Dr. Norden Bestseller 154 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 154 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Wir gehen jetzt, Mami!« schallte es durch das Haus, und Georgia Schilling sprang von ihrem Schreibtisch auf. Sie stolperte fast, so hastig lief sie in die Diele. »Wohin geht ihr?« fragte sie ihre Töchter Nadine und Jessica. »Wir haben dir doch gestern schon gesagt, daß wir zu einer Party eingeladen sind«, erwiderte Nadine ziemlich schnippisch. »Dein Gedächtnis läßt auch schon nach.« Ja, sie hatten es gesagt, Georgia erinnerte sich. Aber an diesem Tag war soviel auf sie eingestürmt, daß sie es vergessen hatte. Sie nahm sich zusammen und beherrschte sich, obgleich der schnippische Ton von Nadine ihr keineswegs gefallen hatte. »Darf ich fragen, wo diese Party stattfindet?« preßte sie zwischen den Zähnen hervor. »Bei Kai«, erwiderte Jessica, »du kennst ihn doch, Mami.« »Er feiert seinen einundzwanzigsten Geburtstag«, fügte Nadine hinzu. »Und falls dein Gedächtnis dich ganz im Stich lassen sollte, er heißt mit Nachnamen Jennings, und sie wohnen in der gleichen Straße wie die Nordens. Außerdem bin ich zwanzig, und du brauchst dich nicht so anzustellen, wenn wir abends ausgehen.« Georgia straffte sich. »Wie stelle ich mich denn an?« fragte sie. »Ziemlich spießig«, erwiderte Nadine. »Sei doch nicht so«, sagte Jessica leise. »Mami meint es doch nicht böse.« »lch wünsche euch viel Spaß«, sagte Georgia müde. Ja, sie war sehr müde. »Papa wird ja wohl auch bald kommen«, sagte Jessica. »Er wird sich ja für die Forschung nicht ganz aufarbeiten wollen.« »Keine Diskussionen mehr, Jessi, mir hängen sie zum Halse heraus«, sagte Nadine, und gleich darauf fiel die Tür ins Schloß. So ist das Leben, dachte Georgia, man hat es mir ja vorausgesagt,

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Dr. Norden Bestseller – 154 –

Und wäre die Liebe nicht

Patricia Vandenberg

»Wir gehen jetzt, Mami!« schallte es durch das Haus, und Georgia Schilling sprang von ihrem Schreibtisch auf. Sie stolperte fast, so hastig lief sie in die Diele.

»Wohin geht ihr?« fragte sie ihre Töchter Nadine und Jessica.

»Wir haben dir doch gestern schon gesagt, daß wir zu einer Party eingeladen sind«, erwiderte Nadine ziemlich schnippisch. »Dein Gedächtnis läßt auch schon nach.«

Ja, sie hatten es gesagt, Georgia erinnerte sich. Aber an diesem Tag war soviel auf sie eingestürmt, daß sie es vergessen hatte.

Sie nahm sich zusammen und beherrschte sich, obgleich der schnippische Ton von Nadine ihr keineswegs gefallen hatte. »Darf ich fragen, wo diese Party stattfindet?« preßte sie zwischen den Zähnen hervor.

»Bei Kai«, erwiderte Jessica, »du kennst ihn doch, Mami.«

»Er feiert seinen einundzwanzigsten Geburtstag«, fügte Nadine hinzu. »Und falls dein Gedächtnis dich ganz im Stich lassen sollte, er heißt mit Nachnamen Jennings, und sie wohnen in der gleichen Straße wie die Nordens. Außerdem bin ich zwanzig, und du brauchst dich nicht so anzustellen, wenn wir abends ausgehen.«

Georgia straffte sich. »Wie stelle ich mich denn an?« fragte sie.

»Ziemlich spießig«, erwiderte Nadine.

»Sei doch nicht so«, sagte Jessica leise. »Mami meint es doch nicht böse.«

»lch wünsche euch viel Spaß«, sagte Georgia müde. Ja, sie war sehr müde.

»Papa wird ja wohl auch bald kommen«, sagte Jessica. »Er wird sich ja für die Forschung nicht ganz aufarbeiten wollen.«

»Keine Diskussionen mehr, Jessi, mir hängen sie zum Halse heraus«, sagte Nadine, und gleich darauf fiel die Tür ins Schloß.

So ist das Leben, dachte Georgia, man hat es mir ja vorausgesagt, als ich Holger geheiratet habe. Mutter hat es gesagt, Ruth hat es gesagt, nur Vater war stolz, daß sich der junge Professor Schilling für mich entschieden hat. Aber Vater war ja auch besessen von seiner Arbeit. Und bei uns war es auch nicht anders als jetzt.

Knapp zwanzig war sie gewesen und Holger Schilling bereits vierunddreißig, als sie vor den Traualtar traten, aber sie hatte andächtig, ja anbetend zu ihm aufgeblickt. Und dann war sie mit ihm nach Amerika gegangen, wo er in einem Atomforschungszentrum eine führende Stellung hatte.

Nadine kam zur Welt, und sie hatte gar nicht mehr gespürt, wie wenig Zeit ihr Mann für sie hatte, und schon anderthalb Jahre später folgte dann auch Jessica.

Sie war von den lebhaften Kindern voll beansprucht worden. Ja, erst jetzt, neuerdings dachte sie darüber nach, daß sie von einer richtigen Ehe eigentlich gar nichts zu erzählen wüßte. Wie sollte sie da den Kindern einen Vorwurf machen, wenn ihnen der Vater fast ein Fremder geblieben war.

Erst vor fünf Jahren waren sie nach München zurückgekehrt. Leicht hatten es die beiden Mädchen nicht gehabt, sich in die veränderten Verhältnisse zu finden. Leicht war es für sie auch nicht in der Schule gewesen, den Anschluß zu finden.

Und sie selbst? Ja, sie waren wieder in der Heimat. Sie hatte sich drüben nicht wohl gefühlt. Sie hatte sich angepaßt, hatte sich ja immer anpassen müssen. Manchmal war ihr der Gedanke gekommen, daß Holger nur deshalb eine junge Frau genommen hatte, weil diese noch keine eigene Persönlichkeit entwickelt hatte.

Ja, sie waren dann in der Heimat angekommen, lebten nun aber in einer fremden Stadt, in der Georgia wieder keine Freunde hatte. Sie lebten in München, von dem alle Amerikaner schwärmten. Sie hatten ein sehr schönes Haus am Stadtrand, Nadine und Jessica fanden Freunde, und sie fanden München ganz herrlich.

Sie wurden erwachsen, und immer öfter war Georgia allein. Sie fühlte sich frustriert, aber darüber hatte sie bisher nur mit einem einzigen Menschen gesprochen, das war Dr. Daniel Norden.

Ablenken solle sie sich, ins Konzert gehen oder in die Oper, ins Theater, aber allein mochte sie nicht gehen und hier hatte Holger noch weniger Zeit als in den Staaten.

Die Mädchen hatten andere Interessen. Sie gingen lieber in die Disco oder auf Partys, sie machten auch Wochenendausflüge, und Georgia konnte nichts dagegen sagen. Jetzt waren sie ja mündig, wenngleich sie beide noch zur Schule gingen.

Daß sie selbst mal eine Party gaben, erlaubte Holger nicht, so gern Georgia auch die jungen Leute, mit denen ihre Töchter verkehrten, näher kennengelernt hätte. Überhaupt war Holger Schilling in letzter Zeit sehr eigenartig geworden. Oder ich bilde mir das nur ein, weil ich immer mehr spürte, daß dies keine Ehe mehr ist, sagte sich Georgia.

Sie entschloß sich jetzt, einen Abendspaziergang zu machen. Wenigstens einen solchen gönnte sie sich manchmal. Doch da kam ihr Mann nach Hause.

Wieder wurde sie von dieser seltsamen Unruhe ergriffen, als sie ihn auf das Haus zukommen sah. Sehr blaß war er, richtig hager geworden. Die Schultern hingen vornüber, der Blick war zu Boden gesenkt. Sie beobachtete ihn vom Fenster aus und sah, wie er stehenblieb und an seine Brust griff.

Sie lief zur Haustür, aber sie wußte genau, daß sie ihn nicht fragen durfte, ob ihm etwas fehle. Sie kannte die Antwort darauf ganz genau. Was du dir immer gleich einredest, lautete diese.

Doch an diesem Abend sagte er es selbst. »Mir ist nicht gut. Ich weiß überhaupt nicht, was los ist. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich muß etwas aufgeschnappt haben. Um mich herum hustet und nießt ja auch alles.«

»Ich mache dir einen Tee, Holger«, sagte sie.

»Vielleicht habe ich auch Hunger. Ich weiß gar nicht, ob ich heute schon etwas gegessen habe.«

Er war ein richtiger zertreuter Professor geworden. Jessica hatte es vorhin gesagt.

»Was möchtest du essen, Holger?« fragte sie geduldig.

»Was hast du denn da? Und wo stecken unsere Töchter?«

»Sie sind zu einer Party gegangen.«

»Sie haben wirklich nichts anderes mehr im Kopf«, nörgelte er. »Was soll bloß mal aus ihnen werden? Mein Vater hätte mir was erzählt, wenn ich mit zwanzig Jahren noch auf der Schulbank gehockt hätte.«

Er ist wahrscheinlich nie richtig jung gewesen, dachte Georgia, als sie ihm wunschgemäß ein Filetsteak zubereitete.

Aber kaum hatte er einen Bissen gegessen, schob er den Teller von sich.

»Ich habe keinen Hunger«, murmelte er. »Ich bin müde.«

Sie trat hinter ihn und legte ihre Hand auf seine Stirn, aber er wehrte sie heftig ab.

»Rede mir bloß nicht ein, daß ich krank bin. Ich habe noch viel zu tun, und am Montag muß ich in die Staaten fliegen.«

In diesem Zustand? dachte sie, er hat doch sogar Fieber. Aber sie sagte es nicht.

»Für wie lange?« fragte sie.

»Ich weiß es noch nicht. Vielleicht bleibe ich drüben. Ihr kommt dann nach, wenn die Kinder mit der Schule fertig sind.«

Und in diesem Augenblick wurde Georgia zum erstenmal bewußt, daß sie nichts mehr für ihn empfand.

»Ich gehe nicht noch einmal nach Amerika«, entfuhr es ihr.

Er kniff die Augen zusammen. »Das kannst du halten, wie du willst. Ich muß meine gute Zeit noch nützen.«

Gute Zeit? Ein Frösteln kroch über ihren Rücken. Steckt vielleicht eine andere Frau dahinter? fragte sie sich dann. Aber auch das machte ihr nichts aus.

Sie hörte, wie er im Bad gurgelte. Sie betrachtete sich im Spiegel. Eine Frau von vierzig Jahren und sehr ansehnlich war sie. Das konnte sie sich ohne Eitelkeit zugestehen. Sie war mädchenhaft schlank und gut gewachsen. Nadine hatte fast schon ihren Umfang, was dem Mädchen sehr willkommen war, denn gar zu gern zog sie die Kleider ihrer Mutter an.

Auch in bezug auf Nadine hatte Georgia ihre Sorgen.

Sie hatte ihre Heimlichkeiten, selbst wohl vor Jessica. Und es hatte den Anschein, als würde sie Jessica nur mitziehen, um sich durch sie ein Alibi für manches zu schaffen, was sie nicht eingestehen wollte.

Ich muß mit beiden mal reden, dachte Georgia. Es kann doch nicht alles auseinanderbrechen.

Doch wie schnell sollte sie das Gefühl und auch die Gewißheit bekommen, vor einem Abgrund zu stehen!

*

»Ich finde es nicht gut, daß wir Mami so oft allein lassen«, sagte Jessica zu ihrer älteren Schwester.

»Sie kann doch auch was unternehmen«, meinte Nadine gleichmütig. »Sie verkriecht sich in ihrem Bau und ist nur darauf bedacht, bei ihrem Tyrannen nicht anzuecken. Wenn mir ein Mann so etwas bieten würde, dem würde ich etwas erzählen.«

»Du sprichst jetzt von unserem Vater, Nadine«, sagte Jessica, die in vielen Dingen etwas vernünftiger war als die Ältere. »Und was du dir mit Francesco eingehandelt hast, ist wirklich auch nicht gerade das Beste.«

»Hör damit auf, du bist ja nur eifersüchtig«, zischte Nadine. »Er ist der bestaussehende Mann, der mir je begegnet ist.«

»Kommt es bloß darauf an?« fragte Jessica.

»Mach mir bloß keine Vorschriften. Geh du zu deiner Party. Ich hoffe nur, daß du mich bei Mami nicht verrätst.«

»Das würde ich schon deshalb nicht tun, damit sie nicht noch trauriger wird. Ich habe überhaupt keine Lust, zu der Party zu gehen. Alles mache ich nur deinetwegen mit. Aber ich sage dir gleich, daß ich nicht länger als bis Mittemacht bleibe. Wenn du später kommst, mußt du dir eine andere Ausrede einfallen lassen.«

»Dein Name ist Hase, du weißt von nichts«, spottete Nadine. »Nun, du wirst auch noch auf den Geschmack kommen und nicht nur mit diesen Jüngelchen zusammenhocken.«

Jessica blieb stehen. Eine steile Falte erschien auf ihrer klaren Stirn.

»Du wirst das hoffentlich nicht noch gewaltig bereuen müssen, Nadine«, sagte sie aggressiv. »Eines Tages wirst du alles allein ausbaden müssen, und dann mach Mami keinen Vorwurf.«

»Es wird nicht mehr lange dauern, dann bin ich mit Francesco auf und davon«, sagte Nadine spöttisch. »Und wir werden das Leben genießen.«

»Na, dann genieß es mal«, sagte Jessica und ließ ihre Schwester an der S-Bahn stehen. Im Laufschritt eilte sie auf das Villenviertel zu, wo Kai Röding wohnte, wo auch die Nordens ihr Haus hatten. Und sie lief Dr. Norden buchstäblich in die Arme.

Er war gerade aus seinem Wagen ausgestiegen, und Jessica hatte es gar nicht wahrgenommen, weil ihre Augen blind vor Tränen waren.

»Hallo, Jessica«, sagte Dr. Norden, »wohin so eilig? Ist etwas passiert?«

»Nein, ich will zu einer Party. Kai Röding hat Geburtstag«, stammelte sie tonlos.

»Na, dann viel Spaß«, sagte Dr. Norden.

»Danke«, flüsterte sie. »Sie sagen aber bitte Mami nicht, daß Sie mich allein getroffen haben, ohne Nadine.«

»Deshalb die Tränen, Jessica?« fragte er väterlich. »Habt ihr euch gestritten?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist alles so blöd«, sagte sie leise.

»Ihr habt doch eine sehr liebe Mutter«, sagte er nachdenklich.

»Das ist es ja.« Sie blickte zu ihm auf. »Darf ich mal zu Ihnen kommen und Sie einiges fragen?«

»Jederzeit, Jessica. Laß du dir den Spaß nicht verderben. Kai ist ein sehr netter Junge.«

Ja, das war er, aber Jessica wußte, daß er mehr für Nadine übrig hatte. Und sie sah auch dessen enttäuschte Miene.

»Nadine konnte nicht, sie mußte zu einem Vortrag«, schwindelte Jessica. »Ich wünsche dir viel Glück für das neue Lebensjahr, Kai.« Sie drückte ihm ein kleines Päckchen in die Hand, das sie aus der Manteltasche genommen hatte.

»Vielen Dank, Jessi«, sagte er leise. »Große Stimmung herrschte heut nicht.«

»Das macht das Wetter«, sagte sie. »Ich habe auch Kopfschmerzen.«

»Alles kann man nicht auf’s Wetter schieben. Na, komm, es wird schon lustiger werden.«

Er war nicht viel größer als sie, ein sympathischer blonder Junge, der schon im vierten Semester Jura studierte.

Nadine nannte ihn abfällig einen Streber, aber Jessica mochte ihn. Nicht, daß sie verliebt in ihn gewesen wäre, aber sie unterhielt sich gern mit ihm. Und sie mochte vor allem seinen Vater, der so jung wirkte und alles mitmachte, während Inge Röding unverdrossen für das leibliche Wohl der jungen Gesellschaft sorgte. Ja, so stellte sich Jessica ein richtiges Familienleben vor.

An diesem Tag war auch Kais älterer Bruder Markus anwesend. Er studierte in Heidelberg Medizin. Es war mehr ein besinnliches Familienfest, als eine Party, und Jessica konnte sich vorstellen, daß Nadine sich darüber mokiert hätte.

Nadine bewegte sich jetzt allerdings in ganz anderen Kreisen. Da ging es laut und lässig zu. Da waren mehrere Nationalitäten versammelt, und es wurde auch viel getrunken.

Nadine hatte mit Genugtuung festgestellt, daß Francesco der bestaussehende Mann in diesem Kreise war. Weniger gefiel es ihr, daß er mit seinem Charme auch die anderen weiblichen Gäste zu bezaubern schien. Ein bißchen unsicher fühlte sie sich schon, denn frei von Gewissensbissen war sie nicht.

Die Zeit enteilte. Sie blickte immer öfter auf die Uhr. Francesco widmete sich durchaus nicht ihr allein, und als sie ihm sagte, daß sie jetzt heimfahren müsse, warf er ihr einen unwilligen Blick zu.

»Du kannst bei mir schlafen«, sagte er nebenbei und so laut, daß alle es hören konnten. Nadine wurde knallrot. »Bitte, sei nicht so geschmacklos, Francesco«, sagte sie trotzig.

Er grinste spöttisch. »Man will das Gesicht wahren«, sagte er zynisch. »Sei nicht albern, Nadine.«

Da trat ein junger Mann an sie heran, den sie bisher nicht beachtet hatte, und der anscheinend überhaupt nicht zu dieser Clique gehörte.

»Ich bringe Sie gern nach Hause«, sagte er ruhig.

Francesco grinste immer noch. Nadine merkte jetzt erst, daß er sehr viel getrunken hatte.

»Scher dich zum Teufel«, sagte er. »Du langweilst mich. Ich lasse mir nicht die Stimmung verderben…

»Das wäre es dann wohl«, sagte der fremde junge Mann ruhig. Fest umschloß seine kräftige Hand Nadines Arm.

»Wenn du jetzt gehst, ist es aus«, zischte Francesco.

Nadine zitterte am ganzen Körper, aber die Hand ließ sie nicht los.

»Dann ist es eben aus!« stieß sie hervor.

Francescos Gesicht verzerrte sich, aber seltsamerweise schien er vor Nadines Beschützer Respekt zu haben.

»Sie kennen mich, Caretto«, sagte der. Francesco drehte sich um und ging zur Bar.

Nadine hatte in der Stimme des Fremden einen drohenden Unterton vernommen. Sie ließ sich, ohne Widerstand zu leisten, hinausführen.

Er brachte sie zu einem schnittigen Sportwagen. »Wo wohnen Sie?« fragte er ruhig.

»Wollen Sie sich nicht erst mal vorstellen?« fragte Nadine trotzig.

»Aber gern – wenn Sie Wert darauf legen«, erwiderte er sarkastisch. »Jonas Vestris. – Also, wo wohnt das gnädige Fräulein?«

Der Spott traf sie tief. Aber sie nannte die Adresse. Einen kurzen Blick warf sie auf sein scharfgeschnittenes Profil. »Sie sind doch kein Student«, stellte sie etwas trotzig fest. »Sie passen gar nicht zu diesen Leuten.«

»Verbindlichen Dank für diese Feststellung«, erwiderte er ironisch. »Denken Sie ernsthaft, daß Caretto Student ist?«

Nadine zuckte zusammen. »Etwa nicht?« fragte sie kleinlaut. »Wenn er im Studentenheim wohnt…«

»Da wohnt so mancher, der da nicht hingehört. Waren Sie schon bei ihm?«

»Ja«, erwiderte sie leise, und plötzlich schämte sie sich fürchterlich.

»Sie kommen doch aus einem sehr guten Haus, Nadine«, sagte er rauh.

»Sie brauchen ja auch nicht gleich Schlimmes zu denken«, sagte sie bockig. »Es waren mehrere Leute dabei.«

»Wie heißen Sie eigentlich mit Familiennamen?«

»Schilling.«

Sie merkte nicht, wie er den Atem verhielt. Sie war viel zu aufgeregt. Francescos Benehmen hatte sie tief getroffen.

»Sie kennen Francesco«, sagte sie bebend. »Was wissen Sie über ihn?«

»Nicht sehr viel bisher, aber so viel, daß ein Mädchen aus guter Familie sich nicht mit solchen Burschen einlassen sollte, nur weil er ein Adonis ist. Wo haben Sie ihn kennengelernt?«

»In einer Disco.«

»Gehören solche Besuche zu Ihrem Zeitvertreib?«

Plötzlich schämte sie sich wieder. »Man geht eben ab und zu mal aus«, erwiderte sie.

»Keine kulturellen Interessen?« fragte er.

»Soll das ein Verhör sein?« begehrte sie auf.

»Sagen wir Interesse. Ich bin Psychologe, außerdem Journalist.«

»Und Sie bewegen sich auch in Kreisen, die Sie anscheinend ablehnen«, sagte sie trotzig.

»Aus Neugierde. Ich bin ja kein kleines Mädchen, das sich auf schlüpfriges Pflaster begibt. Sicher haben Sie keine Ahnung, wie schlüpfrig es ist. Ich kann Sie also nur warnen. Francesco ist kein Student. Man könnte ihn als einen Gelegenheitsarbeiter bezeichnen.«

»Er ist aber sehr gebildet«, widersprach sie.

»Das eine schließt das andere nicht aus. Kennen Sie Spanien?«

»Nein, ich bin in Amerika aufgewachsen. Wir haben lange dort gelebt.«

»Dann will ich Ihnen mal ein bißchen über die spanische Mentalität erzählen. Wenn sich dort ein junges Mädchen verführen läßt, bekommt es keinen anständigen Mann mehr. Die Männer amüsieren sich mit Ausländerinnen, weil das unverbindlich ist.«

»Aber er wollte mich heiraten«, sagte Nadine mit einem unterdrückten Schluchzen.

»Du lieber Himmel, Sie sind aber vertrauensselig! Was wissen Sie denn von ihm? Haben sich Ihre Eltern auch von ihm einwickeln lassen?«

»Sie kennen ihn doch gar nicht«, gab Nadine zu.