Dr. Norden Bestseller 138 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 138 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Dr. Daniel Norden war zu einem Patienten, der einen Herzanfall hatte, gerufen worden. In aller Eile verließ er seine Praxis. Am Lift stieß er mit einer superelegant gekleideten Blondine zusammen. Irene Hoffmeister, die hatte ihm gerade noch gefehlt. »Ich will gerade zu Ihnen«, sagte sie mit ihrer schmerzhaft hellen Stimme, die zudem auch stets geschraubt klang. »Ich habe leider keine Zeit, ein dringender Fall, gnädige Frau«, erwiderte er hastig. »Aber ich muss Sie auch dringendst sprechen«, sagte Irene gereizt. »Tut mir leid, Sie müssen warten«, sagte er. Er fuhr schon abwärts mit dem Lift, aber Irene Hoffmeister dachte jetzt auch nicht daran, in der Praxis zu warten. Hatte sie das nötig? Sie stand sowieso auf dem Standpunkt, dass alle springen müssten, wenn sie etwas wünschte. Dr. Norden ärgerte sich in diesem Augenblick schon über einen goldmetalligen Wagen, der ihm die Ausfahrt fast versperrte. Er konnte gerade noch seinen Wagen durch die Lücke dirigieren, aber das kostete auch wieder Zeit. Und dabei ging es um das Leben einer Frau, die dringend gebraucht wurde.

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Dr. Norden Bestseller – 138 –

Die vielen ungeweinten Tränen

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war zu einem Patienten, der einen Herzanfall hatte, gerufen worden. In aller Eile verließ er seine Praxis. Am Lift stieß er mit einer superelegant gekleideten Blondine zusammen. Irene Hoffmeister, die hatte ihm gerade noch gefehlt.

»Ich will gerade zu Ihnen«, sagte sie mit ihrer schmerzhaft hellen Stimme, die zudem auch stets geschraubt klang.

»Ich habe leider keine Zeit, ein dringender Fall, gnädige Frau«, erwiderte er hastig.

»Aber ich muss Sie auch dringendst sprechen«, sagte Irene gereizt.

»Tut mir leid, Sie müssen warten«, sagte er.

Er fuhr schon abwärts mit dem Lift, aber Irene Hoffmeister dachte jetzt auch nicht daran, in der Praxis zu warten. Hatte sie das nötig? Sie stand sowieso auf dem Standpunkt, dass alle springen müssten, wenn sie etwas wünschte.

Dr. Norden ärgerte sich in diesem Augenblick schon über einen goldmetalligen Wagen, der ihm die Ausfahrt fast versperrte. Er konnte gerade noch seinen Wagen durch die Lücke dirigieren, aber das kostete auch wieder Zeit. Und dabei ging es um das Leben einer Frau, die dringend gebraucht wurde. Um Amanda Rüttgens Leben.

Dreiundvierzig war sie, Mutter von vier Kindern, gut und glücklich verheiratet, aber eben mit diesem Herzfehler behaftet. Sie muss sich jetzt unbedingt für einen Herzschrittmacher entschließen, dachte Dr. Norden, als er das hübsche Reihenhaus betrat, das die Rüttgens bewohnten. Alle waren sie versammelt. Franz Rüttgen, schrecklich aufgeregt, wie immer, wenn so ein Anfall bei seiner Frau kam, Jan, mit zweiundzwanzig der älteste Sohn, der Jura studierte, Annette zwanzig, die Kindergärtnerin war und dann die zehnjährigen Zwillinge Axel und Petra, die ihrer Mutter bei der Geburt viel Kraft gekostet hatten.

»Diesmal bringen wir Sie aber ins Herzzentrum, Frau Rüttgen«, sagte Dr. Norden, nachdem er der Patientin eine belebende Spritze gegeben hatte.

»Es wird bestimmt besser, Mandy«, sagte Franz Rüttgen mit schwerer Stimme beruhigend. »Ganz bestimmt wird es das Beste sein, Dr. Norden weiß schon, was am besten ist.«

Man spürte, wie besorgt und unsicher er war, und die vier jungen Rüttgens sahen den Arzt ängstlich an.

»Es wird besser werden«, sagte Dr. Norden tröstend. Er hoffte es von Herzen für diese tapfere Frau, für ihre Familie.

Der Ambulanzwagen kam. Herr Rüttgen fuhr mit seiner Frau. Dr. Norden sagte dem begleitenden Notarzt Bescheid, gab ihm genaue Anweisungen. »Ich werde mit Professor Biebrich sprechen«, versprach er. Doch kaum saß er in seinem Wagen, meldete sich das Autotelefon.

»Unfall Ecke Tannenstraße«, sagte Lonis aufgeregte Stimme. »Ein Kind, Chef.«

Und schon fuhr er dorthin. Es waren nur ein paar Minuten. Der Streifenwagen war schon da, aber auf einen Arzt würde noch gewartet. Dr. Norden war bekannt, man drängte die Neugierigen zurück. Da lag das Kind, und Dr. Norden blieb das Herz fast stehen.

»Angelina«, murmelte er, sich herabkniend. Die kleine Angelina, seit einigen Wochen die Spielgefährtin seiner Kinder, war schwer verletzt.

Zum Glück kam der zweite Notarztwagen nun auch. »Schnellstens in die Behnisch-Klinik«, sagte Dr. Norden. »Höchste Lebensgefahr. Ich komme nach.«

Und als er zu seinem Wagen eilte, hörte er, wie jemand aufgeregt sagte: »Es war so ein Luxuswagen, so goldmetallic, aber sie ist weitergefahren.« Er konnte sich jetzt nicht darum kümmem, denn ihm war das Leben der kleinen Angelina Canaletto wichtiger. Das Kind wurde sofort in den Operationssaal gebracht. Dr. Dieter Behnisch sah seinen Freund Daniel kommen. »Könntest du assistieren, Dan?«, fragte er kurz. »Jenny hält es nicht durch, wenn es um ein Kind geht.«

Daniel nickte. »Ruf in der Praxis an, Jenny«, sagte er zu Frau Dr. Behnisch, die kreidebleich und zitternd an der Wand lehnte. So hatte Dr. Norden die sonst so tatkräftige Chirurgin noch nie gesehen. Sie nickte geistesabwesend.

*

Loni musste die Patienten wegschicken. Es waren keine schweren Fälle. Ein paar wollten warten, aber Loni sagte, dass Dr. Norden bei einer schweren Operation zugegen sein müsse. Gemurrt wurde nicht, aber bedauert wurde der Dr. Norden, weil er überall sein musste.

Im Operationssaal herrschte lautlose Stille, die nur durch das leise Klappern der Instrumente unterbrochen wurde, und es herrschte Angst, da es um das Leben eines unschuldigen Kindes ging, das hier wohlbekannt war, denn Angelina war erst vor einem halben Jahr in der Behnisch-Klinik am Blinddarm operiert worden Man kannte ihre Mutter Eva, die dieses Kind abgöttisch liebte, das ihr geblieben war aus einer glücklosen Ehe mit dem italienischen Autorennfahrer, dem nur eine kurze Karriere beschieden gewesen war, bis ein schrecklicher Unfall sein noch so junges Leben beendete. Und nun war das Kind auch von einem Auto überfahren worden, dessen Fahrer auch noch Unfallflucht begangen hatte.

Jemand hat gesagt, dass es eine Fahrerin war, ging es Dr. Norden ganz flüchtig durch den Sinn, aber gleich war er wieder konzentriert, denn Angelinas Herzschlag setzte aus. Das Kind musste sofort künstlich beatmet werden.

Während die Ärzte um dieses kleine Leben kämpften, wurde Eva Canaletto die Nachricht von einem jungen Polizeibeamten gebracht. Eva verdiente sich den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind als Chemielaborantin. Sie verdiente nicht schlecht. Angelina war in einem privaten Kindergarten gut aufgehoben. Mittags wurde sie von Evas Tante vom Kindergarten abgeholt, doch ausgerechnet an diesem Tag hatte Tante Lotte nicht rechtzeitig da sein können. Sie war in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu tätigen, und dann war die S-Bahn wegen eines technischen Defektes über eine Stunde ausgefallen. Wie so oft im Leben, kamen unglückliche Umstände zusammen und führten zu einem Drama.

Evas Gesicht war angstverzerrt, als man ihr sagte, was mit Angelina passiert war. Der junge Polizeibeamte wollte sie zur Behnisch-Klinik bringen. Der Syndikus Dr. Dirk Hoffmeister sah, wie dieser Eva zum Streifenwagen führte. Er lief hinaus. »Was ist passiert, Ev?«, stieß er impulsiv hervor.

Sie schüttelte nur den Kopf. »Die Tochter ist überfahren worden«, sagte der junge Beamte.

Dr. Hoffmeister taumelte rückwärts. Eva sah ihn nicht an. Der Streifenwagen fuhr davon. Dr. Hoffmeister blickte ihm nach. Das doch nicht, nein, das nicht auch noch, dachte er.

Geistesabwesend kehrte er in sein Auto zurück. »Ihre Frau will Sie sprechen«, sagte seine Sekretärin. »Sie ruft schon zum dritten Mal an.«

Er wollte eigentlich ablehnen, aber dann überlegte er es sich anders. »Stellen Sie zu mir durch«, sagte er tonlos.

Irenes schrille Stimme tönte an sein Ohr. »Ich bin außer mir, Dirk, du kannst mir doch wenigstens sagen, wenn du meinen Wagen benutzt.«

»Ich habe ihn nicht benutzt«, erwiderte er, »rede nicht wieder solchen Unsinn. Du solltest mal einen Psychiater aufsuchen.«

»Ich lasse mir solche Unverschämtheiten nicht mehr bieten«, kreischte sie. »Ich lasse mich scheiden, aber das wird dich allerhand kosten.«

»Das ist mir ganz egal«, sagte er heiser und legte den Hörer auf.

O Gott, dieses Weib, dachte er, wie konnte ich sie nur heiraten! Wie konnte ich das acht Jahre ertragen! Aber schnell dachte er etwas anderes. Was ist mit Angelina, wie kann ich Eva helfen. Was kann ich nur tun, um sie nicht ins Gerede zu bringen.

*

Eva saß im Ärztezimmer. Jenny Behnisch war bei ihr, doch auch sie hatte den Schock noch nicht überwunden.

»Sie dürfen die Hoffnung nicht verlieren, Ev«, sagte sie leise. »Sie lebt ja.«

Noch, dachte Jenny, denn sie war sich der Schwere der Verletzungen wohl bewusst. Und wenn die Gehirntätigkeit zu lange aussetzte, würde Eva auch das Überleben ihres Kindes nicht aus der Verzweiflung helfen, denn dann fing solche erst richtig an. Jenny wusste um das Leid vieler Mütter, die behinderte Kinder hatten.

»Wie ist das nur passiert? Wo ist Tante Lotte?«, murmelte Eva.

Und während sie zwischen Hangen und Bangen schwebte, irrte Lotte Hartlinger durch die Gegend und suchte Angelina.

Angelina war ein braves Kind. Sie lief nicht einfach davon, wenn Lotte auch mal zu spät kam. Heute war es allerdings fast eine Stunde zu spät, und da Mittvoch war, hatte der Kindergarten geschlossen. Es war niemand mehr anwesend gewesen. Es war ja ein privater Kindergarten. Es war mit den Eltern so abgesprochen worden, dass der Mittwochnachmittag zur Erholung der Kindergärtnerinnen dienen sollte.

Tante Lotte stand wieder an der Kreuzung und überlegte, wen sie fragen könnte. Da hörte sie, wie jemand sagte: »Das war ja vorhin ein schrecklicher Unfall mit dem Kind. Und wieder mal Unfallflucht.«

Tante Lotte wurde es schlecht. Sie trat auf die beiden Damen zu. »Verzeihen Sie, Sie sprachen von einem Unfall«, sagte sie. »Handelte es sich vielleicht um ein kleines Mädchen?«

Ihre Stimme bebte. Und es war ihr, als täte sich der Boden unter ihr auf, als die eine Dame sagte: »Ja, es war ein kleines Mädchen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man kleine Kinder allein auf die Straße schickt.«

Lieber Gott, lass es nicht Angelina sein, dachte Tante Lotte während sie weitertaumelte. Warum bin ich nur in die Stadt gefahren, warum musste die S-Bahn heute so viel Verspätung haben. Und auch ihr Kreislauf machte nicht mehr mit. Sie schaffte es gerade noch bis Dr. Nordens Praxis. Denn Dr. Norden kannten sie ja so gut. Er hatte ihre kleine Angelina immer betreut. Doch heute saß nur Loni da, und ihr war auch nicht wohl zumute, schon gar nicht, als Lotte Hartlinger fast über die Schwelle fiel. Sie musste sich höllisch zusammennehmen, um nicht gleich mitzuweinen, als Lotte herausschluchzte: »Ich suche Angelina, ich habe solche Angst.«

Loni wusste, dass es um Lottes Gesundheit auch nicht gut bestellt war. Sie hatte ein schweres Magenleiden, und auch die Schilddrüse war nicht in Ordnung. Deshalb hatte sich Eva ja auch entschlossen, das Kind halbtags in den Kindergarten zu geben, denn Angelina war ein aufgewecktes, wissensdurstiges Kind.

»Setzen Sie sich erst mal, Frau Hartlinger«, sagte sie, »und nun bekommen Sie ein paar Tropfen.«

»Sie wissen etwas«, stöhnte Lotte. »Es war unsere Angelina, die überfahren worden ist. Ich habe von dem Unfall gehört.«

»Sie dürfen sich jetzt nicht aufregen, Frau Hartlinger. Angelina ist in der Klinik, Dr. Norden ist auch bei ihr. Es wird schon alles für das Kind getan.«

»Was kann mir das helfen«, schluchzte Lotte auf, »ich war nicht da. Die S-Bahn war schuld. Ich wollte doch die Turnkleidung für unsere Kleine kaufen. Hier ist alles so teuer. Und dann hatte die S-Bahn so viel Verspätung.« Alles, was sie quälte, schluchzte sie zusammenhanglos heraus. »Und was wird Ev sagen. Sie hat sich doch immer auf mich verlassen.«

*

»Wenn nur Tante Lotte nicht auch etwas passiert ist«, sagte Eva indessen tonlos. »Es hat einen Grund, dass sie Angelina nicht abholte.«

Doch da bekam Jenny den Anruf von Loni, dass Tante Lotte jetzt in der Praxis ohnmächtig geworden sei. »Ich kenne sie ja«, sagte Loni. »Ich weiß, was für Medikamente Dr. Norden gibt. Sie hat sich nur schrecklich aufgeregt. Ist ja auch verständlich. Wie geht es dort?«

»Wir wissen es noch nicht«, sagte Jenny. »Ich rufe dann an. Schicken Sie sie nicht her, Loni.«

Dann ging sie zu Eva zurück. »Ihre Tante Lotte ist in der Praxis. Loni betreut sie«, sagte sie. »Die S-Bahn hatte so viel Verspätung, hat Loni gesagt.«

»Arme Tante Lotte«, flüsterte Eva, »es ist einfach alles zu viel für sie. Sie ist so gut.«

Wie lieb sie in allem Schmerz ist, dachte Jenny. Sie denkt nicht nur an sich, und sie macht keine Vorwürfe. Warum wird gerade dieses liebe Geschöpf so gestraft?

Ja, oft stellte man sich in solchen Situationen die verzweifelte Frage nach dem Warum. Doch Eva Canaletto, geborene Hartlinger, war besonders hart gestraft worden in ihrem noch so jungen, erst fünfundzwanzigjährigen Leben.

Ihr Vater, der Peter Hartlinger, war maßgeblich an der Entwicklung eines neuen Rennwagens beteiligt gewesen. Ein genialer Konstrukteur, wie man sagte, und durch ihn hatte Eva als Achtzehnjährige Sandro Canaletto, den jungen charmanten Rennfahrer kennengelernt, in den sie sich Hals über Kopf verliebte. Und er in die bezaubernde Eva, die ihren Vater oft begleitete. Schon acht Monate später fand eine glanzvolle Hochzeit statt. Sandro fuhr von Erfolg zu Erfolg. Angelina wurde geboren, aber da war Sandro bereits so umschwärmt, dass er nicht mehr der treue Ehemann war wie anfangs.

Peter Hartlinger wurde zornig auf seinen Schwiegersohn, der dann, schon sehr erfolgbewusst, zu einer anderen Firma wechselte. Das Ende dieser Ehe schien schon vorprogrammiert, da ereilte Eva der erste harte Schicksalsschlag. Ihr Vater starb an einem Herzinfarkt. Und er hatte das meiste Geld in Aktien angelegt, die an Wert verloren hatten. Von diesen Aktien wollte Eva gar nichts mehr wissen, weil Sandro ihren Vater dazu überredet hatte. Dann, aber schon bald, folgte der zweite Schicksalsschlag. Sandro verunglückte bei einem Rennen in Amerika tödlich. Und Eva erfuhr, dass ein Teil seiner Lebensversicherung einem unehelich geborenen Sohn zugesprochen werden sollte, der gerade vier Wochen auf der Welt war. Seine Mutter war eine Schlagersängerin, die einen Brief vorweisen konnte, in dem Sandro ihr versprochen hatte, sie nach seiner Scheidung zu heiraten. Träume, Illusionen waren für Eva in Rauch aufgegangen, aber am schlimmsten hatte sie doch der Tod ihres Vaters getroffen.

Ihre Rettung war die gute Tante Lotte, die unverheiratete Schwester ihres Vaters, die in dem kleinen, aber gemütlichen Elternhaus lebte und die bis zu ihrer vorzeitigen Pensionierung als Lehrerin sehr sparsam gelebt hatte. Sie hatte nicht viel Verständnis für ihren Bruder gehabt, der mit den Autos verheiratet gewesen wäre, wie sie sagte, umso mehr Liebe brachte sie nun der kleinen Angelina entgegen.

*

Jenny Behnisch schrak zusammen, als die Tür aufging und Dr. Norden herauskam. Angstvoll blickte sie ihn an. Er zuckte die Schultern und ging dann auf Eva zu.

Er nahm ihre Hand und riss sich zusammen. »Wir können jetzt noch nichts sagen, Frau Canaletto, aber wir haben Hoffnung.«

Wie viel, dachte Jenny, die in seinem Gesicht lesen konnte, denn sie waren lange befreundet.

»Darf ich meine Angelina sehen?«, fragte Eva flüsternd. »Mein Engelchen, ich hätte ihr einen anderen Namen geben sollen. Sie soll leben, Dr. Norden. Sie ist alles, was wir haben, Tante Lotte und ich.«

Und in diesem Moment kam ihr nur ein ganz flüchtiger Gedanke an den Mann, dem sie vor zwei Wochen ihr ganzes Herz zugewandt hatte. Dirk Hoffmeister! Vielleicht bekam sie jetzt schon die Strafe dafür, einen verheirateten Mann liebengelernt zu haben.

Aber wie war das gekommen? Daran dachte Eva jetzt nicht. Sie dachte nur an ihr Kind. Sie betete für das kleine, so zärtlich geliebte Leben, doch diese Liebe hatte nichts mit der zu tun, die sie für Dirk empfand. Es war eine andere Liebe, die Liebe einer Mutter, die ihr Kind gewünscht, gewollt und immer geliebt hatte.

Doch Dirk Hoffmeister dachte jetzt daran, wie es dazu gekommen war, dass mit Eva die Hoffnung auf ein bleibendes Glück seine Lebensgeister weckte. Richtig gelebt hatte er schon lange nicht mehr. Blind und leichtfertig hatte er die Ehe mit Irene Warner geschlossen, dieser attraktiven Tochter seines Chefs. Die Initiative war von ihr ausgegangen, die fünf Jahre älter war als er und schon ein paar Verlobungen hatte platzen lassen. Weil er seinen Chef überaus schätzte und weil dieser die Heirat noch forcierte, hatte sich Dirk keine Gedanken gemacht. Er war siebenundzwanzig gewesen und Frauen hatten in seinem Leben bisher nur eine nebensächliche Rolle gespielt. An die große Liebe glaubte er sowieso nicht, dazu dachte er als Jurist viel zu nüchtern, und auch die Ehe seiner Eltern war mehr Gewohnheit gewesen als Verstehen.

Aber in dieser Ehe hatte er nicht nur Irene, sondern die Frauen überhaupt hassen gelernt, bis er dann Eva kennenlernte, dieses sanfte, stille Geschöpf, das doch so mutig das Leben zu meistern verstand.

Er hatte sie gesehen und sofort eine seltsame, ihm unbegreifliche Zuneigung entdeckt. Er hatte ihre Personalpapiere gelesen und sie zuerst daraus besser kennengelernt. Er hatte sie immer wieder beobachtet, aber nie mit ihr mehr als ein paar Worte gewechselt. Das erste Mal waren sie sich nähergekommen, als Angelina am Blinddarm operiert wurde und Eva dann um ein paar Tage Urlaub bat, als die Kleine aus der Klinik entlassen wurde. Er hatte diesen genehmigt, da er zu dieser Zeit alle Vollmachten seines Schwiegervaters hatte, der plötzlich schwer erkrankt war. Diese Vollmachten hatte er wieder, seit sich Ludwig Warner einer längeren Kur auf der Insel der Hoffnung unterzog.

An einem Abend, Eva hatte Überstunden gemacht, weil so viele im Labor krank waren, sah er sie, wie sie im strömenden Regen auf ihren Bus wartete. Da hatte er sie heimgefahren. Und da war dann sofort diese elektrisierende Spannung zwischen ihnen gewesen.

Es war gewiss nicht die Liebe auf den ersten Blick, aber man konnte es als die Erkenntnis nennen, dass sie von einer höheren Macht füreinander geschaffen sein mochten. Jedenfalls hatte Dirk es an diesem Abend schon ganz genau gewusst, dass Eva sein Schicksal war.

Es war keine verzehrende Leidenschaft, es war der Gleichklang zweier Seelen, die viel Schmerz durchlitten hatten.

*

An diesem schicksalhaften Tag war Dr. Dirk Hoffmeister nicht fähig, logisch zu denken. Er wollte zu Eva, er wollte ihr beistehen, koste es, was es wolle. Und weil er nicht wusste, wo Angelina jetzt war, rief er Dr. Norden an.

Der hatte gerade erst sein Haus betreten. Am Mittwochnachmittag hatte er auch keine Sprechstunde, aber eine solche hätte er kaum abhalten können, nach diesen Stunden der Angst um Angelina. Und er wusste nicht, wie er es seiner Frau beibringen sollte, die dieses Kind auch liebengelernt hatte.

Fee Norden war mit den Kindern im Garten. In diesem regenreichen Sommer musste man jede sonnige Stunde ausnützen. So hatte sie ausnahmsweise einmal ihren Mann nicht kommen gehört, der jetzt selbst schneller war, als die gute Lenni, als das Telefon läutete.

»Dr. Hoffmeister?«, fragte Daniel Norden geistesabwesend, und dann wunderte er sich noch mehr, als der andere sich nach Angelina erkundigte.

»Frau Canaletto ist unsere Angestellte«, erklärte Dr. Hoffmeister heiser. »Ich möchte nur wissen, ob Sie zufällig etwas über diesen Unfall wissen.«

»Ja, ich war dort. Ich habe die Kleine in die Behnisch-Klinik bringen lassen. Sie ist schwer verletzt, aber wir hoffen, dass sie am Leben bleibt.«

»O Gott, ist es so schlimm?«, entfuhr es Dirk. »Könnte ich etwas tun? Das Kind soll selbstverständlich die besten Ärzte bekommen.«

Das klang nicht nach der höflichen Erkundigung eines Chefs. Daniel Norden wurde hellhörig.