Dr. Norden Bestseller 157 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 157 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Paradies nannten die Gebirgler das Tal, durch das Daniel und Fee Norden wanderten, und auch sie fanden es paradiesisch schön. Es war ein herrlicher Morgen, frisch, aber sonnig, und die Luft war so würzig, daß sie immer wieder ganz tief atmeten. Die Kinder waren auf der Insel der Hoffnung in bester Obhut, und so konnten Daniel und Fee mal einen Tag in aller Ruhe und Besinnlichkeit genießen. So dachten sie jedenfalls, als sie nun bergan stiegen, der Sonne entgegen, unter deren Strahlen die Tautropfen auf den Wiesen wie Perlen schimmerten. »Ganz schön anstrengend«, schnaufte Fee nach einer guten halben Stunde. »Ich bin nichts mehr gewohnt.« »Wir können ja ausruhen«, meinte Daniel. »Wir haben Zeit, und talwärts geht es dann wieder leichter.« Er suchte nach einem trockenen Platz. Fee hob lauschend den Kopf. »Der Wasserfall muß ganz in der Nähe sein«, sagte sie. »Paß auf, daß du nicht abrutschst, Schatz. Hier ist es ganz schön glitschig, nichts zum Niedersetzen.« Aber Daniel hörte augenblicklich gar nicht zu, denn er hatte etwas im Gras entdeckt, was ihn stutzig machte. Es war ein Damenschuh, und der sah nicht so aus, als würde er schon lange dort liegen. Und auch Fee hatte plötzlich etwas entdeckt. Ein buntes Kopftuch mit Fransen. Ein ähnliches besaß sie auch. »Das ist merkwürdig«, sagte Daniel. »Ein teurer, fast neuer Schuh...« »Das Kopftuch ist auch nicht billig«, sagte Fee. »So etwas wirft man nicht achtlos weg.« »Und da sind Schleifspuren«, fuhr Daniel fort. Sein Gesicht verdüsterte sich etwas, als er vorsichtig weiterging. »Paß auf, da ist die Schlucht«, rief Fee

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Dr. Norden Bestseller – 157 –

Wie war es wirklich, Nicola?

Patricia Vandenberg

Paradies nannten die Gebirgler das Tal, durch das Daniel und Fee Norden wanderten, und auch sie fanden es paradiesisch schön. Es war ein herrlicher Morgen, frisch, aber sonnig, und die Luft war so würzig, daß sie immer wieder ganz tief atmeten.

Die Kinder waren auf der Insel der Hoffnung in bester Obhut, und so konnten Daniel und Fee mal einen Tag in aller Ruhe und Besinnlichkeit genießen. So dachten sie jedenfalls, als sie nun bergan stiegen, der Sonne entgegen, unter deren Strahlen die Tautropfen auf den Wiesen wie Perlen schimmerten.

»Ganz schön anstrengend«, schnaufte Fee nach einer guten halben Stunde. »Ich bin nichts mehr gewohnt.«

»Wir können ja ausruhen«, meinte Daniel. »Wir haben Zeit, und talwärts geht es dann wieder leichter.«

Er suchte nach einem trockenen Platz. Fee hob lauschend den Kopf. »Der Wasserfall muß ganz in der Nähe sein«, sagte sie. »Paß auf, daß du nicht abrutschst, Schatz. Hier ist es ganz schön glitschig, nichts zum Niedersetzen.«

Aber Daniel hörte augenblicklich gar nicht zu, denn er hatte etwas im Gras entdeckt, was ihn stutzig machte. Es war ein Damenschuh, und der sah nicht so aus, als würde er schon lange dort liegen. Und auch Fee hatte plötzlich etwas entdeckt. Ein buntes Kopftuch mit Fransen. Ein ähnliches besaß sie auch.

»Das ist merkwürdig«, sagte Daniel. »Ein teurer, fast neuer Schuh...«

»Das Kopftuch ist auch nicht billig«, sagte Fee. »So etwas wirft man nicht achtlos weg.«

»Und da sind Schleifspuren«, fuhr Daniel fort. Sein Gesicht verdüsterte sich etwas, als er vorsichtig weiterging.

»Paß auf, da ist die Schlucht«, rief Fee besorgt, aber da vernahm sie schon von ihm einen erschreckten Ausruf. »Da unten liegt jemand, ein Mädchen anscheinend!« Er drehte sich zu Fee um. Sein Gesicht war ganz blaß geworden. »Von hier aus kommen wir da nicht heran, Fee. Wir müssen Hilfe holen. Vielleicht lebt sie noch.«

»Da drunten war doch eine kleine Brücke, und da steht ein Haus«, sagte Fee tonlos. Sie starrte den weinroten Schuh an. »Nicht das richtige für einen Ausflug«, sagte sie leise. »Auf Ledersohlen rutscht man leicht aus.«

»Überlegen können wir später«, meinte Daniel. »Jetzt müssen wir aufpassen, daß wir nicht ausrutschen.«

Talwärts ging es zwar rascher als bergan, aber sie rutschten tatsächlich mehr, als sie gehen konnten, und dann waren sie an der kleinen Brücke, die über das Bächlein führte, das sein klares Wasser wohl von dem Wasserfall zugeführt bekam. Etwa zweihundert Meter weiter stand das Haus, das sie vorhin flüchtig wahrgenommen hatten. Es war ein altes Bauernhaus, und es sah nicht gerade einladend aus.

Ein kräftiger junger Bursche war damit beschäftigt, ein altes Auto zu reparieren. Er schien über die Störung gar nicht erfreut zu sein, aber als Daniel ihm jedoch klarmachte, daß jemand dringend Hilfe benötigte, wischte er sich die Hände ab und rief dann lauthals nach einem Peppi.

»Bring die Trage, am Wasserfall liegt jemand, sagt der Herr.«

»Sakradi, schon wieder«, brummte der stämmige Junge. »Die depperten Stadtleut’!«

Daniel und Fee nahmen es ihm nicht übel, denn bald lernten sie in den beiden zwei hilfsbereite junge Männer kennen, die nicht viel redeten, die Weg und Steg kannten und eilends voranschritten.

»Bleib du zurück, Fee«, sagte Daniel, als sie der Verunglückten näherkamen.

»Wird wirklich ein Wunder sein, wenn die noch lebt«, sagte der ältere der Bauernburschen, der Jakob hieß, wie die Nordens schon vernommen hatten.

»Ich bin Arzt«, sagte Daniel. Und dann war der Peppi schon bei dem Mädchen.

»A bissel atmet’s noch«, murmelte er. »Mei, die Baroneß, Jakob.«

Fragen stellte Dr. Norden jetzt nicht. Er befaßte sich mit der Verunglückten, die schwer verletzt war und deren Gesicht schlimme Kratz- und Schürfwunden aufwies.

»Die Nicola von Stiebenau«, brummte der Jakob, »das geht mir nicht in den Schädel.«

»Ist ein Krankenhaus in der Nähe?« fragte Daniel.

»A gute Stund’ entfernt«, erwiderte der Peppi.

»Ich habe meinen Arztkoffer im Auto«, meinte Daniel.

»Im Haus haben wir a Apotheken«, brummte Peppi.

Vorsichtig wurde die Bewußtlose auf die Trage gebettet, und Daniel konnte feststellen, daß die beiden Burschen Übung im Transport von Verletzten hatten. Jakob erklärte dann auch, daß sie beim Bergrettungsdienst wären.

So ungastlich das Haus von außen wirkte, so wohnlich war es innen. Aber dafür hatten Daniel und Fee Norden jetzt keine Augen. Beide befaßten sich mit der Schwerverletzten, als Peppi die bestens ausgestattete Hausapotheke gebracht hatte.

»Sie werden’s net glauben, was hier alles passiert«, sagte er brummig, »und nur, weil die Städter das Gelände unterschätzen.«

»Aber die Baroneß kennt es«, sagte Jakob. »Hast jetzt den Rettungsdienst erreicht, Peppi?«

»Sind schon auf dem Weg«, erwiderte der Jüngere. »Wenn sie vorher stirbt, das wär mir arg. Dann wird’s am End wieder dem Markus in die Schuhe geschoben.«

Daniel Norden horchte auf. »Wen meinen Sie?« fragte er.

»Ach, so eine alte Geschicht’, Familienfehde«, erwiderte Peppi.

»Halt deinen Mund«, fauchte ihn Jakob an.

»Wir haben doch damit nichts zu tun, Jakob.«

»Markus war schon lang’ nimmer hier«, knurrte Jakob.

Daniel und Fee tauschten einen langen Blick. Daniel fühlte den Puls des Mädchens, das er notdürftig hatte versorgen können, aber er wußte, daß ihr Leben an einem hauchdünnen Faden hing.

Der Rettungswagen kam. Er war bestens ausgestattet, und der Notarzt zeigte sich erfreut, daß ein Kollege ihm bei der Versorgung des Mädchens helfen wollte.

»Kann meine Frau hierbleiben?« fragte Daniel. »Ich hole sie dann ab.«

Peppi und Jakob Brandner nickten zustimmend, und sie fragten Fee dann auch höflich, ob sie ihr etwas bringen könnten.

»Sie leben allein hier?« fragte Fee freundlich.

»Die Großmutter ist im Altersheim«, erklärte Peppi.

»Die Eltern leben nimmer«, fügte Jakob rauh hinzu. »Ein Steinschlag war schuld. Woher sind Sie, Frau Doktor?«

»Aus München.«

Jakob musterte sie. »Gut ausgerüstet sind Sie schon«, stellte er fest. »Sie ahnen ja nicht, wie hier die Stadtleut’ manchmal herumsteigen. Narrisch könnt’ man werden.«

»Aber Sie sagten, daß die Baroneß das Gelände kennt«, tastete sich Fee vor.

»Ja, freilich, sie haben da droben ja die Berghütten, aber früher ist sie immer recht zünftig dahergekommen.«

»Immer allein?« fragte Fee.

»Nein, nur manchmal.«

»Jetzt soll sie ja verlobt sein«, warf der Peppi ein.

»Genaues weiß man nicht«, sagte Jakob verweisend. »Geredet wird es halt.«

»Sie sprachen auch von einem Markus«, sagte Fee vorsichtig.

»Der ist nicht hier«, erwiderte Jakob unwillig.

»Es handelt sich doch augenscheinlich um einen Unfall«, sagte Fee. »Man wird die Angehörigen benachrichtigen müssen. Und Sie scheinen die Familie gut zu kennen.«

»Es ist niemand mehr da als die Baroneß«, erwiderte Jakob etwas wortkarg.

»Und bei ihrem Vater war es auch ein Unfall, aber den wollte man dem Markus anhängen«, erklärte Peppi empört. »Die Frau Doktor kann es doch ruhig wissen, Jakob. Ich möchte auch gern wissen, warum die Baroneß nicht bei uns hereingeschaut hat, wenn sie schon auf dem Weg zur Hütten war.«

Jakob starrte nachdenklich zum Fenster hinaus. »Ja, das ist merkwürdig«, sagte er rauh. »Grüß Gott hat sie allweil gesagt.«

Fee betrachtete die beiden jungen Männer nachdenklich. So richtige Naturburschen waren sie und anscheinend auch recht ordentlich und tüchtig, wie das saubere Haus verriet, in dem es überhaupt keine Frau zu geben schien.

Doch dann erschien plötzlich eine, ein blondes, kräftiges junges Mädchen. Auf einem Fahrrad war sie gekommen und brachte einen Korb.

»Grüß euch«, sagte sie munter, dann starrte sie Fee an. »Ihr habt Besuch?« fragte sie staunend.

»Das ist eine Frau Doktor aus München. Es hat hier einen Unfall gegeben, Tresi«, erwiderte Jakob. »Die Baroneß…«

»Die Nicola?« schrie Tresi auf. »Nein, wo ist sie?«

»Ins Krankenhaus haben sie sie gebracht«, sagte Peppi, während Jakob dem Mädchen beruhigend den Rücken tätschelte.

»Mein Name ist Norden«, sagte Fee. »Mein Mann begleitet die Verunglückte. Wir sind Ärzte und wollten eine Wanderung machen. Da haben wir sie gefunden.«

»Wo?« fragte Tresi.

»Am Wasserfall. Sie muß ausgeglitten sein«, erwiderte Fee.

»Die Nicola? Nie und nimmer, die kennt doch den Hang«, stammelte Tresi. »Sie weiß, daß da die Schlucht ist.«

»Sie hatte Schuhe mit Ledersohlen an«, sagte Jakob heiser.

Tresis klare Augen verdunkelten sich. »Da stimmt etwas nicht«, sagte sie tonlos.

»Sie kennen die Baroneß gut?« fragte Fee.

»Mein Vater war Verwalter auf Gut Stiebenau. Das ist dann verkauft worden, nachdem der Baron auf der Jagd verunglückt ist. Und nun die Nicola? Ich verstehe das nicht.« Sie war sichtlich erschüttert, und in ihren klaren Augen war ein ziemlich ängstlicher Ausdruck.

»Sie wird doch am Leben bleiben?« fragte sie nach einem tiefen Atemzug.

»Das kann ich von hier aus und jetzt noch nicht sagen«, erwiderte Fee, »aber es sieht sehr bös aus.«

»Und man hat sie ins Kreiskrankenhaus gebracht? Aber da ist doch der Ronneberg Arzt«, flüsterte Tresi.

»Und was bedeutet das?« fragte Fee.

»Ach, nichts, die Tresi gibt auch zuviel auf Gerede«, warf Jakob unwillig ein.

Fee blickte nachdenklich aus dem Fenster hinaus. Es schien einige Rätsel um diese Nicola von Stiebenau zu geben. Doch Tresi sagte jetzt eigensinnig: »Gerede hin, Gerede her. Nicola tät einen Schock bekommen, wenn der Ronneberg plötzlich an ihrem Bett steht, das weiß ich, und wenn das eine Frau Doktor ist, werde ich ihr auch sagen warum, damit sie dafür sorgt, daß Nicola in eine andere Klinik kommt.«

»Ich wäre dankbar für jede Auskunft, denn es werden ganz sicher im Zusammenhang mit dieser jungen Dame noch manche Fragen gestellt werden, wohl auch an Sie, wie an alle, die Nicola von Stiebenau kennen«, sagte sie ruhig.

Tresi legte den Kopf zurück. Ihre Blicke wanderten zwischen den beiden jungen Männern hin und her. »Ihr habt doch nichts zu verbergen. Seid doch nicht gar so stur.«

»Mit dem alten Ronneberg mag ich mich nicht anlegen«, sagte Jakob trotzig, »und mit dem jungen mag ich nichts zu schaffen haben.« Und dann trat für lange Zeit Schweigen ein, bis Tresi zu Fee sagte: »Gehen wir ein Stück? Zeigen Sie mir, wo Nicola gefunden wurde? Die Burschen tun es ja doch nicht. Aber vielleicht sind sie nur grantig, weil sie noch kein richtiges Frühstück hatten. Es ist alles im Korb.«

Daß Tresi ein intelligentes Mädchen war, konnte Fee sehr schnell herausfinden. Mit vollem Namen hieß sie Teresa Portner.

»Wenn die beiden stur sind, dürfen Sie es nicht übelnehmen, Frau Doktor«, sagte sie entschuldigend. »Das war für sie bestimmt auch ein Schock. Ihr Vater war der Revierförster beim Baron Stiebenau. Sie sind keine Dummen. Der Jakob wird Lehrer und hat jetzt nur Ferien, und der Peppi macht eine Kunstschreinerlehre. Sie sind jetzt nur in den Ferien hier, sonst wohnen sie in der Kreisstadt. Wir kennen uns von Kindheit an.«

»Und die Nicola kennen Sie auch von Kindheit an«, sagte Fee forschend.

»Ja, gewiß, wir sind sogar zusammen zur Schule gegangen, bis Nicola ins Internat gekommen ist. Mit dem Gut ging es da schon bergab, weil der Baron gar so viele Hypotheken aufnehmen mußte. Seine kranke Frau hat halt viel Geld gekostet, und dann hat er auch noch Verwandte versorgen müssen. So genau weiß ich das nicht, aber mein Vater sagte, daß es zuviel war, was auf ihm lastete, und der Gesündeste war er auch nicht mehr.« Sie versank in nachdenkliches Schweigen.

»Sie sagten, daß er bei einem Jagdunfall starb, oder die Brandner Brüder sagten es. Ich bin jetzt schon ein bißchen verwirrt.«

»Es war ein mysteriöser Unfall, das sagte wenigstens mein Vater. Er soll in sein eigenes Gewehr gefallen sein.«

*

Indessen bemühten sich die Ärzte im Kreiskrankenhaus von Stiebenau. Dr. Nordens Mithilfe wurde gern akzeptiert.

Es wurde festgestellt, daß Nicola eine schwere Gehirnerschütterung und innere Verletzungen davongetragen hatte, die noch nicht genau festgestellt werden konnten. Dazu eine Unterschenkelfraktur und ein Schlüsselbeinbruch. Erstaunlicherweise hatte sie sonst keine Brüche aufzuweisen.

»Sie muß sich wohl instinktiv heruntergerollt haben«, stellte der Chefarzt fest, ein grauhaariger untersetzter Mann mit Namen Großkopf.

Dann wurde Daniel ans Telefon gerufen, und er wußte, daß es nur Fee sein konnte. Was sie ihm sagte, versetzte ihn in Bestürzung.

»Ich werde es versuchen«, erklärte er, da eine junge Schwester in unmittelbarer Nähe stand und lauschte. Ja, es war Daniel nicht entgangen, daß sie sehr intensiv lauschte. Sie war schlank und hübsch, und Daniel fing einen lauernden Blick von ihr auf, der ihm zu denken gab.

»Wo stecken Sie denn, Schwester Tina?« rief eine unwillige Frauenstimme, und da verschwand sie.

Dafür lernte Dr. Norden dann die Oberschwester Mathilde kennen, die ihn sehr kritisch musterte.

»Sie sind Dr. Norden, der Schwiegersohn von Dr. Cornelius?« fragte sie dann aber so freundlich, daß er fast erleichtert war, denn sie machte einen sehr strengen Eindruck.

»Der bin ich. Sie kennen meinen Schwiegervater?«

»Und die Insel der Hoffnung«, erwiderte sie. »Ich war selbst schon dort.«

Irgendwie hatte er das Gefühl, sich ihre Sympathie sichern zu müssen. »Vielleicht treffen wir uns dann dort einmal«, sagte er.

»Kann schon sein. Ich hätte nichts dagegen.«

»Würden Sie mir bitte sagen, welcher von den Ärzten Dr. Ronneberg ist?« fragte Daniel leise.

Sofort verschloß sich ihr Gesicht wieder. »Der hat Urlaub, und das wird gut sein, da die kleine Stiebenau hier ist«, brummte sie. »Scheint doch so zu sein, als läge ein Fluch auf der Familie.«

»Auf den Stiebenaus?« fragte er leise.

»Ich mag hier nichts sagen«, murmelte sie. »Mein Dienst ist um fünf Uhr zu Ende. Wenn Sie bleiben, können wir uns treffen. Ich wohne am Wiesenhang zehn.«

»Dann bleibe ich«, erwiderte er rasch.

Er ging in den kleinen OP zurück, in den man Nicola gebracht hatte. Dr. Großkopf sah ihn an. »Sieht nicht gut aus. Ich wäre dafür, sie in eine Spezialklinik zu bringen.«

»Meinen Sie, daß sie transportfähig ist?« fragte Daniel.

»Bis morgen muß man wohl warten. Wenn das Herz durchhält, bin ich bereit, die Verantwortung für den Transport zu übernehmen.«

»Dann werde ich dafür sorgen, daß sie bestens versorgt wird«, erklärte Daniel, denn nach dem, was Fee ihm gesagt hatte, ahnte er, daß man sie aus ganz bestimmten Gründen nicht in diesem Krankenhaus behalten wollte. Aber vielleicht konnte er über diese Gründe mehr von Schwester Mathilde erfahren.

»Das ist sehr freundlich, Herr Kollege«, sagte Dr. Großkopf mit einem ganz seltsamen Ausdruck. »Wir haben zuwenig Personal, um einen Patienten rund um die Uhr zu beobachten, und die Intensivstation ist voll belegt. Ich werde mein Bestes tun, damit das Herz der Patientin gestärkt wird. Glücklicherweise handelt es sich ja um eine sehr sportliche junge Dame, die schon mehrere Stürze vom Pferd überstanden hat und außerdem eine ausgezeichnete Schwimmerin und Skifahrerin ist. Kein Treibhausgewächs, wie so manche Töchter aus vornehmen Familien.«

»Sie kennen Fräulein von Stiebenau?«

»Ihre Mutter ist in diesem Krankenhaus gestorben«, erwiderte Dr. Großkopf. »Für ihren Vater mußte ich den Totenschein ausstellen. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn mir ein anderer Arzt in diesem Fall die Verantwortung abnehmen würde«, fügte er müde hinzu.

Dr. Norden blickte in das schmale zerschundene Gesicht des jungen Mädchens, das unter normalen Bedingungen bildschön sein mußte. Und auch er hatte das Gefühl, daß dieser Ausflug, auf den sie sich so sehr gefreut hatten, dramatische Folgen nach sich ziehen würde.

Er holte dann seinen Wagen vom Parkplatz vor dem Dorfkrug und fuhr zu dem Haus der Brüder Brandner zurück. Dort saß Fee jetzt mit den beiden Burschen und Tresi am Tisch und trank Kaffee.

»Wenn sie morgen noch lebt, werden wir sie nach München bringen lassen«, sagte Daniel, bevor Fee noch etwas gesagt hatte.

»Wenn Ronneberg es nicht verhindert«, stieß Tresi hervor.

»Er hat Urlaub. Ich habe mich erkundigt«, erwiderte Daniel ruhig und blickte das Mädchen dann nachdenklich an. »Sie können mir einiges über Nicola von Stiebenau erzählen?«

»Ich habe Ihrer Frau schon viel erzählt«, sagte Tresi.

»Aber ich darf Ihnen noch ein paar Fragen stellen?«

Tresi sah Jakob an. »Ist schon gut, Tresi«, sagte er heiser, »den Doktors können wir trauen.«

»Dann fragen Sie«, sagte Tresi vorsichtig.

»Wann und woran ist Frau von Stiebenau gestorben? Wissen Sie das?«

»Gestorben ist sie vor fünf Jahren. Sie war querschnittgelähmt nach einem Sturz vom Pferd. Sie war eine bekannte Turnierreiterin.«

»Dr. Großkopf sagte mir, daß auch Fräulein von Stiebenau einige schwere Stürze vom Pferd gut überstanden hat.«

»So arg war das bei Nicola nie. Der Satan hat sie ein paarmal abgeworfen.«

»Satan?«

»Ein schwarzer Hengst. Markus hatte ihn ihr geschenkt.«

Wieder war der Name Markus gefallen, und die Nordens spitzten beide die Ohren, als Daniel jetzt fragte, wer denn dieser Markus sei.

»Markus Wangen, der Industrielle. Er hatte ein paar Hypotheken auf Gut Stiebenau, aber verkauft hat der Baron dann doch an den alten Ronneberg.«

»Er hat nicht verkauft«, fiel ihr Jakob ins Wort. »Die Nicola hat dann an Ronneberg verkauft. Und das hat Markus verbittert. So war es und nicht anders.«

»Brauchst dich doch nicht gleich aufzuregen, Jakob«, lenkte Tresi ein. »Nicola hat Ronneburg doch vorgezogen, weil ihr Vater es wollte.«

»Ich glaube gar nichts mehr«, sagte Jakob. »Da ist allerhand faul, das weißt du so gut wie wir und wie dein Vater, Tresi.«

»Lassen wir das mal«, sagte Daniel. »Es geht jetzt darum, warum sich Nicola von Stiebenau hier aufgehalten hat und wen sie möglicherweise treffen wollte.«

»Doch höchstens den Tönnies auf der Alm«, mischte sich der Peppi ein. »Er hat heute Geburtstag.«