Dr. Norden Bestseller 128 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 128 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Norden war zu der Solotänzerin Astrid Cavar gerufen worden. Sie war eine sehr schwierige Patientin, die jeden Schnupfen zu einem Drama machte. Doch diesmal war es ernst. Er konnte sich bald davon überzeugen, obgleich er mit gemischten Gefühlen zu ihr gefahren war, da er menschlich so manches an ihr auszusetzen fand. Ständig wollte sie bewundert und angebetet werden. Bei jedem Mann, der Gnade auch vor ihren Augen fand, setzte sie solches als selbstverständlich voraus. Dr. Norden fand sich dazu nicht bereit, aber von ihm schluckte sie doch so manche Wahrheit. Sie bewohnte ein zauberhaftes, unerhört geschmackvoll eingerichtetes Penthaus. Sie war achtunddreißig, und ungeschminkt sah sie eher älter aus. Und an diesem Tage wirkte sie richtig krank. Dazu war sie überaus launisch und nervös. »Ich kann mir wirklich nicht die kleinste Unpässlichkeit leisten«, beklagte sie sich. »Und anscheinend hat man nur darauf gewartet, dass ich ein paar Tage ausfalle, damit sie diese Jessica Brook emporjubeln können. Sie müssen mir helfen, dass ich bis morgen wieder okay bin, damit ich diesem Küken die Suppe versalzen kann.« So war sie. Niemand wollte sie neben sich dulden, keinem gönnte sie eine Chance. Solange sie das Sagen hatte, setzte sie alle unter Druck.

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Dr. Norden Bestseller – 128 –

Jessicas Weg ins Glück

Patricia Vandenberg

Dr. Norden war zu der Solotänzerin Astrid Cavar gerufen worden. Sie war eine sehr schwierige Patientin, die jeden Schnupfen zu einem Drama machte. Doch diesmal war es ernst. Er konnte sich bald davon überzeugen, obgleich er mit gemischten Gefühlen zu ihr gefahren war, da er menschlich so manches an ihr auszusetzen fand.

Ständig wollte sie bewundert und angebetet werden. Bei jedem Mann, der Gnade auch vor ihren Augen fand, setzte sie solches als selbstverständlich voraus. Dr. Norden fand sich dazu nicht bereit, aber von ihm schluckte sie doch so manche Wahrheit.

Sie bewohnte ein zauberhaftes, unerhört geschmackvoll eingerichtetes Penthaus. Sie war achtunddreißig, und ungeschminkt sah sie eher älter aus. Und an diesem Tage wirkte sie richtig krank. Dazu war sie überaus launisch und nervös.

»Ich kann mir wirklich nicht die kleinste Unpässlichkeit leisten«, beklagte sie sich. »Und anscheinend hat man nur darauf gewartet, dass ich ein paar Tage ausfalle, damit sie diese Jessica Brook emporjubeln können. Sie müssen mir helfen, dass ich bis morgen wieder okay bin, damit ich diesem Küken die Suppe versalzen kann.«

So war sie. Niemand wollte sie neben sich dulden, keinem gönnte sie eine Chance. Solange sie das Sagen hatte, setzte sie alle unter Druck.

Dr. Daniel Norden ahnte, dass es sich bei dieser Jessica um ein besonderes Talent handeln musste, da Astrid Cavar so maßlos gereizt war.

Aber als er ihren Blutdruck maß und den Puls fühlte, ahnte er auch schon, dass mehr dahinterstecken musste als nur Aufregung, und er sah auch die eigenartigen roten Flecken, die den Hals und die Schultern bedeckten.

»Für Ihre Schilddrüse muss endlich etwas getan werden«, sagte er ruhig.

»Ach was, die merke ich nur, wenn ich mich aufrege.«

»Sie regen sich so auf, weil die Schilddrüse eben nicht in Ordnung ist. Aber das Herz muss jetzt auch beachtet werden.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Ich muss morgen fit sein. Möbeln Sie mich auf«, sagte sie herrisch.

»Das kann ich nicht verantworten. Wenn Sie zusammenbrechen, trifft schließlich den behandelnden Arzt die Schuld.«

»Ich werde einen Arzt finden, der mir hilft«, sagte sie böse, und so böse hatte er sie noch nie gesehen.

»Das steht Ihnen frei«, erwiderte er.

Aber das sollte ihr nicht gelingen. Als sie sich aufraffte, um zum Telefon zu eilen und Dr. Norden zu beweisen, dass es ihr ernst war mit der Drohung, brach sie zusammen. Es war gut, dass er noch da war, sonst wären die Folgen für die Tänzerin unabsehbar gewesen. Er leistete Erste Hilfe, rief den Sanitätswagen herbei und ließ sich zum Kreiskrankenhaus bringen. Seinem Freund Dr. Behnisch wollte er diese launische Patientin nicht auch noch zumuten. Er wusste auch, dass in der Behnisch-Klinik kein Einbettzimmer mehr frei war, und wieder bei Bewusstsein, hätte Astrid Cavar Horror um sich verbreitet, wenn man sie zu einer anderen Patientin gelegt hätte.

Ja, er kannte seine Pappenheimer, aber er wusste auch, dass es für Astrid ein ernstes Warnsignal war, und sie konnte froh sein, dass dieser Zusammenbruch nicht auf der Bühne erfolgt war.

War Astrid an diesem Tag auch nicht gut auf Dr. Norden zu sprechen gewesen, stets schickte sie ihm eine Karte für jede Ballettaufführung. Wohlgemerkt nur eine Karte, obgleich sie ja wusste, dass er verheiratet war. Fee Norden hatte es auch diesmal leicht amüsiert zur Kenntnis genommen, aber sie hatte sich entschlossen, die Aufführung anstelle ihres Mannes zu besuchen, da es sich um das Dornröschenballett handelte.

Als sie das ihrem Mann am Abend sagte, zog er leicht die Brauen empor.

»Die Cavar wirst du aber nicht zu sehen bekommen, mein Schatz. Ich habe sie heute in die Klinik bringen lassen, und so weit ich es beurteilen kann, wird sie da einige Wochen zubringen müssen. Sie ist haarscharf an einem Schlaganfall vorbei.«

»Lieber Himmel«, sagte Fee, »aber es soll ja auch noch andere gute Tänzerinnen geben.«

»Und auf eine ist sie besonders wütend«, meinte er.

»Die werde ich mir anschauen, wenn du es mir erlaubst, dass ich die Karte benutze. Du wolltest doch morgen sowieso zu Professor Schöbels Vortrag gehen.«

»Wenn ich dazu Zeit finde«, seufzte er. »Aber besuch du nur die Ballettvorstellung, und achte auf eine Jessica Brook. Es würde mich interessieren, wie gut sie ist. So aufgebracht hab ich die Cavar noch nie gesehen!«

*

Jessica Brook kam ins Haus gestürmt. Es war ein hübsches kleines Haus, von rosa Rosen umwuchert, und auch der blühende Garten, der es umgab, verriet, dass die Bewohner Blumenfreunde waren.

»Mami, wo bist du?«, rief Jessica.

»In der Küche, Schatz, es ist doch gleich Essenszeit. Du kommst spät heute.«

Florence Brook, eine sehr aparte Frau von vierzig Jahren, wurde von ihrer zierlichen Tochter stürmisch umarmt. »Sie haben mich noch mal unter die Lupe genommen, Mami«, jubelte sie. »Die Cavar ist krank. Ich darf ihre Rolle tanzen.«

»Dann hast du es ja endlich erreicht«, sagte Florence ruhig. Sie war überhaupt nicht begeistert, dass ihre Tochter sich diesen Beruf erwählt hatte, aber sie hatte ihr auch nicht widersprochen. Sie war selbst eine sehr eigenwillige Frau, und daran war letztendlich auch ihre Ehe zerbrochen.

»Nun bin ich aber sehr gespannt, ob du die Cavar würdig vertreten wirst.«

»Ich habe eine andere Auffassung als sie«, sagte Jessica sehr bestimmt. »Sie ist auf ihre Weise großartig, das gebe ich zu, aber sie ist zu perfekt. Sie hat keine Ausstrahlung mehr.«

»Und dir traut man solche zu«, sagte Florence.

»Man sagt es. Ich bin jung. Mit fast vierzig sollte man eigentlich mit Anstand abtreten. Sie kann doch als Lehrerin tätig sein.«

»Hoffentlich denkst du auch noch so, wenn du mal vierzig bist«, sagte Florence ruhig.

»Ich meine doch nicht dich, Mami. Du kannst ewig deine Individualisten unter einen Hut und auf Vordermann bringen, aber wenn ich mal dreißig bin, möchte ich doch verheiratet sein und Kinder haben. Ein paar Jahre möchte ich mich nach oben tanzen, aber ich mache zur rechten Zeit Schluss.«

Warten wir es ab, dachte Florence lächelnd. »Jetzt wird gegessen«, sagte sie dann.

*

Als Florentine Möhring war sie zur Welt gekommen. Nach dem Krieg waren ihre Eltern nach Amerika ausgewandert. Aus der Florentine war eine Florence geworden, und sie hatte dann den Amerikaner Steven Brook geheiratet, der eine Werbeagentur betrieb. Die einfallsreiche Florence hatte ihn dabei sehr unterstützt, aber als Jessica geboren wurde, widmete sie sich ganz dem Kind. Da war ihre Ehe sehr glücklich gewesen.

Dann aber mischte sie sich wieder ein, weil Steven starke Konkurrenz zu fürchten hatte, und sie war so kreativ, dass ihr Mann sich bald von ihr an die Wand gedrückt sah. Da gab es die Spannungen, und hinzu kam, dass Florence sehr umschwärmt wurde. Sie bekam ein Angebot nach Frankreich. Ein glänzendes Angebot. Steven war dagegen. Es kam zum Krach. Sie nahm ihr Kind und ging nach Frankreich. Dort gefiel es ihr nicht, und sie nahm ein Angebot nach München an. Zur Scheidung von Steven kam es nicht. Nach einer Zeit des Grollens kam es wieder zu einem recht freundlichen Kontakt. Einmal im Jahr kam er nach München, und wenn sie in Amerika zu tun hatte, traf sie sich mit ihm. Jessica hatte sich beizeiten daran gewöhnt, dass ihre Eltern getrennte Wege gingen. Sie hing an beiden, aber sie wuchs sehr bald zu einem sehr selbstständigen jungen Mädchen heran, das seine eigenen Ziele energisch und eigenwillig verfolgte.

Sie war ein bezauberndes Mädchen und schon als Kind so voller Anmut, dass Florence sich entschlossen hatte, sie in eine Ballettschule zu geben, jedoch mehr zum Vergnügen, und um das quirlige Persönchen zu beschäftigen. Später wollte die selbst sehr sportliche Florence Jessica lieber mit anderen Sportarten vertraut machen.

Jessica zeigte sich auch beim Eislaufen und Skifahren sehr gelehrig, aber wenn sie aus irgendwelchen Gründen eine Ballettstunde versäumen musste, heulte sie.

So hatte es angefangen, und nun sah sich Florence doch vor die Tatsache gestellt, dass aus ihrer Tochter eine Solotänzerin werden würde. Begeistert war sie davon wirklich nicht, aber dass Jessica dieser überheblichen Astrid Cavar eins auswischen konnte, freute Florence insgeheim doch. Und auch das hatte einen besonderen Grund, denn Astrid hatte bei irgendeiner Gelegenheit, die Florence aus ihrem Gedächtnis streichen wollte, Steven Brook kennengelernt und war seither sehr anhänglich.

So etwas sagte sie zu Jessica allerdings nicht. Florence war eine sehr kluge und sehr beherrschte Frau.

Jetzt hatte sie ein paar Tage Urlaub genommen, weil die Hausgehilfin Resi zur Beerdigung ihres Vaters hatte fahren müssen.

»Du kannst fantastisch kochen, Mami«, sagte Jessica, nachdem sie sich das Essen hatte schmecken lassen. »Hat das Dad nicht imponiert? Man sagt doch, dass die Liebe durch den Magen geht.«

»Bei uns war das bestimmt nicht so«, erwiderte Florence, und dann dachte sie daran, was für eine leidenschaftliche Liebe es anfangs gewesen war.

*

Als Fee Norden zur Ballettaufführung fuhr, wusste sie noch nichts von den Brooks, und sie konnte nicht ahnen, wie sehr sie mit dem Schicksal dieser Familie einmal konfrontiert werden würde. Sie fuhr nicht selbst. Das hätte Daniel nicht erlaubt. Sie hatte sich ein Taxi bestellt, den Fahrer kannte sie. Er war ein netter, noch junger Mann, verheiratet, und hatte zwei reizende Kinder von vier und zwei Jahren, die von Dr. Norden auch bei diversen Erkrankungen betreut wurden. Er hieß Erwin Müller, und der Name war sehr leicht zu behalten.

Als sie das Nationaltheater erreichten, sagte Fee: »Mir wäre es recht lieb, wenn Sie mich auch wieder abholen könnten, Herr Müller.«

»Sehr gern, Frau Doktor, ich wollte ohnehin meine Mutter besuchen. Sie wohnt im Osten. Wann soll ich hier sein?«

»Sagen wir halb elf Uhr. Vielleicht wird es ein bisschen später.«

»Das macht nichts«, sagte er. »Sind eh immer so großzügig.« Er schnaufte tief durch und lächelte verlegen. »Würde der Herr Doktor vielleicht auch mal meine Mutter untersuchen?«, fragte er dann. »Es wär ja schön, wenn ich es ihr sagen könnt. Sie mag nämlich dort zu keinem Arzt mehr gehen, aber sie ist ja auch Rentnerin.«

»Natürlich können Sie Ihre Mutter zu meinem Mann bringen, Herr Müller. Wir reden nachher noch darüber.«

Sie musste sich jetzt schon beeilen. Das Klingeln war bis draußen zu hören, und sie wollte den Anfang nicht versäumen.

Und dann erlebte Fee Norden eine Ballettaufführung, die sie in helles Entzücken versetzte, weil da droben ein so graziöses Geschöpf die ganze Vorstellung bestimmte, dass man einfach fasziniert sein musste.

Sicher war Jessica Brook nicht so perfekt wie Astrid Cavar, aber ihre Ausdruckskraft, ihre ganz persönliche Ausstrahlung rissen die Zuschauer zu Beifallsstürmen hin, wie man sie hier lange nicht erlebt hatte. Und Florence Brook erlebte mit, wie ihre Tochter gefeiert wurde.

Wenn sie doch einen kleinen Dämpfer bekommen hätte, dachte sie, weil sie sich noch immer nicht damit abfinden wollte, dass Jessica sich diesem Beruf verschrieben hatte, aber sie wusste, dass die Kritiken sich anderentags überschlagen würden in Lobgesängen. Sie kannte ein paar von den Kritikern, und sie hatte mit gespitzten Ohren vernommen, was sie sagten.

»Endlich mal etwas ganz anderes«, hatte einer gesagt.

»Die Cavar kann sich zur Ruhe setzen«, ein anderer.

»Astrid muss ja alles fürchten«, sagte jemand. Und Florence war so in Gedanken versunken, dass sie mit einer Dame zusammenstieß. Sie sahen sich an. »Entschuldigen Sie«, sagte Florence.

»Ich bin auch noch ganz weg«, sagte Fee Norden. »Es war zauberhaft.«

Aber sie kannten sich nicht und trennten sich mit einem Lächeln. Welch eine schöne Frau, dachte Florence.

Welch eine aparte Frau, dachte Fee.

Sie konnte Daniel viel erzählen. Draußen wartete schon Erwin Müller, der Taxifahrer. Es war noch kurz vor halb elf Uhr. Auf dem Rücksitz saß eine alte Frau.

»Verzeihen Sie vielmals, Frau Doktor, aber ich musste meine Mutter mitnehmen. Ihr geht es gar nicht gut«, sagte Erwin Müller. »Wenn Sie vielleicht doch ein anderes Taxi nehmen wollen?«

»Aber wieso denn? Wo fehlt es denn, Frau Müller?«, fragte sie dann freundlich, sich zu der alten Frau setzend.

»Das findet niemand. Das Essen schmeckt mir halt nicht mehr.«

»Wir werden es schon herausfinden. Ich bin auch Ärztin. Was schmeckt denn nicht?«

»Gar nichts isst sie, außer Mehlsuppen und Haferflocken«, warf der Sohn ein. »Und mit dem Gehen tut sie sich halt arg schwer.«

Und einen viel zu niederen Blutdruck wird sie haben, dachte Fee, als sie die eiskalten zittrigen Hände umschloss. Aber sie machte sich auch Gedanken, wie eng es in der kleinen Müllerschen Wohnung zugehen würde, mit den beiden lebhaften Kindern, die ihre junge Mutter manchmal ohnehin schon ein wenig überforderten.

Immerhin war es verständlich, dass Erwin Müller seine Mutter nicht allein lassen wollte. Sie war jedenfalls von dem Ballettabend abgelenkt. Sie wusste aber auch, dass Daniel es ihr nicht übel nehmen würde, wenn sie zu später Stunde noch eine Patientin ins Haus brachte, vorausgesetzt, dass er schon daheim war.

Sie sah seinen Wagen vor der Tür stehen. Er musste gerade gekommen sein, denn eben erst stieg er aus.

»Na, das trifft sich aber«, sagte er lächelnd, »wie verabredet.«

»Fein, dass du schon da bist. Wir haben nämlich Frau Müller mitgebracht. Es geht ihr gar nicht gut.«

Ein bisschen seufzte Dr. Norden doch in sich hinein. Er hätte es seiner Frau wirklich gegönnt, sich einmal ganz entspannen und freuen zu können.

»Ich kann Mutter morgen doch in die Praxis bringen«, sagte Erwin Müller verlegen.

»Da Sie nun schon mal da sind, schauen wir gleich nach, wo es fehlt«, erwiderte Dr. Norden rasch.

Woran es vor allem fehlte, hatte er rasch heraus. Es war die Einsamkeit des Alters, die viele Zeit, die zum Grübeln blieb. Andererseits war da aber eine junge Familie in einer ohnehin engen Wohnung. Am besten wäre Frau Müller wohl in einem Seniorenheim untergebracht, aber Dr. Norden wusste, wie sehr sich manche dagegen sträubten.

Immerhin schien Frau Müller nicht zu diesen zu gehören. »Bei Erwin geht es ja auch so eng zu«, seufzte sie. »Ich möchte nicht wissen, was Ursel für ein Gesicht macht, wenn er mich mitbringt. Sie haben ja selber kaum Platz.«

»Und mit dem Gedanken, in ein Seniorenheim zu gehen, können Sie sich nicht vertraut machen?«

»Sie meinen so ein Altersheim, wo man in scheußliche Räume gesteckt wird? Nein, das will ich nicht.«

»Es gibt auch sehr hübsche Heime«, sagte er.

»So eins, wo man seine Möbel selbst mitnehmen kann, kann ich nicht bezahlen.«

»Da bekommt man auch Zuschüsse«, sagte Dr. Norden.

»Ich kann nicht betteln. Wir haben ein Leben lang unser Geld verdient und sind keinem zur Last gefallen. Und dann muss der Erwin vielleicht gar noch etwas beisteuern. Das will ich erst recht nicht. Der Bub ist so fleißig. Er soll es mal weiterbringen, damit es seine Kinder besser haben.«

»Wir werden das alles in Ruhe überlegen.« Und dann kam ihm eine Idee. »Übermorgen fährt eine Patientin zur Insel der Hoffnung. Dorthin werden wir Sie auch für ein paar Wochen schicken, damit Sie sich erholen.«

Frau Müller sah ihn staunend an. »Davon hat der Erwin gesprochen. Er hat gesagt, dass er eine Frau Weber dorthin bringt. Aber das kostet doch viel Geld, Herr Doktor. Ein bisschen was habe ich ja auf dem Sparbuch, aber ob das reichen würde? Nun habe ich Sie aber schon so lange aufgehalten. Sie sind so freundlich. Solchen Arzt habe ich noch nicht kennengelernt.«

Er hatte ein gutes Werk getan. Da kam es auf die paar Minuten auch nicht mehr an, und dann nahm er schnell noch Erwin Müller beiseite und sagte ihm, dass seine Mutter mit Frau Weber zur Insel fahren solle.

»Geht das denn, Herr Doktor? Zwei Hunderter würde ich schon zusteuern können. Aber Sie wissen ja, wie es bei uns ist, und allein lassen kann ich Mutter jetzt auch nicht mehr.«

»Wenn sie erst mal für eine Zeit gut untergebracht ist, kann alles in Ruhe überlegt werden. Wir reden morgen noch mal darüber.«

*

Während hier einer geplagten Frau geholfen werden konnte, schwelgte Jessica Brook im Kreise einer illustren Gesellschaft im Glück ihres Erfolges.

Für Florence herrschte nicht eitel Sonnenschein. Sie hatte einen flotten, nach neuester Mode gekleideten, jungen Mann namens Rainer Nelsen kennengelernt, den Jessica anscheinend schon öfter getroffen hatte. Florence stimmte es nachdenklich, dass sie darüber noch nicht gesprochen hatte und war sogar gekränkt. Doch sie war es gewöhnt, eine beherrschte Miene zu zeigen. Und ins Abseits gedrängt wurde sie gewiss nicht. Schließlich war sie eine Frau von Format. Sie war beliebt und wurde hofiert, und besonders liebenswürdig waren dann Rainer Nelsens Eltern, die sichtlich überrascht schienen, als ihnen Florence als Jessicas Mutter vorgestellt wurde.

»Unserer Verlobung steht nichts mehr im Wege, Jessi«, raunte Rainer dem jungen Mädchen zu. »Deine Mutter hat Gnade vor den Augen meiner Eltern gefunden.«

Die Worte gefielen Jessica nicht. »Meine Mutter braucht sich nicht zu verstecken. Sie ist schließlich eine erfolgreiche Frau«, sagte sie trotzig.

»Sei doch nicht gleich beleidigt. So war es nicht gemeint. Meine Eltern sind sehr konservativ und deine sind geschieden.«

»Sie sind nicht geschieden. Sie leben getrennt, und mein Vater kann sich auch sehen lassen.«

»Du bist noch süßer, wenn du zornig bist«, sagte er. »Und nun bist du mit einem Schlage ein Star.«

Es war seltsam, aber in Jessica sträubte sich etwas. Bisher hatte sie sich mit Rainer zwar gut verstanden, obgleich sie sich noch nicht lange kannten, aber jetzt schien es ihr doch ein bisschen merkwürdig, dass er gerade heute von Verlobung sprach. Doch der Abend war so aufregend für sie gewesen, so vieles war auf sie eingestürmt, dass sie gleich wieder abgelenkt wurde, von anderen umringt, umarmt und beglückwünscht. Immer wieder bekam sie zu hören, dass sie die Primaballerina Cavar in den Schatten gestellt hätte.

Das sagte auch Fee Norden zu ihrem Mann. »Ein zauberhaftes Mäd­chen ist das. Ich verstehe schon, dass die Cavar diese Konkurrenz fürchtet, aber es ist nun mal kein Beruf für die Ewigkeit. Die Jugend hat doch ihren eigenen Zauber.«

»Ich finde Frauen um die Dreißig weitaus interessanter und eine dazu noch besonders zauberhaft«, sagte er zärtlich und Fee bekam es bewiesen, wen er damit meinte.

*

»Du hast mir von diesem Nelsen noch nichts erzählt, Jessica!«, sagte Florence, als sie daheim waren. Sie konnte es sich nicht verkneifen.

»Du warst immer so beschäftigt, Mami, und ich kenn ihn doch erst vierzehn Tage. Jetzt will er sich mit mir verloben, wie findest du das?«

Die seidigen Augenbrauen der Älteren schoben sich zusammen, eine eigensinnige kleine Falte erschien zwischen ihnen.

»Nun, vielleicht hat er Angst, dass ihm einer zuvorkommt, da du so umschwärmt wirst.«

»Immerhin könnte es auch sein, dass ich erst jetzt richtig Gnade vor seinen Augen gefunden habe, da ich Erfolg habe«, sagte Jessica kritisch. »Ich habe es ihm jedenfalls ausgeredet. Das mit der Verlobung«, fügte sie hinzu. »Ich denke nun an meine Karriere.«

Insgeheim atmete Florence doch auf, obgleich auch der Karrieredrang ihrer Tochter keine ungeteilte Freude in ihr wachrief. Aber war sie nicht ebenso gewesen? Das gestand sie sich doch ein.