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Andrea Müller

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Beschreibung

Nach zehn Jahren Ehe, jenseits der 40, ist es vorbei: kein Mann mehr, kein trautes Heim, stattdessen eine neu erlangte Freiheit. Mit viel Humor und Selbstironie erzählt Andrea Müller, wie sie sich ins Singleleben stürzt und dabei versehentlich in einer Sex-WG aufwacht, bei einem Date in einem Stripclub landet und sich in einen Fußfetischisten verliebt. Sie begegnet neuen Lieben und gebrochenen Herzen und erlebt die ganz normalen Katastrophen im Leben einer Singlemutter, die oft klamm ist und regelmäßig peinliche Fragen ihrer Kinder beantworten muss.

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Seitenzahl: 269

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Andrea Müller

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Du kannst dich jetzt ausziehen, wir rauchen hier nackt

Über den Wahnsinn der Liebe in der Mitte des Lebens

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2020

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: shutterstock/AnaSla, Demonova

Satz: Digital Design, Eka Rost

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-7474-0142-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-501-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-502-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Für John und Henry

INHALT

PrologDer Mann im Baum

Kapitel 1Elf Regeln für die Zeit als Frischgetrennte

Kapitel 2Sex an der Elbchaussee

Kapitel 3Garfield, Lena Lehmann und ich

Kapitel 4Cowboys auf Elektrorollern

Kapitel 5Die kleine Liebe

Kapitel 6»Jetzt such dir halt endlich einen neuen Mann!«

Kapitel 7Bin ich eine Bergwühlmaus?

Kapitel 8»Du kannst dich jetzt ausziehen, wir rauchen hier nackt …«

Kapitel 9Wenn die Masken fallen

Kapitel 10Chanson d'Amour

Über die Autorin

PROLOGDER MANN IM BAUM

Wie ich mich in einen Gärtner verliebe und wie meine Kinder versuchen, mir die Tour zu vermasseln.

In dem Moment, als ich ihn im Rückspiegel durch die regenverschmierte Heckscheibe auf dem frisch eingesäten Acker stehen sehe, weiß ich: Wir werden Sex haben. Herbstregen fällt wie aus Eimern vom Hamburger Himmel; wir sitzen im Auto vor meiner Haustür. Die Kinder hinten, ich vorne. Er schaut in meine Richtung, hebt die Hand zum Gruß.

Mit Schwung steckt er die Schaufel in den feuchten Boden, streift im Gehen seine Handschuhe ab, kommt in Zeitlupe auf meinen Wagen zu. Es ist sein letzter Tag auf der Baustelle gegenüber. Ich bin rechtzeitig zurück, um mich zu verabschieden. Fünf Minuten später, und er wäre weg gewesen.

Hat er auf mich gewartet? Trotz des Regens? Ich komme immer um kurz nach 16 Uhr, wenn ich die Kinder aus Schule und Kindergarten abgeholt habe. Die Jungs schießen jedes Mal wie Pfeile aus dem Auto, während der Gärtner von gegenüber seine Sachen packt und mir stets zum Abschied winkt.

»Kennst du den etwa?«, fragte mein Sohn Caspar einmal.

»Ja, wir trinken morgens manchmal Kaffee«, sagte ich.

Seit acht Wochen geht das so, zwischen Balkon und Baustelle, Baum und Küchenfenster. So haben wir uns kennengelernt, der Gärtner und ich. Er mit Laubsäge in der Hand, ich im Morgenrock, mit Kaffeebecher am Küchenfenster. Er winkte stets lächelnd zu mir herüber, wenn ich länger als nötig am Fenster stand und ihm zusah, wie er im Baum hing und Äste absägte. Heute werde ich ihm meine Handynummer geben. Mein Herz rast, ich atme durch. Was kann schon groß passieren? Außer dass er sich geschmeichelt fühlt und doch nicht anruft. Auslachen wird er mich schon nicht. Ich bitte meinen Sohn Caspar, neun, mir ein Blatt Papier aus einem Schulblock zu reißen, um meine Handynummer draufzuschreiben.

»Kein Blatt mehr frei, sorry, Mama!«

Wow, das nenn ich Sabotage, mein Sohn will mir die Tour vermasseln. Er fühlt sich als Chef im Haus, seit Papa weg ist. Für ihn herrscht dort unverändert das Patriarchat. Nach ihm kommt lange nichts; sein Bruder Ben, vier, ist Vizechef, und seit sie wissen, dass die Schildkröte ein Junge ist, belegt sie den dritten Platz in dieser Machtstruktur. In Ermangelung eines Zettels kritzele ich meine Nummer auf die Innenseite eines Kaugummipapiers, welches sich zwischen anderen Papierchen unter dem Beifahrersitz anfindet. Und falte es in die ursprüngliche Form des Kaugummis zurück.

Auf der Autorückbank schlingt Caspar indes schlagartig Arme über Kopf und Augen und duckt sich, als würde im näheren Umfeld demnächst eine Handgranate explodieren.

»Warum gehst du in Deckung?«, will ich wissen.

»Also, Mama, ich will jetzt echt nicht miterleben, wie der nicht deine Nummer will!«

Ich atme ein. Und wieder aus. Was denkt sich mein Sohn? Who the fuck ist in seinen Augen Mama? Ein teilweise mit Gammelfleisch versetztes Küchengerät, das ungefragt die eigene Mobilfunknummer an Typen verteilt, die bisweilen in 15 Meter hohen Bäumen hängen? In Caspars Augen ist das so weit oben, wie ein Mann eben oben sein kann. 15 Meter Höhe, für ihn ist das gleich Chefetage und eh weit über Mama, die lieber auf einer Fisch-sucht-Fahrrad-Party mit Resthaar-Material ihres Alters Foxtrott tanzen sollte. Vorausgesetzt, er wüsste, was das ist. Andererseits: Spricht es nicht auch für tief empfundene Loyalität mir gegenüber, dass mein Neunjähriger meine Blamage, »falls der Gärtner nicht meine Nummer will!«, stellvertretend für mich mitempfindet?

Während der Mann von der Baustelle sich langsam nähert, berät sich mein Backoffice auf respektive unter dem Autorücksitz, so als wäre ich gar nicht da, über die Konsequenzen: Was, wenn der jetzt doch Mamas Nummer will?

»Der ist viel zu cool für Mama!«, sagt Caspar.

»Wieso, aber falls er besser Fußball spielt …«, meint Ben.

»Besser als WER, Ben? Hast du je einen Freund von Mama gesehen, der Fußball spielt?«, fragt Caspi.

»Aber vielleicht hat er wenigstens ein iPad?«, ergänzt Ben.

Der Mann vom Baum klopft mit dem Fingerknöchel an die Fahrerscheibe. Er hat die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen, seine Augen leuchten helltürkis in seinem gebräunten Gesicht.

Es regnet. Es ist peinlich.

Ich steige aus. Auch weil ich es unhöflich finde, ihn da allein im Regen stehen zu lassen. »Bleib doch im Auto sitzen bei dem Regen, ich setze mich auf den Beifahrersitz, dann können wir uns in Ruhe verabschieden«, sagt der Mann mit den türkisfarbenen Augen. Abschied! Mir wird schlecht bei der Vorstellung.

»Nee, lass mal. Die Kinder sind im Auto«, sage ich und denke an den armen Caspar, eingequetscht hinter dem Beifahrersitz.

»Die Kinder? Ich sehe nur einen, aber der ist ja noch klein …?«

In der Sekunde streckt Ben seinen Kopf durch die offene Fahrertür. »Mein Bruder versteckt sich, weil er sich schämt!« Und weiter: »Ich bin nicht klein. Und Mama ist viel älter als du. Und wir wissen, dass kein Kaugummi da drin ist, sondern Mamas Telefonnummer!«

Schmerzliche Worte der Wahrheit gehören zu den Spezialgebieten meiner Kinder. Seit sie reden können. Sie haben ein Gefühl dafür, wo’s wehtut. »Haben sie von mir«, sagt Sebastian, ihr Vater. So wie alles Schlechte. Bevor alles noch schlimmer wird, überreiche ich dem Mann vom Baum hastig das Fake-Kaugummi mit meiner Handynummer drin. »Vielleicht können wir mal in Ruhe ein Bier trinken.«

Um die Szene nicht unnötig in die Länge zu ziehen – mit Caspar unterm Sitz, Ben, dem Tonband ohne Stopptaste, im Nacken und dem Gärtner und mich im Regen –, lüge ich.

Ich müsse sofort los (gelogen), mein Metzger schließe (auch gelogen) und ich bekäme später noch Gäste (auch gelogen). Na ja, manchmal bekomme ich ja tatsächlich spontan und völlig unverhofft Gäste. Also, was man so Gäste nennt. Frisch getrennte, zum Teil nur noch flüssig ernährte Frauen mittleren Alters, deren Vermehrung in Hamburg einem losgetretenen Schneeball gleicht, der langsam zur Lawine wird. Einer Epidemie, die sich langsam ausbreitet. Wir essen wenig und therapieren uns in erster Linie selbst. Manche von ihnen beten ab einem bestimmten Promillepegel in Endlosschleife dieselben Textpassagen runter, so lange, bis ich auf dem Sofa einschlafe. Meine Gäste sitzen dann immer noch da. Also keine Gäste in dem Sinne, für die ich zum Metzger hätte gehen müssen. Sondern höchstens in die Weinhandlung oder die Schnapsabteilung bei Aldi.

Eine Notlüge ist eine Lüge, die meine Not verkürzt. Ich steige zurück ins Auto, klatsche die Fahrertür zu und lege den Rückwärtsgang ein. Nichts wie weg hier, egal, wohin. Der Mann von der Baustelle sieht hilflos aus. Er winkt am Straßenrand, während ich in Richtung Ottensen links auf die Elbchaussee abbiege. Ich kann noch sehen, wie er sein Handy aus der Hosentasche fischt, das Papierchen entfaltet und meine Nummer eingibt.

»Wofür braucht der denn jetzt genau deine Nummer, Mama?«, fragt Ben.

»Hecke schneiden!«, sage ich.

»Welche Hecke denn, Mama?«

Man muss Vierjährigen auch nicht alles beantworten als Mutter.

»Wir haben keine Hecke, du Noop!«, sagt Caspar.

»Kannst wieder hochkommen, Caspi, er ist weg.«

Die Arbeit des Gärtners hatte er wochenlang mit sehnsüchtigem Kleinjungsblick verfolgt. Wie er im Bagger saß, den Acker umgrub, die Hecke beschnitt, Zaunpfähle mit dem Hammer in die Erde klopfte. Bisweilen standen er und sein Bruder mit Kumpels am Küchenfenster, wenn der Gärtner wie ein Orang-

Utan in der Baumkrone hing, Äste absägte und manchmal sein T-Shirt auszog. Im Spätsommer habe ich ihn zum ersten Mal angesprochen. Ich ihn. Nicht er mich. Ob er mir helfen könne, meinen alten Teppich vom Wohnzimmer in meinen Kofferraum zu tragen. Der Teppich müsse dringend zum Recyclinghof.

Ich siezte ihn, um mir zu beweisen, dass ich die nötige Distanz bewahre. Warum einen Freund anrufen, wenn direkt vor meiner Haustür ein Garten- und Landschaftsbauer steht, dessen Muskeln in der Sonne glänzen?

»Klar helf ich dir«, sagte er, rollte den schwerfälligen Teppich zusammen wie ein Seidendeckchen, verstaute ihn geschickt in meinem kleinen Kofferraum und drückte behutsam den Kofferraumdeckel zu. »Ich bin übrigens Adrian«, sagte er höflich und hielt mir die Hand hin. »Schaffst du den Rest alleine?« Er duzte mich. Welchen Rest?

Meinte er damit: Gibt es etwas, was du alleine kannst, nachdem du mich mit diesem blöden Frauending angequatscht hast? Als wärst du ein schwaches, hilfloses Mädchen? Das in Wirklichkeit eine sexuell frustrierte Mutter von der Elbchaussee ist, die diesen Vorwand benutzt, um anzubandeln? Die von Sex auf dem Bagger träumt, während ich Teppiche in ihr Auto trage? Oder denkt er das gar nicht? Sondern denke ich nur, dass er das denkt, weil ich Angst habe, dass jede Frau mit ihm ins Bett will, die ihn einmal im Baum hängen sah? 1,90 Meter groß, schwarzes, dichtes Haar, Grübchen in den Wangen …

Nach der Sache mit dem Teppich habe ich aufgehört, in den Baum zu glotzen. Das gehörte sich dann nicht mehr. Ich gebe Gas, stelle das Radio laut und überlege, was ich Sinnloses einkaufen könnte. Wäre der Vater meiner Kinder noch da, würde ich jetzt über das Abendessen nachdenken. Safranhühnchen mit Zitronen-Couscous oder Kürbiscremesuppe mit Croûtons und Koriander. Irgendwas Vernünftiges eben. Aber so? »Seit Papa weg ist«, fehlt mir oft die Muße für selbst gekochtes, gesundes Abendessen. Zumindest war es am Anfang so.

Als ich Ben am nächsten Tag aus der Kita hole, berichtet er seinem Kumpel Linus: »Seit Papa weg ist, gibt es abends immer Chicken Nuggets oder Pizza!«

»Dann ist bei euch ja jeder Tag Kindergeburtstag!«, kreischt Linus und fragt, ob er bei uns abendessen darf. Klar darf er. Ich nehme immer gerne Kinder anderer Leute mit. »Nimm nicht immer die Kinder von allen Leuten mit«, sagt Kathi immer. »Die potenzieren nur dein Chaos. Räum lieber mal auf. Dann fühlst du dich auch wohler …« Plötzlich steht Josefin, Bens Erzieherin, neben uns, ich rücke schnell mein Image als Fastfood-Mutter wieder gerade: »Na ja, nicht jeden Tag, oder Ben? Oft schneide ich rohes Gemüse dazu oder heute habe ich zum Beispiel Buttermilch gekauft …« Der Rest des ohnehin sinnlosen Satzes geht unter, als sich die Mutter von Nikodemus-Maximilian von schräg hinten in unsere Gruppe drängelt. Sie will klären, wer ihren Sohn gebissen hat. Und zwar sofort. Er hat eine heftige, blau-gelbliche Bisswunde am Oberarm, die könne sich entzünden und zu einer Sepsis führen. »Mein Mann ist nämlich Chirurg!«, sagt sie. Aha. Im Übrigen habe sie nicht den Eindruck, das Leben sei ein Kindergeburtstag, »seit Papa weg ist«, zischt sie im Gehen, mit Seitenblick auf Ben. Wow. Was veranlasst Felicitas Wassmann, die ich nur vom Sehen kenne, zu solchen Formulierungen? Sie lässt uns stehen, um weiter nach dem bissigen Angreifer ihres Kindes zu fahnden. Sie erreicht ein anderes, betroffen dreinschauendes Müttergrüppchen, eine dreht kopfschüttelnd die Augen nach oben.

»Nehmen Sie es nicht persönlich«, sagt Josefin, »bei Wassmanns ist auch gerade ›der Papa weg‹.« Das sei noch nicht offiziell bei den »Koalabären«, wie Bens Gruppe liebevoll hieß. Doch ich solle mir keine Sorgen machen. Hinter dem Beißangriff stehe keinesfalls Ben. Seit »sein Papa weg ist«, leide Nikodemus-Maximilian an unberechenbaren Wutanfällen. Oh Gott. Ob das bei allen Kindern so sei, »wo Papa weg ist«, frage ich die Erzieherin. Nein. Sagt Josefin. Nur bei denen, wo die Mütter entsprechend am Rad drehen, dauernd heulen und komplett ihre innere Mitte verloren haben. »Vielleicht weil sie Angst hat, dass sie ihren Whirlpool nach der Scheidung verliert?«, frage ich. Drehe ich denn oft am Rad? Wo ist meine innere Mitte? Heule ich oft? Jedenfalls nicht so oft wie vor der Trennung. Vieles zelebriere ich ganz bewusst, »seit Papa weg ist«, bevor die Kinder auf die Idee kommen, traurig zu werden. Zum Beispiel unsere The-Voice-Kids-Partys. Dann singen wir Playback in Löffelmikros und tanzen, die Jungs trinken Zuckerscheiß und krümeln ihre Pizza auf den Wohnzimmerteppich. Und auch Mama bekommt ’n Drink.

Oft kommt dann später noch Besuch aus dem Club der Frischgetrennten, teils mit, teils ohne Kinder. Frauen aus der Nachbarschaft, die ihr Leben als Glucken in Barbour-Jacken mehr oder weniger freiwillig an den Nagel gehängt haben. Sie alle sind irgendwo zwischen total fertig und in feierlicher Aufbruchstimmung. Jede von ihnen ist irgendwie aus der Spur geworfen. Einige sind immer noch unter Schock und in ständiger Entrüstung darüber, dass das Unmögliche auch bei ihnen eingetroffen ist. Wie eine tödliche Krankheit. Einige sind in dem

Glauben, es müsse ein sofortiger Ersatz-Papa gefunden werden. Doch im Damenclub der Frischgetrennten von der Elbchaussee setzt langsam die Erkenntnis ein, dass im Scheitern einer Ehe auch immer eine neue Chance liegt. Alle hier leiden, heulen, spucken Feuer, Gift und Galle, schwören Rache, lachen, feiern, verlangen nach Libertinage und lassen es krachen. Nur eines kommt nicht vor: Langeweile.

KAPITEL 1ELF REGELN FÜR DIE ZEIT ALS FRISCHGETRENNTE

Wie das überhaupt weitergehen soll, nachdem ich meine Ehe über Bord geworfen habe.

Ich bin raus. Nach knapp zehn Jahren Ehe, selbst gewählt. Im freien Fall? Oder einfach nur frei? Manchmal ist es ein zugefrorener See im Nebel, weit und breit kein Nest mehr, keine feste Wand, die mich umgibt und hält. Ich denke an Janis Joplins Worte, diesen Songtitel mit »Freedom« in der Headline: Findet sie es eigentlich arm, dass Freiheit nur bedeutet, dass man nichts zu verlieren hat? Oder erstrebenswert? Ich bin allein. Kein Ehemann mehr, der zum Kellner sagt: »Meine Frau isst keinen Fisch, bitte bringen Sie ihr ein schönes Stück Filet.« »Meine Frau.« Das war ja ich. Ein durch Possessivpronomen markiertes Eigentum. Es ist ja auch das Wesen einer Ehe, was viele romantisch finden oder mit Stolz erfüllt. Ich habe die

Phrase »mein Mann« in zehn Jahren Ehe nicht einmal benutzt. Ich habe immer seinen Vornamen oder seinen Beruf genannt, um ihn in einer Runde vorzustellen, manchmal sagte ich auch: »Das ist der Vater meiner Kinder.« Ich wollte nie jemandes Frau sein. Auch nicht die Frau meines Mannes. Ich habe ihn kein einziges Mal »mein Mann« genannt. Aber das hatte nichts mit ihm zu tun. Denn vorzeigbar war er durchaus.

Die erste Zeit nach der Trennung ist emotional. Ein Zustand zwischen Angst vor der Zukunft und Zweifeln, ob das alles so richtig war. Und voller Gefühle. Schließlich sollte meine Ehe doch eigentlich für immer sein. Gibt es ein neues »für immer« nach der Ehe? Als Patchworkfamilie? Oder bieten sich, nachdem das klassische Familienmodell – und die damit einhergehenden Rollenbilder – gesprengt wurde, ganz neue Möglichkeiten? Was suchen wir jetzt, nachdem wir festgestellt haben, dass die »Männer unserer Träume« nicht das sind, was wir uns als kleine Mädchen erhofften? Um die erste Zeit durchzustehen, mache ich mir selbst ein paar Regeln, die ich mir anschließend immer wieder mantramäßig durchlese. Sie sind nicht nur für Frauen, sondern für alle Geschlechter gültig, die gerade eine Trennung verschmerzen müssen. Immer wenn es mir Scheiße geht, ich traurig bin oder mir Zweifel kommen, beachte ich meine Regeln.

Regel Nummer 1:

Sei freundlich und heule besser im Auto. Bei Freundinnen in der Küche. Bei anderen Freundinnen auf der Couch. Verteile deine Verzweiflung besser auf mehrere Freunde.

Am Anfang muss ich jedes Mal heulen, wenn Rio Reiser »Junimond« singt, auch wenn es Zufall ist, dass das Ende meiner Ehe im Juni besiegelt wurde. Aber ich heule im Auto, wo ich den Song extra als »Heulsong« abgespeichert habe, mit noch zwei, drei anderen Songs. Am wehsten tut mir der Riss der Familie. Da ächzt und stöhnt das Herz, auch wenn der Verstand immer wieder bestätigt, dass alles falsch war an dieser Ehe. Weh tut es trotzdem. Außer im Auto heule ich natürlich in der Küche meiner besten Freundin. Als ich zum Beispiel von der neuen Flamme des Ex-Mannes erzähle, die fünf Minuten nach seinem Auszug bei ihm eingezogen ist. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit längst da war, als es mich noch gab.

Ich habe drauf geachtet, nicht die Nerven meines gesamten Umfeldes mit Drecklaune zu strapazieren. Denn wer will jemanden um sich haben, der permanent seinen Frust in die Welt hinausschreit? Wie oft ärgere ich mich über Mütter, die morgens über den Schulhof gehen und aussehen, als hätten sie Zitronen gefrühstückt, die sie jede Sekunde auf den Sandplatz kotzen. Selten habe ich so viele nette Menschen kennengelernt wie ausgerechnet in der Phase, als ich frisch getrennt war. Gerade auf dem Schulhof. Man braucht in der ersten Zeit nämlich nicht nur eine Freundin. Es ist besser, seine Verzweiflung auf mehrere zu verteilen. Und es ist total okay, Hilfe anzunehmen.

Ich habe mich auf alte Freunde besonnen! Also nichts gegen neu erworbene Müttergruppen, in denen sich jenseits des Sandkastens alles um Windeln, Impfungen, PEKIP-Gruppen, Abstillen, Mobbing im Kindergarten und Diskussionen über falsch gewählte Ehepartner dreht. Aber: Mit Freunden aus der Zeit, als alle noch Sex hatten und auch noch ständig darüber sprachen, kann man alte Zeiten in neue verwandeln. Da muss man nichts groß erklären, sie verstehen einen auch so.

Regel Nummer 2:

Denk daran, auch wenn die Kurzen manchmal deinen letzten Nerv rauben – du bist gerade als getrennte Mutter nie allein! Und hast immer was zum Liebhaben.

Die Bedeutung »Single« hatte vor der Ehe eine andere Bedeutung als jetzt – als Single Mom, 15 Jahre später im Leben. Doch das neue Singledasein im späteren Leben wird nicht weniger wild und aufregend. Nicht nur, weil die Kinder immer da sind und mich in Situationen bringen, in denen ich mir manchmal wünschte, ich hätte sie nie gemacht. Was natürlich Quatsch ist. Sie schaffen mitsamt Kumpels und Müttern einen lebendigen Rahmen meines Lebens, das neuerdings zur »Dramedy« geworden ist. Denn meistens sind sie ja bei mir. Im Gegenteil ist es eine besondere Zeit für mich, wenn die Kinder beim Vater sind. Kinderfreie Wochenenden sind so ziemlich die beste Erfindung im Leben einer Single Mom. Meine persönliche Dramedy als frisch getrennte Mutter umgibt mich wie eine unsichtbare Wolke, in der ich niemals allein bin. Der Geruch von Babypuder haftet an mir. Auch wenn ich abends an der Bar versuche, sexy auszusehen.

Nach meiner Trennung sind meine Kinder noch klein. Ben ist knapp zwei Jahre alt, als sein Vater auszieht, Caspar ist sechs und gerade eingeschult. Ich kann bei Dates oder einer Neubekanntschaft in Bars also nicht so tun, als existierten sie nicht, so wie meine Freundin Claire das immer tut. Während ich aus Versehen ein vollgekotztes Spucktuch aus der Tasche ziehe, weil ich den Lippenstift suche.

Claire verleugnet ihre Kinder im neu erlangten Singlestatus jedes Mal, wenn sie einen Mann kennenlernt. Sie ist mit 20 Mutter geworden und kann sich mit Mitte 40 auf allen Bartresen dieser Welt räkeln, während Bens Schnuller mir aus jeder Manteltasche fällt, seine Beißringe in meinem Geldbeutel feststecken und ich es kaum erwarten kann, nach Hause zu kommen und den Babysitter abzulösen. Auch der Blick auf mein Telefon verrät mich postwendend als Mutter kleiner Kinder. Wo früher Vor- und Nachnamen erwachsener Menschen eingespeichert waren, stehen heute durchaus zehnmal in einer Reihe Namen von Mutter und Kind: »Christine von Bela … Susanne von Ella … Birte von Leander«. Seit Caspars Geburt sind sie alle adelig. Die dritte Kategorie eingespeicherter Namen sind Spitznamen von Tinder- oder sonstigen Dates, die ich auch gleich hätte löschen können, anstatt sie mit Kosenamen wie »Depp«, »Der Gru« oder »Oger« in meiner Telefonliste zu speichern.

Regel Nummer 3:

Lass seine Freunde seine Freunde bleiben.

Such dir neue Freunde. Besinne dich auf die Mütter, mit denen er nichts zu tun hat. Und auf alte Freunde. Ich habe zum Beispiel keine reichen Freunde mehr, seit Sebastian weg ist. Ich bin raus aus der Gesellschaft, wo beim Pärchendinner diskutiert wird, ob es im »Hennsler« oder bei »Rach & Ritchie« besser schmeckt. Das Budget getrennter Mütter entspricht eher der Fastfoodkette mit dem großen gelben Buchstaben. Aber es gibt echt schlimmere Abendessen als einen BigMac. Vor allem für die Kinder.

Kein Schwein lädt mich mehr in die »Haus-auf-Sylt-Idyllen« ein, wo ich den frisch eingebauten Parkettboden mit den Absätzen meiner Holzclocks ruinieren könnte. Ich verbringe kein Wochenende mehr mit Pouilly Fumé im Glas in Teakholzliegen und sehe den Kindern beim Spielen in den Dünen zu. Samstagabends stehe ich mit all den anderen in die Jahre gekommenen Partygirls von früher auf dem Straßenfest und trinke Bier aus Plastikbechern. Je später der Abend, desto schillernder die Farben meiner Ehe. Zumindest in der ersten Zeit, als ich mir noch nicht sicher bin, ob das alles richtig war, drücke ich irgendwem immer die Storys rein, egal, ob derjenige das hören will oder nicht.

»Ich verstehe gar nicht, was du jetzt genau vermisst? Wer hat mehr Spaß? Die Mutter von damals, in den Dünen? Oder die Frischgetrennte heute Abend?«, sagte auf dem Schanzenstraßenfest einmal ein Mann, dessen Namen ich vergessen hab. Der schon die Worte Sylt und Ex-Mann zum Kotzen fand. Etwas Schlimmeres als Kampen, das Pony und Leysieffer habe er noch nie gesehen. Ob er mich küssen dürfe, damit ich die Klappe halte. Klar durfte er. Zwischendurch nannte er mich Sylt-Bitch. Wie konnte es nur so weit kommen?

Ich, ehemalige Bergdorfbewohnerin, werde nie meinen ersten Besuch auf der Nordseeinsel vergessen, als ich permanent dachte: »Wo soll das denn jetzt schön sein?« Saftlose Gräser, so weit das Auge reicht, viel zu viel Wind und ständig Sand in den Augen, der Himmel überwiegend grau. Und doch denke ich heute voller Melancholie an einen Strandspaziergang von Westerheide nach Kampen im Januar mit Kinderwagen durch den Sand. Wo ich irgendwie an allem schuld war, weil der Sand so feucht, der Wind so stark und der Kinderwagen einfach kaum zu bewegen war, den wir am Ende mit dem Rücken gegen den Sturm durch den Sand ziehen mussten.

Auch diese Pärchendinner, wo ich mich meist fühlte wie ein Lama im Eisbärengehege, werde ich nicht vergessen. Nichts gegen Fusion Food, nichts gegen den Smalltalk von High-Maintenance-Ehefrauen über Ayurveda im rajasthanischen Ashram oder den Duft der Kastanien in St. Tropez im Herbst. Das kann sehr unterhaltsam sein. Nur leider ankert meine Yacht im September so selten an der Côte d’Azur und ich habe keinen Schimmer, wie Kastanien im Herbst in St. Tropez riechen. Und ich glaube auch nicht an die spirituelle Erleuchtung bei Mungbohnen, gebratener Yamswurzel und Hirsemehl.

Vor allem die erste Phase nach der Trennung ist finanziell gesehen basic, gerade wenn der Mann Haupt- bis Alleinverdiener war. Vielen Frauen ging es vor der Hochzeit besser als nach der Scheidung. So wie mir. Ich nenne das einen typischen weiblichen Weg. Wer unvorsichtig mit seinen beruflichen Ambitionen umgeht, weil man Mutter werden will und denkt, der Job habe gerade mal Prio Nummer zwei, macht immer einen Fehler. Außer der Ehemann ist so reich, dass das Einkommen der Frau keine Rolle spielt. Aber wer hat schon so einen Mann? Eben. Jedenfalls: Schlechter als nach der Hochzeit und vor der Scheidung ging es mir auch noch nie. Doch immer, wenn ich mir leidtue, weil wieder kein Kleingeld für neue Schuhe da ist, denke ich einfach daran, was mir seitdem alles erspart bleibt.

Regel Nummer 4:

Denk immer, wenn du traurig bist, daran, was dir alles erspart bleibt.

Zum Beispiel Familienausflüge nach Bendestorf – zwischen Coppenrath-und-Wiese-Torten, Brokat-Gardinen und dem Dirty Talk von Onkel Heinz mit seiner Sekretärin draußen auf der Terrasse. »Jaja, das Büro schon wieder«, stöhnte Tante Elsa jedes Mal, wenn Onkel Heiz zum Telefonieren auf die Terrasse verschwand. Jeder wusste von Onkel Heinz’ Sekretärin, sogar die Kinder. Nur Tante Elsa nicht. Ich hätte durchaus einen Drink vertragen, während Sebastian mit seinen Onkels und Brüdern ein Bier nach dem anderen kippte. Doch wir Frauen standen in der Küche, verteilten den Kuchen auf den Tellern und tranken Kaffee. Wie anno 1950. Drink ging halt nicht. Einer ist immer der Arsch. Einer ist immer der Driver. Und zwar ich. Und zwar IMMER. Das bedeutete jedes Mal eine Dreiviertelstunde Druckbeschallung vom Beifahrersitz, von Bendestorf in der Nordheide bis in die Elbvororte. Eine Dreiviertelstunde, in der ich von Minute zu Minute beschissener fuhr, als ich ohne Beifahrer je fahren würde. Eine Dreiviertelstunde, in der ich eine Million Mal »Fick dich!« dachte und ihm am liebsten über den Elbbrücken einen Tritt verpasst hätte. Auf Nimmerwiedersehen. Aber die Kinder saßen ja hinten. Auf jedem dieser Heimwege schwor ich mir: Morgen ist es vorbei. Das war das allerletzte Mal! Das allerallerallerletzte Mal! Ich brauche keinen Beifahrer!

Regel Nummer 5:

Hadere nicht mit deiner Entscheidung.

Du hast sie nicht umsonst getroffen. War es größenwahnsinnig oder mutig, verrückt oder vernünftig, unverantwortlich oder konsequent? Wäre es falsch gewesen zu bleiben, war es leichtfertig zu gehen? Aus einer Ehe, die immer unglücklicher wurde? Die Stimmung in der ersten Zeit der Trennung schwankt zwischen Trauer über den Verlust der Familie, totaler Euphorie und Zweifel, ob die Entscheidung richtig war, inklusive straucheln, ob man ihn vielleicht doch zurückhaben will: vor allem dann, als er eine Neue hat. Doch die Würfel sind gefallen. Die Entscheidung war schwer, aber richtig. Und vor allem im Nachblick unvermeidlich.

Regel Nummer 6:

Er hat ’ne Neue? Scheiß drauf.

Und das gilt für alle emotionalen, sentimentalen, nah am Wasser gebauten, von der Melancholie des Familienschmerzes gebeutelten Frauen: also alle! Er hat ’ne Neue. Es hat fünf Minuten gedauert und du wurdest ausgetauscht. So ist es. So ist es mit jedem halbwegs vorzeigbaren, gutaussehenden Typen, der einen vernünftigen Beruf hat. Also: Vergiss es einfach! Es hat nichts mit dir zu tun! Die Erste ist meist nur ein Trostpflaster. Und du machst jetzt nicht den Fehler, ihn zurückzuwollen! Weil jemand dein Spielzeug geklaut hat und es doch DIR gehört. Nochmals: NEIN. Vergiss deine Eifersucht. Du willst ihn nicht zurück! Du bist nicht weniger, sondern mehr ohne ihn. Du brauchst das Gefühl »Vater, Mutter, Kinder« nicht, du bist nur noch Mutter und Kinder. Und manchmal Mutter ohne Kinder. Na und?

Ich bin Single, wenn die Kinder am Wochenende beim Vater sind. Ich schiebe es weg, das Gefühl, eine Familie mit Lücke zu sein, wie ein Auto, von dem ein Vorderrad abgefallen ist. Die Vorderräder nebeneinander liefen nicht mehr in dieselbe Richtung. Also bin ich das einzige Vorderrad in dieser Familie, solange die Kinder bei mir sind. Und das ist die meiste Zeit. Dreiräder sind super! Häng dir eine Liste mit all seinen unmöglichen Eigenschaften über den Küchentisch, die dich jeden Morgen auf dem Weg zur Tagesmutter und später zur Kita zum Heulen brachten.

Regel Nummer 7:

Egal, was alle anderen sagen: Alleinerziehende Mütter können sehr wohl das Boot alleine steuern!

Ab jetzt bist du selbst Familienoberhaupt. Du brauchst weder einen »neuen« Vater für deine Kinder, denn sie haben einen Vater. Noch brauchst du einen neuen festen Freund im Leben. Gibt es in Zeiten der gelebten Gendertheorie nicht zig undefinierte Familienformen, die alle Freiheiten der Welt bieten, die erlauben zu lieben, zu leben, zu lachen, zu turteln und zu tindern – mit wem und wie du willst? Oder mancher von uns vielleicht erlauben, auch einfach Single zu bleiben?

Regel Nummer 8:

Genieße die Freiheit, die Männer und die neuen Aspekte, die das Leben dir bietet.

»Freiheit ist das Einzige, das zählt«, sang schon Marius Müller-Westernhagen, auch wenn es nur wenigen Frauen gelingt, ihre frisch erlangte Freiheit entspannt zu verwalten. Sicher, jede Singlemutter kennt das: Manchmal beneiden sie kinderlose Singlefreundinnen. Sie müssen, anders als wir Mütter, nur ein einzelnes, erwachsenes Herz verwalten. Ohne Kinder, die ihnen permanent die Tour vermasseln, die sie auffressen, beanspruchen und ausfüllen, finanziell, emotional und zeitlich. Nein, Gott bewahre, ich bin keine »Regretting-Motherhood-Mutter«, keine, die die Existenz ihrer Kinder je bereut hat. Trotzdem: Liebe bindet. Liebe fesselt. Liebe macht unfrei. Seit ich getrennt bin, fällt es mir schwer, außer meinen Kindern einen Menschen zu dulden, dessen Anwesenheit mir Grenzen auferlegt oder Regeln abverlangt. Immer wieder wundere ich mich über Mütter, die in der zweiten Runde vom Regen in die Traufe gehen, die alles genauso machen wie zuvor, inklusive kochen, putzen, Socken waschen, Betten machen, schminken, Botox, Detox, Low Carb, Peeling, Curling, Waxing, Fett absaugen, Haare färben, Haare eindrehen, Tische bestellen, Urlaube buchen, Hemden bügeln, Kinder zur Schule bringen, mit seinen Kindern verreisen. Gehört das echt alles dazu, zum Frausein? Wie beschissen anstrengend ist das bitte? Wenn Frauen zu einem Bruchteil davon bereit sind, haben sie überhaupt kein Problem, in der zweiten Runde einen neuen Mann zu finden. Egal, ob sie 70 oder 80 Kilo wiegen, egal, ob sie 50, 60 oder 70 Jahre alt sind: Dann sind sie beziehungskompatibel. Aber was ist mit denen, die dazu nicht bereit sind? Die sich nur mit einem »besseren« oder »passenderen« Mann begnügen – oder lieber gar keinen mehr wollen? Viele Frauen wollen gerade in der zweiten Lebenshälfte keine Kompromisse mehr machen und fühlen sich als Single glücklicher und vor allem entspannter. Geschätzt ein Drittel aller Singles sind laut eigener Aussage freiwillig Single.

Regel Nummer 9:

Eine neue Liebe in der zweiten Runde erfordert komplettes Umdenken. Also verschiebe es erstmal auf später.

Liebe in der zweiten Runde ist eine Frage des Gebens und Nehmens, des Ertragens mit evidenter, innerer Balance. Beziehungen sind Kompromisse. Manche von uns haben in der zweiten Lebenshälfte Frieden mit sich selbst gefunden. Aber lässt er uns milder werden in unseren Beurteilungen? Toleranter? Ist es Zeit, unser Beuteschema den neuen Umständen anzupassen? Und klappt das denn überhaupt (und zwar nicht erst nach 180 Therapiestunden)? Welche Kompromisse müssen wir machen? Oder machen wir weiterhin dieselben Fehler – und suchen uns denselben Mann in Grün und machen alles wie bisher, bis wir wieder alles an die Wand fahren? Wollen wir uns unterordnen oder brauchen manche von uns einen, der sich uns unterordnet? Gibt es überhaupt diese Beziehung auf Augenhöhe, nach der wir vermeintlich alle streben?

Viele vergessen auf ihrer angestrengten Jagd nach dem großen Glück auch das kleine Glück zwischendurch. Im Taumeln, zwischen dem Ende der Ehe und dem neuen Anfang. Dabei geht es gerade darum: das kleine Glück. Es ist interessant, dass alle spirituellen Gurus und jeder Wald- und Wiesentherapeut uns den Genuss im Hier und Jetzt predigen – und wir dennoch mit unseren Gedanken stets in unserer alten Ehe oder bei einem neuen potenziellen Lebenspartner hängen.

Regel Nummer 10:

Du hast nichts zu verlieren!

Warum fragen Frauen immer noch als Erstes: »Hat das Zukunft?«, wenn man mit einem neuen Mann um die Ecke kommt, der offensichtlich eine Eintagsfliege ist. Ich meine: Was soll diese Frage? Sorry, Schwestern: 50er-Jahre. Was heißt hier

Zukunft? Will ich mit einem gleich ins Altersheim, nur weil wir gestern gut gevögelt haben? Muss ich ihn deswegen später im Rollstuhl durch die Gegend schieben? Für viele mag die Idee vom gemeinsamen Altern romantisch sein. So bekommen wir es schließlich in jeder Hollywoodschnulze serviert. Falls ich je so alt werde, lebe ich lieber in einer Althippie-WG an der Algarve, wo wir den ganzen Tag kiffen, Yoga machen, wo manche Frauen mit über 60 noch anfangen zu surfen. Und wenn eine nicht mehr kann, helfen ihr die anderen. Ich werde nicht wie die alte Frau im Rollstuhl, deren Mann sie hasst, weil sie nicht mehr schön genug und ein gemeines Biest geworden ist, und der ihren Rollstuhl irgendwann von der Klippe stürzt. Noch ist es nicht so weit. Und ich frage mich immer wieder: Warum sind Frauen so schlecht darin, den freien Blick auf die Männerwelt zu genießen?