Dreamteam süßsauer - Birgit Gruber - E-Book
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Birgit Gruber

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Beschreibung

Wahre Freundinnen bringt auch ein kleiner Mord nicht auseinander. Der neue Cosy-Krimi aus der Erfolgsreihe "Kati Blum ermittelt". Für Kati steht die Welt Kopf: Was hat Lars sich nur dabei gedacht, ihre beste Freundin zu verhaften? Soll Nina tatsächlich ihre Chefin ermordet haben? Absolut unmöglich! Nina ist unschuldig, und Kati wird das beweisen! Alle Ermittlungsansätze enden in einer Sackgasse. Kati bleibt nur eine Spur, die direkt zu einer bekannten Dragqueen führt. Doch wie passt diese bei dem ganzen Chaos ins Bild? Kati beschließt, zu unkonventionellen Methoden zu greifen. Allerdings sind von ihrer Undercover-Mission weder Ermittler Lars noch der Hüne Erik begeistert. Denn Kati ist davon überzeugt, dass die beiden Männer in Frauenkleidern die beste Chance haben, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Mit dieser etwas anderen Art geballter Frauenpower kann dem Dreamteam in Chanel niemand etwas anhaben … oder? "Dreamteam süßsauer" ist der fünfte Band der Serie "Kati Blum ermittelt". Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle Teile der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Dreamteam süßsauer

Kati Blum ermittelt - Band 5

Birgit Gruber

Dies ist ein Roman.

Die Namen der behandelten Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden (lebenden oder toten) Menschen wären reiner Zufall.

Alle Bände der Reihe „Kati Blum ermittelt“ sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Prolog

»Ka-tiii!« Ninas Geschrei drang laut aus dem Hörer. Sie besaß einen unverkennbaren Unterton, der mich sofort alarmiert aufhorchen ließ. Etwas stimmte nicht.

»Nina? Was ist los?«

»Kati! Die haben mich verhaftet!«

»Was? Wer?«

»Na wer wohl? Lars.«

»Spinnt der?«

Es folgte ein Rascheln. Sie musste das Handy verschoben haben.

»Eigentlich schaut er aus wie immer«, erklärte sie nun doch glattweg.

Ich runzelte die Stirn. »Nina. Ist das einer dieser Juxanrufe? Mit sowas scherzt man nicht.«

»Ich mach keine Witze. Willst du die Handschellen klappern hören? Glaubst du mir dann?«

Bevor ich antworten konnte, bekam ich mit, wie sie in der Ferne zu jemandem sagte: »Könnten Sie bitte mal das Telefon etwas tiefer halten?«

Ich hatte das Gefühl, gleich aus den Schuhen zu kippen. Meine Freundin meinte es wirklich ernst, aber ihre unbekümmerte Wesensart hielt sie nicht davon ab, nahezu treudoof meine Fragen zu beantworten. Was war passiert?

»Bist du verletzt? Vielleicht auf den Kopf gefallen?«, rief ich in die Sprechmuschel, bekam aber nur ein metallenes klirrendes Geräusch als Rückmeldung.

»Glaubst du mir jetzt? Handschellen!«, sagte sie dann.

»Okay. Wo bist du?«

»Ich stehe vor dem Streifenwagen.«

»Nina! Wo?«

»Vor dem Frisörsalon.«

»Aha! Und warum genau wirst du verhaftet? Hast du jemandem eine Glatze rasiert?«, wollte ich in einem Anflug von Galgenhumor wissen. Auf diese Weise konnte ich mit ernsten Situationen meist besser umgehen.

»Nein. Die glauben, ich hätte einen Mord begangen.«

»Was??? Wann?«

»Keine Ahnung. Ich war´s ja nicht.«

»Freut mich zu hören. Geht´s trotzdem etwas genauer?«

»Gut. Tut mir leid. Das ist alles so neu für mich. Ich wurde noch nie mit Handschandschellen abgeführt. Gefesselt, ans Bett, das schon. Das hat Harry immer gern mit mir gemacht –«

»Nina! Bitte! Jetzt konzentrier dich doch mal.« Wäre sie vor mir gestanden, ich hätte sie liebend gern geschüttelt!

»Wie war die Frage nochmal?«

Ich atmete tief ein und bemühte mich jedes Wort einzeln zu betonen. »Wer – ist – tot?«

»Sagte ich das nicht bereits?«

»Nein.«

»Oh! Ach so. Also, jemand hat meine Chefin abgemurkst.«

»Was? Wie schrecklich! Erdrosselt?«

»Nö. Erstochen. Mit einer Schere. Einer Profihaarschere!«, informierte sie mich, als würde das alles erklären. »Sie liegt mitten im Laden in einer schönen großen Blutlache. Ist fast ein kleiner See.«

»Die Schere?«

»Herrje, Kati! Die Christine natürlich!«, meinte Nina leicht genervt.

»Iiiih!« Gänsehaut überlief mich.

»Kein schöner Anblick. Sie hatte ihre Augen weit aufgerissen, und ihre Pupillen waren so seltsam verdreht«, erzählte Nina abgeklärt weiter.

»Sag mal, geht´s dir gut?« So emotionslos kannte ich meine Freundin gar nicht. Sie war fast so neugierig wie ich, manchmal vorlaut, aber in erster Linie ein warmherziger und lebenslustiger Mensch. Dass sie so von ihrer toten Chefin Christine sprach, beängstigte mich.

»Ähm, ja. Ich meine, ich habe gerade Christines Leiche gefunden, aber sonst … Der Umstand, dass ich verhaftet wurde, belastet mich momentan irgendwie mehr …«

»Stimmt. Welcher Trottel ist denn dafür verantwortlich?«

Wieder hörte ich Störgeräusche.

»Der Trottel bin ich!«, teilte plötzlich Lars mir mit. Er musste Nina das Handy abgenommen haben.

»Kannst du deinem Freund mal sagen, dass er den Blödsinn lassen soll?«, plärrte sie von weiter weg, trotzdem gut hörbar im Hintergrund.

Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht.

»Lars. Was soll das? Du kennst Nina ebenso gut wie ich. Die würde keiner Fliege was zuleide tun!«, ereiferte ich mich.

»Wir fanden sie über die Leiche gebeugt. Den Scherengriff in der Hand, und die Scherenblätter steckten bis zum Anschlag in der Toten. Was würdest du tun?«

»Ich würde –«

»Jetzt sag nur nicht: Sie laufen lassen!« Seine sonst angenehm tiefe, warme Stimme klang angestrengt.

»Aber … aber …« Meine Schultern sackten nach vorn. Er hatte recht. Laufen lassen konnte er sie als Kriminalhauptkommissar wohl kaum.

»Wir nehmen sie jetzt mit. Wenn du was für sie tun willst, dann besorg ihr einen Anwalt«, gab er mir den Tipp. Und dann hörte ich nur noch, wie er »Abführen« sagte, bevor das Gespräch beendet wurde.

1

48 Stunden zuvor

Anfang August war es in Bayreuth so heiß wie im Backofen. Vor einigen Jahren hätte man bei den vorherrschenden Temperaturen noch von einem Jahrhundertsommer gesprochen, aber inzwischen hatte es zu viele heiße Sommer ohne Regentage gegeben.

Ich befand mich auf dem Weg zum Storchenkeller, einem Biergarten, in dem ich mit meiner Freundin Nina verabredet war. Wie immer war ich mit meinem geliebten alten Hollandrad unterwegs, aber die Luft war so warm, dass mich nicht einmal der Fahrtwind abkühlte. Die Sonne prallte auf mich herab, und meine Schultern glühten. Bei direkter Sonneneinstrahlung war ein Top mit Spagettiträgern eher unvorteilhaft, wie ich feststellte. Die knappen Jeansshorts, die ich trug, waren hingegen perfekt. Mein braunes Haar hatte ich zum Pferdeschwanz gebunden, aber ein paar Strähnen mussten sich irgendwann daraus befreit haben und klebten mir nun mehr oder weniger auf der Stirn. Zum Glück war der Weg nicht mehr weit.

Ich stellte mein Rad auf der Schotterfläche vor dem Biergarten ab und genoss sofort die angenehme Kühle. Im Schatten, den große dicht aneinandergereihte Linden spendeten, stand eine Vielzahl von Biertischgarnituren. Da ich Nina noch nirgends entdecken konnte, wählte ich einen Platz am Rand und bestellte mir, passend zu meiner sportlichen Aktivität, ein Radler. Hier konnte man es aushalten!

Eigentlich hatte ich den Abend mit Lars verbringen wollen. Doch als Kriminalhauptkommissar war seine Arbeitszeit oft unregelmäßig, weshalb er mich vor einer guten Stunde angerufen hatte, um abzusagen. Warum, hatte er mir nicht verraten können, weil er über laufende Ermittlungen nicht reden durfte. Ich vermutete aber, er wollte vermeiden, dass ich mich einmischte. So hatten wir uns nämlich auch kennengelernt.

Mein Name ist Kati Blum und nein, ich bin weder Polizistin noch Kommissarin. Ich arbeite freiberuflich für die örtliche Tageszeitung, und zusätzlich bin ich im Hotel Zur Sonne in der Frühstücksschicht tätig. Aber nach dem frühen Tod meines Mannes Thorsten war ich bedroht worden, und es hatte sich herausgestellt, dass er in zwielichtige Geschäfte verwickelt gewesen war. Persönlich betroffen, hatte ich mich damals gezwungen gesehen selbst zu ermitteln. Und ich war auf den Geschmack gekommen. Wie sich herausstellte, besaß ich ein gewisses Talent, dubiose Machenschaften aufzudecken, und meine Neugier tat wohl ihr Übriges dazu. Zu dieser Zeit war auch Lars in mein Leben getreten. Zwischen uns flogen von Anfang an die Funken und das in mehr als einer Hinsicht! Seit ein paar Wochen waren wir nun ein Paar.

Dass Lars heute berufsbedingt keine Zeit für mich hatte, kam jetzt Nina sehr gelegen. Sie hatte mich kurz nach der Absage angerufen und gemeint, sie hätte tolle Neuigkeiten, weshalb wir uns unbedingt treffen müssten. Ich war gespannt!

Meine beste Freundin war mit ihren einunddreißig Lenzen ein Jahr jünger, außerdem etwas kleiner und eindeutig quirliger als ich. Als Frisörin besaß sie den Spleen, ihre Frisuren ständig zu wechseln. Ähnlich hielt sie es mit ihren Kerlen. Bislang hatte es noch keiner geschafft, sie langfristig an sich binden. Nina liebte das Leben und genoss es in vollen Zügen.

Mein Getränk wurde gerade in dem Moment serviert, als sie eintraf.

»Für mich auch eins«, bestellte sie, obwohl sie noch nicht einmal saß. Dann fiel sie mir, wie immer zur Begrüßung, um den Hals. Heute stürmischer als sonst.

»Hi du! Klasse, dass du Zeit hast. Ich muss dir unbedingt was erzählen!«, zwitscherte sie und schob ihren knackigen Hintern auf die Bank gegenüber von mir.

»Neue Frisur?«, fragte ich zurück und zwinkerte ihr zu.

Hatte sie gestern ihr Haar noch als braunschwarzen Bob getragen, saß sie heute als silbrig-weiße Blondine vor mir.

»Gefällt´s dir? Das ist ein ›Tob‹. Ein Long-Bob! Siehst du den extra tiefen Seitenscheitel? Die Spitzen sind fransig geschnitten, und der Ansatz ist etwas voluminöser. Voll Sixties, oder?« Sie strahlte mich an.

»Sehr schick!«, gestand ich ihr zu. »Bist du verliebt?« Eine neue Frisur stand nicht selten mit einem neuen Mann in Verbindung.

Nina schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich habe morgen in aller Herrgottsfrüh einen Termin bei der Bank. Vielleicht hilft es ja, wenn ich gut aussehe. Wer weiß. Schaden kann es bestimmt nicht.«

»Bei der Bank? Hast du Geldsorgen?« Sie wirkte jedenfalls nicht so, als würde sie etwas bedrücken.

Sie grinste. »Ganz im Gegenteil.«

Das zweite Radler wurde gebracht. Nina hob ihr Glas und prostete mir zu. »Vielleicht habe ich sogar schon bald was zu feiern.«

»Ach? Was denn? Nun spann mich doch nicht so auf die Folter«, forderte ich sie auf.

»Also«, begann sie geheimnisvoll und rutschte auf der Bank herum. »Heute Mittag hat mich meine Chefin Christine zur Seite genommen …«

»War sie auch mal wieder im Laden?« Soweit mir bekannt war, kam die Inhaberin des Frisörsalons, in dem Nina arbeitete, schon seit Längerem nur noch selten vorbei.

Nina verdrehte die Augen. Wenn sie etwas Aufregendes zu erzählen hatte, mochte sie es nicht, unterbrochen zu werden. »Sonst hätte ich ja nicht mit ihr reden können. Besser gesagt, sie mit mir.«

»Schon gut«, murmelte ich. »Ja und? Was wollte sie?«

»Wie du weißt, ist sie seit einigen Monaten faktisch bloß noch als Geschäftsführerin tätig. Sie macht lediglich ausgewählten Kundinnen die Haare, denen, die nur von Christine persönlich betreut werden möchten. Aber ist das auch egal. Denn wie sie mir mitteilte, hat sie die Lust an der Arbeit verloren.«

»Leidet sie unter Depressionen?«

»Ähm. Keine Ahnung. Sie wirkte eigentlich fröhlich. Aber das ist auch nicht der springende Punkt. Der ist nämlich …«, sie legte eine kleine Kunstpause ein, »dass sie den Salon verkaufen will. Und sie hat mich gefragt, ob ich ihn nicht übernehmen möchte.« Nina strahlte mich an. »Na, was sagst du?«

Ich blinzelte. »Die Frage ist: Was hast du geantwortet?«

»Ich finde die Idee toll. Meinen eigenen Laden! Davon habe ich immer geträumt.«

»Ehrlich? Hast du nie erwähnt.«

»Warum, denkst du, habe ich letztes Jahr meine Meisterprüfung gemacht?«

»Hm. Ein eigener Laden ist aber auch eine ganz schön große Verantwortung. Meinst du nicht?«

»Och. Das wird schon.«

Da mochte sie recht haben. Trotzdem hatte ich leichte Zweifel. Nina war flippig und von Natur aus hibbelig. Sie war die beste Freundin, die man sich vorstellen konnte. Man konnte die sprichwörtlichen Pferde mit ihr stehlen. Und sie war auch loyal und zuverlässig, dachte ich bei mir, während ich sie betrachtete. Vielleicht machte ich mir also Gedanken, obwohl gar keine nötig waren. Ich schob meine Bedenken zur Seite.

»Dann hast du zugesagt?«

»Ja.« Nina nickte inbrünstig und warf jubelnd die Arme in die Luft.

»Wow! Super. Gratuliere!« Ich freute mich mit ihr. »Aber das kostet bestimmt einen Haufen Geld«, fiel mir ein, nachdem wir darauf angestoßen hatten.

»Deshalb habe ich morgen doch den Termin bei der Bank.«

»Richtig.«

»Jetzt hab ich aber Hunger. Was essen wir?«, fragte Nina, und das Thema war vorerst beendet.

***

Im Frühstücksraum des Hotels Zur Sonne herrschte gähnende Leere. Dafür drängten sich Hotelgäste sowie die Laufkundschaft im geräumigen Innenhof des Gebäudes. Um zehn Uhr morgens war es hier draußen angenehm warm, aber am Nachmittag würde sich brütende Hitze breitmachen. Der Wetterbericht versprach einen weiteren heißen Sommertag, der mit den Temperaturen Italiens und Spaniens durchaus mithalten konnte. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Weil ich permanent zwischen Küche, dem Kaffeeautomaten und der Hotelterrasse hin- und herlaufen musste, kam ich dennoch ins Schwitzen. Meiner Kollegin Sarah erging es nicht anders.

»Noch eine Stunde, dann haben wir es geschafft«, sagte sie zu mir, als sie mit einem vollbeladenen Tablett vorbeihuschte.

»Wenigstens müssen wir nicht in der Küche schuften«, gab ich zurück und schenkte unserem Koch Alex einen mitfühlenden Blick, der mit hochrotem Kopf dastand, während vor ihm Dampf aus der Pfanne mit dem Rührei aufstieg.

Ich stellte mein Tablett mit dreckigem Geschirr ab, schnappte mir den Nachschub an frisch gepresstem Orangensaft, der schon bereitstand, und eilte durch die Schwingtür wieder nach draußen.

Ich hörte einige Vögel zwitschern, die es sich wahrscheinlich in der Au am nahegelegenen Mistelbach gemütlich gemacht hatten, und dachte an das Plätschern des klaren Wassers und die Bänke unter schattenspendenden Kastanienbäumen. Ja, dort konnte man es bei dieser Hitze den Tag über aushalten.

Aber in unserem Innenhof war es auch angenehm zum Sitzen und obendrein ziemlich hübsch. Auf Kopfsteinpflaster vermischt mit Granitsteinen standen breite Kübel mit großen Grünpflanzen, und die Holztischgarnituren mit den schwarzen Metallfüßen luden eine Vielzahl von Gästen zum Entspannen ein. Es war Festspielzeit und Hochsaison in Bayreuth. Die Opern von Richard Wagner zogen zu dieser Jahreszeit viele Kulturbegeisterte in die Stadt.

Von Weitem sah ich einen Mann winken, der offenbar nicht zu den Übernachtungsgästen gehörte und zahlen wollte. Allmählich verebbte der Ansturm. Aber ich bemerkte, dass noch einmal Gäste eingetroffen waren.

Ich nickte dem Zahlungswilligen zu und lief zu dem neu besetzten Tisch. Eine Frau, die mich ein wenig an einen Hollywoodstar erinnerte, saß dort zusammen mit einem jungen Mann, der angestrengt dreinschaute und wiederholt nickte. Hatten wir tatsächlich eine Berühmtheit zu Gast?, fragte ich mich und warf ganz automatisch einen prüfenden Blick auf meine Arbeitskleidung. Wie immer trug ich einen schwarzen Bleistiftrock, der kurz über den Knien endete, und eine schlichte weiße Bluse. Dazu weiße Stoffsneakers, weil ich in denen am besten laufen konnte.

»Schönen guten Morgen, was darf ich Ihnen bringen?«, erkundigte ich mich und betrachtete die Frau. Mit ihrer großen dunklen Sonnenbrille und dem türkisfarbenen Seidentuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, ähnelte sie Audrey Hepburn, kam mir in den Sinn. Auch die Statur passte zu meinem Eindruck, den das schwarz-weiße Kleid im Sechzigerjahrestil womöglich noch verstärkte.

Sie verzog das schmale, leicht blasse Gesicht. Ihr lippenstiftbehafteter Mund öffnete sich, und sie seufzte. »Einen Latte macchiato, bitte.«

Ich blickte zu ihrer Begleitung.

»Orangensaft, groß«, bestellte er.

Die beiden sahen nicht glücklich aus. Aber Audrey Hepburn war es natürlich definitiv nicht, die da vor mir saß.

Ich entfernte mich und ging meinen Aufgaben nach.

»… das ist doch unmöglich! Ich kann mich nirgendwo mehr blicken lassen!«, hörte ich Audrey 2.0 gerade sagen, als ich wieder zu ihnen trat.

»So schlimm ist es doch gar nicht«, beruhigte sie ihr Begleiter.

»Pha! Das ist mir ja noch nie passiert! Sie soll die Beste sein, und das hat sie bisher auch immer bewiesen. Und jetzt sowas! Das wird ihr noch leidtun!«, echauffierte sie sich weiter. Dann entdeckte sie mich und verstummte.

Freundlich lächelnd stellte ich die Getränke ab.

»Danke«, sagte der Mann, während Audrey 2.0 nur die Stirn runzelte und ganz offenbar darauf wartete, dass ich wieder abschwirrte.

Eine Sekunde lang überlegte ich ernsthaft, eine Art Hofknicks vor ihr zu machen. Natürlich nicht aus Ehrfurcht, vielmehr als Anspielung, weil sie sich gar so hochnäsig gab. Doch die Gefahr bestand, dass sie empört regieren und sich möglicherweise bei meiner Chefin Frau Eymold über mich beschweren könnte. Das wollte ich nun auch nicht. Also wies ich das kleine Teufelchen in mir in seine Schranken. Immerhin kannte ich mich mit extrovertierten Persönlichkeiten gut genug aus.

Meine Schwiegermutter Anke Blum war diesbezüglich nur schwerlich zu übertreffen. Insgeheim nannten wir sie deshalb auch ›die Queenvon Bayreuth‹. Sie war nicht nur überheblich und kommandierte liebend gern alle herum, sie saß obendrein im Stadtrat, und es passierte nichts in Bayreuth, ohne dass sie davon wusste.

Jedermann schien sich damit abgefunden zu haben, nur ich nicht. Ich war der Stachel in ihrem Fleisch. Für ihren Sohn nie gebührlich gewesen und nach dessen Ableben erst recht ein unangenehmer Makel, lebte ich doch weiterhin in der kleinen Dienstbotenwohnung, die ich gerne als ›Baumhaus‹ bezeichnete, am Blum´schen Anwesen. Doch sie konnte mich ›der Leute wegen‹ schlecht vor die Tür setzen, und ich wollte nicht freiwillig gehen. Es war im Laufe der Jahre mein Zuhause geworden! Und die Wohnung über der Garage, gleich neben der großen alten Eiche, lag von der Villa weit genug entfernt, als dass wir permanent in Kontakt gekommen wären.

Deshalb zahlte ich lieber den Obolus an Miete, den sie mir abknöpfte – nur um mir eins auszuwischen, denn Geld besaßen die Blums genug –, und genoss die Annehmlichkeiten, die meine Wohnsituation ansonsten mit sich brachte. Denn außer meinen Schwiegereltern lebten am Anwesen, das nebenbei bemerkt mehrere tausend Quadratmeter betrug und unweit vom Stadtzentrum lag, noch Maria, die Haushälterin, und Erik, der Mann für alles. Maria war mir wie eine zweite Mutter ans Herz gewachsen, und Erik stand nicht nur zur Stelle, wenn es etwas zu reparieren gab, sondern unterstützte mich auch sonst, wenn ich handwerkliche Hilfe benötigte. Außerdem war er optisch ein echtes Sahneschnittchen: Ende zwanzig, ein Hüne von einem Mann, mit blondem Haar im Wikingerlook. Ein Umstand, der Lars nicht so recht zu gefallen schien. Jedenfalls vermutete ich das. Das Verhältnis zwischen den beiden Männern war noch nie besonders herzlich gewesen, aber seitdem Lars und ich ein Paar waren, hatte ich das Gefühl, als hätte es sich weiter abgekühlt.

»Ist noch was?« Audrey 2.0 schnaufte und taxierte mich.

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab. Zufrieden nahm sie ihr Gespräch wieder auf.

»Ich möchte, dass du dich darum kümmerst! Wofür bezahle ich dich schließlich als meinen PR-Berater. Aber ich möchte welche in mit Echthaar …«, kam mir noch zu Ohren, bevor ich mich den anderen Gästen widmete.

Was für ein seltsames Paar.

***

Den Nachmittag verbrachte ich im Kreuzsteinbad. Es war das größte Freibad in Bayreuth und befand sich nahe der Jugendherberge und der Uni. Entsprechend viel war los. Wo man hinsah, tummelten sich Menschen. Jugendliche wie Erwachsene, Kinder und Studenten. Ich hatte mir ein Plätzchen im Halbschatten am Rand der großen Liegewiese unweit vom Sprungturm gesucht. Da Nina noch arbeiten musste, war ich allein unterwegs. Wohlig streckte ich mich auf meinem Handtuch aus.

»Hey, komm schnell. Der Zehner macht auf«, hörte ich einen Jugendlichen rufen.

»Dann beeilt euch«, sagte eine Frau, vielleicht die Mutter eines der Jungs.

Der Freund sprang auf, schon spurteten die Halbwüchsigen los.

»Wenn ich da an meine Teenagerzeit denke, da war der Zehner bestimmt eine Stunde lang geöffnet. Nicht wie heute, wo man sich beeilen muss, dass man überhaupt einmal springen kann, bevor die ihn schon wieder schließen«, erzählte die Frau einer anderen neben sich. »Das war für uns Mädels ›das Highlight‹, wenn die Jungs runtersprangen. Manchmal sogar drei gleichzeitig. Einer links, einer rechts ins Eck und der dritte in die Mitte. Heute unvorstellbar …«

»Ich erinnere mich. Das war noch vor den extremen Sicherheitsvorschriften, die heutzutage überall gelten. Passiert ist trotzdem nie was. Jedenfalls könnte ich mich nicht erinnern … Wir saßen alle um das Becken herum und haben zugeschaut.«

»Ja, damals hatte man auch noch die Gelegenheit. Bis du heute mitbekommst, dass es was zu sehen gibt, und hinläufst, machen die den Zehner doch schon wieder dicht …«

Ich blickte über die Büsche und sah, dass sich einige Jungs und Mädchen auf dem höchsten Plateau des Sprungturms versammelt hatten, mehr aber auch nicht. Kurz überlegte ich, ihnen bei ihren Sprüngen zuzuschauen, aber gerade als ich aufstehen wollte, schob sich ein gutaussehender Kerl in mein Sichtfeld. Groß, sportliche Statur, kurzes braunes Haar und markantes Gesicht. Er trug Jeansshorts, Sneakers und T-Shirt. Seine Muskeln, Sehnen und der Bizeps waren gut erkennbar. Der Anblick war nicht schlecht, was wohl auch andere dachten. Er zog mehrere weibliche Blicke auf sich, wie ich bemerkte. Knapp vor mir blieb er stehen und ließ seine Sporttasche fallen.

»Du hast dich gut versteckt«, sagte Lars.

Ich schirmte mir die Augen mit der Hand ab, damit ich ihn gegen die Sonne besser sehen konnte, und lächelte. »Nicht gut genug, wie mir scheint.«

Sein Mundwinkel zuckte. »Vor mir kannst du dich nicht verstecken.«

»Och, da wäre ich mir nicht so sicher. Ich hatte es ja nicht darauf angelegt.«

»Träum weiter.« Er breitete seine Decke aus und gab mir einen Begrüßungskuss.

Oh Mann! Konnte es möglich sein, dass mir trotz der Hitze des Tages plötzlich noch heißer wurde?

»Ich hab dich noch nie im Bikini gesehen«, bemerkte Lars, als wir uns voneinander lösten. »Ist ein sexy Teil, das du da trägst.«

Ich schaute an mir herab. Er war gelb, das Oberteil war im Triangeldesign im Makramee-Style und besaß süße Zierknoten im Rücken, die sich ebenso an den Seiten der Hose wiederfanden. Ja, der Bikini hatte mir sofort gefallen, aber noch erfreulicher war der Umstand, dass er Lars‘ Aufmerksamkeit auf sich zog.

»Was machst du überhaupt hier? Musst du nicht arbeiten?«, fragte ich.

Er streifte sein Shirt ab und entblößte seinen durchtrainierten Oberkörper. »Als du mir geschrieben hast, dass du baden gehst, dachte ich, ich könnte ein paar Überstunden abbummeln.«

»Find ich gut.«

»Weißt du eigentlich, dass das Kreuzsteinbad seinen Namen von einem Kreuzstein hier ganz in der Nähe bekommen hat? Er wurde zum Gedenken eines Ermordeten im sechzehnten Jahrhundert platziert.«

»Aha. Und woher weißt du das? Hast du zu wenig aktuelle Mordfälle auf dem Tisch, dass du dich mit Taten aus dem sechzehnten Jahrhundert beschäftigen musst?«, scherzte ich.

»Haha. Das hat mir Jana erzählt. Wir sind uns zufällig über den Weg gelaufen.«

»Echt. Die weiß sowas?« Jana war Polizistin im Streifendienst. Blond, in unserem Alter und unheimlich nett. Sie stammte gebürtig von der Ostsee und war in etwa zur gleichen Zeit nach Bayreuth gekommen wie Lars. Wir hatten uns kennengelernt und waren sofort Freundinnen geworden.

»Scheinbar. Und du? Ich hätte erwartet, dass du darüber bestens informiert, vielleicht sogar deswegen hier bist. Mord und Totschlag ist doch deine Kragenweite.« Er grinste süffisant, dann setzte er noch einen obendrauf. »Also, nur nebenbei bemerkt, wenn dir langweilig sein sollte und du dich dem Fall annehmen magst, dann hast du meinen Segen. Ich habe keinerlei Einwände.«

Meine Augen verformten sich zu Schlitzen. Was konnte ich denn dafür, dass ich immer wieder in Kriminalfälle verwickelt wurde? Es war ja nicht so, dass ich mich danach auf die Suche begab. Ich stolperte einfach hinein. Und das war ja wohl ein bedeutender Unterschied!

Selbstverständlich gab ich nicht klein bei.

»Okay. Gut zu wissen. Wurde der Mord denn nie aufgeklärt?«, fragte ich zuckersüß.

Lars machte den Mund auf, schüttelte dann aber nur lachend den Kopf und entledigte sich seiner Jeans. Zum Vorschein kam ein knackiger Po, der in Badeshorts steckte. Mir wurde schon wieder heiß.

»Los, du Nervensäge, ab ins Wasser! Ich denke, eine Abkühlung würde dir ganz guttun«, scheuchte er mich auf. Wo er recht hatte, hatte er recht!

***

»Er hat mich zum Essen eingeladen. Keine fünf Minuten, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Und als er mich fragte, ist er rot geworden. Ist das nicht niedlich?«, plapperte Nina, und ihre Augen strahlten.

»Total«, bestätigte ich.

Wir lümmelten auf den Gartenliegen meiner Terrasse, die sich hinter der breiten Garage befand, über der ich wohnte. Die Abendsonne warf weitläufige Schatten, und wir genehmigten uns einen Schoko-Milchshake, den Nina von unterwegs mitgebracht hatte.

»Entweder wir treffen uns morgen in der Mittagspause oder dann abends. Aber ich bin für mittags. Da hat man nicht unbegrenzt Zeit, man kann sich super beschnüffeln, und wenn er doch nicht mein Typ ist, muss ich mir keine Erklärungen einfallen lassen, wenn ich gehen will. Und sollte er mir gefallen, dann können wir später die Nacht zum Tag machen.«

Ich nickte. »Klar. Das ist eine einleuchtende Strategie.«

Aber was das betraf, war meine Freundin absolut erfahren. Sie wechselte ihre Männer etwa im selben Rhythmus, wie sich die Jahreszeiten wandelten. Doch ich glaubte, das erwähnte ich bereits.

»Aber sag mal, warst du nicht eigentlich in der Bank wegen eines Kredits? Es ging doch um die Finanzierung deiner möglichen neuen Selbstständigkeit«, kam ich auf den Grund ihres Besuches dort zurück.

»Oh ja. Natürlich. Das sollte in Ordnung gehen, meinte Armin. Er muss nur noch mit seinem Vorgesetzten Rücksprache halten. Aber das sollte kein Problem sein, sagt er. Er hing regelrecht an meinen Lippen, als ich ihm mein Anliegen unterbreitet habe. Ich habe ihn sofort überzeugt, dass ich die Beste bin, und außerdem habe ich ihm einen kostenlosen Haarschnitt versprochen, wenn alles klappt.«

»Ist das nicht Bestechung?«

»Nein! Gar nicht. Es ist ein Praxistest. Ja, ich denke, so kann man es ausdrücken.«

»Wenn du das so siehst …«

»Ist doch vollkommen logisch.« Nina grinste.

»Dann steht der Übernahme des Frisörsalons also nichts im Weg? Bist du dir sicher, dass du das machen willst?«, fragte ich nochmal nach.

»Ganz sicher. Ich muss nur noch Christine Bescheid geben.«

»Und der niedliche Bankberater Armin ist sozusagen dein Bonus obendrauf.«

Nina schlürfte ihren Milchschaum und zwinkerte mir zu. »So ist es.«

2

 

 

Der nächste Tag war einer wie viele. Aufstehen, Frühstück machen – für grob geschätzt siebzig Mann – und im Anschluss Mittagessen bei Maria. Im Laufe der Zeit hatte es sich eingebürgert, dass ich nach der Arbeit meist in der Blum´schen Villa vorbeischaute. Natürlich nicht, weil das Band zwischen Schwiegermama und mir so eng war! Anke war das notwendige Übel, das es hinzunehmen galt. Ich kam wegen meiner mütterlichen Freundin Maria und wurde bei der Gelegenheit auch gleich mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Ohne sie würde ich vermutlich fast ausschließlich von Kaffee und Keksen leben, weil Kochen nicht unbedingt zu meinen Stärken zählte. Es war nicht so, dass ich es nicht konnte, es machte mir lediglich keinen Spaß, den Aufwand für eine einzelne Person zu betreiben.

»Was gibt´s denn heute?«, fragte ich, sobald ich die Blum´sche Küche betrat. Das Mittagessen war für gewöhnlich der erste Bissen des Tages für mich.

Maria stand an der langen Anrichte, die mit den unterschiedlichsten Nahrungsmitteln vollbeladen war. »Nichts.«

»Nichts?« Ich war enttäuscht und verwirrt zugleich. »Und was ist das da?«, wollte ich wissen und deutete mit einer weitläufigen Geste über die Auslage: Wurst, Schinken, Käse, Butter, Kopfsalat, Gurken, Partytomaten, Vollkorn- und Weißbrot, und, und, und. Auf dem breiten Küchentisch entdeckte ich mehrere Silberplatten.

»Das werden Häppchen.«

»Canapés, bitte! Wir sind hier doch etwas gehobener und nicht im Schnellimbiss«, tadelte die Queen und stolzierte aus dem Salon auf uns zu, dicht gefolgt von Susi.

Der Salon war das, was das allgemeine Volk unter dem Wohnzimmer verstand. Aber Anke Blum, ihres Zeichens die Queen von Bayreuth, hatte es gern etwas vornehmer. Mit Argusaugen besah sie sich die bunt gewürfelten Zutaten. Susi, ihre Deutsche Dogge, tat es ihr gleich. So wie ich ihren Blick deutete, allerdings aus einem anderen Grund.

»Und, wie geht´s voran? Wo sind denn die Eier und der Kaviar? Maria, ich habe mich doch klar und deutlich ausgedrückt. Ich möchte Canapés de Luxe!«, zeterte meine Schwiegermutter, während Susi die Schinkenauslage genauer in Augenschein nahm.

»Ich habe eben erst angefangen. Keine Sorge, die ›Häppchen‹ werden ganz nach Wunsch kreiert«, blaffte Maria zurück und schwenkte ein Küchenmesser über einem der Schneidbretter.

Anke schnappte anhand des niveaulosen Wortes nach Luft, was Maria offenbar mit Befriedigung zur Kenntnis nahm. Ich unterdrückte ein Kichern. Gut gemacht! Es kam nicht oft vor, dass Maria der Geduldsfaden riss. Nur etwa zweimal im Jahr, und heute war es unübersehbar wieder einmal so weit. Prompt fragte ich mich, womit die Queen die gute Seele des Hauses zur Weißglut getrieben haben mochte. Aber das würde ich sicherlich noch herausbekommen. Vorerst fand ich es klasse, dass meine mütterliche Freundin auch mal zurückschlug. Sie war viel zu gutmütig und ließ sich von meiner Schwiegermutter zu oft ihre Tyranneien gefallen. Ich bewunderte sie dafür, ehrlich! Denn ich könnte das nie und nimmer. Aber die wenigen Tage, an denen sie – für ihre Verhältnisse – aus der Haut fuhr, waren für mich wie ›Wasser auf die Mühlen‹.

»Also, ich finde ›Schnittchen‹ auch super«, trug ich deshalb großmütig zum Gespräch bei und angelte mir ein Partytomätchen. Im selben Moment betrat Erik die Küche durch die Hintertür.

Anke drehte sich zu mir um und schlug sich die Hand auf´s Herz.

»Schnittchen?!«, hauchte sie angewidert.

Ich nickte glucksend und stibitzte mir noch eine Scheibe Schwarzwälder Schinken.

»Du wirst das sofort bleiben lassen. Das ist für die Canapés!«, erboste sich die Queen umgehend.

Erik, der ebenfalls interessiert die Auswahl an essbaren Köstlichkeiten beäugt hatte und gerade zugreifen wollte, zog schnell die Hand zurück.

Susi, die meinen Arm auf Wanderschaft beobachtet hatte, rückte näher an die Theke.

Maria ließ das Messer fallen und schob den Hund unwirsch zur Seite.

»Ich kann so nicht arbeiten!«, rief sie aufgebracht. »Wenn das bis heute Abend etwas werden soll, dann verlasst ihr jetzt die Küche. Alle! Raus!«

Erik und ich blickten betreten drein. Die Queen hingegen wollte zum Gegenschlag ansetzen, überlegte es sich dann überraschenderweise anders. Vielleicht ahnte sie, dass es heute ausnahmsweise besser wäre, der Forderung kommentarlos Folge zu leisten.

Zu viert schlichen wir aus der Küche.

»Schnittchen!«, murmelte Anke und schüttelte den Kopf.

»Hä?«, meinte Erik.

»Häppchen«, konnte ich mir nicht verkneifen und schob ihn einen Schritt schneller voran.

Die Queen seufzte. Meine Hand lag schon am Türgriff des Blum´schen Haupteingangs, als sie erklärte: »Von mir aus könnt ihr später was von den Resten haben.«

Bis ich mich umsah, war sie bereits im Salon verschwunden. Wie gnädig! Was waren Erik und ich? Streunende Hunde?

 

Den Nachmittag verbrachte ich damit, einen Artikel für die Zeitung zu verfassen. Wenn man ein Bildchen samt Fünfzeiler denn so nennen konnte. Es ging um die Jahreshauptversammlung des Alt-Bayreuther Trachtenvereins, in deren Anschluss noch Mitglieder geehrt wurden. Sie trugen hübsche Trachten, wem es gefiel. Mir taten sie aber bei dieser Hitze fast ein wenig leid. Da bevorzugte ich Top und kurze Shorts.

Der Raum, in dem die Chose stattfand, war dunkel – weil die Jalousien heruntergezogen worden waren, um vor der Sonneneinstrahlung zu schützen –, jedoch trotzdem aufgeheizt und extrem stickig. Das Verkünden von Zahlen, Fakten und künftigen Vorhaben, wie es bei Jahresberichten so üblich war, dauerte schier endlos. Bis ich dann mein Foto der Ehrenträger knipsen konnte, fühlte ich mich wie eine aufgeweichte Brezel. Doch das war nichts gegen die Preisträger. Die Tracht klebte an ihnen und wirkte ziemlich zerknautscht, aber sie lächelten brav bemüht in die Kamera.

Dehydriert fiel ich daheim auf mein Sofa. Mein Kater Max, der es in den Sommermonaten vorzog, in der Kühle der Nacht auf Streife zu gehen, blinzelte nur müde. Wenigstens war es in meinem Baumhaus relativ angenehm. Die alte Eiche, der meine kleine Wohnung ihren Namen verdankte, fungierte wie ein natürlicher Sonnenschirm. Ich trank eine Flasche Wasser fast in einem Zug leer und duselte ein.

Als das Telefon schrillte, schreckte ich hoch. Es war kurz vor sieben Uhr abends. Ich hatte fast zwei Stunden geschlafen. Das verblüffte mich umso mehr, weil Lars hatte vorbeikommen wollen, um mich für einen Biergartenbesuch abzuholen. Aber vielleicht wurde er bei der Arbeit aufgehalten …

Ich suchte nach dem Mobilteil, das nicht aufhörte zu klingeln. Es war Nina.

»Ka-tii«, plärrte sie in den Hörer, kaum dass ich das Gespräch angenommen hatte, und ich war sofort hellwach. So wie sie sich anhörte, musste etwas passiert sein!

 

***

 

Nina war verhaftet worden! Von Lars! Weil sie ihre Chefin Christine ermordet haben sollte? Da war ich platt! Was für ein Unsinn war das denn? Völlig baff starrte ich auf den Hörer in meiner Hand. Aber das Gespräch war beendet worden, bevor ich weiter nachfragen konnte.

Meine Freundin würde niemals jemandem etwas zuleide tun! Sie brach Männerherzen, und das nicht selten. Aber ein Mord? Mit einer Haarschere? Schon allein deshalb war es ausgeschlossen, dass Nina die Täterin war. Sie hielt ihre Arbeitsutensilien peinlich genau sauber. Blut. Würde das nicht Rostflecken hinterlassen? Nina würde Zustände bekommen! Und Lars war also dafür verantwortlich, dass meine beste Freundin nun im Kittchen saß. Ich konnte es nicht fassen!

Und dass er den ›Trottel‹ auch noch gehört haben musste, machte die Sache nicht gerade besser. Dabei war die Bezeichnung noch untertrieben. Er kannte Nina seit geraumer Zeit. Selbstverständlich nicht so gut wie ich, aber doch insoweit, dass er es besser wissen sollte. Depp, Schwachkopf, Vollidiot fiel mir da gleich noch ein. Na warte, der konnte schon mal die Ohren anlegen, wenn ich ihn zu Gesicht bekam. Doch vorerst blieb mir nichts anderes übrig, als seinen Ratschlag anzunehmen und Nina einen Anwalt zu besorgen. Nur woher nehmen?

Fahrig grapschte ich nach dem Handy und meiner Umhängetasche, dann rannte ich zur Villa. Als ich die Treppenstufen zur Eingangstür erreichte, war ich außer Puste. Doch das war zweitrangig. Ich klingelte Sturm.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich endlich jemand anschickte mir zu öffnen. Es war Erik, geschniegelt und gebügelt. Er steckte in einem blendendweißen Hemd und eleganter schwarzer Stoffhose. Das blonde Haar hatte er ordentlich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und um den Kragen trug er eine schwarze Fliege! Sein maskuliner Körperbau im Kontrast zu den Klamotten ließ mir den Unterkiefer herunterklappen. Er sah aus wie einem Erotikfilm entsprungen.

»Kati! Warum so eilig? Bist du auch eingeladen?«, fragte er mich freundlich lächelnd.

»Ähm … Ja … Na ja … Was?«, stammelte ich, und in meinem Kopf herrschte plötzlich gähnende Leere. Das war nichts Neues. Früher war mir das andauernd passiert, wenn ich ihm begegnet war. Aber seitdem ich mit Lars zusammen war, hatte sich dieses lästige Phänomen gelegt. Doch dieser Anblick, auf den ich absolut nicht vorbereitet gewesen war, ließ mich ganz offenbar in alte Gewohnheiten zurückfallen.

Automatisch fragte ich mich, wann Eriks Verwandlung stattgefunden und wie lange ich geschlafen hatte. Denn ein bisschen fühlte ich mich wie Dornröschen, die, nachdem sie aufgewacht war, feststellen musste, dass sich das Leben verändert hatte. Oder schlief ich immer noch, und alles war nur ein Traum? Im Hinblick auf Nina wäre es jedenfalls das Beste, was ihr hätte passieren können.

Erik legte seine Hand auf meinen Arm und zog mich herein. Ich träumte nicht. Sein Griff fühlte sich äußerst real an. Ich fand meine Sprache wieder.

»Wie siehst du denn aus?«

Der Hüne schaute an sich herab. »Peinlich, oder?«

»Das …«, ich ließ meinen Blick an ihm hinabgleiten, »… kann man so nicht sagen. Kommt auf die Perspektive an.«

»Ehrlich? Na, ich weiß nicht.«

»Hm. Und warum läufst du so herum?«