E-Book 161 - 170 - Aliza Korten - E-Book

E-Book 161 - 170 E-Book

Aliza Korten

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. E-Book 161 - Mutter mag mich nicht mehr E-Book 162 - Sein Vater ist in Afrika E-Book 163 - Nichts kann Mutterliebe ersetzen E-Book 164 - Vom Vater ausgenutzt E-Book 165 - Kleines Mädchen hat große Sehnsucht E-Book 166 - Valentins glücklichste Stunde E-Book 167 - Martin beschützt seine Mutter E-Book 168 - Ina, die Jüngste von dreien E-Book 169 - Mutterlos - doch nicht allein E-Book 170 - Biancas Leben in Gefahr E-Book 1: Mutter mag mich nicht mehr E-Book 2: Sein Vater ist in Afrika E-Book 3: Nichts kann Mutterliebe ersetzen E-Book 4: Vom Vater ausgenutzt E-Book 5: Kleines Mädchen hat große Sehnsucht E-Book 6: Valentins glücklichste Stunde E-Book 7: Martin beschützt seine Mutter E-Book 8: Ina, die Jüngste von dreien E-Book 9: Mutterlos - doch nicht allein E-Book 10: Biancas Leben in Gefahr

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Inhalt

E-Book 161 - 170

Mutter mag mich nicht mehr

Sein Vater ist in Afrika

Nichts kann Mutterliebe ersetzen

Vom Vater ausgenutzt

Kleines Mädchen hat große Sehnsucht

Valentins glücklichste Stunde

Martin beschützt seine Mutter

Ina, die Jüngste von dreien

Mutterlos - doch nicht allein

Biancas Leben in Gefahr

Sophienlust – Staffel 16 –

E-Book 161 - 170

Aliza Korten Bettina Clausen Susanne Svanberg Marisa Frank Eliza Swoboda

Mutter mag mich nicht mehr

Als Maja eine bestürzende Entdeckung machte

Roman von Korten, Aliza

Andrea von Lehn umarmte ihren Mann stürmisch, während drei Hunde aufgeregt bellend ihren heimgekehrten Herrn umsprangen. Etwas im Hintergrund wartete das Hausmädchen Marianne, das den Kronprinzen der jungen glücklichen Familie, das Peterle, an der Hand hielt.

»Vier Tage Trennung, das ist einfach zu lange für mich«, sagte der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn zu seiner Frau und küsste sie rasch noch einmal, ehe er sie freigab und die Hunde summarisch mit ein paar freundlich-beruhigenden Worten begrüßte. Die mächtige schwarze Dogge Severin sowie Munko, ein Schäferhund, waren sogleich still, während der Dackel Waldi unbekümmert weiterkläffte, um der Freude über das Wiedersehen lautstark Ausdruck zu verleihen.

Es dauerte auf diese Weise eine Weile, ehe die gewohnte Ordnung im Haus wieder einkehrte, denn selbstverständlich wollte auch Janosch, der alte Tierpfleger, seinen Doktor begrüßen.

Endlich trug der Heimkehrer sein Söhnchen, das trotz der vorgerückten Abendstunde noch nicht ins Bett wollte, ins Kinderzimmer. Andrea und Marianne hatten alle Hände voll zu tun, um den kleinen Wildfang zu bändigen und schlafen zu legen.

Verspätet setzten sich Dr. von Lehn und seine Frau zum Essen, und nun konnte endlich die Gemütlichkeit zu ihrem Recht kommen, auf die der Tierarzt sich während der langen Autofahrt schon gefreut hatte.

»War die Tagung interessant, Hans-Joachim?«, erkundigte sich Andrea und rückte die Salatschüssel in Reichweite ihres Mannes.

»Ja, sowohl die Vorträge als auch die verschiedenen Diskussionen. Zwar hast du mir wahnsinnig gefehlt, aber ich möchte das, was ich hinzugelernt habe, keinesfalls missen, kleine Andrea. Übrigens habe ich Martin Brixen getroffen. Du erinnerst dich?«

»Gewiss, er war doch mit deinen Eltern befreundet. Einmal habe ich ihn persönlich kennengelernt. Sonst weiß ich nur vom Hörensagen etwas über ihn. Er hat eine schöne Frau, nicht wahr?«

Hans-Joachim nickte. »Schön, anspruchsvoll und extravagant. Sie hat ihren Mann begleitet. Ich hatte den Eindruck, dass sie nur mitgekommen war, weil sie sich in dem kleinen Nest auf der Schwäbischen Alb, wo Martin seine Tierarztpraxis hat, sträflich langweilt.«

»Sind Kinder da?«, wollte Andrea wissen und meinte dabei, den großen breitschultrigen Dr. Martin Brixen leibhaftig vor sich zu sehen.

»Sie haben eine fünfjährige Tochter. Martin hängt sehr an dem Kind. Er rief jeden Tag zu Hause an, was die Mutter übertrieben fand. Senta Brixen macht sich offenbar nur wenig aus dem kleinen Mädchen, von dem Martin mir reizende Bilder zeigte.«

»Und wie ist die Ehe?«, warf Andrea ahnungsvoll ein. »Das alles klingt so, als sei da nicht gerade schönste Harmonie und Eintracht zu finden.«

»Martin sprach sich nicht offen darüber aus, aber ich konnte deutlich spüren, dass zwischen ihm und seiner Frau eine starke Spannung besteht. Es tut mir wahnsinnig leid um ihn. Er hätte wahrhaftig eine andere Frau verdient.«

Andrea sah ihren Mann mit ihren ausdrucksvollen blauen Augen an. »Da kannst du wieder einmal sehen, was für ein Glückspilz du bist«, kam es mit gut gespieltem Ernst über ihre Lippen. »So ein Prachtexemplar wie ich ist absolut einmalig.«

Hans-Joachim lachte. »Soll ich dir gestehen, dass das die reine Wahrheit ist, du entzückendes, größenwahnsinniges Weib? Ich hatte nicht den Mut, dem armen Martin allzu viel von hier zu erzählen. Als ich unser Tierheim Waldi & Co. erwähnte, packte ihn regelrecht der Neid. Gar zu gern würde er auch so etwas auf die Beine stellen, aber seine Frau duldet nicht einmal ein Kätzchen oder einen Hund im Haus. Mit der Praxis mag sie auch keinen Kontakt haben. Außerdem stört es sie, dass ihr Töchterchen die Zuneigung zu Tieren vom Vater geerbt hat. Der Beruf ihres Mannes ist für diese Frau nur eine Einnahmequelle.«

»Warum hat er sie dann überhaupt geheiratet?«, fragte Andrea etwas verständnislos. »Es ist doch wichtig, dass man sich in der Ehe auf allen Gebieten versteht.«

Hans-Joachim lächelte und hob die Schultern. »Manchmal macht eine erste stürmische Leidenschaft blind. Ich muss auch sagen, dass Senta Brixen eine Frau ist, an der kaum ein Mann vorübergehen würde, ohne sich wenigstens einmal nach ihr umzuschauen.«

»Du auch?«, rief die gertenschlanke junge Hausfrau leise aus. »Hast du mir etwa ein Geständnis zu machen?«

»Was willst du jetzt hören, Andrea? Soll ich dir von meinen Abenteuern am Rande der Tagung berichten? Natürlich habe ich mich nur in Nachtbars aufgehalten und dein Haushaltsgeld für die nächsten beiden Monate mit leichtsinnigen Mädchen durchgebracht. Peterle muss jetzt trockenes Brot essen.«

Andrea lachte hellauf. »Kann ich mir lebhaft vorstellen«, behauptete sie strahlend. »Ich kenne dich ja, du schwarze Seele.«

Hans-Joachim von Lehn stand auf und küsste seine temperamentvolle Frau. »Scherz beiseite, Andrea. Manchmal weiß ich nicht, was ich tun soll, um unser Glück festzuhalten. Ein Verhältnis wie das zwischen dir und mir ist ja keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk des Himmels. Martin Brixen mochte ich gar nicht erzählen, wie erfüllt und harmonisch für uns jeder einzige Tag ist.«

Die beiden schauten einander an und wussten um ihre große Liebe. Nach dem Essen unternahmen sie Arm in Arm einen Rundgang durch den großen Garten, auf dem sich auch das Tierheim befand, dessen Chef und Namenspatron der Dackel Waldi war. Im eingezäunten Freigehege sahen sie das Reh Bambi, das sofort ans Gitter kam.

»Was für eine friedvolle Welt«, sagte Hans-Joachim leise. »Waren deine Eltern einmal hier in den letzten Tagen, Andrea?«

»Ja, am Sonntag. Sie brachten Nick, Henrik und noch einen Trupp Kinder aus Sophienlust mit – wie gewöhnlich. Langweilig ist es mir nicht geworden. Trotzdem hast du mir gefehlt.«

Der junge Mann zog seine Frau näher zu sich heran. »Jetzt bin ich wieder hier, Andrea. Und gar so bald werde ich auch nicht von Neuem verreisen müssen. Ein Tierarzt auf dem Land ist ja im Allgemeinen kaum abkömmlich.«

»Stimmt. Es war allerlei los während deiner Abwesenheit. Das Telefon klingelte pausenlos. Drüben in der Praxis liegt eine ganze Liste von Fällen, um die du dich gleich morgen früh kümmern sollst.«

»Ist etwas Eiliges dabei? Muss ich noch heute Besuche machen?«, erkundigte sich Hans-Joachim ohne sonderliche Begeisterung.

»Nein, ich habe alles an deinen Vertreter weitergeleitet und den Leuten klargemacht, dass du erst morgen wieder da bist.« Andrea lachte. »Wenigstens diesen Abend wollte ich dich für mich allein haben«, fügte sie zärtlich und verliebt hinzu.

Später, als sie wieder im Haus waren, kam die Rede noch einmal auf Dr. Martin Brixen und dessen Frau.

»Martin tut mir aufrichtig leid«, meinte Hans-Joachim. »Er behandelt seine Frau mit Höflichkeit und Nachsicht. Aber sie geht über ihn hinweg, als wäre er ein dummer Junge. Es war manchmal beinahe peinlich. Ohne sich zu genieren, flirtete sie mit den jüngeren Kollegen, die an der Tagung teilnahmen. Eine sehr patente Kollegin nannte sie die Tigerin. Ich gebe zu, dass das eine ganz treffende Bezeichnung ist.«

»Armer Dr. Brixen«, erwiderte Andrea halb im Scherz, halb im Ernst. »Tiger sind selbst dann noch unberechenbar, wenn man meint, dass man sie gezähmt hat.«

»Es mag zum Teil daran liegen, dass sie sehr reich ist. Sie hat von ihrem Vater ein beträchtliches Vermögen geerbt und lässt ihren Mann ständig fühlen, dass sie auf seine Einkünfte als Tierarzt durchaus nicht angewiesen ist.«

»Wenn sie finanziell unabhängig ist, könnte er sie doch an die frische Frühlingsluft setzen – seine Tigerin«, schlug Andrea vor.

»Du vergisst das Kind.«

»Ja, richtig, das Töchterchen. Außerdem soll es ja vorkommen, dass ein Mann gerade die Frau liebt, die ihn miserabel behandelt.«

Hans-Joachim schüttelte den Kopf. »Was du so alles weißt!«

»Ich bin kein Schulkind mehr, mein Lieber. Nach und nach bin sogar ich erwachsen geworden. Wer weiß, was für eine unselige Beziehung zwischen Dr. Brixen und seiner Frau in Wahrheit besteht. Grübeln wir nicht länger darüber nach, sondern gehen wir endlich schlafen. Ich bin müde, und du musst ebenfalls ziemlich angestrengt sein nach der langen Fahrt im Wagen.«

Der Tierarzt leerte sein Weinglas und verschloss die Haustür. Ein letzter kurzer Besuch des Ehepaares galt dem schlafenden Jungen in seinem Kinderbett. Der kleine Blondkopf seufzte einmal im Schlaf, und Andrea zog die Bettdecke liebevoll glatt.

Etwa eine Viertelstunde später erlosch auch im Schlafzimmer des Tierarztes das Licht. Die Nacht sank über das Anwesen. Mensch und Tier hatten sich zur Ruhe gelegt.

*

Senta Brixen saß am Steuer des aufwendigen Sportwagens und fuhr diesen, wo immer sich eine Möglichkeit ergab, voll aus. Dr. Martin Brixen lehnte etwas ermüdet neben ihr im Beifahrersitz. Seine Hand spielte nervös mit dem Sicherheitsgurt. Er war mit der Fahrweise seiner Frau nicht einverstanden, weil sie zu viel riskierte. Doch da er keinen Streit wollte, schwieg er.

»Die Tagung war langweilig«, stellte die schöne Frau jetzt geringschätzig fest. »Warum so etwas veranstaltet wird, ist mir schleierhaft.«

»Für mich und die Kollegen waren die Vorträge aufschlussreich und interessant. Die Wissenschaft schreitet ständig fort. Man muss sich auf dem Laufenden halten.«

»Als ob die Tiermedizin von so großer Bedeutung wäre«, spöttelte Senta. »Ist es denn wichtig, ob ein Kanarienvogel oder eine Kuh die Masern übersteht oder nicht? Ich weiß natürlich nicht, ob Vögel und Kühe Masern bekommen können. Es soll nur ein Beispiel sein.«

Der Tierarzt strich sich über die Stirn. »Es hat keinen Zweck, wenn wir darüber diskutieren, Senta. Du hältst meinen Beruf für überflüssig und nutzlos. Es wird mir auch heute nicht gelingen, dich vom Gegenteil zu überzeugen. Tiere bedeuten dir nichts. Du wirst niemals einsehen, dass sie einen wichtigen Platz in unserer Weltordnung haben, nicht anders als Menschen, Blumen, Wasser und Luft.«

»Tiere sind meistens schmutzig, riechen schlecht und übertragen ansteckende Krankheiten«, dozierte Senta ungerührt. »Na, lassen wir das. Es ist nun einmal dein Hobby, und du wirst dich nicht ändern. Wenigstens habe ich mir während der Tagung einmal ein bisschen Großstadtluft um die Nase wehen lassen können. In unserem armseligen Nest versauert man nach und nach gänzlich.«

Das war Sentas ständiges Klagelied. Sie konnte sich auch nach sechsjähriger Ehe nicht damit abfinden, dass sie mit ihrem Mann in einem kleinen ländlichen Ort lebte, wie es die ausgedehnte Landpraxis ihres Mannes nun einmal mit sich brachte.

Martin Brixen hatte sich angewöhnt, nichts zu entgegnen, wenn Senta in einer solchen Stimmung war. Er litt darunter, dass seine Ehe mit dieser bildschönen Frau nicht glücklich geworden war. Ihre Unzufriedenheit quälte ihn, und ihre Vorwürfe verletzten ihn mehr, als er vor sich selber zugeben mochte.

Senta war von ihrem Vater sehr verwöhnt worden. Alles, was sie sich gewünscht hatte, hatte sie von dem verwitweten Fabrikanten erhalten. Nach dessen Tod hatte sie sehr viel Geld geerbt. Für Martin Brixen war es wie ein Wunder gewesen, dass das exzentrische Mädchen seine Zuneigung erwiderte und ihn allen anderen Verehrern vorgezogen hatte. Manche Leute hatten allerdings genau wissen wollen, dass Senta unberechenbar, unstet und für eine Ehe völlig ungeeignet sei. Doch der zu dieser Zeit schon mehr als dreißig Jahre alte Tierarzt hatte sich nicht warnen lassen. Er war felsenfest überzeugt gewesen, dass er in Senta die Frau seines Lebens gefunden habe. Sie war zärtlich und verspielt gewesen wie eine junge Katze, hatte seinen Beruf romantisch gefunden und sich dafür begeistert, auf dem Land zu leben. Sie hatte ihm versichert, dass sie die Großstadt mit ihrem hektischen Getriebe hasse und von einer Idylle an der Natur träume. Damals hatte sie wohl selbst geglaubt, dass dies alles die Wahrheit sei.

Verlobung und Hochzeit waren rasch aufeinandergefolgt. Senta – leidenschaftlich verliebt – war mit einer Trauung in aller Stille einverstanden gewesen und hatte sich in den ersten Monaten ihrer Ehe intensiv damit beschäftigt, aus dem schlicht eingerichteten Haus Martin Brixens ein Domizil im englischen Landhausstil zu machen. Sie hatte antike Möbel gekauft, mit Innenarchitekten verhandelt, kostbare Gardinenstoffe bestellt und war glücklich gewesen, als sich ein Zimmer nach dem anderen nach ihren Vorstellungen verwandelt hatte. Dabei hatte sie wirklich einen guten Geschmack bewiesen. Das Innere des Doktorhauses war bildschön geworden, und ihr Mann war mit allem, was sie unternommen hatte, voll und ganz einverstanden gewesen.

Ein wenig verwundert hatte er dann festgestellt, dass Senta nicht an ein Kinderzimmer gedacht hatte. Ja, sie war ein wenig bestürzt gewesen, als sich die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft schon bald bemerkbar gemacht hatten.

Heute musste sich Martin Brixen eingestehen, dass seiner Frau das Töchterchen unerwünscht gewesen war. Nur zögernd und ungern hatte sie einen kleinen Raum im oberen Stockwerk des Hauses als Kinderzimmer hergerichtet. Und als Maja zur Welt gekommen war, hatte sie das Baby der alten Hermine Steiner überlassen, die neben der Küche zwei kleine Zimmer bewohnte und den Haushalt des Doktors seit vielen Jahren gewissenhaft betreute.

»Jetzt haben wir es bald«, erklang Sentas Stimme in die Gedanken des Tierarztes hinein. »Hoffentlich hat Hermine alles in Ordnung gebracht und für das Abendessen gesorgt. Findest du nicht, dass sie allmählich etwas zu alt wird, Martin?«

»Wo sollte die gute Hermine hingehen, wenn wir sie nicht bei uns behalten, Senta? Vielleicht müssten wir daran denken, ihr eine Stundenhilfe zur Unterstützung zu verschaffen. Trennen möchte ich mich von Hermine nicht. Das wäre auch für Maja ziemlich einschneidend. Das Kind hängt mit großer Liebe an ihr.«

»Maja würde sich auch an eine andere Wirtschafterin gewöhnen. Bei dir dreht sich immer alles um das Kind.« Senta sagte es in vorwurfsvollem Ton.

»Lassen wir es, wie es ist«, entgegnete Martin Brixen mit Bestimmtheit. »Hermine versteht sich mit Tieren ganz gut. Sie geht mir ab und zu in der Praxis zur Hand. Ich kann auf ihre Hilfe nicht verzichten. Sie ist ja auch erst sechzig Jahre alt.«

»Meine Wünsche sind dir wieder einmal höchst gleichgültig«, stellte Senta kühl fest. »Aber ich füge mich natürlich.«

Wieder war die Spannung zwischen den Ehepartnern fast mit den Händen zu greifen. Senta presste die Lippen aufeinander und nahm die Abfahrt von der Autobahn in einer so scharfen Kurve, dass die Reifen auf dem Beton quietschten.

Martin Brixen gab sich Mühe, seinen aufwallenden Ärger zu unterdrücken, denn er wollte sich nun auf das Wiedersehen mit seinem Töchterchen einstellen.

Die letzten acht Kilometer der Fahrt legten die beiden zurück, ohne noch ein Wort miteinander zu wechseln. Dann tauchte das Haus des Landarztes zwischen dicht belaubten Bäumen auf. Ein kleines Mädchen mit schulterlangem Haar und großen grauen Augen rannte dem Wagen entgegen.

Senta Brixen bremste scharf. »Pass doch auf«, schalt sie. »Ich hätte dich überfahren können.«

Majas feines Gesicht umschattete sich. Ihre Unterlippe zitterte verräterisch.

»Ich …, ich habe mich so gefreut, dass ihr kommt, Mutti«, kam es unsicher aus dem Kindermund.

»Trotzdem kannst du dich vernünftig wie ein großes Mädchen benehmen«, äußerte die Mutter ungerührt. »Wir waren doch nur fünf Tage weg.«

»Es war sehr lange, Mutti«, seufzte das Kind und ging auf die andere Seite des Wagens, um seinen Vater zu begrüßen.

Martin Brixen stieg aus und hob Maja auf seine Arme. »Recht hast du, Majalein«, antwortete er zärtlich. »Mir ist die Zeit auch schrecklich lang geworden. Du hast mir sehr gefehlt.«

Maja schlang die weichen Ärmchen um den Hals ihres Vaters. »Telefonieren ist ganz schön«, meinte sie. »Aber mir gefällt es besser, wenn ihr ganz bei mir seid. Du, Vati, ich war bei Herrn Brauner und habe nach dem kranken Pferd geschaut. Es geht ihm schon viel besser. Aber du sollst morgen noch einmal vorbeikommen, weil das Pferd nicht richtig frisst.«

»Hast du mich würdig vertreten?«, erkundigte sich Martin Brixen und stellte Maja wieder auf ihre festen Beinchen.

»Das kann ich nicht, Vati«, entgegnete das Kind ernsthaft. »Aber ich wollte wissen, wie es dem Pferd jetzt geht.«

»Maja sollte sich nicht immer in fremden Ställen herumtreiben«, schalt Senta. »Solche Krankheiten können ansteckend sein.«

Ihr Mann wollte etwas einwenden, doch nun erschien Hermine Steiner vor dem Haus.

Die Haushälterin war eine zierliche Frau mit grauem Haar und lebhaften gütigen Augen von erstaunlicher Klarheit. »Willkommen daheim«, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit.

Martin Brixen reichte ihr die Hand, während Senta ihr nur zunickte. »Ja, es ist gut, wieder hier zu sein«, meinte der Tierarzt zufrieden. »Nein, nein, die Koffer dürfen Sie nicht tragen, Hermine. Das ist meine Angelegenheit.«

»Wollen Sie mich schon zum alten Eisen tun, Herr Doktor?«, fragte Hermine und zwinkerte dazu mit den Augen.

Der Doktor überließ ihr die schweren Koffer trotzdem nicht, sondern transportierte sie selbst ins Innere des Hauses. Seine Frau fuhr den Wagen in die Garage, in der sich noch ein zweites Auto befand, ein robuster Mittelklassewagen. In diesem pflegte Martin Brixen seine Fahrten über Land auszuführen, während seine Frau den Sportwagen benutzte, mit dem sie auch oft weite Ausflüge unternahm.

Maja wich nicht von der Seite ihres Vaters. Sie jubelte in kindlicher Freude auf, als er ihr ein Mitbringsel überreichte.

»Herr Dr. Friedrich hat alle kranken Tiere behandelt, solange du weg warst«, sagte sie altklug. »Aber Herr Brauner ist froh, dass du nun wieder da bist. Und ich bin auch froh.«

»Der Kollege Friedrich war so nett, mich zu vertreten. Er hatte einen ziemlich weiten Weg und musste doppelt so viel arbeiten während meiner Abwesenheit, Majalein. Vielleicht hat er sich bei Herrn Brauner nicht so viel Zeit genommen wie ich. Aber das darf man ihm wirklich nicht übel nehmen.«

Maja legte ein Fingerchen an die niedliche Nase. »Wir müssten auch so ein hübsches Pferd haben wie Herr Brauner«, äußerte sie etwas unvermittelt. »Es gibt doch den unbenutzten Stall im Garten. Für ein Pferd oder für ein Pony wäre sicherlich Platz darin.«

Martin Brixen legte die Hand auf Majas Schulter. »Mutti würde wahrscheinlich nicht einverstanden sein«, erklärte er mit gesenkter Stimme.

»Pferde sind sehr sauber«, behauptete Maja mit hellem Stimmchen. »Mutti mag bloß schmutzige Tiere nicht.«

»Du kannst sie ja fragen, Kind. Aber du musst auch bedenken, dass ein Pferd eine Menge Arbeit macht. Es muss gut versorgt werden.«

Maja holte tief Atem. »Ich würde mein liebes Pferd bestimmt immer füttern«, versicherte sie.

Martin Brixen wechselte rasch das Thema. Er kannte Sentas Antwort im Voraus und wollte Maja die Enttäuschung ersparen.

Geschäftig lief Hermine hin und her, um letzte Hand an den Abendbrottisch zu legen. Sie hatte eine Wildpastete vorbereitet, zu der sie einen leckeren Salat reichen wollte. Es war auch für Maja mit aufgedeckt, was Senta zu einer kritischen Bemerkung veranlasste.

»Es ist viel zu spät für Maja, Hermine.«

»Aber ich habe mittags geschlafen, Mutti«, bettelte das Kind scheu.

»Meinetwegen«, entschied die Mutter missmutig. »Irgendetwas musst du ja essen, ehe du ins Bett gehst. Aber ich bitte mir aus, dass du dann sofort gute Nacht sagst. Sonst bist du morgen früh unausstehlich.«

Maja nickte eifrig. »Ja, Mutti, gleich nach Tisch gehe ich nach oben.«

Der Hausherr holte eine Flasche Wein aus dem Keller. Dann begann die erste Mahlzeit in den eigenen vier Wänden. In dem stilvoll eingerichteten Esszimmer mit den schönen Mahagonimöbeln saßen die Eltern mit ihrem entzückenden Töchterchen beisammen. Doch das Glück fehlte.

Dr. Martin Brixen fragte sich insgeheim, ob sein Freund Dr. von Lehn wohl bemerkt habe, wie es um seine Ehe stand. Würde Senta denn nie zur Ruhe kommen?

»Darf ich einen ganz kleinen Schluck von deinem Wein kosten, Vati?«, bettelte Maja. »Er sieht so schön dunkelrot aus.«

»Einen winzigen Schluck, Maja. Aber nicht mehr. Der Wein wird dir wahrscheinlich gar nicht schmecken.«

Maja ergriff das Glas und nahm ein Schlückchen. »Nein«, stellte sie enttäuscht fest, »er schmeckt nicht gut.«

»Was für ein Unsinn«, mischte sich Senta ein und zog die Brauen ärgerlich zusammen. »Du hast doch deinen Orangensaft, Maja. Immer musst du etwas Besonderes verlangen. Und Vati geht auch noch darauf ein. Dass Wein nichts für Kinder ist, sollte sogar ein Tierarzt wissen.«

»Maja hat ja nun ausprobiert, dass Fruchtsaft besser schmeckt als Wein«, erklärte Martin geduldig und sich zur Freundlichkeit zwingend. »In manchen Dingen ist es am besten, wenn man seine eigenen Erfahrungen sammelt.«

»Deine Erziehungsprinzipien sind haarsträubend«, rief Senta gereizt aus. »Bist du jetzt endlich fertig, Maja? Es ist viel zu spät für dich.«

Maja verzehrte eilig den Rest ihres Salats und trank ihren Saft aus. Dann stand sie auf, ging zum Stuhl ihrer Mutter und streckte die Arme aus.

»Gute Nacht, Mutti. Kommst du noch nach oben zum Beten?«

»Ich bin heute zu müde, Kind. Hermine kann mit dir beten.« Senta strich flüchtig über Majas Haar und nahm von der liebevollen Geste des kleinen Mädchens, das die Mutter umarmen wollte, keine Notiz.

»Ich finde, du solltest doch hinaufgehen, Senta«, sagte Martin. »Maja hat sich auf dich und mich gefreut.« Er wandte sich an das Kind. »Falls Mutti wirklich zu müde sein sollte, werde ich zu dir kommen, Majalein.«

Die Augen der Kleinen leuchteten auf. Sie trat zum Stuhl ihres Vaters, der sich zu ihr niederbeugte, sodass sie ihn umarmen und küssen konnte.

»Gute Nacht, kleine Maus. Schlaf gut und träume etwas Süßes.«

Maja lief in die Küche, um Hermine abzuholen, die ihr das Wasser in die Wanne einlaufen lassen und sie gründlich abseifen sollte.

»Wir sollten wenigstens vor dem Kind der gleichen Meinung sein«, sagte Senta ärgerlich. »Du nimmst niemals Rücksicht auf das, was ich für richtig halte.«

Der Tierarzt füllte sein Glas neu und leerte es auf einen Zug. Er fand, dass es sinnlos war, auf diesen Vorwurf zu antworten. Musste Maja nicht ohnehin fühlen, dass die Ehe ihrer Eltern nur noch auf dem Papier existierte?

Senta hob die Tafel auf und sah achselzuckend zu, wie ihr Mann Teller und Gläser in die Küche trug, um Hermine auf diese Weise ein wenig zu helfen. Sie selbst fand das unnötig und übertrieben. Stattdessen ging sie ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein.

Nach Verlauf einer Viertelstunde fragte Martin, ob sie nun bereit sei, zu Maja hinaufzugehen.

»Nein, Martin. Störe mich jetzt bitte nicht.«

Die eindeutige Ablehnung wirkte auf den Mann fast wie ein körperlicher Schmerz. Er wusste, Senta liebte ihr Kind nicht. Ein Fernsehfilm war ihr wichtiger als ein Gutenachtkuss von den weichen Lippen der kleinen Maja. Er musste es hinnehmen und sich damit abfinden. Hatte er denn erwartet, dass sich innerhalb von fünf Tagen etwas ändern würde?

Mit seltsam schweren Knien stieg er die Treppe hinauf. Maja kletterte eben ins Bett. Hermine war dabei, im Bad für Ordnung zu sorgen, denn der kleine Wildfang hatte tüchtig geplanscht.

»Ist Mutti müde?«, fragte Maja leise.

»Ja, sie hat das Auto die ganze Zeit selbst gefahren. Jetzt möchte sie sich ausruhen. Sie lässt dich schön grüßen, Majalein.«

»Kannst du sie fragen, ob ich ein Pferd haben darf?«

Das hatte Maja also nicht vergessen.

»Ich bin sicher, dass Mutti es nicht möchte, Maja«, erwiderte der Tierarzt schweren Herzens. »Es ist besser, wenn wir gar nicht erst darüber sprechen. Sie ärgert sich bloß.«

»Oder ein Pony?«, versuchte Maja es noch einmal. »Auf dem Gut, wo du die Ferkel impfen musstest, hatten die Kinder sogar zwei Ponys und einen kleinen Kutschwagen dazu. Aber mir würde eins genügen. Bestimmt.«

»Es lässt sich nun einmal bei uns schwer einrichten, Maja«, gab der Vater leise zurück. »Du musst auch bedenken, dass unsere Hermine nicht mehr die Jüngste ist. Wir können ihr nicht zumuten, auch noch für ein Pony zu sorgen.«

»Bin ich zu klein, um es selber zu tun, Vati?«

»Ja, ein bisschen größer müsstest du schon sein, Maja. Mit fünf Jahren kann man noch keinen schweren Wassereimer tragen. Auch könntest du das Pony nicht halten, falls es einmal weglaufen wollte.«

»Schade, dass Mutti keine Tiere leiden mag«, seufzte Maja auf. »Aber es lässt sich halt nicht ändern. Vielleicht kriege ich doch einmal ein Pony oder ein Pferd, wenn ich groß bin.«

»Vielleicht, mein Kleines. Wenn man sich etwas so recht von Herzen wünscht, geht es am Ende auch in Erfüllung. Nur Geduld muss man haben. Viel, viel Geduld. Und jetzt falte deine Händchen, damit wir beten können.«

Maja legte die Finger zusammen und sprach ihr Abendgebet. Martin Brixen wurde das Herz weit. Aus ganzer Seele betete er mit. Wie eine Erleuchtung kam der Entschluss über ihn, um des Kindes willen zu versuchen, seine verfahrene Ehe aufrechtzuerhalten.

»Amen, gute Nacht. Und gib Mutti einen Kuss von mir«, schloss Maja unbekümmert.

»Ja, Kleines, das will ich tun. Schlaf recht gut. Es ist ziemlich spät heute geworden.«

»Ich bin trotzdem nicht müde, Vati. Weil ich mich nämlich freue, dass ihr endlich wieder zu Hause seid.«

Martin Brixen küsste die klare Stirn des Kindes und atmete den Duft von Gesundheit und Unschuld wie etwas besonders Köstliches ein. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, war der Fernseher ausgeschaltet und Senta legte eben den Telefonhörer auf.

»War es ein Anruf für mich?«, fragte er.

Senta schüttelte den Kopf. »Es war – eine falsche Verbindung«, kam es etwas zögernd über ihre Lippen. »Dass die Leute immer nicht richtig wählen können.« Sie kehrte zum Fernseher zurück, um ihn von Neuem einzuschalten.

Martin Brixen beobachtete seine Frau mit einer ihn selbst befremdenden wachen Aufmerksamkeit. Er sah ihr schönes, eigenwilliges Profil, die hinreißende Linie ihres Nackens und erkannte, dass er ihr noch immer zugetan war.

Ich werde niemals von ihr loskommen, dachte er betroffen. Sie quält mich, und sie lebt ein eigenes Leben, von dem ich nichts weiß. Maja ist für sie nur ein lästiges Anhängsel, aber trotzdem wird sie von dem Kind geliebt. Wie soll das weitergehen? Der Tag, an dem Maja nachzudenken beginnen und mich fragen wird, warum ihre Mutter sie nicht liebt, wird kommen.

Martin nahm auf die flimmernden Bilder auf dem Bildschirm keine Rücksicht und sagte ziemlich laut: »Maja hat mir liebe Grüße an dich aufgetragen, Senta. Sie ist glücklich, dass sie uns wieder zu Hause hat.«

Senta gab keine Antwort, sondern griff nach einer Zigarette aus dem stets bereitstehenden Silberkasten. Höflich versorgte Martin sie mit Feuer. Er bemerkte, dass ihre Hand zitterte. War es noch die Anstrengung der langen Autofahrt, oder hatte ihre heimliche Erregung etwas mit jenem Telefongespräch zu tun?

*

Die kleine Maja lebte trotz der Schwierigkeiten in der Ehe ihrer Eltern in einer heilen Welt. Die Mutter kümmerte sich zwar nur wenig um das Kind, aber Maja war von der getreuen Hermine Steiner stets liebevoll umsorgt. Außerdem ließ Martin Brixen sein Töchterchen weitgehend an seiner segensreichen Arbeit als Tierarzt teilnehmen. Die Kleine durfte oft in der Praxis zuschauen, wenn kleinere Eingriffe durchgeführt wurden oder wenn ein erkranktes Tier mit Salben, Verbänden, Injektionen und Bestrahlungen behandelt werden musste. Das Kind hatte die Liebe zu den Tieren vom Vater geerbt und fand zu jedem der Patienten auf dem glatten, weißen Untersuchungstisch sofort ein vertrauensvolles Verhältnis. Mit sanfter Stimme redete es einem ängstlich piepsenden Meerschweinchen tröstlich zu und streichelte mit vorsichtigem Fingerchen das gesträubte Fell einer verschreckten Katze, die meinte, es solle ihr ans Leben gehen. Auch durfte Maja ihren Vater häufig auf seinen Fahrten zu den Höfen und Gütern in der Umgebung begleiten und zusehen, wenn er das erkrankte Vieh untersuchte und behandelte.

Für Martin Brixen war Maja auf diese Weise zu einer kleinen Kameradin geworden, mit der er manchen Fall ernsthaft diskutierte und deren Meinung er sogar hin und wieder einholte.

Dass die Mutter für ihr Kind nicht viel übrig hatte, bemerkte Maja nicht. Sie öffnete Senta immer wieder ihr Herz und war überzeugt, dass ihre gläubige Kinderliebe von der Mutter erwidert werde. Noch war es Martin Brixen gelungen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten, denn auch die alte Hermine enthielt sich weise jeder Kritik an ihrer Herrin.

Es war an einem etwas trüben Morgen, als Senta und Maja ziemlich verspätet gemeinsam am Frühstückstisch saßen. Martin war schon vor sechs Uhr weggerufen worden. Ein Rennstallbesitzer hatte den Tierarzt alarmiert, weil eines seiner wertvollsten Pferde an lebensgefährlichen Koliken litt.

»Noch ein Brötchen, Maja?«, fragte Senta, indem sie für sich selbst ein zweites aus dem Korb nahm.

»Ja, bitte, Mutti. Ich habe heute Hunger.«

Senta schnitt ihrer kleinen Tochter das knusprige Brötchen auf und bestrich es mit Butter und Honig.

»Danke, Mutti. Glaubst du, dass Vati das kranke Rennpferd gesund machen kann? Koliken können sehr gefährlich sein.«

»Davon verstehe ich rein gar nichts, Maja. Aber ich denke schon, dass Vati die richtige Medizin für das Pferd weiß. Sag mal, willst du heute mit mir in die Stadt fahren? Ich möchte mir ein neues Kleid kaufen, und du könntest auch etwas gebrauchen.«

»Au fein, Mutti. Ich fahre gern mit deinem schicken Auto. Am liebsten möchte ich Jeans haben. Kaufst du mir hellblaue?«

Senta zog ein unzufriedenes Gesicht. »Dass du immer in Hosen herumlaufen willst wie ein wilder Junge. Einmal muss doch ein richtiges Mädchen aus dir werden.«

»Ein Junge bin ich nicht«, widersprach Maja der Mutter fröhlich. »Aber ich mag Jeans, weil man darin gut klettern und toben kann.«

»Wir werden sehen, Maja. Du sollst auch ein paar Kleidchen anprobieren. Vielleicht gefallen sie dir, wenn du dich im Spiegel siehst.«

Maja zog einen winzigen Flunsch. »Na ja – anschauen können wir die Kleider ja. Aber du darfst nicht böse sein, wenn ich sie dann doch nicht mag. Gehen wir auch in eine Konditorei Eis essen?«

»Dazu wird sich wohl auch noch Zeit finden. Ich denke, dass wir sogar über Mittag in der Stadt bleiben. Es ist schon ziemlich spät, und wir wollen doch alle Schaufenster in Ruhe anschauen.«

Maja strahlte. »Ich freue mich, Mutti. Es ist schrecklich lange her, dass du mich einmal mitgenommen hast.«

Das kleine Mädchen verzehrte in glücklichster Stimmung sein Brötchen und trank dazu Kakao. Senta beendete das Frühstück etwas schneller als das Kind und zündete sich zum Abschluss eine ihrer starken englischen Zigaretten an, ohne die sie nicht existieren konnte.

Das Telefon unterbrach Majas unbekümmertes Geplauder. Senta sprang auf und eilte mit langen Schritten ins Wohnzimmer, um den Hörer abzunehmen.

Ein wenig betroffen blieb Maja am Tisch sitzen. Sie hörte von nebenan gedämpft die Stimme ihrer Mutter, die froh und aufgeregt klang.

»Also – in einer halben Stunde. Für dich habe ich immer Zeit.« Das war so laut, dass Maja es verstehen konnte.

Nun erschien die Mutter wieder im Esszimmer. Ihre großen Augen leuchteten. Es war, als sei sie plötzlich verwandelt.

»Wir fahren heute nicht in die Stadt«, erklärte Senta. »Mir ist etwas dazwischengekommen. Geh nach oben in dein Zimmer und spiele.«

Maja war bitter enttäuscht. Ihre Unterlippe schob sich nach vorn und zitterte verräterisch. »Du hast mir doch versprochen, dass du mit mir fährst, Mutti«, bettelte sie mit unglücklichem Gesichtchen.

»Ich wollte ja auch. Aber nun geht es leider nicht. Daran ist nichts zu ändern. Mache bitte kein großes Theater deswegen. Du hast doch das Telefon gehört, nicht wahr? Ich muss jetzt etwas erledigen.«

Maja schluckte mehrmals. »Ich …, ich nehme auch ein Kleid, wenn du es willst, Mutti«, verlegte sie sich auf einen Handel.

»Wir fahren nicht. Nun quengele bitte nicht herum wie ein Baby. Du hast oben die schönsten Spielsachen, und du kannst später auch bei Hermine in der Küche zusehen, wie sie kocht.«

»Aber wir wollten in der Stadt zu Mittag essen«, wandte Maja ein, die noch immer hoffte, ihre Mutter umstimmen zu können.

»Du bist richtig dumm«, fuhr Senta ungeduldig auf. »Wenn wir nicht fahren, können wir auch nicht in der Stadt essen. Ich will jetzt nichts mehr davon hören, sonst darfst du überhaupt nicht mehr mitkommen. Ich kann deine Sachen auch ohne dich aussuchen.«

Maja senkte das Köpfchen und schwieg. Ihre Mutter verließ den Raum und lief die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, wo sie ihren Schrank aufriss und sich für ein dunkelrotes Leinenkleid entschied, das ihre aparte Erscheinung auffällig unterstrich.

Obwohl Senta erst vor einer knappen Stunde aus dem Bad gekommen war, unterzog sie ihrer Frisur und ihrem Make-up jetzt einer genauen Kontrolle. Um ihren Mund spielte dabei ein Lächeln. An ihr Töchterchen verschwendete sie keinen einzigen Gedanken mehr.

Wegen des trüben Wetters nahm Senta ein leichtes Kopftuch und ihren hellen Regenmantel. Im Vorbeigehen teilte sie Hermine mit, dass sie ein wenig spazieren gehen wolle.

»Das Essen wie immer um ein Uhr, Hermine.«

»Ja, Frau Brixen. Es könnte übrigens Regen geben«, antwortete die Haushälterin ruhig. »Nehmen Sie lieber einen Schirm mit.«

»Das wollte ich sowieso. Maja spielt in ihrem Zimmer. Auf Wiedersehen, Hermine.«

Wohin sie nur so eilig gehen will, fragte sich die lebenskluge alte Frau in Gedanken. Es war die gleiche Frage, mit der sich auch Maja beschäftigte. Das Kind stand am Fenster des Wohnzimmers und sah die Mutter aus dem Haus gehen. Nein, das Auto holte sie nicht aus der Garage. Komisch, sonst fuhr sie doch immer mit dem Wagen.

Wenn sie spazieren gehen will, könnte sie mich doch mitnehmen, überlegte die Kleine weiter und fasste einen Entschluss. Sie schenkte dem verhangenen Himmel keine Beachtung, sondern huschte geräuschlos durch die Haustür ins Freie, als ihre Mutter eben den schmalen Weg zum Gemeindewäldchen einschlug.

Maja hatte gerade in diesem Gelände ihr bevorzugtes Spielrevier. Sie überlegte eine Sekunde, dann lief sie um das Haus herum, um die Abkürzung durch den Ort zu benutzen. Sie wollte herausfinden, wohin ihre Mutter ging und warum die versprochene Fahrt in die Stadt so plötzlich unterbleiben musste.

Vielleicht ist es ein Geheimnis, dachte Maja, während sie so schnell wie möglich die Straße entlanglief. An der Schule musste sie links abbiegen und dann über den Hof von Bauer Brauner gehen, dessen Viehkoppel unmittelbar an das Gemeindewäldchen angrenzte. Ein paar erste Tropfen fielen, doch Maja achtete nicht darauf.

»Hallo, Maja. Willst du zu mir?«, fragte Herr Brauner von der offenen Tenne her.

»Nein, in den Wald«, rief Maja zurück und rannte weiter.

Wenig später schob sie sich zwischen den Gatterstäben der Viehkoppel hindurch. Schon von der Wiese her, wo sie von den weidenden Kühen ebenso wenig Notiz nahm wie diese von ihr, sah sie das rote Auto. Da dürfen doch gar keine Autos fahren, stellte sie bei sich fest. Jemand von hier ist das bestimmt nicht.

Nun erreichte Maja das zweite Gatter. Das fremde rote Auto parkte nur wenige Meter entfernt davon. Die Kleine wollte sich eben durch die Lücken zwischen den verwitterten Holzstangen gleiten lassen, als sie jäh erstarrte.

In dem roten Wagen saßen zwei Personen. Ihre Mutti und ein fremder Mann. Der Mann hatte dunkles Haar und trug eine graue Jacke. Mehr konnte Maja nicht erkennen, denn der Mann wandte ihr den Rücken zu. Was sie jedoch zutiefst erschreckte, war die wilde, ungezügelte Zärtlichkeit, mit der ihre Mutter und der Fremde einander umarmten und küssten.

Maja wagte kaum zu atmen. Vorsichtig trat sie ein wenig beiseite und verbarg sich hinter einem der mächtigen Pfosten des Gatters. Sie war zwar erst fünf Jahre alt, doch sie wusste sehr genau, dass hier etwas Verbotenes, Heimliches und Böses vor sich ging. Hass gegen den Fremden in dem roten Auto wallte in dem Kinderherzen auf. Zugleich aber konnte Maja die Blicke nicht von dem Paar wenden, denn die liebevollen Gesten ihrer Mutter übten eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie aus.

Zu mir ist sie nie so gut, dachte das Kind auf seinem Lauscherposten. Wie sie lächelt! Wenn sie Vati anschaut, sieht sie ganz anders aus.

Die instinktive Erkenntnis, dass ihre Mutter den fremden Mann liebte, bedeutete für die kleine Maja ein unendlich erschreckendes, schmerzliches Erlebnis. Sie konnte die geflüsterten Worte nicht verstehen, die die Liebenden miteinander sprachen, aber sie spürte, dass da drüben in dem roten Auto etwas vorging, was ihr Leben veränderte.

Es begann jetzt in Strömen zu regnen. Doch das Kind achtete nicht darauf, sondern blickte wie gebannt auf die beiden Menschen in dem roten Wagen. Erst als der Fremde und ihre Mutter sich voneinander lösten, weil es Zeit zum Aufbruch wurde, wurde Maja bewusst, dass sie am Viehgatter des Bauern Brauner stand und nun schnell nach Hause laufen musste.

Plötzlich rannen Tränen über Majas Bäckchen und vermischten sich mit den schweren Tropfen des Sommerregens. Die Kleine gönnte dem roten Wagen keinen Blick mehr, sondern hastete durch das nasse Gras der Koppel. Sie wollte heim, zu ihrem Vati, dem sie ihr kleines übervolles Herz ausschütten wollte.

Es stand für das verstörte Kind fest, dass der geliebte Vati das, was soeben im Gemeindewäldchen geschehen war, sogleich erfahren müsste.

Hermine war in der Diele und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Maja kam. »Aber Kindchen, warum bist du denn nicht im Haus geblieben?«, rief sie aus. »Du siehst aus, als wärst du in den Bach gefallen.«

»Ich zieh mir gleich etwas Trockenes an, Hermine«, stieß Maja außer Atem hervor. »Erst muss ich zu Vati in die Praxis.«

»Nicht so pitschenass«, wandte Hermine besorgt ein.

»Es macht nichts«, behauptete Maja keuchend und huschte durch die rückwärtige Dielentür davon. Auf diesem Weg erreichte man die von den übrigen Räumen des Hauses streng abgegrenzte Praxis des Tierarztes mit dem Wartezimmer und den beiden gut eingerichteten Behandlungsräumen.

*

Dr. Martin Brixen hatte soeben einen äußerst nervösen Rassehund behandelt, der einen verletzten Lauf hatte. Die Wunde war durch einen unglücklichen Zufall infiziert worden. Nun blieb nichts anderes übrig, als den angesammelten Eiter durch einen Schnitt abfließen zu lassen. Der kleine Eingriff war fast schmerzlos. Doch das ängstliche Tier zitterte am ganzen Leib, und seine Besitzerin trug es mit mitleidigen, tröstenden Worten hinaus.

»Kommen Sie bitte auf alle Fälle morgen noch einmal vorbei, Frau Jellinger«, sagte der Doktor freundlich. Dann fiel sein Blick auf Maja, die sich an der Hundebesitzerin vorbeidrängte und mit weit ausgebreiteten Ärmchen auf ihn zustürzte.

Dr. Brixen erschrak ein wenig. Er schenkte Frau Jellinger und dem Hund keine weitere Beachtung mehr und wandte sich Maja zu. »Was ist passiert, mein Kleines?«, fragte er liebevoll und legte die Gummischürze ab, damit er sein nasses Kind in die Arme nehmen konnte. »Bist du bei diesem Wetter unterwegs gewesen? Mutti wollte doch mit dir in die Stadt fahren.«

Maja begann haltlos zu schluchzen. Der Kinderkörper zuckte und bebte.

»Aber Kind, so schlimm kann es doch nicht sein. Bist du gefallen? Hast du dir wehgetan?«

Keine Antwort. Immer noch weinte und jammerte das Mädchen verzweifelt an der Brust des Vaters.

»Du kannst immer zu mir kommen, wenn du Ärger hast, Maja. Aber wenn du mir nicht verrätst, was nun eigentlich los ist, kann ich dir beim besten Willen nicht helfen, mein Liebling. Lass mal sehen.« Er hielt Maja ein wenig von sich ab und inspizierte das verregnete kleine Ding mit aufmerksamem Blick. »Nein, gefallen bist du nicht«, stellte er dann fest. »Hast du dich vielleicht am Kopf gestoßen? Tut es sehr weh?«

»N-n-ein …, gestoßen gar nicht. Es ist nur …«

»Was denn, Kindchen? Schau, da drüben wartet noch ein Herr mit einem kranken Zwergkaninchen auf mich. Dann ist die Sprechstunde zu Ende, und wir können essen. Du musst mir jetzt ganz rasch sagen, warum du so sehr weinst, Majalein.«

Die Tränen der Kleinen versiegten. Eben wollte sie zu einem Bericht ansetzen, da hastete draußen vor dem Fenster der Praxis Senta Brixen unter ihrem aufgespannten Regenschirm vorüber.

Vater und Tochter sahen gleichzeitig hinaus.

»Dann ist Mutti also nicht mit dir in die Stadt gefahren«, sagte der Doktor leise.

Maja hob das Köpfchen. »Nein, Vati, sie wollte nicht. Es ist etwas dazwischengekommen. Deswegen bin ich ja so …, so traurig.«

Martin Brixen war einigermaßen überrascht. Eine fast dramatische Szene wegen einer ausgefallenen Fahrt in die Stadt?

»Und warum bist du völlig durchnässt?«, erkundige er sich freundlich.

Maja sah ihn aus verweinten Augen an. »Weil ich zu lange im Regen war, Vati. Ich …, ich …«

Mit dem kleinen Mädchen war in dem Augenblick, als draußen die Mutter vorbeigegangen war, eine Wandlung geschehen. Mit einer weit über ihre fünf Jahre hinausgehenden Hellsichtigkeit erkannte Maja beim Anblick der eilig und verstohlen heimkehrenden Mutter, dass der Vater von dem, was da draußen im Wäldchen geschehen war, nichts erfahren durfte. Die Kinderlippen bewahrten plötzlich das böse Geheimnis.

»Du hättest zu Hause bleiben sollen, Majalein. Hatte Hermine dir denn erlaubt, fortzulaufen?«

»Ich habe vergessen, sie zu fragen«, gestand Maja und schluchzte dabei noch einmal auf. »Jetzt geh ich nach oben, Vati.«

Martin Brixen sah sein Töchterchen etwas ratlos an. »Ist nun alles wieder gut?«, wollte er wissen.

Maja senkte die Lider. »Ja, Vati, es ist wieder gut«, flüsterte sie.

»Was bist du für ein wunderliches kleines Mädchen«, sagte der Tierarzt mit zärtlichem Vorwurf. »Überlege doch einmal ganz genau, ob du nicht etwas anderes erzählen wolltest.«

Das Kind schüttelte den Kopf. »Nein, Vati. Nur …, nur das …« Mit müden Schritten ging Maja hinaus, auf dem Fußboden noch immer deutliche Schmutzspuren hinterlassend.

Dr. Brixen sah ihr nach. Bis jetzt hatte er sein geliebtes kleines Mädchen immer verstehen können. Doch nun kam Maja ihm auf eine unerklärliche Weise entrückt vor. Vertraute sie ihm nicht mehr voll und ganz? Kam sie schon jetzt in das Alter, in dem auch Kinder ihre Geheimnisse bewahren und den Erwachsenen nicht mehr vollen Einblick gewähren wollten?

Kleine süße Maja. Du sahst so verzweifelt aus, und ich wollte dir so gerne helfen. Hast du mir etwas verschwiegen, dachte der Tierarzt. Es wurde ihm nicht leicht, sich nun auf den Zwerghasen zu konzentrieren, der ihm als letzter Patient des Vormittags vorgeführt wurde. Er stellte fest, dass das hübsche Tierchen total falsch ernährt worden war, und gab dem Besitzer genaue Anweisungen, wie er es in Zukunft zu füttern habe.

Eine halbe Stunde später vereinigte sich die kleine Familie um den Mittagstisch. Hermine trug das Essen auf wie an jedem anderen Tag. Majas Haar war noch feucht. Sie hatte sich umgezogen und saß still auf ihrem Platz.

Senta wirkte lebhaft und heiter. Ihr rotes Kleid ließ den Regen vor den Fenstern fast vergessen. Ihre Augen hatten einen fast fieberhaften Glanz.

»Ich habe keinen Hunger«, sagte Maja leise.

Sentas Stirn umwölkte sich sofort. »Das gibt es nicht«, erklärte sie streng. »Du magst wohl keine Möhren?«

»Doch, Mutti. Sonst schon, aber heute kann ich nichts essen.«

»Lass sie«, legte sich Martin ins Mittel. Er konnte sich vorstellen, dass das Kind durch die Aufregung keinen Appetit hatte. »Man soll Kinder und Tiere nicht zum Essen zwingen.«

»Maja wird wenigstens eine Kleinigkeit essen, und damit basta«, entschied die Mutter und legte etwas auf den Teller des Kindes. Hilfesuchend blickte Maja zu ihrem Vater, doch dieser tat, als bemerke er die stumme Bitte nicht, denn er wollte eine Auseinandersetzung vermeiden.

Das Kind stocherte auf dem Teller herum und steckte ab und zu einen winzigen Bissen in den Mund. Wieder einmal herrschte jene gespannte Stimmung, die Martin Brixen so sehr fürchtete. Hatte es zwischen seiner Frau und Maja Streit gegeben, fragte er sich. Fühlte Maja sich zurückgesetzt und ungerecht behandelt, weil der Ausflug in die Stadt unterblieben war?

»Ihr seid also nicht weggefahren«, meinte er mit betonter Beiläufigkeit an Senta gewandt.

Die schöne Frau hob die Schultern. »Nein, das Wetter war mir gar zu miserabel. Außerdem hatte ich Kopfweh und wollte lieber ein Stück zu Fuß gehen. So wichtig waren die Besorgungen nicht.«

»Maja war ein bisschen enttäuscht, wie es scheint«, fuhr der Doktor fort.

»Es geht nicht immer alles nach ihrer Nase«, erwiderte Senta scharf. »Dass es keinen Spaß macht, bei einem solchen Wetter in der Stadt herumzuspazieren, musst du doch einsehen, Maja.«

Das Kind beschäftigte sich mit einem Stück Fleisch auf seinem Teller und blickte nicht auf.

»Dafür ist unsere kleine Tochter nun hier im Regen unterwegs gewesen«, äußerte Martin sich besorgt. »Hoffentlich hast du dir bei der Gelegenheit keinen Schnupfen geholt, Majalein.«

»Du warst draußen?«, rief Senta aus und sah Maja durchdringend an. »Ich hatte doch ausdrücklich gesagt, dass du im Kinderzimmer spielen sollst. Kannst du denn niemals gehorchen?«

»Es war gar nicht sehr kalt«, verteidigte sich Maja unsicher. »Ich bin längst wieder trocken. Hermine hat die nassen Sachen schon weggeräumt und überhaupt nicht gezankt.«

»Wenn du krank werden solltest, bin ich bestimmt sehr böse auf dich«, drohte die Mutter.

Hermine kam herein, um die Teller zu wechseln und die süße Grießspeise zu servieren. Selbst von dieser wollte Maja nichts haben, und diesmal ließ die Mutter sie gewähren, denn von der Hauptmahlzeit war das meiste auf dem Teller des Kindes zurückgeblieben.

Martin Brixen unterdrückte einen Seufzer und bemühte sich, die gedrückte Stimmung durch eine kleine Episode aus der Praxis aufzuhellen. Doch weder Senta noch Maja hörten allzu aufmerksam zu.

Schließlich sah er auf seine Uhr und stellte fest, dass er sich beeilen musste, wenn er die anstehenden Besuche auf den umliegenden Höfen noch erledigen wollte.

»Möchtest du mit mir fahren, Maja?«, wandte er sich an sein Töchterchen. »Es wird allerdings ein bisschen langweilig für dich werden, weil es überall zeitraubende Behandlungen gibt. Und bei dem Wetter müsstest du meistens im Auto auf mich warten. Aber wenn du Lust hast, nehme ich dich mit.«

Für gewöhnlich gab es nichts, was Maja daran hindern konnte, ihren Vati auf seinen Fahrten zu begleiten. Sie streifte leidenschaftlich gern auf den Gutshöfen umher, kannte sich in den Stallungen aus und schaute mit wacher Aufmerksamkeit zu, wenn ihr Vater kraftvoll und geschickt mit den Tieren umging. So wirkte die Absage des heute so verschlossenen Kindes denn auch recht überraschend auf den Doktor.

»Ich bleibe lieber zu Hause, Vati. Es regnet ja so sehr.«

»Wie du willst, Kleines. Vielleicht ist es wirklich vernünftiger. Leb wohl, Senta. Ich hole mir eben noch eine Tasse Kaffee bei Hermine in der Küche und packe meine Siebensachen zusammen.«

Maja und ihre Mutter blieben allein.

»Bist du fertig? Willst du wirklich keinen Pudding haben?«, fragte Senta, ohne recht bei der Sache zu sein.

»Nein, ich mag nichts.« Die Kinderstimme schwankte von unterdrückten Tränen.

»Dann steh auf, und geh in dein Zimmer. Oder nein, du sollst mir erst erzählen, wo du heute Vormittag warst. Hast du im Regen im Garten gespielt?«

Maja begann zu weinen.

»Was ist los?«, herrschte die Mutter sie an. »Es ist doch kein Grund zu Tränen vorhanden. Du warst ungehorsam und bist durch und durch nass geworden, wie mir scheint. An deinen Haaren kann man es noch sehen.«

Maja schaute auf die Tür, die zur Küche führte. Sie hoffte, dass Hermine hereinkommen und das Gespräch unterbrechen würde. Doch Hermine war damit beschäftigt, für den Hausherrn Kaffee zu machen. So blieb das Kind den drängenden Fragen der Mutter hilflos ausgeliefert.

»Muss ich die Wahrheit sagen?«, stammelte Maja ängstlich.

»Selbstverständlich. Das muss man immer. Ich fürchte, du hast wieder einmal etwas Dummes angestellt. Sag es lieber gleich, ehe wir es von anderer Seite erfahren.«

Maja stand wie eine ertappte Sünderin vor der schönen Frau in dem grellroten Kleid, dessen Farbton dem des fremden Autos glich.

»Nun – was ist? Wo hast du gesteckt?«

»Ich …, ich wollte wissen, wo du bist, Mutti.«

Sentas Wangen färbten sich dunkler. Sie war zornig und sehr erschrocken.

»Bist du hinter mir hergeschlichen?«, fuhr sie auf.

»Nein, Mutti, ich bin durch den Ort gegangen und dann über Brauners Viehkoppel. Ich …, ich habe dich gesehen …, in dem roten Auto und mit dem fremden Mann.«

Der Schlag kam unerwartet und war sehr hart. Maja stieß einen Schrei aus. »Nein, Mutti, bitte nicht!«, flehte die verängstigte Kinderstimme.

Senta schlug noch zweimal zu. Sie war völlig außer sich.

»Damit du dir ein für alle Mal merkst, dass du nicht hinter mir herzuspionieren hast, du ungezogenes kleines Biest. Jetzt wirst du wohl zu Vati gehen und ihm erzählen, ich hätte mich mit einem Freund getroffen. Du bist noch viel zu klein, um zu verstehen, was das alles bedeutet. Weil es niemanden etwas angeht, habe ich nichts davon gesagt. Aber du musst dich natürlich anschleichen und mich belauschen. Schämst du dich denn gar nicht?«

Maja barg das Gesicht in den Händen. Sie war noch nie von ihrer Mutter geschlagen worden und stand nun unter einem regelrechten Schock.

»Ich …, ich wollte gleich zu Vati«, brachte das Kind stockend hervor. »Aber dann konnte ich auf einmal nicht darüber reden. Meinst du nicht, dass er furchtbar traurig wäre?«

»Ach wo, das ist Unsinn. Ich kenne diesen Herrn von früher. Wir hatten einander sehr lange nicht mehr gesehen und freuten uns. Das ist alles, Maja.«

Maja nahm die Hände vom Gesicht. »Ich dachte, du hast ihn sehr lieb, Mutti«, flüsterte sie, kaum verständlich. »Viel lieber als Vati und mich. Du hast so fröhlich ausgesehen. Und du hast ihn geküsst.«

»Das stimmt nicht«, stieß Senta hastig hervor.

In diesem Moment kam der Doktor wieder ins Esszimmer. Er trug seine Bereitschaftstasche schon in der Hand.

»Ich wollte meinen Notizzettel … Ja, was ist denn das? Maja weint? Heute scheinen wir recht nahe am Wasser gebaut zu haben, mein Kleines. Komm einmal zu deinem Vati und sag ihm ins Ohr, wo dich der Schuh drückt.«

Maja schüttelte den Kopf und blieb dort, wo sie war.

Sentas Atem ging sehr rasch. Sie konnte ihre Erregung nicht ganz verbergen.

»Das ist eine Sache, die Maja und ich unter uns auszumachen haben, Martin«, äußerte sie mit Heftigkeit. »Maja war ungezogen.«

»Hast du Mutti um Verzeihung gebeten?«, fragte er sanft und in dem Bemühen, sich nicht gegen Senta zu stellen.

Nun schaute Maja ihn an. In den Kinderaugen stand grenzenloser Schmerz.

»Die Sache ist erledigt«, antwortete Senta an Majas Stelle kühl und mit erzwungener Ruhe. »Wir haben ausgemacht, dass nicht mehr darüber geredet wird. Nicht wahr, Maja?«

Das Kind nickte wortlos.

Martin Brixen hatte den Eindruck, dass er Maja mit weiteren Fragen nur quälen würde. Deshalb nahm er seinen vergessenen Merkzettel vom Esstisch, verabschiedete sich und verließ das Zimmer.

Unmittelbar darauf trat Hermine ein, um abzuräumen. Sie entschuldigte sich, dass es damit so spät geworden war. Maja nutzte die Gelegenheit und huschte wie ein Schatten hinaus.

Senta strich sich über die Stirn und beschloss, noch ein Wort mit Maja zu reden. Sie stieg die Treppe hinauf und fand das kleine Mädchen mit seiner Lieblingspuppe beschäftigt. Scheu blickten die braunen Kinderaugen die Mutter an.

»Du wirst nicht mehr darüber reden?«, fragte Senta leise.

»Nein, Mutti – weil du es nicht willst.«

»Dann ist es gut. Vati würde sich vielleicht aufregen.«

»Ich sage ihm nichts, Mutti. Das verspreche ich dir.«

Senta strich über das noch immer etwas feuchte Haar ihrer kleinen Tochter. »Sind wir wieder Freunde?«, fragte sie etwas burschikos und so, als habe es sich nur um eine Kleinigkeit gehandelt.

Maja nickte, doch über ihre Lippen kam kein weiteres Wort mehr.

*

Tilo Olden wohnte nicht allzu weit von der Tierarztvilla entfernt. Er hatte sich in einem teuren Hotel eingemietet, nachdem es ihm mit einiger Mühe gelungen war, die Verbindung zu Senta Brixen wieder herzustellen. Er kannte sie von früher. Damals hatte ihr Vater noch gelebt, und Tilo war in dessen Haus ein und aus gegangen.

Der gut aussehende junge Mann besaß damals Sentas ganze Zuneigung und ihr volles Vertrauen. Es stand für die noch nicht Zwanzigjährige fest, dass sie diesen und keinen anderen Mann heiraten würde. Doch ihr Vater zog Erkundigungen über Tilo Olden ein und erhielt wenig erfreuliche Auskünfte. Die großspurigen Angaben, die Tilo über seine Tätigkeit als Wirtschaftsmanager gemacht hatte, entbehrten jeder Grundlage. Er hatte eine kaufmännische Ausbildung vorzeitig abgebrochen und spielte den Playboy, weil ihm von einer verstorbenen Großtante ein kleines Vermögen zugefallen war. Es lag auf der Hand, dass er es in erster Linie auf Sentas Mitgift und das später zu erwartende Geld ihres Vaters abgesehen hatte.

Es gab heiße Tränen vonseiten der Zwanzigjährigen und eine Abreise ohne Abschied vonseiten des Bewerbers. Tilo, der seine Felle davonschwimmen sah, ging ins Ausland und ließ nichts mehr von sich hören. Senta trauerte eine Weile um ihn und wendete sich dann anderen Verehrern zu, verlobte sich mehrmals und heiratete schließlich Martin Brixen.

Als der Freund längst vergangener Tage nach so vielen Jahren unerwartet wieder anrief, war es für Senta, als werde das Rad der Zeit zurückgedreht. Sie wusste sofort, dass zwischen ihm und ihr alles noch so war wie früher. Tilo war ihre große Liebe gewesen und würde es bis an ihr Lebensende bleiben.

Sein Anruf hatte Senta veranlasst, sich augenblicklich mit ihm im Wäldchen zu treffen. Weder der drohende Regen noch die bereits getroffene Verabredung mit Maja hatte sie davon abhalten können. Bei der Begegnung in seinem roten Wagen waren dann Worte heißer Zärtlichkeit zwischen Tilo und ihr gefallen.

Wie recht hatte Maja mit ihrer kindlichen Frage, ob sie diesen Fremden mehr liebe als ihre Familie, dachte Senta nun. Dennoch war sie sich bis jetzt nicht darüber im Klaren, welche Zukunftspläne Tilo hatte. Bei der kurzen Begegnung war für nichts anderes Raum gewesen als für das unverhoffte Glück, einander wiederzusehen. Tilo hatte sie geküsst und ihr versichert, dass sie noch genauso jung sei wie damals. Er hatte ihr auch erzählt, dass er in Übersee hart gearbeitet und Erfolg gehabt habe. In der gemeinsamen Heimatstadt habe er dann erfahren, dass sie verheiratet sei. Trotzdem habe er sie wiedersehen wollen. Denn in all den Jahren habe er sie niemals vergessen.

Senta war glücklich. Ihre Ruhelosigkeit hatte endlich ein neues Ziel: Tilo Olden, der sie liebte und immer noch auf sie wartete. Dass sie Martin Brixen auf diese Weise hinterging und sein selbstverständliches Vertrauen missbrauchte, bereitete ihr keine Kopfschmerzen. Ihre Zuneigung zu ihm war längst erloschen wie ein armseliges Strohfeuer. Sie hasste das eingeengte Dasein in dem kleinen Ort, ekelte sich vor den Tieren, ob sie nun krank oder gesund sein mochten, und empfand die Aufgabe, sich Maja zu widmen, als Last.

Bereits nach dem ersten heimlichen Treffen mit Tilo gab Senta sich der Hoffnung hin, dass mit seiner Rückkehr endlich die große Wende in ihrem Leben eintreten werde. Sie wollte frei sein und das Glück, das ihr die Hand hinstreckte, festhalten und in vollen Zügen auskosten.

Senta Brixen suchte an diesem Nachmittag ihr stilvoll eingerichtetes Damenzimmer auf und versuchte Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Tilos Umarmungen und Küsse hatten sie verwirrt. Majas Eingeständnis, dass sie die Liebesszene im Auto belauscht hatte, war ziemlich erschreckend für sie gewesen. Wenigstens für den Anfang durfte Martin nichts erfahren. Sie musste erst herausfinden, ob Tilo sie wirklich so sehr liebte, dass er sie zu seiner Frau machen wollte.

Ich habe ihn nicht einmal gefragt, ob er verheiratet ist, ging es Senta durch den Sinn. Alles schien klar und einfach zwischen uns, aber in Wirklichkeit sind volle zwölf Jahre verstrichen.

Als das Telefon läutete, wusste Senta, dass es nur Tilo sein konnte. Sie sprang auf und lief ins Wohnzimmer, um den Hörer abzunehmen.

»Ja, hier Frau Brixen«, meldete sie sich atemlos.

»Ich bin es, Senta. Störe ich? Der Anruf erscheint mir etwas riskant, weil die Praxis deines Mannes über denselben Anschluss zu erreichen ist.«

»Die Leute wissen, dass mein Mann um diese Zeit unterwegs ist. Wenn es sich nicht gerade um dringende Fälle handelt, rufen sie während der offiziellen Sprechstunden an. Übrigens habe ich gleich gespürt, dass du am Telefon sein musst, Tilo.«

Sein Lachen war wie eine Zärtlichkeit. »Wann sehen wir uns, Senta?«, fragte er drängend. »Die Stunde heute Vormittag im Auto war viel zu kurz. Kannst du mich nicht hier im Hotel besuchen? Es gibt sehr vieles, das wir zu besprechen haben.«

Senta atmete rascher. »Es ist sicher leichtfertig, Tilo, aber ich komme. Mein Mann ist während des ganzen Nachmittags unterwegs.«

»Wir sind erwachsene Menschen, Senta. Ich muss dir hundert Fragen stellen. Niemand darf uns verbieten, uns über die Vergangenheit zu unterhalten.«

Senta lauschte dem raschen Schlag ihres Herzens. Was wollte er sie fragen? Wie stellte er sich die Zukunft vor?

Die schöne Frau, die ständig in dem Glauben lebte, dass sie in der Ehe mit Martin Brixen ihr Glück versäumt habe, eilte ins Schlafzimmer, um das rote Kleid mit einem weißen zu vertauschen. Im Vorbeigehen informierte sie Hermine.

»Ich fahre zu einer Bekannten, Hermine. Achten Sie auf Maja. Zum Abendessen bin ich pünktlich zurück.«

Hermine neigte den Kopf. »Ja, Frau Brixen.« Die treue Haushälterin machte sich über diese Ausfahrt ihrer Herrin keine besonderen Gedanken, denn Senta war ohnehin nur selten daheim. Dass sie jetzt im Begriff stand, Mann und Kind im Stich zu lassen, ahnte Hermine nicht.

Senta holte ihren Wagen aus der Garage und lenkte ihn in zügiger Fahrt in den Kurort, in dem Tilo Olden Quartier genommen hatte. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe, doch der einsamen Fahrerin machte das Wetter nichts aus.

Tilo erwartete sie in der Halle des Hotels und küsste ihr beide Hände.

»Nicht«, sagte Senta ein wenig verlegen. »Wir müssen vorsichtig sein. Durch den Beruf meines Mannes bin ich ziemlich bekannt.«

»Sei nicht so ängstlich«, erwiderte er lachend. »Ich muss doch meiner Freude irgendwie Ausdruck verleihen. Gehen wir nach oben in mein Zimmer?«

Senta zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. »Warum sollte uns ausgerechnet heute Nachmittag jemand sehen?«

Sie benutzten den Lift. In dem eleganten Zimmer waren sie dann zum ersten Mal seit etwas mehr als zwölf Jahren allein. Tilo zog die schöne Frau in seine Arme und küsste sie lange. Senta wollte jetzt nicht daran denken, dass sie verheiratet war und zu Hause ein Kind hatte. Ihr war, als gebe es auf der ganzen weiten Welt nur Tilo Olden und sie selbst.

»Ich liebe dich, Senta«, raunte der Mann ihr ins Ohr. »Es war immer mein Ziel, dich am Ende doch noch zu gewinnen.«

»Du hast dich nicht verheiratet?«

»Nein. Ich blieb allein, weil ich immer an dich dachte. Eine Frau wie dich vergisst man nicht.« Zärtlich glitten seine Finger durch ihr Haar. »Nicht wahr, du liebst mich auch?«, fragte er drängend.

Senta legte die Stirn an seine Schulter. »Ja, Tilo, ich liebe dich. Wenn du willst, gehe ich mit dir bis ans Ende der Welt.« Sie sah nicht den verlebten Zug um den etwas schlaffen Mund des Mannes. Auch den Ausdruck angespannter Wachsamkeit in seinen Augen bemerkte sie nicht.

Tilo legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zu einem Fenstertisch, der für zwei Personen gedeckt war. »Ich habe Tee und Gebäck bestellt«, sagte er leise. »Wir werden jetzt sehr vernünftig sein und über unsere Zukunft reden.«

Senta fühlte ihren Puls klopfen. Vor dem Spiegel im angrenzenden Bad ordnete sie ihr Haar. Ein Mädchen schob einen Servierwagen ins Zimmer und entfernte sich sofort wieder mit höflichem Gruß.

»Wenn wir erst verheiratet sind, werden wir auch so beisammensitzen, Senta«, meinte Tilo lächelnd. »Willst du mir die Tasse füllen? Danke, das ist lieb von dir.«

Sentas Hand zitterte. Sie war sehr aufgeregt und glücklich.

»Zuerst brauche ich die Scheidung, Tilo«, erinnerte sie ihn.

»Du hast mir bis jetzt kein Wort über deinen Mann verraten, Senta. Wird er dir Schwierigkeiten machen? Hält er eine Ehe für unauflöslich?«

Sie machte eine gleichgültige Bewegung. »Martin und ich haben uns völlig auseinandergelebt, Tilo. Wir verstehen uns nicht. Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich ihn geheiratet habe. Ich glaube, dass er mir keinen Stein in den Weg legen wird. Selbstverständlich bin ich bereit, auf das Kind zu verzichten.«

Er lachte ein wenig. »Du hast ein Kind? Das kann ich mir kaum vorstellen. Es passt einfach nicht zu dir, die gute Mutter zu spielen.«

»Damit hast du recht. Ich habe mich auch gegen diese Rolle von Anfang an zur Wehr gesetzt. Maja ist zwar ein niedliches Ding, aber ich mache mir nun einmal nichts aus Kindern. Übrigens hat meine fünfjährige Tochter uns heute Vormittag belauscht.«

»Als wir uns im Wald trafen? Das ist doch nicht möglich.«

»Sie wollte wissen, wohin ich ging. Es hat mich einige Mühe gekostet, sie dazu zu bringen, dass sie ihrem Vater nichts erzählt. Ich habe keine Lust, mir Ärger einzuhandeln.«

Tilo amüsierte sich köstlich. »Ziemlich spannend, finde ich«, stellte er fest. »Jedenfalls würde ich dir raten, die Aussprache mit deinem Mann nicht zu lange hinauszuzögern, sonst nimmt dir das Kind diese Arbeit am Ende doch noch ab, und die Geschichte geht anders aus, als du es dir wünscht.«

Senta nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

»Ich war so wütend auf das kleine Biest«, gestand sie. »Aber vielleicht hat es auch sein Gutes. Ich werde möglichst noch heute oder morgen mit Martin reden.«

Tilo war einverstanden. »Man kriegt heutzutage eine Scheidung im gegenseitigen Einverständnis sehr schnell über die Bühne«, erklärte er. »Ich kann dir einen ausgezeichneten Anwalt in Stuttgart empfehlen. Komplikationen könnten sich höchstes in finanzieller Hinsicht ergeben. Bist du da ausreichend abgesichert?«

Auch jetzt entging es Senta, mit welcher Aufmerksamkeit er sie ansah.

»Martin hat mit meinem persönlichen Vermögen nichts zu tun«, erklärte sie rasch. »Er wollte es so. Es widerstrebte ihm, in irgendeiner Weise von meinem Geld abhängig zu sein.«

»Umso besser. Dann kannst du das, was dir gehört, mitnehmen und brauchst nicht erst einen Krieg darum zu führen.«

»Einen Krieg wird es mit Martin sicherlich nicht geben«, erwiderte Senta. »Er ist nicht der Typ. Das einzige Hindernis könnte Maja sein. Aber da ich ihm von vornherein sagen werde, dass ich auf das Kind in aller Form verzichten werde, wird er Ja und Amen sagen.«