Dr. Norden Bestseller 167 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 167 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Kathy Kresslin kniete am Grab ihres Mannes und ordnete die Rosen in die Vasen. Ihre Augen brannten, aber weinen konnte sie nicht mehr. Ein Jahr war es jetzt her, daß Rainer ihr genommen worden war, nach achtmonatiger Ehe. Und wie glücklich wa­ren sie gewesen, bis dieser schreck­liche Unfall geschah. Und wie ihre Augen brannten, so brannte in ihr der Schmerz um den geliebten verlorenen Mann. Aus der fröhlichen Kathy war eine stille, zerquälte Frau geworden, die bei kreischenden Bremsen und dem Ertönen des Martinshorns zu zittern begann und unter Zwangsvorstellungen litt. Hier, auf dem Waldfriedhof, war es ganz still. Kathy war allein mit der Frage, die sie immer wieder bewegte. Warum? Warum hat man uns auseinandergerissen? Warum durfte ich nicht einmal ein Kind von dir haben, Rainer? Doch sie bekam keine Antwort. Lange dauerte es, bis sie sich erhob. In dem schmalen dunkelblauen Leinenkleid wirkte sie noch zerbrechlicher, als sie ohnehin schon war. Langsam ging sie durch die Allee zur Autobushaltestelle. Helles Kinderlachen tönte da an ihr Ohr, und sie sah eine kleine Gruppe aus dem Wald herauskommen. Jetzt begannen sie zu singen. Kathy hatte sich so sehr Kinder gewünscht von Rainer. Eine hübsche Wohnung hatten sie sich eingerichtet, wo für ein oder zwei Platz genug vorhanden gewesen wäre, und später hatten sie sich ein Häuschen bauen wollen. Ihre und auch Rainers Eltern wollten dazu beisteuern. Jetzt sah sie die Kinder kommen, und sie ging schneller. Etwa ein Dutzend Kinder waren es, die noch nicht im Schulalter sein mochten. Die Kindergärtnerin versuchte gerade, zwei Buben auseinanderzubringen, die plötzlich

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Dr. Norden Bestseller – 167 –

Der Tag, an dem das Wunder geschah

Patricia Vandenberg

Kathy Kresslin kniete am Grab ihres Mannes und ordnete die Rosen in die Vasen. Ihre Augen brannten, aber weinen konnte sie nicht mehr. Ein Jahr war es jetzt her, daß Rainer ihr genommen worden war, nach achtmonatiger Ehe. Und wie glücklich wa­ren sie gewesen, bis dieser schreck­liche Unfall geschah.

Und wie ihre Augen brannten, so brannte in ihr der Schmerz um den geliebten verlorenen Mann. Aus der fröhlichen Kathy war eine stille, zerquälte Frau geworden, die bei kreischenden Bremsen und dem Ertönen des Martinshorns zu zittern begann und unter Zwangsvorstellungen litt.

Hier, auf dem Waldfriedhof, war es ganz still. Kathy war allein mit der Frage, die sie immer wieder bewegte. Warum? Warum hat man uns auseinandergerissen? Warum durfte ich nicht einmal ein Kind von dir haben, Rainer?

Doch sie bekam keine Antwort.

Lange dauerte es, bis sie sich erhob. In dem schmalen dunkelblauen Leinenkleid wirkte sie noch zerbrechlicher, als sie ohnehin schon war. Langsam ging sie durch die Allee zur Autobushaltestelle.

Helles Kinderlachen tönte da an ihr Ohr, und sie sah eine kleine Gruppe aus dem Wald herauskommen. Jetzt begannen sie zu singen.

Kathy hatte sich so sehr Kinder gewünscht von Rainer. Eine hübsche Wohnung hatten sie sich eingerichtet, wo für ein oder zwei Platz genug vorhanden gewesen wäre, und später hatten sie sich ein Häuschen bauen wollen.

Ihre und auch Rainers Eltern wollten dazu beisteuern.

Jetzt sah sie die Kinder kommen, und sie ging schneller. Etwa ein Dutzend Kinder waren es, die noch nicht im Schulalter sein mochten. Die Kindergärtnerin versuchte gerade, zwei Buben auseinanderzubringen, die plötzlich ins Raufen geraten waren, als ein kleines Mädchen ausrief: »Papi, Papi«, und auf die Straße lief. In dem Augenblick kam ein Auto in schneller Fahrt daher. Der Bruchteil einer Sekunde war entscheidend. Kathy hatte eine Vision. Sie sah ihren Mann, der Verunglückten helfen wollte, und sie stürzte vorwärts, riß das Kind zurück, wurde selbst von dem Auto erfaßt und zur Seite geschleudert. Sie vernahm nur noch einen mehrstimmigen Aufschrei und dachte: Rainer!

Dann wurde es Nacht um sie.

Der Mann lief über die Straße zu dem Kind, die anderen Kinder standen erstarrt.

Das Auto hatte gehalten, der Fahrer des anderen Wagens, der aus der entgegengesetzten Richtung kam, lief auch herbei.

»Bibi, bist du verletzt?« fragte der Mann das jetzt jämmerlich schluchzende Kind, während sich die Kindergärtnerin über Kathy beugte und der Mann aus dem zweiten Wagen auf sie zukam.

Die Kindergärtnerin blickte auf, als er neben ihr niederkniete. »Mein Gott, Dr. Norden, Sie kommen wie gerufen«, flüsterte sie.

»Das Kind war schuld«, schrie der Mann aufgeregt, der diesen Unfall verursacht hatte.

»Sie sind viel zu schnell gefahren«, sagte eine andere Stimme von irgendwoher.

»Ruft jemand den Notarztwagen«, sagte Dr. Norden in das Durcheinander hinein.

Martin Wilkendorf hielt seine kleine Tochter im Arm und murmelte: »Du hättest nicht über die Straße laufen dürfen, Bibi.«

Aber das Kind war so verstört, daß es gar nicht begriff, was er sagte. »Ich blute, Papi, schau mal, wie ich blute«, jammerte es.

Der Notarztwagen kam bald. Dr. Norden hatte bei Kathy Kresslin Erste Hilfe geleistet. Er wandte sich Martin Wilkendorf zu, der seine Tochter im Arm hielt.

»Am besten wird es sein, Sie kommen gleich mit der Kleinen mit in die Behnisch-Klinik«, sagte er.

Von dort war er gerade gekommen. Nun aber brachte er Dr. Behnisch wieder Arbeit. Und es war gut, daß die Klinik so nahe lag, denn Kathy war schwer verletzt. Dr. Norden ahnte noch nicht, wie wenig dieser jungen Frau am Leben gelegen war.

»Wir sprechen uns später noch, Frau Grünau«, sagte er zu der Kindergärtnerin, die selbst restlos erschüttert und voller Angst war.

*

»Das ist doch Frau Kresslin«, sagte Dr. Behnisch, als er die Schwerverletzte betrachtete. »Du erinnerst dich doch an den Unfall, der im vorigen Jahr den jungen Kollegen, der im Notarzteinsatz war, das Leben kostete, Daniel. Es scheint sich mal wieder zu bewahrheiten, daß ein Unglück selten allein kommt. Das wird ein Schock für die Eltern sein.«

»Reden wir nachher darüber. Ich schaue mir noch das Kind an, dann muß ich in die Praxis.«

Martin Wilkendorf hielt sein weinendes Töchterchen im Arm.

»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Die junge Frau hat Bibi ganz offensichtlich vor Schlimmem bewahrt. Sie hat sehr geistesgegenwärtig gehandelt.« Er sah Dr. Norden ängstlich an. »Hoffentlich sind ihre Verletzungen nicht lebensgefährlich.«

»Jetzt werden wir erst mal schauen, wo es der Kleinen weh tut«, sagte Dr. Norden ausweichend, denn bisher konnte er über Kathy Kresslins Verletzungen noch nicht viel sagen.

»Wollte doch bloß zu meinem Papi«, jammerte Bibi. »Die Buben haben wieder gerauft. Papi soll mich mitnehmen.«

Dr. Norden wußte nichts von Martin Wilkendorf und der kleinen Bibi. Er wußte nur, daß Frau Grü­nau eine der Betreuerinnen in dem privaten Kinderheim Sonnenrose war. Dorthin wurde er auch so manches Mal gerufen, wenn ein Kind erkrankte, denn auch Rose Kleemann, die Besitzerin, gehörte zu Dr. Nordens Patientinnen.

Er stellte fest, daß die Verletzungen der kleinen Bibi erheblich waren. Da das Kind noch unter Schock stand, empfand es kaum Schmerzen.

»Ich denke, die Kleine sollte wenigstens drei Tage zur Beobachtung hierbleiben«, sagte Dr. Norden zu dem unglücklich dreinschauenden Vater.

»Will aber endlich bei Papi sein«, jammerte die Kleine.

»Du kommst ja zu deinem Papi«, wurde sie von Dr. Norden beruhigt, der es sehr gut verstand, mit Kindern umzugehen. »Hier ist eine liebe Frau Doktor, die sich um dich kümmern wird.«

»Frauen sind nicht lieb, bloß Männer«, erklärte die Kleine zu seinem Erstaunen.

»Aber die Dame, die dich davor bewahrt hat, daß du nicht überfahren wurdest, ist doch eine sehr nette Frau«, sagte Dr. Norden.

»Warum sagst du dann Dame?« fragte Bibi.

»Weil sie eine Dame ist.«

»Ich bin traurig, weil ihr jetzt was weh tut«, sagte Bibi, »aber ich habe bloß meinen Papi lieb. Und du bist auch nett.« Dann schluchzte sie auf. »Und jetzt tut mir viel weh.«

Sanft hatte Kathy nicht mit ihr umgehen können, dazu ging alles viel zu rasch. Das Kind hatte schon einige beträchtliche Prellungen davongetragen, und der rechte Arm schwoll jetzt so stark an, daß auch eine Fraktur zu befürchten war, die allerdings mit bloßem Auge nicht festzustellen war.

Dr. Norden gab dem Kind eine Injektion, und als Bibi daraufhin bald einschlummerte, vertraute er sie Dr. Jenny Behnisch an.

Martin Wilkendorf machte einen sehr bedrückten Eindruck. »Ich muß Ihnen wohl eine Erklärung geben, warum ich das Kind nicht bei mir haben kann«, sagte er leise.

»Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen«, sagte Dr. Norden. »Ich muß jetzt aber in die Praxis, weil bei mir das Sprechzimmer voll sein wird. Mein Name ist Norden. Wir können uns am Abend treffen. Ich kann Ihnen inzwischen zur Beruhigung nur sagen, daß Ihre Tochter hier bestens aufgehoben ist. Es tut mir sehr leid, daß ich jetzt nicht mehr Zeit habe, aber ich habe eine Allgemeinpraxis, und die Sprechstunde sollte schon vor einer halben Stunde beginnen. Sagen wir heute abend gegen sieben Uhr?«

Martin Wilkendorf nickte zustimmend. »Ich wollte Bibi heute zu einem Tierparkbesuch abholen, weil ich übermorgen eine Geschäftsreise antreten muß«, sagte er noch beklommen. »So bin eigentlich ich an allem schuld.«

Dr. Norden wußte noch nicht einmal, wie es sich abgespielt hatte, aber das würde er wohl auch noch erfahren. Jetzt fuhr er zuerst mal in die Praxis, wo seine treue Loni schon wie auf Kohlen saß und sich um ihn Sorgen machte.

Aber ihr konnte er auch erst später sagen, was geschehen war, denn nun mußte er sich um seine Patienten kümmern.

Später rief dann Rose Kleemann ganz aufgeregt an. Frau Grünau sei wegen des Unfalls fertig mit den Nerven. Ob er mal vorbeikommen könne.

»Geben Sie ihr ein paar Beruhigungstropfen, ich komme nach der Sprechstunde, Frau Kleemann. Ich bitte um Ihr Verständnis.«

Wenn er überhaupt nur kommen würde! Auch sie brauchte seinen Zuspruch, denn schließlich ging es auch um ein Kind, das ihr anvertraut worden war, und es kostete ein ganz hübsches Sümmchen, wenn man sein Kind bei ihr unterbringen wollte.

Das wußte Dr. Norden, aber er wußte auch, daß die Kinder bestens betreut wurden. In diesem Fall konnte man auch Frau Grünau keine Schuld geben. Sie konnte die Kinder nicht an der Leine führen. Sie mußte es bei Ermahnungen belassen, und ihre Augen konnte sie auch nicht gleichzeitig überall haben. Die beiden raufenden Buben waren jetzt für die anderen Kinder, die dabeigewesen waren, die Sündenböcke. Sie waren völlig zerknirscht, aber zu ändern war nun nichts mehr.

Fest stand, daß der Autofahrer viel zu schnell gefahren war. Das hatte die Spurensicherung schon festgestellt.

Er hatte es sehr eilig gehabt, um zu einer Verabredung zu kommen, nun mußte er vorerst auf seinen Führerschein verzichten.

Kathy Kresslin lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Ihre Eltern waren verständigt worden und sofort in die Behnisch-Klinik gekommen, als Dr. Norden dann auch endlich dort ankam. Auch Martin Wilkendorf war da. Er hatte Kathys Eltern sein Bedauern ausdrücken wollen, wurde aber keines Blickes gewürdigt. Das Ehepaar Heimbach war zutiefst deprimiert, und das war zu verstehen. Ausgerechnet am Todestag ihres Schwiegersohnes mußte sie dieser weitere Schicksalsschlag treffen, nach diesen langen Monaten, in denen sie sich um ihre Tochter schon genug hatten sorgen müssen.

»Es war eine spontane Reaktion«, sagte Dr. Norden. »Sie hat das Leben des Kindes gerettet.«

»Was nützt uns das, wenn sie selbst ihr Leben vielleicht verliert«, sagte Albert Heimbach heiser, und seine Frau begann wieder zu weinen. Dann kam auch noch Almut Kresslin, die junge Schwägerin von Kathy. Sie nahm sich zwar sehr zusammen, aber auch sie war schwer erschüttert.

»Die Eltern wissen es noch gar nicht«, sagte sie bebend. »Sie waren gerade zum Friedhof gefahren, als ihr angerufen habt. Warum mußte Kathy aber auch immer allein zum Friedhof gehen! Ich habe ihr doch so oft gesagt, daß sie mich vorher anrufen soll.«

So dachte jeder, was ihn am meisten bewegte, und Dr. Norden erfuhr nun von Martin Wilkendorf, daß er auch kein leichtes Schicksal hatte.

»Ich bin seit zwei Jahren geschieden«, begann er stockend. »Bibis Mutter war Schwedin. Ich lernte sie kennen, als ich von meiner Firma als Tiefbauingenieur dorthin geschickt wurde. Es war die berühmte Liebe auf den ersten Blick, wenigstens bei mir.« Es klang bitter, und ein Zucken lief über sein Gesicht. »Für sie war es wohl nur die Chance, aus ihrem recht strengen Elternhaus herauszukommen. Als wir nach München gingen, schien alles in Ordnung zu sein. Bibi wurde geboren, wir hatten eine nette Firmenwohnung. Dann wurde ich wieder versetzt. Sie wollte nicht mit nach Norddeutschland, aber für mich war es ein Sprung nach oben. Ich wollte mir diese Chance nicht entgehen lassen. Als ich dann einmal unverhofft zu Besuch kam, fand ich einen anderen Mann bei ihr, einen Amerikaner, und ich hörte von Nachbarn, daß sie das Kind völlig vernachlässigt hatte. Die Scheidung folgte. Meine Mutter betreute Bibi. Sie starb vor sechs Monaten. Ich suchte mir eine andere Wohnung, damit Bibi aus der alten Umgebung herauskam. Ich fand auch ein Kindermächen, aber auf das war auch kein Verlaß, und so gab ich Bibi in das Heim. Es schien auch so, als ob sie sich dort ganz wohl fühle, aber sie war wohl verschreckt, als ich ihr sagte, daß ich wieder für einige Wochen ins Ausland gehen müsse.«

Er machte eine kleine Pause und seufzte schwer. »In der heutigen Zeit kann man es sich nicht leisten, eine so gute Stellung aufzugeben.«

Dafür hatte Dr. Norden volles Verständnis, und das sagte er auch.

»Ich dachte auch, daß Bibi in dem Heim besser aufgehoben wäre als bei einer doch nicht zuverlässigen Haushälterin. Ich weiß ja nicht, was sie in meiner Abwesenheit treiben würde. Aber nun stehe ich vor dem großen Problem, was ich jetzt tun soll. Ich kann den Auftrag nicht rückgängig machen, weil ich die Leitung des Projektes habe und an der Planung weitgehend beteiligt bin.«

»Nun, ich kenne Frau Kleemann sehr gut und bin überzeugt, daß Bibi bestens betreut und nun auch ganz besonders beaufsichtigt wird, Herr Wilkendorf.«

»Aber ich nehme die Sorge mit, wie sie nach diesem Geschehen die Trennung von mir verkraften wird.«

Auch das war begreiflich, aber was sollte Dr. Norden diesem Mann sagen, dem all die vergangenen und jetzigen Sorgen schon das Gesicht geprägt hatten.

»Hat Bibi zu einer Betreuerin vielleicht einen besonders guten Kon­takt?« fragte Dr. Norden.

Martin Wilkendorf verneinte die Frage. »So klein sie auch war, es muß wohl doch etwas in ihr haften geblieben sein, wie sie von ihrer Mutter behandelt wurde«, sagte er tonlos. »Nur zu Frau Kleemann ist sie zutraulich. Das ist eben ein Großmuttertyp, wie meine Mutter es war. Gegen jüngere Frauen verhält sie sich fast aggressiv, ohne daß man sie als Problemkind bezeichnen könnte.«

»Ich werde mal mit der Kleinen sprechen. Immerhin hat ihr eine junge Frau das Leben gerettet, und diese Frau hat auch ein schweres Schicksal, Herr Wilkendorf. Dr. Kresslin war Arzt. Er wurde vor einem Jahr, auf den Tag genau, auch von einem rasanten Autofahrer überrollt, als er Verletzten als Notarzt zu Hilfe kam. Es war eine kurze, aber sehr glückliche Ehe, und vielleicht war es der Gedanke an ihren Mann, der Kathy Kresslin so spontan handeln ließ.«

»Dann ist alles doppelt schlimm«, sagte Martin leise. »Was kann ich für diese tapfere Frau tun?«

»Finanzielle Sorgen hat sie nicht«, sagte Dr. Norden. »Und was kann man für einen Menschen schon tun, dem ein unbarmherziges Schicksal so tiefe Wunden schlug? Ich habe auch für Ihre Situation volles Verständnis, aber gemeinsam mit Frau Kleemann wird sich auch diese Trennung überbrücken lassen.«

»Dürfte ich Sie bitten, die Betreuung meines Kindes zu übernehmen?« fragte Martin.

»Gern tue ich das«, erwiderte Dr. Norden. »Ich habe selbst drei Kinder, und wie Sie wissen, findet mich Bibi doch ganz nett.«

»Dann darf ich Sie nochmals aufsuchen, bevor ich nach Afrika fliegen muß?«

Guter Gott, wieder mal Afrika, dachte Dr. Norden. Hoffentlich gibt es nicht auch dort Schwierigkeiten.

»Sie wissen, wo Sie mich erreichen können«, erwiderte er.

*

Kathy Kresslin war bei Bewußtsein, schneller, als Dr. Behnisch und seine Frau Jenny zu hoffen gewagt hatten.

»Was ist mit dem Kind?« fragte sie sofort.

»Der Kleinen geht es gut, besser als Ihnen, Frau Kresslin«, antwortete Jenny Behnisch.

»Das ist gut«, flüsterte Kathy.

»Ihre Eltern sind gekommen und Ihre Schwägerin«, sagte Jenny.

»Ich bin müde«, murmelte Kathy. »Heute nicht.«

Nun, man mußte den Eltern dennoch einen Blick auf die Tochter gestatten, aber Kathy schlief schon wieder. So sah es jedenfalls aus, denn halb befand sie sich noch in der Wirklichkeit, und sie hörte auch, was sie sagten.

»Wegen eines fremden Kindes!« Es klang in ihren Ohren nach. Sie hatte ja gewußt, daß sie das sagen würden. Es war ganz seltsam, aber so sehr ihr Bewußtsein einerseits ausgeschaltet war, so deutlich hörte sie dies, was sie eigentümlicherweise selbst schon beim Erwachen gedacht hatte.

»Schau doch, ihr hübsches Gesicht«, schluchzte die Mutter.

»Es wird doch wieder gut, Mama Heimbach«, hörte sie dann Almut sagen. »Diese Wunden heilen.«

»Manchmal habe ich schon gedacht, sie würde Rainer folgen wollen«, sagte Carla Heimbach.

Und auch das vernahm Kathy. Ja, ich wollte es, dachte sie. Aber dann sank sie in tiefen traumlosen Schlaf.

»Wir haben wohl alle zuviel gejammert«, sagte Almut. »Niemand hat ihr richtig Mut gemacht zu einem neuen Leben. Rainer wird doch nicht mehr zurückkommen. Aber meine Eltern sind ja genauso wie ihr.«

»Und wie sollten wir sein?« begehrte Carla Heimbach auf. »Ich habe mal zu Kathy gesagt, daß sie doch später wieder einen netten Mann finden könnte, aber da war es ganz aus.«

»Das war eben gerade das Falsche«, brummte ihr Mann.

Almut blickte zu Boden. Als ob dies das Wichtigste wäre, dachte sie. Sie trauerte auch um ihren Bruder, aber sie hatte sich in die Arbeit gestürzt, und zufällig war sie in der gleichen Firma beschäftigt wie Martin Wilkendorf. Sie hatte keinen Kontakt zu ihm, denn sie saß in einer ganz anderen Abteilung als Fremdsprachensekretärin, aber sie kannte ihn vom Sehen und hatte ihn vorhin zufällig in der Halle gesehen. Dr. Jenny Behnisch hatte sie dann über die Zusammenhänge aufgeklärt.

Almut wußte nichts Privates über Martin Wilkendorf, nicht einmal, daß er eine Tochter hatte, und da sie ein sehr zurückhaltendes Mädchen war, hatte sie sich ihm auch gar nicht zu erkennen gegeben, sicher, daß er sie bisher überhaupt noch nicht wahrgenommen hatte, nicht im Betrieb und auch nicht hier in der Klinik. Sie wußte nur, daß so manche weibliche Angestellte es auf ihn abgesehen hatte. Er war ja auch ein interessanter Mann. Gerade dieser Hauch von Melancholie in seinen Augen machte ihn besonders anziehend.

Als sie ihn nun, da sie wieder in die Halle kam, weil Kathys Eltern sich unbedingt noch mit dem Arzt­ehepaar unterhalten wollten, sah sie ihn bei Dr. Norden stehen.

Schnell verließ sie die Klinik und ging zu ihrem Wagen. Aber dann kam ihr doch ein Gedanke, und sie blieb hinter dem Steuer sitzen, bis sie Martin Wilkendorf herauskommen sah.

Sie stieg aus und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Verwundert sah er sie an, als sie ihn mit seinem Namen ansprach. »Herr Dr. Wilkendorf, hätten Sie ein paar Minuten Zeit?« fragte sie.

Kein Zeichen des Erkennens war in seinem Gesicht wahrzunehmen.

»Sind Sie etwa von der Presse?« fragte er rauh.

»Nein, mein Name ist Almut Kress­lin. Ich bin die Schwägerin von Kathy, die heute Ihre Tochter vor dem Überfahren bewahrt hat, und zufällig bin ich bei der gleichen Firma beschäftigt wie Sie.«

Sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. »Wollen Sie es dort publik machen?« fragte er tonlos.