Dr. Norden Bestseller 134 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 134 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Es sind die Nebenhöhlen, Herr Faller«, sagte Dr. Norden eindringlich zu dem jungen Mann, der mit entzündeten Augen vor ihm saß. »Wenn der Augenarzt sagt, dass es nicht die Tränenkanäle sind, wird es schon stimmen. Ich kann Ihnen nur dringend raten, sofort einen Facharzt aufzusuchen. Dr. Rissmann hat einen sehr guten Ruf. Er kann Ihnen besser helfen als ich.« »Ich muss meinen Chef morgen nach Zürich fliegen«, sagte Bernd Faller. Dr. Norden seufzte in sich hinein. »Trauen Sie sich denn das wirklich zu«, sagte er. »Sie haben auch für andere die Verantwortung.« »Das weiß ich. Ich möchte schließlich meine Stellung nicht verlieren. Wenn ich zurück bin, werde ich Dr. Rissmann aufsuchen. Ab Donnerstag habe ich Urlaub, da kann ich mich auch um meine Gesundheit kümmern.

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Dr. Norden Bestseller – 134 –

Angst um ein unbekanntes Mädchen

Patricia Vandenberg

»Es sind die Nebenhöhlen, Herr Faller«, sagte Dr. Norden eindringlich zu dem jungen Mann, der mit entzündeten Augen vor ihm saß. »Wenn der Augenarzt sagt, dass es nicht die Tränenkanäle sind, wird es schon stimmen. Ich kann Ihnen nur dringend raten, sofort einen Facharzt aufzusuchen. Dr. Rissmann hat einen sehr guten Ruf. Er kann Ihnen besser helfen als ich.«

»Ich muss meinen Chef morgen nach Zürich fliegen«, sagte Bernd Faller.

Dr. Norden seufzte in sich hinein. »Trauen Sie sich denn das wirklich zu«, sagte er. »Sie haben auch für andere die Verantwortung.«

»Das weiß ich. Ich möchte schließlich meine Stellung nicht verlieren. Wenn ich zurück bin, werde ich Dr. Rissmann aufsuchen. Ab Donnerstag habe ich Urlaub, da kann ich mich auch um meine Gesundheit kümmern. Vorher geht’s nicht, Herr Dr. Norden.«

Mit gemischten Gefühlen blickte ihm der Arzt nach. Manche wollten sich wegen einer Geringfügigkeit krankschreiben lassen, und dieser Bursche wollte sogar seinen Urlaub benutzen, um sich auszukurieren. Solcher Pflichteifer verdiente wohl Anerkennung, doch in diesem Fall wurde er übertrieben. Jedenfalls musste es eine sehr gute Stellung sein, die Bernd Faller nicht aufs Spiel setzen wollte.

Nun, man konnte sagen, dass Boris Margreiter, der große Boss, seinem Pilot sein volles Vertrauen schenkte. Aber zudem hatte er auch eine Tochter, die den sonst so kühlen Bernd bezaubert hatte, und die mit ihrem Vater nach Zürich fliegen wollte. Und wenn Bernd an Janine Margreiter dachte, vergaß er auch die bohrenden Kopfschmerzen. Die Nasen- und Augentropfen, die ihm Dr. Norden dann doch verschrieben ­hatte, brachten ihm Linderung, und als Bernd sich dann am Abend die Stirn mit der Essenz eingerieben hatte, die Dr. Norden ihm mitgab, konnte er einen tiefen, erquickenden Schlaf finden.

Bernd Faller hatte ein Studium als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Von Haus aus nicht unvermögend, war Fliegen sein Hobby gewesen, und das Herumtüfteln, um Verbesserung für die Sicherheit der Flugzeuge zu finden, war seine Leidenschaft. Und da er ein sehr eigenwilliger junger Mann war, der sich ganz bestimmte Vorstellungen von seiner beruflichen Zukunft machte, hatte er bisher nicht die Stellung gefunden, die seinen Wünschen entsprach. Es lag ihm einfach nicht, sich jemandem unterzuordnen, der nur auf Grund seiner Lebensjahre meinte, alles besser zu wissen.

Bernd lag oft im Widerstreit mit sich selbst, denn bei seinem Vater stieß er auch auf wenig Verständnis mit seinen sehr konkreten Vorstellungen. Immer wieder bekam er zu hören, dass man erst gehorchen lernen müsse, bevor man selbst befehlen könne. Er wollte nicht befehlen, er wollte sich frei entfalten. Frei fühlte er sich nur beim Fliegen. Als er wieder einmal die Stellenangebote studierte, war er auf die Anzeige gestoßen, die man gar nicht übersehen konnte.

Boris Margreiter suchte einen Privatpiloten, der auch über gute technische Kenntnisse verfügte. Er hatte sich beworben, sich vorgestellt und die Stellung bekommen. Und er hatte Janine Margreiter kennengelernt, die sich allerdings sehr reserviert verhielt. Erst beim letzten Flug vor ein paar Tagen hatte sie ein paar verbindlichere Worte mit ihm gewechselt.

Während er am nächsten Morgen schon früh am Flugplatz war und die komfortable Maschine selbst überprüfte, saß Janine mit ihrem Vater noch am Frühstückstisch.

Janine war eine sehr selbstbewusste junge Dame, dazu von überdurchschnittlicher Intelligenz. Und außerdem war sie sehr attraktiv, was ihren Vater damit versöhnte, dass sie sich für das Ingenieurstudium entschieden hatte, während er ihr die Betriebswirtschaft ans Herz gelegt hatte.

Dass sie nicht das Leben einer verwöhnten Industriellentochter führen wollte, war ihm allerdings nur recht, denn für den Jet-Set, in dem solche oft versumpften, hatte er nicht das Geringste übrig.

Er war ein harter Geschäftsmann, von seinem Vater, der Schweizer Staatsbürger gewesen war, zur Sparsamkeit erzogen.

Sein Leben war auf dem Motto aufgebaut: Was du ererbt von deinen Vätern hast, vermehr es, um es zu besitzen!

Auch beim Frühstück machte er sich Notizen. Und er schrak zusammen, als Janine fragte: »Wer fliegt?«

»Faller natürlich«, sagte er.

»So natürlich finde ich das nicht. Als ich ihn das letzte Mal sah, waren seine Augen sehr entzündet.«

»Lieber Himmel, das sind meine manchmal auch. Was hast du eigentlich gegen ihn?«

»Ich verstehe nicht, dass ein Mann mit einem solchen Abschluss sich damit begnügt, in der Gegend herumzufliegen. Er würde doch jederzeit eine anständige Stellung finden.«

»Du bist ein komisches Mädchen, Janine«, brummte er. »Ist diese Stellung etwa nicht anständig? Ich bin sehr zufrieden mit ihm.«

»Aber an ernsthafter Arbeit ist er anscheinend nicht interessiert.«

Boris Margreiter runzelte die Stirn. »Ist es nicht eine verantwortungsvolle Tätigkeit, mich sicher von Ort zu Ort zu bringen?«

»Er hat aber sehr viel Freizeit«, stichelte sie. »Dafür ist er allerdings sehr gut bezahlt.«

»Ich nehme an, dass er mich eines Tages mit einer Erfindung überraschen wird, für die er in seiner Freizeit recht intensiv arbeitet.«

»Wieso nimmst du das an?«, fragte sie überrascht.

»Weil Kröcher so verdammt gehässig über ihn spricht. Er ist neidisch, weil Faller viel mehr Grips hat als er. Und Kröcher ist nur darauf aus, mein Schwiegersohn zu werden.«

»Ohne Chance, Daddy«, sagte Ja­nine.

»Das wird auch gut sein. Aber jetzt werden wir es packen.«

»Phil wird sich freuen, wenn ich ein paar Tage bleibe und Ordnung in seine Junggesellenbude bringe«, sagte Janine. »Dein Sohn hat nichts von deiner Ordnungsliebe geerbt, Dad.«

»Ich war auch nicht ordentlich, als ich jung war.« Boris lächelte, und solches Lächeln erwärmte Janines Herz, denn sie sah es selten.

Als sie zum Flugplatz kamen, war die Maschine startbereit. Mit einem kritischen Blick stellte Janine fest, dass Bernds Augen nur noch wenig entzündet waren. Einen Kopiloten brauchten sie nicht, da Boris Margreiter selbst einen Flugschein hatte, und Janine war dabei, ihn zu machen.

Ein Mann kam auf die Maschine zugelaufen. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Margreiter«, sagte er atemlos, »würden Sie bitte eine junge Dame mit nach Zürich nehmen? Sie hat die Linienmaschine verpasst. Es handelt sich um einen Todesfall«, stieß er atemlos hervor. »Es ist die Tochter von Professor Perfall.«

Boris Margreiter atmete schneller. »Wollen Sie sagen, dass Perfall gestorben ist?«, fragte er heiser.

»Erschossen von Einbrechern«, erwiderte der Mann. »Frau Perfall hat heute Morgen die Nachricht bekommen.«

»Das ist schlimm«, sagte Janine leise.

»Natürlich nehmen wir sie mit«, sagte Boris Margreiter. Und er ging dem jungen Mädchen entgegen, das fast noch kindlich aussah in dem grauen Lodenmantel.

Er blickte in ein schmales Gesicht, das in Schmerz erstarrt war. In den großen braunen Augen brannten ungeweinte Tränen.

»Ich danke Ihnen, dass Sie mich mitnehmen«, sagte sie bebend.

Auch Janine war näher gekommen. »Kommen Sie, Frau Perfall«, sagte sie, »wir müssen jetzt starten.«

*

Die Maschine war in der Luft, bereits über den Wolken, die unter ihnen dahinjagten.

Boris Margreiter saß neben Bernd. »Es ist unfassbar«, murmelte er. »Ein Mann wie Perfall muss so sterben.«

»Er hat an einer umwälzenden Erfindung gearbeitet«, sagte Bernd heiser. »Ob deshalb bei ihm eingebrochen wurde?«

»Daran habe ich noch nicht gedacht. Sie sind ein Schnelldenker, Faller.«

»Nur so eine Idee«, sagte Bernd.

Sie konnten nicht hören, was Janine und Ricarda Perfall miteinander sprachen.

»Mami hat sich dort nie sicher gefühlt«, hatte Ricarda mehr zu sich selbst gesagt. »Sie hat es gefühlt, ja, sie muss es gefühlt haben. Wäre sie doch nur in München geblieben.«

»Sie sind in München geblieben«, sagte Janine gedankenvoll.

»Ich studiere«, erwiderte Ricarda tonlos.

»Darf ich fragen, was Sie studieren?«, sagte Janine, um das Mädchen abzulenken.

»Architektur.«

Sie sah aus wie siebzehn, aber Janine erfuhr dann, dass sie bereits einundzwanzig sei. Aber sonst war Ricarda recht schweigsam.

*

Fee Norden erfuhr aus den Rundfunknachrichten von Professor Perfalls Tod. Sie war so erschrocken, dass sie sich verschluckte, und wenn das geschah, bekamen ihre Kinder es mit der Angst. Auch Lenni kam sofort herbeigelaufen, aber Fee hatte sich schon wieder gefangen.

»Hast dich mal wieder verschluckt«, sagte Felix ängstlich.

»Ich bin noch da«, sagte Fee, aber ein Lächeln brachte sie nicht zustande.

Sie hörte dann gar nicht, wie es läutete und Lenni kam. Der Postbote sei da, sagte sie. »Er hat ein Paket für Perfalls, und da ist niemand zu Hause. Ob wir es annehmen.«

Fee zuckte zusammen und ging schnell hinaus. Es war ein kleines Paket, dass der nette, behäbige Paketbote in der Hand hielt. Unwillkürlich fröstelte es Fee. Merkwürdige Gedanken gingen ihr durch den Sinn.

Sie hatten schon öfter Post für die Perfalls entgegengenommen, die ihnen schräg gegenüber wohnten, doch diesmal war Fee aus einem Gefühl der Beklemmung nicht bereit.

»Professor Perfall lebt nicht mehr«, sagte sie tonlos. »Ich habe eben die Nachricht im Radio gehört. Er ist von einem Einbrecher erschossen worden.«

»Allmächtiger«, stöhnte der Mann. »Das ist ja furchtbar!«

Nun war auch Lenni sehr erschrocken.

»Ricarda war doch aber schon ein paar Wochen allein hier«, sagte sie verwirrt.

»Es ist in Zürich geschehen, Lenni.«

Dann, als sie die Briefpost aus dem Kasten holte, fand sie einen Zettel, auf dem flüchtig hingeworfen stand: Vater verunglückt, fliege nach Zürich. Ricarda.

Das hatte sie trotz aller Eile getan, wohl deshalb, dass man sich um ihr Fernbleiben keine Gedanken machte, denn Carla Perfall hatte die Nordens gebeten, ein Auge auf Ricarda zu haben, solange sie auch abwesend sei.

Erst seit einigen Monaten bewohnten sie ihre schöne alte Villa wieder selbst. Nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt waren sie nach München zurückgekehrt, aber schon bald darauf war Professor Perfall nach Zürich berufen worden.

Carla Perfall hatte einmal zu Fee Norden gesagt, dass sie des Umherziehens müde sei, und Fee hatte sogar den Eindruck gewonnen, dass sie auch ehemüde wäre. Aber Carla war eine ganz besonders sympathische, keineswegs aufdringliche Frau. Man sah sich, grüßte, sprach ein paar Worte miteinander, während Richard Perfall tatsächlich wie ein zerstreuter Professor wirkte, der mit seinen Gedanken immer weit entfernt war. Aber als Physiker genoss er einen weltweiten Ruf.

Für die stille, ja, scheue Ricarda hatte Fee besonders viel übrig. Auch sie war zurückhaltend, aber zu den Kindern war sie ganz besonders reizend. Für sie hatte sie einen Bauernhof gebastelt, den sie erst vor ein paar Tagen gebracht hatte, und der verriet, dass sie nicht nur architektonisches Talent hatte, sondern auch sehr gut schnitzen konnte, denn zur Begeisterung der Norden Kinder waren in dem Bauernhof auch alle Tiere vorhanden, die man sich in einem solchen vorstellte.

Wie sehr mochte der tragische Tod des Vaters dieses empfindsame Mädchen wohl treffen? Darüber sprach Fee Norden lange mit ihrem Mann, doch wie sie es sich dachte, war es nicht.

Ricarda machte sich jetzt nur Sorgen um ihre Mutter. Das Flugzeug war gut gelandet. Nicht den kleinsten Zwischenfall hatte es gegeben. Zu Janines Überraschung war ihr Vater entschlossen, Ricarda selbst zu ihrer Mutter zu bringen.

»Das kann ich doch tun, Dad«, sagte sie.

»Nein, das tue ich. Ihr könnt schon zu Phil fahren. Wir treffen uns dort, damit ich Herrn Faller noch Order für den Rückflug geben kann.«

Nun war Janine noch mehr überrascht. »Soll er nicht hierbleiben?«, fragte sie.

»Wir werden später darüber sprechen«, sagte Boris Margreiter kurz.

Janine zuckte die Schultern. »Dann fahren wir jetzt zu meinem Bruder«, sagte sie zu Bernd Faller. »Wie der Chef befiehlt.«

»Perfalls Tod scheint ihn sehr zu beschäftigen«, bemerkte Bernd.

»Immerhin hat er auch für uns gearbeitet«, sagte Ja­nine. »Es liegt zwar schon einige Zeit zurück, aber er war schließlich ein bedeutender Mann, wenn auch ein sehr schwieriger.«

Sie ärgerte sich gleich darauf, dass sie das gesagt hatte. Sie wollte sich nicht in ein Gespräch mit Bernd Faller einlassen. Sie hatte ihre Vorurteile gegen ihn, aber gleichzeitig war sie doch von ihm beeindruckt. Und dagegen lehnte sie sich auf.

Sie waren schnell bei ihrem Bruder angekommen, der eine sehr hübsche Dreizimmerwohnung bewohnte, die jedoch genauso aussah, wie Janine es sich vorgestellt hatte.

»Dad zu Ehren hättest du wenigstens aufräumen können«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Ich bin froh, dass ich einmal in der Woche eine Putzfrau bekomme, und die kommt erst übermorgen«, erwiderte er lässig. »Und ihr werdet ja sowieso im Hotel wohnen.«

Dann begrüßte er Bernd mit einem leichten, spöttischen Grinsen, das aber doch seinen Charme hatte.

Philip Margreiter hatte ein schmales, unregelmäßiges Gesicht, das immer einen ironischen Zug hatte. Er hatte auch keineswegs ein gewinnendes Benehmen, und gut aussehend konnte man ihn wirklich nicht bezeichnen. Aber er hatte hellwache, kluge Augen, und wenn man sich von Äußerlichkeiten nicht beeindrucken ließ, entdeckte man manche Vorzüge an ihm, die Bernd jedoch schon bekannt waren.

Als Janine in der Küche verschwand, sagte Philip leise zu Bernd: »Diese Festung ist nicht leicht zu erobern, aber es lohnt sich, nicht zu schnell zu kapitulieren.« Worauf Bernd sehr verlegen wurde und für sich dachte, dass Philip Margreiter wohl auch Gedanken lesen könne. Aber es freute ihn zugleich, dass Phil einen fast freundschaftlichen Ton anschlug.

Schon wenig später kam Janine mit starkem, frisch gebrühtem Kaffee.

»Na, verhungern kannst du jedenfalls nicht«, sagte sie zu ihrem Bruder, auf seine Kühlschrankvorräte anspielend. »Ich möchte nur wissen, wo du das alles hinisst.«

Dass er Unmengen verdrücken konnte, stellte sich auch gleich heraus. Dabei war er sehr schlank.

»Was macht Dad eigentlich?«, erkundigte sich Phil beiläufig. Nun erklärte es ihm Janine, und seine Augen wurden schmal.

»Das war doch nicht nur ein Einbrecher«, sagte er düster.

»Du meinst mehrere? Ein Raubüberfall?«, fragte Ja­nine.

»Jedenfalls hat man es wohl auf etwas Bestimmtes abgesehen«, sagte Phil. »Wertsachen sind in dem kärglichen Haus doch nicht zu finden.«

Darauf herrschte sehr nachdenkliches Schweigen.

*

Man konnte die Einrichtung dieses Hauses wirklich kärglich nennen und musste sich fragen, wie eine so kultivierte Frau wie Carla Perfall es darin überhaupt ausgehalten hatte.

Ricarda war jedenfalls überrascht, dass Boris Margreiter ihre Mutter bereits kannte.

»Wir haben uns anlässlich eines Empfanges in Valencia kennengelernt«, erklärte Carla ihrer Tochter. »Da warst du noch ein kleines Mädchen.«

Merkwürdig gefasst erschien Carla. »Sie haben ihn schon weggebracht«, sagte sie tonlos. »Das Haus wird jetzt gründlichst durchsucht.«

Ricarda sah ihre Mutter verständnislos an. Wahrscheinlich konnte sie gar nicht begreifen, dass sie so ruhig bleiben konnte. »Wann ist es passiert?«, fragte sie bebend.

»Gegen zwei Uhr. Ich bin erst aufgewacht, als die Schüsse fielen.«

»Es waren mehrere Schüsse?«, fragte Margreiter.

Carla nickte. »Ich möchte jetzt nicht mehr sagen. Vielleicht können wir in anderer Zeit eine Verabredung treffen, Boris.«

Ricarda hielt den Atem an, als ihre Mutter Margreiter beim Vornamen nannte. »Sie können immer auf mich zählen, Carla«, erwiderte er

»Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, sonst werden Sie auch hineingezerrt.«

Ein wuchtiger Mann erschien nämlich in der Tür, der Margreiter und Ricarda durchdringend musterte.

»Meine Tochter Ricarda«, stellte Carla vor. »Kommissar Frohmann. Herr Margreiter war so freundlich, meine Tochter in seinem Privatflugzeug herzubringen, da sie die Linienmaschine verpasst hatte.«

»Margreiter und Sohn?«, fragte der Kommissar überrascht

»Ganz recht«, erwiderte Boris Margreiter kühl. »Ich muss mich verabschieden, denn ich habe wichtige Konferenzen.«

Er konnte Carla nicht mehr sagen, wo er zu erreichen sein würde, aber er blinzelte ihr zu, und dann verabschiedete er sich sehr höflich und formell. »Besten Dank, Herr Margreiter«, sagte Ricarda schüchtern.

»Es war selbstverständlich, gnädige Frau«, sagte er. Er küsste Carla die Hand und dann kam ihm doch eine Idee. »Falls ich Sie mit nach München zurücknehmen kann, verständigen Sie mich bitte unter dieser Nummer.« Er schrieb sie schnell auf. »Ich werde einige Tage in Zürich verbringen.«

»Sie sind mit der Familie bekannt?«, fragte der Kommissar.

»Nur flüchtig«, erwiderte Boris. »Wir haben uns viele Jahre nicht mehr gesehen. Es war ein bloßer Zufall, dass Frau Perfall von der Flugleitung zu meiner Maschine gebracht wurde.«

»Seltsame Zufälle gibt es«, brummte der Kommissar.

Boris sah ihn scharf an. »Damit wir uns recht verstehen, ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass Professor Perfall in Zürich lebt.«

Was soll das alles nur bedeuten, fragte sich Ricarda verwirrt. Sie jedenfalls dachte, dass es sich tatsächlich um einen Einbrecher gehandelt hätte, der in Panik schoss. Carla dachte das schon seit Stunden nicht mehr. Und Boris Margreiter hatte ganz böse Ahnungen.

Jedenfalls hatte er schon um zwei Uhr eine wichtige Konferenz, und er konnte sich nicht lange bei seinem Sohn aufhalten; von dem er dann sogar verlangte, dass er ihn begleiten solle.

»Und wenn ich wieder einen Wurm reinbringe, Dad?«, fragte Phil kühl.

Das ist mir auch egal, aber ich habe einen ständigen Begleiter«, erwiderte der Ältere ruhig. »Du, Janine, kannst inzwischen ja einen Stadtbummel mit Herrn Faller machen. Er kann die Nacht bei Phil verbringen, wir wohnen in unserm Hotel. Ich möchte Sie heute Abend noch sprechen, Herr Faller.«

*

»Er ist ganz schön durcheinander«, stellte Janine fest, als Vater und Sohn die Wohnung verlassen hatten. »Gut, ich schlage vor, dass wir erst mal normal essen. Das Zeug, was Phil einlagert, ist nicht mein Geschmack. Typische Junggesellenkost. Hoffentlich bekommt er mal eine vernünftige Frau, die ihn ein bisschen aufpäppelt.«

»Junggesellen nehmen sich eben nicht die Zeit, lange zu kochen, wenn es nicht gerade ihr Hobby ist«, sagte Bernd. »Gestatten Sie mir, dass ich Sie zum Essen einlade? Ich kenne ein Restaurant, das sehr gut ist, und in dem man immer gut bedient wird.«

»Sie sind ja öfter in Zürich als ich«, sagte sie spöttisch. »Ich frage mich nur, warum mein Vater mich diesmal unbedingt mitnehmen wollte, da er jetzt Phils Begleitung befiehlt.«

»Vielleicht hängt das mit Perfall zusammen«, sagte Bernd nachdenklich.

»Mein Bruder hat jedenfalls ein unglaubliches Talent, sich mit den Geschäftspartnern unseres Vaters anzulegen«, stellte Janine fest.

»Er ist ein ausgezeichneter Techniker, aber kein Diplomat«, sagte Bernd.

»Sie können das beurteilen?«, fragte sie herablassend.

»Ja, das kann ich«, erwiderte er.

»Immerhin hat Phil wenigstens nicht die Ambition, auch Pilot zu werden«, sagte sie anzüglich. »Sie sind doch Diplomingenieur. Wenn Sie schon so gern für meinen Vater arbeiten, warum nicht als solcher.«

»Ich glaube nicht, dass es das richtige Betätigungsfeld für mich geben würde.«

»Ich glaube doch, aber mein Vater ist nun mal darauf erpicht, dass Sie ihn herumfliegen. Aber das werde ich besorgen, wenn ich den Pilotenschein habe, und dann werden Sie arbeitslos, wenn Sie sich nicht beizeiten nach jemandem umsehen, der Ihnen die erwünschte Position gibt.«

Sie hat wirklich Haare auf den Zähnen, dachte er.

»Und warum wollen Sie unbedingt fliegen, wenn Sie sich zu Höherem berufen fühlen?«, fragte er.

Momentan verschlug es ihr die Sprache, aber dann sagte sie mit kühler Stimme ganz lässig, wie es auch die Art ihres Bruders war: »Höher als mit dem Fliegen kann man doch nicht hinaus. So denken Sie wohl auch!«