Dr. Norden Bestseller 121 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 121 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Zartrosa waren die Federwolken, die unter dem mattblauen Morgenhimmel dahinzogen, als Fee Norden die Terrassentür öffnete, um nach dem Barometer zu schauen. Laue Luft schlug ihr entgegen. »Im November kommt der Frühling«, sagte sie kopfschüttelnd. »Das schaut mal wieder gewaltig nach Föhn aus, mein Schatz. Da wirst du wieder mit deinen Herzkranken zu tun haben.« »Ach, da fällt mir ein, Fee, könntest du bitte die Schweizer Medikamente von der Apotheke mitbringen, wenn du vom Friseur kommst? Es liegt ja am Wege. Ich brauche sie unbedingt für Frau Bühler. Sie kann doch nicht aus dem Haus.« »Ist doch selbstverständlich, Daniel. Ich bringe sie dir in die Praxis.« Sie bekam einen zärtlichen Abschiedskuss und ahnte schon, dass Daniel wieder einen anstrengenden Tag vor sich hatte. Das Wetter hatte seine Tücken. Selbst bei Lenni machte es sich bemerkbar, die gerade ihre Kreislauf­tropfen einnahm, als Fee in die Küche kam. »Heute wird kurzgetreten, Lenni«, sagte Fee energisch. »Ich muss Fenster putzen«, kam rasch die Antwort. »Sie müssen gar nichts«

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Dr. Norden Bestseller – 121 –

Die dunklen Stunden sind vergessen

Patricia Vandenberg

Zartrosa waren die Federwolken, die unter dem mattblauen Morgenhimmel dahinzogen, als Fee Norden die Terrassentür öffnete, um nach dem Barometer zu schauen. Laue Luft schlug ihr entgegen.

»Im November kommt der Frühling«, sagte sie kopfschüttelnd. »Das schaut mal wieder gewaltig nach Föhn aus, mein Schatz. Da wirst du wieder mit deinen Herzkranken zu tun haben.«

»Ach, da fällt mir ein, Fee, könntest du bitte die Schweizer Medikamente von der Apotheke mitbringen, wenn du vom Friseur kommst? Es liegt ja am Wege. Ich brauche sie unbedingt für Frau Bühler. Sie kann doch nicht aus dem Haus.«

»Ist doch selbstverständlich, Daniel. Ich bringe sie dir in die Praxis.«

Sie bekam einen zärtlichen Abschiedskuss und ahnte schon, dass Daniel wieder einen anstrengenden Tag vor sich hatte.

Das Wetter hatte seine Tücken. Selbst bei Lenni machte es sich bemerkbar, die gerade ihre Kreislauf­tropfen einnahm, als Fee in die Küche kam.

»Heute wird kurzgetreten, Lenni«, sagte Fee energisch.

»Ich muss Fenster putzen«, kam rasch die Antwort.

»Sie müssen gar nichts«, erklärte Fee. »Ich fahre zum Friseur, und Sie beschäftigen sich nur mit den Kindern. Sie steigen nicht auf der Leiter herum.«

So streng musste sie manchmal mit der guten Lenni sein, die nicht zufrieden war, wenn nicht alles blinkte und blitzte. Dann ermahnte Fee ihre drei Kinder, brav zu sein.

»Dass ihr mir Lenni nicht ärgert«, sagte sie.

»Sie ärgern mich nicht«, erklärte Lenni.

»Nie«, bestätigte Danny, »gell, Lenni, wir sind deine braven Mäuse.«

»Ist doch unsere Lennimaus«, sagte Felix.

Das waren die neuesten Kosenamen, seit Lenni ihnen eine reizende Mäusegeschichte vorgelesen hatte.

Fee Norden wusste ihre Kinder jedenfalls bestens aufgehoben, wenn sie mal aus dem Hause ging.

Beim Figaro traf sie Isabel Köster, die ihren kleinen Sohn Axel hatte mitbringen müssen.

»Tante Fee«, freute sich der Kleine, und auch zwischen den beiden jungen Frauen gab es eine herzliche Begrüßung. Sie hatten sich näher kennengelernt, als sie vor knapp drei Jahren gemeinsam die Schwangerschaftsgymnastik absolvierten. Die Jüngste der Nordens, Anneka, war mit Axel gleichaltrig.

»Hast Anneka nicht mit?«, fragte Axel betrübt.

»Sie schläft noch«, erwiderte Fee. »Sie war mächtig erkältet.«

»Danny und Felix auch nicht«, meinte der Kleine enttäuscht. Er war das erste Kind des jungen Ehepaares Köster. Aber nun sah man es Isabel schon an, dass das zweite unterwegs war.

»Diesmal werde ich wohl allein in die Schwangerschaftsgymnastik gehen müssen«, meinte Isabel. »Schade, Fee.«

»Kannst ja Tina Maurer unter deine Fittiche nehmen, Isa«, erwiderte Fee lächelnd.

»Oh, sie bekommt auch ein Baby?«

Mehr konnten sie jetzt nicht reden, denn Isabel kam an die Reihe und Fee gleich danach. Aber Fee sagte ihr noch, dass sie nachher ohnehin zur Apotheke müsse, dann konnten sie sich noch ein Weilchen unterhalten. Hier brauchte es ja nicht jeder zu hören, was sie sich zu sagen hatten.

Isabel war die einzige Tochter des Apothekers Kern. Vor vier Jahren hatte sie Markus Köster geheiratet, der Abteilungsleiter in einem Pharmazie Konzern war. Eine Traumhochzeit war ihr von ihrem sehr vermögenden Vater ausgerichtet worden, von der man noch lange gesprochen hatte, und es wurde eine außerordentlich glückliche Ehe.

Axel brauchte sich nicht zu langweilen. Er wanderte zwischen seiner Mami und Fee hin und her und gab seine kindlichen Kommentare zur Frisierkunst.

»Jetzt seid ihr wieder schön«, erklärte er, als das Werk vollbracht war. »Zuerst komisch, dann schön. Mami und Papi gehen heute auf ein Fest, du auch, Tante Fee?«

»Bei uns kann man das nie so genau sagen«, erwiderte Fee. »Aber vielleicht sehen wir uns heute Abend im Tennisclub, Isa? Oder habt ihr was anderes vor?«

»Nein, es wäre nett, wenn wir uns treffen würden, Fee. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr kommt.«

»Bis jetzt steht es auch noch nicht fest. Es kommt ganz darauf an, wie Daniel fertig wird. Du weißt ja, was bei dem Wetter los ist.«

»Meine Mutter spürt es. Deshalb konnte ich Axel auch nicht zu Hause lassen. Und unser neues Hausmädchen kann überhaupt nicht mit dem Kind umgehen.« Sie seufzte. »Ihr seid um eure Lenni zu beneiden. Heute Abend übernimmt Anke das Babysitting. Auf sie ist Verlass.«

»Wie geht es ihr denn jetzt?«, erkundigte sich Fee, denn sie kannte auch Anke Scheffler, eine Siebzehnjährige, die vor einigen Monaten bei einem Autounfall schwer verletzt worden war.

»Na ja, es geht so«, erwiderte Isabel. »Sie ist tapfer. Das Gesicht sieht noch schlimm aus. Aber jetzt kann sie sich wenigstens wieder bewegen. Ein Jammer um dieses hübsche Mädchen. Die Menschen sind grausam, Fee. Niemand will ihr mit diesem Gesicht eine Stellung geben. Weiter in die Schule gehen will sie auch nicht. Von der Versicherung hat sie auch noch nichts bekommen. Papa beschäftigt sie jetzt im Büro und im Labor. Belasten darf man sie ja noch nicht. Sie muss auch erst seelisch wieder aufgerichtet werden. Vielleicht weißt du was, Fee.«

»Ich werde darüber nachdenken. Tina Maurer, das wäre vielleicht was. Anke wollte doch Modezeichnerin werden. Designerin ist da nicht weit entfernt. Ich werde mal mit ihr sprechen, und es wäre dann auch gleich eine gute Gelegenheit, dass ihr euch kennenlernt für die Schwangerschaftsgymnastik.«

»Ich wusste gar nicht, dass sie verheiratet ist«, sagte Isabel.

»Ist sie auch nicht.«

»Dann ist es aber doppelt mutig, mit über dreißig Jahren noch ein Kind in die Welt zu setzen«, meinte Isabel. »Denk nur nicht, dass ich Vorurteile habe. Ich finde es wirklich mutig. Und du hast immer die besten Ideen, Fee.«

»Sie lassen sich nicht immer verwirklichen, Isa, aber man darf nichts unversucht sein lassen. Wir können ja heute Abend plaudern. Ich muss jetzt noch Medikamente abholen.«

»Dann komme ich mit. Papa freut sich.«

»Zu Opa?«, fragte Axel gleich begeistert.

»Ja, wir schauen bei Opa vorbei, Sohnemann.«

Und wie sich der Apotheker Kern freute! »Mehr Zeit müsste man haben für seine Enkel«, erklärte er seufzend zu Fee. »Aber was soll ich klagen. Sie haben ja Ihren Mann auch selten daheim.«

Die Medikamente aus der Schweiz waren gekommen, gerade erst mit der Post. Fee wollte sie nun rasch zur Praxis bringen, und sie verabschiedete sich. Isabel blieb noch mit dem Kleinen, da im Augenblick mal nicht allzu viel zu tun war.

Dafür ging es in Dr. Nordens Praxis hoch her. Eine Minute konnte Fee mit ihm sprechen, und rasch sagte sie ihm, dass die Kösters das Fest im Tennisclub auch besuchen wollten. »Dann könntest du ja auch mal allein ausgehen, Fee«, meinte Daniel.

Aber das kam für Fee gar nicht infrage, und ihr Mann wusste es recht gut. Er wusste auch, dass sie nicht murren würde, wenn er keine Zeit hatte.

Fee fuhr nach Hause. Lenni versicherte ihr, dass die Kinder sehr brav gewesen wären.

»Diesmal habe ich nur eine Tasse zerschmissen, Mami«, gab Felix aber sofort schuldbewusst zu.

»Aber Lenni hat immer gleich welche da«, verriet Danny.

»Was höre ich da?«, fragte Fee verblüfft.

»Es kann doch mal passieren«, meinte Lenni. »Neulich habe ich mal Einzelstücke bekommen zum Service.«

»Die Sie selbst bezahlen. Das muss wirklich nicht sein, Lenni«, sagte Fee.

»Ich brauche doch für mich nichts. Mir geht ja auch mal was kaputt.«

»Lenni nicht paputt macht«, flötete Anneka, »nur wir.«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Fee.

»Scherben bringen aber Glück, sagt Lenni immer«, ließ sich Danny vernehmen.

»Mit unserer Lenni haben wir ja viel Glück«, sagte Fee herzlich, worauf die Gute errötete und sich gleich in die Küche begab, um das Mittagessen vorzubereiten. Ja, sie war eine Perle, und sie war im Hause Norden wieder ein glücklicher Mensch geworden nach sehr viel Leid, das sie beinahe hatte verzweifeln lassen.

Fee Nordens Gedanken wanderten zu Anke Scheffler. Warum sollte nicht auch ihr geholfen werden? Und so war es schon für sie beschlossen, mit Tina Maurer zu sprechen. Wenn Fee sich etwas vorgenommen hatte, setzte sie es auch baldmöglichst in die Tat um.

Für das Mittagessen hatte Dr. Norden an diesem Tag gerade zwanzig Minuten Zeit. Um ein Uhr war er gekommen, halb zwei war er schon wieder aus dem Haus.

Es war ein richtiger Föhntag, mit nun tiefblauem Himmel. Wenn es nur nicht gar so tückisch wäre, dieses verführerische Wetter. Lenni musste zum zweiten Male ihre Kreislauftropfen nehmen, und nun befahl ihr Fee eine Ruhepause.

»Ich gehe mit den Kindern spazieren, Sie legen sich nieder, Lenni«, sagte sie. »Und wehe Ihnen, wenn nachher die Fenster doch geputzt sind. Heute Abend wird es regnen.«

So sah es jetzt aber nicht aus. Fee ging mit den Kindern durch den Wald zur anderen Villenkolonie hinüber. Dorthin, wo Tina Maurer in der alten Villa lebte, die sie von ihren Eltern geerbt hatte.

Sie lag in einem riesigen Grundstück, in dem sie verloren gewirkt hätte, wenn nicht der moderne Neubau erstellt worden wäre, in dem sich Tinas Atelier befand.

Sie hatte sich als Designerin einen Namen gemacht. Ihre Entwürfe, für was auch immer, verrieten ihre Genialität.

Sie stieg gerade aus ihrem Wagen, als Fee mit den Kindern auf das Haus zuging, und so kam Fee schnell der Gedanke, dieses Zusammentreffen als ein rein zufälliges hinstellen zu können.

»Fee Norden mit ihren Trabanten«, lachte Tina in ihrer lässigen Art. Sie trug Jeans und eine weite Jacke darüber. Wenn man nicht wusste, dass sie schwanger war, konnte man es auf Anhieb nicht sehen.

Tina war groß und kräftig gebaut. Sie hatte ein herbes Gesicht, ziemlich breit, mit weit auseinanderstehenden Augen. Ein unglaublich ausdrucksvolles Gesicht war das, wenn auch keineswegs schön zu nennen. Wunderschön aber waren ihre großen hellen Augen, die durchaus nicht kalt wirkten. Und sehr warm klang ihre dunkle, etwas rauchige Stimme, als sie nun die Kinder begrüßte. »Danny, Felix, Anneka, ist das die richtige Reihenfolge?«, fragte sie.

»Ganz richtig«, erklärte Danny eifrig.

»Ihr habt doch sicher Durst«, sagte Tina heiter. »Trinkt ihr einen Orangensaft bei mir?«

»Ich schon«, sagte Felix sofort. Danny sah erst seine Mami fragend an.

»Herein mit euch«, sagte Tina lächelnd. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Fee.«

Dass Tina eine Individualistin war, konnte man schon an der Einrichtung dieser alten Villa sehen. Ebenso, dass sie unglaublich viel Geschmack hatte, alles stimmte.

Und man spürte, dass sie sich in ihrem ureigensten Reich bewegte. Wie musste wohl ein Mann beschaffen sein, der auch hier hineinpasste, das fragte sich Fee in diesem Augenblick, denn Tina Maurer war nicht die Frau,

die sich ein Kind von irgendeinem Mann wünschte. Und sie wünschte sich dieses Kind. Sie freute sich darauf.

Ein schlankes, puppenhaft wirkendes Mädchen erschien. Tina runzelte die Stirn. »Was ist, Claire?«, fragte sie unwillig. »Ich habe Besuch.«

»Ich komme mit den Entwürfen nicht zurecht«, sagte das Mädchen mürrisch.

»Dann lassen Sie’s«, erwiderte Tina. »Ich möchte jetzt nicht gestört werden.«

»Das sind die weniger angenehmen Seiten des Lebens«, sagte sie dann, als Claire verschwunden war, zu Fee. »Diese jungen Dinger bilden sich Gott weiß was ein und wollen von heute auf morgen berühmt werden, aber richtig konzentriert arbeiten wollen sie nicht. Nach einer Weile laufen sie davon und protzen damit, dass sie bei Tina Maurer gelernt haben. Und ich muss mir so manches Mal anhören, dass ich ihnen nicht viel beigebracht habe.«

Ganz von selbst war dadurch gleich das Gespräch darauf gekommen, das Fee beabsichtigt hatte.

»Ich hätte da jemanden, der vielleicht für Sie arbeiten könnte, Tina«, sagte sie. »Ein junges Mädchen, durch einen Unfall nicht mehr besonders ansehnlich. Sie wollte Modezeichnerin werden, aber niemand nimmt sie.«

»Weil sie ein paar Narben hat?«, fragte Tina unwillig.

»Es sieht schon ziemlich schlimm aus, und einen seelischen Knacks hat Anke Scheffler auch weg. Es kam mir gerade in den Sinn, dass sie hier keinen demütigenden Blicken ausgesetzt wäre.«

»Keine schlechte Idee, wenn sie Talent hat. Aber Sie haben ja immer gute Ideen.«

»Ich habe noch eine«, sagte Fee. »Sie könnten mit Isabel Köster zur Schwangerschaftsgymnastik gehen.«

»Nein, die Idee finde ich nicht so gut«, erwiderte Tina offen. »Ich mache meine Gymnastik allein, ich mag mich nicht blöd anschauen lassen.«

Sie sagte es sehr bestimmt, ohne einen beleidigenden Ton anzuschlagen. Doch dann lächelte sie plötzlich.

»Isabel Köster, sagten Sie. Sie bekommt wieder ein Baby? Davon wissen wir ja noch gar nichts.«

Wir?

Fee war überrascht, und Tina wurde verlegen, was man von ihr gar nicht gewohnt war. Aber sie sagte nichts weiter, und Fee sagte auch nichts.

»Wenn dieses Mädchen Anke Neigung hat, soll sie doch einmal zu mir kommen«, wechselte Tina rasch das Thema. »Claire wird ohnehin nicht mehr lange bleiben. Sie malt auch mehr an sich selber herum als an den Entwürfen.«

»Möchte auch malen«, sagte Anneka.

»Du bekommst etwas zum Malen«, sagte Tina mit einem weichen Lächeln, das sie seltsam verschönte.

»Wir müssen wieder heim«, lenkte Fee ab.

»Dann gebe ich euch etwas mit«, sagte Tina.

»Toll«, sagte Danny, als sie einen ganzen Stoß Blätter brachte, auf denen schon Umrisse erkennbar waren.

»Das könnt ihr ausmalen«, sagte Tina, »und Farbstifte bekommt ihr auch noch.«

»Können wir immer brauchen«, meinte Felix.

»Danke, danke«, zwitscherte Anneka.

»Solche Tochter möchte ich haben«, sagte Tina. »Es würde mich freuen, wenn Sie wieder mal vorbeikommen würden. Und schicken Sie das Mädchen bitte zu mir.«

Auf dem Heimweg kam ihnen dann ein Wagen entgegen, der Fee sehr bekannt vorkam.

Das war doch Arne Reck, der Chef von Markus Köster.

Vorsichtig warf sie noch einen Blick zurück und sah, dass der Wagen vor Tinas Haus hielt.

Hätte Tina vorhin nicht das Wörtchen wir gebraucht, hätte sie darüber nicht weiter nachgedacht, denn zu Tina kamen sicher viele Kunden.

»Tina ist mächtig nett«, sagte Danny.

»Ja, sie ist sehr nett«, erwiderte Fee geistesabwesend. Und wieder tönte ihr das Wörtchen wir in den Ohren.

Nun, rein äußerlich passten die beiden wohl recht gut zueinander. Arne Reck war ein Hüne von Gestalt. Ein Mann Anfang vierzig, also auch im Alter ganz passend. Aber einen Haken hätte das doch, denn Fee wusste, dass Arne Reck verheiratet war und für ihn gar nicht die Möglichkeit einer Scheidung bestand, denn seine Frau litt an Multipler Sklerose, schon seit zehn Jahren.

Wenn er der Vater von Tinas Kind sein sollte, hat sie wirklich Mut, dachte Fee. Aber immer mussten ihre Kombinationen ja nicht stimmen.

Mit den Kindern brauchte sie sich nicht mehr zu beschäftigen. Sie malten mit Begeisterung Tinas Skizzen aus, und was dabei herauskam, war auch von Kinderhand recht annehmbar. Und so ging auch der Nachmittag schnell herum, und dann kam die ganz große Überraschung für Fee, als Daniel beim Heimkommen sagte, warum sie noch nicht umgekleidet sei.

»Du willst doch nicht sagen, dass wir das Fest besuchen?«, staunte sie.

»Aber ja, mein Schatz, du siehst so hübsch aus, dass die Leute ruhig mal wieder sehen können, dass bei den Nordens alles in bester Ordnung ist.«

Ja, das konnten die Leute feststellen. Ein so attraktives Paar war weit und breit nicht zu sehen, denn nach Markus und Isabel Köster hielt Fee vergeblich Ausschau. Was mochte sie wohl gehindert haben, das Fest zu besuchen?

Dafür gab es einen triftigen Grund. Am Nachmittag war nämlich ein Telegramm gekommen. Albert schwer erkrankt, bitte dringendst um Deinen Besuch. Madlen.

Albert Köster war Markus’ Vater, verheiratet in zweiter Ehe mit der um dreißig Jahre jüngeren Madlen. Viel mehr wusste Isabel auch nicht von ihrem Schwiegervater, denn Markus hatte keinerlei Kontakt zu ihm.

»Ich möchte nicht über ihn sprechen«, hatte er einmal zu Isabel gesagt, und dabei blieb es auch.

Sie wusste nur, dass ein schweres Zerwürfnis Markus aus seinem Elternhaus getrieben hatte.

Markus Köster war pünktlich wie immer heimgekommen. Er hatte das Telegramm gelesen und nur die Stirn gerunzelt.

»Willst du nicht fahren, Markus?«, fragte Isabel leise.

»Wir haben heute Abend doch etwas vor«, erwiderte er ausweichend.

»Und wenn er stirbt und dich noch einmal sehen will? Warum bist du so unversöhnlich, Markus?«

»Ich habe meine Gründe, Isabel.«

Sein markantes Gesicht zeigte keine Regung, aber er blickte an ihr vorbei.

»Man sollte nie etwas tun, was man später doch bereuen müsste, Liebster«, sagte sie sanft. Nun begann es in seinem Gesicht zu arbeiten.

»Das Fest ist doch nicht so wichtig. Du kannst den Nachtzug nehmen, Markus«, sagte Isabel.

»Ich rufe erst mal an. Ich will es aus seinem Munde hören, dass er mich sehen will«, sagte er rau.

Und er rief an. »Nein, ich will mit ihm sprechen«, hörte Isabel ihn sagen. Dann war eine Weile Schweigen. »Ja, ich bin es«, sagte er, und wieder sekundenlanges Schweigen. »Gut, ich komme.«

Er drehte sich zu Isabel um, als er den Hörer aufgelegt hatte. »Er ist wirklich krank«, sagte er heiser. »Ich dachte, ihn könne nichts umbringen.«

Merkwürdige Worte, aber Isabel kannte ihren Mann. Er war keineswegs sentimental. Sie dachte in diesem Augenblick an die Stunde, als er sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle. »Alles, was ich an Gefühl zu geben vermag, wird dir gehören, Isabel«, hatte er gesagt.

Doch dann war er auch ein zärtlicher Vater geworden. Und sie liebte ihren Mann. Sie liebte ihn über alles. Sie hieß alles gut, was er tat.

»Ich fahre ungern, aber es scheint so, als ginge es mit ihm wirklich zu Ende«, erklärte er. Und ein Frösteln kroch durch ihren Körper, weil kein Gefühl in diesen Worten mitschwang.

Sie packte die Reisetasche, er bestellte ein Taxi. »Ich bin bald zurück, mein Liebstes«, sagte er. Und dann küsste er sie doch so, als wäre es ein Abschied für lange Zeit.

Ein seltsames Gefühl beschlich Isabel, als sie dem Taxi nachblickte. An das Fest dachte sie nicht mehr.

*

Anke Scheffler saß bei Axel am Bett. Sie hatte ihm vorgelesen, und er war darüber eingeschlafen. Aber Anke rührte sich nicht aus dem Zimmer.

Nun bot sich für Isabel eine gute Gelegenheit, sich einmal länger mit dem Mädchen zu unterhalten. Sie war froh, nicht allein zu sein, denn es war das erste Mal, dass Markus über Nacht nicht bei ihr war, seit sie verheiratet waren.

»Leisten Sie mir ein bisschen Gesellschaft, Anke«, sagte sie. »Die Reise meines Mannes kam sehr überraschend. Ich gehe natürlich nicht aus.«

Anke, mittelgroß, schmal, war bejammernswert anzuschauen. Eine lange, tiefe Narbe zog sich über ihre rechte Gesichtshälfte, und so, dass sie auch nicht durch das Haar zu überdecken war. Und auch der Mund wirkte dadurch verzerrt.

Zum Glück hatten ihre schönen violetten Augen nicht gelitten. Es war ein tragischer Unfall gewesen. Anke war vorschriftsmäßig mit dem Rad auf dem Radweg gefahren. Ein Wagen, der wegen überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern gekommen war, hatte sie erfasst. Dass sie überhaupt am Leben geblieben war, hatten die Ärzte als ein Wunder betrachtet. Anke wäre lieber tot gewesen, als sie sich zum ersten Male im Spiegel betrachten konnte.

Für ihre Mutter jedoch war es ein Glück, das sie mit Dankbarkeit erfüllte, denn schon ihren Mann hatte sie früh durch einen Betriebsunfall verloren. Frau Scheffler arbeitete nun ganztags als Kassiererin in einem Supermarkt.

»Trinken wir ein Gläschen Sekt, Anke«, schlug Isabel vor.

»Ich habe aber noch nie welchen getrunken«, erwiderte das Mädchen schüchtern.

»Dann probier es mal«, meinte Isabel aufmunternd. »Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«

Der Sekt bewirkte dann tatsächlich, dass Anke nicht mehr so gehemmt war.

»Hättest du vielleicht Lust, Designerin zu werden, Anke?«, fragte Isabel, nachdem sie erst über Nebensächlichkeiten gesprochen hatte.

»Wie Frau Maurer?«, fragte Anke staunend. »Aber dazu muss man sehr viel können.«

»Sie kennen Frau Maurer?«, fragte Isabel erstaunt.

»Ja, ich helfe doch Frau Reck manchmal. Sie ist so sehr krank. Und Frau Maurer kommt öfter zu ihr. Sie malt wunderschöne Bilder für Frau Reck, die ihre ganze Freude sind.«

Auch Isabel war nachdenklich gestimmt, wenngleich sie nicht auf solche Gedanken kam wie Fee Norden.

»Eigentlich hat mich Frau Dr. Norden auf den Gedanken gebracht, dass Sie bei Frau Maurer lernen könnten, Anke. Ich wusste allerdings nicht, dass Sie bereits bekannt mit ihr sind.«

»Bekannt bin ich ja nicht mit ihr. Ich habe sie nur ein paarmal gesehen, wenn sie zu Frau Reck kam. Sie ist eine große Künstlerin. O ja, es müsste schön sein, von ihr lernen zu können.«

Ankes Gesicht hatte sich so belebt, dass die Narbe jetzt gar nicht mehr so stark in Erscheinung trat. Isabel nahm dies staunend wahr.

Doch gleich überschattete sich ihr Gesicht wieder. »Ich könnte dann allerdings nicht so oft zu Frau Reck gehen, und sie finden doch auch so schwer jemanden, der ihr Gesellschaft leistet. Dabei ist sie so tapfer. Eine so schlimme Krankheit zu haben ist furchtbar, Frau Köster, wenn man immer auf Hilfe angewiesen ist. Ich hätte mich umgebracht, wenn es bei mir so gekommen wäre.«

»Das darfst du nicht sagen, Anke.« Und nun wanderten Isabels Gedanken zu Markus’ Vater, den sie nicht kannte und von dem sie nichts wusste, von dem sie nicht mal ein Bild gesehen hatte.

*

»Wann kommt Markus, Madlen?«, fragte Albert Köster gequält.

»Er kann vor morgen früh nicht da sein«, erwiderte sie.

»Hoffentlich halte ich durch«, murmelte er.

»Mach dir doch nicht solche Gedanken. Natürlich wirst du wieder gesund werden, Albert. Es gibt doch sonst so viel für dich zu tun.«

»Es gibt nur noch eins für mich zu tun«, flüsterte er tonlos, »nur noch eins.«

Ihre Augen kniffen sich zusammen. »Willst du mich unversorgt zurücklassen?«, fragte sie scharf. »Lass dich nicht gehen. Oder sag mir wenigstens, was dir so am Herzen liegt.«

»Ich bin müde«, murmelte er. Und kein Wort kam mehr über seine Lippen.

Madlen Köster war neununddreißig, und sie tat alles, um sich jung zu erhalten. Sie hatte das Geld dazu, aber seit zwei Tagen fragte sie sich, was ihr bleiben würde, wenn er starb.

Sie wusste ziemlich genau, dass er nach der Heirat mit ihr kein Testament gemacht hatte, und dass er Markus jetzt zu sich rief, stürzte sie in einen Zwiespalt. Einerseits war es ihr recht, dass Markus kommen wollte, andererseits bangte sie um ihr Erbe. Schließlich hatte sie den so viel älteren Mann nur geheiratet, um versorgt zu sein. Nein, nicht nur deshalb. Sie hatte sich auch an Markus rächen wollen, der sich von ihr nicht hatte einfangen lassen.

Ja, das war der eigentliche Grund des Zerwürfnisses zwischen Vater und Sohn gewesen. Markus hatte seinem Vater krass ins Gesicht gesagt, dass Madlen ihn nur ausnutzen wolle.

Aber was wollte Albert nun von seinem Sohn? Warum bestand er darauf, mit ihm zu sprechen?

Madlen hätte das Telegramm nicht geschickt, hätte sie nicht fürchten müssen, dass er dann jemand anderen beauftragt hätte. Oder er hätte selbst zum Telefon gegriffen, um Markus anzurufen.

Nun, vielleicht war es doch am besten, Markus hier zu wissen, tröstete sie sich über ihre Zweifel hinweg. So würde sie wenigstens erfahren, worum es ging.

Nichts Schlimmeres gab es für sie, als über irgendetwas im Unklaren zu sein. Und so fand sie in dieser Nacht auch keinen Schlaf.

Kurz vor sechs Uhr morgens lief der Zug in Hamburg ein, mit dem Markus gefahren war. Er hatte zwar noch einen Schlafwagen bekommen, aber Schlaf hatte er dennoch nicht gefunden.

Er sah genauso übermüdet aus wie Madlen, als er dann vor der Tür seines Vaterhauses stand.

Gefühle bewegten ihn überhaupt nicht. Nur eine gewaltige Spannung engte ihm die Brust ein.

Madlen hatte noch keine Zeit gehabt, sich zurechtzumachen, und entsprechend sah sie aus.

»Es ist kaum zu fassen, dass du kommst«, sagte sie mit einem zynischen Unterton.

Er gab keine Antwort. »Wie geht es ihm?«, fragte er.

»Ich hoffe, dass es ihm hilft, mit dir sprechen zu können«, sagte sie nun beherrschter.

»Was ist geschehen?«, fragte er. »Wie ist das gekommen? War er schon länger krank?«

»Nein, es kam sehr plötzlich. Ich glaube, er muss sich über etwas sehr aufgeregt haben.«

»Du meinst, er könnte einen geschäftlichen Rückschlag haben?«

Sie zuckte die Schulter und tat gleichmütig. »Mit Geld scheint es schon etwas zu tun zu haben. Das Geld, das Geld, sagte er ein paarmal im Halbschlaf. Mir kann es nur recht sein, dass du gekommen bist, damit ich nicht in den Verdacht gerate, etwas an mich gebracht zu haben.«

Nun, sie wird schon vorgesorgt haben, ging es ihm durch den Sinn.

»Du willst dich sicher ein bisschen erfrischen«, sagte sie. »Du weißt hier ja Bescheid.« Das klang schon wieder anzüglich. »Es hat sich nichts verändert. Ich werde nach ihm sehen.«

Er ging ins Bad, wusch sich und ließ noch kaltes Wasser über sein Gesicht laufen.

Madlen stand schon vor der Tür, als er herauskam. »Du kannst jetzt zu ihm gehen. Er scheint zu erwachen. Er kann nicht lange sprechen.«

Mit einem seltsamen Gefühl betrat Markus das Schlafzimmer seines Vaters. Eine matte Lampe warf nur einen flachen Lichtschein auf das fahle Gesicht, aber nun stockte Markus doch der Atem. Da lag ein Greis, und im gleichen Augenblick wurde es ihm auch bewusst, dass es ein Sterbender war.

Isabel hatte recht, ging es Markus durch den Sinn, vielleicht käme mir die Reue zu spät. Immerhin hatte er auch einiges zu bereuen. Er hatte sehr böse Worte zu seinem Vater gesagt, bevor er ging, damals vor etwas mehr als vierJahren.

Er setzte sich auf einen Stuhl neben das Bett. »Vater, ich bin da«, sagte er leise, aber betont.

Die Augenlider des Kranken ruckten empor, aber der Blick war stumpf und weltenfern.

»Markus, mein Sohn«, murmelte er, »du musst viel verzeihen.«

»Reden wir jetzt nicht davon, Vater. Wird auch alles für dich getan? Wäre es nicht besser, du wärest in eine Klinik gegangen?«

»Ich musste hierbleiben«, flüsterte er. »Markus, ich habe dir etwas zu sagen. Du musst etwas für mich tun.«

»Sag es, aber streng dich nicht zu sehr an.«

»Du erinnerst an Astrid, Astrid Derken?«

»Aber ja. Sie hat doch lange genug bei uns gelebt.«

»Ich dachte immer, du würdest sie heiraten, dann wäre alles gut gewesen. Aber es kam anders.« Seine Stimme blieb leise, aber sie wurde klarer. »Ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen. Zwei Millionen waren es, nicht zweihunderttausend. Ich will damit nicht sterben. Das Geld hat sich vermehrt. Sie soll es bekommen. Sie soll mir verzeihen.«

Markus konnte nicht begreifen, aber als ihm dann die Wahrheit doch klar wurde, packte ihn kaltes Grauen. Mit wenigen Worten bedeutete das, dass sein Vater die Tochter seines besten Freundes, sein Mündel Astrid, betrogen hatte.

Er brachte kein Wort über die Lippen, aber Albert Köster sprach schon weiter.

»Du musst sie holen. Ich will sie noch einmal sehen. Sie ist in Stockholm. Die Unterlagen sind in meinem Safe. Der Schlüssel unter meinem Kopfkissen. Madlen darf nichts in die Hände bekommen. Du hattest recht, du hattest so recht.«

Erschöpft schwieg er, deutete aber mit der abgemagerten Hand auf das Bild, hinter dem sich der Safe befand.

Und rein automatisch, wie in Trance, tat Markus, was ihm geheißen.

Er nahm den Schlüssel unter dem Kopfkissen hervor, er ging zur Wand, nahm das Bild ab und schloss die Stahltür auf.

»Die Dokumentenmappe mit MD«, flüsterte der Kranke.

Sie lag ganz hinten. Markus nahm sie heraus, verschloss die Tür und hängte das Bild wieder auf. Es war ein Jugendbildnis seiner Mutter, an die er sich kaum noch erinnern konnte. Sie war gestorben, als er sechs Jahre alt gewesen war.

»Nimm das nächste Flugzeug«, flüsterte der Kranke. »Im Sekretär liegt Geld. Nimm dir ein paar tausend Euro. Versprich mir, niemandem etwas zu sagen. Ich will noch leben, bis Astrid kommt. Die Adresse ist in der Mappe. Der Schlüssel liegt bei dem Geld.«

Auch diesen Anweisungen folgte Markus. Er sah Bündel Geldscheine, Hunderter und Fünfhunderter. Mindestens zwanzigtausend Euro.

»Nimm alles«, sagte der Kranke. »Sie hat genug an sich gebracht.«

»Nein, Vater«, sagte Markus heiser. »Wenn ich Geld genug mithätte, würde ich nichts nehmen.«

»Du nimmst wenigstens fünftausend«, sagte der Kranke eigensinnig. »Du musst auch Astrids Flug bezahlen.«

Mein Gott, was denkt er sich nur. Meint er, sie würde jetzt herbeieilen, wenn sie die Wahrheit erfährt? Aber was sollte er einem sterbenden Mann sagen, mochte er noch so viel Schuld auf sich geladen haben. Er bereute es ja.

»Madlen darf nichts erfahren. Lass nichts aus dir herauslocken«, murmelte Albert Köster. »Du sagst, du fährst wieder nach Hause. – Bist du glücklich? Hast du Kinder?«

»Ja, ich bin glücklich. Wir haben einen Sohn.«

»Wie heißt er?«

»Axel.«

»Axel«, wiederholte der Kranke leise. »Ich danke dir, dass du mir hilfst. Du wirst mir doch helfen?«

»Ich werde Astrid aufsuchen, Vater«, erwiderte Markus.

»Und du wirst sie herbringen.«

»Wenn sie mitkommt.«

»Sie wird es tun.«

Nun aber versagte seine Stimme. Markus griff nach seiner Hand. »Komm bald, kommt bald.«

Er schlief ein. Markus betrachtete ihn, von widersprüchlichen Gedanken erfüllt.

Dann überlegte er, wie er die Mappe aus dem Zimmer bringen sollte, ohne dass Madlen sie sähe. Leise ging er zur Tür und öffnete diese. Es war still im Haus, aber Madlen war nicht zu sehen. Schnell steckte er die Tasche in seinen Koffer, der in der Diele stand. Er merkte nicht, dass er von Madlen beobachtet wurde, die oben an der Treppe stand. Grübelnd blickte er vor sich hin.

Jetzt kam sie die Treppe hinunter. »Hast du mit ihm gesprochen?«, fragte sie.

»Ja, ein paar Worte. Er ist sehr matt. Jetzt schläft er wieder. Lass ihn ins Krankenhaus bringen. Ich muss nach München zurück. Gerade jetzt habe ich dringende Besprechungen.«

»Einen Tag hättest du doch wenigstens bleiben können«, sagte sie spöttisch. »Nun, für einen Kaffee wirst du wohl Zeit haben.«

»Bist du allein im Haus?«, fragte er.

Sie kniff die Augen zusammen. »Ist dein Vater niemand?«

»Ich meinte, ob du ganz ohne Hilfe bist.«

»Die Pflegerin kommt um neun Uhr. Das Hausmädchen ist davongelaufen, als er krank wurde. Die Reinemachefrau kommt dreimal die Woche. Dein Vater steht auf dem Standpunkt, dass ich sonst gar nichts zu tun habe. Glaube nur nicht, dass er großzügig ist.«

»Du siehst nicht aus, als müsstest du Not leiden. Ich muss zum Flugplatz. Ich habe am Nachmittag eine dringende Besprechung.«

Und er wollte Isabel wenigstens anrufen. Sie würde Verständnis dafür haben, dass er den letzten Wunsch seines Vaters erfüllen musste.

Es ging ja auch um Astrid. Vielleicht hatte er ihr noch etwas zu sagen.

»Ich werde anrufen«, sagte er. »Lass Vater in die Klinik bringen, es ist besser.«

Er konnte nicht ahnen, dass seine Ausreden ihm noch zum Verhängnis werden sollten.

Er ließ ein Taxi kommen und fuhr zum Flughafen. Er konnte noch für die Vormittagsmaschine nach Stockholm buchen und hatte auch noch Zeit für ein Telefongespräch.

Es war besetzt. Er versuchte es wieder und wieder, und endlich, als das Freizeichen kam, wurde die Maschine aufgerufen.

Isabel meldete sich. »Ich versuche schon dauernd, dich zu erreichen«, sagte er überstürzt. »Ich muss nach Stockholm. Jetzt kann ich dir nichts mehr erklären, die Maschine startet gleich. Sag in der Fabrik Bescheid. Tschüs, Liebes.«

Dann legte er auf, und Isabel starrte den Apparat verblüfft und erschrocken an.

Was sollte das bedeuten? Wieso Stockholm? Lange konnte er doch noch gar nicht in Hamburg sein. Sie hatte eben mit Fee Norden telefoniert. Über Anke und Tina Maurer hatten sie gesprochen.

Aber warum flog Markus nach Stockholm? Ihr war plötzlich ganz eigenartig zumute.

*

Auch Fee Norden dachte nach, nicht ahnend, was Isabel jetzt viel mehr beschäftigte als Anke.

Anke ging also im Hause Reck ein und aus, und auch Tina besuchte Margret Reck. Da hatte sie diesmal anscheinend doch die falschen Ahnungen gehabt.

Dann ging es ihr auch durch den Sinn, dass Markus Köster zu seinem schwerkranken Vater gerufen worden war, und dass sie deshalb nicht zum Fest gekommen waren.

Nun, versäumt hätten sie nichts, hatte sie zu Isabel gesagt. Sie waren auch nicht lange geblieben.

Aber ihre Kinder wollten jetzt endlich hören, wie es denn auf dem Fest gewesen sei. Sie wurde abgelenkt.

Doch Isabel konnte nichts ablenken. Ihre Gedanken waren bei Markus. Ein paarmal fühlte sie sich versucht, bei seinem Vater anzurufen, aber dann konnte man denken, sie spioniere ihm nach, sie sei eifersüchtig und misstrauisch, und das wollte sie nicht.

Dort erschien die Pflegerin, eine dickliche, gemütliche Person. Madlen sagte ihr, dass ihr Mann jetzt schliefe, und so setzte sich Schwester Helma, wie sie genannt wurde, an den Tisch und frühstückte gemütlich, wie es ihrem Wesen entsprach.

Halb zehn Uhr ging sie in das Krankenzimmer, doch keuchend kam sie gleich wieder herausgestürzt. »Herr Köster, Herr Köster schläft nicht. Er ist tot«, stieß sie hervor. »Der Arzt muss kommen.«

»Und die Polizei«, sagte Madlen. »Sein Sohn war hier. Er hat ihn umgebracht.«

Schwester Helma blieb bei dieser Erklärung der Mund offen stehen. Sie schnappte nach Luft.

»Aber Sie haben doch gesagt, dass Herr Köster schläft, als ich gekommen bin.«

»Er schlief, aber wenn er jetzt tot ist, muss Markus ihm etwas gegeben haben. Ich weiß, es ist ein schlimmer Verdacht, aber er ist so schnell wieder weg, so, als wäre er auf der Flucht.«

Und dies alles, und was Markus gesagt hatte, erzählte sie dann auch der Polizei. Einiges aber verschwieg sie.

Sie war auf der Hut. Sie ahnte, dass man auch sie verdächtigen könnte, sie, die um dreißig Jahre jüngere Frau eines mehrfachen Millionärs. Aber sie konnte die Vorgänge so überzeugend schildern, dass schon wenige Stunden später ein Kriminalbeamter bei Isabel Köster erschien, der ihren Mann sprechen wollte.

Sie begann schon zu zittern, als er seine Dienstmarke und seinen Ausweis zeigte.

»Ist meinem Mann etwas passiert?«, fragte sie bebend.

»Nein, wir möchten ihm nur einige Fragen stellen. Sein Vater, Herr Köster, ist sehr plötzlich verstorben.«

»Verstorben? Aber warum musste Markus dann nach Stockholm fliegen?«, entfuhr es ihr in der Aufregung unbedacht.

»Wieso nach Stockholm? Zu Frau Köster sagte er doch, dass er sofort heimfliegen müsse, weil er dringende Besprechungen hätte.«

»Ich verstehe nichts mehr, gar nichts mehr«, stöhnte Isabel auf, und dann sackte sie zusammen. Und da erst bemerkte der Beamte, dass sie schwanger war.

Axel begann angstvoll zu schreien. Was da geredet worden war, hatte er nicht begriffen, aber dass seine Mami am Boden lag, jagte ihm Furcht ein.

Der zweite Beamte ging zum Telefontisch. Solche Zwischenfälle behagten ihnen nicht und konnten peinliche Folgen haben. Ein Arzt musste auf jeden Fall her, und der Beamte sah auf dem Telefonverzeichnis den Namen Dr. Norden und die Telefonnummer.

»Den Dr. Norden kennen wir ja«, brummte er und wählte die Nummer.

Axel schrie wie am Spieß, und Loni hörte es. Natürlich dachte sie zuerst, es sei etwas mit dem Kind. Dann war sie restlos verwirrt, dass ein fremder Mann dringend um ärztliche Hilfe für Frau Köster bat.

Dr. Norden war schnell am Ort des Geschehens. Axel beruhigte sich ebenso rasch, als er den bekannten Onkel Doktor sah, und als die beiden fremden Männer verschwanden, nachdem sie dem Arzt kurz eine Erklärung gegeben hatten. Einzelheiten erfuhr Dr. Norden erst später von Isabel, die so verzweifelt und erregt war, dass man sie nicht allein lassen konnte. Daniel rief seine Frau zu Hilfe, denn die nächsten Angehörigen sollten nicht auch so abrupt in Aufregung versetzt werden.

Freilich ging es Fee auch sehr nahe, was sie da zu hören bekam, aber sie wahrte wenigstens äußerlich Ruhe.

»Ich kann es nicht verstehen, Fee«, flüsterte Isabel. »Mein Gott, und ich habe Markus zugeredet, nach Hamburg zu fahren. Man hat ihn in eine Falle gelockt, anders kann ich es mir nicht erklären. Er wollte nicht fahren. Ich bin schuld.« Und immer wieder sagte sie dasselbe, obgleich Fee meinte, es würde sich schon alles aufklären.

*

Markus war indessen schon in Stockholm angekommen. Auf dem Flug hatte er die Tasche geöffnet, aber nur den Hinweis auf Astrids Aufenthalt entnommen. Sie war zwölf Jahre gewesen, als er sie zum letzten Male gesehen hatte, ein ernstes kleines Mädchen. Sie wurde in einem guten Internat untergebracht und wollte Musik studieren. Jetzt musste sie dreiundzwanzig sein.

In Markus’ Kopf kreisten so viele Gedanken, dass er keiner logischen Überlegungen fähig war, als er sich mit dem Taxi zu der Adresse bringen ließ, die er in der Dokumentenmappe gefunden hatte.

Es war ein großes Miethaus, das recht anständig wirkte, doch er sollte eine gewaltige Enttäuschung erleben, denn er erfuhr, dass Astrid Derken vor drei Monaten verzogen war. Wohin? Man zuckte die Schultern. In einen Vorort. Die Adresse wüsste vielleicht der Hausverwalter. Auf den musste Markus jedoch ein paar Stunden warten, da er nicht anwesend war.

Er suchte ein Postamt auf, um Isabel anzurufen, aber niemand nahm daheim den Hörer ab.

Dass er diese Reise nun umsonst gemacht hatte, auch das musste er überlegen. Endlich konnte er dann mit dem Verwalter sprechen, und der konnte ihm auch weiterhelfen. Wieder setzte sich Markus in ein Taxi. Es wurde eine weite Fahrt, die schließlich vor einem ländlichen Anwesen endete. Dort wurde er von einem jungen Mann empfangen, der ihn misstrauisch musterte, als er nach Astrid fragte, der auch nicht entgegenkommender wurde, als er seinen Namen nannte.

Es war ein Glück, dass Astrid nun selbst erschien. Sie kam in einem kleinen Wagen. Ein sehr apartes blondes Mädchen, das kaum noch an die frühere Astrid erinnerte, entstieg ihm. Ein langer forschender Blick traf Markus, ein maßloses Staunen zeichnete sich auf ihren feinen Gesichtszügen.

»Markus Köster«, sagte sie halb fragend, halb staunend.

»Du erkennst mich?«, sagte er erleichtert. »Dieser junge Mann wollte mich wegschicken.«

Astrid lächelte flüchtig.

»Rick ist schrecklich eifersüchtig«, erklärte sie. »Mein Verlobter Rick Möllring.«

Sie sagte sehr schnell etwas in schwedischer Sprache zu ihm, was Markus nicht verstand, doch dann bequemte sich Rick dazu, Markus die Hand zu reichen.

»Wie kommst du hierher, Markus?«, fragte Astrid.