Dr. Norden Bestseller 159 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 159 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Annedore Diehl blieb vor der Tür zu Dr. Nordens Praxis stehen und zögerte, auf die Klingel zu drücken. Was soll es überhaupt, dachte sie, in diesem Fall kann er doch auch nicht helfen. Er wird mich nur für die böse Schwiegermutter halten, die dauernd etwas an ihrem Schwiegersohn auszusetzen hat. Aber dann tat sich die Tür von selbst auf, und eine junge Frau kam heraus. Hinter ihr war Loni, Dr. Nordens Helferin erschienen. »Guten Tag, Frau Diehl«, sagte sie freundlich, »kommen Sie nur herein. Heute haben Sie es ganz gut erraten. Es macht sich bemerkbar, daß Ferienzeit ist.« Nun trat Annedore doch ein. Sie war eine schlanke, gutaussehende Frau von achtundvierzig Jahren, sehr gepflegt und apart gekleidet, und nur der bekümmerte Ausdruck in ihren schönen braunen Augen verriet, daß sie einen Kummer mit sich herumtrug. Loni wußte von diesem Kummer. Annedore Diehl war bereits seit vier Jahren Dr. Nordens Patientin, und vorher war ihr Mann von Dr. Norden betreut worden. Der Rechtsanwalt Dr. Diehl war vor vier Jahren an Magenkrebs gestorben. Zu spät hatte er sich in ärztliche Behandlung begeben, wie so manch anderer, der ersten Anzeichen keine Beachtung schenkte. Es war ein schwerer Schlag für Annedore und ihre Tochter Sandra gewesen, und Loni meinte, daß Annedore Diehl den Verlust ihres Mannes noch immer nicht verwunden hatte. So war es wohl auch, denn oft dachte Annedore, daß manches doch wohl anders gekommen wäre, wenn ihr Mann noch leben würde. Dr. Norden wußte allerdings sehr gut, was Annedore Diehl quälte. Zuerst hatte er allerdings tatsächlich angenommen, daß

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Dr. Norden Bestseller – 159 –

Nur ein Mann für gute Tage?

Patricia Vandenberg

Annedore Diehl blieb vor der Tür zu Dr. Nordens Praxis stehen und zögerte, auf die Klingel zu drücken.

Was soll es überhaupt, dachte sie, in diesem Fall kann er doch auch nicht helfen. Er wird mich nur für die böse Schwiegermutter halten, die dauernd etwas an ihrem Schwiegersohn auszusetzen hat.

Aber dann tat sich die Tür von selbst auf, und eine junge Frau kam heraus. Hinter ihr war Loni, Dr. Nordens Helferin erschienen.

»Guten Tag, Frau Diehl«, sagte sie freundlich, »kommen Sie nur herein. Heute haben Sie es ganz gut erraten. Es macht sich bemerkbar, daß Ferienzeit ist.«

Nun trat Annedore doch ein. Sie war eine schlanke, gutaussehende Frau von achtundvierzig Jahren, sehr gepflegt und apart gekleidet, und nur der bekümmerte Ausdruck in ihren schönen braunen Augen verriet, daß sie einen Kummer mit sich herumtrug. Loni wußte von diesem Kummer. Annedore Diehl war bereits seit vier Jahren Dr. Nordens Patientin, und vorher war ihr Mann von Dr. Norden betreut worden. Der Rechtsanwalt Dr. Diehl war vor vier Jahren an Magenkrebs gestorben. Zu spät hatte er sich in ärztliche Behandlung begeben, wie so manch anderer, der ersten Anzeichen keine Beachtung schenkte.

Es war ein schwerer Schlag für Annedore und ihre Tochter Sandra gewesen, und Loni meinte, daß Annedore Diehl den Verlust ihres Mannes noch immer nicht verwunden hatte. So war es wohl auch, denn oft dachte Annedore, daß manches doch wohl anders gekommen wäre, wenn ihr Mann noch leben würde.

Dr. Norden wußte allerdings sehr gut, was Annedore Diehl quälte. Zuerst hatte er allerdings tatsächlich angenommen, daß sie durch die starke innere Bindung an ihre einzige Tochter zu ungerechter Beurteilung ihres Schwiegersohnes neigte.

An diesem Tag war sie die letzte Patientin, und so konnte er sich Zeit nehmen für sie, wissend, daß sie keine Medizin sondern seelischen Zuspruch brauchte.

»Was bedrückt Sie, Frau Diehl?« fragte er freundlich.

Ein Zucken lief über ihr Gesicht. »Ulrich ist wieder in München«, erwiderte sie bebend. »Er verlangt Nico zu sehen.«

Da war guter Rat nun wirklich teuer, denn Dr. Norden wußte sehr gut, daß auch geschiedene Väter das Recht hatten, ihre Kinder zu sehen, wenn es ihnen bei der Scheidung zugebilligt worden war.

Und so sagte er jetzt: »Ihre Tochter ist inzwischen eine selbständige, tüchtige Frau geworden, Frau Diehl. Bereiten Sie sich selbst doch nicht wieder schlaflose Nächte.«

»Ich fürchte wirklich, daß er alles tun wird, um Nico gegen Sandra zu beeinflussen. Ich habe so sehr gehofft, daß meine Tochter jetzt in Dr. Arnim den richtigen Partner gefunden hat.«

Es wurde noch mehr zwischen ihnen erörtert, während dieser Dr. Arnim, von dem die Rede gewesen war, sich mit den gleichen Problemen befaßte, die auch Annedore Diehl beschäftigten.

Er stand vor Sandras Schreibtisch. »Sollten wir uns nicht in aller Ruhe unterhalten, Sandra?« fragte er. »Warum willst du die Flucht ergreifen?«

»Ich ergreife nicht die Flucht«, widersprach sie heftig. »Es sind Ferien. Ich werde mit Nico wegfahren. Es ist sowieso Sauregurkenzeit. Du wirst ja wohl allein zurechtkommen.«

Es ging ihm nahe, daß sie so aggressiv war, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Wohin wollt ihr fahren?« fragte er.

»Irgendwohin, ich weiß es noch nicht.«

»Fährt deine Mutter mit?«

»Nein, ich habe ihr geraten, eine Kur auf der Insel der Hoffnung zu machen. Sie ist heute bei Dr. Norden und wird das mit ihm besprechen. Ich will nicht, daß Nico hin und her gezogen wird.«

Oder sie will Ulrich nicht treffen, dachte Holger Arnim. Sie scheint doch noch an ihm zu hängen. Und das schmerzte ihn noch mehr als ihre Aggressivität.

»Du wirst ihm nicht immer ausweichen können«, sagte er ruhig.

»Ich will ihm nicht ausweichen. Ich möchte Nico in aller Ruhe erklären, warum es zu der Trennung kam, damit er sich nicht von Ulrich beeinflussen läßt, wenn diese Treffen nicht zu vermeiden sind. Ich muß ihn jetzt vom Kindergarten abholen, Holger. Entschuldige, bitte.«

Sie war aufgesprungen, nickte ihm zu und verschwand.

Holger ging an seinen Schreibtisch und ließ sich dort mit einem schweren Seufzer nieder.

Er wußte, wie es zu dieser Ehe zwischen Ulrich Harrer und Sandra gekommen war, und er wußte auch, warum es dann zur Scheidung kam.

Er rief sich alles noch einmal in die Erinnerung zurück.

Sandra war gerade zwanzig Jahre und studierte im dritten Semester Jura, als sie Ulrich Harrer, den Juniorchef einer Elektrofirma, kennenlernte. Der gutaussehende junge Mann aus bester Familie konnte sich des Wohlwollens von Sandras Vater erfreuen. Dr. Diehl hatte nichts gegen die baldige Heirat einzuwenden, da Sandra dennoch ihr Studium beenden wollte. Aber schon bald machte sich seine Krankheit bemerkbar. Holger Arnim trat als Sozius in die Kanzlei ein, da Dr. Diehl diese nicht mehr allein weiterführen konnte. Und Sandra brachte Nicolas zur Welt.

Er bekam diesen Namen, weil er am Nikolaustag geboren wurde. Dr. Diehl konnte sich über die Geburt seines Enkels noch freuen, aber schon bald verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Zwei Operationen brachten ihm auch keine Genesung mehr, und er erfuhr auch nicht mehr, daß es schon bald nach der Geburt des Kindes in Sandras Ehe zu kriseln begann.

Ulrich fühlte sich vernachlässigt, weil Sandra sich angeblich dem Kind und auch dem kranken Vater zuviel widmete. Und ganz schlimm wurde es, als Dr. Diehl gestorben war und San-dra oft bei ihrer Mutter weilte.

Für Ulrich waren das gute Ausflüchte, um seinen eigenen Lebenswandel zu vertuschen. Er beschloß, die Niederlassung der väterlichen Firma in Norddeutschland zu übernehmen. Er wußte genau, daß Sandra ihm dorthin nicht folgen würde, nicht so kurz nach ihres Vaters Tod, und sie hatte auch beschlossen, ihr Studium wieder aufzunehmen, da ihre Mutter ja das Kind beaufsichtigen konnte.

Ulrichs Vater war in zweiter Ehe mit einer jungen Frau verheiratet. Sie zeigten kein Interesse an dem Kind, und Werner Harrer ließ seinem Sohn alle Freiheiten, damit der ihm nicht in seine Ehe hineinredete.

Es war dann tatsächlich Annedore gewesen, die ihrer Tochter zuredete, nicht auf sie so viel Rücksicht zu nehmen und doch zu ihrem Mann zu gehen. Sandra entschloß sich, Ulrich zu besuchen, bereit, sich mit ihm zu einigen. Und da fand sie in seiner Wohnung ein junges Mädchen vor, eine neunzehnjährige bildhübsche Schauspielschülerin, die ihr sehr selbstbewußt erklärte, daß es für sie jetzt wohl zu spät sei.

Die Folge war die Scheidung. Eine konventionelle Scheidung ohne alle sonstigen Schwierigkeiten.

Ob sie die Scheidung wirklich gewollt hat? fragte sich Holger jetzt. Ihn beschäftigte gerade ein ähnlicher Fall, und die Klientin erwartete er nun.

Seine Sekretärin rief durch. »Frau Mosch möchte Sie sprechen, Herr Doktor«, sagte sie.

»Ja, sie ist doch angemeldet«, erwiderte er.

»Aber es ist die Mutter«, erwiderte seine Sekretärin mit einem vielsagenden Unterton.

»Na dann«, brummte er.

Helma Mosch war etwa im gleichen Alter wie Annedore Diehl, aber von ganz anderem Wesen, und diesmal handelte es sich um die Mutter des Mannes.

Sie hatte mit Annedore nur gemein, daß sie auch früh verwitwet war. Sie war gut versorgt zurückgeblieben und trug ihren Wohlstand auch zur Schau.

»Meine Schwiegertochter ist erkrankt«, erklärte sie. »So habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, mit Ihnen zu sprechen, Herr Doktor. Weil ich es für richtig halte, daß Sie auch meine Meinung zu dieser mißlichen Angelegenheit hören.«

Ihre Stimme war hell und hatte einen klagenden, weinerlichen Unterton. Sie war eine recht flotte Frau, zu der solcher Ton eigentlich nicht paßte. Sie war blond und hatte helle kühle Augen. Der schmallippige Mund verriet, daß sie gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen. Solches hatte Dr. Arnim schon von Annette Mosch gehört. Jetzt wußte er, daß die junge Frau Mosch nicht übertrieben hatte.

»Ich würde gerne erst mal wissen, was Annette Ihnen so alles erzählt hat«, begann Helma Mosch.

»Ich bin nicht berechtigt, darüber zu sprechen«, erwiderte er zurückhaltend.

»Ich kann es mir vorstellen. Natürlich bin ich an allem schuld, sie ist ja ein Engel. Aber das lasse ich nicht auf mir sitzen.«

»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Frau Annette Mosch vertrete«, warf Dr. Arnim ein. »Wenn Sie sich gegen etwaige ungerechte Vorwürfe zur Wehr setzen wollen, sollten Sie sich selbst einen Anwalt suchen.«

Sie starrte ihn an. »Ich will nur widerlegen, was Annette veranlaßt, die Scheidung einzureichen. Das ist doch mein gutes Recht. Man darf so was doch nicht einseitig sehen, Herr Doktor.«

»Aber ich kann wiederum nur erwidern, daß Frau Annette Mosch meine Klientin ist.«

Doch so schnell sollte er Helma Mosch nicht loswerden.

Inzwischen hatte Dr. Norden seine Unterhaltung mit Annedore Diehl beendet, da er dringend zu einem Hausbesuch gerufen wurde, eben zu jener Annette Mosch.

»Auch so ein Fall von zerrütteter Ehe«, sagte er zu Annedore, ohne den Namen Mosch zu erwähnen. »Da besteht allerdings ernster Anlaß zur Besorgnis. Sie verstehen, daß ich mich verabschieden muß.«

»Selbstverständlich. Ich bedanke mich herzlich, daß Sie mir so viel Zeit gewidmet haben, Herr Dr. Norden.«

»Sie fahren jetzt erst mal zur Insel und erholen sich, Frau Diehl. Ihre Tochter ist erwachsen und wird schon die richtige Entscheidung treffen. Ich weiß, daß Sie es gut meinen, aber manchmal ist es gut, wenn man sich überhaupt nicht einmischt.«

Daß Frau Moschs Einmischung tatsächlich der Grund zu schwerwiegenden Komplikationen in einer an sich ganz normalen Ehe geführt hatte, wußte er sehr gut. Für diese Frau hatte er weit weniger Verständnis als für Frau Diehl.

Bei Annette Mosch lagen die Verhältnisse anders als bei Sandra Diehl. Sie hatte Haus und Vermögen in die Ehe eingebracht. Heiner Mosch hatte zwar eine gutbezahlte Stellung als Diplomingenieur, aber er hätte Annette niemals das bieten können, was sie von Haus aus gewohnt war.

Dies hatte Annette jedoch nie hervorgekehrt. Es war alles gutgegangen, bis sich Helma Mosch mehr und mehr bei ihnen eingenistet hatte. Zwar hatte sie eine eigene Wohnung, aber nach dem Tode ihres Mannes hatte sie viel Zeit, und sie klammerte sich nun doppelt an ihren Sohn.

»Mein Heiner«, war ihr zweites Wort, und die kleine sechsjährige Bettina wurde ihrer Ansicht nach völlig falsch erzogen.

Ja, noch etwas verband Annette und Sandra, ohne daß eine von der andern um deren Probleme wußte. Annettes Tochter Bettina besuchte den gleichen Kindergarten wie Nico.

Annette Mosch befand sich in einem Zustand völliger Verzweiflung, als Dr. Norden kam.

»Ich weiß nicht mehr weiter, Dr. Norden«, schluchzte sie. »Ich weiß wirklich nicht mehr, wie es weitergehen soll. Gestern kam es wieder zu einer Auseinandersetzung mit meiner Schwiegermutter. Mein Mann ist gerade auf einer Geschäftsreise.«

»Jetzt beruhigen Sie sich doch erst mal, Frau Mosch«, sagte Dr. Norden.

»Wie soll ich mich beruhigen? Ich wollte Bettina vom Kindergarten abholen, aber meine Schwiegermutter hatte sie schon geholt, und jetzt weiß ich nicht, wo sie mit dem Kind ist. Sie will mich restlos fertigmachen und nutzt die Gelegenheit, wo Heiner nicht da ist, um das Kind gegen mich aufzuhetzen. Sie will nicht, daß es zu einer Versöhnung zwischen uns kommt.«

Dr. Norden hatte Helma Mosch kennengelernt. Er wußte, daß die junge Frau nicht übertrieb, aber er wollte die Glut nicht noch mehr schüren.

»Ist denn auch Ihr Mann zu einer Versöhnung bereit?« fragte er.

»Ach, es ist alles so verfahren. Heiner nimmt immer wieder Rücksicht auf seine Mutter. Er bedauert sie, weil sie ihren Mann so früh verloren hat. Er war ja erst fünfzehn, als sein Vater starb und seine Mutter hält ihm stets vor, was sie alles für ihn getan hätte. In alles mischt sie sich ein, aber jetzt – mein Kind lasse ich mir nicht wegnehmen! Es war alles in Ordnung, bis sie hierherzog.« Sie zitterte am ganzen Körper. »Das Schlimmste aber ist, daß ich ein Kind erwarte, Herr Doktor. Jetzt ist es gewiß. Und wenn sie es erfährt, wenn wir zusammenbleiben, wird es immer so weitergehen. Sie meint es ja nur gut, das bekomme ich immer wieder zu hören, wenn Heiner dabei ist. Und dann, wenn wir allein sind, gibt es nur Sticheleien. Ich habe sie mehrmals aufgefordert, nicht mehr zu kommen, aber dann heißt es nur, daß ich es immer wieder herauskehre, daß es mein Haus sei und daß Heiner sich dadurch gedemütigt fühlt.«

»Und was sagt Ihr Mann?«

»Er glaubt mir nicht, nein, er glaubt es mir nicht, er denkt, daß ich übertreibe. Ich will das Kind nicht, Dr. Norden, ich halte nicht mehr durch.«

»Denken Sie nicht daran, daß gerade das Kind Ihre Ehe retten könnte?«

Sie lachte blechern auf. »Sie würde Bettina doch nur einreden, daß ich nun nichts mehr für sie übrig hätte.«

»Soll ich mit Ihrem Mann sprechen, Frau Mosch?« fragte Dr. Norden.

»Würden Sie das tun?« fragte Annette leise. »Vielleicht hört er auf Sie. Sie können ihm doch sagen, daß seine Mutter ganz gesund ist, daß sie keinen Grund zum Jammern hat, daß sie nur simuliert, um ihn weichzustimmen.«

»Sie ist in den Wechseljahren, da sind viele Frauen unberechenbar, Frau Mosch. Ich weiß, daß es kein Trost für Sie sein kann, aber das sind Vorgänge, die auch einem Arzt Rätsel aufgeben. Sie haben sich jetzt aufgeregt, weil Ihre Schwiegermutter Bettina aus dem Kindergarten geholt hat. Sie kann Ihnen das Kind nicht vorenthalten.«

»Sie wird Bettina wieder etwas kaufen, was ich abgelehnt habe. Vielleicht ein Fahrrad. Oh, sie weiß, wie sie es anfangen muß. Und Sie wissen doch, wie zart Bettina ist.«

Ja, das war ein schwieriger Fall, und Dr. Norden wußte nicht, wie er Annette jetzt beruhigen sollte, da man bei einer Schwangerschaft auch sehr vorsichtig mit Beruhigungsmitteln sein mußte. Vielleicht sah auch Annette in ihrem Zustand alles noch düsterer. Doch bald sollte Dr. Norden erfahren, wie begründet alle Ängste dieser jungen Frau waren.

*

Bettina hatte durchaus nichts dagegen gehabt, daß die Oma sie abgeholt hatte. Sie wußte schon, daß sie nun wieder etwas bekommen würde. In ihrem kindlichen Unverstand konnte sie nicht begreifen, daß dies alles, was sie heimlich bekam, eine wahrhaft hinterhältige Bestechung war.

Helma Mosch hatte genau gewußt, daß Annette durchdrehen würde, wenn sie im Kindergarten erfuhr, daß Bettina bereits von der Großmutter abgeholt worden war, und sie hatte auch gewußt, daß sie dann den Termin bei Dr. Arnim nicht wahrnehmen würde.

»Die Mami fühlt sich nicht wohl«, hatte sie zu dem Kind gesagt. »Ich muß jetzt nur etwas erledigen, dann gehen wir essen, und dann kaufen wir ein Fahrrad für dich. Das wünschst du dir doch.«

Bettina strahlte. »O fein, Oma«, rief sie aus, »du bist lieb!«

So was hörte Helma Mosch gern. »Von der Mami bekommst du ja doch keins«, fügte sie hinzu.

»Mami hat immer bloß Angst, daß ich mir weh tue«, sagte Bettina. »Aber sie wird böse sein, wenn du mir ein Fahrrad schenkst.«

»Ach weißt du, das lassen wir bei mir, und dann besuchst du mich eben öfter«, sagte Helma Mosch.

Bettina machte sich darüber noch keine Gedanken. »Der Papi wird es schon erlauben«, sagte sie zuversichtlich.

»Aber sicher. Er hat doch als Kind auch ein Rad gehabt.«

In der Vorfreude auf das Fahrrad blieb Bettina brav im Auto sitzen, während Helma Mosch Dr. Arnim aufsuchte. In gereizter Stimmung kam sie dann zurück, und sie hatte plötzlich keine Lust mehr, mit dem Kind essen zu gehen. Das war Bettina auch nicht so wichtig.

»Aber das Fahrrad kaufst du mir schon, gell, Oma?« fragte sie.

»Ja, das kaufe ich dir.«

Und es wurde gekauft. »Aber du sagst der Mami noch nichts davon, erst wenn Papi zurück ist«, mahnte Helma. »Und du sagst auch nichts, wo ich vorher gewesen bin.«

Manches kam Bettina doch ein bißchen merkwürdig vor. »Warum kannst du Mami eigentlich nicht leiden?« fragte sie.

»Frag doch mal deine Mutter, warum sie mich nicht leiden kann«, entfuhr es Helma.

Der Ton mochte wohl zu giftig gewesen sein, oder es war ihr Blick, daß Bettina so erschrak.

»Schau, dein Papi ist mein Kind«, fuhr Helma rasch fort, als das Kind sie vorwurfsvoll anblickte. »Und eine Mutter liebt ihr Kind, das bleibt immer so, auch wenn Kinder erwachsen sind.«

»Und ich bin Mamis Kind, und sie hat mich auch sehr lieb«, sagte Bettina. »Und das bleibt auch immer so. Und Mamis Mutter ist leider im Himmel. Ich möchte jetzt nach Hause.«

»Jetzt habe ich das Fahrrad gekauft, und nun wirst du ungezogen«, sagte Helma gereizt.

»Ich bin nicht ungezogen. Ich möchte zu Mami. Das Fahrrad bleibt ja sowieso bei dir.«

»Und du darfst nur damit fahren, wenn du lieb bist.«

»Ich kann ja noch gar nicht fahren«, sagte Bettina trotzig. »Muß es erst lernen.«

Helma war jetzt auf der Hut. Sie wollte das Kind nicht gegen sich aufbringen, gerade jetzt nicht, da Annette soweit war, sich scheiden zu lassen. Von Zugewinngemeinschaft hatte der Anwalt gesprochen. Daß geteilt werden müsse, was während der Ehe erworben worden war. Selbstverständlich bezog Helma Mosch den Wert des Hauses da mit ein, und sie hatte sich schon längst erkundigt, was das wohl wert sein mochte. Schlecht würde Heiner keinesfalls bei einer Scheidung abschneiden.

Skrupel kannte sie nicht. Sie fuhr Bettina nach Hause. Annette erschien in der Tür. Ihr Blick war eisig.

»Oma hatte mich abgeholt«, sagte Bettina kleinlaut.

»Und ich war vergeblich da«, sagte Annette.

»Oma hat gesagt, daß du krank bist.«

»Das möchte sie wohl gern«, sagte Annette aufgebracht. »Zumindest möchte ich gefragt werden, wenn du das Kind holst«, wandte sie sich an die Ältere.

»Du mußt alles dramatisieren«, sagte Helma spitz.

»Du treibst alles auf die Spitze«, konterte Annette. »Aber du kannst es dir hier bequem machen. Ich werde mit Bettina verreisen.«

»Das kannst du nicht, Heiner kommt bald zurück«, widersprach Helma.

»Ich kann zu meinem Vater fahren, wann ich will«, sagte Annette. »Er hat das gleiche Recht, das Kind zu sehen wie du, wenn du darauf hinaus willst. Er würde sich nur niemals in meine Ehe einmischen. Ich brauche Tapetenwechsel, und Bettina wird die Gebirgsluft auch guttun.«

»O ja, ich freue mich«, rief das Kind. »Ich fahre sehr gern zu Opi.«

Nun stand Helma da. Nicht einmal mit dem Rad konnte sie das Kind locken. Wortlos, einen haßerfüllten Blick auf Annette werfend, verließ sie das Haus.