Dr. Norden Bestseller 111 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 111 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Dr. Norden, als er einen Laborbefund betrachtete. »Loni!« Loni eilte auf den dringenden Ruf herbei. »Was ist denn?«, fragte sie erschrocken, als sie Dr. Nordens finstere Miene sah. »Ist das wirklich die Blutgruppenbestimmung von Florian?«, fragte der Arzt erregt. »Aber sicher, warum zweifeln Sie?« »Warum? Beide Elternteile haben die Blutgruppe Null und er hat A!« Loni wurde blass. »Sie meinen, das könnte bedeuten, dass Florian gar nicht das Kind von Herrn und Frau Neuhaus ist?« »Es bedeutet, dass er entweder einen anderen Vater oder eine andere Mutter hat. Und als Chemiker wird Dr. Neuhaus auch von selbst darauf kommen. Da steht mir ja wieder etwas bevor.« Loni seufzte schwer.

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Dr. Norden Bestseller – 111 –

Betrogen um ihr Kind

Patricia Vandenberg

»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Dr. Norden, als er einen Laborbefund betrachtete. »Loni!«

Loni eilte auf den dringenden Ruf herbei. »Was ist denn?«, fragte sie erschrocken, als sie Dr. Nordens finstere Miene sah.

»Ist das wirklich die Blutgruppenbestimmung von Florian?«, fragte der Arzt erregt.

»Aber sicher, warum zweifeln Sie?«

»Warum? Beide Elternteile haben die Blutgruppe Null und er hat A!«

Loni wurde blass. »Sie meinen, das könnte bedeuten, dass Florian gar nicht das Kind von Herrn und Frau Neuhaus ist?«

»Es bedeutet, dass er entweder einen anderen Vater oder eine andere Mutter hat. Und als Chemiker wird Dr. Neuhaus auch von selbst darauf kommen. Da steht mir ja wieder etwas bevor.«

Loni seufzte schwer. »Kann man da nicht ein bisschen mogeln?«, fragte sie leise.

»Sie sind gut, Loni. Nehmen wir mal an, dem Jungen passiert auf der Reise etwas. Nein, schummeln gibt es da nicht.«

»Vielleicht haben sie das Kind adoptiert, ohne dass sie darüber sprechen«, meinte Loni nach längerem Überlegen.

»Das wäre eine gute Lösung«, sagte Dr. Norden, aber ein Aufatmen gab es nicht.

Er wollte das Ehepaar Neuhaus auch nicht in seine Praxis bitten. Diese Angelegenheit bedurfte großen Einfühlungsvermögens und konnte nicht in ein paar Minuten geklärt werden. Er wollte mit dem sympathischen Ehepaar ungestört sprechen.

Dr. Wolfgang Neuhaus rüstete sich zu einer Vortragsreise durch die USA, und da diese etwa sechs Wochen dauern sollte, hatte er nicht ohne seine Frau und seinen Sohn fahren wollen.

Sie führten eine sehr glückliche Ehe und liebten ihren vierjährigen Sohn Florian abgöttisch. Er war allerdings auch ein besonders reizendes, liebenswertes Kind, und als der kleine Junge Dr. Norden entgegengesprungen kam, wurde es dem Arzt ganz flau im Magen. Zum ersten Male wurde es ihm bewusst, dass Wolfgang und Gabriele Neuhaus helle Augen hatten und Florian ganz dunkle.

»Das ist aber nett, dass Sie sich zu uns bemühen, lieber Dr. Norden«, wurde er von Gabriele Neuhaus empfangen. Aber als sie seine ernste Miene gewahrte, fragte sie ängstlich: »Es hat sich doch bei Floris Untersuchung hoffentlich nichts Negatives herausgestellt?«

»Nein, das nicht. Es ist wegen der Blutgruppenbestimmung.«

»Die hätten wir eigentlich längst machen lassen sollen«, sagte sie verlegen. »Aber Sie wissen ja, wie das manchmal ist. Man wartet damit so lange, bis sie dann gebraucht wird. Liegt sie etwa noch nicht vor? Wir müssen doch morgen schon fliegen.«

»Ich hätte gern auch mit Ihrem Mann gesprochen, Frau Neuhaus«, sagte Dr. Norden zögernd, »mit Ihnen beiden, und möglichst …« Er geriet ins Stocken und sah den kleinen Florian an.

Gabriele Neuhaus sah ihn schreckensvoll an. »Er ist nicht krank«, sagte Dr. Norden leise.

»Schau doch mal, wo Onkel Bobby steckt«, sagte Gabriele zu dem Jungen. »Dr. Norden muss mich schnell noch mal untersuchen.«

»Du bist aber nicht krank, Mami«, sagte der Kleine ängstlich.

»Nein, ich bin nicht krank«, erwiderte sie geistesabwesend. Dann sah sie Dr. Norden wieder an. »Mein Mann ist beim Packen. Er kann das viel besser als ich …«

Dr. Neuhaus war auch verblüfft, als Dr. Norden so zögernd begann.

»Es ist eine etwas heikle Situation, aber Sie werden mich verstehen, wenn Sie den Blutgruppenausweis von Florian sehen.«

Dr. Neuhaus betrachtete diesen nachdenklich. »Das ist doch nicht möglich«, sagte er leise. »Das widerspricht allen natürlichen Erbgesetzen.«

Es dauerte ziemlich lange, bis auch Gabriele begriff. Aber sie sagte das, was manche Mutter schon erschreckt hatte. »Es bedeutet, dass unser Kind vertauscht wurde. O mein Gott!«

Für Dr. Norden aber war dieser Ausruf vorerst der Beweis, dass es sich bei Florian keinesfalls um ein adoptiertes Kind handeln konnte, und während des folgenden Gespräches gewann er auch die Überzeugung, dass Wolfgang Neuhaus nicht eine Sekunde an der ehelichen Treue seiner Frau zweifelte.

»Florian ist dennoch unser Kind«, sagte er. »Er wächst bei uns auf, und wir lieben ihn. Wir wollen daraus kein Problem machen, so groß der Schrecken auch gewesen sein mag. Bitte, reg dich nicht auf, Gaby.«

»Ich will mich nicht aufregen«, flüsterte sie. »Ich muss jetzt nur daran denken, dass unser Kind vielleicht nicht so glücklich aufwächst wie Florian. Es ist ein schrecklicher Gedanke für mich.«

»Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Unruhe bereiten musste, aber ich dachte, es wäre besser, wenn wir darüber sprechen«, meinte Dr. Norden. »Sie hätten sich wohl auch Gedanken gemacht, wieso der Junge eine extreme Blutgruppe hat.«

»Natürlich hätte ich mir Gedanken gemacht«, sagte Wolfgang Neuhaus. »Aber wie dem auch sei, ich würde doch meinen Flori nie mehr hergeben. Es ist mir nur unbegreiflich, wie so etwas geschehen kann.«

Verstört blickte Gabriele den Arzt an. »Es war der Tag, an dem das Busunglück war«, sagte sie leise. »Im Krankenhaus ging es turbulent zu. Es waren Schwerverletzte zu versorgen. Du erinnerst dich doch noch, Wolfgang? Wir wären fast zu spät in die Klinik gekommen durch die Straßensperrung. Eine Viertelstunde später war das Baby schon da. Und kurz danach wurden noch zwei weitere geboren.« Sie schluchzte trocken auf. »Und in dem Trubel müssen sie die Kinder vertauscht haben.«

»Florian ist unser Sohn«, sagte Wolfgang Neuhaus fast aggressiv. »Blutgruppe hin, Blutgruppe her, er gehört zu uns, und das andere Kind wird genauso zu seinen Eltern gehören. Morgen fliegen wir, und dann haben wir Zeit, uns zu überlegen, was getan werden könnte, falls das Kind wirklich nicht in guten Verhältnissen aufwächst. Aber du wirst doch nicht auf Florian verzichten wollen, Gaby!«

»Nein, das will ich nicht. Ich würde mich auch damit abfinden, wenn es unserem Kind auch gut geht. Ja, Wolf, das würde ich akzeptieren. Man muss doch auch an die Kinder denken.«

*

Abgetan war es für sie jedoch nicht. Ihr kamen die Tränen, als sie Florian zu Bett brachte und sein liebes, kleines Gesicht betrachtete.

»Bist du traurig, weil wir wegfahren, Mami?«, fragte der Kleine. »Onkel Bobby gießt doch unsere Blümchen, und wir sind mit Papi zusammen. Und wir kommen doch auch wieder.«

»Ja, mein Liebling, wir kommen wieder«, sagte Gabriele zärtlich. »Ich bin nur ein bisschen aufgeregt.«

»Ich doch auch, Mami. Dass wir bloß nichts vergessen.«

Wolfgang Neuhaus hatte indessen seinen um drei Jahre jüngeren Bruder Robert bereits eingeweiht. Dem war es aufgefallen, dass plötzlich eine sehr gedrückte Stimmung herrschte, und er hatte nicht locker gelassen. Robert Neuhaus war Journalist. Er hatte ein Gespür für Stimmungen und auch für Gedanken, die nicht ausgesprochen wurden. Und er hatte ein außerordentlich gutes Verhältnis zu seinem Bruder und seiner Schwägerin. Florian wurde auch von ihm geliebt.

»Eine verteufelte Angelegenheit«, sagte er grimmig. »Hätte Dr. Norden euch das nicht ersparen können?«

»Er ist doch dazu verpflichtet«, erwiderte Wolfgang, »außerdem hätte ich mir auch Gedanken gemacht.«

Sie schwiegen, als Gabriele eintrat, aber sie sagte, dass man den Kopf nicht in den Sand stecken könnte.

»Ich will wissen, wie es dem Kind geht, das ich zur Welt gebracht habe«, sagte sie leise, aber nun doch schon sehr bestimmt. »Wir müssen nachforschen, Wolf.«

»Und bringen vielleicht eine Lawine ins Rollen«, sagte der. »Es werden offizielle Untersuchungen stattfinden und nicht nur zwei Elternpaare, auch zwei Kinder werden hineingezogen. Ihre Welt wird in den Grundfesten erschüttert.«

Robert starrte vor sich hin. Sein schmales Gesicht war eine undurchsichtige Maske. »Ich werde Nachforschungen anstellen, Gaby. Ganz diskret. Mir wird da schon allerhand einfallen. Ich verstehe dich. Es könnte ja tatsächlich so sein, dass das andere Kind in Armut aufwächst. Vielleicht ist es sogar ein uneheliches Kind. Du kannst das nicht wegschieben, Wolf. Ich werde jedenfalls nichts unternehmen, was Florian schaden könnte.«

»Aber wir wissen doch nicht mal die Namen von den anderen Müttern, die am gleichen Tag ihre Kinder zur Welt gebracht haben«, sagte Wolfgang. »Oder hast du eine Ahnung, Gaby?«

»Ich weiß nur, dass eine in dem Unglücksbus war. Ihr Mann war dabei schwer verletzt worden, so weit ich mich erinnere. Man hat das von mir ferngehalten. Ich war ja auch in einem Einzelzimmer und bin mit anderen Patientinnen nicht in Berührung gekommen. An ihren Namen kann ich mich nicht erinnern.«

»Überlass das mir, Gaby. Ich mache das schon irgendwie«, erklärte Robert. »Einem Journalisten nimmt man manches ab, was bei anderen misstrauisch betrachtet wird. Mir fällt schon etwas ein. Macht euch nicht kopfscheu.«

Leicht sagte er das auch nicht dahin. Der Gedanke, dass doch böse Folgen entstehen könnten, beschwerte ihn sehr, aber er wusste auch, dass Gaby fortan immer an jenes andere Kind denken würde. Sie hatte Florian alle Liebe gegeben, aber hatte das Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, auch so viel Liebe empfangen?

*

Die gleichen Gedanken machten sich auch Daniel und Fee Norden. Fee ging das sehr nahe. Sie war schließlich auch dreifache Mutter, und der Gedanke, dass ihr solches hätte geschehen können, regte sie auf.

»Nun, mein Schatz, beruhige dich mal wieder«, sagte Daniel nachsichtig. »Bei uns ist alles klar.«

»Aber in der heutigen Zeit darf doch so etwas gar nicht passieren«, sagte Fee.

»Es waren außergewöhnliche Umstände. Es braucht keine Nachlässigkeit des Personals gewesen zu sein. Es mag einfach eine Überforderung mitgespielt haben.«

»Aus der nun ein doppeltes Unglück entstehen kann«, sagte Fee leise.

»Zu dem ich den Anstoß gegeben habe«, sagte er mit schwerer Stimme.

»Ach was, das will ich doch nicht sagen, Daniel. Dass es Florian nicht besser gehen könnte, wissen wir. Von dem anderen Kind aber wissen wir nichts. Und ich verstehe Frau Neuhaus sehr gut, dass sie es wenigstens wissen will.« Sie dachte lange nach. »Und vielleicht will es das Schicksal, dass es gerade jetzt aufkommt, zum Vorteil für dieses andere Kind. Ich meine, es könnte so sein.«

Daniel lächelte nachsichtig. Er kannte seine Fee. Sie musste jetzt irgendwie Trost suchen und sich an den hauchdünnen Faden klammern, dass das Schicksal nichts Böses, sondern Gutes in die Waagschale werfen wollte.

Er allerdings gab sich auch negativen Gedanken hin. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass Gabrieles Kind gar nicht mehr lebte, und dass für eine andere Frau die Aufklärung der Kindesverwechslung ein Trost sein könnte.

Dr. Daniel Norden wurde in dieser Nacht von schweren Träumen geplagt.

Als er erwachte, stieg die Sonne am Himmel empor.

Robert Neuhaus brachte die kleine Familie zum Flughafen. Florian war lebhaft, und sein munteres Geplauder lenkte die Erwachsenen ab. Für ihn war es die erste große Reise und ein Ereignis ohnegleichen.

»Vergiss nicht, die Blümchen zu gießen, Onkel Bobby«, sagte er eifrig.

»Und schließ auch immer gut ab.«

»Mein Ehrenwort«, erwiderte Robert.

»Und du mach deine Augen und Ohren auf, damit du mir viel erzählen kannst.«

Er hob ihn empor und drückte ihn an sich. Er prägte sich das ausdrucksvolle Kindergesichtchen ein.

Dann nahm er Gabriele in den Arm. »Kopf hoch, Gaby«, raunte er ihr ins Ohr.

Wolfgang blieb bei ihm stehen, als Gaby mit dem Jungen vorausging.

»Unternimm ja nichts, was unser Leben zerstören könnte, Bobby«, sagte er. »Ich würde es dir nie verzeihen. Das da ist mein Sohn, sonst kenne ich keinen.«

*

Robert Neuhaus fuhr zu Dr. Norden in die Praxis. Nur kurz wollte er mit ihm sprechen, sich vergewissern, dass jede Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen sei.

Die war auszuschließen. »Leider kann ich Ihnen nichts anderes sagen, Herr Neuhaus«, erklärte Dr. Norden.

»Ja, dann werde ich mich mal auf die Suche nach meinem zweiten Neffen machen«, sagte Robert mit einem Anflug bitteren Humors. »Möge der Allmächtige auf unserer Seite sein.«

Robert Neuhaus war an sich ein durch und durch sachlich denkender Mensch. In seinem Leben gab es nur drei Menschen, die er liebte und die auch wussten, dass er ein warmes Herz hatte. Sein Bruder, Gaby und Florian. Es gab keine Frau, an die er Gefühle verschwendete. Seine Liebe galt seinem Beruf und auch in diesem ließ er sich keinen Zwang auferlegen. Es lag ihm nicht, tragische Schicksale zu Sensationen aufzubauschen. Er ließ sich in keiner Weise Vorschriften machen und begriff seinen Beruf mit dem erforderlichen Ernst und besaß Verantwortungsgefühl, das manchem anderen abging.

Er fuhr zum Krankenhaus, in dem Gabriele ihr Kind zur Welt gebracht hatte. Den Weg kannte er genau, denn er hatte seine Schwägerin damals mehrmals besucht. Und es war auch ein Glück, dass er den Oberarzt Dr. Hausing persönlich kennengelernt hatte. An den wollte er sich wenden. Er war ein netter, jovialer Mann, nicht von Überheblichkeit gezeichnet. Robert hatte sich auch schon einen Plan zurechtgelegt, und da er nichts von Zeitverschwendung hielt, hatte er sich mit Dr. Hausing auch schon telefonisch verabredet.

Robert Neuhaus war eine Persönlichkeit, die man nicht so schnell vergaß, und Dr. Hausing hatte sich gleich seines Namens erinnert.

Sie trafen sich im Heidmannskrug, einem zünftigen Gasthof, den Robert wegen des guten Essens in bester Erinnerung hatte. Und da auch Dr. Hausing gern gut aß, war diesem Wiedersehen eine freundliche Atmosphäre beschert.

Er redete nicht viel drum herum. Er wusste, wie er es anfangen sollte und wollte, um kein Misstrauen zu erregen.

»Beim vierten Geburtstag meines Neffen Florian kam mir eine Idee«, sagte er, »und darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Am Tage der Geburt war doch dieses schreckliche Busunglück und gleichzeitig mit Florian sind noch ein paar andere Kinder geboren worden. Ich dachte an eine Story mit dem Aufhänger ›Vier Jahre danach‹.«

»Solche Idee kommt einem eingefleischten Junggesellen?«, fragte Dr. Hausing erstaunt.

»Nun, eigentlich gab meine Schwägerin den Anstoß. Florian ist ja ein goldiges Kerlchen geworden, und sie hat überlegt, ob auch die anderen Neugeborenen sich so gut entwickelt hätten. Sie, wir muss ich sagen, haben viel Freude an dem Kleinen, dass wir gern auch ein bisschen helfen würden, wenn es den anderen Kindern, die an diesem Tag geboren wurden, nicht so gut gehen würde.«

Nun schaute Dr. Hausing gleich noch erstaunter. »So was findet man aber auch selten«, sagte er.

»Für mich wäre es auch noch interessant, einige Studien zu betreiben, ob Kinder, die am gleichen Tag geboren sind, gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Damit befasse ich mich zur Zeit sehr intensiv, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen kleinen Hinweis geben könnten, wie die anderen Mütter heißen und wo sie wohnen. Ich verspreche selbstverständlich größte Diskretion.«

»Sie sind ein seltsamer Mann«, sagte Dr. Hausing. »Dieses schreckliche Unglück hat uns ja noch Monate beschäftigt. Eine der jungen Mütter kenne ich sogar sehr gut. Sie hat es ja am schlimmsten getroffen. Sie hat ihren Mann verloren an dem Tag, an dem ihr Kind geboren wurde. Er war auch im Bus, und er ist den schweren Verletzungen erlegen. Der Prozess ist immer noch nicht abgeschlossen. Die Opfer haben kaum finanzielle Unterstützung bekommen. Frau Petersen muss ihr Kind recht mühsam ernähren. Ich weiß das so genau, weil der Kleine kürzlich am Blinddarm operiert wurde.«

»Da erfahre ich ja schon etwas«, erklärte Robert. »Und das andere Kind, das auch zur gleichen Zeit wie unser Florian geboren wurde? Wissen Sie von dem auch was?«

»Und ob, das ist mein Patenkind. Auch ein Junge. Dem geht es blendend. Er hat inzwischen noch eine kleine Schwester bekommen. Florian ist ein Einzelkind?«

»Bisher ja. Man hofft auf weiteren Nachwuchs«, erwiderte Robert.

»Na, unser Andreas ist ein hübscher Brocken geworden«, sagte Dr. Hausing lachend. »Seine Mutter ist eine Kusine von mir. Die wird sich für Ihre Idee sehr aufgeschlossen zeigen.«

Robert erfuhr, dass es sich um ein Ehepaar namens Berklin handelte und dass der Mann Tierarzt war. Und er erfuhr auch, dass Brigitte Petersen, die ihren Mann am Tage der Geburt ihres Sohnes verloren hatte, in einem Nachbarort halbtags in einem Anwaltsbüro arbeitete und nebenbei daheim noch Schreibarbeiten machte, um möglichst viel mit ihrem Kind beisammen zu sein.

»Da wir nun mal bei den Kindern sind«, sagte Robert, »ist es eigentlich schon mal in dem Krankenhaus passiert, dass Kinder vertauscht wurden?«

»Um Himmels willen, das ist heute kaum noch möglich in einer gut geführten Klinik. Die Säuglinge bekommen sofort ihr Pflaster mit dem Namen und dann auch sofort einen Steckbrief, in dem Gewicht, Länge und besondere Kennzeichen eingetragen sind.«

»Ich denke immer, dass alle Babys gleich aussehen«, sagte Robert.

»O nein, das bestimmt nicht. Das kommt einem vielleicht nur kurz nach der Geburt so vor.«

Robert ließ das Thema beiseite. Er wollte den netten Doktor Hausing nicht misstrauisch machen. Er wollte ja freundlich bei den Müttern der anderen beiden Kinder eingeführt sein.

Bei den Berklins wurde er nach einem Anruf von Dr. Hausing sehr freundlich aufgenommen. Frau Berklin war eine rundliche, sehr lebhafte Frau, die sich anscheinend auch sehr gern unterhielt. Der vierjährige Sohn Frank war ein stämmiger Bursche mit hellen Haaren und hellen Augen. Aber er sah schon jetzt seiner Mutter so ähnlich, dass kaum ein Zweifel daran bestehen konnte, dass er zu ihr gehörte.

Frau Berklin war so stolz auf ihre Kinder, dass sie unentwegt von ihnen sprach. Aber auch an das Unglück konnte sie sich gut erinnern.

»Guter Gott, da ging es vielleicht zu im Krankenhaus. Ich kann mich noch erinnern, wie die junge Frau Petersen gebracht wurde. Das Kind kam ja ein paar Tage zu früh durch den Schock. Und gleich danach wurde auch Ihre Schwägerin gebracht. Damals wusste ich natürlich nicht, dass es Ihre Schwägerin war, Herr Neuhaus. Sie war ja auch sehr tapfer. Ich hatte schon ein paar Stunden Wehen und beneidete die beiden, dass es bei ihnen so schnell ging. An die besonderen Umstände dachte ich damals gar nicht. Es war ja auch nur gut, dass keine in den OP musste, denn beide wurden ja für die Verletzten gebraucht. Ja, solchen Tag kann man nicht vergessen, aber unser Frank hat von Anfang an ein Phlegma gehabt, das nicht zu überbieten ist. Er ist wie sein Vater.«

»Äußerlich aber nicht«, stellte Robert fest.

Sie lachte schallend. Es war ein ansteckendes Lachen, und Robert konnte sich vorstellen, dass diese Frau viel Frohsinn bereitete.

»Dafür ist unsere Kleine dem Vater äußerlich ähnlich und so lebhaft wie ich«, erklärte sie. »Es gleicht sich aus. Jetzt bin ich froh, dass unser Frank so lammfromm ist. Als Baby hat er mir fast Angst eingejagt, weil er so selten geschrien hat. Wie ist es denn mit Ihrem Neffen?«

Robert zeigte eine Fotografie her. »Mei, ist das ein goldiges Bürschchen«, sagte Frau Berklin begeistert. »Wie ein Filmkind. Und er sieht auch schon so furchtbar gescheit aus.«