Dr. Norden Bestseller 140 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 140 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Auf geht's«, sagte Dr. Daniel Norden zu seinen Kindern, die flink auf den Rücksitz des Wagens kletterten. »Omi und Opi freuen sich bestimmt schon mächtig«, sagte die kleine Anneka. »Sie freuen sich aber gar nicht, wenn ihr euch nicht anschnallt«, mahnte Fee. »Brauchen es doch eigentlich nicht zu wissen«, meinte Felix, der der größte Gurtmuffel war. »Mami ist doch keine Petze.« »Und ich bin doch eine, wenn es um die Sicherheit geht«, sagte Fee streng. »Hilfst mir, Mami?«, zwitscherte Anneka. »Ich helfe dir schon«, erklärte Danny fürsorglich. »Bin halt noch klein und dumm«, sagte Anneka mit ihrem liebsten Lä­cheln, »aber Danny ist groß und schlau.« Solches Lob gefiel Danny über alle Maßen. Er wollte der kleinen Schwester sogar den Fensterplatz einräumen, aber darauf verzichtete sie.

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Dr. Norden Bestseller – 140 –

Vergiss, was damals war

Patricia Vandenberg

»Auf geht’s«, sagte Dr. Daniel Norden zu seinen Kindern, die flink auf den Rücksitz des Wagens kletterten.

»Omi und Opi freuen sich bestimmt schon mächtig«, sagte die kleine Anneka.

»Sie freuen sich aber gar nicht, wenn ihr euch nicht anschnallt«, mahnte Fee.

»Brauchen es doch eigentlich nicht zu wissen«, meinte Felix, der der größte Gurtmuffel war. »Mami ist doch keine Petze.«

»Und ich bin doch eine, wenn es um die Sicherheit geht«, sagte Fee streng.

»Hilfst mir, Mami?«, zwitscherte Anneka.

»Ich helfe dir schon«, erklärte Danny fürsorglich.

»Bin halt noch klein und dumm«, sagte Anneka mit ihrem liebsten Lä­cheln, »aber Danny ist groß und schlau.«

Solches Lob gefiel Danny über alle Maßen. Er wollte der kleinen Schwester sogar den Fensterplatz einräumen, aber darauf verzichtete sie. »Da läuft alles so schnell«, erklärte sie tiefsinnig.

Die Kinder sorgten dafür, dass die Fahrt zur Insel der Hoffnung sehr kurzweilig wurde, und dort wurden sie von den Großeltern, Dr. Johannes Cornelius und seiner Frau Anne, schon sehnsüchtig erwartet und freudig empfangen.

Zwei Monate hatten sie sich nicht gesehen, nur miteinander telefoniert, und besonders die Kinder veränderten sich so rasch.

Man genoss es, wieder einmal für ein Wochenende beisammen zu sein. Daniel konnte ein paar Ruhetage brauchen, denn eine Sommergrippe, die sehr stark aufgetreten war, hatte diesmal auch ihn nicht ganz verschont.

Er, der sonst immer für seine Patienten da war, ließ sich auch mal gern verarzten, denn Dr. Cornelius hatte seine eigenen Mittel.

Mario, der Adoptivsohn des Ehepaares, hatte sich schon ganz besonders unterhaltsame Spiele ausgedacht, mit denen er die Kleinen, an denen er mit inniger Liebe hing, beschäftigen konnte, und so hatte Fee Zeit und Muße, sich wieder einmal auf der Insel umzuschauen.

Dr. Jürgen Schoeller und seine Frau Isabel, mit denen die Nordens schon seit vielen Jahren befreundet waren, machten tatsächlich mal Urlaub im Ausland. Sie waren von einem Patienten eingeladen worden, der eine große Hazienda in Brasilien besaß, und dieser Einladung hatten sie doch nicht widerstehen können.

Dr. Schoeller wurde von der jungen Ärztin Dr. Viola Langer vertreten. Fee wusste das freilich, aber sie wollte die Kollegin gern näher kennenlernen, da ihr Vater sie ausdrücklich darum gebeten hatte.

»Sie ist so verschlossen, Fee«, hatte Dr. Cornelius gesagt. »Vielleicht kommst du an sie heran. Sie ist zwar ungeheuer gewissenhaft und auch tüchtig, doch manchmal meine ich, sie bräuchte selbst Hilfe.«

Doch es war wieder mal der Zufall, der ein Kennenlernen möglich machte. Der Name Langer war Fee Norden kein Begriff, der Vorname Viola war noch nicht erwähnt worden, doch als Fee die junge Ärztin aus dem Therapiezentrum kommen sah, schien sich die Zeit um zehn Jahre zurückzudrehen, und jenes Jahr, in dem Fee Cornelius in Heidelberg studiert hatte, wurde lebendig.

Sie war bereits im sechsten Semester gewesen, als die junge Studentin Viola Borg ihr erstes begonnen hatte. Jung, schön, selbstbewusst, war sie bald die Umschwärmteste, denn sie war nicht so zurückhaltend und still wie Fee Cornelius, sondern lebenslustig und dazu so vermögend, dass sie sich alles leisten konnte. Sie wohnte nicht in einer bescheidenen Studentenbude, wie Fee zu jener Zeit, sondern in einem komfor­tablen Zweizimmerappartement. Sie fuhr einen schicken Sportwagen und war sehr großzügig mit ihren Einladungen.

Fee erkannte sie sofort, obgleich sie sich ziemlich verändert hatte und ihr schönes braunes Haar streng zu einem Knoten zusammengeschlungen war.

Fee musste das erst verkraften, aber dann kam Viola plötzlich auf sie zu. Nicht bewusst, wie Fee gleich feststellen konnte, sondern tief in Gedanken versunken.

Sie zuckte zusammen, als Fee leise sagte: »Viola Borg, oder täusche ich mich?«

Sie wusste, dass sie sich nicht täuschte, als sie in die großen dunklen Augen blickte. Sie hatte es schon vorher gewusst, aber Violas Gesicht wurde noch blasser.

»Ich dachte nicht, dass wir uns hier treffen«, sagte sie leise.

»Wenn es Ihnen nicht recht ist, vergessen wir’s«, erwiderte Fee spontan.

»Nein, so war es nicht gemeint«, sagte Viola, und feine Röte stieg in ihre Wangen. »Ich möchte nicht, dass Sie denken, ich sei inkognito hier, Fee. Ich habe inzwischen geheiratet.«

»Ich erwarte doch keine Erklärung von Ihnen, Viola«, sagte Fee. »Ich freue mich über dieses Wiedersehen. Wie schnell doch die Jahre vergehen. Ich bin seit sieben Jahren verheiratet. Wir leben in München.«

»Ich weiß«, nickte Viola. »Ich wusste auch, dass Dr. Cornelius Ihr Vater ist. Diese Insel ist die Verwirklichung eines Traumes.«

»Den mein verstorbener Schwiegervater träumte, ohne die Verwirklichung erleben zu dürfen«, sagte Fee leise.

»Ja, ich weiß alles«, flüsterte Viola. »Ich bin dankbar, dass ich hier sein darf. Hätte ich nicht die Vertretung für Dr. Schoeller bekommen, wäre ich als Patientin gekommen.«

Sie wandte sich hastig ab und winkte einem jüngeren Mann zu, der auf Krücken gestützt aus dem Kurmittelgebäude kam

»Ich muss mich um den Patienten kümmern«, sagte sie überstürzt, »aber wenn Sie gegen Abend Zeit hätten, würde ich gern mit Ihnen sprechen, Frau Norden.«

»Sehr gern, aber Sie können ruhig weiterhin Fee sagen.«

In Gedanken versunken ging Fee den Weg zurück. Sie traf Anne allein an. Sie hatte gerade ein Telefongespräch beendet. Die Kinder spielten draußen, man hörte ihr Lachen.

»Daniel schläft«, sagte Anne.

»Er hat es verflixt nötig«, meinte Fee. »Schnell eine Frage, Anne, wie ist Viola Borg zu euch gekommen?«

»Du kennst sie unter ihrem Mäd­chennamen?«, staunte Anne. »Sie ist seit zwei Jahren verheiratet.«

»Erzählst du mir mehr?«, fragte Fee.

»Du findest ihre Papiere in der Kartei, Fee. Ich habe den Kindern eine Runde Minigolf versprochen.«

Es war verständlich, dass sie sich lieber mit den Kindern beschäftigen wollte, da sie ja so selten da waren, anstatt sich mit der Ärztin zu befassen, die auch Anne so manches Rätsel aufgab. Aber bei Fee war es nicht Neugierde, dass sie sich informieren wollte. Ihr war es schleierhaft, wie sich eine junge, attraktive, überaus charmante und lebensfrohe Frau so verändern konnte.

Sie fand die Papiere rasch. Aus der Bewerbung ging nicht viel hervor, nur dass sie bisher in der Praxis ihres Mannes in einer norddeutschen Großstadt praktiziert hatte, aber dringend einen Klimawechsel brauche.

Anne hatte dazu einige Notizen gemacht, wohl auf Grund des persönlichen Gespräches mit Viola.

Ehemann Dr. Dirk Langer, Internist. Krise? Anscheinend auch Differenzen mit der Schwiegermutter. Braucht wohl auch Hilfe.

Mit solchen Randbemerkungen gab Anne ihren Kommentar und Hinweise für ihren Ehemann, der meist ihr die Entscheidungen bei Bewerbungen überließ.

Fee ließ sich auch auf der überdachten Sonnenterrasse nieder, auf der Daniel tief schlummerte. Sein Gesicht war ganz entspannt. Sie freute sich darüber. Dann dachte sie über Viola nach. Damals war diese so umworben gewesen, dass eigentlich niemand geglaubt hatte, dass sie ihr Studium zu Ende führen würde. Und Fee war auch ziemlich erstaunt darüber, dass sie sogar einen Arzt geheiratet hatte.

Nun, es war müßig, sich den Kopf zu zerbrechen, was Viola zu dem Entschluss getrieben hatte, hier eine Stellung anzunehmen. Wenn Viola es erzählen wollte, würde sie es erfahren. Fee dachte jetzt mehr an die Bemerkung, dass sie als Patientin gekommen wäre, wenn sie die Stellung nicht bekommen hätte. Also hatte sie Hilfe gebraucht.

Zur Teezeit kam Anne, erhitzt und mit geröteten Wangen. »Die kleinen Trabanten halten einen ganz schön in Trab«, sagte sie lachend.

»Und wir faulenzen«, sagte Fee.

Daniel ließ sich dadurch nicht stören.

»Er ist dann wenigstens munter, wenn wir beisammensitzen«, meinte Anne nachsichtig. »Die Kinder finden Tee ziemlich langweilig. Sie bekommen Kuchen und Kakao. Wir kommen ja auch mal ohne unsere Männer aus.«

Fee war das sogar willkommen. Es hätte ihm sicher nicht gefallen, dass sie sich schon wieder mit Problemen anderer befasste.

»Bekommt Viola Post?«, fragte sie.

Anne lächelte flüchtig. »Hab ich es mir doch gedacht, dass ich ausgefragt werde. Nein, sie bekommt keine. Ich habe mir natürlich auch schon Gedanken gemacht, Fee. Aber als Ärztin ist sie ohne Bedenken zu akzeptieren.«

»Das wiederum überrascht mich sehr. Ich will offen sein, Anne. Ich lernte sie als junge Studentin in Heidelberg kennen. Da wirkte sie auf mich und wohl auch auf andere mehr als ein intelligentes Luxusgeschöpf, das sich Illusionen über den Arztberuf machte, aber ausgezeichnete Abiturnoten verwerten wollte. Ich will nicht sagen, dass sie flatterhaft war, aber doch wie ein Schmetterling angesehen wurde, immer bezaubernd, immer Mittelpunkt. Der Vater ist oder war Großindustrieller, der ihr anscheinend jeden Wunsch erfüllte. Man blickte neidvoll auf sie.«

»Du doch nicht, Fee.«

»Ich hatte ja nur den einen Wunsch, Ärztin zu werden«, erwiderte Fee, »und ich ahnte nicht, dass ich dann eines Tages ›nur‹ Arztfrau und Mutter sein würde.«

»Sag nur, dass du es bereust.«

»Bis jetzt noch nicht, aber manchmal denke ich doch, dass ich wieder praktizieren möchte, wenn die Kinder größer sind.«

»Das dauert noch seine Zeit.«

»Aber ich möchte auf dem Laufenden bleiben. Jetzt interessiert mich der Fall Viola Langer.«

»Mich auch, das gestehe ich ein, aber ich kann dir nichts sagen. Sie schweigt über ihre privaten Dinge. Sie ist sehr beliebt bei den Patienten, aber mit uns spricht sie auch nur über die Probleme anderer, nicht über ihre eigenen.«

»Ich hoffe, dass ich etwas mehr erfahre, wenn sie es sich nicht anders überlegt. Auf Äußerlichkeiten scheint sie, im Gegensatz zu früher, überhaupt keinen Wert mehr zu legen.«

»Ich finde sie recht ansehnlich«, sagte Anne.

»Du hast sie früher nicht gekannt. Sie war eine strahlende Schönheit.«

»Und so was soll einem Mann dann nicht genügen?«, fragte Anne konsterniert. »Eine gute Ärztin und dazu auch noch schön?«

»Vielleicht genügte es ihr nicht«, sagte Fee nachdenklich.

»Ich habe mich erkundigt. Er hat eine moderne Privatklinik und ist ein sehr angesehener Arzt.«

»Auch das genügt manchmal nicht, wenn sonst alles stimmt«, sagte Fee gedankenverloren.

*

Viel mehr Aufschluss hätte ihr ein Gespräch gegeben, das Dr. Dirk Langer an diesem Tag mit seiner Mutter geführt hatte. Sie war von einer dreiwöchigen Reise zurückgekommen und hatte Viola vermisst. Sie wohnten zusammen in einem großen Haus, das ein berühmter Architekt entworfen hatte und das genau Senta Langers Wünschen und Ansprüchen entsprach, die allerdings erst mit Violas Vermögen verwirklicht werden konnten.

»Wo ist Viola, Dirk?«, fragte sie ihren Sohn, streng und aggressiv zugleich.

»Ich weiß es nicht. Sie wollte allein Urlaub machen«, erwiderte er verlegen.

Sie starrte ihn aus engen Augen an. »War Madeleine hier?«, fragte sie zornig.

»Nein, was du gleich immer denkst«, erwiderte er heiser. »Viola stand einfach nicht mehr unter deiner Fuchtel und da …«, er kam nicht weiter, denn sofort schnitt sie ihm das Wort ab. »Wieso unter meiner Fuchtel?«

»Du merkst es vielleicht gar nicht, dass du hier den Ton angibst, dass du alles bestimmst, dass sie ihre Ansichten gar nicht geltend machen kann, weil sie einen Streit mit dir doch scheut.«

Senta Langer schenkte sich ein Glas Kognak ein und griff nach einer Zigarette. »Ich komme sehr gut mit Viola aus, aber du, du denkst immer noch an Madeleine. Du solltest lieber daran denken, wovor ich dich bewahrt habe. Und Julius Borg hat genau gewusst, was er von seiner jüngeren Tochter zu halten hatte.«

»Aber du hättest nichts dagegen gehabt, wenn ich Madeleine geheiratet hätte, wenn sie die Haupterbin gewesen wäre, Mama.«

»Natürlich nicht. Fragt sich nur, ob sie dich geheiratet hätte«, erklärte Senta Langer eisig. »Lass dir endlich den Zahn ziehen, Dirk, Madeleine wäre nie eine Arztfrau geworden. Sie brauchte die große Welt. Ich habe von Anfang an gewusst, dass du deine Gefühle verschwendest. Du kannst von Glück sagen, dass Viola dir ihr Herz zuwandte.«

»Ihr Herz? Ihren Ehrgeiz, meinst du wohl.«

»An dem es dir fehlte, weil du lieber mit Madeleine durch die Welt gereist wärest.«

Er zuckte zusammen. »Ich kannte Viola nicht, Mama«, sagte er gepresst. »Ich lernte sie erst durch Madeleine kennen. Wahrscheinlich wäre es zwischen uns nicht zu Spannungen gekommen, wenn du dich nicht in alles eingemischt hättest.«

»Nun willst du mich verantwortlich machen«, sagte sie empört. »Ich bin verreist, damit du ein paar Wochen mit Viola allein sein solltest, und was geschieht?«

»Es ist überhaupt nichts geschehen. Sie hat ihren Koffer gepackt und ist weggefahren. Und das hatte sie wahrscheinlich schon länger geplant.«

Er wirkte deprimiert, aber das nahm seine Mutter nicht zur Kenntnis. »Du machst in deiner Verblendung alles kaputt, was ich für dich erreicht habe«, warf sie ihm vor. »Und alles wegen Madeleine, alles wegen diesem Flittchen.«

Er hielt sich die Ohren zu und stürzte hinaus. Er fuhr zur Klinik, obgleich er offiziell auch noch Urlaub hatte, obgleich man ihn auch dort fragen würde, wo seine Frau sei. Aber dort hatte er wenigstens Ruhe vor seiner Mutter. Dorthin würde sie ihm nicht folgen, denn wenn es um seinen Ruf ging, war sie sehr auf Diskretion bedacht.

Es war eine kleine Klinik, aber auf das Modernste ausgestattet. Einen großen Teil ihres ererbten Vermögens hatte Viola darin investiert. In gemeinsamer Arbeit hatten sie dieser Privatklinik schnell einen ausgezeichneten Ruf verschafft. Die Vertretung hatte ihr Kollege Dr. Ullrich übernommen, der lange Zeit als Arzt im Irak tätig gewesen war und durch die politischen Wirren dann doch wieder zurückgefunden hatte in die Heimat. Er war äußerst gewissenhaft und sehr beliebt, wie Dirk feststellen konnte. Und schon vorher hatte er festgestellt, dass Viola ihn überaus schätzte.

Ob wohl einige anzügliche Bemerkungen den Anlass gaben, dass Viola so überstürzt die Flucht ergriff? Doch in Dirk Langers Innenleben herrschte eine so heillose Unordnung, dass er keine klaren Gedanken fassen konnte.

Dr. Heinz Ullrich war überrascht, als Dirk plötzlich vor ihm stand. »Seid ihr schon zurück?«, fragte er lä­chelnd. »Haltet ihr es ohne Arbeit nicht aus, oder fehlt es an Vertrauen zu mir?«

»Quatsch«, erwiderte Dirk geistesabwesend. »Ich bin allein zurück. Wie geht es hier? Ich kann wohl tatsächlich nicht ohne Arbeit auskommen.«

Dr. Ullrich machte sich da seine eigenen Gedanken, aber er konnte sich beherrschen. Er dachte nicht daran, sich in die Privatangelegenheiten seines Freundes einzumischen.

»Es gibt zwei Neueingänge, die recht ernst zu nehmen sind«, erwiderte er sachlich. »Wir können uns darüber unterhalten. Und gestern hat Madeleine angerufen. Sie wollte dich sprechen. Ich habe gesagt, dass ihr Urlaub macht. Sie hat eine Telefonnummer hinterlassen.«

»Sie ist hier?«, fragte Dirk fassungslos.

»Ich weiß nicht, wo sie ist. Jedenfalls war sie überrascht, mit mir zu sprechen. Und kurz angebunden war sie auch. Sie hat ausdrücklich dich zu sprechen gewünscht. Ich muss jetzt an die Arbeit, Dirk.«

»Lass dich nicht aufhalten!«

*

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und blätterte in dem Notizblock, in dem von Dr. Ullrich und seiner Sekretärin Rosi Fentsch korrekt alles Wichtige notiert worden war.

Für gestern fünfzehn Uhr stand da: »Anruf Madeleine Borg-Fancetti. Rückruf sofort nach Rückkehr erwartet.« Und die Telefonnummer war doppelt unterstrichen. Den anderen Notizen schenkte Dirk keine Beachtung.

Er ließ sich durch den Kopf gehen, was zwei Tage nach der Abreise seiner Mutter geschehen war, als er schon einen gemeinsamen Urlaub mit Viola geplant hatte.

Am Morgen stand sie reisefertig vor ihm, blass, aber sehr beherrscht. »Es ist sinnlos, dass wir zusammen verreisen, Dirk«, hatte sie tonlos gesagt. »Wir öden uns hier schon an, geschweige denn, wenn wir von früh bis spät beisammen sind. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dies dein Wunsch ist. Ich habe jedenfalls entschieden, einige Wochen allein zu verbringen, um mir über unsere Ehe klar zu werden. Bitte, jetzt keine Diskussion. Ich lasse mich nicht umstimmen.«

Und schon war sie gegangen und nicht mehr zurückgekommen, wie er doch erwartet hatte. Es hatte ihn gewaltig aus dem Gleichgewicht gebracht, geradezu umgehauen. Es war zu unerwartet gekommen, und gerade zu einem Zeitpunkt, an dem er entschlossen gewesen war, ganz offen über all das mit Viola zu sprechen, was Schatten auf ihre Ehe geworfen hatte.

Er war allein weggefahren und hatte unausgesetzt darüber nachgedacht, was in Viola gefahren sein könnte, was den Ausschlag zu ihrem Entschluss gegeben hatte. Er war zu keinem Ergebnis gekommen.

Zur gleichen Zeit saß Viola bei Fee Norden und hatte ihr gesagt, dass sie die Absicht hätte, sich von ihrem Mann zu trennen.

»Und weshalb, Viola?«, fragte Fee sanft.

»Wenn Sie mir die Zeit widmen, werde ich es Ihnen erzählen, Fee«, sagte Viola. »Ich habe nicht gedacht, dass ich überhaupt mit einem Menschen darüber sprechen könnte, aber jetzt bin ich fast froh, dass es doch dazu kommt. Einmal muss ich mich ja entscheiden, und es ist gut, wenn man die Meinung eines Unbeteiligten hört, noch dazu die Meinung einer so klugen Frau. Und ich würde sehr gern hierbleiben, als zahlender Gast sozusagen, aber dass ich mich doch irgendwie nützlich machen könnte. Vielleicht würden Sie ein gu­tes Wort für mich einlegen, wenn Sie meine Geschichte kennen.«

»Wichtig ist es doch, dass Sie nicht alles in sich hineinschlucken, Viola. Mein Gott, was waren Sie für ein lebensfrohes Mädchen!«

»So haben Sie mich also auch gesehen, Fee«, sagte Viola leise, »dabei habe ich eigentlich immer nur Theater gespielt. Es war bei uns so üblich. Jeder belog den andern, keiner durchschaute den andern. Mutter gab sich als die starke, optimistische Frau, obgleich sie jahrelang wusste, dass sie nicht alt werden würde, und weil sie auch wusste, dass Vaters Herz geschädigt war. Er wiederum wollte sich auch keine Schwäche anmerken lassen. Alles wurde mit Glanz und Gloria übertüncht. Meine Schwester Madeleine, zwei Jahre jünger als ich, genoss alles, was uns geboten wurde, in vollen Zügen. Ich erfuhr durch einen Zufall vom tödlichen Leiden meiner Mutter, als ich das Abitur gemacht hatte. Ich entschloss mich, Medizin zu studieren, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ein Mensch, der so lebensfroh wirkte, todkrank sein könnte. Aber ich fand mich auch in die Rolle der optimistischen, flatterhaften Tochter reicher Eltern, und ich glaubte lange, dass Madeleine ihre Rolle genauso spielte, bis ich dann merkte, dass sie dieses Naturell besaß.

Durch Madeleine lernte ich Dirk kennen und seine Mutter. Madeleine hatte ihn auf einem Medizinerball kennengelernt. Sie besuchte alle Feste, zu denen wir Einladungen bekamen. Ich hatte dieses euphorische Stadium schon überwunden, weil meine Mutter mit dem Leben abschließen musste, Madeleine wollte das nicht wahrhaben.