E-Book 1261-1270 - Diverse Autoren - E-Book

E-Book 1261-1270 E-Book

Diverse Autoren

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Beschreibung

Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! E-Book 1: Blind vor Liebe E-Book 2: Was wird aus dir, Benjamin? E-Book 3: Kann Dr. Berger Vater sein? E-Book 4: Zerbrechliches Glück E-Book 5: Unter Verdacht E-Book 6: Elvira und die Liebe E-Book 7: Familie in Not E-Book 8: Keine Chance für die Liebe? E-Book 9: Reiche, arme Nathalie E-Book 10: Ihr dunkles Geheimnis

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Seitenzahl: 1156

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Inhalt

Blind vor Liebe

Was wird aus dir, Benjamin?

Kann Dr. Berger Vater sein?

Zerbrechliches Glück

Unter Verdacht

Elvira und die Liebe

Familie in Not

Keine Chance für die Liebe?

Reiche, arme Nathalie

Ihr dunkles Geheimnis

Chefarzt Dr. Norden – Staffel 16 –

E-Book 1261-1270

Diverse Autoren

Blind vor Liebe

Unveröffentlichter Roman

Roman von Taylor, Amy

Endlich Feierabend! Annegret Lachinger strich mit gespreizten Fingern einige widerspenstige Locken aus der Stirn und erinnerte sich daran, dass sie schon längst einen Friseurtermin vereinbaren wollte. Aber wann denn? Als Apothekerin hatte sie ihr Geschäft an den Wochentagen von 8 bis 18 Uhr geöffnet und an den Samstagen schloss sie um 16 Uhr. Ihre langjährige Friseurin vereinbarte nur wenige Abendtermine, aber das war nicht der einzige Grund, warum Annegret ihren Routinetermin alle sechs Wochen schon längst überschritten hatte. Im Grunde war es ihr egal geworden, wie sie aussah. Ihr Leben bestand sowieso nur aus Arbeit. Von früh bis spät stand sie in ihrer eigenen Apotheke, an den Abenden kümmerte sie sich noch um die Buchhaltung und die Sonntage verbrachte sie meistens faul auf dem Sofa. Seit Wolfgang, ihr Ehemann, sie vor zwei Jahren wegen seiner jüngeren Geliebten verlassen hatte, legte sie auch nicht mehr so viel Wert auf einen ordentlichen Haushalt wie früher. Sie hatte sowieso kaum Besuch. Ihr Freundeskreis hatte sich wie von selbst reduziert und das war auch kein Wunder. Sie hatte sich in den letzten Jahren immer weniger Zeit für die Menschen genommen, die ihr eigentlich lieb und wert waren.

Tja, früher, da konnte sie sich auch öfter mal spontan einen Nachmittag frei nehmen, denn Wolfgang und sie waren nicht nur privat ein gutes Team gewesen. Sie hatten die Apotheke gemeinsam geführt, aber nun musste sie alles ganz alleine stemmen. Mit ihren 45 Jahren fühlte sie sich manchmal alt und verbraucht. Es fiel ihr immer schwerer, ihren Alltag zu bewältigen.

Ihre Wohnung lag im ersten Stock desselben Hauses, in dem sich im Erdgeschoss die Apotheke befand. Früher, als sie noch mit Wolfgang zusammenlebte, hatten sie oft daran gedacht, sich ein eigenes Haus zu kaufen. Nun war die Dreizimmerwohnung für sie alleine viel zu groß geworden. Hätte sie die Nerven dazu gehabt, wäre sie schon längst in eine kleinere Wohnung umgezogen. Aber wie so vieles, was notwendig gewesen wäre, schob sie stets auf ›später‹ auf. Irgendwann mal, wenn sie die Kraft dazu fand.

Müde sperrte Annegret die Ladentür von innen zu, kontrollierte auf ihrem Weg durch die beiden Zimmer im hinteren Bereich des Ladens, ob das Licht überall ausgeschaltet und ob alle Schubläden mit den eingelagerten Medikamenten verschlossen waren. Wie jeden Abend prüfte sie auch das Schloss des Schranks, in welchem sie vorschriftsgemäß die Medikamente nach dem Betäubungsmittelgesetz aufbewahrte, dann stieg sie die Treppen hinauf in den ersten Stock zu ihrer Wohnung. Der direkte Zugang durch die hinteren Räume der Apotheke in das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses war praktisch. Aber im Grunde bedeutete das, dass sie nicht einmal für den Weg zur Arbeit oder wieder zurück das Haus verlassen musste. Ihre Einkäufe erledigte sie schon seit einiger Zeit online. Die meisten Supermärkte in der Nähe boten diesen Service an und lieferten alles, was sie benötigte. Immer öfter kam es vor, dass sie wochenlang das Haus nicht verließ.

Wäre ihr Kundenstamm nicht gewesen, hätte sie nur ganz selten andere Menschen zu Gesicht bekommen.

Oben in der Wohnung hängte sie ihren Schlüsselbund an den Haken neben der Wohnungstür, streifte achtlos ihre Schuhe ab, ging zum Kühlschrank und griff nach dem einzigen Pudding, der drinstand. »Morgen muss ich wieder Lebensmittel bestellen«, nahm sie sich vor. Dann lenkte sie ihre Schritte ins Wohnzimmer, ließ sich in den Sessel fallen und löffelte den Pudding aus dem Becher. Aus dem Augenwinkel sah sie ihren Anrufbeantworter blinken, aber ihre Beine fühlten sich zu schwer an, um aufzustehen und den Hörer zu holen. »Später«, sagte sie sich. Ihre Kraft reichte gerade noch dazu, irgendwann vom Sessel aufs Sofa zu wechseln und den Fernseher einzuschalten. Die üblichen Vorabendserien … wie langweilig, dachte sie noch, bevor sie, wie fast jeden Abend, noch auf der Couch einschlief.

Am nächsten Morgen schmerzten alle ihre Knochen und zum wiederholten Mal nahm sie sich vor, künftig zum Schlafen in ihr Schlafzimmer zu gehen und sich in ihr Bett zu legen. Eine heiße Dusche weckte dann doch, wie durch ein Wunder, ihre müden Lebensgeister, aber schon beim Blick in den Spiegel kehrten ihre Selbstvorwürfe zurück. Ihre dunklen Locken standen in allen Richtungen vom Kopf ab und mit Schrecken konnte sie einige Silberfäden glitzern sehen. Das Erste, was sie gleich nach dem Aufschließen der Apotheke tun musste, war ein Anruf bei ihrer Friseurin! Apropos: Es war schon kurz vor acht und wenn sie wie immer pünktlich sein wollte, musste sie sich sputen. Sie eilte die Treppe hinunter, sperrte erst die Hintertür auf, dann drehte sie den Schlüssel zur Eingangstür und war froh, dass noch kein Kunde vor ihrer Tür stand. So hatte sie noch Zeit, in ihrer kleinen Küche die Kaffeemaschine in Gang zu setzen. Dann griff sie nach dem Telefonhörer und setzte endlich ihren Vorsatz in die Tat um. Sie vereinbarte einen Friseurtermin für kommenden Samstag um 16.15 Uhr.

Der Tag verlief wie jeder andere. Im Lauf des Vormittags kamen ihre Kunden, einige mit Rezepten in der Hand, andere fragten nach rezeptfreien Medikamenten, wieder andere interessierten sich für Kosmetikprodukte und Artikel aus der Naturheilkunde. Eine Ausnahme gab es allerdings im täglichen Einerlei: Ihre Lieblingskundin besuchte sie. Dr. Felicitas Norden kam nicht oft in ihre Apotheke. Sie war schließlich selbst Ärztin und konnte sich, ihrem Ehemann und ihrer großen Familie mit fünf erwachsenen Kindern meistens selbst helfen. Ab und zu brauchte sie dann aber doch etwas aus der Apotheke und dann kam sie zu ihr.

»Frau Doktor Norden, wie schön«, begrüßte sie ihre Kundin erfreut. »Was kann ich für Sie tun, es ist doch hoffentlich niemand krank in Ihrer Familie?«

Felicitas Norden lächelte freundlich. »Hallo Frau Lachinger, ach nein, Annegret wollte ich sagen. Aber wie ich bemerkt habe, haben Sie sich auch noch nicht daran gewöhnt, dass wir uns seit dem letzten Mal mit dem Vornamen ansprechen.« Felicitas zwinkerte und lächelte schief. »Sie dürfen mich Fee nennen, wie viele meiner Freunde. So lange, wie ich schon zu Ihnen komme, wenn ich was aus einer Apotheke brauche, können wir uns ja fast schon als Freundinnen bezeichnen, nicht wahr?«

»Ja, tatsächlich, ich habe es wirklich vergessen«, gab Annegret zu. »Also dann, Fee, was kann ich für Sie tun?«, wiederholte sie.

»Ach, ich habe unseren Medikamentenschrank zu Hause ausgemistet und brauche so ziemlich alles, was in eine Hausapotheke gehört. Wir sind zum Glück alle so selten krank, dass tatsächlich alles abgelaufen ist. Sogar das Verbandszeug ist fast schon aus dem vorigen Jahrhundert«, scherzte Fee.

»Na so schlimm wird es schon nicht sein, aber ich verstehe schon. Einmal alles sozusagen. Schmerzmittel, fiebersenkende Mittel, Gel, Desinfektionsmittel, ein Set mit Verbandszeug und Pflaster … sonst noch etwas? Das Fieberthermometer hat ja kein Ablaufdatum«, fasste Annegret zusammen.

»Genau, das alles … Sie wissen das ja fast besser als ich«, stimmte Fee lächelnd zu. »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie, während Annegret das Gewünschte zusammenstellte.

»Ach, wie es halt so geht, wenn man alleine ist«, antwortete Annegret und bereute sofort ihre spontane Reaktion. »Ich will nicht jammern, Fee, es passt schon, wie wir Münchner sagen. Und bei Ihnen? Was macht die Familie?«

»Da passt auch alles. Mein Mann ist in letzter Zeit ein bisschen überarbeitet, aber das legt sich hoffentlich bald wieder. Die Kinder sind gesund, das ist ja das Wichtigste. Ach, ich sage immer noch ›Kinder‹, dabei sind sie ja schon längst alle fünf erwachsen.«

»Es bleiben halt immer noch Kinder«, meinte Annegret. Die muntere Plauderei setzte ihr zu. So sehr sie sich auch über den Besuch der angenehmen Kundin freute, so wenig konnte sie sich auf den lockeren Small-Talk einlassen.

»Geht es Ihnen doch nicht so gut?«, wollte Fee wissen. Ihrem aufmerksamen Blick waren die tiefen Sorgenfalten um die Augen der Apothekerin nicht entgangen, auch nicht die fahle Gesichtsfarbe und das glanzlose Haar. »Sie wissen, ich bin zwar Kinderärztin, aber ich bin jederzeit für Sie zu sprechen«, bot sie an.

»Dankeschön, aber ich denke, was mir fehlt, kann mir keine noch so nette Ärztin verschreiben. Sie sind doch bestimmt noch die Leitende Ärztin der Kinderabteilung in der Behnisch-Klinik?«

Fee bemerkte sofort, dass der abrupte Themenwechsel beabsichtigt war und ging darauf ein. »Richtig. Und mein Mann ist immer noch der Chefarzt. Wir sind glücklich in der Klinik und deshalb wird sich so schnell nichts daran ändern, dass wir beide dort arbeiten.«

»Ja, mein Wolfgang und ich haben ja auch lange Jahre zusammen gearbeitet. Sie kannten ihn doch auch noch, oder?«

Fee erschrak. Das klang so, als ob Wolfgang Lachinger gestorben wäre. Noch während sie überlegte, wie sie ihre Frage möglichst sensibel formulieren sollte, klärte Annegret das Beinahe-Missverständnis auf.

»Er hat jetzt seine eigene Apotheke. Nachdem wir uns getrennt haben, hat er sehr schnell eine neue Existenz aufgebaut … naja und ich war gezwungen, das alles hier ebenfalls allein zu machen.«

»Aber ist es nicht andererseits auch ein schönes Gefühl, vollkommen selbstständig zu sein und sich aus eigener Kraft eine Existenz zu schaffen? Ich finde, Sie können sehr stolz auf sich sein, Annegret.«

In diesem Moment betrat eine weitere Kundin die Apotheke. Annegret packte die verschiedenen Artikel für die Hausapotheke der Nordens in eine Papiertüte, hielt Fee das Kartenlesegerät hin und wartete, bis der Zahlvorgang abgeschlossen war.

Für Fee war klar, dass Annegret das Gespräch beenden wollte. Sie verabschiedete sich aber nicht ohne eine Einladung auszusprechen.

»Besuchen Sie uns doch mal, wenn Sie Lust und Zeit haben. Wir wohnen ja nicht allzu weit weg, aber bitte rufen Sie vorher an, nicht, dass mein Mann oder ich noch in der Klinik sind. Sie wissen ja, unsere Arbeitszeiten sind leider nur theoretisch an feste Zeiten gebunden. Auf Wiedersehen und bleiben Sie gesund!«, rief sie fröhlich im Hinausgehen.

Ehe Annegret sich versah, war es Mittag geworden und ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass sie noch nichts gegessen hatte und eigentlich eine Lebensmittelbestellung aufgeben wollte. Es war gerade niemand im Laden, sodass sie sich ins Büro zurückziehen und sich endlich darum kümmern konnte, dass heute Abend mehr als gestern in ihrem Kühlschrank stand, wo ein einziger Pudding ein mageres Abendessen abgeben musste.

Das schrille Klingeln der Ladentür überhörte sie, was ihr eigentlich selten passierte. Erst als sie das verhaltene »Hallo« einer angenehm klingenden Männerstimme wahrnahm, bemerkte sie ihren Kunden.

»Bin gleich bei Ihnen«, rief sie nach vorne, schloss mit wenigen Klicks ihre Bestellung ab und eilte in den Verkaufsraum. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie wie immer und doch war es diesmal anders.

Sie schaute in ein Paar braune Augen und glaubte, einen kleinen inneren Stromschlag zu spüren.

»Ich habe Sie jetzt von irgendwas weggeholt, tut mir leid, ich wollte Ihnen keinen Stress machen«, sagte der junge Mann mit einem gewinnenden Lächeln.

»Schon gut, dafür bin ich ja da. Haben Sie ein Rezept?«, fragte Annegret, froh darüber, ihre Unsicherheit mit beruflicher Routine überspielen zu können. Denn es waren nicht nur diese unglaublich sanften Augen, die sie um ihr Gleichgewicht gebracht hatten, sondern auch seine Stimme. Sie war jungenhaft, fast schüchtern und doch männlich.

»Nein, ich suche ein leichtes Schmerzmittel«, meinte der Mann. »Kopfschmerzen, wissen Sie«, setzte er noch hinzu.

»Natürlich, da kann ich Ihnen das hier empfehlen«, schlug sie vor, nachdem sie hinter sich ins Regal gegriffen und ein gängiges Medikament geholt hatte. »Aber wenn Sie das öfter haben, wäre ein Besuch beim Arzt ratsam.« Sie erklärte ihm, wie und wie oft er die Tabletten einnehmen sollte, nannte ihm den Preis und war fast ein bisschen enttäuscht, dass er kurz darauf die Apotheke wieder verließ. »Gute Besserung«, rief sie ihm noch hinterher, dann war er weg.

Annegret konnte sich den Aufruhr in ihrem Inneren nicht erklären. Aber vielleicht lag es daran, dass Fee vorhin bei ihr war und durch ihre Fragen nach ihrem Befinden irgendetwas in ihr aufgewühlt hatte. Der dicke Mantel der Gleichgültigkeit, den sie sorgsam um ihre Seele gewickelt hatte, war einen Moment lang ein bisschen gelockert. Wer weiß, wäre der Kunde eine Stunde später in die Apotheke gekommen, hätte sich der Spalt bestimmt schon wieder geschlossen gehabt.

Der Kunde war mindestens fünfzehn, wenn nicht sogar zwanzig Jahre jünger als sie. Außerdem war er überhaupt nicht der Typ Mann, der ihr früher gefallen hatte. Aber was sollte das schon heißen! Seit Wolfgang sie verlassen hatte, war sie kein einziges Mal mit einem Verehrer ausgegangen. Kein Flirt, geschweige denn mehr. Sie hatte wie eine Einsiedlerin gelebt. Ärgerlich schüttelte sie ihren Kopf, als ob sie damit ihre Gedanken vertreiben konnte. Zumindest für den restlichen Tag klappte das auch, denn sie dachte bis zum Abend nicht mehr an ihn.

Erst nach Feierabend – trotz ihrer Vorsätze erneut auf der Couch liegend – fiel er ihr wieder ein. Sie schmunzelte bei der Erinnerung an seine Haarfarbe. Was würde wohl ihre Friseurin am Samstag sagen, wenn sie ihr vorschlug, gegen das beginnende Grau mit Rosa und Hellgrün anzukämpfen? Sie lachte sogar hell auf bei der Vorstellung, einmal in ihrem Leben etwas Verrücktes zu wagen. Natürlich war das reine Fantasie, aber es gefiel ihr, ihren Träumen freien Lauf zu lassen.

Das Fernsehprogramm war ähnlich einschläfernd wie jeden Abend und bald schwebte sie in einem Zustand, irgendwo zwischen schlafen und wachen. Hatte er ihr nicht zugeblinzelt und hatten sich nicht ihre Fingerspitzen leicht berührt, als er die Tablettenschachtel aus ihrer Hand entgegengenommen hatte? Ruhte sein Blick nicht länger als nötig auf ihr und hätte er nicht auch ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen, die Apotheke verlassen können? Ihre Fantasie spielte ihr einen Streich nach dem anderen und als sie gegen 21 Uhr mit Rückenschmerzen aufwachte, wusste sie nicht mehr, was sie geträumt hatte oder wie der Besuch des jungen Mannes mit den bunten Haaren tatsächlich abgelaufen war. Mit einem seligen Lächeln auf den Lippen wechselte sie zum ersten Mal seit langer Zeit von der Couch in ihr Bett.

*

Zwei Tage später dachte sie noch immer an den Kunden. Sie konnte es sich nicht so recht erklären, aber das kurze Erlebnis mit ihm hatte irgendetwas in ihr ausgelöst. Sie freute sich auf morgen, Samstag, auf den Friseurtermin. Bei der Auswahl ihrer Kleidung für die Arbeit legte sie mehr Sorgfalt an den Tag als sonst, auch wenn der weiße Kittel, den sie tragen musste, sowieso alles verdeckte. Aber sie fühlte sich einfach besser, wenn sie etwas anhatte, das ihr gefiel und in dem sie sich wohlfühlte. Schon länger hatte sie keine Röcke mehr getragen. Nun drehte sie sich am Morgen mehrmals vor dem Spiegel hin und her und erfreute sich am Anblick ihrer schmalen Taille und der wohlgerundeten Hüften, die sich unter dem engen kniekurzen Rock abzeichneten, sowie ihrer schlanken Beine.

Immer wieder überlegte sie, ob der Mann wohl wiederkommen würde. Sie kannte ihre Stammkunden alle und wusste daher, dass er vorher noch nie in ihrer Apotheke gewesen war. Vielleicht ist er neu ins Viertel gezogen? Oder er war nur zu Besuch bei Freunden und lebte in einer ganz anderen Stadt und Annegret würde ihn nie wiedersehen – was eigentlich nicht so schlimm wäre, denn er war ja von Anfang an nichts anderes gewesen, als ein Kunde. Nicht mehr und nicht weniger, schalt sie sich.

Am selben Nachmittag noch änderte sich ihre Meinung. Er war eben doch nicht nur irgendein Kunde. Das war ihr schlagartig klar, als ihr Herz einen Schlag lang aussetzte, denn er betrat erneut ihre Apotheke!

Vielleicht hätte sie ihr strahlendes Lächeln besser unter Kontrolle behalten sollen, das waren zumindest ihre Gedanken, aber sie konnte es nicht verhindern. Ihre Freude kam von innen heraus und war nicht aufzuhalten.

»Haben die Tabletten geholfen?«, rief sie ihm schon entgegen, da war er noch gar nicht richtig durch die Tür gekommen.

»Ja, hallo, ich bin´s wieder«, antwortete er.

Ob er das Piercing in seiner linken Augenbraue vor zwei Tagen schon getragen hatte, wusste Annegret nicht. Ebenso konnte sie sich nicht erinnern, ob seine Jeans schon genauso durchlöchert war wie diese hier, und ob sein Shirt schon bei seinem ersten Besuch so eng über seiner breiten Brust gespannt hatte.

»Brauchen Sie noch welche?«, fragte sie.

»Nein, um ehrlich zu sein, brauche ich gar nichts. Ich könnte jetzt natürlich irgendwelche Hustenbonbons kaufen, aber ich bin gar nicht erkältet.« Er lehnte sich leger gegen die Verkaufstheke und schenkte ihr einen Blick, der ihr sofort die Knie weich werden ließ.

»Wie darf ich das verstehen?«, fragte sie, krampfhaft bemüht um ein professionelles Lächeln.

»Tja, es kommt Ihnen vielleicht ein bisschen seltsam vor«, begann er zögerlich. Er senkte seinen Blick auf die Thekenplatte, um sie gleich darauf wieder direkt anzuschauen.

Annegret wurde es heiß und kalt gleichzeitig. »Was soll mir denn seltsam vorkommen?«

»Ich habe mal gelesen, dass es sowas wie Schicksal gibt. Glauben Sie ans Schicksal?«, fragte er.

»Schicksal«, wiederholte sie hilflos. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Solche Fragen hatte sie sich ewig nicht mehr gestellt.

»Ja. So wie man es oft in romantischen Filmen sieht. Schauen Sie sowas an? Da begegnen sich zwei Menschen und die wissen ab der ersten Sekunde ganz genau, dass sie zusammengehören.«

»Sie schauen romantische Filme an?«, platzte es aus ihr heraus. Die Vorstellung amüsierte sie.

»Nein. Sie haben mich durchschaut«, gab er zu. Seine Augen hielten ihren Blick fest und Annegret spürte eine Anziehungskraft wie schon lange nicht mehr. »Ich wollte nur eine Einleitung dafür finden, was ich eigentlich sagen wollte. Gehen Sie mit mir heute Abend spazieren? Ich hole Sie ab, wenn Sie Ihre Apotheke schließen. Was sagen Sie?«

»Woher wissen Sie, dass das meine Apotheke ist?«, fragte sie.

»Das wusste ich nicht. Aber jetzt weiß ich es ja. Um sechs?« Er zwinkerte ihr zu und diesmal war sich Annegret sicher, dass sie das nicht geträumt hatte.

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um und verließ den Verkaufsraum. Von draußen schaute er nochmal durch das Schaufenster nach innen, lächelte schief und winkte ihr zu. Das wars. So schnell konnte das also gehen. Annegret hatte eine Verabredung!

*

»So, wir bekommen also bald Besuch, aber du weißt nicht, wann?«, fasste Dr. Daniel Norden zusammen. Seine geliebte Ehefrau Fee saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Schreibtisch in seinem Büro in der Behnisch-Klinik. Sie hatte ihm von ihrem Einkauf in der Apotheke erzählt und davon, wie seltsam verändert ihr die Apothekerin vorkam. »Sie hat Sorgen, Daniel, das hätte jeder gesehen.« Fee parierte damit auf seine Bemerkung, ihren wachsamen Augen würde kein Kummer von anderen Leuten entgehen. Niemals.

»Ja, schon gut. Dann hoffen wir mal, dass diese Frau Lachinger deine Einladung auch annimmt. Aber jetzt muss ich dich leider auf deine Station schicken, meine liebe Fee, so sehr ich dich noch länger bei mir hätte. Aber die Pflicht ruft.« Er klopfte mit der flachen Hand auf einen Stapel mit Patientenakten. »Ich freue mich schon, wenn das hier alles endlich fertig digitalisiert ist. Der Papierkram ist lästig, aber das weißt du ja selbst.«

»Klar, mein Schatz, wir sehen uns dann heute also wieder erst spät, wenn ich dich richtig verstehe. Ich werde heute aber pünktlich Feierabend machen. Es ist schon 18 Uhr und ich möchte nach Hause. Komm nicht allzu spät bitte.« Sie sprang leichtfüßig auf ihre Füße, eilte um den Schreibtisch herum, küsste ihren Mann auf die Stirn und rief ein fröhliches »Tschüss« in Katja Baumanns Richtung. Die Assistentin des Chefarztes lächelte und beugte sich dann wieder über ihre Arbeit. Wie ihr Chef machte sie auch heute Überstunden.

Freitagabend, 18 Uhr. Annegret hatte den ganzen Nachmittag an nichts anderes als an ihre ungewöhnliche Verabredung denken können. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, ihre Apotheke eine Viertelstunde früher zu schließen, um sich noch schnell etwas Hübsches anziehen zu können. Im nächsten Moment glaubte sie, er würde sowieso nicht kommen. Er hat bestimmt nur einen Scherz mit mir gemacht, dachte sie voller Selbstzweifel. Aber dann hörte sie den Sound eines schweren Motorrads und als sie durchs Schaufenster sah, wie das Gefährt direkt vor ihrem Laden abgestellt wurde, der Fahrer abstieg und seinen Helm abnahm, blieb ihr vor Überraschung fast das Herz stehen. Sie schaffte es gerade noch, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, bis er mit einem weiteren Helm unterm Arm den Laden betrat.

»Schönen guten Abend, Sie haben eine Ausfahrt mit einer heißen Maschine bestellt, gnädige Frau?«, rief er ihr gut gelaunt entgegen.

»Eigentlich … ich dachte, wir laufen spazieren. Von Fahren war nicht die Rede«, stammelte sie und konnte ein mädchenhaftes Kichern nicht unterdrücken.

»Ich weiß, aber Sie haben nichts dagegen, oder wie soll ich das Leuchten in Ihren Augen deuten?« Er legte den Kopf schief und da war er wieder, dieser Blick, dem sie kaum standhalten konnte.

»Um ehrlich zu sein, bin ich noch nie auf einem Motorrad gefahren. Ich weiß nicht so recht.«

»Sie sollen ja auch nicht fahren. Sie sollen sich nur hinter mich setzen und sich festhalten. An mir natürlich. Den Rest erledige ich. Na? Nicht doch Lust bekommen?« Er hielt ihr seinen zweiten Helm entgegen. »Der müsste Ihnen passen und draußen habe ich auch noch einen Nierenschutz für Sie. Ich habe an alles gedacht, Sie dürfen mir vertrauen. Das tun Sie doch?«

Annegret hörte auf, nachzudenken. Hätte sie die Entscheidung ihrer Vernunft überlassen, wäre sie niemals nur Minuten später auf den Sitz hinter dem Fahrer geklettert, auf dem Kopf einen Helm, um die Taille einen Nierenschutz. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, sich umzuziehen. Dass sie beim Sitzen auf dem Motorrad ihre freien Oberschenkel zeigte, weil ihr Rocksaum nach oben rutschte, war ihr gar nicht bewusst. Sie dachte auch nicht nach, als er ihr vor dem Aufsteigen seinen Namen verriet.

»Wir Biker duzen uns. Ich bin Jonas und du?«

»Annegret.«

»Gut, Annegret. Hübscher Name. Hast du auch alles gut zugesperrt? Können wir fahren?«

Ja, sie hatte alles verschlossen. Die Hintertür, den Medikamentenschrank mit den BTMs, die Schubläden im Verkaufsraum, das Licht hatte sie auch ausgemacht und die Eingangstür von außen hatte sie ebenfalls verschlossen. Dass er dabei die ganze Zeit dicht hinter ihr war, hatte sie nicht zuletzt daran bemerkt, dass sich ihre Nackenhaare ein wenig aufgestellt hatten.

»Den Schlüssel und deine Tasche kannst du mir geben, das packen wir alles hier hinein«, hatte er angeboten und zeigte dabei auf den Stauraum unter der Sitzbank. Dann war alles untergebracht, Annegret mit Helm und Nierenschutz ausgestattet und schon ging es los.

Sie saß eng hinter ihm, ihre Hände lagen dort, wo er sie hingelegt hatte. »Hier hältst du dich fest. Greif ruhig zu, ich halt das gut aus. Nicht dass du mir runterfällst«, hatte er lachend gesagt und so kam es, dass sie einen fremden Mann von hinten um die Taille fasste und sich fest an ihn klammerte.

Er zeigte sich als umsichtiger Fahrer. Solange sie im Stadtgebiet unterwegs waren, fuhr er mit gedrosselter Geschwindigkeit und verzichtete auf gewagte Fahrmanöver. Annegret wurde von Minute zu Minute sicherer auf ihrer ungewohnten Position. Schon bald konnte sie das aufregende Erlebnis genießen. Das satte Motorengeräusch in den Ohren, das ungewohnte Gefühl von Abenteuer und Freiheit und nicht zuletzt der sichere Halt durch seinen Körper, an den sie sich nun wie selbstverständlich klammerte, lösten in ihr längst verschollen geglaubte Glücksgefühle aus.

Sie fuhren raus aus der Stadt, entlang einer Landstraße, durch Dörfer und Ortschaften hindurch, bis sie nur noch Wiesen und Wälder um sich hatten. Er war auf eine schmalere Straße abgebogen und nahm die engen Kurven mit einer Sicherheit, die auf sie übersprang. Fast war sie enttäuscht, als er auf einem Parkplatz anhielt und sie zum Absteigen aufforderte.

»Na, wie hat dir das gefallen?«, fragte er sie, während er ihr half, den Helm abzunehmen. »Ach ich brauche gar nicht zu fragen«, gab er sich selbst die Antwort. »Es ist nicht zu übersehen, dass du es genossen hast. Stimmt`s?«

»Ja, schon«, gab sie etwas außer Atem zu. »Das war einfach toll!! Warum halten wir hier?«

»Weil hier ein guter Platz für ein kleines Picknick ist«, meinte er und zeigte ihr eine Bank mit einem Tisch davor, beides aus einem großen Baumstamm geschnitzt.

»Aber wir haben doch gar nichts dabei«, wandte sie ein.

»Du glaubst doch nicht, dass ich die hübscheste Apothekerin der Stadt zu einer Ausfahrt einlade und nichts zu essen und zu trinken dabei habe? Was hältst du denn von mir?«, antwortete er lachend, während er den Sitz des Motorrads hochhob und den Stauraum darunter freilegte. Dort war nicht nur ihre Handtasche und ihr Schlüsselbund, sondern auch eine Kühltasche mit Inhalt. »Komm mit«, forderte er sie auf und sie lief ihm wie ein folgsames Hündchen hinterher. Staunend beobachtete sie, wie er aus der Kühltasche eine blau-rot karierte Tischdecke holte, Servietten, eine Flasche Wasser und einige prall gefüllte Frischhaltedosen auf den Tisch stellte. Dazu noch zwei Gläser und zwei Flaschen alkoholfreies Bier.

»Ich wusste nicht, ob du Alkohol trinkst, deshalb dachte ich, mit Wasser und spritfreiem Bier liege ich bestimmt nicht falsch.«

Sie war überwältigt. In den Dosen waren geschnittene Äpfel, Trauben und Käsewürfel verpackt. In einer anderen waren mundgerecht geschnittene Salamischeiben aufgeschichtet. Eine dritte beinhaltete eine bunte Rohkostmischung mit Nüssen und Sonnenblumenkernen. »Falls du Vegetarierin bist«, erklärte er.

»Das hat noch nie ein Mann für mich gemacht«, sagte sie spontan.

»Auch nicht dein Ehemann?«, fragte er mit einem schnellen Seitenblick.

»Ehemann? Woher …« Sie war perplex.

»Du trägst einen Ehering«, erklärte er.

»Ach den … ja …«, stotterte sie verlegen. »Den trage ich noch, das stimmt, aber wir sind seit zwei Jahren getrennt.«

»Getrennt, aber nicht geschieden?«, fragte er nach.

»So ist es. Irgendwie gab es nie die richtige Gelegenheit dazu.« Sie konnte seine Fragen nachvollziehen, aber sie selbst hatte sich mittlerweile so an den Zustand gewöhnt, dass es ihr ganz normal erschien, ihren Ehering weiterhin zu tragen. »Aber zu deiner Frage von vorhin.« Sie nahm den Gesprächsfaden gern wieder auf, denn sie hatte keine Lust, über ihren ungeklärten Familienstand weiter nachzudenken. »Wolfgang war nicht besonders romantisch veranlagt.«

»Dann wundern sich die Männer, wenn ihnen die Frauen davonlaufen«, murmelte Jonas.

»Nein, es war umgekehrt.«

»Das glaube ich nicht. Eine Frau wie dich verlässt kein Mann, der einigermaßen klar bei Verstand ist«, versicherte er ihr mit einem strahlenden Lächeln.

»Ach was weißt du schon vom Leben«, gab sie zurück. »Du bist ja noch so jung. Wie alt bist du eigentlich?«

»Fünfundzwanzig. Darf ich dich dasselbe auch fragen?«

»Ich bin … genau 20 Jahre älter als du. Neulich bin ich 45 geworden«, sagte sie.

»Das schönste Alter für eine Frau, finde ich«, schmeichelte er. »Ich finde Frauen in diesem Alter total interessant.«

»Das sagst du jetzt nur so.«

»Keineswegs. Soll ich es dir beweisen?«, fragte er mit einem frechen Zwinkern. Er beugte sich zu ihr und einen Moment lang glaubte sie, er würde sie ungefragt auf den Mund küssen. Aber er zögerte genau so lange, wie sie brauchte, um ihn mit beiden Händen gegen seine Brust von sich wegzuschieben. Sanft aber bestimmt.

»Okay, ich hab verstanden. Dann wenden wir uns also jetzt unserem Picknick zu.« Er wirkte nicht wie ein zurückgewiesener Mann, sondern lächelte genauso unbekümmert wie vor dem versuchten Kuss.

Die nächste Stunde verbrachten sie gut gelaunt über Gott und die Welt plaudernd. Annegret staunte, dass sie trotz des Altersunterschieds so viele gemeinsame Themen hatten.

Sie waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie die einbrechende Dunkelheit gar nicht bemerkt hatten. Es war schon nach zwanzig Uhr, als sie wieder auf das Motorrad stiegen und zurückfuhren.

»Ich bring dich nach Hause«, hatte er gesagt, während er ihr den Helm aufsetzte.

»Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte Annegret erstaunt.

Er schmunzelte schelmisch und zwinkerte ihr zu. »Du wohnst im selben Haus, in dem du deine Apotheke hast. Es war nicht schwer, herauszufinden. An der Haustür steht dein Name auf dem Klingelschild für den ersten Stock.«

Später, als er das Motorrad vor ihrer Apotheke abstellte, abstieg und ihr beim Heruntersteigen half, fragte er nach einem Wiedersehen. »Morgen? Nach deinem Feierabend?«

Sie war erleichtert, denn während der ganzen Fahrt hatte sie sich überlegt, was sie antworten würde, wenn er mit zu ihr in ihre Wohnung kommen wollte. Trotzdem konnte sie ihm für den nächsten Tag nicht zusagen, denn ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass sie ja schließlich einen Friseurtermin hatte.

»Du willst dich noch hübscher machen lassen? Das geht doch gar nicht«, sagte er leise und kam ihr dabei gefährlich nah.

Annegret fürchtete schon, eine ihrer neugierigen Nachbarinnen könnte sie sehen und verabschiedete sich schnell, ohne auf seine Flirtversuche näher einzugehen. Sie widerstand sogar ihrem ersten Impuls, ihm zum Abschied ein Küsschen auf die Wange zu geben. »Ich kann dir ja eine Nachricht schreiben, wenn ich fertig bin, dann sehen wir ja, ob es klappt«, rief sie ihm noch zu, da war sie schon fast durch die aufgesperrte Haustüre geschlüpft.

*

»Dan, hast du mir zugehört?« Fee hatte ihre Frage schon zum zweiten Mal gestellt, ohne eine Antwort von ihrem Mann bekommen zu haben. Wie so oft war er in die Lektüre der Tageszeitung vertieft, sein Frühstück hatte er noch nicht angerührt, obwohl der Kaffee in seiner Tasse schon fast kalt geworden war.

»Hm? Hast du was gesagt, Liebes?« Erschrocken faltete er die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. »Entschuldige bitte, aber im Wochenendteil der Zeitung steht ein langer Bericht über die Zustände in Krankenhäusern – im Allgemeinen, Pflegenotstand und so weiter.«

Fee blieb geduldig. Sie kannte ihren Mann und wusste, dass er beim Lesen von interessanten Zeitungsartikeln schon mal in eine andere Welt abtauchen konnte. Sie war ihm nicht böse und stellte ihre Frage nun zum dritten Mal. »Ich wollte wissen, ob es dir recht ist, wenn ich dich nach dem Frühstück für eine halbe Stunde alleine lasse? Ich möchte in die Apotheke gehen, um Annegret zu sagen, dass sie heute bitte nicht vorbeischauen soll. Du weißt doch, wir sind am Abend selbst eingeladen und sie soll nicht vor verschlossener Türe stehen.«

»Liebe Fee, was steckt wirklich dahinter?«, fragte Daniel. Er war ernst geworden und schaute sie forschend an. »Du könntest diese Annegret erstens anrufen und zweitens wird sie wohl selbst so gescheit sein, nicht unangemeldet zu uns zu Besuch zu kommen.«

Fee seufzte. Ihr Mann hatte sie wieder einmal durchschaut. »Das stimmt, Dan. Die Wahrheit ist, ich will nach ihr sehen. Sie wirkte so bekümmert beim letzten Mal und ich will einfach sichergehen, dass es ihr gut geht.«

»Warum sagst du das denn nicht gleich, meine liebe Fee? So etwas habe ich mir doch schon gedacht. Natürlich kannst du das so machen, ich kümmere mich inzwischen um … ja … um was soll ich mich kümmern? Hast du eine Aufgabe für mich? Es ist Samstag und es gibt bestimmt was zu tun?«

Fee ließ ein glockenhelles Lachen hören. »Schon gut, mein Schatz. Ich schlage vor, du liest in aller Ruhe die Zeitung fertig, dazu kommst du ja kaum unter der Woche. Ich beeile mich. Wenn ich zurück bin, können wir gemeinsam planen, wie wir unseren freien Tag verbringen. Es kommt ja selten genug vor.« Sie sprang auf, küsste ihn auf die Wange, schnappte sich ihre Jacke und schlüpfte in ihre Schuhe.

»Ich nehme den Wagen«, rief sie noch und dann kehrte Stille ein. Daniel trank seinen kalten Kaffee und vertiefte sich wieder in seine Zeitung. Er fühlte sich wohl. Besser konnte so ein freies Wochenende nicht beginnen.

Fee erlebte zwanzig Minuten später eine Überraschung. Schon beim Eintreten in die Apotheke bemerkte sie eine Veränderung bei Annegret. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihre Kundin entdeckte.

»Fee!«, rief sie erfreut. »Brauchen Sie noch was für Ihre Hausapotheke?«

»Nein, um ehrlich zu sein, wollte ich Sie nur ganz kurz besuchen. Ich kam grad vorbei … ach nein, ich will nicht schwindeln«, gab Fee zu. »Sie haben mir das letzte Mal nicht besonders gut gefallen und ich wollte einfach nur nach Ihnen schauen. Aber wie ich sehe, geht es Ihnen besser!«

»Och, ich kann nicht klagen«, antwortete Annegret fröhlich.

»Wenn ich eine Diagnose stellen müsste, würde ich sagen: klarer Fall von unerwarteten Glücksgefühlen unbestimmter Ursache«, scherzte Fee.

»So könnte man es nennen.« Annegret neigte ihren Kopf zur Seite und biss sich auf die Lippen, als könnte sie so das breite Grinsen in ihrem Gesicht unterdrücken.

»Okay, ich verstehe. Es geht mich nichts an und ich frage Ihnen nicht weiter Löcher in den Bauch. Aber Sie wissen ja, wo Sie mich finden, wenn Sie was erzählen möchten. Meine Handynummer haben Sie? Und die Einladung zu uns nach Hause steht nach wie vor. Nur nicht heute, bitte.«

»Da habe ich sowieso schon was vor«, platzte es aus Annegret heraus und es war nicht zu übersehen, wie sehr sie sich darüber freute. »Friseur«, fiel ihr ein. »Ich habe einen Friseurtermin«, erklärte sie.

»So, einen Friseurtermin.« Fee verzog ihre Lippen zu einem amüsierten Lächeln. »Es ist ja kein Geheimnis, dass Frauen immer dann eine Typveränderung vornehmen lassen, wenn sich etwas in ihrem Leben ändert. Liege ich richtig?«

»Den Termin hatte ich schon vorher vereinbart«, versuchte Annegret halbherzig zu erklären, merkte aber sofort, dass sie damit Fee indirekt recht gab.

»Na dann wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Friseur und bei allem, was Sie danach noch vorhaben«, meinte Fee fröhlich. »Ich geh dann mal wieder. Mein Mann wartet auf mich.«

Annegret konnte an diesem Samstag den Feierabend nicht erwarten. Eine Typveränderung – warum eigentlich nicht? Vielleicht sollte sie ihre Haare tatsächlich färben lassen? Wenn schon nicht komplett, dann wenigstens eine einzige Strähne in einer besonderen Farbe? Blau oder knallig rot vielleicht?

Immer wieder wurden ihre Gedanken von neuen Kunden unterbrochen. Ausgerechnet heute herrschte lebhafter Besuch in ihrer Apotheke. Ein Kunde nach dem anderen gab sich die sprichwörtliche Klinke in die Hand und als Annegret um 16 Uhr endlich Feierabend hatte und zusperren konnte, wusste sie immer noch nicht, wie die angepeilte Veränderung an ihrer Frisur aussehen sollte.

Hastig versperrte sie wie an jedem Feierabend die Schubläden und den Giftschrank. Besonders sorgfältig überprüfte sie das Schloss des Spezialschranks, in dem die Medikamente nach dem Betäubungsmittelgesetz untergebracht waren. Er stand in einem der hinteren Räume, getrennt vom öffentlich zugänglichen Bereich. Sie hatte ihn heute gar nicht aufschließen müssen, aber die tägliche Kontrolle gehörte zu ihrer Routine. Dann rannte sie fast die Treppe nach oben in ihre Wohnung. Sie hatte noch ein wenig Zeit bis zu ihrem Termin. Beim Händewaschen fiel ihr der Ehering an der rechten Hand ins Auge und plötzlich wusste sie, der richtige Zeitpunkt war endlich gekommen. Entschlossen streifte sie den Ring ab und legte ihn auf die Ablage unter dem Spiegel. Sie war erstaunt. Es war gar nicht so schwer gewesen. Sie betrachtete ihn noch eine Weile gedankenverloren, als wollte sie sich von etwas verabschieden, was längst Vergangenheit war. Es war ein gutes Gefühl, sie atmete tief durch und war endlich, nach langer Zeit, bereit für einen Neuanfang. Bevor sie beschwingt und voller Tatendrang ihre Wohnung verließ, fiel ihr Blick auf das penetrante Blinken ihres Anrufbeantworters. Vielleicht sollte sie ihn doch einmal abhören, dachte sie und drückte auf den Knopf. Eine blecherne Stimme verkündete, sie habe drei Nachrichten. Erste Nachricht … Annegret erstarrte. Ob es was zu bedeuten hatte, dass sie just in dem Moment, in dem sie endlich ihren Ehering abgelegt hatte, ihr Noch-Ehemann Wolfgang zu hören war? Er bat um Rückruf, mehr sagte er nicht. Die zweite Nachricht stammte auch von ihm, ebenso die dritte. »Bitte Annegret, ruf mich doch endlich zurück, ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen«, hörte sie. Seine Stimme war ihr immer noch vertraut. Was er wohl so Wichtiges mit ihr zu diskutieren hatte? Wollte er nun doch die Scheidung, um danach seine junge Geliebte zu heiraten, wegen der er sie verlassen hatte? Wellen der Traurigkeit gingen durch ihren Körper. Jetzt nur nicht darüber nachdenken! Zum ersten Mal seit der Trennung spürte sie wieder Lust aufs Leben. Die wollte sie sich nicht verderben lassen. Irgendwann werde ich ihn zurückrufen, dachte sie. Später. Vielleicht morgen.

»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Jasmina, ihre langjährige Friseurin. »Keinesfalls färbe ich die Stirnsträhne in einer Neonfarbe. Was ist denn in dich gefahren? Das passt doch überhaupt nicht zu dir.«

Nach einigem Hin und Her einigten sie sich auf ein paar dunkelrote Farbreflexe, die in ihrem braunen Haar für etwas mehr Lebendigkeit sorgen sollten – so hatte ihr Jasmina ihren Plan erklärt und Annegret hatte zugestimmt.

Das Ergebnis gefiel ihr. Auch von der neuen Haarlänge war sie begeistert. Ihr Spiegelbild zeigte ihr eine jugendlich wirkende Frau mit frechem Kurzhaarschnitt, in den durch die roten Strähnchen ziemlich viel Bewegung gekommen war.

»Du siehst fünf Jahre jünger aus«, meinte Jasmina.

»Das reicht leider nicht«, murmelte Annegret und war froh darüber, dass Jasmina nichts davon gehört hatte.

Auf dem Heimweg blieb sie an jedem Schaufenster stehen, das ihr Spiegelbild zeigte. Was sie sah, gefiel ihr, auch wenn ihr klar war, dass sie ihr Alter auch durch eine neue Frisur und vielleicht mit ein paar Schminktipps, die Jasmina ihr mit auf den Weg gegeben hatte, nicht wegzaubern konnte. Bis zum heutigen Tag hatte sie auch noch nie dieses Bedürfnis gehabt. Aber da hatte sie ja auch noch keinen Flirt mit einem um zwanzig Jahre jüngeren Mann. Flirt? War es tatsächlich ein Flirt, was sie mit Jonas verband? Oder spürte sie tief in ihrem Inneren bereits mehr?

›Find es heraus‹, befahl ihr eine Stimme in ihrem Kopf. Noch bevor sie zu Hause angekommen war, holte sie ihr Handy aus ihrer Handtasche und schrieb ihm eine Nachricht. »Ich habe jetzt Zeit und würde mich freuen, dich wiederzusehen.« Bevor sie es sich anders hätte überlegen können, schickte sie die Nachricht ab.

Die Antwort kam prompt, als ob Jonas darauf gewartet hätte. »Nachdem du deine neue Frisur wahrscheinlich nicht unter einem Motorradhelm verstecken willst, hole ich dich in einer halben Stunde mit dem Auto ab. Lust auf eine Fahrt ins Grüne?«

Woher wusste er, dass sie eine neue Frisur hatte? Oder hatte er ins Blaue hinein geraten? Egal. Sie fand seinen Vorschlag wunderbar, sagte sofort zu und eilte die restliche kurze Strecke bis zu ihrer Wohnung. Ein bisschen ratlos stand sie kurz darauf vor ihrem Kleiderschrank und bereute es, sich in der jüngsten Vergangenheit nicht mehr für die aktuelle Mode interessiert zu haben. Sie nahm sich vor, sich demnächst neu einzukleiden, griff nach einer eng anliegenden schwarzen Lederhose und einer schimmernden hellblauen Seidenbluse. Ihre knöchelhohen Boots passten hervorragend dazu. Sollte sie unten vor der Haustür auf ihn warten? Sie hatte noch zehn Minuten bis zur verabredeten Zeit und überlegte, ob sie Jasminas Schminktipps ausprobieren sollte. Aber dann ließ sie es doch lieber sein, aus Sorge, zu sehr angemalt auszusehen. Ebenso verwarf sie den Gedanken, vor der Haustüre auf ihre Verabredung zu warten. Bestimmt würden ihre Nachbarn sie sehen und vielleicht sogar neugierige Fragen stellen. Sie beschloss, zu warten, bis Jonas klingelte. Kurz dachte sie daran, die Wartezeit zu nutzen und Wolfgang anzurufen. Neugierig war sie schon, was es denn so dringend zu berichten gab. Aber dann klingelte Jonas bereits, sie schnappte sich ihre Handtasche und sprang fröhlich die Treppe hinunter.

Er wartete schon an der geöffneten Beifahrertür eines knallroten Cabrios. »Das Verdeck lassen wir geschlossen, vorsichtshalber«, sagte er mit einem strahlenden Lächeln. »Deine Frisur soll nicht gleich durcheinandergewedelt werden. Toll siehst du aus! Die roten Strähnen stehen dir ausgezeichnet.«

Annegret überlegte, wann Wolfgang ihr ein ähnliches Kompliment gemacht hatte, damals, als sie noch zusammenlebten. Ihr fiel kein solcher Moment ein. Meistens hatte er es nicht einmal bemerkt, wenn sie beim Friseur gewesen war. Sie schenkte Jonas ein dankbares Lächeln und stieg ein.

»Du hast nicht nur ein Motorrad sondern auch ein Cabrio«, stellte sie anerkennend fest, nachdem er auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte. »Hast du noch weitere Überraschungen parat?« Sie fand es für einen Fünfundzwanzigjährigen doch ziemlich ungewöhnlich und dabei fiel ihr ein, dass sie ihn noch gar nicht gefragt hatte, womit er eigentlich seinen Lebensunterhalt verdiente. Auch sonst wusste sie nichts von ihm, während er über sie schon ziemlich viel in Erfahrung bringen konnte.

»Schauen wir erst mal, dass wir aus München raus kommen, es ist ziemlich viel los auf den Straßen um diese Uhrzeit. So chic, wie du dich gemacht hast, sollten wir vielleicht irgendwo schön essen gehen, was meinst du?« Er ließ einen anerkennenden Blick über ihre Oberschenkel gleiten und Annegret spürte ein lange vermisstes Kribbeln im Bauch.

»Sehr gern«, antwortete sie und vergaß ihre Fragen.

Aus der ursprünglich geplanten Fahrt ins Grüne wurde nichts. Es war schon kurz vor 18 Uhr und die Abenddämmerung war bereits hereingebrochen. Er schlug vor, den Ausflug auf einen anderen Tag zu verschieben und stattdessen sofort ein Restaurant anzusteuern. »Hast du unter der Woche mal einen freien Tag?«, fragte er sie. »Oder wollen wir gleich morgen am Sonntag unseren Ausflug nachholen?«

»Ich habe keinen einzigen Tag frei, nur den Sonntag«, sagte sie und das Bedauern in ihrer Stimme kam dabei von innen heraus. Jonas legte unbewusst seinen Finger in ihre Wunden. Sie arbeitete zu viel, das wurde ihr in solchen Momenten schmerzlich bewusst.

»Vergiss nicht, zu leben«, sagte er, als ob er ihre Gedanken lesen konnte. »Dann also morgen? Sagen wir um die Mittagszeit, dann haben wir ein paar wunderschöne Stunden vor uns, was meinst du?«

Plötzlich spürte Annegret einen leisen Widerstand in ihrem Kopf. Es ging ihr einfach zu schnell, auch wenn sie das immer stärker werdende Kribbeln in ihrer Magengrube sehr genoss. »Wollen wir nicht erst mal diesen Abend miteinander verbringen und dann überlegen, ob und was wir morgen zusammen machen?«

Er grinste sie von der Seite nur an und schwieg. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Straßenverkehr. Nach einer halben Stunde Fahrtzeit hatten sie ein kleines verträumtes Restaurant am Stadtrand erreicht. Jonas hielt ihr die Beifahrertür auf und reichte ihr beim Aussteigen galant seine Hand. Das leichte Zittern seiner Finger fiel Annegret natürlich auf. Sie nahm es mit Genugtuung zur Kenntnis, denn dass sie ihn ähnlich aus der Fassung brachte wie umgekehrt, gefiel ihr. Er zeigte beste Manieren und damit beeindruckte er Annegret sehr. In seinem dunkelblauen Anzug sah er einfach umwerfend aus. Das Jackett saß wie angegossen und trotzdem waren seine ausgeprägten Muskeln an den Oberarmen nicht zu übersehen. Das Einzige, was nicht so recht zu seinem eleganten Auftreten passen wollte, waren seine bunt gefärbten Haare und das Piercing an der Augenbraue. Aber Annegret fand, dass diese Gegensätze ihn erst recht interessant erscheinen ließen.

Als ob er sein Leben lang nichts anderes gemacht hätte, ließ er ihr beim Eintreten in das Lokal den Vortritt, um gleich danach wieder die Führung zu übernehmen. »Ich habe auf den Namen Biskup einen Tisch für zwei Personen bestellt«, sagte er zum Kellner, der ihnen freundlich lächelnd entgegenkam.

»Natürlich, bitte folgen Sie mir, Herr Biskup«, antwortete der Ober und ging voran. Annegret kam immer mehr ins Staunen. Er hatte also geplant, dass sie hierher fuhren und hatte bereits einen Tisch bestellt!

»Jetzt weiß ich wenigstens deinen Nachnamen, Herr Biskup«, scherzte sie, nachdem sie Platz genommen und sich der Kellner entfernt hatte.

»Habe ich mich dir wohl noch nicht richtig vorgestellt?«, neckte er sie. »Tut mir leid, aber ich habe einfach nicht dran gedacht. Da siehst du mal wieder, wie du mich durcheinanderbringen kannst.« Sein Lächeln war einfach umwerfend und Annegret hatte erneut vergessen, dass sie ihn eigentlich zu seinen näheren Lebensumständen befragen hatte wollen. Stattdessen genoss sie das Gefühl, begehrt zu werden. Seine Blicke, sein Lächeln, seine zarten, wie zufällig aussehenden Berührungen ihrer Hände – das alles führte dazu, dass sie alles um sich herum vergaß. Heute Abend würde sie ihn ganz bestimmt nicht zurückweisen, sollte er sie noch einmal küssen wollen, wie gestern auf der Bank beim Picknick.

Aber er machte keine Anstalten. Stattdessen unterhielt er sie mit Anekdoten aus seinem Studentenleben, ohne zu erwähnen, wo und was er studierte und ob er schon seinen Abschluss hatte. Immer wenn sie nachfragen wollte, hatte er schon die nächste Geschichte auf den Lippen. Sie lachte an diesem Abend so viel wie schon lange nicht mehr und als er zwischen Hauptgang und Dessert nach ihrer Hand griff und einen kaum spürbaren Kuss auf jede einzelne ihrer Fingerspitzen hauchte, ließ sie ihn gern gewähren. Die Berührung seiner Lippen spürte sie überall in und an ihrem Körper und sie protestierte nicht, als er noch vor dem Servieren des Desserts den Kellner um die Rechnung bat.

Während der gesamten Rückfahrt schwiegen beide und doch wusste jeder, was der andere dachte. Er brauchte daher nicht ausdrücklich um Erlaubnis zu bitten, sie bis in ihre Wohnung zu begleiten. Ein Blick genügte und sie waren sich einig.

*

Es war Montag und Annegret sperrte pünktlich um acht Uhr ihre Apotheke auf. Wie immer eigentlich – und doch war heute alles anders. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, fühlte sich glücklich und in ihren Gliedern war keine Spur von Müdigkeit oder Trägheit. Sie freute sich auf den Tag, auch wenn sie ihn ohne Jonas verbringen musste. Aber schon heute Abend würde sie ihn vermutlich wiedersehen.

Seit er sie am Samstagabend nach Hause gefahren hatte, war er die ganze Zeit bis zum Aufwachen am heutigen Montag bei ihr geblieben. Ihren Plan für den Sonntag, den verpassten Ausflug ins Grüne nachzuholen, hatten sie verworfen. Stattdessen blieben sie in Annegrets Wohnung und genossen die ungestörte Zweisamkeit. Wenn sie jetzt daran zurückdachte, spürte sie sofort wieder den Zauber, in den sie sich hatte fallen lassen. Ohne Vorbehalte, ohne Zweifel und ohne die Angst, seinen Ansprüchen nicht zu genügen. Keine einzige Sekunde lang hatte sie das Gefühl, er würde sich am Altersunterschied stören. Das Gegenteil war der Fall. Noch nie hatte sie sich von einem Mann so stark begehrt gefühlt wie von ihm.

Vor einer Stunde hatte er sich verabschiedet. Er müsse mal nach Hause, hatte er gemeint. Duschen, frische Sachen anziehen und einige Dinge erledigen. Sie fragte ihn nicht, welche Dinge das waren, ob er in die Uni musste oder ob er einen Job hatte. Sie fragte ihn nicht einmal, ob zu Hause vielleicht sogar jemand auf ihn wartete. Eine junge Freundin vielleicht? Annegret wunderte sich über sich selbst, dass ihr die Antworten auf ihre Fragen mittlerweile vollkommen egal waren. Jonas tat ihr gut und sie hatte beschlossen, seine Liebe so lange zu genießen, wie sie dauerte. Sollten sich noch allerletzte Zweifel bemerkbar machen, hatte sie ein wirksames Gegenmittel parat: Wolfgang hatte sie ohne Rücksicht und ohne irgendwelche Bedenken für eine wesentlich jüngere Frau verlassen. Gleiches Recht für alle … oder?

Gegen Mittag dachte sie zum ersten Mal wieder daran, dass ihr Ex-Ehemann immer noch auf ihren Rückruf wartete. Gerade wollte sie zum Telefon greifen, als schon wieder ein Kunde die Apotheke betrat. Aber diesmal wollte niemand ein Rezept vorlegen oder sonst etwas kaufen.

»Warum in drei Teufels Namen rufst du mich nicht zurück?«, rief der Mann ihr entgegen, als sie aus ihrem Büro nach vorne in den Verkaufsraum lief. Es war Wolfgang.

»Ach du bist es, ich wollte ja gerade …«, versuchte sie sich zu rechtfertigen, dann fiel ihr ein, dass sie sich jetzt ganz bestimmt nicht für ihr Verhalten entschuldigen sollte. »Ich hatte keine Zeit«, sagte sie stattdessen. »Aber nun bist du ja hier, was gibt es denn so Dringendes?« Sie versuchte, ein möglichst unbeeindrucktes Gesicht zu machen. Er sollte auf keinen Fall ihre Aufregung bemerken, denn sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz bei seinem Anblick kleine Sprünge machte.

»Das will ich mit dir in aller Ruhe besprechen«, sagte er ernst. »Können wir heute Abend zusammen essen? Bei dir vielleicht?«

Annegret schoss die blanke Wut in den Bauch! »Bei mir?«, schleuderte sie ihm ungehalten entgegen. Was bildete er sich denn ein? Glaubte er, sie würde ihn so einfach wieder in die ehemals gemeinsame Wohnung lassen und für ihn auch noch kochen? »Auf keinen Fall! Wenn überhaupt, dann treffen wir uns irgendwo und gehen was trinken. Aber heute habe ich keine Zeit«, sagte sie trotzig, obwohl sie noch gar nicht sicher wusste, ob Jonas und sie den Abend gemeinsam verbringen würden.

»Ich würde gern mit dir reden, ohne dass jemand zuhört. Nicht in der Öffentlichkeit … na gut, dann gehen wir eben spazieren. Sagen wir um 18 Uhr nach Feierabend?« Er tat so, als hätte er ihren Einwand nicht gehört.

»Ich sagte doch, ich habe heute keine Zeit. Morgen vielleicht. Ich sag dir Bescheid. Aber wenn du mir eröffnen möchtest, dass du die Scheidung einreichen wirst, reicht es doch, es mir hier und jetzt zu sagen.« Sie war immer noch viel zu aufgeregt, um ruhig und besonnen zu agieren und da sie wusste, dass er sie so gut wie kein anderer Mensch kannte, war ihr auch klar, dass er ihre Unsicherheit und ihren inneren Aufruhr bemerkt haben musste. Das ärgerte sie noch mehr.

»Das ist es doch gerade, Annegret«, meinte er. Er trat einen Schritt auf sie zu und blieb stehen, als er merkte, dass sie genau diese Schrittlänge vor ihm zurückwich. »Darum geht es, im weitesten Sinne. Lass uns in aller Ruhe sprechen. Bitte ruf mich an oder schreibe mir eine Nachricht, wenn du über deine Termine den Überblick hast.«

Annegret hatte den Eindruck, dass ihm das bevorstehende Gespräch immens wichtig war. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es um etwas anderes als um die Scheidung gehen sollte.

»Geht klar, ich schreibe dir eine Nachricht«, sagte sie so gleichgültig klingend wie möglich und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ein paar Zettel, die auf dem Ladentisch lagen. Als ob sie das Wichtigste auf der Welt wären, nestelte sie an ihnen herum und schaute nicht einmal mehr auf, als er sich verabschieden wollte.

Dass Wolfgang und Jonas sich in diesem Moment begegneten, war ihr nicht recht. Die beiden Männer wären sogar um ein Haar zusammengestoßen, während der eine hinaus und der andere gleichzeitig herein wollte.

»Meine Süße, hier bin ich wieder … oh, Entschuldigung«, sagte er zu Wolfgang, der ihn fassungslos anstarrte. Jonas bemerkte es nicht oder überspielte die Situation perfekt. Annegret konnte den Unterschied nicht erkennen.

»Darf ich vorstellen«, begann sie zögernd, weil sie nicht wusste, ob es überhaupt nötig gewesen wäre, die beiden miteinander bekannt zu machen. Aber Wolfgang stand wie angewurzelt in der offenen Ladentür und starrte Jonas noch immer an. »Das ist mein Noch-Ehemann Wolfgang Lachinger und das ist Jonas Biskup. Mein … mein …« Ihre Stimme erstarb. Die Situation hätte skurriler nicht sein können.

»Ich kann es mir denken«, schnaubte Wolfgang und verließ die Apotheke ohne ein weiteres Wort.

»Naja, dann brauchst du dir schon nicht mehr zu überlegen, wie du es deinem Ex beibringen sollst, dass es in deinem Leben einen Neuen gibt«, sagte Jonas mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Annegret glaubte sogar, einen Funken von Triumph in seinen Augen zu sehen.

»Ja, das ist jetzt dumm gelaufen«, sagte sie.

»Wieso? Hättest du mich noch länger verheimlichen wollen? Wäre mir auch recht gewesen. Ein heimlicher Liebhaber einer reifen, faszinierend schönen Frau zu sein, hat auch was Reizvolles.« Er ging auf sie zu und legte seine Arme um ihren Körper. Nach einem tiefen Blick in ihre Augen küsste er sie auf den Mund und Annegret vergaß ihren Ärger. »Sperr deine Apotheke zu, du musst unbedingt Mittagspause machen«, raunte er ihr ins Ohr und seine Stimmlage ließ keinen Zweifel zu, an welche Art von Pausenbeschäftigung er dabei dachte.

Annegret sträubte sich nur kurz. Dann gab sie nach und zum ersten Mal seit vielen Jahren sperrte sie ihre Apotheke tatsächlich für eine Stunde zu.

Später fragte Jonas, was Wolfgang denn eigentlich wollte. Ohne es zu ahnen, holte er Annegret damit wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Keine Ahnung, er will mich treffen und mir dann etwas Wichtiges sagen.«

»Ziehst du dann deinen Ehering wieder an?«, fragte er mit einem Augenzwinkern.

»Du hast es bemerkt?« Annegret war beeindruckt, wie gut er sie beobachtete.

»Glaubst du, mir entgeht irgendetwas an dir?«, gab er zurück. »Wann trefft ihr euch?«

»Er hat heute Abend vorgeschlagen, aber ich habe gesagt, ich kann nicht.« Sie zwinkerte ihm vielsagend zu.

»Doch, meine kleine süße Apothekerin. Du kannst. Ich muss mir heute Abend eine Wohnung anschauen und du weißt ja, wie die Lage in München ist. Den Termin muss ich wahrnehmen, sonst …«

»Du suchst eine Wohnung?«, fragte Annegret.

»Ja, habe ich dir das noch nicht erzählt?«, meinte Jonas mit dem unschuldigen Blick eines Kindes.

»Nein. Genau genommen hast du überhaupt noch nichts über dich erzählt«, erinnerte sie ihn und sich selbst an viele unausgesprochene Fragen.

»Wir kamen ja noch nicht so viel zum reden«, wandte Jonas ein. »Aber du hast natürlich recht, was willst du denn wissen? Du kannst mich alles fragen.«

»Oh, da gibt es etliches, was mich interessiert, aber zuerst mal ist es wichtig, dass du die Wohnung bekommst. Du hast vorhin sowas angedeutet, es scheint dringend zu sein?«

»Ist es. Mein Vermieter hat mir wegen Eigenbedarf die Wohnung gekündigt. Seither suche ich, aber ich finde nichts. Wenn ich heute wieder eine Absage bekomme, stehe ich auf der Straße, denn ich muss schon in zwei Tagen meine Wohnung räumen.«

»Was?!« Annegret konnte nicht glauben, was sie hörte. »Übermorgen? Aber das klappt doch nie! Selbst wenn du eine Zusage bekommen solltest, so schnell kannst du doch dort nicht einziehen!«

»Mach dir mal um mich keine Gedanken, mein kleiner Engel. Wie wär´s: du triffst dich mit deinem Wolfgang und bekommst heraus, was er will und ich gehe zur Wohnungsbesichtigung. Danach treffen wir uns … bei dir? … und tauschen unsere Neuigkeiten aus.«

»Ja, so machen wir es. Und jetzt muss ich meine Apotheke wieder aufsperren und du hast bestimmt auch zu tun. Arbeiten zum Beispiel. Du hast bestimmt einen Job?« Endlich hatte sie die Frage stellen können, die sie am allermeisten interessierte.

»Tja, das ist auch so eine Sache. Momentan helfe ich einem Freund bei seinen Geschäften, bis ich was Richtiges habe.«

Annegret wurde hellhörig. »Das klingt, als ob du in krumme Geschäfte verwickelt bist. Was sind das denn für Geschäfte?«

»Je weniger du weißt, desto besser ist es.« Wieder war es sein umwerfendes Lächeln und der betörende Ausdruck in seinen Augen, die Annegret dazu brachten, ihre Fragen erneut ganz weit nach hinten zu schieben. Der leichte Schweißfilm auf seiner Stirn ließ sie vermuten, dass sie ihn vorhin, während der gemeinsamen Mittagspause ganz schön ins Schwitzen gebracht hatte.

»Übrigens, um deine Frage von vorhin noch zu beantworten: Natürlich lege ich den Ehering nicht wieder an. Den habe ich sozusagen ad acta gelegt, genau wie unsere Ehe. Er kann sich ruhig scheiden lassen, wenn er will. Und jetzt tschau bis später.«

Sie verabschiedeten sich voneinander und statt über die neu gewonnenen Informationen über ihn nachzudenken, genoss sie das Gefühl einer Vertrautheit, die sie nach einer so kurzen Zeit der Bekanntschaft nicht erwartet hätte. »Er wird schon wissen, was er tut«, dachte sie und dann fasste sie einen Plan, mit dem sie ihn am Abend überraschen wollte. Später, nach dem Spaziergang mit Wolfgang.

Dessen Antwort auf ihre Textnachricht kam sofort. Sie verabredeten sich für 18 Uhr, gleich nach Ladenschluss vor der Apotheke.

Bis zum Feierabend gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf. Die meisten davon galten Jonas. Sein Motorrad, das Cabrio, die Einladung in das teure Restaurant, seine guten Manieren – das alles deutete darauf hin, dass er einen soliden finanziellen Hintergrund haben musste. Wahrscheinlich hatte er eine gute Berufsausbildung und musste sich jetzt nur noch auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden. Das ging ja vielen jungen Leuten so und dass er ausgerechnet jetzt wahrscheinlich seine Wohnung verlor, dafür konnte er ja nichts.

*

Wolfgang Lachinger merkte zu spät, dass er sich doch tatsächlich verlaufen hatte. Die unerwartete Begegnung mit dem Liebhaber seiner Frau hatte ihn aus der Bahn geworfen. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit.

Ausgerechnet jetzt, wo er genug hatte von seinem Leben und seinen Entschluss vor zwei Jahren, aus der Ehe auszubrechen bitter bereute, hatte Annegret einen anderen Mann. Und noch dazu einen, der überhaupt nicht zu ihr passte. Der junge Bursche war doch fast noch ein Kind! Hätten er und Annegret Kinder gehabt, wären diese jetzt ungefähr im Alter des Kerls, der ihn vorhin rotzfrech angelacht hatte. Oder hatte er ihn etwa ausgelacht? Die Frechheit der Jugend war ihm anzusehen, die Unbekümmertheit, die Lockerheit, die Lebenslust, ungeniert zur Schau getragen. Wieso fiel Annegret auf so etwas herein? Und erst seine schreiend bunt gefärbten Haare! Das passte doch überhaupt nicht zu ihr. Sie war doch immer kontrolliert und vernünftig. Wenn sie sich einem anderen Mann zugewendet hätte, dann doch sicherlich einem in ihrem Alter, seriös und in jeder Hinsicht in der Lage, sie glücklich zu machen.

Das wäre ihm allerdings auch nicht recht gewesen und insofern hätte das an seiner Enttäuschung auch nichts geändert. Aber was hatte er denn erwartet?

Er schaute sich um, verflixt, wo war er? Er orientierte sich kurz und begriff, dass er so kopflos aus der Apotheke gestürmt war, dass er anstatt nach rechts, zu seinem geparkten Auto, nach links, also in die entgegengesetzte Richtung gelaufen war. Wenn er jetzt zurückging, musste er automatisch wieder an der Apotheke vorbei und das wollte er auf keinen Fall. Am Ende musste er durch die Schaufensterscheiben auch noch mit ansehen, wie die beiden Turteltauben sich gemeinsam über ihn alten Trottel lustig machten!

Also blieb ihm nichts anderes übrig, als einen weiten Umweg zu nehmen, bis er wieder an seinem Auto angekommen war. In der Zeit konnte er sich wenigstens noch ein bisschen beruhigen, denn sich in einem solchen aufgewühlten Zustand hinters Steuer zu setzen, wäre keine gute Idee gewesen. Er schaute auf sein Handy. Annegret hatte ihm tatsächlich eine Nachricht geschrieben. Sie hatte nun doch am heutigen Abend nach Feierabend für ihn Zeit! Wahrscheinlich musste sie den Kerl erst um Erlaubnis fragen! Schon war der Zorn wieder zurück. Er musste erst ein paar Mal tief durchatmen, bevor er sich auf den Fahrersitz fallen ließ und den Zündschlüssel umdrehte.

Seine eigene Apotheke hatte er für diesen Nachmittag zugesperrt und einen Zettel an die Tür gehängt, auf dem stand: »Wegen dringender familiärer Angelegenheiten bleibt die Apotheke heute Nachmittag geschlossen.« Er hatte nicht damit gerechnet, von Annegret nicht angehört zu werden. Früher hatte sie sein Wohl immer über ihr eigenes gestellt. Er hatte die Richtung vorgegeben, in der sie gemeinsam als Paar gehen wollten. Seine junge Geliebte hatte ihm klar gemacht, dass eine solche Erwartungshaltung an seine Partnerin wohl eher als schlechte Eigenschaft galt. Er hatte es eingesehen, nach vielen heftigen Streitereien, die sich aber nicht nur um sein Verhalten drehten. Seine neue Freundin und er waren einfach nicht füreinander gemacht. Sie wollte jeden Abend chic ausgehen und feiern, wann immer es etwas zu feiern gab. Er dagegen hatte gerade in letzter Zeit ein deutliches Ruhebedürfnis. Sie ging dann meistens ohne ihn weg, zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden, in deren Kreis er sich sowieso noch nie wohlgefühlt hatte. Immer öfter kam es vor, dass sie erst in den frühen Morgenstunden nach Hause kam. Während er sich auf den Weg in seine Apotheke machte, legte sie sich ins Bett und verschlief den halben Tag.

Dann kam das, was er insgeheim längst befürchtet hatte. Seine Freundin lernte einen Mann in ihrem Alter kennen und verließ ihn von heute auf morgen. Einfach so. Ein kurzes aber heftiges Gespräch, dann packte sie ihre Sachen und zog aus der gemeinsamen Wohnung aus.

Er hätte eigentlich traurig und verzweifelt sein müssen, aber stattdessen fühlte er eine tiefe Erleichterung. Die Entscheidung, ob und wie es weiter gehen konnte, hatte sie ihm abgenommen. Nun war er wieder frei und er war fest entschlossen, sich sein altes Leben zurückzuholen. Er wusste auch schon, wie das genau funktionieren sollte. Dass er zwischenzeitlich eine eigene Apotheke hatte, kam in seinen Plänen genauso vor, wie sein Vorsatz, sich mit Annegret wieder zu versöhnen. Dann führten sie eben zwei Geschäfte. Was solls. Seine Wohnung konnte er ebenfalls schnell kündigen. Er hatte vor, wieder bei Annegret in die ehemals gemeinsame Wohnung einzuziehen.

Sein Plan gefiel ihm - und nun war alles anders. Annegret hatte sich zwischenzeitlich ebenfalls ein neues Leben aufgebaut und diese Erkenntnis traf ihn wie ein harter Schlag in die Magengrube. Er hatte sich vorhin kurz in der Apotheke umgeschaut. Alles war tipptopp. Sie hatte einiges verändert und neu gestaltet. Tatkräftig und geschäftstüchtig war sie ja schon immer und so wunderte es ihn überhaupt nicht, dass sie das Geschäft offensichtlich mit großem Erfolg alleine weitergeführt hatte.