E-Book 211 - 220 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 211 - 220 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 211: Begegnung auf dem Oktoberfest E-Book 212: Wenn die Schwalben wiederkehren E-Book 213: Einmal alles vergessen! E-Book 214: Lasst uns unser Glück! E-Book 215: Kann ein Herz so lügen? E-Book 216: Ich lieb dich immer noch E-Book 217: Liebe lässt sich nicht planen E-Book 218: Liebe auf Umwegen E-Book 219: Ein Leben lang mit dir! E-Book 220: Liebeswahn E-Book 1: Begegnung auf dem Oktoberfest E-Book 2: Wenn die Schwalben wiederkehren E-Book 3: Einmal alles vergessen! E-Book 4: Lasst uns unser Glück! E-Book 5: Kann ein Herz so lügen? E-Book 6: Ich lieb dich immer noch E-Book 7: Liebe lässt sich nicht planen E-Book 8: Liebe auf Umwegen E-Book 9: Ein Leben lang mit dir! E-Book 10: Liebeswahn

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Inhalt

E-Book 211 - 220

Begegnung auf dem Oktoberfest

Wenn die Schwalben wiederkehren

Einmal alles vergessen!

Lasst uns unser Glück!

Kann ein Herz so lügen?

Ich lieb dich immer noch

Liebe lässt sich nicht planen

Liebe auf Umwegen

Ein Leben lang mit dir!

Liebeswahn

Der Bergpfarrer – Staffel 22 –

E-Book 211 - 220

Toni Waidacher

Begegnung auf dem Oktoberfest

Verdient er eine zweite Chance?

Roman von Waidacher, Toni

»Ich glaube, wir müssen los«, drängte Sophie Tappert.

Sebastian Trenker nickte seiner Haushälterin beruhigend zu.

»Keine Sorge, wir werden schon rechtzeitig da sein«, meinte er und schlüpfte in sein Jackett.

Eine große Pflanze im Arm, ging der gute Hirte von St. Johann, begleitet von der Pfarrköchin, wenig später den Kiesweg hinunter. Unten an der Straße warteten schon Claudia und Max. Der Bruder des Bergpfarrers trug heute einmal nicht Uniform, sondern seinen guten Anzug. Seine Frau sah in ihrem geblümten Kleid einfach hinreißend aus.

»Elena und Toni sind schon losgefahren«, erklärte der Polizeibeamte.

»Und wo ist der Kleine?«, wollte Sebastian wissen.

»Daheim«, antwortete seine Schwägerin. »Die Kathi Brandner passt auf ihn auf.«

Der »Kleine« war Claudias und Max’ Sohn, der wie sein Onkel ebenfalls Sebastian hieß. Wollten die Eltern mal einen Abend woanders verbringen, war sonst immer die Haushälterin des Geistlichen erste Wahl als Babysitterin. Aber heute Abend war Sophie Tappert selbst zur feierlichen Eröffnung des umgebauten Wirtshauses eingeladen, und so fuhren sie zu viert ins Nachbardorf, wo Maxi Herlander und Thorsten Horn den »Waldecker Hof«, nach erfolgreicher Renovierung, an diesem Abend mit geladenen Gästen und Freunden eröffnen wollten.

»Ich bin schon ganz gespannt«, sagte Claudia erwartungsvoll.

»Das dürfen wir wohl alle sein«, bemerkte Sebastian und dachte an den Kampf, den Thorsten Horn gegen die Behörden geführt und mit seiner, des Bergpfarrers, Unterstützung schließlich doch noch gewonnen hatte.

Sie erreichten ihr Ziel nach knapp fünfzehn Minuten. Das Wirtshaus lag an der Hauptstraße von Waldeck. Es war hell erleuchtet und strahlte schon von weitem. Etliche Autos standen auf dem Parkplatz, die Gäste versammelten sich zu einem Empfangstrunk im Biergarten, der mit bunten Lampions und Windlichtern festlich geschmückt war.

Die Wirtsleute, Maxi und Thors­ten, standen am Eingang und begrüßten die Gäste.

Die beiden noch recht jungen Leute waren ursprünglich nur auf Stippvisite ins Wachnertal gekommen. Sie stammten beide aus der Gastronomie und hatten sich in einem Hotel kennen gelernt, in dem Thorsten als Koch und Maxi als Hotelfachfrau gearbeitet hatten. Schnell war aus Sympathie Liebe geworden, und wie es häufig in diesen Berufen der Fall ist, zogen sie um die Welt, um neue Betriebe kennen zu lernen und weitere Erfahrungen zu sammeln.

Allerdings taten sie es gemeinsam, denn trennen wollten sie sich nie wieder.

In Irland machten sie dann die Bekanntschaft von Florian Brandner, der dort auf einer Farm arbeitete. Sie freundeten sich schnell an, und als sich ihre Wege wieder trennten, versprachen die beiden Weltenbummler, den Bauernsohn eines Tages in dessen Heimat zu besuchen, wenn er zurückgekehrt war.

Und dieses Versprechen hielten sie tatsächlich.

Bei diesem Besuch machten sie auch die Bekanntschaft Pfarrer Trenkers, mit dem sie eine Bergtour unternahmen. Vor allem Maxi blühte dabei auf. Während Thorsten aus dem Norden Deutschlands stammte, war die junge Frau im Allgäu geboren und aufgewachsen. Und jetzt stellte sich langsam heraus, dass Maxi Herlander im Grunde immer noch an der Heimat und vor allem an den Bergen hing. Gerne wäre sie sesshaft geworden und wenn es möglich wäre, hier im Wachnertal, wo sie sich auf Anhieb wohl fühlte.

Ihr Freund hatte während des Aufenthalts Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen, als Irma Reisinger, die Chefin und Köchin des Hotels »Zum Löwen«, in St. Johann, in ihrer Küche verunglückte und für eine Woche ausfiel.

Eine Katastrophe für das Hotel!

Sepp Reisinger war dem jungen Koch im Nachhinein noch dankbar, dass dieser schnurstracks in die Küche marschiert war und dort das Zepter übernommen hatte.

Es verstand sich von selbst, dass die Reisingers auch an diesem Abend zur Eröffnung eingeladen waren.

»Hochwürden, herzlich willkommen«, sagte Maxi und lächelte strahlend.

Ihr kurzes feuerrotes Haar schien heute noch mehr zu leuchten, als ohnehin schon.

»Ich wünsch euch beiden alles Gute«, erwiderte Sebastian. »Vor allem immer ein volles Haus und zahlungskräftige Gäste.«

»Die wünsche ich mir auch«, seufzte der sympathische Thorsten Horn. »Wenn ich daran denke, wie viel Geld das hier alles bisher gekostet hat, ohne dass wir auch nur einen Cent verdient haben, dann wird mir ganz anders!«

Selbstverständlich trug der Koch eine blütenweiße Jacke mit schwarzen Kugelknöpfen sowie ein geschickt geknüpftes Halstuch; dazu eine weiße, halblange Halbschürze, auf einem Tisch stand eine frisch gestärkte Kochhaube.

»So geht’s erst einmal jedem Unternehmer«, tröstete der Bergpfarrer ihn.

Maxi hatte die Grünpflanze entgegengenommen und abgestellt. Sie hakte sich bei Thorsten ein.

»Wir schaffen es!«, sagte sie zuversichtlich und gab ihm einen Kuss.

»Davon bin ich auch fest überzeugt«, sagte Sebastian und nickte ihnen zuversichtlich zu. »Der ›Waldecker Hof‹ wird hier genauso eine Institution werden, wie bei uns der ›Löwe‹.«

Er nahm das Glas Sekt entgegen, das eine junge Frau ihm reichte.

»Da kann ich gleich mal unsre neue Servicekraft vorstellen«, ergriff Maxi die Gelegenheit beim Schopf. »Das ist Andrea Wengler, frisch von der Hotelfachschule in Garmisch. Und hier, Andrea, lernst du Pfarrer Trenker aus St. Johann kennen.«

Sebastian drückte die Hand der jungen Frau. Andrea Wengler war nicht älter als einundzwanzig Jahre. Sie hatte blondes Haar und ein niedliches Gesicht, in dem zwei helle Augen strahlten. Sie trug ein Dirndl, das ihre schlanke Figur vorteilhaft betonte. »Das ist also Ihre erste Arbeitsstelle nach der Ausbildung?«, sagte der Geistliche.

»Ja«, antwortete sie. »Und ich bin richtig froh, zwei so nette Chefs zu haben. Ich denk’, ich hab’s gut getroffen.«

»Davon bin ich überzeugt«, lächelte Sebastian.

Andrea Wengler machte auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck. Gewiss würde sie auch bei den Gästen gut ankommen.

Außer der jungen Absolventin der Hotelfachschule, hatten Maxi und Thorsten, zusammen mit dem Wirtshaus, auch Hanna Burgländer übernommen. Die kompetente Servicekraft hatte schon bei den vorigen Eigentümern gearbeitet. Sie strahlte ebenfalls an diesem Abend. Lange Zeit hatte der »Waldecker Hof« unter schrumpfenden Gästezahlen gelitten. Der Betrieb war veraltet, und Adele und Friedrich Brunnengräber, die Wirtsleute, suchten schon lange nach einem Nachfolger, damit sie sich endlich zur Ruhe setzen konnten. Für Hanna Burgländer zeichnete sich eine ungewisse Zukunft ab, von der sie nicht wusste, wie es weitergehen würde. Um so glücklicher war sie, als Thorsten und Maxi ihr anboten, weiterhin im »Waldecker Hof« zu arbeiten.

Sebastian Trenker mischte sich unter die Gäste und begrüßte hier und dort einen Bekannten, sprach ein paar Worte mit dem Waldecker Bürgermeister und hörte gespannt der Begrüßungsrede zu, die Maxi und Thorsten abwechselnd hielten.

»Natürlich bedanken wir uns bei allen, die mitgeholfen haben, dass der ›Waldecker Hof‹ nun in diesem neuen Kleid dasteht«, beendete der frischgebackene Wirt die kleine Ansprache. »Vor allem aber gilt unser Dank Pfarrer Trenker, ohne den alles von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.«

Thorsten Horn hob sein Glas und prostete in Sebastians Richtung.

»So, nun aber genug der Worte«, fügte er dann hinzu. »Gewiss sind Sie alle hungrig. Drinnen wartet ein Büfett, und ich … nein, wir wünschen einen guten Appetit und uns allen einen vergnüglichen Abend.«

*

Das Büfett war, wie nicht anders zu erwarten, erstklassig. Dabei hatte der Koch aber nicht die teuers­ten Delikatessen verarbeitet, sondern aus vielen regionalen Spezialitäten schmackhafte Gerichte gezaubert, die bei den Gästen hervorragend ankamen. Thorsten Horn wurde mit Lorbeeren nur so überhäuft.

Es waren an die fünfzig Personen, die zur Einweihung eingeladen waren. Neben Pfarrer Trenker, dessen Familie und Haushälterin, gehörten auch Dr. Wiesinger und seine Frau Elena dazu. Der junge Arzt hatte ein besonderes Auge auf die hübsche Tierärztin, Elena war nämlich schwanger, und Toni als werdender Vater hatte mehr Angst um sie, als sie selbst.

Dabei hätte er als Mediziner natürlich wissen müssen, dass es Elena blendend ging, und er sich absolut keine Sorgen machen muss­te.

Der »Waldecker Hof« war innerhalb kurzer Zeit umgebaut worden und verfügte jetzt neben einem Saal, den es schon früher gegeben hatte, der aber in den letzten Jahren nicht mehr genutzt worden war, auch über sieben zusätzliche Fremdenzimmer, die sich in dem neu errichteten Anbau befanden, so dass das Haus jetzt insgesamt zwanzig Betten anbieten konnte.

Allerdings gab es noch ein weiteres Wirtshaus im Ort. Das Hotel »Zum Hirschen« war, was die Zimmerkapazität anging, weitaus größer, hatte aber keinen besonders guten Ruf, hinsichtlich der Küche.

Im ›Hirschen‹ würden nur die Touristen abgezockt, hieß es allgemein. Außerdem war das Lokal lange Jahre der einzige Ort, an dem man Feierlichkeiten ausrichten konnte – sofern man nicht auf den »Löwen« in St. Johann ausweichen wollte.

In dieser Hinsicht hoffte nun Thorsten Horn zu punkten. Der Koch hatte bei international erfahrenen Meistern gelernt und zahlreiche Stationen im In- und Ausland durchlaufen, um dort weitere Feinheiten zu lernen.

Bei der Renovierung war man behutsam vorgegangen und hatte das alte Mobiliar erhalten. Es »lebte« doch viel mehr, als jedes moderne Möbelstück, und erzählte gleichsam die Geschichte des Hauses.

Sebastian Trenker hatte sich, wie alle anderen auch, am Büfett bedient. Jetzt saß der gute Hirte von St. Johann am Tisch und unterhielt sich mit Claudia und Max. Sebastians Schwägerin, die in Garmisch bei der Zeitung arbeitete, wollte einen Artikel über die Eröffnung schreiben.

»Das junge Madel«, wandte sich Claudia an den Geistlichen, »ich hab’s leider vergessen. Weißt du noch, wie es heißt? Es wär’ ja dumm, wenn ich den Namen net erwähnen würd’.«

»Andrea Wengler«, antwortete der Bergpfarrer.

Claudia notierte sich den Namen sofort.

»Irgendwie muss sie mitbekommen haben, dass ich Polizist bin«, bemerkte Max. »Sie hat mich nämlich gefragt, ob ich einen Wolfgang Hochleitner kenn’.«

Der Geistliche beugte sich interessiert vor.

»Den Sohn vom Franz Hochleitner?«

»Ich glaub’ net«, schüttelte Max den Kopf. »Jedenfalls hat sie mir einen andren beschrieben. Auch die andren Leut’ meinen, sie würden niemanden kennen, auf den ihre Beschreibung passt.«

Gerade in diesem Moment ging Andrea Wengler am Tisch vorbei. Sebastian sah ihr hinterher. Die junge Frau schien in ihrem Beruf sehr engagiert zu sein. Im Laufe des Abends hatte der Geistliche von Maxi Herlander noch ein wenig mehr über die Angestellte erfahren.

Andrea stammte aus München, wo sie eine Lehre gemacht hatte, und war vor zwei Jahren nach Garmisch Partenkirchen gekommen, um dort die Hotelfachschule zu besuchen und ihre Fähigkeiten zu vervollkommnen.

Der Geistliche beobachtete sie eine Weile. Andrea arbeitete rasch und geschickt. Sie servierte Getränke und schenkte Gläser ein, und trotz allen Stresses hatte sie immer noch ein Lächeln für die Gäste übrig, und wechselte mit ihnen ein freundliches Wort.

Nur ab und an stand sie am Tresen gelehnt und schaute in eine imaginäre Ferne. Dabei war ihr Blick so verklärt, dass Sebastian sich unwillkürlich fragte, mit was für Gedanken die hübsche, junge Frau wohl gerade beschäftigt sei.

Der Abend wurde ein voller Erfolg, und Thorsten und Maxi verabschiedeten in glücklicher Stimmung ihre Gäste.

»So, mein Schatz«, sagte der junge Gastwirt und nahm das Madel in den Arm, »heute, das war nur der Probelauf, morgen beginnt der Ernst!«

Maxi Herlander drückte sich an ihn und küsste ihn zärtlich.

»Mit dir zusammen hab’ ich vor nix Angst«, erwiderte sie.

Lächelnd gingen sie hinein. Drinnen waren Andrea Wengler und Hanna Burgländer noch mit dem Aufräumen beschäftigt, unterstützt wurden sie dabei von Chris­tel Brunner, der Spülfrau, die die Küche bereits wieder auf Hochglanz gebracht hatte. Maxi und Thorsten packten den Rest mit an, und als sie schließlich fertig waren, wurde eine letzte Flasche Sekt geköpft und noch einmal angestoßen.

»Auf uns alle!«, sagte Thorsten, und die anderen stimmten ein.

*

»Wir wollen uns verabschieden, Hochwürden«, sagte Thomas Wilde.

»Und uns vor allem bei Ihnen bedanken«, fügte Jennifer Brinkmann hinzu.

»Kommt erstmal herein«, lächelte Sebastian und ließ die Besucher eintreten. »Dann ist’s also soweit, ihr reist ab?«

»Ja«, nickte der junge Astronomieprofessor. »Lange genug habe ich ja hier für Aufregung gesorgt.«

»Ehrlich gesagt, bin ich auch froh, dass der Spuk vorüber ist«, bemerkte der Bergpfarrer.

Sie waren durch das Wohnzimmer auf die Terrasse gegangen. Sebastian bat Jenny und Thomas Platz zu nehmen. Sophie Tappert brachte Kaffee und Gebäck nach draußen und setzte sich zu ihnen.

»Ich bitte noch mal aufrichtig um Entschuldigung«, sagte Thomas Wilde. »Hätte ich vorher geahnt, um was es dem Herrn Bruckner wirklich geht, hätte ich niemals sein Angebot angenommen.«

»Ja, unser Bürgermeister ist schon mit ein bissel Vorsicht zu genießen«, meinte Sebastian.

Dass der junge Professor und die Studentin hier so gemütlich saßen und mit dem guten Hirten Kaffee tranken, war vor geraumer Zeit noch nicht so selbstverständlich gewesen wie heute.

Vor einigen Wochen war über dem Wachnertal ein Meteor niedergegangen. Bei seinem Eintritt in die Erdatmosphäre brach der Himmelskörper in viele Einzelteile; manche Stückchen waren so klein, dass man sie wohl niemals finden würde.

Markus Bruckner, der rührige Bürgermeister von St. Johann, der immer auf der Suche nach etwas war, wodurch das Dorf für den Tourismus noch attraktiver wurde, entwickelte sofort die Idee, die Geschichte um den »Stern vom Wachnertal« auszuschlachten und damit das große Geld zu verdienen. Innerhalb kürzester Zeit organisierte Bruckner eine Ausstellung zu diesem Thema und übertrug die Leitung dem in Fachkreisen, wegen seinen unkonventionellen Ansichten über Außerirdische, nicht unumstrittenen Astronom Thomas Wilde.

Und anscheinend hatte Bruckner richtig spekuliert, denn die Ausstellung zog in den ersten Tagen unzählige Besucher an – sehr zur Freude des Bürgermeisters, und zum Entsetzen Pfarrer Trenkers.

Sebastian hatte schon vorausgesehen, was für eine Unruhe und Aufregung die »Invasion« der Sternengläubigen mit sich bringen würde. Bis auf ein paar Geschäftsleute, die sich angesichts der vollen Ladenkassen die Hände rieben, hatten die Wachnertaler schon bald die Nase davon voll, dass im Supermarkt die Regale leer gekauft und die Lebensmittel knapp wurden. Dafür fanden die braven Bürger nicht selten am Morgen wildfremde Leute, die einfach in ihren Vorgärten genächtigt hatten.

Jennifer Brinkmann, die eigentlich einen ruhigen Urlaub in dem Bergdorf verbringen wollte, geriet unversehens in den ganzen Trubel. Die hübsche Studentin wohnte bei Ria Stubler. In deren Pension war auch Thomas Wilde untergebracht, und so lernten die beiden sich kennen.

War es Liebe auf den ersten Blick?

Sicher nicht bei dem Professor, den Jenny zu allem Überfluss auch noch als Astrologe bezeichnete …

Mehr als einmal gerieten sie sich in die Haare und mussten am Ende doch feststellen, dass einer nicht ohne den anderen auskommen konnte. Doch bevor sie sich ihre Liebe gestehen konnten, mussten noch einige andere Hindernisse aus dem Weg geräumt werden – was natürlich mit Pfarrer Trenkers Hilfe auch gelang.

Thomas überwarf sich zudem mit Markus Bruckner und kündigte mit sofortiger Wirkung. Und er gab bekannt, dass es sich bei den ausgestellten angeblichen Originalstücken des Meteors um Fälschungen handelte.

Binnen eines Tages brach alles in sich zusammen, und die Ausstellung gehörte der Vergangenheit an.

»Und was habt ihr jetzt vor?«, erkundigte sich der Geistliche.

Thomas nahm lächelnd Jennifers Hand.

»Jetzt lerne ich erst einmal meine zukünftigen Schwiegereltern kennen«, antwortete er. »Und dann kommen wir ganz bestimmt wieder zurück, um hier unsere Flitterwochen zu verbringen.«

»Dann bleibt mir nur, euch eine gute Fahrt zu wünschen, und mich auf ein Wiedersehen mit euch zu freuen«, sagte der Bergpfarrer.

Sie unterhielten sich noch ein Weilchen, ehe der Bergpfarrer die Besucher zur Tür brachte. Er winkte ihnen gerade hinterher, als das Telefon klingelte.

»Lassen S’ nur«, rief er seiner Haushälterin zu, »ich geh’ schon ran.«

Sebastian nahm das Gespräch in seinem Arbeitszimmer entgegen.

»Sprech’ ich mit Pfarrer Trenker?«, hörte er die Stimme einer Frau, die er nicht sofort zuordnen konnte.

»Ja, ich bin selbst am Apparat«, bestätigte er.

»Hier ist Andrea Wengler …«

Natürlich! Jetzt hatte Sebastian auch das Gesicht dazu vor Augen.

»Frau Wengler, was kann ich für Sie tun?«

Die Bedienung aus dem »Waldecker Hof« räusperte sich, bevor sie antwortete.

»Ja … äh …, also, ich hätt’ Sie gern’ mal gesprochen, Hochwürden«, sagte sie schließlich, mit einem unüberhörbaren Zögern in der Stimme.

Es schien, als falle ihr der Anruf nicht leicht.

»Aber selbstverständlich«, erwiderte Sebastian. »Um was geht es denn?«

»Also, das ist am Telefon schlecht zu erklären. Es ist privat.«

»Kein Problem. Können Sie herkommen? Oder soll ich Sie aufsuchen?«

»Nein, nein, ich komm’ nach St. Johann«, antwortete Andrea Wengler hastig, als habe sie Angst, irgendwer könne mitbekommen, wie der Geistliche sie besuchte. »Übermorgen, wenn’s passt? Da hab’ ich meinen freien Tag.«

»Ja, das passt«, entgegnete Sebas­tian nach einem schnellen Blick auf seinen Terminkalender. »Sagen wir vierzehn Uhr?«

»Wunderbar! Ja, danke, Hochwürden. Ich werd’ pünktlich sein.«

»Gut, dann bis zum Montag. Sie werden das Pfarrhaus leicht finden.«

Nachdenklich legte der Geistliche auf. Er ahnte schon den Grund, warum Andrea Wengler ihn sprechen wollte. Es musste etwas mit Wolfgang Hochleitner zu tun haben, nach dem sie sich am Eröffnungsabend des Gasthauses bei den Leuten erkundigt hatte.

Allerdings schien es sich ja nicht um den Burschen zu handeln, den der Bergpfarrer und auch Max kannten. Aber es war kein ungewöhnlicher Name. Hochleitners gab es viele im Wachnertal – allerdings nicht nur hier, sondern im gesamten bayerischen Raum.

Vielleicht stammte der Gesuchte ja gar nicht von hier …

*

Caspar Brenner schaute missmutig in den Gastraum. Für einen Sonntagmittag war es im Wirtshaus »Zum Hirschen« ziemlich leer. Gerade mal zwei Tische waren besetzt, wo sonst bis an die sechzig Gäste auf ihr Essen warteten.

»Ist heut’ denn gar kein Bus angemeldet?«, fragte der Wirt die blonde Frau, die eher gelangweilt am Tresen stand und so tat, als poliere sie den Zapfhahn.

Iris Burgholzer schüttelte den Kopf.

»Das Reiseunternehmen hat vor drei Tagen storniert. Hat Ihre Frau Ihnen das net gesagt?«

»Kein Wort!«

Caspar Brenner schaute irritiert.

»Aber wieso haben die abgesagt?«, schimpfte er. »Das geht doch gar net, so kurzfristig. Na wart’, dem Herrn Lukas werd’ ich was erzählen!«

Das Münchener Reiseunternehmen Lukas war eines von vielen, mit denen der Gastwirt Verträge abgeschlossen hatte. In unregelmäßigen Abständen fuhren die Busse das Wachnertal an. In St. Johann wurde die Kirche besichtigt, in Engelsbach eine Käserei und hier in Waldeck wurden die Fahrgäste zum Essen im »Hirschen« ausgeladen. Nachmittags ging es dann wieder heim.

Diese Fahrten waren besonders bei älteren Leuten sehr beliebt. Zumal sie günstig und nicht so eine berüchtigte Kaffeefahrt waren, bei denen den Gästen das Geld aus der Tasche gezogen wurde.

Der Gastwirt verließ den Schankraum und ging in das Büro, wo seine Frau hinter dem Schreibtisch saß.

»Warum hast’ mir net gesagt, dass der Lukas abgesagt hat?«, wollte er wissen.

Helene Brenner sah kurz auf. Sie war gerade damit beschäftigt, ein Angebot für eine größere Gruppenreise zu schreiben. Der Veranstalter wollte nicht nur Speisen und Getränke serviert haben, im Hirschen sollte ein folkloristischer Nachmittag organisiert werden, mit Kaffee und Kuchen, sowie einer Blasmusikkapelle. Die Wirtin überlegte schon eine ganze Weile, welche Gruppe sie verpflichten konnte. Die »Wachnertaler Bu’am« schieden aus; was die an Gage verlangten, war in Helene Brenners Augen geradezu unverschämt.

Bei aller Liebe musste sie doch dafür sorgen, dass die Kosten so niedrig wie möglich gehalten wurden. Doch das war nicht so einfach.

Dabei sparten sie ja schon an allen Ecken und Kanten – vor allem am Essen …

»Ich hab’ halt net dran gedacht«, erwiderte die Wirtin auf die Frage ihres Mannes. »Ist ja auch egal. Die Küche wusste Bescheid, und so haben wir heut’ nur mit den üblichen Mittagsgästen gerechnet.«

Caspar Brenner schnaubte ärgerlich.

»Hast’ mal in den Gastraum geschaut?«, fragte er. »Dort herrscht gähnende Leere!«

Seine Frau verdrehte die Augen.

»Ich weiß«, nickte sie. »Und ich fürcht’, das ist erst der Anfang. Außer dem Lukas hat noch ein andrer abgesagt.«

Ihr Mann wurde blass.

»Was? Wer denn?«

»Der Fischer aus Rosenheim.«

»Ogottogott!«, stöhnte der Gastwirt. »Der net auch noch! Das haben wir diesem vermaledeiten ›Waldecker Hof‹ zu verdanken. Seit die neuen Wirtsleute da drin sind, geht’s hier den Berg hinunter.«

Seit das renovierte Gasthaus vor zwei Wochen wieder eröffnet worden war, blieben im »Hirschen« tatsächlich die Gäste aus. Waren in der Woche vor allem die Reisebusse in Zweierreihe vor dem Haus gestanden, so kam jetzt höchstens noch einer pro Tag, von den Wochenendgästen ganz zu schweigen, wie sich heute erst wieder gezeigt hatte.

Zugegeben, die Waldecker waren nicht das Publikum, das das große Geld brachte. Aber immerhin gab es auch unter ihnen ein paar, die zumindest am Sonntagmittag zum Essen kamen, wenn die Frau daheim einmal nicht selbst kochen sollte.

Dass dieser Niedergang aber auch andere Gründe haben sollte als den neuen Mitbewerber, wollten Helene und Caspar Brenner nicht einsehen. Freilich wussten sie, dass das Essen, das in ihrem Lokal serviert wurde, nicht besonders toll war, nicht einmal durchschnittlicher Standard. Doch legten sie auch keinen Wert darauf, ein Sternerestaurant zu führen, sondern wollten rasch viel Geld verdienen. Indes war es nicht zu bestreiten, dass die Konkurrenz im »Waldecker Hof« von Anfang an regen Zulauf hatte, und auch von Reisebussen, die dort auf dem Parkplatz standen, hatten Angestellte des »Hirschen« schon berichtet.

Der Gastwirt war an einen Schrank getreten und hatte eine Tür geöffnet. Im Fach dahinter standen eine Flasche und mehrere Gläser.

»Ich brauch’ erstmal einen Schnaps!«, bemerkte er. »Das will verdaut sein.«

»Hör’ auf zu trinken!«, ermahnte ihn seine Frau, als er sich das zweite Glas einschenken wollte. »Überleg’ lieber, wie wir den Neuen das Wasser wieder abgraben können. Lass dir diesmal aber was Bess’res einfallen als das letzte Mal!«

Ungeachtet der mahnenden Worte seiner Frau, goss Caspar Brenner sich das Glas noch einmal voll. Den Inhalt stürzte er mit einem Ruck die Kehle hinunter.

Ja, das letzte Mal, das war gründlich in die Hose gegangen!

Und das hatten sie nur diesem vermaledeiten Pfarrer Trenker zu verdanken …

*

Thorsten Horn hatte sich ziemlich verzweifelt an den guten Hirten von St. Johann gewandt. Gerade noch im Begriff, das neu erworbene Wirtshaus zu renovieren und wieder zu eröffnen, sah sich der junge Koch jetzt schon am Rande des Ruins. Sozusagen, noch bevor überhaupt eine Hand gerührt worden war.

Was war geschehen?

Voraussetzung für eine solide Finanzierung war, dass neben gutem Essen im »Waldecker Hof« auch Zimmer vermietet wurden. Ein Anbau war bereits vorhanden, jedoch musste hier noch einiges getan werden, bevor an Gästebetten überhaupt nur zu denken war.

Der beauftragte Architekt riet zum Umbau und stellte den entsprechenden Antrag beim Landrats­amt. Eigentlich war das mehr oder weniger eine formlose Angelegenheit. Gewiss könne niemand etwas gegen einen Umbau einzuwenden haben, hatte der Architekt gemeint. Um so niederschmetternder war das Schreiben, das Maxi Herlander und Thorsten Horn nach vierzehn Tagen von der Behörde erhielten.

Der »Waldecker Hof« stand plötzlich unter Denkmalschutz, und ein Umbau war verboten!

Die beiden jungen Leute waren am Boden zerstört, als sie bei Sebastian Trenker auf der Terrasse saßen und ihm berichteten, was geschehen war.

Ihre schönsten Träume schienen mit einem Schlag zu zerplatzen!

Es verstand sich von selbst, dass der gute Hirte von St. Johann sich dieses Problems annahm. Indes hatte er genug mit der Angelegenheit um den »Stern vom Wachnertal« zu tun, als dass er sofort hätte tätig werden können. Er riet Maxi und Thorsten, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen. Und nachdem Thomas Wilde dem Bürgermeister die Zusammenarbeit aufkündigte, hatte auch Sebastian Zeit, sich etwas einfallen zu lassen, um den jungen Wirtsleuten aus der Patsche zu helfen.

Zuerst erkundigte er sich bei den Vorbesitzern. Das Ehepaar Brunnengräber fiel aus allen Wolken, als es hörte, dass ihr ehemaliges Gasthaus plötzlich unter Denkmalschutz stand.

»Also, das war mal so ein Gedanke von mir, das Haus unter Denkmalschutz stellen zu lassen«, erzählte Friedrich Brunnengräber. »Nämlich, als ich umbauen wollte, aber net genug Geld hatte. Damals hat es geheißen, dass man vom Denkmalschutz Fördermittel bekommen kann. Aber dann stellte sich heraus, dass der ›Waldecker Hof‹ net alt genug ist. Das Haus ist nämlich in den Jahren um neunzehnhundertdreißig erbaut. Genaueres geht aus dem Kaufvertrag hervor, den der Herr Horn hat.«

Sebastian hatte interessiert aufgehorcht.

»Wann war das, als Sie den Antrag stellen wollten?«, erkundigte er sich.

»Vor ziemlich genau zehn Jahren. Aber da hat man mir gesagt, dass das Gebäude mindestens hundertfünfzig Jahr’ auf dem Buckel haben müsst, um als schützenswertes Denkmal anerkannt zu werden.«

»Dann frage ich mich, warum es jetzt darunter fällt?«, sagte der Bergpfarrer kopfschüttelnd. »Soviel Jahre sind’s ja net, von Ihrem Antrag bis heut’.«

Er bedankte sich für die Auskünfte und verabschiedete sich von den älteren Leuten, die jetzt nach einem anstrengenden Arbeitsleben ihren Ruhestand genossen.

Der nächste Weg führte den Geistlichen nach Waldeck ins Wirtshaus »Zum Hirschen«. Er kam selten hierher und kannte das Ehepaar Brenner nur flüchtig. Zwar hielt er sich einmal die Woche in dem Dorf auf, doch dann besuchte er das Altenheim und ging nicht ins Wirtshaus.

Sebastian nahm an einem Tisch Platz und bestellte eine Tasse Kaffee. Die Bedienung, eine ihm unbekannte, junge Frau, brachte das Gewünschte sofort. Aus einem Nebenraum drang Stimmengewirr. Der Bergpfarrer hatte draußen zwei Reisebusse stehen sehen. Offenbar hatte man gut zu tun.

Er hatte gerade ausgetrunken, als Caspar Brenner in Begleitung eines Mannes in den Gastraum kam. Der Wirt erkannte Sebastian und trat auf den Tisch zu.

»Grüß Gott, Hochwürden, das ist aber ein seltener Besuch«, begrüßte er ihn und deutete auf den Mann neben ihm. »Darf ich bekanntmachen – Ludwig Thurau, mein Schwager; der Bruder meiner Frau. Ludwig, das ist Pfarrer Trenker aus St. Johann.«

Die beiden Männer nickten sich zu.

»Ist ja allerhand los«, bemerkte der Geistliche.

Caspar Brenner rieb sich die Hände.

»Freilich, der Rubel muss rollen! Aber jetzt entschuldigen S’ mich. Der Ludwig und ich haben noch was zu besprechen.«

Nachdem der Wirt und sein Schwager gegangen waren, rief Sebastian nach der Bedienung und bezahlte.

»Demnächst wird ja wohl der ›Waldecker Hof‹ wieder eröffnet«, bemerkte er.

Die junge Frau setzte ein spöttisches Lächeln auf.

»Das steht eher noch in den Sternen«, antwortete sie.

»Wie kommen S’ denn darauf?«

Die Bedienung bedankte sich für das Trinkgeld und steckte die Kell­nerbörse wieder in die Schürzentasche.

»Ach, man hört so einiges«, meinte sie und nahm das Tablett mit dem Kaffeegeschirr.

»So? Was denn?«, versuchte Sebastian das Gespräch in Gang zu halten.

»Na ja, die Neuen haben sich wohl finanziell übernommen, wird gemunkelt. Es heißt, dass ihnen schon das Geld ausgeht, bevor sie überhaupt angefangen haben. Und was die da vorhaben, von wegen umbauen, das können s’ gleich vergessen. Die Genehmigung bekommen s’ nie. Dafür ist gesorgt …«

Pfarrer Trenker wurde zum zweiten Mal an diesem Tag hellhörig.

»Wieso?«, meinte er leichthin. »Das ist doch wohl kein Problem, eine Genehmigung zu bekommen.«

Die Bedienung stand an seinen Tisch gelehnt. In der einen Hand hielt sie das Tablett, mit der anderen stützte sie sich auf die Lehne eines Stuhls. Sie lachte hellauf.

»Wenn das Haus plötzlich unter Denkmalschutz gestellt wird, kann es schon problematisch werden«, entgegnete die junge Frau.

»Na, ganz so einfach ist so eine Maßnahme ja wohl net«, zweifelte der Geistliche ihre Worte an.

Wieder schürzte die Frau die Lippen.

»Da kennen S’ aber den Herrn Thurau schlecht«, raunte sie und beugte sich verschwörerisch zu dem guten Hirten von St. Johann. »Das ist der oberste Chef vom Denkmalsamt, und außerdem ist er der Bruder von der Frau Brenner. Da wird er seine Schwester und den Schwager net im Stich lassen, was?«

Sebastian war wie elektrisiert. Ihm war ein anderer Name in Erinnerung, mit dem der Ablehnungsbescheid unterschrieben war. Doch wenn Ludwig Thurau der Leiter der Behörde war, konnte dieser Wolfgang Völler nur ein untergeordneter Sachbearbeiter sein.

Mit einem Mal war alles klar!

Kein Wunder, dass der Umbauantrag abgeschmettert worden war, wenn hier jemand im Verborgenen seine Fäden zog.

»Tja, da kann man den Leuten nur wünschen, dass sich doch noch alles zum Guten fügt«, sagte Sebas­tian und verabschiedete sich.

*

Tags darauf fuhr er zum Landratsamt in die Kreisstadt und suchte die Behörde für Denkmalpflege auf. Das Landratsamt war in einem alten, schlossähnlichen Gebäude untergebracht und machte den Eindruck, als müsse es selbst unter Denkmalschutz gestellt werden.

Unzählige Gänge und Flure zweigten von der großen Halle ab, die jeden Besucher empfing, und glücklicherweise gab es eine Loge mit einem Pförtner darin; man hätte sich sonst unweigerlich verlaufen.

Der Pförtner wies Sebastian den richtigen Weg. Das Dienstzimmer von Wolfgang Völler befand sich im dritten Stock. Einen Aufzug gab es nicht, so dass man gezwungen war, die breite Treppe zu nehmen. Indes war das für den sportlichen Pfarrer kein Problem. Sebastian war kein bisschen außer Atem, als er die letzte Stufe erreicht hatte und den langen Flur entlangschritt und das Zimmer Dreihundertelf suchte.

Er fand es am Ende des Flures und betrat es, nachdem er angeklopft hatte.

In dem großen Raum standen Aktenschränke an den beiden Seitenwänden, am Fenster saß ein Mann hinter seinem Schreibtisch, der dem Eintretenden neugierig entgegensah. Es roch, wie in den meisten Büros und Amtsstuben, muffig und nach Papierstaub.

»Grüß Gott«, sagte Sebastian. »Mein Name ist Trenker. Ich bin Pfarrer in St. Johann und hätt’ gern’ eine Auskunft von Ihnen.«

Bei der Nennung des Titels war Wolfgang Völler aufgestanden. Er war nicht sehr groß, hatte einen kleinen Bauch und schütteres Haar. Die graue Weste, die er über einem karierten Hemd trug, passte zu seiner fahlen Gesichtshaut, die typisch für Leute war, die den ganzen Tag in ungelüfteten Räumen saßen und kaum einen Schritt nach draußen traten.

»Grüß Gott, Hochwürden«, erwiderte er und verbeugte sich beinahe unterwürfig. »Wolfgang Völler, zu Diensten. Was kann ich für Sie tun?«

Er deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.

»Bitt’ schön, nehmen S’ doch Platz, Herr Pfarrer.«

»Es geht da um einen Bauantrag, den Bekannte von mir gestellt haben«, erklärte der Geistliche den Grund seines Besuches, während er sich setzte.

Wolfgang Völler hörte sich die Geschichte an.

»Jaaa«, sagte er dann langgezogen, »der Vorgang ist hier bei mir gelandet. Wissen S’, Hochwürden, wenn so ein Antrag beim Bauamt eingereicht wird, dann prüfen die Kollegen dort automatisch, ob eventuell die Richtlinien zum Denkmalschutz greifen. Ist das der Fall, bekommen wir den entsprechenden Antrag zur weiteren Bearbeitung.«

Wolfgang Völler sprach ganz munter, ohne zu hinterfragen, ob Sebastian überhaupt das Recht habe, in dieser Angelegenheit Fragen zu stellen.

Offenbar genügte alleine die Tatsache, dass es sich bei ihm um einen Geistlichen handelte, eine gewisse Autorität ausstrahlen zu lassen.

»In der Sache, die Sie ansprechen«, fuhr der Sachbearbeiter fort, »kam die Direktive indes von ganz oben. Den ›Waldecker Hof‹ mit sofortiger Wirkung unter Denkmalschutz zu stellen, wurde angeordnet.«

Völler breitete die Arme aus.

»Ich hab’ selbstverständlich im Sinne der Behörde entschieden«, fügte er hinzu.

»Aber angeordnet hat es letztendlich Ihr Chef?«, vergewisserte sich Sebastian.

»Jawohl«, antwortete Wolfgang Völler sofort. »Herr Thurau, mein Vorgesetzter.«

Er hob die Hände.

»Es tut mir wirklich leid für Ihre Bekannten, Hochwürden.«

»Und da kann man gar nix machen?«

»Leider net.«

»Aber warum wurde denn der ›Waldecker Hof‹ so plötzlich unter Denkmalschutz gestellt?«, wollte der Bergpfarrer wissen. »Vor zehn Jahren hat genau das der frühere Besitzer beantragt, doch der Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, das Haus wäre noch net alt genug.«

Wolfgang Völler sah ihn stumm an, während der Kehlkopf des Mannes aufgeregt auf und nieder hüpfte.

»Das … das kann ich Ihnen auch net sagen«, stotterte er.

Sebastian stand auf und verabschiedete sich.

»Ach, wo find’ ich denn den Herrn Thurau?«, fragte er, als er schon in der Tür stand.

»Gleich nebenan.«

Armer Bursche, dachte der Geistliche, während er die Tür hinter sich schloss.

Wolfgang Völler gehörte ganz offensichtlich zu der Sorte Menschen, die es gewohnt waren, Befehle entgegenzunehmen und auszuführen, ohne Fragen zu stellen. Es musste ihm doch aufgefallen sein, dass es sich bei der Entscheidung seines Vorgesetzten ganz eindeutig um einen Gefallen für dessen Schwester und Schwager handelte.

Oder hatte er tatsächlich keine Ahnung von dem verwandtschaftlichen Verhältnis seines Chefs mit den Inhabern des zweiten Wirtshauses in Waldeck?

Ein Schild neben der Tür wies das Nebenzimmer als Büro des Leiters Denkmalspflege, Ludwig Thurau, aus. Sebastian klopfte an und trat ein, als er dazu aufgefordert wurde.

Drinnen war alles anders, als im Büro nebenan. Zwar standen auch hier Aktenschränke, aber nur ein paar wenige. Dafür hingen Bilder an den Wänden, Blumen standen auf dem Schreibtisch, und das geöffnete Fenster ließ frische Luft herein.

Ludwig Thurau blickte den Besucher fragend an.

»Kennen wir uns net?«, sagte er. »Helfen S’ mir doch mal auf die Sprünge.«

»Pfarrer Trenker, aus St. Johann.«

Thurau schlug sich vor die Stirn.

»Richtig! Entschuldigen S’, Hochwürden, dass ich Sie net gleich erkannt hab’. Setzen S’ sich. Was führt Sie zu mir?«

Der Stuhl hinter seinem Schreibtisch war bestimmt bequemer, als der, auf dem Wolfgang Völler saß. Und der Stuhl, der Sebastian angeboten worden war, sicher auch.

»Ich bin gebeten worden, in einer bestimmten Angelegenheit bei Ihnen vorzusprechen, Herr Thurau«, antwortete Sebastian, nachdem er sich gesetzt hatte. »Und zwar handelt es sich um den Bauantrag, den Herr Horn, Thorsten Horn aus Waldeck, vor einigen Wochen gestellt hat. Es geht da um den Umbau eines Anbaues in Hotelzimmer. Ihre Behörde hat dem Vorhaben einen abschlägigen Bescheid erteilt.«

Ludwig Thurau lächelte nicht mehr so jovial wie zu Beginn der Unterhaltung.

Im Gegenteil, sein Gesicht, aus dem jegliche Farbe gewichen war, schien zu einer Maske erstarrt. Ihm war schlagartig bewusst geworden, dass dies hier kein freundschaftlicher Besuch war.

»Äh … ja, nun … und was wollen Sie jetzt von mir?«, stotterte der Leiter der Denkmalpflege dennoch, obwohl er die Antwort bereits ahnte.

Der Geistliche beugte sich vor.

»Ich bin sicher, dass Sie die Sache noch einmal prüfen werden«, sagte er bestimmt. »Nur um den Vorwurf der Vetternwirtschaft zu entkräften, der diesen Vorgang bereits umweht. Net wahr, Herr Thurau?«

Der Mann sah ihn mit offenem Mund an, nickte aber automatisch.

Er hatte doch keine andere Wahl, das mussten Helene und Caspar doch einsehen! Verwandtschaft hin und her, jetzt ging es um seinen Kopf!

Wenn es ruchbar werden sollte, dass er seiner Schwester und ihrem Mann einen Gefallen getan hatte, dann aber gute Nacht.

»Ja, selbstverständlich, Hochwürden«, antwortete er. »Ich werd’ mich höchstpersönlich darum kümmern.«

Der Bergpfarrer stand auf.

»Sehen S’, Herr Thurau, ich wuss­te doch, dass man mit Ihnen ein klares Wort reden kann«, sagte er und reichte Ludwig Thurau die Hand zum Abschied. »Was sagten Sie, wann kann Herr Horn mit einem geänderten Bescheid rechnen?«

»Der geht noch heut’ in die Post«, versicherte der Leiter der Denkmalpflege.

»Prima«, freute sich der gute Hirte von St. Johann, »dann kann ich ihm ja schon mal die gute Nachricht überbringen.«

Am nächsten Tag war das Schreiben mit der Genehmigung für den Umbau da, und dann ging alles ganz schnell. Inzwischen waren vierzehn Tage seit der Neueröffnung des »Waldecker Hofes« vergangen, und »der Laden brummte«, wie es Thorsten Horn in seiner Begeisterung ausdrückte.

Allerdings sehr zum Leidwesen seines Mitbewerbers im Ort …

*

Sebastian Trenker öffnete, als es an der Tür des Pfarrhauses klingelte. Draußen stand Andrea Wengler und schaute ihn unsicher an. Fast schien es, als bereue sie, hergekommen zu sein.

»Grüß Gott«, sagte der Geistliche und reichte ihr die Hand. »Schön, dass Sie da sind. Kommen S’ herein.«

Die junge Frau folgte ihm durch den Flur und das Wohnzimmer auf die Terrasse.

»Das ist aber schön hier!«, sagte Andrea, mit Blick auf den Pfarrgarten, in dem es üppig grünte und blühte. »Da steckt sicher eine Menge Arbeit drin.«

»Freilich, von allein macht’s sich net«, lächelte der Geistliche. »Aber mit der Hilfe von meiner Haushälterin und dem Herrn Kammeier, unsrem Mesner, ist’s schon zu schaffen.«

Sie setzten sich in die bequemen Korbsessel, und Sebastian machte die Besucherin mit Sophie Tappert bekannt, die Kaffee und Gebäck servierte.

»Apropos Arbeit – wie läuft’s denn im ›Waldecker Hof‹?«

»Ausgezeichnet. Wir sind sogar in der Woche fast jeden Abend ausgebucht«, erzählte Andrea, die auf Sebastian einen noch sympathischeren Eindruck machte, als schon am Abend der Eröffnung.

Ihre anfängliche Unsicherheit hatte sich gelegt. Sie strahlte und sprach frei von der Leber weg.

»Maxi und Thorsten sind zwei wirklich tolle Chefs«, fuhr sie fort. »Ich hätt’s net besser treffen können.«

Sebastian hatte Kaffee eingeschenkt und bot Zucker und Milch an.

»Die beiden haben mir erzählt, wie sehr Sie ihnen geholfen haben«, sagte die hübsche, junge Frau. »Und das hat mich bewogen, mich an Sie zu wenden …«

»Nur zu, erzählen Sie«, nickte der Bergpfarrer. »Wenn ich kann, helf’ ich auch Ihnen. Ich vermute, es geht um den Wolfgang Hochleitner, nach dem Sie sich schon erkundigt haben …«

Andrea nickte.

»Ja, genau um ihn geht es«, antwortete sie. »Ich muss ihn unbedingt finden und ich hoff’, dass Sie mir bei der Suche nach ihm behilflich sein können.«

Sebastian reichte den Teller mit Gebäck herüber. Sophie Tappert hatte darauf Stücke ihres berühmten Eierlikörkuchens und einige Schokoladentaler, die sie natürlich auch selbst gebacken hatte, arrangiert. Andrea Wengler bediente sich.

»Warum müssen oder wollen S’ diesen Wolfgang Hochleitner denn unbedingt wiedersehen?«, wollte der gute Hirte von St. Johann wissen.

Die junge Frau trank einen Schluck und räusperte sich.

»Weil … weil ich mich unsterblich in ihn verliebt hab’«, gestand sie schließlich.

Sebastian nickte verstehend.

»Wollen Sie mir mehr darüber erzählen? Woher kennen Sie ihn, wie und wo …«

»Aber ja«, sagte sie rasch. »Es war letztes Jahr, auf dem Oktoberfest. Ich hatte damals Ferien in der Schule und bin heimgefahren. Meine Eltern wohnen ja noch in München. Die Wies’n hatten grad angefangen, und meine Freundin und ich wollten uns einen vergnügten Abend machen. Im Festzelt saßen wir nebeneinander, der Wolfgang und ich. Ich … ich glaub’, es war Liebe auf den ersten Blick. Bei ihm? Das weiß ich net, aber gewiss bei mir. Wolfgang war ein ganz andrer Typ, als die meisten Burschen, die vor lauter Gaudi sich kaum mehr beherrschen konnten und eine Maß nach der andren getrunken haben. Er war zuvorkommend und lustig. Wir haben getanzt und hatten viel Spaß miteinander. Die Franzi, meine Freundin, hat sich dann verabschiedet. Ich wollt’ mit ihr, schließlich waren wir zusammen auf die Wies’n gegangen. Aber sie hat natürlich sofort gemerkt, was mit mir los war, und gemeint, ich soll noch bleiben.

Wolfgang hat mich dann spät in der Nacht heimgebracht, und am nächsten Tag haben wir uns wieder gesehen.

Am Montag drauf dann konnt’ er net. Wissen S’, er war nämlich in München bei der Bundeswehr stationiert und hatte Dienst. Aber vom Donnerstag bis zum nächsten Montag waren wir dann wieder zusammen.«

Andrea schloss die Augen und strahlte in der Erinnerung.

»Es waren die schönsten Tage meines Lebens!«, fügte sie hinzu.

»Und was geschah dann?«

Die junge Frau öffnete die Augen wieder.

»Dann waren meine Ferien vorüber, und ich musste wieder nach Garmisch zurück«, antwortete sie traurig.

»Haben S’ denn keine Adressen ausgetauscht? Telefonnummern?«

»Doch. Wolfgang hat mir seine Handynummer gegeben«, erwiderte Andrea. »Aber die stimmte wohl net, denn jedes Mal wenn ich ihn anrufen wollte, sagte eine automatische Stimme, die Nummer sei net bekannt.«

»Hm, das ist ja sehr seltsam. Und was haben S’ dann unternommen?«

»Erst einmal war ich ziemlich geknickt. Eine Adresse hatte ich leider net, ich wusste nur, dass Wolfgang hier irgendwo im Wachnertal zuhause war. Ich bin oft hier gewesen, hab’ mich umgeschaut, auch auf dem Tanzabend im ›Löwen‹. Aber ich hab’ ihn nie finden können.«

»Haben S’ vielleicht mal bei der Standortverwaltung der Bundeswehr versucht, mehr über ihn herauszufinden?«, fragte Sebastian.

»Freilich. Allerdings wollt’ man mir da keine Auskunft geben, wegen Datenschutz.«

»Verstehe«, nickte der Geistliche.

Er schenkte Kaffee nach und schaute dann einen Moment nachdenklich vor sich hin.

»Alle die Leute, die Sie auf dem Eröffnungsabend gefragt haben, konnten Ihnen keine Auskunft geben, net wahr?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Leider nein. Einen Wolfgang Hochleitner kannten schon einige der Gäste. Aber meine Beschreibung passte net so recht dazu.«

»Mir geht’s net anders«, sagte Pfarrer Trenker. »Hochleitner ist hier in der Gegend ein geläufiger Name, der Ihnen an allen Ecken begegnen kann. Der Wolfgang Hochleitner, an den ich denk’, ist der Sohn eines Bauern.«

»Das ist er!«, rief Andrea Wengler sofort. »Er hat erzählt, dass seine Eltern einen Bauernhof im Wachnertal haben.«

Sebastian runzelte die Stirn. Die Angelegenheit wurde ja immer sus­pekter.

War es am Ende doch der Bauernsohn?

Schon bei der Erwähnung der Bundeswehr hatte der Bergpfarrer aufgehorcht. Er wusste nämlich, dass Wolfgang Hochleitner im letzten Jahr seinen Wehrdienst ab­geleis­tet hatte.

Und zwar bei einer Panzereinheit in München …

»Ich wollt’ Ihnen vorschlagen, gemeinsam zum Hof zu fahren«, sagte Sebastian. »Aber haben S’ auch schon mal in Betracht gezogen, dass er Ihnen bewusst eine falsche Handynummer gegeben und bewusst seine Adresse verschwiegen hat?«

Andrea Wengler erwiderte seinen Blick. Der Geistliche sah, dass sie mit den Tränen kämpfte.

»Vielleicht«, fügte er dennoch hinzu, »waren S’ ja nur ein Zeitvertreib für ihn …«

»Ja«, antwortete die junge Frau leise, »daran hab’ ich schon sehr oft gedacht.«

Sie hob den Kopf, und ihr Blick wurde jetzt beinahe trotzig.

»Aber dann soll er mir das ins Gesicht sagen!«, erklärte sie mit fester Stimme. »Ich will’s von ihm selbst hören, auch wenn’s noch so weh tut!«

*

Andreas Herz klopfte immer wilder, je näher sie ihrem Ziel kamen.

»Da vorn’, das ist der Hochleitnerhof«, deutete Pfarrer Trenker auf das Anwesen.

Er fuhr durch die Einfahrt und parkte neben der lang gestreckten Scheune, aus der ein Hofhund gelaufen kam und die Ankömmlinge Schwanz wedelnd begrüßte. Ein älterer Mann schaute durch das offene Tor.

»Grüß dich, Vinzenz«, rief Sebas­tian. »Ist der Wolfgang auch daheim?«

Der Bauer trat ins Freie und kam näher.

»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte er. »Ja, der Bub ist da. Was wollen S’ denn von ihm?«

Die Frage klang ein wenig miss­trauisch.

»Ach, nix Besond’res«, beruhigte der Geistliche Vinzenz Hochleitner. »Ich wollt’ ihn bloß was fragen.«

Er deutete auf seine Begleiterin.

»Das ist übrigens die Andrea Wengler.«

»Grüß Gott«, nickte der Bauer und rief dann nach seinem Sohn.

Wolfgang Hochleitner kam aus der Scheune. Er war inzwischen zweiundzwanzig Jahre alt, ein großer, schlanker Bursche, mit kur­zem dunklem Haar und einem sympathischen Gesicht. Andrea sah ihn an und hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.

Das war nicht der Wolfgang, den sie meinte!

»Hochwürden, grüß Gott«, sagte der Bursche und schüttelte Sebastians Hand. »Was gibt’s denn?«

Der Bergpfarrer schmunzelte. Er sah Vater und Sohn an und nahm dann Andreas Arm.

»Diese junge Dame hier ist auf der Suche nach einem jungen Burschen, den sie im letzten Jahr auf dem Oktoberfest in München kennen gelernt hat«, erklärte er und sah den Bauernsohn besonders an. »Der Name des Burschen ist – Wolfgang Hochleitner …«

Der Bauer sah seinen Sohn mit großen Augen an.

»Was soll das heißen?«, fragte er mit scharfer Stimme. »Hast’ was angestellt, als du in München bei der Bundeswehr warst?«

Der Bursche schüttelte vehement den Kopf.

»Nein, Vater«, beteuerte er, »ich kenn’ die Frau Wengler überhaupt net!«

Er schaute Andrea an und dann Pfarrer Trenker.

»Was soll das denn überhaupt?«, fragte er, mit einer Mischung aus Verärgerung und Verwunderung. »Ich hab’ sie nie im Leben geseh’n.«

»Nur keine Aufregung«, beruhigte Sebastian ihn. »Niemand will dir ans Leder, und dass du die Andrea net kennst, glaub’ ich dir. Sie wird’s auch bestätigen, dass du net der bist, den sie sucht.«

Die junge Frau nickte.

»Ich kenn’ den Herrn Hochleitner … also diesen Herrn Hochleitner net«, sagte sie, und die Enttäuschung war unüberhörbar.

Aus dem Haus kam ein junges Madel. Beim Anblick des Geistlichen lief ein Lächeln über das hübsche Gesicht. »Na, das ist aber eine Überraschung«, rief Resl Hochleitner und reichte Sebastian die Hand. »Grüß Gott.«

Sie nickte Andrea freundlich zu und sah Vater und Bruder an.

»Warum steht ihr denn hier herum? Warum hat unser Besuch nix zu trinken bekommen?«

Der Vorwurf war deutlich.

»Entschuldigen S’, Hochwürden«, gab sich der Bauer zerknirscht. »Resl hat natürlich Recht. Setzen wir uns doch. Das Madel sorgt für Getränke.«

Sie gingen zu der Sitzgruppe, die um die Ecke stand, da, wo der Garten war, und hohe Obstbäume Schatten spendeten.

»Du hast den Garten aber gut in Schuss«, lobte Sebastian, als Resl zurückkam und Gläser und Saft auf den Tisch stellte.

Die Bauerntochter lächelte.

»Mutter würd’s net anders erwartet haben«, antwortete sie.

Burgl Hochleitner, die Frau des Bauern und Mutter der beiden Kinder war vor zwei Jahren überraschend verstorben.

Wolfgang hatte sich Andrea gegenüber gesetzt. Er schaute sie an, und immer wenn sich ihre Blicke begegneten, glitt ein Lächeln über sein Gesicht.

»Das ist schon sehr seltsam«, meinte er, nachdem er noch einmal darüber nachgedacht hatte. »Ich kann mir gar net vorstellen, dass ein Namensvetter von mir zur selben Zeit in München beim Bund gedient hat, wie ich.«

»Ja, das wäre schon ein merkwürdiger Zufall«, nickte Sebastian.

Je länger er darüber nachdachte, um so weniger wollte ihm eine Lösung einfallen.

Resl, die neben der jungen Frau saß, schien sich aber mehr für Andreas Beruf zu interessieren. Als sie erfuhr, dass sie Restaurantfachfrau war, wollte sie alles darüber wissen. »Das muss schön sein, immer mit andren Menschen zu tun zu haben«, meinte die Achtzehnjährige.

»Das ist es«, erwiderte Andrea. »Aber es ist kein leichter Beruf. Besonders die Arbeitszeiten schrecken doch viele ab. Es ist nun mal so, wenn andre feiern, dann müssen wir, in der Gastronomie, arbeiten.«

»Na ja, das Problem wirst’ ja net haben«, meinte Vinzenz Hochleitner. »Als Magd auf dem Hof

musst’ zwar auch immer früh raus. Aber wenigstens die Wochenenden und Feiertage sind frei.«

Resl sah ihren Vater an.

»Ja, wenn das Vieh versorgt und das Essen gekocht ist«, erwiderte sie aufgebracht. »Und wenn der Wolfgang eines Tags mal heiratet, dann kann ich mich auch noch mit meiner Schwägerin herumärgern.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich will net Magd bleiben«, rief sie. »Ich hab’s schon hundertmal gesagt!«

Der Bauer legte den Kopf schief und sah sie fast spöttisch an.

»So, und was willst stattdessen machen?«, fragte er. »Vielleicht als Bedienung im ›Löwen‹ arbeiten? Hast’ doch grad gehört, dass dieser Beruf kein Zuckerschlecken ist.«

»Das ist er gewiss net«, mischte sich Sebastian ein. »Aber wenn er einen Menschen ausfüllt und glücklich macht, dann spricht nix dagegen, ihn zu ergreifen.«

»Hochwürden hat Recht«, sprang auch Wolfgang seiner Schwester bei.

Der Bauernsohn wusste schon lange von Resls Wunsch. Er verzichtete zwar nur ungern auf ihre Mitarbeit auf dem Hof, aber wenn es sie glücklich machte, fort zu gehen und etwas ganz anderes zu arbeiten, würde er ihr gewiss keinen Stein in den Weg legen.

»Außerdem wollen wir doch mal hoffen, dass du dich noch lang’ net aufs Altenteil zurückziehst«, grins­te er seinen Vater an.

Die beiden jungen Frauen lächelten.

»Warst schon mal auf einem Bauernhof?«, fragte Resl.

Andrea schüttelte den Kopf.

»Hast vielleicht Lust, dir mal alles anzuschau’n?«

»Ja, gern’.«

Die Bauerntochter und Andrea Wengler standen auf und gingen über den Hof.

»Jetzt quetscht sie die Andrea aus«, meinte Wolfgang lachend.

Sein Vater schien nicht so amüsiert.

»Das ist aber schon eine seltsame Geschichte«, meinte der Bauer schließlich. »Was da wohl dahinter steckt? Und vor allem, was will dieses Madel von dem Wolfgang Hochleitner, nach dem es sucht?«

Sebastian beugte sich vor.

»Im Vertrauen«, sagte er, »ihr werdet es net weitertratschen. Andrea hat sich in jenen Wolfgang verliebt und kann ihn bis heut’ net vergessen. Jetzt, wo sie mit der Hotelfachschule fertig ist und in Waldeck angefangen hat, hofft sie, ihn vielleicht doch noch zu finden, nachdem er ihr erzählt hat, dass er hier im Wachnertal zuhaus’ ist.«

»Was ist das bloß für ein Bursche!« Vinzenz schüttelte den Kopf.

»Das kann ich dir sagen«, meinte sein Sohn. »Ein Idiot ist der Kerl, wenn er so ein Madel laufen lässt!«

Sebastian sah ihn an und schmunzelte. Wenn ihn nicht alles täuschte, dann hatte Wolfgang Feuer gefangen …

Oder brannte er gar schon lichterloh?

*

Für Andrea fing die Arbeitswoche am nächsten Tag wieder an, und sie hatte kaum Gelegenheit, an das zu denken, was sie schon so lange beschäftigte.

Natürlich war der Besuch auf dem Bauernhof eine herbe Enttäuschung gewesen. Sie war mit so viel Hoffnung dorthin gefahren. Aber Pfarrer Trenker hatte ihr ja gleich gesagt, dass jener Wolfgang Hochleitner nicht mit ihrem identisch war.

Erfreulich war indes für sie die Bekanntschaft mit Resl gewesen. Die Tochter des Bauern hatte sie überall herumgeführt und ihr alles gezeigt. Dabei zielte ihre Unterhaltung aber in eine ganz andere Richtung.

Resl Hochleitner wollte alles über den Beruf einer Restaurantfachfrau wissen. Sie war erstaunt, als sie erfuhr, dass dazu viel mehr gehörte, als nur den Gästen Essen und Trinken an den Tisch zu bringen.

»Nach drei Jahren Ausbildung steht dann die Gehilfenprüfung an«, hatte Andrea erklärt. »Da muss man dann nachweisen, welche Kenntnisse man sich erworben hat. Dazu gehören auch solche Dinge wie Warenkunde, Kalkulation und vielleicht sogar Fremdsprachen. Die sind in unsrem Beruf immer von Vorteil.«

Resl war beeindruckt. Sie selbst ging auf die Hauswirtschaftsschule. Wenn sie am Wochenende schulfrei hatte, half sie Maria Lechner, der Magd, die schon seit etlichen Jahren auf dem Hochleitnerhof arbeitete. Allerdings war der ihr vorgegebene Lebensweg nicht der, den sie beschreiten wollte. Sie träumte davon, den Hof zu verlassen und eine Lehre zu machen. Am liebsten in der Gastronomie, weil sie gehört hatte, dass man in dieser Branche herumkam, sogar im Ausland arbeiten konnte. Deshalb war ihr der Besuch von Andrea Wengler wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen, das sie noch einmal in ihrer Absicht bestärkte, auf keinen Fall als Magd des Bruders auf dem Hof zu bleiben.

In einem halben Jahr, wenn sie mit der Hauswirtschaftsschule fertig war, wollte sie sich in einem Hotel oder Restaurant um einen Ausbildungsplatz bewerben.

»Dann versuch’s doch bei uns«, hatte Andrea sie ermuntert. »Die Maxi und der Thorsten, meine beiden Chefs, sind prima. Und das Arbeitsklima ist einfach nur toll.«

Sie erzählte ein wenig darüber, wie es im »Waldecker Hof« zuging, und dass es sicher nicht unmöglich war, dort eine Lehrstelle zu bekommen.

Die beiden Madeln verabredeten, in Verbindung zu bleiben, und bei Gelegenheit sollte Resl mal nach Waldeck kommen und Andrea auf ihrer Arbeitsstelle besuchen.

Die Woche verging wie im Flug. Der nächste freie Tag fiel auf einen Mittwoch. Andrea saß in ihrem Zimmer, das sie im »Waldecker Hof« bewohnte, und überlegte, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollte. Das Wirtshaus selbst hatte keinen Ruhetag, um nicht jeden Tag in der Küche stehen zu müssen, hatte Thorsten Horn einen fähigen Jungkoch eingestellt, der die Anforderungen auch schon mal alleine meistern konnte. Thomas Bichler hieß er und hatte in einem renommierten Hotel im Allgäu seine Lehre gemacht.

Andrea war ganz in Gedanken versunken, als es an die Tür klopfte. Sie öffnete, draußen stand Thomas.

»Telefon für dich.«

Sie bedankte sich und folgte ihm die Treppe hinunter.

Die neuen Besitzer hatten die Wohnung der früheren Eigentümer umgebaut, und zwei Zimmer davon für Angestellte reserviert, die sie vielleicht unterbringen muss­ten. Schon bei Andrea Wengler war das der Fall gewesen. Thomas Bichler war in das andere Zimmer gezogen. Für das Personal stand ein eigenes Bad zur Verfügung. Gegessen wurde in der kleinen Küche, die ausschließlich privaten Zwecken diente und von der großen Restaurantküche getrennt war.

Das Telefon stand am Tresen, der Hörer lag daneben. Andrea nahm ihn auf und nannte ihren Namen.

»Hallo, ich bin’s«, hörte sie Resl Hochleitner sagen.

»Grüß dich. Schön, dass du anrufst. Wie geht’s dir?«

»Gut. Wir hatten heut’ zwei Stunden eher Schluss, und ich bin schon daheim. Du, ich wollt’ dich was fragen. Du hast doch heut’ frei, und da wollt’ ich einfach mal hören, ob du net Lust hast, mit an den Achsteinsee zu fahren? Es ist doch so herrliches Wetter heut’, und man kann da ganz wunderbar schwimmen. Oder auch nur faul in der Sonne liegen.«

»Klingt gut«, antwortete Andrea. »Mir fällt ohnehin die Decke auf den Kopf. Und Schwimmen ist super.«

Waldeck war zwar ein ganz hübsches Dorf, aber viel unternehmen konnte man hier nicht. Am Morgen, noch vor dem Frühstück, hatte Andrea eine halbe Stunde gejoggt, später war sie in die Stadt gefahren und hatte einen Einkaufsbummel gemacht. Inzwischen war es früher Nachmittag, und sie hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie sie den restlichen Tag über die Runden bringen sollte, ohne vor lauter Langeweile zu sterben.

»Prima!«, rief Resl. »Soll ich dich abholen? Oder kommst du her?«

Andrea schmunzelte. Sicher steckte hinter dieser Frage die Absicht, den ›Waldecker Hof‹ etwas näher in Augenschein zu nehmen.

»Wenn du Lust hast, kannst’ mich gern’ abholen«, antwortete sie.

»Gut, dann bin ich in einer halben Stunde da.«

Thomas stand in der Tür zur Küche. Offenbar hatte er mitgehört.

»Du gehst schwimmen?«, erkundigte er sich, nicht ohne Neid in der Stimme. »Du hast es gut.«

Andrea zuckte die Schultern.

»Du hast doch gleich Freistunde«, meinte sie. »Komm doch mit.«

Sie mochte ihn. Thomas Bichler war ein lustiger Typ, und mit seinen zwanzig Jahren hatte er als Koch schon »einiges auf dem Kasten«, wie Thorsten Horn es einmal formuliert hatte.

»Geht leider net«, schüttelte er den Kopf. »Morgen Mittag haben wir zwei Busse. Ich muss noch die Braten vorbereiten und die Karte für heut’ Abend.«

»Tja, da kann man nix machen«, bedauerte sie ihn. »Dann ein anderes Mal.«

*

Hanna Burgländer hatte nicht mehr viel zu tun. Die Mittagsgäste waren schon gegangen, und den Nachmittagsdienst übernahm Maxi Herlander.

»Bis heut’ Abend«, verabschiedete die junge Chefin ihre Bedienung und ging in die Küche, um Kuchen und Torten für das fahrbare Büfett, das im Kaffeegarten aufgestellt werden sollte, zu bestücken.

»Wart’, ich helf’ dir«, sagte Andrea, die mit ihrer Badetasche am Tresen stand und auf die Bauerntochter wartete.

Zusammen brachten sie Blechkuchen und Sahnetorten aus der Küche. Alles sah verlockend aus und war von bester Qualität. Thors­ten Horn hatte vor seiner Ausbildung zum Koch den Beruf des Konditors erlernt, dem entsprechend attraktiv und vielfältig war das Angebot für den Kaffeegarten, der von Anfang an von den Waldeckern gut angenommen worden war.

Die beiden Frauen waren gerade fertig, als Resl Hochleitner vorfuhr. Die Bauerntochter und Andrea begrüßten sich, als wären sie alte Freundinnen, und tatsächlich waren die beiden sich auf Anhieb sympathisch gewesen.

»Komm«, sagte Andrea Wengler und legte ihren Arm um Resl, »jetzt führe ich dich mal ein bissel herum.«

Das Madel strahlte.

»Wirklich?«

»Klar. Als erstes mach’ ich dich mit der Chefin bekannt.«

Sie gingen in das Restaurant. Maxi Herlander notierte etwas in den großen Terminkalender, der auf dem Tresen lag.

»Noch eine Reservierung für Samstagabend«, strahlte sie.

»Dann sind wir ja wieder mal ausgebucht.«

»Ja, und ich bin froh darüber.«

»Maxi, das ist Resl Hochleitner«, sagte Andrea.

Die rothaarige Mitinhaberin des Lokals reichte der Bauerntochter die Hand.

»Freut mich. Grüß dich.«

»Resl möcht’ sich mal ein bissel umschau’n«, erklärte Andrea. »Sie will nämlich ins Gastronomiefach wechseln.«

»Tatsächlich?«

Resl nickte.

»Das ist schon lang’ mein Wunsch«, erzählte sie. »Aber der Vater hat’s net zugelassen. Ich soll auf dem Hof bleiben, als Magd meines Bruders. Aber inzwischen bin ich achtzehn und kann selbst bestimmen. Ich mach’ jetzt noch die Schule zu Ende und bewerb’ mich dann um einen Ausbildungsplatz.«

Maxi schmunzelte.

»Na, du weißt ja sehr genau, was du willst«, meinte sie. »Solche Leute können wir immer gebrauchen.«

Resls Augen leuchteten auf.

»Sie meinen … ich könnt’ vielleicht hier …?«

»Freilich«, lächelte Maxi. »Aber das ›Sie‹ lassen wir mal fort. Wir duzen uns hier nämlich alle, weil wir so was wie eine große Familie sind. Also, mach’ dich ran und schreib’ deine Bewerbung.«

»Vorher zeig’ ich dir aber noch alles«, sagte Andrea und zog Resl mit sich.

Die Fremdenzimmer waren alle belegt, so dass sie dort nicht hinein konnten, aber das Restaurant, der Saal und der Kaffeegarten gaben der Bauerntochter schon eine Vorstellung davon, wie es sein konnte, wenn sie eines Tages tatsächlich hier arbeitete.

»So, bevor wir fahren, stell’ ich dir noch eben den Thomas vor«, sagte Andrea und ging mit Resl in die Küche.

Dort stand der Jungkoch und bearbeitete gerade riesige Bratenstücke. Sie wurden gesalzen und gepfeffert und anschließend mit Rosmarin und Knoblauchzehen gespickt. In dem großen Bräter wurde schon das Fett heiß.

Thomas Bichler sah von seiner Arbeit auf, als die beiden eintraten.

»Hallo, wen haben wir denn da?«, fragte er und schaute Resl aus großen Augen an. »Etwa eine neue Kollegin?«

»Noch net«, erwiderte Andrea. »Aber vielleicht bald.«

Sie machte sie miteinander bekannt und registrierte lächelnd, dass die Bauerntochter fast verlegen dem Koch die Hand reichte.

Thomas ließ Resl gar nicht mehr los.

»Jetzt beneide ich dich ja noch mehr«, sagte er an Andrea gewandt.

»Gib ihr nur die Hand zurück!«, meinte sie.

Resl war ein wenig rot geworden.

»Ja, das ist also die Küche, sozusagen das Herz vom ›Waldecker Hof‹«, erklärte Andrea Wengler und sah Thomas an. »Du wirst schon noch Gelegenheit haben, mit zum Baden zu kommen. Aber wahrscheinlich willst’ dann gar net, dass ich dabei bin …«

Der Jungkoch grinste.

»Da könntest’ ausnahmsweise mal Recht haben«, gab er zurück.

Sie deutete auf den Bräter, aus dem sich leichter Rauch kräuselte.

»Pass lieber auf, dass das Fett net verbrennt!«

Thomas fuhr herum.

»Du lieber Gott!«, rief er und gab einen Schuss kaltes Öl in die Pfanne. »Da sieht man mal wieder, was Frauen so alles anrichten können!«

»Oder wie leicht Männer abzulenken sind«, grinste Andrea und zog Resl mit sich. »Komm, wir geh’n lieber.«

»Bis bald mal«, rief Thomas ihnen nach – und es war ganz eindeutig, wen er damit meinte …

*

Wolfgang Hochleitner fuhr mit dem Traktor über die kurvige Bergstraße zum Hof hinauf. Gerade hatte er den Anhänger zum Angererbauern gebracht, der ihn sich ausleihen musste, weil der eigene Hänger hinüber war. Aber solche Nachbarschaftshilfe war bei den Bergbauern nichts Besonderes, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Während der Bauernsohn gemächlich heimwärts fuhr, musste er wieder an das denken, was ihn schon die ganze Woche über beschäftigte.

Der Besuch von Pfarrer Trenker und Andrea Wengler, und was damit verbunden war, ließ ihm einfach keine Ruhe. Die ganzen Tage dachte er schon darüber nach und war zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine vernünftige Erklärung dafür gab.

Einer seiner damaligen Kameraden bei der Bundeswehr musste sich bei dem Madel für ihn ausgegeben haben!

Und je mehr er darüber nachdachte, um so sicherer war Wolfgang, dass es nur so und nicht anders sein konnte.

Aber welcher Bursche kam dafür in Frage?

Der Bauernsohn erinnerte sich, mit niemandem so richtig befreundet gewesen zu sein. Freilich – man schätzte sich gegenseitig als Kamerad, der für eine gewisse Zeit das selbe Schicksal teilte. Man ging zusammen auf ein Bier aus, wenn man frei hatte, oder in die Disko. Das allerdings weniger, weil dort an den Wochenenden das Leben tobte, man selbst aber lieber heimfuhr, weil dort die Liebste wartete, oder, wie in Wolfgangs Fall, die Arbeit auf dem Hof. Nur selten war er mal in München geblieben, es zog ihn doch immer wieder nach Hause.

Indes, wenn er mal dageblieben war, dann war es auch immer hoch hergegangen.

Himmel, was waren das manchmal für Gelage gewesen!

Den Bauernsohn schüttelte es noch heute, wenn er daran dachte.

Und freilich hatten sie auch den Madeln nachgeschaut und hier und da auch was mit einem angefangen. Aber alles in allem waren das ganz normale Dinge für die jungen Soldaten gewesen. Wolfgang glaubte, sicher sein zu können, dass unter den alten Spezies keiner war, der sich unter falschem Namen mit Andrea Wengler angefreundet und ihr die schönsten Liebesversprechen gemacht hatte.

Obwohl, einer fiel ihm schon

ein ... Ein echter Hallodri, der es nicht so genau nahm, wem er das Herz brach. Dabei war Tobias Raitmayr in festen Händen, wenn er sich recht erinnerte. Jedenfalls hatte er immer von seiner Frau gesprochen, die daheim in Aschau auf ihn wartete. Indes war nicht ganz sicher, ob er sie nur so nannte oder tatsächlich verheiratet war. Geredet hatte er jedenfalls nie näher darüber.

Allerdings war Wolfgang über das viele Nachdenken ganz von dem abgekommen, was ihn noch beschäftigte, seit er die hübsche Andrea kennen gelernt hatte. Er dachte nämlich jede Minute an sie und gab sich dabei den schönsten Träumen hin …

Ja, Wolfgang Hochleitner hatte sich verliebt. Jedoch rechnete er sich keine großen Chancen aus. Andrea war auf das Bitterste von einem Mann enttäuscht worden, der, wie er, Wolfgang hieß. Da würde sie sich wohl kaum mit ihm einlassen.

Es sei denn, sie vergaß diesen Filou mit der Zeit doch noch und sah ein, dass nicht alle Männer solche Schufte waren.

Als der Bauernsohn in die Küche kam, duftete es nach Kaffee.

»Hmm, bekomm’ ich auch eine Tasse?«, fragte er die Magd.

»Freilich«, lächelte Maria Lechner, die gerade Wäsche zusammenlegte. »Bedien’ dich nur.«

»Und was ist mit Kuchen?«

Wolfgang hatte gesehen, dass seine Schwester am Morgen einen gebacken hatte.

»Steht in der Speisekammer. Wart’ ich hol’ ihn.«

»Da fehlt ja schon die Hälfte!«, rief der Bauernsohn, beinahe empört, als die Magd zurückkam, und er die halbleere Kuchenplatte sah. »Wer hat den denn aufgefuttert?«

»Resl hat welchen mitgenommen«, erklärte Maria.

»Mitgenommen? Wohin denn?«

»Sie ist zum Baden an den Achsteinsee gefahren.«