hatte da ihre besonderen Vorstellungen. Er hatte Ariane im Tennisclub kennengelernt, und er hatte einmal gehört, wie Frau Scheffler pikiert sagte, ob in diesem Club denn jedermann aufgenommen würde.

Er hatte seinen Stolz. Seine Vorfahren waren immer Handwerker gewesen, und für seine Familie traf es wohl zu, dass Handwerk goldenen Boden hatte. Diesbezüglich brauchte er sich nicht zu verstecken, und er konnte seiner zukünftigen Frau auch etwas bieten. Aber er wusste auch, dass Frau Scheffler Ariane gern mit Jobst von Rosenow verheiraten wollte.

Er wusste es von Jobst selbst, denn er war mit ihm befreundet, und Jobst wiederum hatte andere Pläne, denn er war in Christophs Schwester Verena verliebt. Zwischen den Freunden herrschte Einverständnis, aber bisher wussten nur Sebastian und Maria Lachner etwas davon, und sie sahen der weiteren Entwicklung auch mit gemischten Gefühlen entgegen.

»Sehen wir uns am Samstag, Chris?«, fragte Ariane.

»Ich muss Mutter von der Insel der Hoffnung abholen und für Dr. Cornelius die Truhe hinbringen«, erwiderte er zögernd.

»Dann komme ich mit«, sagte sie spontan. »Ich habe vorsichtshalber schon zu Mama gesagt, dass ich zu Katrin nach Kempten fahre.«

»Es gefällt mir nicht, dass du meinetwegen schwindelst, Ariane«, sagte Christoph.

»Ach was, wenn sie es nicht anders haben will. Sie will außerdem mit Konrad an den Schliersee fahren. Angeblich hat er doch ein Haus gekauft oder will es kaufen.«

»Wieso angeblich?«

»Weil ich nicht glaube, dass er überhaupt so viel Geld hat. Ich habe so was läuten hören, dass er in Schwierigkeiten ist. Aber das bringe ich schon noch genau heraus. Mama ist ja erwachsen, und wenn sie ihre Perlen vor die Säue wirft, kann ich es auch nicht ändern. An mein Erbteil kann sie nicht heran. Ohne Mitgift komme ich nicht in die Ehe.«

»Du brauchst keine Mitgift, Ariane, aber ich möchte keine Konflikte heraufbeschwören.«

»Würdest du freiwillig auf mich verzichten?«, fragte sie bestürzt.

»Nein, das nicht. Aber es wäre besser, wenn wir auch den Segen deiner Mutter hätten.«

Segen?, dachte Ariane. Vielleicht wird sie notgedrungen in den sauren Apfel beißen, wenn ihr nichts anderes übrig bleibt. Dann vielleicht, wenn Jobst Verena heiratet. Aber das stand noch in den Sternen.

Ariane war trotzdem nicht pessimistisch, denn sie meinte ein gutes Eisen im Feuer zu haben. Nämlich Konrad Kohlmann, den Finanzberater ihrer Mutter, der sich nach dem Tode des Ministerialdirektors als Freund der Familie aufgespielt hatte.

*

Über diesen sprach Tobias Scheffler mit seiner Mutter, als sie ihm auch sagte, dass sie mit Konrad das Wochenende am Schliersee verbringen würde.

Tobias war ein sehr kühler, sehr bedächtiger junger Mann, aber so spottlustig, dass er leicht arrogant wirkte.

»Jedem Tierchen sein Pläsierchen«, sagte er ironisch. »Mir ist das egal, Mama, wenn es mir auch lieber wäre, du würdest endlich selbstständiger werden und dich nicht wieder von jemandem bevormunden lassen.«

Tobias konnte sich noch sehr gut daran erinnern, dass in seinem Elternhaus immer nur das Wort des Vaters gegolten hatte, solange er lebte, und dass dieser nie einen Widerspruch duldete.

»Konntet ihr euch über mich beklagen, während Vater krank war?«, fragte Renate Scheffler pikiert.

»Nein, das will ich nicht sagen, aber da waren wir weitgehendst uns überlassen und immerhin schon groß genug, um eigene Entscheidungen treffen zu können. Ich wollte dir nur sagen, dass ich Konrad nicht für so zuverlässig halte, wie er erscheinen möchte. Du kannst das auffassen, wie du willst, aber ich will es gesagt haben, damit du später mal nicht sagen kannst, dass ich dich hätte warnen müssen.«

»Ariane hat dich beeinflusst«, begehrte Renate auf. »Sie kann ihn nicht leiden.«

»Ich lasse mich nicht beeinflussen, das solltest du wissen. Aber ich werde bald weit vom Schuss sein. Und

Ariane wird vielleicht auch mal heiraten, vielleicht sehr bald, falls du Konrad heiraten solltest.«

»Ich hätte nichts dagegen, wenn sie Jobst heiraten würde«, sagte Renate im Ton eines trotzigen Kindes, und Tobias dachte wieder einmal, dass seine Mutter anscheinend nie richtig selbstständig werden würde.

»Das schlag dir aus dem Kopf. Jobst wird ein anderes Mädchen heiraten. Ich sage dir das nur, damit du dich nicht auch diesbezüglich in irrige Träume verlierst.«

»Wen wird er heiraten?«, fragte Renate erregt.

»Wie es scheint, ist Verena Lachner die Herzdame.«

»Die Schreinertochter?«, fragte Renate entsetzt.

»Ein hübsches, nettes Mädchen. Und sie bringt auch das mit, was die Rosenows verdammt nötig brauchen, nämlich Geld.«

Renate schnappte nach Luft. »Aber Ariane bekommt doch auch eine beträchtliche Mitgift«, sagte sie.

»Ich wollte damit auch nicht sagen, dass es Jobst ums Geld geht, aber für seine Eltern wäre das ein Zuckerl. Und außerdem sind die Lachners angesehene Leute.« Er sagte das mit Bedacht, denn er wusste von Arianes Freundschaft mit Christoph, und er wollte diplomatisch etwas mehr Verständnis bei seiner Mutter erzeugen. Doch die war weit davon entfernt.

»Das ist doch nicht unser Niveau, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Rosenows da Zugeständnisse machen würden. Nein, das ist absurd.«

»Liebe Mama, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, greift man nach jedem Rettungsanker. Ich muss jetzt gehen. Ich habe noch eine Verabredung. Morgen früh sieben Uhr geht bereits mein Flugzeug. Ich werde mich gleich von dir verabschieden, denn du schläfst ja sicher schon, wenn ich komme und auch, wenn ich morgen früh fahre.«

Er wollte gar keine sentimentale Stimmung aufkommen lassen, und er wollte auch keinen Abschiedsschmerz heucheln. Er war froh, endlich seinen Weg allein gehen zu können.

»Den letzten Abend hättest du wenigstens mit uns verbringen können«, beklagte sich Renate.

»Da hockt doch wieder Konrad dabei, und ich bin über das Alter hinaus, mir von einem Fremden noch gute Lehren mit auf den Weg geben zu lassen. Frag dich doch mal, warum ihm seine Frau davongelaufen sein könnte, das wollte ich dir noch sagen.«

Knapp und klar sagte er es, und so war er immer gewesen. In Renates Augen nicht gerade ein liebevoller Sohn, wenn sein Werdegang sonst auch ganz ihren Wünschen entsprach. Er war wie sein Vater, korrekt, ehrgeizig, unsentimental.

»Ich werde Konrad absagen«, murmelte sie.

»Wozu, Mama? Du würdest dich in Betrachtungen an Vergangenheit und Zukunft ergehen, und da sind wir nicht einer Meinung mit dir. Meine Freunde haben einen Abschiedsabend für mich arrangiert, und außerdem lässt Konrad sich nicht ausladen. Er fände schon einen Vorwand, doch zu erscheinen, um seinen Senf zu allem zu geben.«

»Er war ein Freund eures Vaters«, sagte sie kleinlaut.

»Ein Schulfreund, der plötzlich auftauchte, als Vater gestorben war. Weißt du, Mama, ich halte von solchen Freundschaften nichts, aber ich halte auch nichts davon, mich in die Privatangelegenheiten anderer einzumischen.«

Sie sah ihn an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich werde morgen früh auf jeden Fall aufstehen, Toby«, sagte sie leise.

»Okay, nett von dir«, erwiderte er. Und dann raffte er sich dazu auf, ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

Sie war eine sehr gepflegte, noch immer gut aussehende Frau. Sie hatte schöne, reine Haut, fast faltenlos, sehr schönes kastanienbraunes Haar, das noch keiner Nachhilfe bedurfte. Sie war eine Lady vom Scheitel bis zur Sohle. Und Tobias war ein Gentleman, wie sie nun doch wieder mit mütterlichem Stolz feststellte. Schon in der Schule hatte man ihn den Lord genannt.

Er hatte nie die sichtbaren Anzeichen der Pubertät durchgemacht, er hatte sich nie gehen lassen. Aber Renate ahnte nicht, was ihr Sohn dachte, als er zu seinem Wagen ging.

Jung, richtig jung bin ich nie gewesen, ging es Tobias durch den Sinn. Das durfte ich gar nicht sein. Wenn ich mal Kinder habe, werden sie anders aufwachsen.

Als Ariane zurückkam, sagte Renate: »Wenn du dich noch von deinem Bruder verabschieden willst, musst du morgen früh aufstehen. Er ist gerade weggefahren, um mit seinen Freunden Abschied zu feiern.«

»Ich fahre ihn doch zum Flughafen, Mama, das ist abgemacht«, sagte Ariane. »Anschließend fahre ich dann gleich zur Schule. Keine Angst, ich versäume keine Stunde.«

Wie reden die Kinder nur mit mir, dachte Renate, war es früher auch schon so?

»Siehst du eigentlich Jobst öfter?«, fragte sie dann.

»Im Club, aber oft bin ich ja nicht da.«

»Warum eigentlich nicht?«, fragte Renate.

»Weil ich mich aufs Abitur vorbereite, Mama.«

»Du bist aber demnach oft unterwegs«, meinte Renate anzüglich.

»Gemeinsam lernt es sich halt besser, Mama«, sagte Ariane leichthin.

»Immer abends?«

»Abends hockt Konrad hier herum, da bin ich wirklich lieber woanders, als mir ständig anzuhören, was er in seiner Jugend alles hat leisten müssen. Es ist nachweisbar, dass man früher nicht so viel Anforderungen gestellt hat.«

»Immer diese Töne«, ereiferte sich Renate. »Wir haben auch lernen müssen.«

»Und was hast du behalten?«, fragte Ariane aufsässig. »Wenn du kein Geld hättest, wovon würdest du dann dein Leben bestreiten? Du hast ja nicht mal einen Beruf erlernt. Du kannst nicht mal deine Wohnung sauber machen. Du brauchst für alles und jedes eine Hilfe.«

»Ich verbitte mir diesen Ton«, sagte Renate. »Ich habe eben früh geheiratet, und wie es zu unserer Zeit noch üblich war, wurde man darauf vorbereitet.«

»Du liebe Güte«, stöhnte Ariane, »vorbereitet. Ihr seid nicht mal aufgeklärt worden und demzufolge auch nicht fähig, eure Kinder richtig aufzuklären. Ich habe zwar bisher nur auf der Schulbank gehockt, Mama, aber wenn ich mal heirate, werde ich mich nicht scheuen, auch mal einen Putzlumpen in die Hand zu nehmen oder selber meine Fenster zu putzen.«

»Ich hoffe, dass du das nie nötig haben wirst, mein Kind«, sagte Renate herablassend. »Schluss der Debatte.«

»Wie du willst. Ich ziehe mich zurück und lerne. Aber wenn Konrad erscheint, erwarte bitte nicht, dass ich mit euch esse. Ich mache mir ein Brot, das reicht mir.«

»Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst, wirst du dich auch nach mir richten müssen«, sagte Renate gereizt.

Ariane wusste selbst nicht, warum sie an diesem Tag so aufsässig war, aber ihr ging der Gaul durch.

»Darf ich dich erinnern, dass ich seit drei Wochen mündig bin und ich auch über eigenes Geld verfügen kann? Ich brauche meine Beine nicht unter deinen Tisch zu stecken, Mama, es genügt, wenn Konrad das tut oder zahlt er etwas dafür, dass du ihn durchfütterst mit den besten Delikatessen? Ich zahle für meinen Lebensunterhalt, wenn du das erwartest. Bitte, stell die Kosten auf.«

»Ariane, womit habe ich das verdient?«, schluchzte Renate hysterisch auf.

»Verzeih, Mama, es mag hart klingen, aber ich kann deinen Konrad nicht ausstehen. Du bist doch sonst so dafür, dass der Partner einem etwas bieten muss, das er Niveau haben soll und so weiter und so fort. Er kommt sogar mit ungeputzten Schuhen, aber wenn er dich soweit hat, dass du ihn heiratest, wird er wohl auch noch verlangen, dass du ihm die putzt. Ich könnte noch so manches sagen, aber dies soll nur beweisen, dass ich nicht dazu schweigen will. Ich kann in diesem Hause nicht mehr atmen, wenn er anwesend ist.«

»Ihr habt euch gegen mich verschworen. Du hast es mit Tobias verabredet, mir solche Dinge gerade heute zu sagen, am Todestag eures Vaters. Aber wer von euch hat schon daran gedacht? Wer ist mit mir auf den Friedhof gegangen?«

»Natürlich Konrad«, sagte Ariane. »Aber beruhige dich, Mama, ich war auch dort. Ich habe dieses prunkvolle Gebinde betrachtet. Ich kann mir vorstellen, wie er deine Hand gehalten und dir versprochen hat, ein treuer Freund zu sein.«

Renate erstarrte. Sie meinte, Ariane müsste sie beobachtet haben, denn genauso war es gewesen. Kälte kroch durch ihren Körper. Sie begriff plötzlich, dass ihre Kinder wirklich erwachsen waren und alles viel klarer sahen als sie, aber es ging gegen ihren Stolz, dies einzugestehen.

*

Was Ariane allerdings nicht ahnte und nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass Konrad Kohlmann ein Patient von Dr. Norden war. Und an diesem Nachmittag war er Dr. Daniel Nordens letzter Patient.

Loni seufzte erleichtert auf, als er endlich ging. »Den möchte ich nicht geschenkt haben«, sagte sie. »So was von einem Weichling, da ist ja eine werdende Mutter in ihren letzten Wehen leichter zu ertragen.«