Düsteres Geheimnis - Susanne Blättler - E-Book

Düsteres Geheimnis E-Book

Susanne Blättler

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Beschreibung

Ein mysteriöser Anruf zwingt Miguel, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen. Bei einer heimlichen Nachforschung, hält er plötzlich Dokumente in den Händen, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt. Luis, sein Onkel droht das Weingut zu verlieren. Für Miguel beginnt ein Kampf gegen die Zeit. Lisa arbeitet auf dem Weingut als Erntehelferin. Sie ist auf einer unfreiwilligen Mission unterwegs und deckt heimlich ein wohl behütendes Geheimnis auf, das Miguels Leben für immer verändern wird. Ihre Suche führt Lisa zum alten Kloster der schwarzen Madonna und kommt dort einem längst verwahrten Geheimnis allmählich auf die Spur. Die Lage zwischen Miguel und seinem Vater Christopher spitzt sich zu. Es kommt zu einem tragischen Unfall und plötzlich schwebt Luis sein Onkel in Lebensgefahr. Verbissen versucht Miguel mit seinen Nachforschungen seinen Vater zur Rechenschaft zu ziehen, aber da schlägt das Schicksal ein weiteres Mal erbarmungslos zu. Plötzlich wird er mit Tatsachen konfrontiert, die er für total unmöglich hält, aber doch gerade zur Realität wurden. Er stattet seinem Vater einen Besuch ab und erklärt ihm öffentlich den Krieg. Was er aber zu dem Zeitpunkt noch nicht weiss, ist, dass sein Vater wenige Tage später zum Gegenschlag ausholen wird. Bei einem Gespräch zwischen Luis und seinem Vater, bewahrheiten sich plötzlich Miguels schlimmste Befürchtungen. Sein ganzes Leben gerät ins Schwanken und total überfordert bricht er mit seinem Onkel. Tief verletzt über den Verrat von Luis, trifft er eine drastische Entscheidung. Erst als Luis im Sterben liegt, fängt seine Abwehrhaltung langsam an zu bröckeln. Wird Miguel es noch rechtzeitig an Luis Krankenbett schaffen um sich mit ihm zu versöhnen? Sich endlich den Herausforderungen stellen und einen versöhnlichen Schritt auf seine Familie zuzugehen? Und hat die Liebe zwischen ihm und Lisa eine Chance? Schaffen es die Beiden, sich aus den Fängen der Vergangenheit zu befreien?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Rechtliches und Copyright

Kapitel 1

Miguel Diego starrte entsetzt auf den Zeitungsartikel in seiner Hand. Weinguterbe brennt mit angehender Nonne durch! «Was?» Er betrachtete das Foto genauer, lachte kurz laut auf und lehnte sich kopfschüttelnd in seinem Bürosessel zurück. Okay, er war sich ja so einiges gewohnt von seinem Bruder, aber das hier, übertraf bei weitem alles. Mit einer Nonne! Herrgott, was kam als nächstes? Eine Priesterin?

Sein Telefon klingelte und er nahm genervt den Hörer ab. «Marianne, was gibt’s? Ich habe doch ausdrücklich gesagt, dass ich nicht gestört werden will.»

«Guten Morgen, Miguel. Ich bin es.» Stille!

Miguel schluckte leer. «Maria?»

«Ja, entschuldige, dass ich dich so überfalle, aber es ging leider nicht anders. Hast du einen Moment Zeit?»

«Ja, klar, für dich immer. Um was geht’s?»

«Das kann ich dir nicht so einfach am Telefon sagen. Kannst du nicht für ein paar Tage nach Hause kommen? Aufs Weingut? Ich brauche unbedingt deine Hilfe, Miguel!»

«Moment, stopp», unterbrach Miguel sie überrumpelt. «Ich soll bitte, was? Nach allem, was passiert ist? Nein. Vergiss es!»

«Miguel, es ist wirklich wichtig. Sonst würde ich dich nicht darum bitten. Es geht um Luis. Um das Weingut, dein Zuhause. Und, ich weiss, wenn es einer schafft, uns da raus zu boxen, dann du!»

Miguel schloss kurz die Augen. Sein Zuhause. Das gab es für ihn schon lange nicht mehr. Aber Luis, das war natürlich wieder ein ganz anderes Kapitel. Sein Onkel zählte zu den wenigen Menschen, für die er wortwörtlich sein Leben geben würde. Das wusste Maria. Und, er fand es einfach nicht fair von ihr, dass sie jetzt ausgerechnet das, gegen ihn verwendete.

«Maria, ich kann nicht! Tut mir leid. Ich kann hier nicht einfach weg! Ich habe Termine, Verhandlungen, das kann ich nicht alles von heute auf morgen abblasen», erwiderte Miguel leise aber bestimmt.

«Bitte, denke noch einmal in aller Ruhe darüber nach, okay?», flehte Maria. «Ich muss jetzt Schluss machen. Pass auf dich auf! Bis bald.»

Es klickte in der Leitung und Miguel knallte frustriert den Telefonhörer auf die Gabel.

Grossartig! Seit über zwanzig Jahre hatte er einen riesigen Bogen um das Weingut seines Vaters gemacht. Genauer gesagt, um ganz Spanien. Und, er hatte sich damals geschworen, nie wieder einen Fuss aufs Weingut zu setzen. Und, jetzt das!

Auch, wenn sich innerlich alles in ihm sträubte, er wusste, was er zu tun hatte. Er musste nach Spanien. Luis brauchte ihn. Und, er würde es sich sonst nie verzeihen, wenn er jetzt seinen Onkel hängen liess.

Er fluchte lautstark, warf den Zeitungsartikel in den Mülleimer und griff nach seinem Handy.

«Was? Nach Spanien?» Philippe Diego schüttelte ungläubig den Kopf. «Hast du sie noch alle? Das ist absoluter Wahnsinn.»

Miguel atmete tief durch. Ja, im Grunde genommen, hatte Philippe völlig recht. Aber das ausgerechnet er sich jetzt so aufspielen musste, gab ihm den Rest.

«Ach? Und, dass hier?» Wütend schmetterte Miguel seinem Bruder den Zeitungsartikel vor die Nase. «Vielleicht der Weltnobelpreis? Machst du eigentlich auch vor irgendetwas halt?», grollte er.

«Herrje, veranstalte doch nicht gleich so ein Drama. Es ist ja nichts weiter passiert», tat Philippe das Ganze ab und zog genüsslich an seinem Zigarillo. «Ausser vielleicht, dass ich grandiosen Sex hatte», fügte er träumerisch hinzu.

«Stopp.» Miguel hob abwehrend die Hände und verzog seinen Mund. «Erspare mir bitte die Einzelheiten, ja?»

«Schon klar, du glaubst mir kein Wort. Aber ich meine es ernst», konterte Philippe bockig. «Ich liebe diese Frau und niemand wird mich davon abhalten sie zu heiraten. Keine Presse. Nichts. Auch du nicht. Ich werde jetzt einfach meinem Herzen folgen!»

«Ach Philippe, das glaubst du doch selber nicht. Du, dem Herzen folgen, wenn ich das nur schon höre», spöttelte Miguel. «Hattest du überhaupt schon einmal eine Beziehung, die länger als zwei Monate gehalten hat?»

«Das ist Vergangenheit. Ich habe mich verändert, Melissa, hat mich verändert», entgegnete Philippe bestimmt. «Ein Leben ohne sie, ist für mich unvorstellbar.»

Miguel lachte laut auf. «Oh, wie herzerwärmend. Ich sehe jetzt schon die Schlagzeilen vor mir, Philippe Diego, der grösste Frauenheld aller Zeiten hat’s eiskalt erwischt!»

«Ach, halt doch die Klappe», unterbrach Philippe ihn gereizt und sprang auf. «Warum macht ihr eigentlich alle so ein Tamtam aus der Geschichte? Ich habe mich verknallt, na und? Das geht doch niemanden etwas an.»

Mit grimmiger Miene schaute er aus dem Fenster.

«Jetzt schau dir diese Idioten an, die haben doch nicht alle Tassen im Schrank. Die belagern das ganze Gebäude. Und, dass nur, weil sie glauben, ich würde ihnen die lukrativste Liebesstory aller Zeiten bieten. Verdammt, mein Liebesleben ist doch keine Weltvermarktung!»

Miguel erhob sich und klopfte ihm auf die Schultern. «Sorry, diese Suppe hast du dir selbst eingebrockt. Hallo? Du bist mit einer Nonne durchgebrannt. Du lieferst der Presse genau den Zündstoff, den sie wollen. Was also, hast du denn erwartet?»

Er warf einen Blick auf seine Uhr und seufzte. «So, ich muss los. Mein Flug geht in zwei Stunden. Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?»

«Ja. Nur, wie komme ich hier raus?»

Miguel legte genervt den Kopf in den Nacken. «Na, wie wohl? Durch die Tür, du Held!»

«Spinnst du? Durch diese Tür da unten? Nie im Leben. Eher lasse ich mich aus dem Fenster abseilen!»

«Tja, dann viel Erfolg», meinte Miguel augenrollend und verliess sein Büro.

Kapitel 2

Knappe acht Stunden später blieb Miguel vor dem grossen, eisernen Eingangstor des Weingutes stehen. Nachdenklich liess er seinen Blick übers Gut schweifen und setzte sich auf den alten Stein, auf dem er als kleiner Junge so gerne verweilt hatte.

Von hier aus hatte man freie Sicht auf die sanft geschwungenen Weinhügeln, die im Abendrot einen fast magischen Glanz annahmen. Auf die Reben, die friedlich im Wind hin und her wehten. Das mächtige Gutshaus, das hoch über alles hinausragte und jetzt im letzten Sonnenlicht erstrahlte.

Über dem ganzen Anwesen lag einen Hauch von Melancholie, die sich jetzt auf ihn übertrug. Ganz tief in seinem Herzen spürte er wieder diesen Stich. Diesen Schmerz. Diesen Groll. Diese Traurigkeit.

Nein, gegen seine Vergangenheit war kein Kraut gewachsen. Dagegen, gab es weder ein Heilrezept noch eine Medizin. Er musste sich wohl oder übel mit ihr arrangieren.

Nachdenklich erhob er sich und ging langsam aufs Haus zu. Schon bald entdeckte er Maria Monte im Garten, die wie eine Wilde den Garten herumstach. Ein zaghaftes Lächeln huschte Miguel über die Lippen.

Temperamentvoll wie eh und je. Obwohl Maria ziemlich klein und von molliger Postur war, strotzte sie nur so vor Energie. Ihr sonniges Gemüt und ihr fröhliches Wesen machten sie aus. Das sie inzwischen weit über sechzig war und ihr Haar silbrig schimmerte, schmälerte ihre Schönheit kein bisschen.

«Ola Maria!»

Sie hob ihren Kopf und hielt abrupt inne. «Miguel?» Maria strich sich mit dem Handrücken über die Augen. «Mein Gott, du bist es wirklich!» Laut schluchzend kam sie auf ihn zu und fiel ihm und den Hals.

Für einen Augenblick hielten sie sich einfach nur fest und die Zeit schien kurz still zu stehen.

«Meine Güte, wo ist bloss die Zeit geblieben?» Maria löste sich von ihm und betrachtete ihn liebevoll. «Erst warst du noch so ein wilder, frecher Knirps und jetzt…!»

«Ist dieser Knirps zwar erwachsen, hat aber nach wie vor ganz viele Flausen im Kopf», beendete Miguel schmunzelnd für sie den Satz. «Es gibt Dinge im Leben, die ändern sich eben nie.»

Sie setzen sich auf die alte Gartenbank vor dem Gartenhäuschen.

«Ja, leider. Dein Vater ist der lebende Beweis dafür», antwortete Maria leise und Miguel versteifte sich augenblicklich.

«In, wie fern?»

«Ach, ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll. Diese Sache ist so verzwickt.» Maria wischte sich eine Träne von der Wange und atmete schwerfällig aus. «Dein Vater hat Miranda das Weingut überschrieben. Als Alleinerbin. Luis wird hier alles verlieren und…!»

«Moment! Er hat was getan?», unterbrach Miguel sie ungläubig. «Das kann er doch gar nicht. Luis und er, sind beide zu gleichen Teilen erbberechtigt. Abgesehen davon, habt Luis und du, euch all die Jahre hier auf dem Weingut abgerackert. Ihr habt es zu dem gemacht, was es heute ist. Ohne euch, gäbe es das doch alles längst nicht mehr. Und, jetzt wagt er es, dieses Flittchen...!» Er verzog angewidert seinen Mund. «Dieses Flittchen, als Alleinerbin zu betiteln? Hallo?»

Aufgebracht wollte er aufspringen, aber Maria hielt ihn am Arm zurück. «Wo willst du hin?»

«Zu meinem Vater.»

Maria schüttelte den Kopf. «Nein, Miguel warte, es...!»

«Nein, verdammt noch mal!», unterbrach er sie ungehalten. «Jetzt ist er definitiv zu weit gegangen. Ich habe all die Jahre alles geschluckt, habe mich aus allem rausgehalten. Genau, wie er es wollte. Aber jetzt reicht’s!»

«Miguel, sei doch vernünftig. Es ist schon ziemlich spät. Und, ausserdem will ich nicht, dass Luis, es so erfahren muss», wisperte Maria.

«Luis, weiss noch nichts davon?» Miguel starrte sie entgeistert an. «Und, wann bitte schön, hast du vor, es ihm zu sagen? Wenn mein Vater ihn vom Weingut wirft?»

«Nein, natürlich nicht.» Maria zog scharf den Atem ein. «Aber was hätte ich Luis, denn sagen sollen? Hey, du fliegst nächstens hochkantig vom Weingut?»

«Immer noch besser, als gar nichts!», stiess Miguel heftig aus.

«Ja, mag sein», stimmte Maria ihm leise zu. «Aber was würde das ändern? Nichts. Luis, wird sich niemals gegen deinen Vater auflehnen. Er wird es, wie immer einfach stillschweigend hinnehmen. Das weisst du.»

Miguel fluchte unbeherrscht und knirschte mit den Zähnen. Aber er musste Maria Recht geben. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Es gab andere Wege und Mittel seinen Vater auszuschalten.

Er atmete tief durch. «Maria, weisst du, wo Luis seine privaten Unterlagen aufbewahrt?»

«Ja, wieso?» Maria wuschelte aufgeregt in ihren Haaren. «Was hast du vor?»

«Ich möchte mir die Erbschaftsdokumente meines Grossvaters durchsehen», antwortete Miguel.

«Was? Wir dürfen doch nicht ohne Luis’ Einverständnis…!»

«Das ist aber vielleicht die einzige Möglichkeit, das Schlimmste noch zu verhindern», unterbrach Miguel sie ernst. «Ich muss mir einen Überblick verschaffen, was für Vereinbarungen da festgehalten wurden. Oder, wir legen alles offen auf den Tisch und weihen Luis ein.»

«Nein», erwiderte Maria hastig. «Ich besorge dir die Unterlagen. Aber bete, dass Luis uns nicht auf die Schliche kommt.»

Miguel drückte ihre Hand. «Das wird er nicht. Dafür werde ich schon sorgen. Apropos, wo steckt Luis eigentlich?»

Ihm entging nicht, dass Maria leicht zusammenzuckte. «Ach, er ist für ein paar Tage nach Barcelona gefahren. Zu einer alten Bekannten.» Sie nuschelte leise etwas und schnitt eine Grimasse.

«Du bist eifersüchtig», stellte Miguel amüsiert fest.

«Ich? Eifersüchtig? Das ich nicht lache. Luis und ich sind, ach, vergiss es und hör auf so dämlich zu grinsen!» Sie drehte sich empört von ihm ab.

Doch Miguel erwies sich, wie immer als sehr hartnäckig und doppelte nach. «Maria, wo genau liegt eigentlich das Problem? Im Grunde genommen, ist es doch ganz einfach. Du willst ihn, er dich, also wo genau klemmt’s? Ihr habt doch beide nichts zu verlieren!»

«Ach Miguel, das ist eine sehr lange, komplizierte Geschichte und die würde dich eh nur langweilen», wiegelte Maria ab und lächelte gezwungen.

Was für eine Lüge. Es würde sein ganzes Leben auf den Kopf stellen. Und, genau das, versuchten Luis und sie schon seit Jahren erbittert zu verhindern.

«Jetzt guck nicht so. Du weisst doch, wie ich diesen Röntgenblick von dir hasse. Also, hör auf und sei ein braver Junge.»

«Du, ich kann noch ganz anders», konterte Miguel süss.

Maria hob abwehrend die Hände hoch und verzog ihren Mund. «Oh ja, ich weiss. Das konntest du schon, als kleiner Junge ausgesprochen gut.»

Einen kurzen Augenblick hingen beide ihren Gedanken nach. Dann streckte sich Miguel gähnend.

«Entschuldige, aber ich muss ins Bett. Es war ein ziemlich krasser Tag heute.»

Er drückte ihr ein Küsschen auf die Wange und ging zur Tür. Auf dem Weg dorthin blieb er zögernd stehen und drehte sich zu ihr um. «Wo hast du mich eigentlich einquartiert? Nein, lass mich raten. Direkt gegenüber deinem Zimmer, stimmt’s?»

Maria lachte leise. «Richtig. So habe ich dich stets im Auge und das schadet nach, wie vor nicht.»

«Wenn du das sagst», murmelte er ergeben und grinste schief. «Da ist wohl jeder Widerstand zwecklos. Gute Nacht, bis morgen.»

Kapitel 3

Am nächsten Morgen erwachte Miguel erst nach neun Uhr. Er streckte sich wohlig und gähnte herzhaft. Wahnsinn! Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal, so lange an einem Stück durchgeschlafen hatte.

Gut gelaunt sprang er aus dem Bett, duschte in Rekordeile, zog sich an und ging hinunter in die Küche. Als er Maria fröhlich vor sich hin pfeifen hörte, öffnete er grinsend die Küchentür.

«Guten Morgen.»

«Guten Morgen, Miguel. Gut geschlafen?», begrüsste ihn Maria. «Komm, setz dich. Ich habe eben frischen Kaffee gemacht.»

Dazu liess er sich kein zweites Mal bitten und fiel plumpsend auf die Bank. «Danke Maria, du bist ein Engel.» Genüsslich schlürfte er einen Schluck aus der dampfenden Tasse. «Sind das Luis’ Unterlagen?» Er deutete auf die leicht verknitterte, schwarze Mappe vor Maria auf dem Tisch.

«Ja. Bitte, beeile dich. Bevor, ich es mir anders überlege. Mir ist nämlich überhaupt nicht wohl bei der Sache.» Mit zittrigen Händen reichte Maria ihm die Mappe. «Viel Glück!»

«Danke.»

Miguel blätterte die Erbschaftsdokumente flüchtig durch und wollte sich bereits schon wieder erleichtert zurücklehnen. Aber da blieb sein Blick an dem Kleingedruckten hängen. Stirnrunzelnd musterte er die drauffolgenden Belege.

«Maria, bist du sicher, dass dies die Originaldokumente sind? Die hier wurden abgeändert!»

«Was?» Maria trocknete hastig die Hände ab und blickte ihm verdutzt über die Schultern. «Aber das wurde doch alles von einem Notar aufgesetzt. Hier, der Stempel…!» Fassungslos brach sie ab. «Du glaubst doch nicht, dass dein Vater das nachträglich aufgesetzt hat? Nachdem dein Grossvater und Luis bereits schon unterschrieben hatten?»

«Doch. Genau, danach sieht’s aus.» Miguel rieb sich seinen Nacken. «So etwas, hätte Grossvater nie im Leben unterschrieben. Also, hat mein Vater das im Nachhinein von Javier aufsetzen lassen. Was für Javier, ja ein Kinderspiel war, als Anwalt der Familie. Und, wenn ich das nicht hand- und stichfest beweisen kann, verliert Luis tatsächlich jegliches Anrecht aufs Weingut. Hier, schau, das Kleingedruckte.»

«Mein Gott!» Entsetzt schloss Maria die Augen. «Er hat also nicht geblufft?»

«Nein.» Miguel schüttelte den Kopf. «Hier steht es schwarz auf weiss, dass Luis seine Anteile freiwillig und mit sofortiger Wirkung an meinen Vater abtritt. Laut diesen Belegen, hat er rechtlich gesehen keinen Anspruch mehr aufs Erbe. Mit anderen Worten, mein Vater kann Luis einfach auf die Strasse setzen und er kann nichts dagegen tun. Was ich aber nicht verstehe, ist, wieso hat Luis so einen Scheiss unterschrieben? Da stimmt doch etwas nicht!»

Für einen Augenblick lang schwiegen beide betroffen.

«Maria, wir müssen Luis einweihen.» Miguel fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. «Er muss wissen, was hier gespielt wird. Und, vor allem muss mir, Luis erklären, weshalb er so einen Mist unterschrieben hat. So etwas tut doch kein Mensch freiwillig. Nie und nimmer! Nicht, wenn er sich so, wie Luis für etwas ins Zeug gelegt hat!»

Maria wandte sich von Miguel ab und schluckte schwer. Sie hatte da so eine leise Ahnung, was Luis dazu getrieben hatte, bei diesem Komplott einzusteigen.

Sie räusperte sich. «Glaubst du, allen Ernstes, Luis wird deinem Vater jemals die Stirn bieten? Vergiss es, Miguel. Eher reichen sich Himmel und Hölle die Hände.»

Miguel nickte zermürbt. Er musste Maria ein weiteres Mal Recht geben. Im Augenblick war es vielleicht wirklich besser, sie behielten das Ganze vorerst für sich. Jedenfalls solange, bis er mit seinen Nachforschungen etwas in den Händen hielt, womit er gegen seinen Vater vorgehen konnte.

«Okay», stimmte Miguel leise zu. «Hey, noch ist hier das letzte Wort nicht gesprochen. Schliesslich bin ich ja hier, um genau das zu verhindern, dass dieser Dreckskerl damit durchkommt. Und, glaube mir, wenn ich ganz Spanien abklappern muss. Irgendetwas finde ich, womit ich ihn packen kann!»

Ein müdes Lächeln huschte über Marias Gesicht.

«Ich danke dem Himmel, dass du hier bist.» Sie legte ihm die Hand auf die Schultern. «Versprich mir einfach, dass du nichts Unüberlegtes tust.»

«Ich? Du kennst mich doch», kickte Miguel augenzwinkernd zurück.

«Eben. So und jetzt muss ich noch kurz runter in die Stadt, soll ich dir etwas mitbringen?»

«Oh ja, gerne», nickte Miguel eifrig. «BIER!» Maria schmunzelte und ging zur Tür. «Okay, bis später.»

Kapitel 4

Miguel blieb stirnrunzelnd stehen. «Wo bitte schön, ist da deine so heissversprochene Überraschung?» Er blickte schmollend um sich. «Ich kann nichts Spektakuläres sehen.»

Maria tätschelte ihm nur mit einem geheimnisvollen Augenzwinkern die Wange und marschierte weiter.

«Maria, komm schon. Spann mich nicht länger auf die Folter», grummelte Miguel. «Irgendetwas hast du doch vor. Ich kenne dich.»

Aber Maria blieb eisern und er folgte ihr trottelnd. Was blieb ihm auch anderes übrig? Ihm war nicht entgangen, dass die Presseheinis längst überall in den Startlöchern lauerten und nur darauf warteten, dass er einen «Fehler» machte. Und, da über sein Auftauchen ja schon fleissig genug spekuliert wurde, wollte er ihnen nicht noch mehr Gesprächsstoff liefern.

Ein paar Minuten später betrat Maria die Diele der kleinen Strand Bar und Miguel musterte sie skeptisch. «Echt jetzt? Das ist alles? Die Bar? Mein Gott, und deswegen veranstaltest du so einen Zirkus?»

Maria schüttelte nur den Kopf und trat zur Seite. Plötzlich knallten Korken, das Licht flackerte auf und jetzt musste Miguel erst einmal leer schlucken.

Wie aus dem Nichts standen plötzlich sein alter Schulfreund Fernando, Marias Nichte Joana, sein Onkel Luis und unzählige Nachbarn vom Weingut da, die er von früher kannte und strahlten um die Wette.

Maria drückte ihm ein Küsschen auf die Wange und meinte mit einem schelmischen Lächeln. «Und, was sagst du jetzt?»

Für einen Moment lang war es mucksmäuschenstill, alle hielten angespannt den Atem an. Als Miguel eine gefühlte halbe Ewigkeit später, endlich anfing grinsend den Kopf zu schütteln, ertönte lauter Beifall.

Und, als Luis seinen Neffen herzlich in die Arme schloss, wischte sich Maria gerührt eine Träne aus den Augenwinkeln. Miguel war hier. Hier, wo er hingehörte. An Luis’ Seite. Und, nur das zählte im Augenblick.

Kurz vor Mitternacht löste sich die ausgelassene Gesellschaft langsam auf. Miguel half Fernando die letzten Stühle in der Bar zu verstauen und streckte sich wohlig. «Und jetzt? Was machen wir?»

«Lust auf einen kleinen Absacker?» Fernando schloss laut kichernd die Bar ab und warf ihm die Autoschlüssel hin. «In der Höhlen Bar spielt heute eine Live Band.»

Laut lachend schlüpfte Miguel hinters Lenkrad. «Höhlen Bar klingt gut. Aber bitte heute keine Weibergeschichten. Nicht, dass es wieder so ausartet, wie damals.»

«Was? Das weisst du noch?»

«Als ob ich das je vergessen könnte. Du hast dich in jener Nacht selbst übertroffen.»

Albernd fuhren sie los.

«Wie oft denn noch?» Miguel warf dem Polizisten einen finsteren Blick zu. «Das hier ist nicht mein Auto, sondern das von meinem Kumpel. Und, nein, ich habe mit dem Einbruch in der Kapelle nichts zu tun!»

Er seufzte genervt. «Hören Sie, ich habe eine lange Nacht hinter mir. Ich brauche dringend etwas in den Magen und ein paar Stunden Schlaf. Ich habe die Geldkasse in der Kapelle nicht aufgebrochen und von welcher Statue, verdammt noch Mal, reden Sie eigentlich? Ich ging da rein, zündete eine Kerze an und ging wieder raus. Das war’s! Und, soviel ich weiss, ist das doch noch lange kein Verbrechen, oder?»

«So, so. Eine Kerze anzünden.» Mit einem arroganten Lächeln beugte sich der Polizist leicht nach vorne. «Für wie blöd, halten Sie mich? Sie sind da reingestürmt, haben sich die Statue geschnappt und wollten sich mit ihrer Komplizin aus dem Staub machen.»

«Komplizin?», unterbrach Miguel ihn wütend. «Von, was zum Teufel, reden Sie da?»

Doch der Polizist ignorierte seinen Einwand und redete einfach weiter. «Und, als Sie Stimmen von draussen hörten, sind Sie durch die Seitentür entwischt. Nur blöd, dass Ihnen der platte Reifen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.»

«Echt jetzt?» Miguel lachte kurz laut auf und schüttelte den Kopf. «Glauben Sie ernsthaft, ein platter Reifen, hätte mich daran gehindert von hier abzuhauen, hätte ich das wirklich vorgehabt? Nein. Ganz sicher nicht, Amigo.»

Von was zum Kuckuck, redete dieser Kerl. Komplizin? Platter Reifen? Hatte der einen auf der Pelle??

Nach mehreren Minuten eisernem Schweigen erschien endlich der andere Bulle und da ging das Prozedere wieder von vorne los. Die Zwei tuschelten leise miteinander und musterten ihn misstrauisch. Plötzlich trat der jüngere Polizist zögernd zur Seite. «Ehm, entschuldigen Sie bitte unser Verhalten, Senior Diego.»

Mit hochrotem Kopf übergab er ihm seine Papiere.

«Das war ein riesiger Irrtum. Tut uns wirklich sehr leid! Aber wir haben etliche Hinweise bekommen und denen mussten wir nachgehen.»

Miguel nickte steif. «Schon gut, Sie machen ja auch nur ihren Job. Kann ich jetzt gehen, ohne dass Sie mir eine Kugel durch den Kopf jagen?»

«Ja, natürlich. Gute Fahrt.»

Miguel hätte ihm am liebsten eine runter gebrettert, zwang sich aber zu einem Lächeln und stieg ein. Er war inzwischen klitschnass, es goss seit Stunden, wie aus Kübeln. Sein Kopf brummte, wie ein Ameisenhaufen und sein Magen, rebellierte lautstark. Aber nein, damit noch nicht genug, hielt man ihn auch noch für einen Schwerverbrecher.

Er wollte gerade Gas geben, da rannte erneut der junge Polizeibeamte mit wild fuchtelnden Armen auf ihn zu. «Senior Diego, würde es Ihnen etwas ausmachen, die Frau da drüben mit aufs Weingut zu nehmen? Sie arbeitet dort als Erntehelferin und hatte vor einer halben Stunde einen kleinen Unfall mit dem Fahrrad.»

Mit hocherhobenen Brauen musterte Miguel die kleine Blondine hinter dem Beamten und hätte beinahe laut aufgelacht. Was? Diese Zuckerbiene? Eine Erntehelferin? Nie und nimmer! «Nein. Natürlich nicht. Sie darf gerne mit mir mitfahren.» Dabei beobachtete er mit spöttischer Miene, wie sie verunsichert ums Auto herumscharwenzelte und sich neben ihm auf den Beifahrersitz gleiten liess.

Der Beamte machte die beiden miteinander bekannt und Miguel lächelte ironisch und streckte ihr herausfordern die Hand entgegen. «Hallo Lisa, freut mich, Sie kennen zu lernen!»

Ihre Wangen röteten sich leicht, als sich ihre Blicke trafen. Zögernd nahm sie seine Hand und lächelte verlegen. «Ich mich auch.»

Miguel wechselte noch ein paar Worte mit dem Beamten, verabschiedete sich und fuhr los.

Lisa hatte sich im Sitz zurückgelehnt und hatte die Augen geschlossen. Das bot ihm die Gelegenheit, sie etwas genauer zu betrachten. Zugegeben, süss war sie. Sie hatte ein zartes, sanftes Gesicht, volle, geschwungene Lippen und feste, pralle Brüste.

Kopfschüttelnd wandte er sich von ihr ab. Er war nicht mehr in der Lage objektiv zu denken. Das passierte ihm zwar nur sehr selten, aber nach so einer Nacht, war es nicht sonderlich überraschend.

Kapitel 5

Miguel streckte seine Beine weit von sich und gähnte. Er hatte die letzten fünf Tage damit verbracht, nach einem Lek in den Akten seines Vaters zu suchen. Irgendetwas, wo er nutzen konnte, um gegen ihn vorzugehen. Leider erfolglos. Es war so ähnlich, wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Jetzt hiess es dranbleiben und durchbeissen. Und, das gehörte beides zu seinen Stärken. Er gab niemals auf.

«Ach, hier steckst du.» Luis setzte sich neben Miguel auf den Holzstapel und reichte ihm schmunzelnd eine Zigarre. «Hierhin hast du dich schon immer als kleiner Junge verzogen, wenn es dir zu bunt wurde.» Luis lachte herzhaft. «Oder, wenn du etwas ausgefressen hattest. Einmal war es Marias demolierter Garten, ein anderes Mal das abgefackelte Hundehäuschen.»

Luis nahm einen Zug von seiner Zigarre. «Und, nicht zu vergessen, unsere legendären Männergespräche.» Er stiess Miguel kichernd in die Seite. «Erinnerst du dich noch? Da ging es ganz schön zur Sache.»

Miguel nickte. «Oh, ja! Vor allem, als du mir versucht hast beizubringen, wie ich Mädchen rumkriege.»

«Ausgerechnet ich.» Luis verdrehte die Augen. «Aber zum Glück hattest du mehr Talent bei diesen Angelegenheiten, als ich. Keine zwei Stunden später habe ich dich mit Florentina, wild knutschend, unten im Weinkeller erwischt.»

Miguel stimmte in Luis’ Lachen ein, aber ganz tief in seinem Herzen spürte er wieder diese tiefe Traurigkeit. Die Erinnerung, an diese unbeschwerte Zeit löste in ihm so viel mehr aus, als ihm lieb war. Seit Jahren versuchte er mit sich und seiner verkorksten Vergangenheit Frieden zu schliessen. Aber gelungen war es ihm bis heute nicht.

«Genau, dass hier hat mir gefehlt», räusperte sich Luis. «Einfach mit dir dazusitzen, in Erinnerungen schwelgen und die Zeit vergessen.»

«Mir auch.» Miguel schluckte schwer. Eigentlich wäre jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, Luis den wahren Grund seiner Heimkehr zu offenbaren. Ihm offen und ehrlich zu sagen, was sich hinter seinem Rücken alles zusammenbraute.

«Luis?»

«MMHH?»

«Wann war mein Vater das letzte Mal hier oben?» Überrascht über den plötzlichen Themenwechsel, drehte sich Luis mit verdutzter Miene zu ihm um.

«Dein Vater? Puuh, das ist Jahre her. Wenn ich ihn zu Gesicht bekomme habe, dann nur im TV. Persönlichen Kontakt haben wir schon seit ewigen Zeiten keinen mehr. Wieso?»

Erneut fühlte Miguel Wut in sich aufsteigen. War ja so was von klar! Währenddessen sich Luis hier abrackerte, spielte sich sein Vater, als grosser Gönner im TV auf. Prahlte grossspurig, was er alles erschaffen hat! Da kam ihm echt die Kotze hoch!

«Luis, warum lässt du dir das eigentlich von meinem Vater gefallen? Seit Jahren schuftest du dich halb zu Tode und er…er…!»

«Ach, Miguel», unterbrach ihn Luis, indem er ihm die Hand aufs Knie legte. «Weisst du, ich habe deinem Grossvater auf dem Sterbebett versprochen, mich um das Weingut zu kümmern nach seinem Tod. Dein Vater hätte es nämlich innert kürzester Zeit in den Ruin getrieben. Er hatte einfach nicht das Flair dazu. Körperliche Arbeit war ihm immer ein Grauen gewesen. Aus diesem Grund habe ich die Verantwortung übernommen und habe mich da voll reingekniet. Habe dafür gesorgt, dass, das Weingut im Sinne deines Grossvaters weitergeführt wurde. Ja, und inzwischen ist es zu meinem Lebenswerk geworden. Das hier ist mein Leben, Junge.»

Und, wieso unterschreibst du, dann einen solchen Schwachsinn, hätte Miguel ihn am liebsten geradeheraus gefragt. Er konnte das einfach nicht nachvollziehen.

«Komm.» Luis klopfte ihm aufs Bein. «Ich möchte dir etwas zeigen.»

Wortlos erhob sich Miguel und folgte seinem Onkel zum kleinen Schuppen hinüber.

«Ist uns jemand gefolgt?», fragte Luis aufgeregt.

«Ehm, nein.» Miguel warf ihm einen belustigenden Blick zu. «Ich glaube nicht, wieso?»

Luis öffnete vorsichtig die alte Schuppentür, blickte kurz über die Schultern und zog Miguel mit sich. «Weil, ich dir etwas zeigen möchte.»

Mit gerunzelter Stirn blickte Miguel seinem Onkel hinter her, wie er hinter der alten Kommode verschwand. Als es laut schepperte, reckte er neugierig das Kinn und wich irritiert zurück. Verblüfft musterte Miguel die Flasche, die Luis ihm entgegenstreckte. «Was soll ich damit?»

«Na, was wohl, du Witzbold, probieren.»

Luis stellte zwei verstaubte Gläser auf den uralten Holztisch und strahlte. «Na los, auf was wartest du?»

Verdutzt füllte Miguel die zwei Gläser und begutachtete noch einmal die handbeschriftete Etikette.

«Moment mal.» Er schüttelte leicht den Kopf, so als könnte er damit seine Gedanken ordnen. «Ist es etwa das, was ich denke?»

Luis zwinkerte vergnügt. «Möglich, ja. Aber das bleibt unter uns, klar?»

Nun erwachte Miguel endlich aus seiner Starre. «Du hast es umgesetzt? Hast endlich deinen eigenen Wein kreiert?» Hastig nahm er einen Schluck, verharrte und schloss genussvoll die Augen. «Himmel, Luis. Das ist ein Prachtexemplar. Warum zum Teufel, bringst du ihn nicht auf den Mark und lässt die ganze Welt wissen, dass du der Hersteller dieses göttlichen Weines bist? Hier im Schuppen vergammelt er doch nur.»

Aber so bescheiden, wie Luis nun einmal war, winkte er nur lächelnd ab. «Komm, übertreib nicht. So gut, ist er nun auch wieder nicht.»

«Machst du Witze? Luis, das ist ein verdammt edler Tropfen! Und, das weisst du. Du hast für so etwas ein Händchen, wie kein anderer», versuchte Miguel seinen Onkel mit seiner Begeisterung mitzureissen.

Luis schluckte nur leer. Miguels Worte berührten ihn zutiefst, waren wie Balsam für seine zerschundene Seele. Das hier eben bedeute ihm gerade so viel mehr, als jeglicher Rum dieser Welt. Das Miguel da war, aus welchem Grund auch immer, erfüllte ihn mit so viel Dankbarkeit.

Er räusperte sich leise. «Wir sollten langsam zurück. Maria sucht uns bestimmt schon. Und, du weisst ja, wie sehr sie es hasst, wenn wir nicht pünktlich zum Essen erscheinen.

«Oh, ja.» Miguel schnitt eine Grimasse und grinste. «Versprichst du mir etwas, Luis? Bitte überdenke das Ganze noch einmal, okay?», fügte er ernst hinzu und nickte auf die halbleere Flasche.

Luis lächelte erschöpft. «Ach Miguel, das ist doch reine Zeitverschwendung.»

«NEIN! Ist es nicht. Was hast du schon zu verlieren?» Irgendwie musste er versuchen seinen Onkel, von dieser Idee zu überzeugen. Dieser Wein war vielleicht das einzige Ass, dass er gegen seinen Vater ausspielen konnte.

«Hartnäckig, wie eh und je. Aber gut, wenn es dir so wichtig ist, ich denke darüber nach. Was aber noch lange nicht heisst, dass ich deinen verrückten Plan in die Tat umsetzte. Claro?», murmelte Luis.

Miguel nickte zufrieden. «Ja, alles sonnenklar.» Gemeinsam verliessen sie wieder den Schuppen und gingen zum Haus hinüber.

Kapitel 6

Etwas Glitschiges, Feuchtes, berührte Miguels Wange. Blinzelnd öffnete er die Augen. «Was…!»

Innert wenigen Sekunden war er hellwach. «Hey, halt, stopp, das sind meine Shorts!» Er sprang aus dem Bett und fuhr sich benommen mit der Hand durchs Haar. «Woher zum Teufel, kommt ihr alle so urplötzlich her?», murmelte er und starrte kopfschüttelnd auf die neun kleinen Hundewelpen, die übermütig auf seinem Bett herumtollten.

Miguel stiess heiser die Luft aus. Hallo? Es war sechs Uhr morgens. Resigniert versuchte er die kleine Rasselbande zu bändigen, aber sie waren eindeutig in der Überzahl. Also, gab er sich geschlagen, schlüpfte in seine Jeans und verliess mit einem herzhaften Gähnen das Zimmer. In seinem Schlaftaumel vergass er die Tür hinter sich zuzuziehen, was zur Folge hatte, dass es keine zwei Minuten später neben ihm rumpelte.

Die Welpen kugelten in Reih und Glied unsanft die Treppe hinunter. Der Kleinste aber, blieb torkelnd auf der obersten Stufe stehen, winselte herzzerreissend und blickte ihn mit riesigen Kulleraugen an. Erst wollte Miguel ihn einfach ignorieren, überlegte es sich aber doch anders und hob ihn hoch. «Brauchst gar nicht so treuherzig zu gucken, Freunde sind wir deswegen noch lange nicht, kapiert?» Er warf dem kleinen Racker einen finsteren Blick zu. «Ja, mit dir rede ich.»

Der Kleine gähnte, kuschelte sich vertrauensvoll an ihn und schloss schmatzend die Augen. Das entlockte Miguel trotz Widerwillen ein Lächeln. «Tja, das kommt davon, wenn man die Nächte durchzecht», murmelte Miguel sarkastisch. «Soll dir nicht besser gehen, als mir.»

Die Welpen unter ihm knurrten leise auf und kurz darauf war es mucksmäuschenstill. Verwundert blickte Miguel auf und musste laut auflachen, als er Luis mit grimmiger Miene unten an der Treppe stehen sah. Seine leicht gerunzelte Stirn, kombiniert mit den zusammengekniffenen Augen, diese Geste kannte er nur allzu gut von früher. Das hatte bei Philippe und ihm auch immer Wirkung gezeigt.

«Gütiger Himmel, ich fühle mich um Jahre zurückversetzt», scherzte Miguel. Aber ganz tief in ihm, spürte er wieder diese Wehmut. Luis hatte ihn aus den unmöglichsten Situationen rausgepaukt. Klar, er hatte nachher auch immer eine ordentliche Standpauke bekommen, aber sein Onkel war immer hinter ihm gestanden. Auf einen Schlag, war alles wieder da. Dieses vertraute Gefühl, zu Hause zu sein. Menschen um sich zu haben, die man liebte. Teil dieser Familie zu sein.

«Auch einen Kaffee?», riss Luis ihn aus seinen Gedanken und reichte ihm eine Tasse. «Sieht so aus, als könntest du den gebrauchen!»

Miguel nickte verkrampft. «Ja. Da hast du Recht.»

Er setzte sich auf die Eckbank. «Du bist aber auch schon zeitig munter. Hat dich deine Bekannte aus Barcelona aus dem Bett geholt?»

Luis hielt inne und lachte lautstark auf. «Wie kommst du darauf? Moment, hat Maria dir das etwa erzählt? Herrschaft, sie hat den Köder geschluckt?»

Jetzt musste Miguel schmunzeln. «Du hast ihr einen Bären aufgebunden?»

Sein Onkel nickte und wischte sich eine Lachträne von der Wange. «Ja. Sie war so furchtbar neugierig. Da wollte ich ihr einfach eins auswischen und habe mir einen kleinen Spass erlaubt.»

Das wiederum kaufte Miguel ihm nicht ab. Zwischen den beiden knisterte es, seit er denken konnte. Nur waren die zwei zu stur, um sich das gegenseitig einzugestehen. Es wurde langsam Zeit, dass ihnen jemand ein bisschen auf die Sprünge half.

«Maria hat doch morgen Geburtstag. Hast du dir schon irgendetwas überlegt?»

Luis runzelte die Stirn. «Nein. Wieso? Sie will doch eh nicht feiern, also…!»

«Ja, ja ich weiss», unterbrach ihn Miguel. «Sie behauptete immer, dass sie den Rummel um ihre Person, nicht will. Aber wir wissen ja, dass dies nicht ganz stimmt. Also, wieso organisieren wir nicht eine kleine Fete, für sie?»

«Eine Fete?», wiederholte Luis mit wenig Begeisterung. Zuckte aber mit den Schultern und meinte. «Ja, wieso eigentlich nicht.»

Miguel grinste auf den Stockzähnen, das lief ja wie geschmiert. «Ich besorge das Geschenk. Kümmerst du dich um den Garten?»

Fröhlich sprang Miguel auf. «Glaube mir, sie wird ausflippen vor Freude.»

Misstrauisch musterte Luis ihn. «Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du wieder irgendetwas ausheckst?»

«Vielleicht, weil du mich einfach zu gut kennst», kickte Miguel frech zurück und verkniff sich ein Kichern. «Komm, schon Luis, wir wollen sie ja nicht entführen, sondern nur ihren Geburtstag feiern. Das ist doch nichts Verbotenes, oder?» Schelmisch grinsend ging er an seinem Onkel vorbei. «So, ich muss los. Wir sehen uns später.»

Luis blickte ihm kopfschüttelnd hinterher und murmelte. «Ich kenne dieses breite, freche Grinsen. Das bedeutet meistens nichts Gutes.»

Kapitel 7

Gespannt hielt Maria den Atem an. Sie öffnete die kleine Schuppentür, warf einen Blick auf ihre Uhr und lächelte zufrieden. Wunderbar. Es war acht Uhr abends und ihr grosser Tag, war bald Geschichte. Fröhlich vor sich hin summend, schlenderte sie hinüber zum Garten. Auch hier herrschte absolute Ruhe. Genau so, wollte sie es an ihrem Geburtstag haben! Still, bescheiden, ohne grosses Tamtam. Aber diese gespenstige Stille hätte ihr eigentlich eine Warnung sein sollen. Es war eindeutig zu ruhig. Leise seufzend setzte sie sich auf die Schaukel und schloss die Augen. Es knackste hinter ihr, aber sie dachte sich nichts dabei und ignorierte es.

«HAPPY BIRTHADY MARIA.»

Wie aus dem Nichts stand plötzlich Luis vor ihr und strahlte mit der Sonne um die Wette. «Luis, was...!» Benommen blickte sie auf. Sie bemerkte erst viel zu spät, dass sie eben gerade in die Falle getappt war. Hinter Luis lauerten laut kichernd Miguel, Joana, Fernando und ganz viele Freunde aus der Nachbarschaft und johlten übermütig.

«Auf Maria!»

Die Korken knallten und Miguel zog sie beschwingt auf. «Hast du ernsthaft geglaubt, wir würden dich einfach so davon kommenlassen?»

Er legte ihr den Arm um die Schultern und prostete ihr aufmunternd zu. «Alles Liebe zum Geburtstag.» Schmatzend drückte er ihr ein Küsschen auf die Wange. «Das ist ganz alleine deinen Abend. Geniesse ihn!»

Gerührt blinzelte Maria eine Träne weg und lehnte sich an ihn. «Ich versuch’s.»

Als Luis zu ihnen rüber schlenderte, gab Miguel sie frei. «So, ich mische mich jetzt unters Volk, bis später.»

Beim Vorbeigehen zwinkerte er Luis vielversprechend zu und ging hinüber zu Joana an die Bar, die gerade seinen Lieblingsdrink herzauberte.

Zufrieden beobachtete er aus den Augenwinkeln Maria und Luis. «Das lief doch gar nicht mal so schlecht, oder?»

Joana reichte ihm schmunzelnd ein buntes Glas und setzte sich neben ihn auf den Barhocker. «Ach Miguel, zwischen den beiden ist das doch seit Jahren ein ständiges auf und ab. Glaubst du wirklich, dass dieser Abend alles so grundlegend verändern wird? Ich nicht!»

«Abwarten. Noch sind sie etwas gehemmt, aber der Abend ist ja noch jung!» Siegessicher nahm er einen Schluck von seinem Drink. Er hatte nämlich das fröhliche Funkeln in Marias Augen sehr wohl bemerkt, als Luis zu ihr gekommen war. Und, wenn sein Onkel jetzt nur ein bisschen Taktgefühl besass, würde dieser Abend ganz sicher in die Geschichte eingehen. Da hatte er vorgesorgt.

«Kennst du eigentlich Lisa, die neue Erntehelferin schon?» Joana nickte in Fernandos Richtung.

«Flüchtig, ja! Du kaufst ihr doch diese Nummer als «Erntehelferin» nicht ab, oder?» Miguels Blick wanderte zu Lisa hinüber. «Die kann doch kaum einen Strauch Unkraut von einer Weinrebe unterscheiden.»

«Meine Güte, dich möchte ich wirklich nicht, als Feind haben», meinte Joana leise kichernd. «Lisa ist schwer in Ordnung. Sie ist fleissig, kann richtig anpacken und ist bei allen sehr beliebt. Sogar Luis, schwärmt in den höchsten Tönen von ihr. Und, das mag etwas heissen.»

Miguel hob nur spöttisch die Augenbrauen. Ja klar, Luis die gute, alte Seele. Sein Instinkt sagte ihm jedoch gerade etwas ganz anderes. Der war nämlich auf Alarmstufe rot.

Joana kniff ihm kopfschüttelnd in den Arm. «Oh, nein. Bitte nicht wieder dieser arrogante Anwaltsblick. Reiss dich gefälligst ein bisschen zusammen. Nicht jeder Mensch ist von Natur aus böse.»

«Wenn sie nichts zu verbergen hat, wird sie das ja nicht sonderlich beeindrucken, oder?», brummte Miguel.

«Ich gebe es auf.» Joana hob abwehrend die Hände und begrüsste Fernando mit einem Küsschen auf die Wange. «Besser, ich überlasse dir diesen Fall.»

Beim Vorbeigehen zog sie Lisa geschickt aus der Gefahrenzone. «Kannst du mir bitte kurz etwas in der Küche helfen?»

Fernando blickte den beiden Frauen hinterher und setzte sich neben Miguel. «Ich bin auf Luis’ Reaktion gespannt. Der lässt das nie und nimmer einfach so auf sich sitzen.»

Doch Miguel grinste nur siegessicher. «Ihm wird wohl nichts anderes übrigbleiben.»

Maria blickte wie gebannt auf den Briefumschlag in ihrer Hand. «Miguel, ich, ich weiss nicht…!» Sie schlug freudig die Hände vors Gesicht. «Das ist der Wahnsinn. Einen Tanzkurs? Und, Luis hat sich wirklich bereit erklärt, mich zu begleiten?»

Alle fingen an zu johlen, pfiffen und trampelten mit den Füssen. Alle, ausser Luis!

«Ja, klar.» Miguel zog Maria liebevoll an sich. «Für dich tut er doch fast alles.» Als er Luis’ Blick begegnete, musste er sich beherrschen nicht laut los zu kichern. Es wurde Zeit, dass er sich in Sicherheit brachte.

Maria wandte sich an Luis und umarmte ihn herzlich. «Luis, du bist ein Schatz. Vielen, vielen Dank, dass du das, für mich tust.»

Luis lächelte verlegen und tätschelte unbeholfen ihre Wange. «Bitte, mache ich doch gerne!»

Hätte er aber jetzt Miguel in die Finger gekriegt, hätte er ihm ordentlich die Kappe gewaschen.

«Das wird ein Nachspiel haben», zischte er in Miguels Richtung. Doch die Warnung entlockte seinem Neffen bloss ein freches Augenzwinkern.

«Du wirst mir noch einmal dankbar sein», flüsterte Miguel, hob sein Glas und nahm einen grossen Schluck Wein. Er hielt kurz inne und meinte. «Ist das nicht...!»

Aber Luis’ warnender Blick hielt ihn zurück. Für heute hatte er seine Grenzen genug ausgebotet. Besser er verzog sich jetzt.

Deshalb gesellte er sich zu seinem Freund «Du wirst wohl auch nie erwachsen, was?», meinte Fernando amüsiert und schüttelte den Kopf. «Rotzfrech, wie eh und je.»

Schwungvoll hievte sich Miguel neben ihm auf den Barhocker und meinte. «Ein Glück, dass Luis mich nicht in die Finger gekriegt hat. Sonst hätte ich jetzt einen blauen Hintern.»

Er winkte in Joanas Richtung. «Bringst du uns bitte noch zwei Drinks?»

Stirnrunzelnd betrachtete er seinen Freund, der leer schluckte. «Du hast es ihr immer noch nicht gesagt, stimmt’s?», fragte Miguel ihn unverblümt.

Fernando schüttelte den Kopf. «Nein», murmelte er überrumpelt über Miguels Scharfsinn.

«Toll. Und, wie lange willst du noch warten? Bis sie dir ein anderer, vor der Nase wegschnappt?»

«Natürlich nicht, aber bis jetzt hat sich das halt einfach noch nicht ergeben. Ich möchte den richtigen Zeitpunkt abwarten.»

«Himmel, Fernando dafür gibt es nicht den richtigen oder falschen Zeitpunkt. Dich und Luis könnte man zusammenstecken», murmelte Miguel kopfschüttelnd. «Ich glaube, das muss hier an der Luft liegen.»

«So Jungs, eure Drinks», meldete sich Joana beschwingt. «Was liegt in der Luft?», fragte sie ahnungslos. Schmunzelnd nahm Miguel ihr die zwei Gläser ab und reichte eines davon Fernando. «Das darf ich leider nicht verraten. Ich bin zum Schweigen verdonnert worden.»

«Ach so, Männersache», meinte Joana achselzuckend, drehte sich um und verschwand wieder hinter der Theke.

«So, nun wieder zu dir.» Miguel kniff seinem Freund grinsend in den Arm. «Wovor hast du eigentlich solche Angst? Mehr, als nein sagen, kann sie ja schliesslich nicht, oder?»

Fernando verdrehte genervt die Augen. «Ist ja gut. Können wir jetzt vielleicht einfach die Feier geniessen?»

Miguel nickte grinsend und hob sein Glas. «Klar. Prost!»

Kapitel 8