Dr. Norden Bestseller 130 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 130 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Es war an einem sonnigen Samstagnachmittag, den Fee und Daniel Norden endlich auf der Terrasse genießen konnten, während die Kinder im Garten herumtollten. »Jetzt muss man schon jedem Sonnenstrahl nachlaufen«, brummte Daniel. »Wir brauchen ja nicht zu laufen, wir können faulenzen«, meinte Fee heiter. »Wie lange? Man könnte wirklich allen Humor verlieren.« »Aber doch nicht heute, Schatz. Kein Wölkchen ist am Himmel, und schön warm ist es doch auch.« »Und man wird gleich wieder leichtsinnig, damit der Doktor dann noch mehr Arbeit bekommt. Das waren teuflische Wochen, Fee.« »Es kann nur noch besser werden«, meinte sie. »Nicht ärgern, Daniel, entspannen und genießen!« Sie las die Zeitung, während Daniel vor sich hindöste. »Was sagt man dazu«, rief sie plötzlich aus. »Hör mal zu, mein Schatz.« »Bloß nicht schon wieder eine Affäre um einen Arzt«, stöhnte er.

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Dr. Norden Bestseller – 130 –

Dr. Nordens Sorgenkind

Patricia Vandenberg

Es war an einem sonnigen Samstagnachmittag, den Fee und Daniel Norden endlich auf der Terrasse genießen konnten, während die Kinder im Garten herumtollten.

»Jetzt muss man schon jedem Sonnenstrahl nachlaufen«, brummte Daniel.

»Wir brauchen ja nicht zu laufen, wir können faulenzen«, meinte Fee heiter.

»Wie lange? Man könnte wirklich allen Humor verlieren.«

»Aber doch nicht heute, Schatz. Kein Wölkchen ist am Himmel, und schön warm ist es doch auch.«

»Und man wird gleich wieder leichtsinnig, damit der Doktor dann noch mehr Arbeit bekommt. Das waren teuflische Wochen, Fee.«

»Es kann nur noch besser werden«, meinte sie. »Nicht ärgern, Daniel, entspannen und genießen!«

Sie las die Zeitung, während Daniel vor sich hindöste. »Was sagt man dazu«, rief sie plötzlich aus. »Hör mal zu, mein Schatz.«

»Bloß nicht schon wieder eine Affäre um einen Arzt«, stöhnte er.

»Du bist heute aber negativ eingestellt«, sagte sie mit der üblichen Nachsicht. »Dabei ist es doch was Nettes.«

»Dann bin ich auch ganz Ohr.«

»Die Babypension Storchennest ist eröffnet. Säuglinge und Kleinkinder werden liebevoll betreut von Selma Schmiedel. Beste Referenzen. Ein gut eingerichtetes Haus in landschaftlich schöner Umgebung.«

»Sie hat es tatsächlich geschafft«, sagte Daniel Norden staunend.

»Sie ist eine bewundernswerte Frau«, sagte Fee. »Mit fünfzig Jahren einen neuen Anfang zu wagen, ist bestimmt nicht leicht.«

»Mit fünfzig ist man zu jung, um die Hände in den Schoß zu legen«, stellte Daniel fest.

»Sie hätte auch bei Schorsch als Hebammenschwester arbeiten können«, überlegte Fee. »Sie ist doch ein ziemliches Risiko eingegangen.«

»Bedenke, dass sie fünfundzwanzig Jahre selbstständig war. Da lässt man sich von jungen Dingern nicht gern an die Wand drücken. Sie hat es schon richtig gemacht, Fee. Sie hat auch eingesehen, dass die jungen Frauen lieber in einer modernen Klinik entbinden, und von den paar verbleibenden Hausentbindungen konnte sie nicht existieren. Aber sie hätte es uns ruhig persönlich mitteilen können.«

Und da kam Danny. Er hielt einen ganzen Packen Post zwischen nicht gerade sauberen Händen.

»Ihr habt nicht mal in den Briefkasten geguckt«, sagte er vorwurfsvoll. »Wenn Lenni mal nicht da ist, klappt nichts richtig!«

»Da haben wir’s!«, lachte Daniel. »Wenn unsere Lenni mal nicht da ist, gibt es Beanstandungen.«

Die gute Lenni hatte sich tatsächlich aufgerafft, mit Loni, Dr. Nordens Arzthelferin, einen Ausflug zu machen. Man hatte ihr gut zureden müssen, aber ab und zu brauchte sie auch mal eine Abwechslung.

Aber nun fanden sie unter der Post tatsächlich ein persönliches Schreiben von Selma Schmiedel, die sich entschuldigte, dass es erst so spät kam.

Es war eine Mordsarbeit, bis das Haus in Schuss war, schrieb sie, aber ich würde mich freuen, wenn Sie mal Zeit hätten, sich mein »Storchennest« anzuschauen. Eine große Einweihungsfeier kann ich leider nicht geben, da alle meine Ersparnisse draufgegangen sind. Für ein bisschen Reklame wäre ich sehr dankbar, aber das nur nebenbei. Sie müssten ja erst überzeugt sein, dass es hier klappen wird.

»Etwa eine halbe Stunde Autofahrt«, sagte Fee nachdenklich, »und jetzt ist es drei Uhr.«

Daniel richtete sich auf. »Dann los«, sagte er spontan. »Die Kinder sollen sich die Hände waschen.«

»Damit ist es nicht getan, wie sie aussehen«, meinte Fee, aber als sie den Kindern dann sagte, dass sie Selmas Storchennest besichtigen wollten, waren sie gleich dabei.

»Wie viel Störche hat sie denn?«, fragte die kleine Anneka.

»Das heißt doch bloß so«, wurde sie von Danny belehrt, der schon ein bisschen gescheiter war. »Da kann man kleine Kinder abliefern, hat Mami gesagt.«

»Ich habe nicht gesagt, dass man Kinder dort abliefern kann«, wurde er berichtigt von Fee, »sie werden dort betreut.«

»Haben die Kinder keine Mamis?«, fragte Felix.

»Manche Mütter haben halt keine Zeit für ihre Kinder«, erklärte Fee.

»Warum nicht?«, fragte Anneka.

»Weil sie arbeiten müssen und auch dann, wenn sie mal krank sind.«

»Aber du wirst nie krank, Mami, gell?«, fragte Anneka.

»Papi ist Arzt, und wir haben Lenni, du Dummerl«, sagte Danny.

»Bin kein Dummerl, bin nur noch klein«, flüsterte Anneka, die sehr empfindsam war. Danny tätschelte ihr auch gleich die Wange. »Hab es ja nicht so gemeint, Anneka«, sagte er entschuldigend.

Die Nordens konnten zufrieden sein mit ihren Kindern. Sie hatten sich so lieb, dass es auch gleich ein versöhnliches Wort gab, wenn ihnen mal ein unbedachtes entschlüpfte. Und schnell waren sie auch wieder blitzsauber und umgekleidet, weil sie das Storchennest ja nun unbedingt kennenlernen wollten. Allerdings waren Daniel und Fee Norden genauso gespannt. »Ein bisschen müssten wir Selma schon unter die Arme greifen, meinst du nicht, Daniel?«, fragte Fee, als sie schon unterwegs waren.

»Ich habe das Scheckbuch dabei, Liebes«, erwiderte er lächelnd.

»Einen Scheck löst sie nicht ein, das kenne ich. In dem kleinen Ort kannte ja jeder jeden, und da hat sie Hemmungen, dass einer sagen könnte, sie würde betteln.«

»Das ist doch Unsinn«, meinte Daniel.

»Für Selma nicht. Sie ist halt vom alten Schlag. Ich habe noch ein paar Scheinchen im Hause gehabt.«

Er lachte leise.

»Und du kannst dich auch nicht daran gewöhnen, alles bargeldlos zu bezahlen.«

»Ist doch blöd, wenn es um kleine Beträge geht.«

Er zwinkerte ihr zu.

»Und wenn es darum geht, was du für mich kaufst, brauche ich nicht zu wissen, was es gekostet hat«, bemerkte er hintergründig.

»Die Lederjacke war preiswerter, als ich dachte«, erwiderte sie rasch. »Sag nur nicht, dass sie dir nicht gefällt.«

»Sie gefällt mir sehr, Feelein, aber schön wäre es schon, wenn der Sommer so warm würde, dass sie noch ein bisschen im Schrank hängen kann.«

»Dagegen hätte ich auch nichts einzuwenden«, meinte sie. »Sie kommt nicht so schnell aus der Mode.«

»Endlich redet ihr mal nicht von Patienten«, ließ sich Danny vernehmen.

»Der Himmel ist so schön blau«, warf Felix unmotiviert ein. »Kein Wölkchen.«

»Hoffentlich bleibt es«, sagte Daniel.

»Sei doch nicht schon wieder pessimistisch«, sagte Fee.

Und dann waren sie auch schon da. In zartem Resedagrün war das Haus getüncht, und in hübschen Lettern stand über der Tür:

Pension Storchennest.

Der Garten war groß, und auf einer grünen Rasenfläche konnte man Turngeräte bester Qualität sehen.

»Da kann man aber schön spielen«, stellte die kleine Anneka fest, aber dann kam schon Selma, mittelgroß, vollschlank, mit weißblondem Haar und leuchtenden blauen Augen, die jetzt feucht schimmerten.

»Dass Sie so bald kommen, hätte ich nicht gedacht«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Oh, wie ich mich freue!«

»Das ging ganz schnell, Tante Selma«, sagte Danny, »als ich die Post reingebracht habe, waren wir schon gleich weg.«

»Das Storchennest möchte ich aber auch sehen«, zwitscherte Anneka.

»Schau da mal rauf«, sagte Selma Schmiedel. »Die Storchenmama brütet gerade.«

»Legen Störche denn auch Eier?«, fragte Felix.

»Bringen sie manchmal nicht nur Babys?«, fragte Anneka.

»Sie hat es immer noch nicht begriffen, dass Babys in der Klinik zur Welt kommen«, sagte Danny, »aber dumm ist sie nicht, Tante Selma.«

»Wir wollten Ihnen einen guten Einstand wünschen, Selma«, sagte Fee Norden.

»Und ich nehme es als gutes Omen, dass Sie die Ersten sind«, sagte Selma leise. »Herzlich willkommen. Tretet ein, bringt Glück herein!«

»Das wünschen wir Ihnen von ganzem Herzen«, sagte Daniel Norden.

*

Mit sehr viel Liebe war dieses Haus gestaltet und eingerichtet worden. Ein altes, aber sehr geräumiges Bauernhaus war es gewesen, das Selma von ihren Eltern geerbt hatte. Sie war schon drauf und dran gewesen, es zu verkaufen, als Dr. Norden sie auf die Idee gebracht hatte, möglicherweise ein Ferienheim für Kinder einzurichten. Aber davon war sie dann doch nicht so ganz überzeugt gewesen, und so war sie auf den Gedanken gekommen, eine Babypension zu wagen, da sie eben doch mehr auf Säuglinge und Kleinkinder eingestellt war.

Nun, was den äußeren Rahmen anbetraf, aber auch die innere Einstellung von Selma Schmiedel, konnte man auf Erfolg hoffen.

Danny gab seinen Kommentar so: »Hier ist es sehr schön, und wenn Kinder es nicht so schön haben wie wir, dann sind sie bestimmt sehr gern bei dir, Tante Selma.«

»Das will ich hoffen, Danny«, erwiderte sie. »Es braucht sicher schon eine Anlaufzeit«, fügte sie dann seufzend hinzu.

»Wir werden die Reklametrommel rühren«, versprach Fee. »Aber ich denke, dass es sich bald herumsprechen wird. Und ›Storchennest‹ klingt sehr einladend.«

»Na ja, ich habe überlegt, aber weil die Störche hier ihr Nest bauen, habe ich mich dann doch für diesen Namen entschieden«, sagte Selma.

»Und vielleicht können Sie hin und wieder doch einen kleinen Erdenbürger zur Welt bringen helfen«, sagte Dr. Norden.

»Eigentlich sagt man ja, dass ein Schwalbenpaar Glück ins Haus bringt«, bemerkte Selma sinnend. »Aber Schwalben haben sich hier noch nicht niedergelassen.«

»Das kommt vielleicht auch noch«, meinte Fee.

Selmas Blick wanderte zu den Kindern, die schon an den Geräten herumturnten. Sie lachte leise. »Ich denke, das wird mir das meiste Glück bringen, dass Ihre drei es sind, die die Geräte einweihen.«

»Sie kennen keine Skrupel«, sagte Daniel.

»Und so sollen hier alle Kinder leben, so froh«, sagte Selma. »Dass mir meine Melanie nicht verzeihen kann, dass sie ihren Vater nie kennenlernte, tut weh genug. Und dass ich nur eine Hebamme war, hat ihr auch nie gefallen. Vielleicht wird sie toleranter, wenn ich eine Babypension habe.«

»Wo steckt sie denn jetzt?«, fragte Dr. Norden.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht in Frankreich, vielleicht in England. Sie fühlt sich als Weltbürgerin. Mein eigenes Kind ist mir entglitten«, fuhr sie bekümmert fort, »vielleicht gelingt es mir, anderen ein Zuhause zu geben, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit. Hoffentlich verliere ich nicht zu sehr mein Herz an das eine oder das andere.«

*

Die Nordens wussten um ihr Schicksal. Als Selma sechsundzwanzig gewesen war, hatte sie ihr Herz an einen Arzt verloren, dessen Namen sie allerdings niemals erwähnt hatte. Aber sie hatte ihnen gesagt, dass er verheiratet gewesen sei und eine feste Bindung gar nicht in Betracht gekommen wäre. Aber sie hatte eine Tochter zur Welt gebracht, die nun dreiundzwanzig Jahre alt war.

Mit fünfzehn Jahren war Melanie in ein Internat gekommen, auf ihren eigenen Wunsch. Sie wollte kein uneheliches Kind sein. Sie wollte irgendwohin, wo keiner sie kannte, und ihren Mitschülerinnen wollte sie dann die Märchen um ihren Vater erzählen, die sie sich ausdachte. Selma hatte das Geld aufgebracht für dieses Internat, obwohl es nicht leicht war. Sie hatte alles getan für ihr Kind, was nur möglich war, für das Kind, von dem der Vater nichts wusste. Einmal hatte sie sich bei Dr. Norden ausgeweint, als sie selbst krank war und nicht mehr weiter wusste. Auf der Insel der Hoffnung war sie dann gesund geworden und hatte neuen Lebensmut gefasst, als Melanie nach ihrem Schulabschluss erklärte, dass sie nun auch ihre eigenen Wege gehen würde.

Nein, Selma war nicht auf Rosen gebettet gewesen, und die Nordens fanden es bewundernswert, dass sie nun doch ihr Herz in beide Hände genommen und noch etwas riskiert hatte. Sie hatte niemals einen Vorwurf gegen jenen Mann gehabt, der Melanies Vater war, und auch Melanie selbst war nie mit bitteren Worten bedacht worden. Sie sprach auch nicht darüber, wie unglücklich sie war, dass ihre Tochter nichts von ihr wissen wollte.

»Ich werde dieses Mädchen nie verstehen«, sagte Fee an diesem Abend zu ihrem Mann. »Eine bessere Mutter als Selma gibt es doch gar nicht.«

»Das sagen wir, aber junge Menschen sehen das anders. Es gibt mancherlei Gründe, dass sie mit den Gegebenheiten nicht fertig werden. Vielleicht war ihre erste Liebe daran schuld. Bis sie fünfzehn war, ging es doch ganz gut, wie ich von Selma weiß. Dann wollte sie plötzlich in ein Internat.«

»Mit fünfzehn die erste Liebe«, meinte Fee sinnend. »Liebe Güte, da habe ich an so was noch gar nicht gedacht.« Sie machte eine kleine Pause. »Oder unbewusst vielleicht doch, wenn uns der Daniel Norden besuchte.«

»Was hast du dir dann gedacht, Feelein?«, fragte er sanft.

»Ich weiß es nicht mehr so genau. Vielleicht habe ich überlegt, was für eine Freundin du derzeit hast. Und wahrscheinlich habe ich dann in den Spiegel geguckt und festgestellt, dass ich ein hässliches Entlein bin.«

»Das warst du nie, aber immer aggressiv, um nicht giftig zu sagen. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Dann wurdest du immer hübscher, aber keineswegs entgegenkommender.«

»Das wäre auch noch schöner gewesen! Um dich schwirrten die Mädchen doch herum, wie die Motten ums Licht.«

»Übertreib nicht«, lachte er.

»Schwamm drüber«, meinte Fee. »Wir haben alle Hindernisse überwunden. Ich frage mich nur immer wieder, warum Frauen wie Selma so oft Pech haben müssen.«

»Vielleicht war es Glück für sie, wenn nur ein kurzes und getrübtes. Ich verstehe nicht, wie Kinder eine solche Mutter nicht wenigstens respektieren können. Sie hat schließlich alles für Melanie getan, was in ihren Möglichkeiten war. Und sie hat dieses Kind gewollt und geliebt.«

»Und sie liebt es immer noch. Ich möchte Melanie Schmiedel mal die Meinung sagen«, erklärte Fee.

*

Da wäre sie gerade zu dieser Zeit vielleicht gut angekommen, denn Melanie befand sich in einem gewaltigen Tief. Sie befand sich nicht in England oder Frankreich, sondern sie saß in München, in einer alten, abbruchreifen Wohnung und wusste, dass sie diese in wenigen Tagen verlassen musste. Aber das war nicht das Einzige, was ihr schwerste Sorgen bereitete.

Sie hatte nur noch wenig Geld, und ihr Freund, mit dem sie schon sechs Monate durch Europa gezogen war, ließ sich seit Tagen nicht mehr blicken, nämlich seit jenem Tag, an dem sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger sei.

»Für so blöd hätte ich dich wirklich nicht gehalten«, hatte er gesagt, war gegangen und nicht wiedergekommen.

Und nun saß sie da und dachte über ihr Leben nach und auch über das Leben ihrer Mutter.

Aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie verschieden ihre Einstellung gegenüber der ihrer Mutter war. Sie war wütend, wütend auf Bill, wütend auf sich selbst, aber etwas hatte sie doch von Selma geerbt: Sie wollte überleben.

Schließlich hatte sie etwas gelernt, ihr Geld immer wieder selbst verdient, wenn sie es auch großzügig mit anderen geteilt hatte, und jetzt wusste sie, dass sie wieder Geld verdienen musste, um zu überleben und auch um das durchzuführen, was sie sich in dieser Nacht vorgenommen hatte. Für sie kam es gar nicht infrage, das Kind zu bekommen. Sie wollte es loszuwerden versuchen.

Sie schüttete das Geld, das sie noch besaß, auf den Tisch und zählte es. Es waren genau zweiundvierzig Euro und sechzig Cent.

Man sieht mir noch nichts an. Es sind ja erst zehn Wochen, dachte sie. Ich werde schon einen Job finden, der mir Geld bringt, und wenn ich einen Arzt bezahlen kann, der mir das Kind wegbringt, komme ich auch über die Runden.

Sie zog ihre Jacke an und ging, um sich eine Zeitung zu holen. In den Wochenendzeitungen standen viele Stellenangebote. Zum Beispiel als Bedienung konnte man allerhand verdienen, das hatte sie auch schon ein paar mal ausprobiert, wenn sie sonst nichts gefunden hatte auf ihren vielen Irrwegen durch die unterschiedlichsten Länder. Vier Sprachen beherrschte sie fast perfekt. Englisch, französisch, italienisch und spanisch, von deutsch abgesehen.

Nirgendwo hatte sie Ruhe gefunden, aber in Bill glaubte sie endlich den richtigen Partner gefunden zu haben.

Hatte sie das nicht früher auch schon bei anderen gedacht, ging ihr durch den Sinn, als sie wieder zu der armseligen Wohnung emporstieg. Nur ein Übergang hatte das sein sollen, so hatte Bill gesagt, bis sie eine anständige Wohnung gefunden hätten, aber in München war es eben nicht so einfach. Aber sie hatte ihm auch noch die dreitausend Euro gegeben, die sie zusammengespart hatte.

Recht geschieht mir, sagte sie sich. Eine Illusion nach der anderen muss einem genommen werden. Also werde ich schnellstens versuchen müssen, wieder zu Geld zu kommen.

Dann studierte sie die Zeitung und strich sich rot an, was für sie infrage kommen konnte.

Eine stach ihr besonders ins Auge. Flotte Bardame für Night-Club gesucht, möglichst mehrsprachig. Garderobe kann gestellt werden.

Das gefiel ihr. Das brauchte sie auch, denn mit ihrer Garderobe war es übel bestellt. Aber sonst konnte sie sich doch eigentlich sehen lassen, wenn sie sich ein bisschen zurechtmachte. Und als Bardame konnte man ganz schön verdienen, meinte sie.

Sie blätterte um, und da sah sie die Annonce, die Fee Norden nachmittags ins Auge gefallen war.

Melanies Augen wurden weit, aber dann verengten sie sich. Eine Babypension machte ihre Mutter auf. Woher hatte sie denn das Geld?

Da sitz ich nun und bin übler dran, als sie damals gewesen sein mag. Eigentlich habe ich ja alles bekommen, was ich wollte, wenn es im Rahmen blieb, ging es ihr durch den Sinn. Wenn ich eine Abtreibung nicht bezahlen kann, werde ich das Kind nicht so aufziehen können. Wie denn eigentlich?

Und plötzlich wurde ihr bewusst, was ihre Mutter alles für sie getan hatte. Ein bisschen unbequem war ihr der Gedanke dann auch, wie wenig sie es ihr gedankt hatte.

Aber sie wollte ja kein Kind. Sie hatte nie eins haben wollen, deshalb hatte sie ja auch die Pille genommen. Wieso war es eigentlich zu der Schwangerschaft gekommen? Sie hatte doch nicht vergessen, die Pille zu nehmen. Dann dachte sie wieder an Bill, und Zorn erfüllte sie. Und wenn sie zornig war, entwickelte Melanie eine Euphorie, die beängstigend war.

Eine Stunde saß sie vor dem halb blinden Spiegel, dann machte sie sich auf, den Night-Club aufzusuchen.

Noch war sie sehr schlank, aber dennoch gut gebaut. Sie war ein sehr hübsches Mädchen gewesen, jetzt eine fast mondän wirkende Frau, wollte man von ihrer abgenutzten Kleidung absehen. Aber sie schätzte sich dennoch hoch ein. Wenn sie etwas erreichen wollte, hatte sie es immer erreicht. Ihr war nur das Herumzigeunern immer lieber gewesen, als sich irgendwo ein warmes Nest zu erobern. Aushalten lassen wollte sie sich nicht, an Heiraten hatte sie erst recht nicht gedacht.

Mit lässigem Gang betrat sie den Night-Club, der eben erst geöffnet worden war. An der Bar stand ein ganz nett aussehender junger Mann, der sie abschätzend musterte.

»Was wünschen Sie?«, fragte er.

»Ich komme wegen der Annonce«, erwiderte sie.

»Der Chef kommt aber erst gegen zehn Uhr«, erklärte er. »Wollen Sie einen Drink?«

»Sektorange, wenn ich bitten darf«, erwiderte sie lächelnd. »Ganz netter Laden.«

»Kommt darauf an, von welcher Warte aus man ihn betrachtet«, erwiderte er. »Ich heiße Rolf.«

»Ich Melanie. Wieso von welcher Warte?«

»Als Job hinter der Bar oder als Amüsiermädchen«, sagte er trocken.

»Es wird doch eine Bardame gesucht«, stellte sie fest. »Ich bin kein Amüsiermädchen. Ich brauche nur Geld.«

»Das sieht man«, sagte er trocken. »Hast du Erfahrung?«

»Ich lerne schnell«, sagte sie und schnatterte es in ihren Fremdsprachen herunter.

Eine steile Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.

»Ich verstehe nicht, warum du dir nicht eine andere Stellung suchst, wenn du vier Sprachen so perfekt sprichst«, sagte er.

»Ich brauche schnell Geld und eine Wohnung«, erwiderte sie gleichmütig.

*