Dracula - Bram Stoker - E-Book + Hörbuch

Dracula Hörbuch

Bram Stoker

4,4

Beschreibung

Das Original in überarbeiteter deutscher Fassung mit zahlreichen Anmerkungen. Der Londoner Rechtsanwalt Jonathan Harker reist nach Transsilvanien. Er soll dort den Grafen Dracula beraten, der nach England auswandern will und zu diesem Zweck ein Grundstück in London erwirbt. Während seiner Reise trifft Harker auf sehr misstrauische und abergläubische Gestalten, die ihn vor dem Grafen warnen. Im Schloss des Grafen verlaufen die Tage zunächst ruhig, da sich der Gastgeber selbst bei Tage nicht blicken lässt. Aber dann schöpft Harker Verdacht, denn der Graf hat kein Spiegelbild. Bald schon ahnt der junge Engländer von der unheimlichen Macht seines Gegners. Und er weiß, dass er die Mauern des Schlosses nie lebend verlassen wird, wenn er nicht flieht. In London wartet ein Heer von ahnungslosen Opfern auf den Vampir. Bram Stoker hat in diesem Roman Tod und Erotik auf faszinierende Art zusammengeführt. Dieses Buch gehört zur anerkannten Weltliteratur, es lässt sich auf verschiedenste Art interpretieren und lesen, als viktorianisches Sittengemälde, als spannender Abenteuerroman und als Schauerroman. Null Papier Verlag

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Bram Stoker

Dracula

Vollständige Deutsche Fassung

Bram Stoker

Dracula

Vollständige Deutsche Fassung

(Dracula)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung und Fußnoten: Jürgen SchulzeÜbersetzung: Heinz Widtmann EV: M. Altmann, Leipzig, 1926 7. Auflage, ISBN 978-3-954180-08-0

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Edi­to­ri­sche An­mer­kung

Le­ben und Werk

VORWORT

ERSTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

ZWEITES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

DRITTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

VIERTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

FÜNFTES KAPITEL

Brief von Frl. Mina Mur­ray an Frl. Lucy Wes­ten­raa.

Brief von Frl. Lucy Wes­ten­raa an Frl. Mina Mur­ray

Brief von Frl. Lucy Wes­ten­raa an Frl. Mina Mur­ray

Dr. Se­wards Dia­ri­um

Brief von Quin­cey Mor­ris an Herrn Ar­thur Holm­wood.

Te­le­gramm von Ar­thur Holm­wood an Quin­cey P. Mor­ris.

SECHSTES KAPITEL

Mina Mur­rays Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Mur­rays Ta­ge­buch

SIEBENTES KAPITEL

Aus­schnitt aus dem »Dai­ly­graph« vom 8. Au­gust.

Log­buch der »De­me­ter«

Mina Mur­rays Ta­ge­buch

ACHTES KAPITEL

Mina Mur­rays Ta­ge­buch

Brief. Sa­mu­el F. Bil­ling­ton & Sohn, Sach­wal­ter, Whit­by, an Her­ren Car­ter, Pa­ter­son & Co., Lon­don

Brief. Her­ren Car­ter, Pa­ter­son & Co., Lon­don, an Her­ren Bil­ling­ton & Co., Whit­by

Mina Mur­rays Ta­ge­buch

Brief. Schwes­ter Aga­the, Jo­seph- und Ma­ri­en-Ho­spi­tal, Bu­da­pest, an Fräu­lein Mina Mur­ray

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

NEUNTES KAPITEL

Brief. Mina Har­ker an Lucy Wes­ten­raa

Brief. Lucy Wes­ten­raa an Mina Har­ker

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Lucy Wes­ten­raas Ta­ge­buch

Brief. Ar­thur Holm­wood an Dr. Se­ward

Te­le­gramm. Ar­thur Holm­wood an Dr. Se­ward

Brief von Dr. Se­ward an Ar­thur Holm­wood

Brief. Abra­ham Van Hel­sing, Dr. med., Dr. phil., Dr. lit. etc., an Dr. Se­ward.

Brief. Dr. Se­ward an Herrn Ar­thur Holm­wood

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Te­le­gramm. Dr. Se­ward, Lon­don, an Van Hel­sing, Ams­ter­dam

Te­le­gramm Dr. Se­ward, Lon­don, an Van Hel­sing, Ams­ter­dam

Te­le­gramm. Dr. Se­ward, Lon­don, an Van Hel­sing, Ams­ter­dam

ZEHNTES KAPITEL

Brief. Dr. Se­ward an Ar­thur Holm­wood

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Lucy Wes­ten­raas Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

ELFTES KAPITEL

Lucy Wes­ten­raas Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Lucy Wes­ten­raas Ta­ge­buch

»The Pall Mall Ga­zet­te«, 18. Sep­tem­ber.

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Te­le­gramm. Van Hel­sing, Ant­wer­pen, an Se­ward, Car­fax.

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Me­mo­ran­dum, hin­ter­las­sen von Lucy Wes­ten­raa.

ZWÖLFTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch.

Brief. Mina Har­ker an Lucy Wes­ten­raa.

Be­richt von Pa­trick Hen­nes­sey, Dr. med., Mit­glied der K. Ärzt­li­chen Ge­sell­schaft, k. Rat etc. etc., an John Se­ward, Dr. med

Brief. Mina Har­ker an Lucy Wes­ten­raa

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

DREIZEHNTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch.

Mina Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

»The West­mins­ter Ga­zet­te« 25. Sep­tem­ber. Das Ge­heim­nis von Hams­tead.

»The West­mins­ter Ga­zet­te«. 25. Sep­tem­ber. Ex­trablatt

VIERZEHNTES KAPITEL

Mina Harkers Ta­ge­buch.

Brief. Van Hel­sing an Frau Har­ker

Te­le­gramm. Frau Har­ker an Van Hel­sing

Mina Harkers Ta­ge­buch

Brief. Van Hel­sing an Frau Har­ker

Brief. Frau Har­ker an Van Hel­sing

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

FÜNFZEHNTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

No­tiz von Van Hel­sing im Ber­ke­ley-Ho­tel im Hand­kof­fer zu­rück­ge­las­sen, für John Se­ward, Dr. med., be­stimmt

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

SECHZEHNTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

SIEBZEHNTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

ACHTZEHNTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

NEUNZEHNTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

ZWANZIGSTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Brief. Mit­chell Söh­ne & Can­dy an Lord Go­dal­ming

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Wie­der­ga­be ei­nes Ge­sprä­ches, von Van Hel­sing in Dr. Se­wards Pho­no­gra­fen ge­spro­chen

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Te­le­gramm. Ru­fus Smith, Lloyd, Lon­don, an Lord Go­dal­ming, zu Hän­den des k. Vi­ze­kon­suls, Var­na

Dr. Se­wards Ta­ge­buch.

Te­le­gramm. Ru­fus Smith. Lloyd, Lon­don, an Lord Go­dal­ming, zu Hän­den des k. Vi­ze­kon­suls, Var­na.

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

Mina Harkers Denk­schrift

Mina Harkers Ta­ge­buch

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Mina Harkers Ta­ge­buch

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Mina Harkers Ta­ge­buch

Abra­ham van Hel­sings Me­mo­ran­dum

Jo­na­than Harkers Ta­ge­buch

Dr. Se­wards Ta­ge­buch

Dr. Van Hel­sings Me­mo­ran­dum

Mina Harkers Ta­ge­buch

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Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Dra­cu­la

Das Bild­nis des Do­ri­an Gray

Der Go­lem

Ja­pa­ni­sche Geis­ter­ge­schich­ten

Die ver­ges­se­ne Welt

Das Ende der Welt

Hor­ror

und wei­te­re …

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Editorische Anmerkung

Die­ser Text ba­siert auf fol­gen­der Aus­ga­be:

Dra­cu­la : Ein Vam­pyr-Ro­man / Bram Sto­ker. Au­to­ris. Übers. aus d. Engl. von Heinz Widt­mann, 2. u. 3. Aufl., Leip­zig, 1926: M. Alt­mann

Er wur­de kom­plett über­ar­bei­tet, der neu­en deut­schen Recht­schrei­bung von 2006 an­ge­passt und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen. Wo zweck­mä­ßig wur­den Wör­ter, Be­zeich­nun­gen und Be­grif­fe auch ei­ner ak­tu­el­le­ren Schrei­bung an­ge­passt.

J. Schul­ze, Ver­le­ger

Leben und Werk

A­bra­ham »Bram« Sto­ker (✳ 8.11.1847 bei Dub­lin; † 20.04.1912 in Lon­don) war ein iri­scher Schrift­stel­ler, der haupt­säch­lich durch sei­nen Ro­man Dra­cu­la be­kannt wur­de.

Bram Sto­ker wird als drit­tes von sie­ben Kin­dern ge­bo­ren. Die El­tern sind Abra­ham Sto­ker und Char­lot­te Ma­til­da Bla­ke Thorn­ley.

Bis zu sei­nem sieb­ten Le­bens­jahr lei­det Sto­ker un­ter ei­ner rät­sel­haf­ten Krank­heit, die ihn ans Bett ge­fes­selt hält. Er er­holt sich auf un­er­klär­li­che Wei­se. Sei­ner ei­ge­nen Aus­sa­ge nach, hat ihn die­se Er­fah­rung ein Le­ben lang be­ein­flusst.

1864 be­ginnt er ein Stu­di­um der Ge­schich­te, Li­te­ra­tur, Ma­the­ma­tik und Phy­sik am Tri­ni­ty Col­le­ge in Dub­lin. Er zeich­net sich als au­ßer­ge­wöhn­li­cher Ath­let und Stu­dent aus. An­schlie­ßend er­hält er eine Be­am­ten­stel­lung bei der Dien­stauf­sichts­be­hör­de der Jus­tiz­ver­wal­tung in Dub­lin Cast­le. Aber hier wird er nicht lan­ge glück­lich.

Er ar­bei­tet gleich­zei­tig als Jour­na­list und Thea­ter­kri­ti­ker und schreibt Ar­ti­kel für das Dub­lin Uni­ver­si­ty Ma­ga­zi­ne. 1872 wird sei­ne ers­te Kurz­ge­schich­te The Chry­stal Cup ver­öf­fent­licht. 1875 folgt die Kurz­ge­schich­te The chain of Des­ti­ny. 1876 ver­fasst er den Be­richt The Du­ties of Pret­ty Ses­si­ons in Ire­land.

Sein In­ter­es­se am Thea­ter und eine von ihm ver­fass­te po­si­ti­ve Re­zes­si­on führt zu ei­ner le­bens­lan­gen Freund­schaft mit dem Schau­spie­ler Hen­ry Ir­ving.

Sto­ker hei­ra­tet 1878 Flo­rence Bal­com­be, die auch von Os­car Wil­de um­wor­ben wird. Die klei­ne Fa­mi­lie zieht nach Chel­sea in Lon­don, wo er als Ma­na­ger von Ir­vings Ly­ce­um Thea­tre ar­bei­tet. Durch die Ar­beit für Ir­ving fin­det er Zu­gang zur Lon­do­ner Ge­sell­schaft, wo er un­ter an­de­rem auf den Ma­ler Ja­mes McNeill Whist­ler und den Au­to­ren der Sher­lock-Hol­mes-Ge­schich­ten Sir Ar­thur Co­nan Doy­le trifft. Sto­ker wird Ir­vings Se­kre­tär und be­reist mit ihm die Welt. Da­ne­ben ar­bei­tet er als Buch­au­tor. Sil­ves­ter 1879 wird sein Sohn Ir­ving Noel ge­bo­ren.

1881 er­scheint Un­der The Sun­set, Sto­kers ers­tes Buch, eine Samm­lung von acht Kin­der­mär­chen.

1890 er­scheint der ers­te Ro­man The Snak’s Pass. Im glei­chen Jahr trifft Sto­ker bei ei­ner ok­kul­ten Sit­zung den un­ga­ri­schen Pro­fes­sor Ar­mi­ni­us Vám­béry, der ihm von der Le­gen­de des ru­mä­ni­schen Fürs­ten Vlad III. Dră­cu­lea er­zählt. Man ist sich heu­te größ­ten­teils ei­nig, dass Sto­ker dar­aus die Fi­gur des Vam­pirs Dra­cu­la ent­wi­ckel­te. In den nächs­ten Jah­ren ist er mit der Re­cher­che zu his­to­ri­schen und kul­tu­rel­len De­tails sei­ner Ge­schich­te be­schäf­tigt. Sie­ben Jah­re ar­bei­tet Sto­ker an dem Buch, bis es am 18. Mai 1897 er­scheint.

Bis zu sei­nem Tod ver­öf­fent­licht Sto­ker noch wei­te­re Kurz­ge­schich­ten und Ro­ma­ne, die aber heu­te größ­ten­teils in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten sind.

Be­kannt ist und bleibt er für Dra­cu­la. Lei­der er­lebt Sto­ker den welt­wei­ten Er­folg sei­nes Bu­ches nicht mehr. Er stirbt 1912 in be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen in Lon­don. Die ge­naue To­des­ur­sa­che ist nicht be­kannt.

Zu Ehren des Au­tors ver­leiht die Ve­rei­ni­gung der ame­ri­ka­ni­schen Hor­ror­schrift­stel­ler seit 1987 jähr­lich in ver­schie­de­nen Ka­te­go­ri­en den Bram Sto­ker Award. Er­hal­ten ha­ben ihn un­ter an­de­rem Ste­phen King, Cli­ve Bar­ker, Dean Koontz und Joy­ce Ca­rol Oa­tes.

Graf Dra­cu­la ist der be­rühm­tes­te Vam­pir der Li­te­ra­tur­ge­schich­te. Ins kol­lek­ti­ve Ge­dächt­nis ge­lang­te er vor al­lem auch durch zahl­rei­che Ver­fil­mun­gen des Stof­fes. Schon Chri­sto­pher Lee, Bela Lu­go­si, Klaus Kin­ski und Gary Old­man ha­ben Dra­cu­la Ge­stalt ver­lie­hen.

Dra­cu­la steht am An­fang ei­ner gan­zen Rei­he von Ge­schich­ten über Vam­pi­re, die in der Ro­man­tik und spä­ter im 19. Jahr­hun­dert zu ei­nem be­lieb­ten The­ma der Li­te­ra­tur wur­den.

Zur Zeit der Ro­man­vor­la­ge, Ende des 19. Jahr­hun­derts, ist Sie­ben­bür­gen (eng. Tran­syl­va­nia) ein Teil der k.u.k. Mon­ar­chie Ös­ter­reich-Un­garn und liegt im Kö­nig­reich Un­garn. Heu­te zählt die­ses Ge­biet zu Ru­mä­ni­en.

Der Ro­man ist in Form von Ta­ge­buchein­trä­gen, Te­le­gram­men und nei­der­ge­schrie­be­nen Ton­band­mit­schnit­ten sehr ge­schickt und auf­wen­dig kon­stru­iert. Sto­ker ge­lingt da­mit der zu sei­ner Zeit sehr mo­der­ne Kunst­griff, die Pro­tago­nis­ten durch das Le­sen der Kor­re­spon­denz und der Ta­ge­bü­cher in die Ge­dan­ken der an­de­ren Per­so­nen vor­drin­gen zu las­sen. Der Le­ser wird so­mit gleich­zei­tig zu ei­nem un­sicht­ba­ren Mit­wis­ser.

Der his­to­ri­sche Vlad III., ge­nannt »Der Pfäh­ler«, war ein Ad­li­ger aus der Walachei, der im 15. Jahr­hun­dert leb­te. Sein Stamm­schloss ist heu­te al­ler­dings nicht be­kannt. Er trug den Bein­amen Dră­cu­lea (Ru­mä­nisch für »Sohn des Dra­chen«), was Sto­ker al­ler­dings fälsch­li­cher­wei­se mit »Sohn des Teu­fels« über­set­ze. Vlad war be­rüch­tigt für sei­ne Grau­sam­keit im Kampf ge­gen die Tür­ken und Un­garn. Sei­ne Fein­de ließ er bei le­ben­di­gem Leib auf Pfäh­le spie­ßen. Trotz sei­ner Grau­sam­keit ver­lor er letzt­lich den Krieg ge­gen die Tür­ken, nach­dem er mehr­mals vom Thron ge­sto­ßen wor­den war, zu­rück­kehr­te und im­mer wie­der die Sei­ten in der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Un­garn und Os­ma­ni­schen Reich ge­wech­selt hat­te.

Um die­sen Mann rank­ten sich schon zu Leb­zei­ten zahl­rei­che Le­gen­den. Auch heu­te ge­hen die Mei­nun­gen über ihn aus­ein­an­der. So wird er ei­ner­seits als ei­ner der schlimms­ten Mas­sen­mör­der der Ge­schich­te be­zeich­net, an­de­rer­seits soll er nicht grau­sa­mer als zu sei­ner Zeit üb­lich ge­we­sen sein.

Sto­ker hat die Hand­lungs­or­te sei­nes Ro­mans selbst nie be­sucht. Er stell­te um­fang­rei­che Nach­for­schun­gen an und durch­fors­te­te Biblio­the­ken und Archi­ve, vor al­lem die des Bri­ti­schen Mu­se­ums. Sei­ne Re­cher­chen wa­ren so ge­nau, dass selbst die Zug­fahr­plä­ne, die im Ro­man ge­nannt wer­den, mit der Wirk­lich­keit über­ein­stimm­ten.

VORWORT

Wie die­se Blät­ter ent­stan­den sind, er­gibt sich aus de­ren Lek­tü­re. Al­les Über­flüs­si­ge ist aus­ge­las­sen wor­den, so­dass sie, un­ab­hän­gig von dem Glau­ben oder Nicht­glau­ben spä­te­rer Ge­schlech­ter, als ein­fa­che his­to­ri­sche Tat­sa­chen da­ste­hen. Sie sind durch­aus kei­ne Er­zäh­lun­gen ver­gan­ge­ner Din­ge, in de­nen das Ge­dächt­nis sich ir­ren kann, son­dern alle Be­rich­te sind so­fort nie­der­ge­schrie­ben und spie­geln den Stand­punkt und die Auf­fas­sung der be­tref­fen­den Schrei­ber treu wie­der.

ERSTES KAPITEL

Jonathan Harkers Tagebuch

(Ste­no­gramm)

Bistritz,1 3. Mai. Mün­chen ab am 1. Mai 8:35 abends. Wien am frü­hen Mor­gen des nächs­ten Ta­ges; soll­te ei­gent­lich 6:46 an­kom­men, der Zug hat­te aber eine Stun­de Ver­spä­tung. Bu­da­pest scheint eine herr­li­che Stadt zu sein, so­weit ich es aus dem Wag­gon und in der kur­z­en Zeit, die mir zu ei­nem Spa­zier­gang zur Ver­fü­gung stand, be­ur­tei­len konn­te. Ich fürch­te­te näm­lich, mich all­zu weit vom Bahn­ho­fe zu ent­fer­nen, da wir so spät an­ge­kom­men wa­ren und je­den­falls so pünkt­lich als mög­lich ab­fah­ren wür­den. Der Ein­druck war der, dass man den Oc­ci­dent ver­las­sen und den Ori­ent be­tre­ten hat­te; die west­lichs­te der präch­ti­gen Brücken über die Do­nau, die hier eine be­trächt­li­che Brei­te und Tie­fe auf­weist, ver­setz­te einen je­den­falls mit­ten in die Zeit der Tür­ken­herr­schaft.

Wir fuh­ren recht­zei­tig ab und ka­men nach Ein­bruch der Nacht nach Klau­sen­burg. Ich wohn­te im Ho­tel Roy­al. Zum Di­ner oder viel­mehr Sou­per aß ich ein Huhn, das mit ro­tem Pfef­fer zu­be­rei­tet war; sehr schmack­haft, aber durs­ter­re­gend (Anm. Re­zept für Mina ver­lan­gen). Auf mei­ne Fra­ge sag­te mir der Kell­ner, man nen­ne es »Pa­pri­ka­hendl!« und ich wür­de es, da es Na­tio­nal­ge­richt sei, über­all in den Kar­pa­ten be­kom­men. Mein bi­schen Deutsch kam mir hier sehr zu­stat­ten; ich wüss­te nicht, wie ich ohne es durch­ge­kom­men wäre.

Da ich in Lon­don noch et­was Zeit ge­habt hat­te, hat­te ich das Bri­ti­sche Mu­se­um be­sucht und dort un­ter den Bü­chern und Kar­ten über Trans­syl­va­ni­en eine Aus­wahl ge­trof­fen, da ich hoff­te, ei­ni­ge Vor­kennt­nis­se wür­den mir für den Ver­kehr mit den Ed­len des Lan­des je­den­falls von Nut­zen sein. Der Distrikt liegt im äu­ßers­ten Os­ten des Lan­des, da, wo sich die Gren­zen drei­er Staa­ten, Trans­syl­va­ni­en, Moldau und Bu­ko­wi­na, tref­fen, mit­ten in den Kar­pa­ten. Ei­nen ge­nau­en An­halt für die Lage des Schlos­ses Dra­cu­la konn­te ich je­doch nicht fin­den, da die Land­kar­ten je­ner Zeit mit de­nen un­se­rer Lan­des­ver­mes­sung nicht zu ver­glei­chen sind, aber ich fand, dass Bistritz, die Post­sta­ti­on für Dra­cu­la, ein ziem­lich be­kann­ter Platz ist. Ich will ei­ni­ge mei­ner No­ti­zen hier ein­tra­gen; sie sol­len mir als An­halt die­nen, wenn ich mit Mina über mei­ne Rei­sen plau­dern wer­de.

Die Be­völ­ke­rung Trans­syl­va­ni­ens setzt sich aus vier ver­schie­de­nen Na­tio­na­li­tä­ten zu­sam­men: die Sach­sen im Sü­den und, ge­mischt mit ih­nen, die Wal­la­chen, Nach­kom­men der Da­zi­er; die Magya­ren im Wes­ten und Sze­kels im Os­ten und Nor­den. Ich gehe zu den Letzt­ge­nann­ten, die von At­ti­la und den Hun­nen ab­stam­men sol­len. Das mag sich wohl so ver­hal­ten; denn als die Magya­ren im elf­ten Jahr­hun­dert das Land er­ober­ten, fan­den sie die Hun­nen dort an­säs­sig. Ich las, dass je­der nur er­denk­li­che Aber­glau­be dort un­ten in dem huf­ei­sen­för­mi­gen Zuge der Kar­pa­ten zu Hau­se sei, als sei dort das Zen­trum ei­nes Wir­bels aber­gläu­bi­scher Vor­stel­lun­gen. In die­ser Be­zie­hung wird mein Auf­ent­halt wohl viel des In­ter­essan­ten bie­ten (Anm. Ich muss den Gra­fen dar­über be­fra­gen).

Ich schlief nicht gut, ob­gleich mein Bett ziem­lich be­quem war, denn ich hat­te alle mög­li­chen ver­wor­re­nen Träu­me. Die gan­ze Nacht heul­te ein Hund un­ter mei­nem Fens­ter, wel­ches zu ihm in ir­gend ei­ner Be­zie­hung zu ste­hen schi­en; oder der Pa­pri­ka war schuld, ich hat­te al­les Was­ser in mei­ner Kar­af­fe aus­ge­trun­ken und war doch im­mer noch durs­tig. Ge­gen mor­gen schlief ich end­lich ein und er­wach­te erst auf hef­ti­ges Klop­fen an mei­ner Türe, wor­aus ich schlie­ße, dass ich sehr fest ge­schla­fen ha­ben muss. Zum Früh­stück aß ich wie­der­um Pa­pri­ka; eine Sup­pe von Mais­mehl, wel­ches sie »Ma­ma­li­ka«2 nen­nen, und Eier­ku­chen mit ei­nem Füll­sel von ge­hack­tem Fleisch, die »Im­ple­tata« (Anm. Auch hier­von das Re­zept ver­lan­gen). Ich muss­te sehr rasch früh­stücken, denn mein Zug ging kurz vor 8 Uhr, d.h. er soll­te zu die­ser Zeit ge­hen; als ich mich um 7:30 auf der Sta­ti­on ein­fand, muss­te ich fast eine Stun­de im Wa­gen sit­zen, bis end­lich die Ab­fahrt er­folg­te. Mir scheint es, als gin­gen die Züge umso un­pünkt­li­cher, je wei­ter man nach Os­ten kommt; wie mag es da erst in Chi­na sein?

Den gan­zen Tag bum­mel­te der Zug durch eine äu­ßerst reiz­vol­le Ge­gend. Manch­mal sa­hen wir klei­ne Sch­lös­ser und Tür­me auf stei­len Hü­geln, ganz wie man sie in al­ten Chro­ni­ken ab­ge­bil­det sieht; zu­wei­len pas­sier­ten wir Flüs­se und Bä­che, die, nach den brei­ten Ge­röll­strei­fen auf bei­den Sei­ten zu schlie­ßen, wohl häu­fig aus ih­ren Ufern tre­ten.

Auf je­der Sta­ti­on lun­ger­ten grö­ße­re oder klei­ne­re Grup­pen von Ein­ge­bo­re­nen in al­len mög­li­chen Trach­ten her­um. Ei­ni­ge von ih­nen gli­chen ganz den Bau­ern, wie ich sie zu Hau­se oder auf mei­ner Rei­se durch Deutsch­land und Frank­reich sah. Kur­ze Ja­cken, run­de Hüte und Ho­sen aus haus­ge­web­tem Tuch. An­de­re sa­hen wie­der sehr ma­le­risch aus. Die Frau­en mach­ten einen hüb­schen Ein­druck, je­doch nur in der Ent­fer­nung, denn sie wa­ren sehr plump um die Hüf­ten. Sie hat­ten alle wei­te Är­mel; die meis­ten von ih­nen tru­gen brei­te Gür­tel, von de­nen Strei­fen her­un­ter­flat­ter­ten, wie Bal­lett­klei­der, nur hat­ten sie un­ter die­sen ohne Zwei­fel Un­ter­rö­cke. Am selt­sams­ten sa­hen die Slo­wa­ken aus, bar­ba­ri­scher als alle an­de­ren, mit ih­ren mäch­ti­gen Cow­boy­hü­ten, wei­ten schmut­zig wei­ßen Plu­der­ho­sen und un­ge­heue­ren, schwe­ren, fast einen Fuß brei­ten Le­der­gür­teln, die über und über mit Mes­singnä­geln be­setzt wa­ren. Sie tru­gen hohe Stie­fel, in wel­che sie die Ho­sen ge­steckt hat­ten, und zeich­ne­ten sich durch lan­ges schwar­zes Haar und große schwar­ze Schnurr­bär­te aus. Sie ma­chen zwar einen ma­le­ri­schen, aber nicht sehr ver­trau­en­er­we­cken­den Ein­druck. Auf den Sta­tio­nen hock­ten sie bei­ein­an­der wie ori­en­ta­li­sche Räu­ber­ban­den, sind aber, wie mir ge­sagt wur­de, äu­ßerst harm­los und selbst­zu­frie­den.

Die Däm­me­rung war her­ein­ge­bro­chen, als wir in Bistritz, ei­ner al­ten, in­ter­essan­ten Stadt, an­ka­men. Sie liegt zweck­ent­spre­chend hart an der Gren­ze – von hier aus führt der Bor­gópass in die Bu­ko­wi­na3 – und hat­te dem­ge­mäß eine sehr stür­mi­sche Ver­gan­gen­heit, von der sie noch heu­te Spu­ren trägt. Vor fünf­zig Jah­ren hat­ten un­ge­heue­re Feu­ers­brüns­te dort ge­wü­tet, fünf­mal war sie ein Raub der Flam­men ge­wor­den. Gleich zu Be­ginn des 17. Jahr­hun­derts wur­de sie be­la­gert; sie ver­lor hier­bei 13 000 Ein­woh­ner, da au­ßer den Ge­fech­ten auch noch Hun­ger und Seu­chen viel Op­fer for­der­ten.

Graf Dra­cu­la hat­te mir ge­ra­ten, im Ho­tel Gol­de­ne Kro­ne zu über­nach­ten, ei­nem Haus nach al­tem Stil – zu mei­ner Freu­de, da ich so viel als mög­lich von dem se­hen woll­te, was das Land bie­tet. Ich wur­de of­fen­bar er­war­tet, denn als ich ein­trat, traf ich eine äl­te­re, gut­mü­tig aus­se­hen­de Frau in dem ge­wöhn­li­chen lan­des­üb­li­chen Ko­stüm. Wei­ßes Un­ter­kleid mit lan­ger dop­pel­ter, hin­ten und vor­ne her­un­ter­hän­gen­der Schür­ze aus bun­tem Tuch, die al­ler­dings zu knapp an­lag. Als ich nä­her trat, mach­te sie einen Knix und sag­te »Der Herr Eng­län­der?«

»Ja«, sag­te ich, »Jo­na­than Har­ker.« Sie lä­chel­te und gab ei­nem ält­li­chen Mann in wei­ßen Hem­d­är­meln, der ihr bis zur Türe ge­folgt war, einen Auf­trag. Er ging, kam aber gleich dar­auf mit ei­nem Brie­fe in der Hand wie­der zu­rück:

Mein Freund! Will­kom­men in den Kar­pa­ten. Ich er­war­te Sie mit Un­ge­duld. Schla­fen Sie wohl für heu­te. Um drei Uhr mor­gens geht die Post­kut­sche nach der Bu­ko­wi­na, ein Platz ist für Sie re­ser­viert. Am Bor­gópass wird mein Wa­gen Sie er­war­ten und zu mir brin­gen. Ich hof­fe, dass Sie eine gute Rei­se von Lon­don bis hier­her hat­ten und dass Sie sich Ihres Auf­ent­halts in mei­ner herr­li­chen Hei­mat freu­en mö­gen.

Ihr Freund Dra­cu­la.

4. Mai. – Ich brach­te in Er­fah­rung, dass der Wirt einen Brief des Gra­fen er­hal­ten hat­te, der ihn be­auf­trag­te, den bes­ten Platz in der Post­kut­sche zu be­le­gen; als ich ihn über De­tails aus­fra­gen woll­te, wur­de er je­doch zu­rück­hal­tend und gab vor, mein Deutsch nicht zu ver­ste­hen. Das konn­te nur eine Aus­re­de sein, denn bis­her hat­te er es ver­stan­den; we­nigs­tens schi­en es so, denn auf alle mei­ne Fra­gen war mir stets eine ge­naue Ant­wort zu­teil­ge­wor­den. Er und sei­ne Frau, die alte Dame, die mich emp­fan­gen hat­te, sa­hen sich er­schro­cken an. Als ich ihn frag­te, ob er den Gra­fen Dra­cu­la ken­ne und mir et­was von des­sen Schloss er­zäh­len wol­le, be­kreu­zig­ten sich bei­de und bra­chen ein­fach das Ge­spräch ab, in­dem sie sag­ten, sie wüss­ten nichts da­von. Das Geld wäre in ei­nem Brie­fe ge­sandt wor­den, das wäre al­les. Es war nur mehr we­nig Zeit bis zur Abrei­se, so­dass ich nicht mehr fra­gen konn­te; üb­ri­gens war die Sa­che recht ge­heim­nis­voll und we­nig er­freu­lich für mich.

Kurz be­vor ich weg­ging, kam die alte Dame zu mir aufs Zim­mer und sag­te in hys­te­ri­schem Tone: »Müs­sen Sie denn hin­ge­hen, jun­ger Herr? Müs­sen Sie denn wirk­lich ge­hen?« Sie war der­ma­ßen er­regt, dass sie das we­ni­ge Deutsch, das sie konn­te, ver­ges­sen zu ha­ben schi­en, denn sie misch­te es mit Wor­ten ei­ner an­de­ren Spra­che, die ich ab­so­lut nicht ver­stand. Ich konn­te ihr nur so­weit fol­gen, um zu er­ken­nen, dass sie Fra­gen stell­te. Als ich ihr aber sag­te, dass ich ge­hen müs­se und dass wich­ti­ge Ge­schäf­te mich rie­fen, frag­te sie wie­der:

»Wis­sen Sie denn, was heu­te für ein Tag ist?« Ich ant­wor­te­te, es wäre der 4. Mai. Sie schüt­tel­te den Kopf und sag­te wie­der: »O ja, ich weiß, ich weiß; aber wis­sen Sie denn nicht, was für ein Tag heu­te ist?« Als ich ver­nein­te, fuhr sie fort:

»Es ist St. Ge­orgs­nacht; wis­sen Sie nicht, dass, wenn die Uhr heu­te Mit­ter­nacht schlägt, alle bö­sen Din­ge in der Welt frei­en Lauf ha­ben? Wis­sen Sie, wo­hin Sie ge­hen und zu wem Sie ge­hen?«

Sie war so ver­stört, dass ich den Ver­such mach­te sie zu trös­ten, aber ver­ge­bens. Schließ­lich warf sie sich auf die Knie und fleh­te mich an, nicht zu ge­hen, we­nigs­tens mei­ne Ab­fahrt um einen oder zwei Tage zu ver­schie­ben. Es war zu lä­cher­lich, das al­les, aber den­noch fühl­te ich mich un­be­hag­lich. Auf alle Fäl­le hat­te ich mei­nem Dienst nach­zu­kom­men und nichts durf­te mich da­von ab­hal­ten. Ich hob sie also auf, trock­ne­te ihre Trä­nen und sie gab mir dann ein Kru­zi­fix, das sie von ih­rem Hal­se ge­nom­men. Ich wuss­te nicht recht, was ich da­mit an­fan­gen soll­te, denn als eng­li­scher Christ hat­te ich ge­lernt, sol­che Din­ge als mehr oder min­der göt­zen­die­ne­risch an­zu­se­hen; ich brach­te es aber auch nicht übers Herz, das Ge­schenk der al­ten Frau, die es so gut mit mir mein­te und sich in ei­ner sol­chen Er­re­gung be­fand, zu­rück­zu­wei­sen. Ver­mut­lich sah sie mir die­se Zwei­fel am Ge­sicht an, denn sie leg­te mir den Ro­sen­kranz um den Hals und sag­te: »Um Ih­rer Mut­ter wil­len.« Dann ging sie aus dem Zim­mer. Ich schrei­be die­sen Teil mei­nes Ta­ge­bu­ches, wäh­rend ich auf die Post war­te, die sich ohne Zwei­fel ver­spä­tet hat. Der Ro­sen­kranz hing noch um mei­nen Hals. Ich weiß nicht, ist es der Aber­glau­be der al­ten Frau oder die ge­spens­ti­gen Tra­di­tio­nen der Ge­gend oder das Kru­zi­fix selbst, aber ich fühl­te mich nicht so zu­ver­sicht­lich als sonst. Wenn die­ses Buch Mina vor mir er­rei­chen soll­te, so möge es ihr mei­ne Ab­schieds­grü­ße brin­gen. Da kommt der Wa­gen!

5. Mai. – Das Schloss. – Die graue Mor­gen­däm­me­rung ist ver­gan­gen und die Son­ne steht schon weit über dem Ho­ri­zont, der von Bäu­men oder Hü­geln – ich kann es nicht er­ken­nen, da sich Na­hes und Fer­nes un­ter­schieds­los von ihm ab­hebt – wie aus­ge­zackt er­scheint. Ich bin nicht schläf­rig, und da ich doch nicht ge­weckt wer­de, so schrei­be ich na­tür­lich einst­wei­len, bis der Schlaf kommt. Es sind so vie­le selt­sa­me Din­ge, die ich da be­rich­ten muss, dass es dem, der die­se Auf­zeich­nun­gen liest, viel­leicht vor­kom­men wird, als hät­te ich vor mei­ner Abrei­se von Bistritz zu reich­lich di­niert. Da­rum füh­re ich hier mein Di­ner an. Ich aß einen sog. Räu­ber­bra­ten – Stücke von Speck, Zwie­beln und Rind­fleisch, ge­würzt mit Pa­pri­ka und an Stä­ben über dem Feu­er ge­bra­ten, in der ein­fa­chen Wei­se wie das Lon­do­ner »Kat­zen­fut­ter«. Der Wein war wei­ßer Me­diasch,4 der ein ei­gen­tüm­li­ches Ste­chen auf der Zun­ge er­zeugt, das aber nicht un­an­ge­nehm wirkt. Ich trank da­von zwei Glä­ser, sonst nichts.

Als wir ab­fuh­ren, mach­te die gan­ze Ver­samm­lung vor dem Wirts­hau­se, die un­ter­des­sen be­trächt­lich an­ge­wach­sen war, das Zei­chen des Kreu­zes und streck­te dann zwei ge­spreiz­te Fin­ger ge­gen mich aus. Nur mit Schwie­rig­kei­ten er­fuhr ich von ei­nem mei­ner Rei­se­ge­fähr­ten, was das zu be­deu­ten habe. Erst woll­te er nicht mit der Spra­che her­aus, als ich ihm aber sag­te, dass ich Eng­län­der sei, er­klär­te er mir, das sei ein Zau­ber oder Schutz ge­gen den bö­sen Blick. Das war nicht sehr er­freu­lich für mich, der ich eben an einen un­be­kann­ten Ort zu ei­nem un­be­kann­ten Mann fah­ren woll­te; aber alle er­schie­nen so gut­her­zig, so be­sorgt und so sym­pa­thisch, dass ich mich ei­ner ge­wis­sen Rüh­rung nicht er­weh­ren konn­te. Ich wer­de den letz­ten Aus­blick auf den Wirts­gar­ten und die sich um den Tor­weg drän­gen­de ma­le­ri­sche Men­ge nicht ver­ges­sen; wie sie sich be­kreu­zig­ten, im Hin­ter­grund das rei­che Ge­zwei­ge der Ole­an­der und Oran­gen­bäu­me, die in grü­nen Kü­beln in der Mit­te des Ho­fes stan­den. Dann ließ un­ser Wa­gen­len­ker sei­ne lan­ge Peit­sche über die Köp­fe der vier klei­nen Pferd­chen sau­sen, die da­v­on­stürm­ten; so tra­ten wir un­se­re Rei­se an.

Ich ver­lor in der Schön­heit der Ge­gend, durch die wir fuh­ren, bald die Ge­s­pens­ter­furcht und die Erin­ne­rung dar­an. Al­ler­dings, wenn ich die Spra­che mei­ner Rei­se­ge­nos­sen, oder viel­mehr ihre Spra­chen ver­stan­den hät­te, wäre ich die un­an­ge­neh­men Ein­drücke wohl nicht so schnell los­ge­wor­den. Vor uns lag ein grü­nes, sanft an­stei­gen­des Land, voll von Wäl­dern und Ge­büsch, da und dort ein stei­ler Hü­gel, ge­krönt von ei­ner Baum­grup­pe oder von Bau­ern­häu­sern, die ihre hel­len Gie­bel­sei­ten der Stra­ße zu­wand­ten. Al­les in reichs­ter Blü­te, Ap­fel-, Pflau­men-, Kirsch- und Birn­bäu­me, und als wir nä­her her­an­ka­men, sa­hen wir auch den grü­nen Ra­sen un­ter ih­nen ge­spren­kelt von her­ab­ge­fal­le­nen Blü­ten­blät­tern. Durch die­se lieb­li­che Hü­gel­land­schaft, die man das Mit­tel­land nennt, zog sich die Stra­ße und ver­lor sich weit in der Fer­ne im Grü­nen oder wur­de von Fich­ten­wäl­dern auf­ge­nom­men, de­ren Spit­zen wie dun­kel­grü­ne Zun­gen da und dort an den Hü­geln hin­a­b­lie­fen. Der Weg war hol­pe­rig, trotz­dem flo­gen wir mit fie­bern­der Hast dar­über hin. Ich konn­te mir die­se Hast nicht er­klä­ren, aber der Fuhr­mann war schein­bar dar­auf er­picht, ohne jeg­li­chen Zeit­ver­lust Bor­gó-Prund5 zu er­rei­chen. Man sag­te mir, dass die­se Stra­ße im Som­mer aus­ge­zeich­net sei, dass man sie aber jetzt noch nicht von den Schä­den wie­der­her­ge­stellt habe, die ihr der Win­ter zu­ge­fügt. In die­ser Hin­sicht un­ter­schei­det sie sich schein­bar von den üb­ri­gen Stra­ßen in den Kar­pa­ten, die, ei­ner al­ten Tra­di­ti­on ent­spre­chend, nicht in all­zu­großer Ord­nung ge­hal­ten wer­den. Von al­ters her las­sen die Hos­po­da­re nichts dar­an aus­bes­sern, um nicht bei den Tür­ken den Glau­ben zu er­we­cken, man wol­le Trup­pen ge­gen sie mar­schie­ren las­sen, und so den nur un­ter der Asche glim­men­den Fun­ken des Krie­ges zum Auf­lo­dern zu brin­gen.

Jen­seits der grü­nen schwel­len­den Hü­gel des Mit­tel­lan­des er­he­ben sich mäch­ti­ge Wald­hän­ge bis zu den him­mel­an­stre­ben­den Schrof­fen der Kar­pa­ten. Rechts und links von uns stie­gen sie an; die Abend­son­ne ruh­te voll auf ih­nen und brach­te all die herr­li­chen Far­ben die­ses ent­zücken­den Lan­des zur Gel­tung; tie­fes Blau und Pur­pur in den Schat­ten, Grün und Braun da, wo Gras und Fels sich tra­fen; end­lo­se Per­spek­ti­ven auf ge­zack­tes Ge­stein und spit­ze Klip­pen bis da­hin, wo die Schnee­häup­ter ma­je­stä­tisch in die Lüf­te rag­ten. Durch mäch­ti­ge Ris­se im Ge­stein sah man da und dort im Lich­te der sin­ken­den Son­ne den wei­ßen Gischt fal­len­der Was­ser. Ei­ner mei­ner Ge­fähr­ten be­rühr­te mei­nen Arm, als wir ge­ra­de einen Hü­gel um­fuh­ren und sich der Aus­blick auf einen un­ge­heu­ren schnee­be­deck­ten Gip­fel öff­ne­te, der dann im­mer uns ge­ra­de ge­gen­über zu lie­gen schi­en, als wir die ge­wun­de­ne Stra­ße hin­auf­klom­men:

»Sieh, Herr, Is­ten Szek! – Got­tes Sitz«, und er be­kreu­zig­te sich an­dachts­voll. Wäh­rend wir den end­lo­sen Weg da­hin fuh­ren und die Son­ne im­mer tiefer und tiefer sank, be­gan­nen die Schat­ten rings um uns her­auf­zu­krie­chen. Auf der schnee­be­deck­ten Berg­spit­ze lag noch der Wi­der­schein der schei­den­den Son­ne und sie er­glüh­te in ei­nem fei­nen, kal­ten Blass­rot. Zu­wei­len tra­fen wir Tsche­chen oder Slo­wa­ken in ma­le­ri­scher Klei­dung, und ich konn­te be­mer­ken, dass der Kropf hier ein sehr ver­brei­te­tes Übel ist. Am We­grand stan­den vie­le Kreu­ze, und wenn wir ein sol­ches pas­sier­ten, be­kreu­zig­ten sich alle mei­ne Wa­gen­ge­nos­sen. Hier und dort knie­te ein Bau­er oder eine Bäue­rin vor ei­ner Ka­pel­le; sie sa­hen sich gar nicht nach uns um; so tief wa­ren sie in An­dacht und Hin­ge­bung ver­sun­ken, dass sie we­der Au­gen noch Ohren für die sie um­ge­ben­de Welt hat­ten. Viel Neu­es gab es für mich zu se­hen, z.B. Heu­scho­ber auf Bäu­men und zu­wei­len herr­li­che Bir­ken­grup­pen, de­ren wei­ße Stäm­me wie Sil­ber durch das saf­ti­ge Grün leuch­te­ten. Manch­mal be­geg­ne­ten wir ei­nem Lei­ter­wa­gen – dem lan­des­üb­li­chen Bau­ern­ge­fährt, das lang und schlan­gen­ar­tig ge­glie­dert, be­son­ders ge­eig­net schi­en, sich den We­gen an­zu­pas­sen. Auf ih­nen sa­ßen gan­ze Grup­pen heim­keh­ren­der Bau­ern, die Tsche­chen mit wei­ßen, die Slo­wa­ken mit ge­färb­ten Lamm­pel­zen; die letz­te­ren tru­gen lan­zen­ar­ti­ge Stä­be, de­ren Ende in eine Axt aus­lief. Als der Abend ein­fiel, wur­de es sehr kalt, und die wach­sen­de Däm­me­rung schi­en die un­be­stimm­ten Um­ris­se der Ei­chen, Bu­chen und Fich­ten in tie­fes Dun­kel zu ver­sen­ken; in den Tä­lern aber, die tief un­ter uns sich da­hin­zo­gen, ho­ben sich noch ein­zel­ne Föh­ren6 scharf von ih­rem Hin­ter­grun­de, al­tem Schnee, ab. Ei­ni­ge­ma­le, als die Stra­ße in Fich­ten­ge­höl­ze ein­trat, de­ren Dun­kel sich dicht um uns zu le­gen schi­en, er­zeug­ten weiß­li­che Fle­cke, die zwi­schen den Bäu­men flat­ter­ten, in uns eine halb furcht­sa­me, halb fei­er­li­che Stim­mung. Schon bei Son­nen­un­ter­gang wa­ren un­un­ter­bro­chen selt­sam ge­form­te, ge­spens­ti­sche Ne­bel­fet­zen durch die Tä­ler der Kar­pa­ten hin­ge­fegt, und die dar­an ge­knüpf­ten Ge­dan­ken und wil­den Fan­tasi­en span­nen sich nun wei­ter. Die Stei­gun­gen wa­ren zum Teil so steil, dass die Pfer­de trotz der Eile des Po­stil­lons nur lang­sam vor­wärts­ka­men. Ich woll­te ab­stei­gen und zu Fuß ge­hen, wie wir es zu Hau­se tun, aber der Wa­gen­len­ker woll­te da­von nichts hö­ren. »Nein, nein«, sag­te er »Sie dür­fen hier nicht ge­hen, die Hun­de sind zu böse«, und dann füg­te er hin­zu: »Sie wer­den heu­te noch ge­nug sol­cher Din­ge ha­ben, ehe Sie zu Bet­te ge­hen«; es soll­te dies wohl eine Art grim­mi­gen Scher­zes sein, denn er sah um­her, um sich des zu­stim­men­den Lä­chelns der Üb­ri­gen zu ver­si­chern. Der ein­zi­ge kur­ze Halt, den er ein­leg­te, diente zum An­zün­den der Wa­gen­la­ter­nen.

Als es ganz dun­kel ge­wor­den war, schi­en sich eine ge­wis­se Er­re­gung der Pas­sa­gie­re zu be­mäch­ti­gen; ei­ner nach dem an­de­ren sprach auf den Fuhr­mann ein, gleich­sam als woll­ten sie ihn zu noch grö­ße­rer Eile an­spor­nen. Er trieb die Pfer­de un­barm­her­zig mit der Peit­sche an und zwang sie durch wil­de Zu­ru­fe zu er­höh­ter Kraft­an­span­nung. Ich konn­te in der Dun­kel­heit einen grau­wei­ßen Fleck über uns be­mer­ken, als wenn ein Spalt in den Fels­wän­den wäre. Die Auf­re­gung der Pas­sa­gie­re stei­ger­te sich im­mer mehr; die ge­brech­li­che Kut­sche hüpf­te in ih­ren le­der­nen Fe­dern und schwank­te wie ein Boot auf stür­mi­scher See. Ich muss­te mich fest­hal­ten. Der Weg wur­de ebe­ner und wir flo­gen nur so da­hin. Dann schie­nen die Ber­ge nä­her her­an­zu­tre­ten und förm­lich über uns zu­sam­men­zu­rück­en; wir tra­ten in den Bor­gópass. Ein­zel­ne der Mit­rei­sen­den ga­ben mir klei­ne Ge­schen­ke, die sie mir mit ei­nem Ernst auf­dräng­ten, der eine Zu­rück­wei­sung un­mög­lich mach­te. Es wa­ren ohne Zwei­fel selt­sa­me Din­ge, aber je­des wur­de in der gu­ten Ab­sicht mit ei­nem freund­li­chen Wort und mit ei­nem Se­gens­wunsch ge­ge­ben und mit je­nen ge­fahr­be­schwö­ren­den Ges­ten, die ich schon vor dem Ho­tel in Bistritz ge­se­hen hat­te – dem Be­kreu­zen und dem Zau­ber ge­gen den bö­sen Blick. In flie­gen­der Eile fuh­ren wir wei­ter; der Fuhr­mann lehn­te sich vor, die Fahr­gäs­te starr­ten, die Ell­bo­gen auf den Wa­gen­bord ge­stützt, ge­spannt hin­aus in das näch­ti­ge Dun­kel. Es war of­fen­kun­dig, dass et­was sehr Auf­re­gen­des ge­sch­ah oder er­war­tet wur­de; aber ob­gleich ich je­den mei­ner Rei­se­ge­fähr­ten frag­te, kei­ner gab mir nur die kleins­te Er­klä­rung. Die­ser Zu­stand der Auf­re­gung hielt ei­ni­ge Zeit an; schließ­lich konn­ten wir die öst­li­che Pass­öff­nung er­ken­nen. Dunkle dro­hen­de Wol­ken flo­gen über un­se­ren Häup­tern da­hin und in der Luft lag eine schwe­re, drücken­de Schwü­le. Es war, als trenn­te der Ge­birgs­zug zwei grund­ver­schie­de­ne At­mo­sphä­ren und als trä­ten wir nun in die der Ge­wit­ter. Ich hielt nun selbst Aus­schau nach dem Ge­fähr­te, das mich zum Gra­fen brin­gen soll­te, je­den Au­gen­blick er­war­te­te ich, Wa­gen­la­ter­nen auf­blit­zen zu se­hen, aber al­les blieb dun­kel. Das ein­zi­ge Licht ver­brei­te­ten un­se­re Lam­pen, in de­ren fla­ckern­dem Schei­ne der Dampf von un­se­ren warm­ge­lau­fe­nen Pferd­chen wie eine wei­ße Wol­ke auf­stieg. Et­was hel­ler lag vor uns der san­di­ge Weg, aber nichts zeig­te an, dass sich auf ihm ein Wa­gen nä­he­re. Die Fahr­gäs­te seufz­ten er­leich­tert auf, was mein ei­ge­nes Miss­be­ha­gen Lü­gen zu stra­fen schi­en. Ich dach­te schon dar­über nach, was nun zu tun wäre, als der Fuhr­mann nach der Uhr se­hend zu den an­de­ren et­was sag­te; so lei­se und ru­hig, dass ich es kaum hö­ren konn­te. Ich mein­te aber den­noch ver­stan­den zu ha­ben: »Eine Stun­de vor der Zeit«; dann wand­te er sich zu mir und sprach in ei­nem Deutsch, wenn mög­lich noch schlech­ter als mei­nes:

»Kein Wa­gen ist hier. Der Herr wer­den dem­nach gar nicht er­war­tet. Sie fah­ren nun am bes­ten mit uns nach der Bu­ko­wi­na und keh­ren dann mor­gen oder über­mor­gen zu­rück; bes­ser noch über­mor­gen.« Wäh­rend der sprach, be­gan­nen sei­ne Pferd­chen zu wie­hern und zu schnau­ben und wild aus­zu­schla­gen, so­dass der Fuhr­mann sie hal­ten muss­te. Dann fuhr eine Ka­le­sche mit vier Pfer­den von hin­ten an uns her­an und hielt auf glei­cher Höhe an, wäh­rend die Bau­ern in lau­tes Ge­schrei aus­bra­chen und sich be­kreu­zig­ten. Beim Schein der La­ter­nen konn­te ich er­ken­nen, dass die Pfer­de kohl­schwarz und wun­der­voll ge­baut wa­ren. Die Zü­gel führ­te ein hoch­ge­wach­se­ner Mann mit brau­nem Voll­bart und ei­nem großen schwar­zen Hut, der sein Ge­sicht vor uns ver­ber­gen zu sol­len schi­en. Als er sich zu uns wand­te, konn­te ich ein paar fun­keln­de Au­gen se­hen, die im Lam­pen­licht rot er­schie­nen. Er sag­te zum Po­stil­lon:

»Du bist sehr früh dar­an, mein Freund.« Der Mann stam­mel­te ver­le­gen:

»Der eng­li­sche Herr hat­te große Eile«, wor­auf der Frem­de er­wi­der­te:

»Weil du ihn, wie ich ver­mu­te, nach der Bu­ko­wi­na fah­ren woll­test. Du kannst mich nicht täu­schen, mein Bes­ter, ich weiß zu viel und mei­ne Ros­se sind zu flink.« Wäh­rend er das sag­te, lä­chel­te er, und der Schein der La­ter­ne fiel auf einen grau­sam aus­se­hen­den Mund mit sehr ro­ten Lip­pen und schar­fen, el­fen­bein­wei­ßen Zäh­nen. Ei­ner mei­ner Rei­se­ge­fähr­ten flüs­ter­te sei­nem Nach­barn die Wor­te aus Bür­gers »Le­no­re« zu:

»Denn die To­ten rei­ten schnell.«

Der selt­sa­me Kut­scher hat­te of­fen­bar die Wor­te ge­hört, denn er sah lä­chelnd den Spre­cher an. Die­ser wand­te sein Ge­sicht ab, in­dem er zwei Fin­ger aus­spreiz­te und das Kreuz schlug.

»Gib mir das Ge­päck des Herrn«, sag­te der Kut­scher, und mit au­ßer­or­dent­li­cher Ge­schwin­dig­keit wur­den mei­ne Kof­fer ab­ge­la­den und auf der Ka­le­sche un­ter­ge­bracht. Ich stieg dann auf der Sei­te des Post­wa­gens aus, wo die Ka­le­sche stand, wo­bei mit der frem­de Kut­scher half, in­dem er mei­nen Arm mit stahl­har­tem Griff um­spann­te; sei­ne Stär­ke muss be­trächt­lich sein. Ohne ein Wort zu sa­gen, zog er die Zü­gel an, die Pfer­de wen­de­ten und jag­ten der fins­te­ren Pas­sen­ge zu. Als ich zu­rück­sah, be­merk­te ich noch den Dampf der Pfer­de, der im La­ter­nen­schein em­por­stieg, und dun­kel sich da­von ab­he­bend die sich be­kreu­zen­den Ge­stal­ten mei­ner Rei­se­ge­nos­sen. Ich hör­te noch, wie der Fuhr­mann die Peit­sche klat­schen ließ und den Pfer­den et­was zu­rief; dann flo­gen sie da­hin, der Bu­ko­wi­na zu.

Als sie im Dun­kel ver­schwun­den wa­ren, über­lief mich ein ei­si­ger Schau­er, und das Ge­fühl der Ver­las­sen­heit kam über mich.

Der Kut­scher leg­te mir einen Man­tel um die Schul­tern und eine De­cke um die Knie und sag­te in flie­ßen­dem Deutsch zu mir:

»Die Nacht ist kalt, und mein Herr, der Graf, hat mir ge­bo­ten, be­son­ders auf Sie Acht zu ge­ben; hier un­ter dem Sitz steht eine Fla­sche Sli­bo­witz7 (der Pflau­men­brannt­wein des Lan­des), falls Sie sei­ner be­dür­fen soll­ten.« Ich nahm nichts da­von, aber es war mir im­mer­hin eine Be­ru­hi­gung zu wis­sen, dass so für mich ge­sorgt war. Ich hat­te ein ei­gen­tüm­li­ches Ge­fühl, wel­ches aber nicht als Furcht be­zeich­net wer­den konn­te. Wenn al­ler­dings ir­gend eine Mög­lich­keit ge­we­sen wäre, hät­te ich lie­ber auf die­se nächt­li­che Fahrt ver­zich­tet. Der Wa­gen fuhr in schar­fem Tem­po da­hin, dann mach­ten wir eine voll­kom­me­ne Kehrt­wen­dung und fuh­ren wie­der in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung. Ich hat­te den Ein­druck, als sei­en wir je­doch noch auf der glei­chen Stra­ße; ich merk­te mir ei­ni­ge be­son­ders auf­fal­len­de Punk­te und sah, dass ich mich nicht täusch­te. Ich hät­te ger­ne den Kut­scher ge­fragt, was das zu be­deu­ten habe, tat es aber nicht, weil ich mir sag­te, dass in mei­ner Si­tua­ti­on ein Pro­test zweck­los ge­we­sen wäre, wenn er wirk­lich et­was ge­gen mich im Schil­de führ­te. Neu­gie­rig war ich aber, wel­che Zeit wir hät­ten; ich zün­de­te ein Streich­holz an und sah bei sei­nem Schei­ne nach mei­ner Uhr; es wa­ren nur noch we­ni­ge Mi­nu­ten bis Mit­ter­nacht. Es er­fass­te mich ein jä­her Schreck; ver­mut­lich hat­ten mich der all­ge­mei­ne Aber­glau­be be­züg­lich der Mit­ter­nacht und mei­ne jüngs­ten Er­fah­run­gen et­was ner­vös ge­macht. Ein pein­li­ches Ge­fühl der Er­war­tung über­kam mich.

Dann be­gann tief un­ten in ei­nem Bau­ern­hof an der Stra­ße ein Hund zu heu­len, ein lan­ges, to­destrau­ri­ges Wei­nen, wie vor Angst. Ein zwei­ter ant­wor­te­te, und so pflanz­te sich das fort, bis, ge­tra­gen vom Nacht­wind, der nun lei­se durch den Pass säu­sel­te, ein wil­des Heu­len ver­nehm­bar war. Es schi­en aus der gan­zen Ge­gend zu kom­men, so weit die Ein­bil­dung in den Schau­ern der Nacht reich­te. Bei den ers­ten Lau­ten scheu­ten und schnaub­ten die Pfer­de, aber der Kut­scher sprach lei­se auf sie ein und sie wur­den wie­der ru­hi­ger, wenn sie auch zit­ter­ten und schwitz­ten, wie nach der Flucht vor plötz­li­cher Ge­fahr. Nun be­gann, noch weit ent­fernt, auf den Ber­gen zu bei­den Sei­ten der Stra­ße ein lau­te­res, hel­ler klin­gen­des Ge­heul – das von Wöl­fen –, wel­ches die Pfer­de und auch mich in ho­hem Maße er­schreck­te. Ich war ge­son­nen, aus dem Wa­gen zu sprin­gen, wäh­rend sie wie­der schnaub­ten und wie toll aus­schlu­gen, so­dass der Kut­scher sei­ne gan­ze Kraft an­wen­den muss­te, um sie zu hal­ten. In we­ni­gen Mi­nu­ten hat­ten sich mei­ne Ohren an die Lau­te ge­wöhnt, und auch die Pfer­de wa­ren we­nigs­tens so weit be­ru­higt, dass der Kut­scher ab­stei­gen und sich vor sie hin­stel­len konn­te. Er strei­chel­te und lieb­kos­te die Tie­re und flüs­ter­te ih­nen et­was in die Ohren, wie es die Pfer­de­dres­seu­re ma­chen; das hat­te eine gute Wir­kung, denn un­ter sei­nen Zärt­lich­kei­ten wur­den sie wie­der füg­sa­mer, ob­gleich sie im­mer noch zit­ter­ten. Der Kut­scher stieg auf sei­nen Bock und fuhr mit straf­fen Zü­geln in flot­tem Tem­po wei­ter. Dann bog er plötz­lich quer über die Stra­ße scharf auf einen sehr en­gen Weg nach rechts ab.

Bald wa­ren wir un­ter Bäu­men, de­ren dicht ver­schlun­ge­nes Ge­äst förm­lich einen Tun­nel über uns bil­de­te, bald stie­gen schrof­fe Fel­sen zu bei­den Sei­ten kühn in die Höhe. Trotz­dem wir ge­schützt wa­ren, konn­ten wir den stär­ker wer­den­den Nacht­wind hö­ren; es pfiff und win­sel­te durch die Fel­sen und klat­schend und kra­chend schlu­gen die Zwei­ge der Bäu­me zu­sam­men. Es wur­de im­mer käl­ter und käl­ter und bald fiel auch ein leich­ter Schnee, der uns und un­se­re Um­ge­bung in einen wei­ßen Über­zug hüll­te. Der schar­fe Wind trug uns aus im­mer wei­te­rer Fer­ne das Heu­len der Hun­de zu. Da­ge­gen klang das Ge­heul der Wöl­fe nä­her und nä­her, gleich­sam als wenn sie uns von al­len Sei­ten um­ring­ten. Ich war sehr er­schreckt und die Pfer­de teil­ten mei­ne Furcht; der Kut­scher aber schi­en nicht im min­des­ten be­un­ru­higt. Er wand­te den Kopf auf­merk­sam zur Rech­ten und zur Lin­ken, aber ich konn­te nichts be­mer­ken.

Plötz­lich, dicht zur Lin­ken, tauch­te eine fla­ckern­de blaue Flam­me aus dem Dun­kel auf. Der Kut­scher sah sie zu glei­cher Zeit; er hielt die Pfer­de an, sprang ab und ver­schwand in der Fins­ter­nis. Ich wuss­te nicht, was tun, umso mehr als das Ge­heul der Wöl­fe im­mer nä­her kam; aber wäh­rend ich noch über­leg­te, kehr­te un­ver­se­hens der Kut­scher zu­rück, nahm wort­los sei­nen Sitz wie­der ein und wei­ter ging die Fahrt. Ich muss in Schlaf ge­sun­ken und im Traum von die­sem Zwi­schen­fall ver­folgt wor­den sein, denn er wie­der­hol­te sich un­zäh­li­ge Male. Wenn ich dar­an den­ke, ist es mir wie ein grau­en­haf­tes Alb­drücken. Auf ein­mal er­schi­en eine Flam­me so nahe bei uns, dass ich so­gar in der Dun­kel­heit, die uns um­gab, die hef­ti­ge Be­we­gung des Kut­schers er­ken­nen konn­te. Er schritt rasch auf die Flam­me los – sie muss sehr schwach ge­we­sen sein, denn sie er­leuch­te­te nicht ein­mal die al­ler­nächs­te Um­ge­bung – und leg­te ei­ni­ge vom Wege auf­ge­raff­te Stei­ne zu ei­ner be­son­de­ren Fi­gur. Ei­ner ei­gen­ar­ti­gen op­ti­schen Er­schei­nung muss ich hier­bei ge­den­ken; als der Kut­scher zwi­schen mir und der Flam­me stand, ver­deck­te er sie kei­nes­wegs, ich sah sie viel­mehr ge­spens­tisch wei­ter­fla­ckern. Das ent­setz­te mich, aber da die Er­schei­nung nur kur­ze Zeit an­hielt, führ­te ich sie auf eine Sin­ne­stäu­schung in­fol­ge des lan­gen Hin­aus­star­rens in die Nacht zu­rück. Dann ver­schwan­den rasch die blau­en Lich­ter und wir saus­ten durch die Fins­ter­nis da­hin, rings um uns das Ge­heul der Wöl­fe, die uns in ei­nem wei­ten Krei­se zu ver­fol­gen schie­nen.

Ein­mal wie­der be­gab sich der Kut­scher wei­ter von der Stra­ße weg, als er es bis­her ge­tan, und wäh­rend sei­ner Ab­we­sen­heit be­gan­nen die Pfer­de är­ger als je zu zit­tern und zu schnau­ben und vor Angst zu stöh­nen. Ich konn­te mir die Ur­sa­che nicht er­klä­ren, denn das Ge­heul der Wöl­fe hat­te auf­ge­hört. Da er­schi­en der Mond, der durch die düs­te­ren Wol­ken da­h­in­jag­te, über dem ge­zack­ten Kamm ei­nes fich­ten­be­wach­se­nen Fels­bro­ckens, und bei sei­nem fah­len Licht er­blick­te ich um uns einen Ring von Wöl­fen mit wei­ßen Zäh­nen, ro­ten her­aus­hän­gen­den Zun­gen, seh­ni­gen Bei­nen und zot­ti­gem Fell. Ihr grim­mi­ges Schwei­gen war viel un­heim­li­cher als ihr Ge­heul. Ich war wie ge­lähmt vor Schreck. Ein sol­ches Ge­fühl hat man nur, wenn man sich un­ver­mit­telt ei­ner un­ge­heue­ren Ge­fahr ge­gen­über­sieht.

Da plötz­lich be­gan­nen die Wöl­fe wie­der auf­zu­heu­len, als wenn das Mond­licht eine be­son­de­re Wir­kung auf sie aus­übe. Die Pfer­de schlu­gen her­um, stöhn­ten und sa­hen mit ih­ren rol­len­den Au­gen so hilf­los um sich, dass es ei­nem ganz wehe tat; aber der le­ben­di­ge Ring des Ver­der­bens um­gab sie un­ent­rinn­bar von al­len Sei­ten. Ich rief nach dem Kut­scher, denn der ein­zi­ge Aus­weg schi­en mir, den Ring mit sei­ner Hil­fe zu durch­bre­chen. Ich schrie und trom­mel­te mit den Fäus­ten ge­gen den Wa­gen­schlag, umso die Bes­ti­en fern­zu­hal­ten und ihm die Mög­lich­keit zu ge­ben, die Ka­le­sche zu er­rei­chen. Was er tat, weiß ich nicht, aber ich hör­te auf ein­mal den be­feh­len­den Ton sei­ner Stim­me und sah ihn dann auf dem Wege ste­hen. Er schwenk­te sei­ne lan­gen Arme, gleich­sam als wol­le er ein stö­ren­des Hin­der­nis bei Sei­te räu­men, und die Wöl­fe wi­chen mehr zu­rück. Dann schob sich eine schwar­ze Wol­ke vor den Mond und wir wa­ren wie­der im Fins­tern.

Als ich das Dun­kel mit den Au­gen zu durch­drin­gen ver­moch­te, klet­ter­te der Kut­scher ge­ra­de auf den Bock; die Wöl­fe wa­ren wie weg­ge­zau­bert. Das al­les war so selt­sam und un­ge­wöhn­lich, dass eine schreck­li­che Furcht über mich kam; ich wag­te nicht zu spre­chen oder mich zu re­gen. Die Zeit schi­en mir end­los, da wir un­se­re Fahrt fort­setz­ten, nun in völ­li­gem Dun­kel, denn die ei­len­den Wol­ken ver­deck­ten den Mond. Meist ging es berg­auf, zu­wei­len ka­men kur­ze schar­fe Sen­kun­gen. Plötz­lich kam es mir zum Be­wusst­sein, dass der Kut­scher den Wa­gen in den Hof ei­nes großen, rui­nen­haf­ten Ge­bäu­des lenk­te, aus des­sen wei­ten schwar­zen Fens­tern nicht ein ein­zi­ger Licht­strahl kam und des­sen zer­brö­ckeln­de Zin­nen sich wie eine ge­zack­te Li­nie von dem nun­mehr wie­der mond­hel­len Him­mel ab­ho­ben.

Bistritz ist eine Stadt im Nord­os­ten von Sie­ben­bür­gen, Ru­mä­ni­en.  <<<

Mămă­ligă ist ein aus Mais­grieß her­ge­stell­ter fes­ter Brei, ähn­lich der ita­lie­ni­schen Po­len­ta, der in Ru­mä­ni­en, Molda­wi­en und an­de­ren Tei­len des Bal­kans zur re­gio­na­len Kochtra­di­ti­on ge­hört. Be­son­ders in Ru­mä­ni­en ist es ein Na­tio­nal­ge­richt.  <<<

Die Bu­ko­wi­na ist eine his­to­ri­sche Land­schaft im öst­li­chen Mit­tel­eu­ro­pa. Die nörd­li­che Hälf­te ge­hört zur Ukrai­ne, die süd­li­che Hälf­te zu Ru­mä­ni­en. Die Land­schaft grenzt im Süd­wes­ten an die Kar­pa­ten, den Über­gang nach Sie­ben­bür­gen bil­det der Bor­go-Pass.  <<<

Me­diasch ist eine Stadt in Sie­ben­bür­gen im Kreis Si­biu (Her­mann­stadt), Ru­mä­ni­en. Sie liegt an der Târ­na­va Mare (Gro­ße Ko­kel) und ist ein wich­ti­ger Ver­kehrs­kno­ten­punkt in Zen­tral­ru­mä­ni­en. Nicht nur im Stadt­wap­pen der Stadt sind Wein­trau­ben zu se­hen, son­dern auch im Wap­pen des Hei­mat­ver­eins, das zu­sätz­lich auch Wein­blät­ter zeigt.  <<<

Die Bahn­stre­cke Prun­du Bâr­gău­lui–Va­tra Dor­nei ist eine nur noch teil­wei­se exis­tie­ren­de Bahn­stre­cke in Ru­mä­ni­en. Sie ver­lief von Sie­ben­bür­gen in die Bu­ko­wi­na und über­quer­te da­bei einen Kamm der Ost­kar­pa­ten.  <<<

im­mer­grü­ner Baum  <<<

Sli­wo­witz, ei­gent­lich Sli­vo­va Ra­ki­ja ist die ge­bräuch­li­che Be­zeich­nung für eine Ra­ki­ja (Obst­brand) aus Pflau­men. Der Name ist vom sla­wi­schen Wort sli­wa für Pflau­me ab­ge­lei­tet.  <<<

ZWEITES KAPITEL

Jonathan Harkers Tagebuch

(Fort­set­zung)

5. Mai – Ich muss ge­schla­fen ha­ben; denn wenn ich wach ge­we­sen wäre, müss­te es mir doch auf­ge­fal­len sein, dass wir uns ei­nem so selt­sa­men Plat­ze nä­her­ten. In der Dun­kel­heit schi­en der Schloss­hof von be­trächt­li­cher Grö­ße; dass meh­re­re Wege von ihm aus un­ter mäch­ti­ge run­de Tor­we­ge führ­ten, ließ ihn viel­leicht noch grö­ßer er­schei­nen, als er wirk­lich war. Ich habe ihn bis heu­te noch nicht bei Tage ge­se­hen.

Als der Wa­gen hielt, stieg der Kut­scher ab und reich­te mir die Hand, um mir beim Aus­s­tei­gen be­hilf­lich zu sein. Ich muss­te wie­der­um die Stär­ke be­wun­dern, die in die­ser Hand lag; sie schi­en wie eine Stahl­zan­ge, die mei­ne Hand leicht zer­drückt hät­te, wenn der Be­sit­zer woll­te. Dann nahm er mei­ne Kof­fer her­aus und stell­te sie ne­ben mich auf den Bo­den. Ich be­fand mich vor ei­nem großen, al­ten Tore, das mit Ei­sen be­schla­gen und in einen stark aus­la­den­den Tor­bo­gen von mas­si­vem Stein ein­ge­las­sen war. Ich konn­te bei dem zwei­fel­haf­ten Lich­te er­ken­nen, dass der Stein roh be­hau­en war, dass aber die Ver­zie­run­gen von Zeit und Wet­ter schon stark ge­lit­ten hat­ten. Als al­les aus­ge­la­den war, schwang sich der Kut­scher wie­der auf den Bock, zog die Zü­gel an und ver­schwand dann mit Wa­gen und Pfer­den in ei­nem der mäch­ti­gen schwar­zen Tor­bo­gen.

Ich blieb schwei­gend auf mei­nem Plat­ze ste­hen, denn ich wuss­te nicht, was tun. Von Glo­cke oder Klop­fer kei­ne Spur; durch die­se dro­hen­den Mau­ern und dunklen Fenster­höh­len hät­te auch mei­ne Stim­me kei­nen Ein­gang ge­fun­den. Die Zeit, die ich zum War­ten ver­ur­teilt war, schi­en mir end­los und ich merk­te, wie Furcht und Zwei­fel in mir auf­stie­gen. Wo­hin war ich ge­ra­ten und un­ter was für Leu­te? Auf wel­ches un­heim­li­che Aben­teu­er hat­te ich mich da ein­ge­las­sen? War das ein nor­ma­ler Fall im Le­ben ei­nes An­walt­schrei­bers, der hin­aus­ge­schickt wur­de, um über den An­kauf ei­nes Lon­do­ner Grund­be­sit­zes durch einen Frem­den mit die­sem zu un­ter­han­deln? Üb­ri­gens »An­walt­schrei­ber« – Mina hört das nicht ger­ne. Aber An­walt! – denn eben als ich Lon­don ver­las­sen woll­te, hat­te ich noch in Er­fah­rung ge­bracht, dass ich mein Ex­amen be­stan­den hat­te; ich bin also nun wohl­be­stall­ter An­walt. Ich be­gann mei­ne Au­gen zu rei­ben und mich selbst zu knei­fen, um zu se­hen, ob ich denn wirk­lich wach wäre. Es schi­en mir al­les wie ein häss­li­cher Traum und ich er­war­te­te, plötz­lich auf­zu­wa­chen und zu Hau­se zu lie­gen und durch die Fens­ter in den fah­len Schein des Mor­gens zu star­ren, wie es mir manch­mal in Zu­stän­den der Über­ar­bei­tung pas­siert war. Aber mein Fleisch emp­fand den knei­fen­den Schmerz und mei­ne Au­gen sa­hen klar. Ich war also wirk­lich wach und mit­ten in den Kar­pa­ten. Al­les, was mir zu tun üb­rig blieb, war, mich zu ge­dul­den und den An­bruch des Ta­ges zu er­war­ten.

Als ich eben zu die­sem Ent­schlus­se ge­langt war, hör­te ich einen schwe­ren Schritt in­ner­halb des To­res und sah durch die Rit­zen ein Licht sich nä­hern. Dann ver­nahm ich das Ras­seln von Ket­ten und das Dröh­nen mas­si­ver Tür­rie­gel, die zu­rück­ge­scho­ben wur­den. Ein Schlüs­sel dreh­te sich laut krei­schend in dem schein­bar sel­ten be­nut­zen Schlüs­sel­loch, und das große Tor ging auf.

In­ner­halb des­sel­ben stand ein hoch­ge­wach­se­ner al­ter Mann, glatt ra­siert, mit ei­nem lan­gen wei­ßen Schnurr­bart und schwarz ge­klei­det vom Kopf bis zu den Fü­ßen; kein hel­ler Fleck war an ihm zu se­hen. In der Hand hielt er eine al­ter­tüm­li­che sil­ber­ne Lam­pe, auf der ohne Zy­lin­der oder Schirm eine Flam­me brann­te, sie warf lan­ge, zit­tern­de Schat­ten in der Zug­luft des of­fe­nen To­res. Der alte Mann lud mich durch eine ver­bind­li­che Ges­te mit der Rech­ten ein, nä­her zu tre­ten und sag­te in vor­züg­li­chem Eng­lisch, aber mit ei­nem fremd­ar­ti­gen Ak­zent:

»Will­kom­men hier in mei­nem Hau­se! Tre­ten Sie frei und frei­wil­lig her­ein!« Er mach­te kei­ne Be­we­gung, um mir ent­ge­gen­zu­ge­hen, son­dern stand starr wie eine Sta­tue, als hät­te ihn sein Will­kom­mens­gruß in Stein ver­wan­delt. In dem Au­gen­blick aber, da ich die Schwel­le über­schrit­ten hat­te, trat er rasch auf mich zu, er­griff mei­ne Hand und drück­te sie der­ma­ßen, dass ich zu­sam­men­zuck­te; da­bei war die Hand so kalt wie Eis, mehr wie die ei­nes To­ten als ei­nes Le­ben­den. Dann sag­te er:

»Will­kom­men in mei­nem Hau­se. Kom­men Sie frei her­ein. Ge­hen Sie ge­sund wie­der und las­sen Sie et­was von der Freu­de zu­rück, die Sie mit her­ein­ge­bracht ha­ben!« Die Stär­ke des Hand­druckes er­in­ner­te mich der­ma­ßen an den ei­ser­nen Griff des Kut­schers, des­sen Ge­sicht ich ja nicht ge­se­hen hat­te, dass ich einen Mo­ment glaub­te, er und der Mann, mit dem ich jetzt sprach, sei­en ein und die­sel­be Per­son; ich frag­te also, um si­cher zu ge­hen: »Graf Dra­cu­la?« Er ver­beug­te sich höf­lich und er­wi­der­te:

»Ich bin Dra­cu­la und be­grü­ße Sie, Herr Har­ker, in mei­nem Hau­se. Kom­men Sie her­ein, Sie be­dür­fen des Es­sens und der Ruhe, die Nacht­luft ist recht kühl.« Wäh­rend er so sprach, stell­te er die Lam­pe auf eine klei­ne Kon­so­le an der Wand und nahm mein Ge­päck; er hat­te es her­ein­ge­tra­gen, noch ehe ich ihn dar­an hin­dern konn­te. Ich er­hob Ein­spruch, er aber sag­te ent­schie­den:

»Bit­te, Sie sind mein Gast. Es ist schon spät und mei­ne Die­ner­schaft ist nicht mehr ver­füg­bar. Las­sen Sie also mich für Ihre Be­quem­lich­keit sor­gen.« Er trug tat­säch­lich mei­ne Kof­fer durch den Tor­weg, dann eine stei­le Wen­del­trep­pe hin­auf, schließ­lich durch einen lan­gen Kor­ri­dor, auf des­sen Stein­flie­sen un­se­re Schrit­te dumpf wi­der­hall­ten. Am Ende die­ses Kor­ri­dors öff­ne­te er eine schwe­re Türe, und ich sah auf ein hel­ler­leuch­te­tes Zim­mer, in dem ein ge­deck­ter Tisch zum Abend­brot be­reit stand, wäh­rend in dem mäch­ti­gen Ka­min ein großes Holz­feu­er flamm­te und knis­ter­te. Der Graf blieb ste­hen, stell­te mein Ge­päck nie­der und zog die Türe hin­ter sich zu; dann schritt er durch das Zim­mer, öff­ne­te eine zwei­te Türe, die in ein klei­nes acht­e­cki­ges, schein­bar fens­ter­lo­ses Ge­mach führ­te, das nur von ei­ner ein­zel­nen Lam­pe er­leuch­tet wur­de. Jen­seits des­sel­ben öff­ne­te er eine wei­te­re Tür und bat mich ein­zu­tre­ten. Es bot sich mir ein will­kom­me­ner An­blick: ein großes, gut er­leuch­te­tes Schlaf­zim­mer, das von ei­nem um­fang­rei­chen Ka­min, in dem eben­falls ein Holz­feu­er laut pras­selnd brann­te, an­ge­nehm durch­wärmt wur­de. Der Graf brach­te mein Ge­päck und sag­te, die Türe zu­zie­hend: »Sie wer­den nach Ih­rer Rei­se sich wa­schen und Toi­let­te ma­chen wol­len. Ich den­ke, Sie fin­den al­les nach Wunsch. Wenn Sie fer­tig sind, dann kom­men Sie bit­te in das an­de­re Zim­mer, wo das Abend­brot Ih­rer war­tet.«

Das Licht, die Wär­me und des Gra­fen herz­li­cher Will­kom­mens­gruß hat­ten alle mei­ne Zwei­fel und Be­fürch­tun­gen zer­streut. Nach­dem ich so wie­der mei­ne nor­ma­le geis­ti­ge Ver­fas­sung er­langt hat­te, fühl­te ich einen quä­len­den Hun­ger. Schnell mach­te ich mich zu­recht und ging in das an­de­re Zim­mer.

Das Sou­per war schon an­ge­rich­tet. Mein Gast­freund stand an ei­ner Sei­te des Ka­mins, an das Stein­ge­sims ge­lehnt, und lud mich mit ei­ner ver­bind­li­chen Hand­be­we­gung ein, Platz zu neh­men.

»Ich bit­te, set­zen Sie sich und es­sen Sie, wie es Ih­nen passt. Sie wer­den es mir nicht ver­übeln, wenn ich mich nicht be­tei­li­ge, denn di­niert habe ich schon und zu sou­pie­ren bin ich nicht ge­wöhnt.«

Ich hän­dig­te dem Gra­fen den ver­sie­gel­ten Brief ein, den Herr Hawkins mir für ihn über­ge­ben hat­te. Er öff­ne­te ihn und las ihn mit erns­ter Mie­ne durch; dann gab er mir ihn mit freund­li­chem Lä­cheln zu­rück. Be­son­ders eine Stel­le aus dem Brie­fe be­rei­te­te mir be­son­de­re Freu­de:

Ich be­dau­re sehr, dass ein An­fall von Gicht, mit wel­cher ich ja schon im­mer zu schaf­fen hat­te, mir un­be­dingt ver­bot, eine grö­ße­re Rei­se zu ma­chen und Sie zu be­su­chen. Aber es macht mir Freu­de, Ih­nen einen Stell­ver­tre­ter sen­den zu kön­nen, der mein weit­ge­hends­tes Ver­trau­en be­sitzt. Er ist ein jun­ger Mann, ener­gisch, ta­len­tiert und durch­aus zu­ver­läs­sig. Er ist in mei­nen Diens­ten auf­ge­wach­sen und sehr dis­kret. Er steht je­der­zeit wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes zu Ih­rer Ver­fü­gung und ist er­mäch­tigt, Auf­trä­ge je­der Art von Ih­nen ent­ge­gen­zu­neh­men.

Der Graf trat selbst an den Tisch her­an und hob den De­ckel von ei­ner Ter­ri­ne, in der ein präch­ti­ges ge­bra­te­nes Huhn lag. Die­ses, mit et­was Käse und Salat, so­wie eine Fla­sche al­ter To­kai­er,1 von dem ich zwei Glä­ser trank, bil­de­ten mein Abend­brot. Wäh­rend ich aß, er­kun­dig­te sich der Graf über mei­ne Rei­se, und ich er­zähl­te ihm der Rei­he nach alle mei­ne Er­leb­nis­se.

Un­ter­des­sen hat­te ich die Mahl­zeit be­en­det und auf Wunsch des Haus­herrn einen Stuhl ans Feu­er ge­zo­gen. Ich zün­de­te mir eine Zi­gar­re an, die er mit an­bot, in­dem er sich zu­gleich ent­schul­dig­te, da er selbst Nicht­rau­cher sei. Ich fand nun Ge­le­gen­heit, ihn et­was zu be­ob­ach­ten und, ich muss sa­gen, er be­sitzt eine sehr aus­drucks­vol­le Phy­sio­gno­mie.2

Sein Ge­sicht war ziem­lich – ei­gent­lich so­gar sehr – raub­vo­gel­ar­tig; ein schma­ler, scharf ge­bo­ge­ner Na­sen­rücken und auf­fal­lend ge­form­te Nüs­tern. Die Stirn war hoch und ge­wölbt, das Haar an den Schlä­fen dünn, im üb­ri­gen aber voll. Die Au­gen­brau­en wa­ren dicht und wuch­sen über die Nase zu­sam­men; sie wa­ren sehr bu­schig und in merk­wür­di­ger Wei­se ge­kräu­selt. Sein Mund, so weit ich ihn un­ter dem star­ken Schnurr­bart se­hen konn­te, sah hart und ziem­lich grau­sam aus; die Zäh­ne wa­ren scharf und weiß und rag­ten über die Lip­pen vor, de­ren auf­fal­len­de Röte eine er­staun­li­che Le­bens­kraft für einen Mann in die­sen Jah­ren be­kun­de­ten. Die Au­gen wa­ren farb­los, das Kinn breit und fest, die Wan­gen schmal, aber noch straff. Der all­ge­mei­ne Ein­druck war der ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Bläs­se.

Im Schei­ne des Ka­min­feu­ers hat­te ich auch sei­ne Hän­de be­merkt, die auf sei­nen Kni­en la­gen; ich hielt sie für ziem­lich zart und schmal. Nun, da ich sie in der Nähe sah, be­merk­te ich, dass sie sehr grob aus­sa­hen, – breit, mit ecki­gen Fin­gern. Selt­sa­mer­wei­se wuch­sen ihm Haa­re auf der Hand­flä­che. Die Nä­gel wa­ren lang und dünn, zu na­del­schar­fen Spit­zen ge­schnit­ten. Als der Graf sich ein­mal über mich neig­te und die­se Hän­de mich be­rühr­ten, konn­te ich mich ei­nes Grau­ens nicht er­weh­ren. Mög­li­cher­wei­se war auch sein Atem un­rein, denn es über­kam mich ein Ge­fühl der Übel­keit, das ich mit al­ler Wil­lens­kraft nicht zu ver­ber­gen ver­moch­te. Der Graf be­merk­te dies schein­bar und zog sich zu­rück; mit ei­nem grim­mi­gen Lä­cheln, das sei­ne Zäh­ne noch mehr her­vor­tre­ten ließ, nahm er wie­der sei­nen Platz am Ka­min ein. Wir schwie­gen eine Wei­le, und als ich ge­gen das Fens­ter sah, be­merk­te ich die ers­ten lei­sen An­zei­chen des kom­men­den Ta­ges. Es lag eine be­ängs­ti­gen­de Stil­le über al­lem; doch als ich schär­fer auf­horch­te, war es mir, als ver­näh­me ich tief un­ten in den Tä­lern das Bel­len vie­ler Wöl­fe. Mit fun­keln­den Au­gen sag­te der Graf:

»Hö­ren Sie die Kin­der der Nacht? Was für Mu­sik sie ma­chen!« Es moch­te ihm in mei­nem Ge­sichts­aus­druck et­was auf­ge­fal­len sein, denn er füg­te rasch hin­zu:

»Ja, mein Herr, ihr Stadt­be­woh­ner seid eben nicht im­stan­de, ei­nem Jä­ger nach­zu­füh­len.«

Dann stand er auf und sag­te:

»Üb­ri­gens wer­den Sie müde sein. Ihr Bett ist be­reit, und mor­gen kön­nen Sie nach Be­lie­ben aus­schla­fen. Ich habe bis Abend aus­wärts zu tun; schla­fen Sie also wohl und träu­men Sie gut.« Mit ei­ner höf­li­chen Ver­beu­gung öff­ne­te er mir die Türe zu dem acht­e­cki­gen Zim­mer und ich trat in mein Schlaf­ge­mach.

Ein Meer ge­misch­ter Ge­füh­le um­bran­de­te mich; ich zweifle; ich fürch­te; ich den­ke an selt­sa­me Din­ge, die ich mei­ner ei­ge­nen See­le gar nicht ein­zu­ge­ste­hen wage. Gott schüt­ze mich, und sei es auch nur um de­rer wil­len, die mir teu­er sind.

7. Mai. – Es ist wie­der frü­her Mor­gen, aber ich habe die letz­ten vier­und­zwan­zig Stun­den we­nigs­tens aus­ge­ruht und mir wohl sein las­sen. Ich schlief dann noch bis spät in den Tag hin­ein und er­wach­te von selbst. Als ich mich an­ge­klei­det hat­te, be­gab ich mich in das Zim­mer, wo ich zu Abend ge­ges­sen, und fand ein kal­tes Früh­stück be­reit; der Kaf­fee war in ei­ner Kan­ne auf dem Ka­min heiß ge­stellt. Auf dem Ti­sche lag ein Kärt­chen, auf dem die Wor­te stan­den »Ich muss lei­der noch ei­ni­ge Zeit fern blei­ben. War­ten Sie nicht auf mich. D.« So setz­te ich mich denn hin und ließ mir die Mahl­zeit mun­den. Als ich fer­tig war, such­te ich nach ei­ner Glo­cke, um von der Die­ner­schaft ab­räu­men zu las­sen; nir­gends konn­te ich et­was der­glei­chen ent­de­cken. Das war al­ler­dings merk­wür­dig in ei­nem sol­chen Hau­se, das nach al­lem, was mich um­gab, den Ein­druck des größ­ten Reich­tums er­weck­te. Das Ta­fel­ser­vice ist von Gold und so wun­der­schön ge­ar­bei­tet, dass es einen ge­ra­de­zu un­er­mess­li­chen Wert be­sit­zen muss. Die Por­tie­ren, die Be­zü­ge der Stüh­le und So­fas, die Vor­hän­ge mei­nes Bet­tes wa­ren aus den kost­bars­ten Stof­fen und müs­sen schon in der Zeit, wo sie an­ge­fer­tigt wur­den, einen im­men­sen Preis ge­kos­tet ha­ben. Sie sind Jahr­hun­der­te alt, da­bei vor­züg­lich ge­hal­ten.

Ich habe sol­che Din­ge ja auch in Hamp­ton Court3 ge­se­hen, aber da wa­ren sie zer­ris­sen und ab­ge­nützt und von den Mot­ten an­ge­fres­sen. In kei­nem der Zim­mer ist ein Spie­gel. Nicht ein­mal ein Toi­let­te­spie­gel über mei­nem Wasch­tisch, so­dass ich mei­nen klei­nen Hand­spie­gel aus dem Kof­fer neh­men muss­te, um mich über­haupt ra­sie­ren und fri­sie­ren zu kön­nen. Ich habe bis­her we­der einen dienst­ba­ren Geist ge­se­hen, noch einen Laut ge­hört, au­ßer dem Heu­len der Wöl­fe um das Schloss. Nach Been­di­gung mei­ner Mahl­zeit – ich weiß nicht, soll ich sie Früh­stück oder Di­ner nen­nen, denn es war zwi­schen fünf und sechs Uhr, als ich sie ein­nahm – sah ich mich nach Lek­tü­re um, denn ich woll­te ohne Ein­ver­ständ­nis des Gra­fen doch das Schloss nicht ver­las­sen. Bü­cher, Zei­tun­gen, so­gar Schreib­zeug fehl­ten in die­sem Zim­mer; ich öff­ne­te des­halb eine Türe und be­fand mich in ei­ner Art Biblio­thek. Die Tür ge­gen­über der zu mei­nem Schlaf­zim­mer woll­te ich auch öff­nen, fand sie aber ver­schlos­sen.

In der Biblio­thek ent­deck­te ich zu mei­ner größ­ten Freu­de eine rei­che Aus­wahl eng­li­scher Bü­cher, gan­ze Schrän­ke voll, und ge­bun­de­ne Jahr­gän­ge von Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten. Lose Exem­pla­re la­gen auf dem Ti­sche in der Mit­te des Rau­mes, kei­nes aber war von neu­e­rem Da­tum. Die Bü­cher hat­ten den man­nig­fal­tigs­ten In­halt – Ge­schich­te, Geo­gra­fie, Po­li­tik, Na­tio­nal­öko­no­mie, Bo­ta­nik, Geo­lo­gie, Rechts­pfle­ge – al­les über Eng­land, über eng­li­sches Le­ben, über eng­li­sche Sit­ten und Ge­bräu­che. So­gar Nach­schla­ge­wer­ke wa­ren vor­han­den, wie das Adress­buch von Lon­don, das »Rote« und das »Blaue« Buch, Witha­kers Al­ma­nach, die Ar­mee- und Ma­ri­ne- und – mein Herz lach­te da­bei – die Ju­ris­ten­ranglis­te.

Wäh­rend ich so in den Bü­chern her­um­stö­ber­te, öff­ne­te sich plötz­lich die Türe und der Graf trat ein. Er be­grüß­te mich herz­lich und er­kun­dig­te sich, wie ich ge­schla­fen hät­te. Dann fuhr er fort:

»Es freut mich, dass Sie sich hier her­ein ge­fun­den ha­ben, denn ich bin si­cher, dass Sie viel des In­ter­essan­ten vor­fin­den wer­den. Die­se Freun­de hier« – er leg­te die Hand auf ei­nes der Bü­cher – »sind mir wirk­lich gute Freun­de ge­wor­den; sie ha­ben mir schon seit Jah­ren, lan­ge ehe ich den Ent­schluss fass­te nach Eng­land zu ge­hen, vie­le, vie­le fro­he Stun­den be­rei­tet. Durch sie habe ich ihr großes, schö­nes Eng­land ken­nen­ge­lernt, und es ken­nen, heißt es lie­ben. Ich seh­ne mich da­nach, in den dicht­be­leb­ten Stra­ßen Ihres un­ge­heue­ren Lon­don zu pro­me­nie­ren, mit­ten in dem Ge­trie­be und Ge­wüh­le der Men­schen, teil­zu­neh­men an ih­rem Le­ben, ih­ren Schick­sa­len, ih­rem Ster­ben und an all dem, was eben Lon­don zu dem macht, was es ist. Aber lei­der ken­ne ich Ihre Spra­che nur aus Bü­chern. Sie, mein Freund, wer­den na­tür­lich sa­gen, ich spre­che sie.«

»Aber, Graf«, rief ich aus, »Sie ken­nen und be­herr­schen das Eng­li­sche durch­aus.« Er ver­beug­te sich mit erns­ter Mie­ne.

»Ich dan­ke Ih­nen, mein Freund, für Ihre schmei­chel­haf­te Aner­ken­nung; aber ich fürch­te trotz­dem, dass ich erst ein klei­nes Stück auf dem Wege vor­ge­schrit­ten bin, den ich ganz zu­rück­zu­le­gen ge­den­ke. Es ist ja rich­tig, ich ken­ne die Gram­ma­tik und die Wör­ter, aber ich weiß sie doch nicht zu ver­wen­den.«

»Aber«, wie­der­hol­te ich, »Sie spre­chen aus­ge­zeich­net.«

»Nein, nein«, ent­geg­ne­te er, »Ich weiß wohl, dass, wenn ich in Ihrem Lon­don lebe und spre­che, es kei­nen gibt, der mir nicht so­fort den Frem­den an­merkt. Das ist mir nicht ge­nug. Hier bin ich ein Ade­li­ger, ein Boyar;4 das Volk kennt mich, und ich bin sein Herr. Aber als Frem­der im frem­den Lan­de ist man gar nichts, nie­mand kennt mich, und einen nicht ken­nen, heißt sich nicht um ihn küm­mern. Ich will mich in nichts von den an­de­ren un­ter­schei­den und nicht ha­ben, dass je­mand ste­hen bleibt, wenn er mich sieht, oder sei­ne Rede einen Mo­ment un­ter­bricht, wenn er mich spre­chen hört, und sagt: Aha, ein Frem­der. Ich bin so­lan­ge Herr ge­we­sen, dass ich auch Herr blei­ben will, we­nigs­tens will ich nicht, dass je­mand Herr über mich ist. Sie kom­men zu mir nicht al­lein als Ge­schäfts­trä­ger mei­nes Freun­des Pe­ter Hawkins in Exe­ter, um mir zu be­rich­ten, dass mei­ne Ge­schäf­te in Lon­don so oder so ste­hen. Sie wer­den hof­fent­lich eine Zeit lang hier­blei­ben, da­mit ich durch das Spre­chen mit Ih­nen den eng­li­schen Ak­zent er­ler­ne; und ich bit­te Sie, es mir zu sa­gen, wenn ich einen Feh­ler ma­che, und sei es der kleins­te. Es tut mir leid, dass ich heu­te so lan­ge weg­blei­ben muss­te; aber Sie wer­den es mir ver­zei­hen, wenn ich Ih­nen sage, dass eine Men­ge wich­ti­ger Ge­schäf­te auf mir las­tet.«

Ich ver­si­cher­te ihm, dass ich ger­ne al­les tun wer­de, was in mei­nen Kräf­ten stün­de, und frag­te ihn, ob ich die­ses Zim­mer je­der­zeit be­tre­ten dür­fe, wenn es mir be­lie­be. »Ja, ge­wiss«, sag­te er und füg­te hin­zu:

»Sie kön­nen im Schloss hin­ge­hen, wo Sie wol­len, au­ßer da­hin, wo die Tü­ren ver­schlos­sen sind; da­hin wer­den Sie ja üb­ri­gens auch gar nicht wol­len. Es hat sei­ne Grün­de, dass die Din­ge nun ein­mal so sind; und sä­hen Sie mit mei­nen Au­gen und hät­ten Sie mei­ne Er­fah­run­gen, so wür­den Sie mich noch leich­ter be­grei­fen.« Ich er­wi­der­te ihm, dass das ja ganz selbst­ver­ständ­lich sei, und er fuhr fort:

»Wir sind hier in Trans­syl­va­ni­en, und Trans­syl­va­ni­en ist nicht Eng­land. Un­se­re Wege sind nicht die Ih­ri­gen und man­ches möch­te Ih­nen son­der­bar er­schei­nen. Nach al­lem, was Sie ge­hört ha­ben, wis­sen Sie ja oh­ne­hin, dass sich hier selt­sa­me Din­ge er­eig­nen.«