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Puzzlesteine des Lebens - Dunkelrot steht für die schmerzhaften Seiten - Gold sind die schönen, die leuchtenden Momente. Erzählungen und Gedichte - spannend, nachdenklich, lustig und auch traurig - die Vielfalt eines Lebens - so wie die Jahreszeiten Nach mehreren Büchern für Kinder und für Erwachsene, nach zwei Anthologien mit den Themen Mütter und Väter, nun die "Puzzlesteine des Lebens" von Claudia Richter www.claudia-richter.com Ihre kurzen Prosatexte und die Gedichte sind wirklich lesenswert, da sie unsere Wirklichkeit sehr genau widerspiegeln und mit Empathie für die beschriebenen Menschen, einer genauen Naturbeobachtung und in einer poetischen Sprache gestaltet sind. Ein Lektor
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Seitenzahl: 97
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Für meine Mutter
Ein Wort zuvor
Zwei Zimmer unter dem Dach
Fastnacht
Großeltern
Das Märchen von Mia
Das Lieblingsspiel
Die Dicken fallen nicht durch die kleinen Löcher
Nudelsuppe
Eine ungewöhnliche Geschichte
Orangensaft und Cappuccino
Fem öre för dina tankar!
Mai 1986
Warmer Sekt und kalte Croissants!
Auf Umwegen nach Sizilien
Havarie am Milford Sound
Eine mühsame Reise
Eine unerwartete Aufmerksamkeit
Die Briefmarke
Die Blume
Fahrt ins Blaue
Erdbeben
Paradoxie der Glocken
Seltsam – der Schatten
Februar 1989
Jahreszeiten
Herbst
Sterben
Wurzeln
Corona
Zauberhafter November
Haiku
Frühling
Sommer
Herbst
Kreativer Spaziergang!
Wie in vielen Büchern gibt es, bevor man zu lesen beginnt, etwas vorweg zu sagen.
Der Titel – Dunkelrot mit Gold – stand fest, schon sehr viele Jahre, bevor klar war, wie er realisiert werden sollte. Er begleitete mich lange.
Die Zeit kam, in der sich regelrecht herauskristallisierte, was aus dem Titel werden könnte: ein Buch mit Erzählungen aus dem Leben, aus vielen Leben. So, wie jede und jeder sie erlebt haben könnte. Die Farbe „Dunkelrot“ steht für den schmerzhaften, schweren Teil, die Farbe „Gold“ für die leichten und fröhlichen Phasen im Leben.
Mit dem Einband war es dann nicht so einfach. Ihn in den Farben zu gleichen Teilen herzustellen wurde dann doch zu kitschig. Und so gleichmäßig ist das Leben ja auch nicht verteilt!
Der Entschluss, ihn zum größten Teil in Rot zu halten, ist rein ästhetisch begründet, Geschmacksache, und heißt nicht etwa, dass das Schwere den Hauptteil des Lebens bestimmt!
Immer gibt es beide Seiten!
So entstanden des Buches Äußerlichkeiten. Der Inhalt, Schönes und Trauriges, Lustiges und Fernweh Erzeugendes, ist abwechslungsreich und zum Teil autobiographisch.
Es war in den fünfziger Jahren. Und als sie einzogen, waren sie zu viert.
Ein hübsches weißes Haus. Ein bisschen am Stadtrand. Zwei Etagen. Sogar ein Garten war da. Den durften sie aber nicht benutzen.
Unten, im Parterre, wohnten die Eigentümer. Drüber waren zwei grauhaarige Damen eingezogen und unter dem Dach fand die junge Familie ihr neues Zuhause.
Der Vater war Wissenschaftler, der viel zu Hause arbeitete. Die Mutter, eine angehende Romanistin, war zu der Zeit aber ganz Mutter und kümmerte sich um die zwei kleinen Töchter. Die älteste war noch keine vier Jahre alt.
Das Zimmer in der Innenstadt war zu klein geworden und man war froh, endlich mehr Platz zu haben. Schließlich gab es nun eine Wohnküche. Außerdem war da ein Flur, von dem aus man die Zimmer erreichte. Das eine wurde zum Schlaf- und Spielzimmer erklärt. Ein Fenster hatte es zum Garten hin.
Ein kleines Badezimmer mit einer Badewanne schloss sich an den Flur an. Das zweite Zimmer ging in Richtung Straße. Dies wurde das Wohnzimmer und gleichzeitig diente es dem Vater als Arbeitszimmer. Dort stand auch der Kohleofen und – zu jeder Weihnachtszeit – der Weihnachtsbaum.
Der war mit Strohsternen, Schokolade und Fondantkringeln geschmückt. Außerdem zierten ihn echte Kerzen. Daneben stand immer ein Eimer mit Wasser.
In jedem Jahr am sechsten Januar wurde der Weihnachtsbaum geplündert. Die Süßigkeiten wurden abgehängt und gerecht auf alle Familienmitglieder verteilt. Mit den Jahren nahm die Zahl der Familienmitglieder zu und die zugeteilten Süßigkeiten wurden immer weniger.
Nachdem der Baum geplündert war, öffnete der Vater das Wohnzimmerfenster weit, die Mutter wurde zum Aufpassen in den Vorgarten geschickt und dann flog der Baum durch das Fenster nach draußen.
Das war immer wieder ein Abenteuer.
Im Bad gab es ein Fensterchen, mehr eine Luke, durch das man hinaus auf die Felder und bis zum nächsten Ort sehen konnte. Eines Tages lärmte die Feuerwehr und alle waren in heller Aufregung. Hinter den Feldern, gerade noch in Sichtweite, brannte eine Scheune lichterloh. Da befand sich die ganze Familie in dem kleinen Raum und beobachtete die Aktivitäten in der Ferne.
In der Nähe war auch ein Spielplatz. Ein schöner Platz unter schattigen Kastanienbäumen.
Dort konnten die Mädchen spielen und toben. Für die Aktivitäten gab es eine Rutschbahn, ein Karussell, einen Sandkasten und manchmal andere Kinder als Spielgefährten. Die drei verbrachten viel Zeit auf dem Spielplatz, denn es kam immer öfter vor, dass in der Dachwohnung seltsame Klopfgeräusche zu hören waren. Anfangs waren sie nicht so recht einzuordnen. Sie ertönten auffällig oft dann, wenn die Kinder am temperamentvollsten spielten, tanzten oder hüpften.
Mit der Zeit wurde klar: Die beiden Damen in der Etage drunter benutzten den Besenstiel, wenn es ihnen da oben zu laut wurde. Sie klopften dann heftig gegen die Decke, um auf sich und ihr Ruhebedürfnis aufmerksam zu machen.
Und da kleine Mädchen nicht dauernd stillsitzen mögen, war der Spielplatz die geeignete Alternative.
Sehr voll war es dort nie. Ein paar Kinder, ein paar Mütter auf den Bänken, ein paar Jugendliche – alle hatten genügend Platz.
Eines Tages erschien ein Mann auf dem Spielplatz. Der war so um die vierzig Jahre alt, hatte schwarzes kurzes Haar und eine auffällig große Nase. Der Mann trug einen weiten schwarzen Mantel und glänzende Schuhe. Er ließ sich auf einer Bank nieder, wie es die Erwachsenen nun mal so tun.
Nichts weiter. Er machte wohl Pause von der Arbeit und suchte ein Schattenplätzchen, um sich zu erholen. Nach einiger Zeit ging er wieder seiner Wege.
Aber am nächsten Tag kam der Mann wieder. Er sah immer gleich aus. Den Müttern wurde er zunehmend unheimlich, denn sie fühlten sich von ihm beobachtet. Er begann, Kontakt zu den Kindern aufzunehmen, sie anzusprechen. All das war ja nicht verwerflich, aber es wuchs ein ungutes Gefühl bei den Spielplatzbenutzern.
Die Sonne schien schön warm. Ein freundlicher Märztag lockte Mutter und Töchter auf ihren angestammten Spielplatz. Das hieß für den Vater, er hatte nun erst einmal Ruhe zum Arbeiten.
Die drei waren auf dem Platz ganz allein und fühlten sich dort wohl.
Dann kam der Mann.
Er betrat das Areal, und schaute sich suchend um. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass niemand sonst in der Nähe war, ging er auf die Mutter zu und blieb nah vor ihr stehen.
Beide Hände steckten in den Manteltaschen. Dann breitete er die Arme aus, öffnete dadurch den Mantel, und stand völlig nackt vor ihr. Er grinste breit und fragte: »Na?« Eine Zeit lang blieb er so stehen. Die junge Frau wurde sehr blass und war wie gelähmt. Da war keine Chance für irgendeine passende Reaktion.
Nachdem er sich wieder bedeckt hatte, verließ der Mann sehr schnell und ohne weiteren Aufenthalt den Platz.
Auch Mutter und Töchter packten sofort ihre Sachen und gingen nach Hause. So bald betraten sie ihren Lieblingsspielplatz nicht wieder.
Judith ist ganz aufgeregt. Morgen findet die große Fastnachtsfeier im Pfarrsaal statt. Die Kinder der Gruppen wollen richtig toll feiern. Tanzen, singen, toben, Quatsch machen, essen und trinken. Judith ist fünf und darf zum ersten Mal mit. Sie verkleidet sich als Kätzchen. Bis das Kostüm fertig ist, ist aber noch viel zu tun. Sie will eine schwarze Strumpfhose tragen, einen schwarzen Pullover, weiße Handschuhe und eine Maske vor den Augen. Der Schnurrbart wird geschminkt. Mit Mama muss sie noch aus schwarzem Tonpapier die Öhrchen basteln, die dann mit einem Gummi um den Kopf befestigt werden.
Karola geht auch mit. Karola ist Judiths Schwester. Sie ist schon sieben und wird morgen eine wunderschöne Prinzessin sein. Das Röckchen ist aus rosa Tüll. Eine weiße Strumpfhose und die rosa Bluse liegen fertig für sie. Das Röckchen hat Mama selbst genäht. Karolas Haare werden heute Abend feucht geflochten, sodass sie morgen wirklich edel, in sanften Wellen über die Schultern wallen. Mama wird ihr eine Perlenkette um die Stirn legen und ihr das Gesicht schminken. Mit Lippenstift und Rouge, bildschön, genauso wie die großen Leute sich zurechtmachen.
Wenn es doch nur schon so weit wäre! Einmal müssen sie noch schlafen.
Die Zeit vergeht manchmal so langsam! Cornelia, die Freundin, will als Clown kommen, und Markus wird morgen eine Schneeflocke sein.
Wie werden sich all die anderen Kinder maskieren? Wie wird wohl die Gruppenleiterin aussehen? Sie hat versprochen, dass es eine Überraschung wird.
Das Radio läuft. Schwungvolle Fastnachtsmusik erfüllt die kleine Wohnung. Draußen ist es kalt und ungemütlich. Drinnen ist es warm und hell. Und endlich ist Schlafenszeit.
Am nächsten Morgen wollen beide Kinder sofort ihre Kostüme anziehen. Draußen ist es trocken, aber der Himmel ist grau. Bis zum Festbeginn, um drei Uhr, dehnt sich nun eine endlos scheinende Geduldsprobe. Musik läuft. Mama schminkt. Wer gerade nicht geschminkt wird, hüpft oder tanzt vor dem Spiegel. Dann ist es endlich so weit. Sie dürfen den Weg zum Festsaal allein gehen. Die Entfernung ist nicht groß, und es liegt nur eine kleine, ruhige Straße zwischen Wohnung und Saal.
Auf dem Gelände toben schon die Räuber, Cowboys und Prinzessinnen durcheinander. Alle sind freudig aufgeregt und können das Fest kaum erwarten. Aber der Saal ist noch verschlossen.
Die Kinder warten. Das tut der Stimmung nicht gut. Sie beginnen zu zanken. Sie wundern sich. Warum müssen sie so lange warten?
Warum kommt niemand, um den Saal aufzuschließen und die Musik einzuschalten? Markus und Sonja klettern an der Mauer hoch, um durch das Fenster zu lauern. Man kann sehen, wie festlich der Saal geschmückt ist. Eva, Annelise und Frau Wagner haben das Fest gestern vorbereitet. Frau Wagner ist die Gruppenleiterin. Und sie ist die Kinderfrau von Eva und Annelise. Alles ist ganz bunt geschmückt mit Luftballons, Luftschlangen und Girlanden. Das wird eine wundervolle Feier werden!
Da endlich – von weitem sehen sie Frau Wagner kommen. Aber sie ist gar nicht verkleidet! Und sie kommt allein. Sie sieht überhaupt nicht fröhlich aus. Die Kinder sind verunsichert. Sie rennen ihr nicht, wie gewohnt, ausgelassen in die Arme. Sie stehen und warten. Was ist los? Wo sind Eva und Annelise?
Plötzlich sieht die ganze Gesellschaft grau und traurig aus.
Frau Wagner begrüßt die Kinder freundlich, aber ernst. Sie geht zum Saal und schließt auf. Aber sie macht keine Musik an.
In diesem Moment wünscht sich auch niemand Musik. Frau Wagner stellt fünfzehn Stühle im Kreis auf und die Kinder setzen sich. Dann beginnt sie zu erzählen. Ganz leise. Es ist auch gar nicht nötig, lauter zu sprechen, es ist sehr still im Saal. Gestern haben sie den Saal geschmückt, Eva, Annelise und sie selbst. Als sie fast fertig waren, geschah ein Unglück. Annelise stand auf der Leiter. Als sie gerade einen Luftballon befestigen wollte, rutschte sie aus und fiel hinunter. Sie fiel sehr unglücklich auf den Kopf. Frau Wagner fuhr mit den Kindern nach Hause und legte Annelise in ihr Bett. Die ganze Nacht saß sie am Bett des Kindes und wachte. Annelise hatte furchtbare Kopfschmerzen.
Gegen drei Uhr am frühen Morgen ist Annelise gestorben.
Im Kopf hatte sie eine Blutung, und die hat sie nicht überlebt.
Annelise war sechs. Dann meint Frau Wagner noch, dass sie jetzt keine Lust mehr zum Feiern habe, und dann ist Stille.
Für eine lange Zeit sagt niemand etwas.
Richtig begreifen können die Kinder nicht so schnell, was passiert ist. Annelise war gestern noch frech und fröhlich, sie wollte sich als Hexe verkleiden.
Heute ist sie nicht mehr da. Wie soll man das verstehen?
Die Erste, die sich bewegt, ist Judith.
Ihr Gesicht ist ganz verschmiert. Eine Mischung aus Karnevalsschminke und leisen Tränen. Sie steht auf und