E-Book 481-490 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 481-490 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Im Sturm der Gefühle E-Book 2: Folge der Stimme des Herzens E-Book 3: Hat diese Liebe eine Chance? E-Book 4: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ... E-Book 5: Am See begegnete er der Liebe... E-Book 6: Liebe oder falsches Spiel? E-Book 7: Es ist gefährlich, dich zu lieben E-Book 8: Ein Neuanfang im Wachnertal? E-Book 9: Öffne mir dein Herz E-Book 10: Die Liebe findet einen Weg …

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Inhalt

Im Sturm der Gefühle

Folge der Stimme des Herzens

Hat diese Liebe eine Chance?

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...

Am See begegnete er der Liebe...

Liebe oder falsches Spiel?

Es ist gefährlich, dich zu lieben

Ein Neuanfang im Wachnertal?

Öffne mir dein Herz

Die Liebe findet einen Weg …

Der Bergpfarrer – Staffel 49 –

E-Book 481-490

Toni Waidacher

Im Sturm der Gefühle

Roman von Waidacher, Toni

»Wann kommen wir denn endlich an?«, nörgelte die sechzehnjährige Lea Dobner, auf dem Beifahrersitz lümmelnd. »Dieses Kuhdorf muss doch am Ende der Welt liegen. Ich kann schon nicht mehr sitzen, meine Beine sind total steif und mir schmerzt der Rücken.«

»Jetzt übertreib mal nicht, Lea«, versetzte Michelle, die Frau am Lenkrad, nach einem Seitenblick auf ihre Nichte lächelnd. »Zuhause kannst du stundenlang vor dem Computer sitzen, ohne dass du über irgendwelche Verspannungen oder Schmerzen klagst. Außerdem ist St. Johann kein Kuhdorf, sondern eine wunderschöne Gemeinde im Wachnertal, und das liegt nur eine knappe halbe Fahrstunde von Garmisch-Partenkirchen entfernt. Ich schätze mal, wir sind gleich da. Und dann hast du zwei Wochen lang Gelegenheit, beim Bergwandern die Steifheit aus deinen Beinen zu vertreiben und deine Rückenmuskulatur zu trainieren.«

Lea seufzte. »Wer hat dich bloß auf die Idee gebracht, hier, am Ende der Welt, wo es wahrscheinlich noch nicht mal Internet gibt, Urlaub zu buchen? Und – nächste Frage – wichtigste Frage, warum muss ich dich begleiten? Was soll ich hier?«

»Die Frage, warum ich dich mitgenommen habe, haben wir schon x-mal diskutiert. Also erhältst du darauf von mir keine Antwort mehr. Was du hier sollst, habe ich dir ebenfalls x-mal vorgekaut. Du sollst ein wenig Abstand gewinnen von deinem verrückten Freundeskreis, du sollst hier Ruhe und Ausgeglichenheit finden, vor allen Dingen aber sollst du begreifen, dass das Leben nicht nur aus Party und Faulenzen – du bezeichnest es als chillen –, besteht, und dass es noch etwas anderes gibt als Smartphone und Online-Netzwerke.«

»Ha, ha«, machte Lea sarkastisch. »Du und mein Vater – ihr habt mittelalterliche Ansichten. Leider bin ich noch keine achtzehn, und so hat mein Dad bestimmen können, dass ich mit dir hierher in den Urlaub fahren muss. Noch zwei Jahre. Ich ziehe dann in die WG und lebe endlich das Leben, das mir gefällt. Dann könnt ihr mich gernhaben.«

»Na, na, junge Dame, ein bisschen mehr Respekt bitte. Denkst du denn, in einer WG fliegen dir die gebratenen Tauben in den Mund? Wenn man vernünftig leben will, muss man Geld verdienen. Und um genug Geld zu verdienen, damit man sich was leisten kann, muss man eine Schulausbildung vorweisen können.«

»Aber ich gehe doch aufs Gymnasium.«

»Wie lange noch, wenn du dich nicht von dem Freundeskreis löst, mit dem du dich seit einiger Zeit herumtreibst? Wie viele von denen gehen denn in eine Schule? Und arbeiten geht schon gar keiner von ihnen. Die haben auf dich nur einen schlechten Einfluss. Das sind keine echten Freunde.«

»Sie wollen sich eben einer Gesellschaft verweigern, die nur auf Konsum und Geld geil ist …«

Michelle schnitt ihrer Nichte schroff das Wort ab, indem sie hervorstieß. »Spar dir diese dummen Sprüche. Vor allen Dingen solltest du nicht nachplappern, was dir andere vorspinnen. Das sind coole Sprüche, die sie irgendwo gelesen haben und die sie nachplappern, ohne wahrscheinlich ihren Sinn zu verstehen.«

»Auf meine Freunde lasse ich nichts kommen.«

»Du weißt, was dein Vater von deinen Bekannten hält. Er will, dass aus dir mal was wird. Und irgendwann, wenn du erwachsen bist und mit Vernunft über alles nachdenkst, wirst du es ihm danken. Was bringen uns Möchtegern-Revolutionäre, die sich nur allem verweigern, da muss man schon Lösungen erfinden und anfangen, etwas dafür zu tun, damit die Welt wirklich bess... – He, was ist das?«

Der Wagen begann plötzlich leicht zu schlingern.

»Warum lässt das Auto sich plötzlich so schwer steuern?«, entfuhr es Michelle. Sie bremste ab und fuhr rechts ran. Dort, wo ein Wirtschaftsweg von der Straße abzweigte, hielt sie an und stieg aus.

Sie ging um den Wagen herum und entdeckte, dass der linke Vorderreifen keine Luft mehr hatte war. »Wir haben einen Platten. Das hat uns gerade noch gefehlt. Nur wenige Kilometer vor dem Ziel.«

Auch Lea stieg aus und schaute sich das Malheur an. Die Brauen des Mädchens hoben sich. »Hast du schon einmal ein Rad gewechselt?«

»Nein«, gab Michelle zu. »Ich weiß nicht mal, wo sich in diesem Auto ein Wagenheber und das Werkzeug verstecken.«

Fast verzweifelt schaute sie ihre Nichte an.

»Sehen wir mal im Kofferraum nach«, schlug Lea ihrer Tante vor.

Michelle öffnete ihn. Sie hoben Reisetaschen und Koffer heraus und klappten die Abdeckung in die Höhe. Tatsächlich lag da ein Reserverad. Es war mit einer großen Schraube gesichert.

»Irgendwo muss ja auch ein Wagenheber sein«, murmelte Michelle. »Und ein Schraubenschlüssel, damit wir die Radmuttern abschrauben können. Nehmen wir erst mal den Reservereifen heraus.«

Es dauerte einige Zeit, bis Michelle die Verschraubung geöffnet hatte und das Rad herausheben konnte. Es war ziemlich schwer. Unter dem Rad lag ein Radkreuzschlüssel, und in einem Seitenfach befand sich ein Wagenheber.

»Ich habe dem Papa mal zugeschaut«, bemerkte Lea. »Wir müssen erst die Radschrauben lockern, aber noch drauf lassen, ehe wir den Wagen aufheben.«

Michelle machte sich an die Arbeit. Sie fand den passenden Steckschlüssel und versuchte die Schraube aufzudrehen. So sehr sie sich auch anstrengte, sie schaffte es nicht. Mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht gab sie auf.

»Lass mich mal«, forderte Lea.

Michelle überließ ihr das Feld. Aber auch Lea mühte sich vergeblich ab. »Wir müssen ein Auto anhalten«, erklärte sie. »Vielleicht …«

Es waren bereits einige Autos vorbeigefahren, aber auf den Wagen am rechten Fahrbahnrand hatte niemand geachtet. Jetzt aber erklang vom Feldweg her das Tuckern eines Dieselmotors. Lea drehte sich herum. Ein Traktor kam auf sie zu.

Auch Michelle hatte sich ihm zugewandt. »Wir versperren ihm den Weg«, murmelte sie. »Jetzt kriegen wir mit dem Bauern wahrscheinlich auch noch Ärger.«

»Der ganze Urlaub war eine dumme Idee«, maulte Lea. »Das ist wahrscheinlich die Strafe dafür, dass ihr mich gezwungen habt …«

»Sei still! Ich will nichts mehr hören. Meine Nerven liegen sowieso schon blank.« Michelle hatte es mit einer derartigen Schärfe ausgestoßen, dass Lea verschreckt schwieg.

Der Trecker war heran und wurde angehalten, und ein Mann von etwa dreißig Jahren, dunkelhaarig und mit einem blauen Arbeitsanzug bekleidet, stieg von dem Trecker. Sein Gesicht war sonnengebräunt, er war etwa eins achtzig groß und kräftig gebaut, seine braunen Augen schauten freundlich in die Welt.

Natürlich hatte er auf den ersten Blick festgestellt, dass sie mit einer Reifenpanne liegen geblieben waren. »Das schaut ja gar net gut aus«, sagte er grinsend und blickte von Michelle auf Lea, wieder auf Michelle und sagte: »Kommen S’ zurecht? Haben S’ schon mal ein Rad gewechselt?«

»Die Schrauben sind dermaßen fest angezogen …«

Der Bursche lachte amüsiert auf. »Da bleibt mir wohl nix anderes übrig, als Ihnen zu helfen. Sonst stehen wir hier, bis wir Wurzeln schlagen.«

»Das wäre nett.« Michelle lächelte verkrampft.

»Aber das ist doch keine Frage, gute Frau. Solang’ sie nämlich mit ihrem Fahrzeug den Weg blockieren, kann ich net weiterfahren. Ich heiß’ im Übrigen Marko – Marko Bredgauer. Sie haben doch sicher auch einen Namen.«

»Michelle Filbinger. Das ist meine Nichte Lea. Wir wollen in St. Johann zwei Wochen Urlaub machen …«

»Du willst das«, fiel ihr Lea ins Wort. »Ich nicht. Ich muss!«

Marko grinste sie an. »Warum so kratzig, Madel. Es wird dir gefallen bei uns. Und wenn in zwei Wochen dein Urlaub endet, dann bist du richtig verliebt in St. Johann und ins Wachnertal. Glaub’ mir’s. Noch keiner ist von hier weggefahren, dem’s net so ergangen wär’.«

»Wie kann man sich in einen Ort verlieben?«, murmelte Lea.

»Denk’ an meine Worte«, sagte Marko lächelnd. »Dann will ich mich mal an die Arbeit machen. Hoffentlich haben S’ genügend Luft im Reserverad, Michelle.«

»Ich war mit dem Wagen erst kürzlich bei der Inspektion. In der Werkstatt werden sie den Reifen schon aufgepumpt haben.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr.« Nach diesen Worten griff Marko nach dem Kreuzschlüssel …

*

Eine Viertelstunde später war das Rad gewechselt. Marko half Michelle das Werkzeug sowie das defekte Rad zu verstauen und sagte dann: »Sehen S’ zu, dass Sie bald einen neuen Reifen montieren lassen, denn das Reserverad ist net für den längeren Einsatz gedacht. Vielleicht kann man den kaputten Reifen vulkanisieren, ich mein’ damit, dass das Loch fachmännisch verschlossen wird.«

»Gibt es in St. Johann eine Reparaturwerkstätte?«

»In Waldeck ist eine.«

»Wie kann ich Ihnen danken?«, fragte Michelle.

»Das ist net nötig. Wenn S’ Dankeschön sagen, dann ist das in Ordnung. Ist doch selbstverständlich, dass ich helf’, wenn ich seh’, dass jemand in Not ist.«

»Na ja, so selbstverständlich ist das nicht«, entgegnete Michelle. Sie hatte festgestellt, dass Marko an keiner seiner beiden Hände einen Ring trug, der verraten hätte, dass er verlobt oder verheiratet gewesen wäre. Der hilfreiche und anscheinend stets gut gelaunte Bursche gefiel ihr ausnehmend gut, und sie war ihm sehr, sehr dankbar. »Ohne Ihre Hilfe wäre der kaputte Reifen zu einem echten Problem geworden«, gab sie zu. »Ich hätte einen Abschleppdienst verständigen müssen, und im Endeffekt hätte mich der Reifenwechsel eine Menge Geld gekostet.«

»Wahrscheinlich hätt’ schon noch jemand angehalten …«

»Egal«, sagte Michelle. »Nachdem Sie uns geholfen haben, hat sich das alles erübrigt und wir brauchen keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Lea und ich wohnen im Hotel ›Zum Löwen‹. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, wenn ich sie zum Abendessen in das Hotel einlade? Als kleines Dankeschön sozusagen. Oder gibt es jemand, der etwas dagegen haben könnte?« Während ihrer letzten Frage hatte sie verschmitzt gelächelt.

»Wer sollt’ etwas dagegen haben?«, fragte Marko breit grinsend. »Nicht jeden Tag erhält man eine Einladung zum Essen ins Hotel. Die Frau Reisinger ist eine vorzügliche Köchin, das Hotel ist für sein gutes Essen sogar weit über das Wachnertal hinaus bekannt. Sie müssen mir nur sagen, wann ich kommen soll, und ich werd’ da sein.«

»Geben Sie mir Ihre Telefonnummer«, bat Michelle. »Ich rufe Sie spätestens morgen an.«

Marko nannte sie ihr und Michelle speicherte sie im digitalen Telefonbuch ihres Smartphones. »Danke. Dann werde ich jetzt mal den Weg freimachen, damit Sie weiterfahren können. Vielen Dank noch einmal, Marko. Ohne Sie hätten wir alt ausgesehen.«

»Pfüat euch, ihr beiden«, verabschiedete sich Marko, ging zu seinem Traktor und kletterte hinauf.

Michelle und Lea setzten sich ins Auto.

Nachdem Michelle ein anderes Fahrzeug vorbeifahren hatte lassen, fuhr sie an. Marko winkte noch einmal, dann fuhren sie davon und er selbst startete den Motor des Treckers.

»Den hast du aber ganz schön angehimmelt, Tante«, sagte Lea, nachdem der Wagen kurze Zeit dahin­gerollt war. »Er hat dir gefallen, stimmt’s?«

»Ich habe ihn nicht angehimmelt, ich war lediglich freundlich zu ihm«, verteidigte sich Michelle. »Das ist ein Unterschied.«

Lea lächelte spöttisch. »Du warst ja ganz versessen darauf, ihn zum Abendessen ins Hotel einzuladen. Machst du das auch, weil du freundlich sein willst?«

»Das mache ich aus Dankbarkeit.«

Von nun an schlief das Gespräch ein.

Bald kam St. Johann in Sicht, ein Bild, das der alles überragende, prägnante Turm der Kirche prägte. Schließlich passierten sie das Ortsschild und dann sahen sie auch schon das Hotel, das an der Durchgangsstraße lag.

»Herrlich«, schwärmte Michelle. »Schau dir nur diese Blumenpracht auf den Fensterbänken und an den Balkonen an.«

Lea erwiderte nichts. Aber sie betrachtete die Häuser, deren Fassaden zu einem großen Teil mit herrlichen Lüftlmalereien versehen waren, recht interessiert, als das Auto daran vorbeirollte.

Schließlich hielt Michelle auf dem Parkplatz vor dem Hotel an. Sie stiegen aus, nahmen Koffer und Reisetaschen aus dem Auto und gingen hinein.

In der Rezeption saß Susanne Reisinger, die älteste Tochter des Hotelinhabers.

»Grüß Gott«, sagte Michelle. »Mein Name ist Michelle Filbinger. Meine Nichte und ich haben für zwei Wochen ein Doppelzimmer bei Ihnen gebucht.«

Einige Klicks, und Susanne hatte die Buchung auf dem Bildschirm ihres Computers.

»Sie kommen aus Neustadt an der Weinstraße«, sagte sie, »und haben Halbpension gebucht.« Dann nickte sie, schaute Michelle an und fügte hinzu: »Das Zimmer ist vorbereitet. Nummer hundertfünf in der ersten Etage. Soll ich jemand rufen, der ihnen mit den Koffern und Taschen hilft, oder geht es ohne Hilfe?«

»Das schaffen Lea und ich schon«, erwiderte Michelle und nahm von Susanne den Zimmerschlüssel in Empfang. »Wann gibt es denn Frühstück?«

Susanne nannte die Frühstücks- und Abendessenszeiten, dann nahmen Michelle und Lea ihr Gepäck und gingen zum Fahrstuhl.

Das Zimmer, das sie vorfanden, war freundlich und stilvoll eingerichtet und blitzte vor Sauberkeit. Das Fenster war geöffnet und die Luft im Raum frisch.

»Das schaut ja sehr gemütlich aus«, lobte Michelle. »Ich freue mich schon auf die nächsten zwei Wochen.«

»Und ich erst«, stieß Lea mit sauertöpfischem Gesichtausdruck hervor. »Ich könnte brüllen vor Freude.«

Michelle seufzte ergeben, zuckte mit dem Schultern und murmelte: »Mit dieser Einstellung verdirbst du dir den Urlaub selbst. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann versuche ich wenigstens, das Beste daraus zu machen. Du aber versaust dir die Stimmung noch mehr. Wenn wir ausgepackt und unser Zeug alles verstaut haben, bitte ich dich, deinen Vater anzurufen. So bekommt dein Handy auch mal einen Sinn. Sag’ ihm, dass wir gut angekommen sind.«

»Gut angekommen?«, echote Lea sarkastisch. »Ich höre wohl nicht richtig. Hast du die Reifenpanne schon vergessen?«

»Das war höhere Gewalt, Lea«, lächelte Michelle. »Außerdem war der Schaden innerhalb kürzester Zeit behoben. Mit gut angekommen meine ich …«

»Ja, ja, schon gut, du musst mir keinen Vortrag halten, Tante, denn ich weiß, was du meinst.«

»Du sollst mir nicht immer ins Wort fallen, Lea. Das ist unhöflich und zeugt von wenig Reife.«

»Entschuldige.«

»Entschuldigung angenommen. Doch jetzt lass uns auspacken. Dann ruf deinen Dad an. Und finde dich damit ab, dass du die nächsten zwei Wochen mit mir auskommen musst. Wir werden Bergwanderungen machen, das Wachnertal erkunden, vielleicht fahren wir auch mal nach Garmisch oder Mittenwald. Da gibt es einiges, was wir uns anschauen können. Wir können auf die Zugspitze …«

»Du schaffst es schon im Vorfeld, mir die zwei Wochen völlig zu verleiden!«, regte sich Lea auf. »Ich will mich allenfalls an den Badestrand legen, mich von der Sonne anscheinen und den Tag locker angehen lassen.«

Michelle wandte sich wortlos ihrem Koffer zu, hob ihn aufs Bett und öffnete ihn. Sie hatte Lea jetzt den Rücken zugedreht, und so konnte diese nicht das entschlossene Lächeln sehen, das Michelles Mund umspielte. Lea würde schon noch merken, wer hier die Spielregeln bestimmte …

»Warum sagst du nichts?«, kam es fast ein wenig aggressiv von der Sechzehnjährigen.

»Weil ich mit dir nicht diskutiere, Lea. Für die nächsten zwei Wochen bin ich für dich verantwortlich, und du wirst haargenau das tun, was ich sage. Insoweit habe ich das ausdrückliche Okay deines Vaters. Noch Fragen?«

»Ich habe immer gedacht, wir wären Freundinnen«, beschwerte sich Lea.

»Sind wir auch. Wir können sogar die besten Freundinnen sein – solange du brav mitspielst...«

Lea verzog das Gesicht.

»Aber keine Sorge«, sprach Michelle weiter und lächelte dabei. »Du hast in allem ein Mitspracherecht. Und von dem wirst du, wie ich dich kenne, ausgiebig Gebrauch machen. Und jetzt pack’ dein Zeug aus und räume es gleich in deinen Schrank. Und während ich nachher dusche, rufst du deinen Vater an. Okay?«

»Ja, ja, es ist okay.«

*

»Hallo, Papa!«, sagte Lea in ihr Handy.

»Hallo, Kleines. Seid ihr gut angekommen?«

»Ja. Allerdings hatten wir eine kleine Panne. Kurz vor St. Johann hat Michelle einen Reifen platt gefahren. Ein junger Bauer hat das Rad gewechselt.«

»Wo ist Michelle?«, fragte Jens Dobner, Leas Vater.

»Sie duscht sich. Wenn sie fertig ist, gehe ich unter die Brause. Ist bei dir auch alles in Ordnung?«

»Natürlich. Was hast du für einen Eindruck von St. Johann? Gefällt dir der Ort?

Lea verzog das Gesicht. »Und wie! Einfach super! Ich bin begeistert.«

»Das hört sich ausgesprochen ironisch an, mein liebes Kind.« Lea hörte ihren Vater tief durchatmen, dann fuhr er fort: »Ich weiß, ich weiß: Du wolltest diesen Urlaub nicht. Ich bin aber froh und dankbar, dass du dich entschlossen hast, mit Michelle nach St. Johann zu fahren …«

»Das war nicht mein Entschluss!«, regte sich Lea auf. »Ihr – du und Michelle –, habt mich gezwungen, mit ihr in Urlaub zu fahren.«

»Das ist Ansichtssache. Natürlich ist mir klar, dass du das alles ein wenig anders siehst als ich.« Er überlegte kurz, dann sprach er weiter: »Ob du es mir glaubst oder nicht, es ist für mich oft nicht einfach mit dir. Du steckst in einer Phase, der ich nicht immer gewachsen bin. Darum war ich Michelle richtig dankbar, als sie mir anbot, mit dir, fernab von deinen Freunden und all den anderen schlechten Einflüssen, zwei Wochen Urlaub in den Bergen zu verbringen.«

»Ich werde die vierzehn Tage überstehen, Papa. Ändern wird dieser Urlaub allerdings nichts für mich. Das Geld hast du unnütz investiert. Hier gibt es nämlich nichts, was mich interessiert. Der Ort besteht nur aus kleinen Häusern, ganz verschlafen, geschnitzte Balkone, Fensterläden … Das alles ist doch völlig überladen. Sie malen hier sogar Bilder an die Hauswände. Das ist gar nicht mein Stil. Ich mag es lieber einfach und nüchtern …«

»… wie in der großen Stadt. Da ist auch viel mehr los, und ihr könnt es gar nicht erwarten, dorthin zu ziehen, du und deine Freunde. Das ist mir bestens bekannt.«

»Du hast doch keine Ahnung, was wir wirklich wollen.«

»Mag sein. Ich verstehe wirklich nicht, weshalb deine Freunde immer nur provozieren. Möchtegern-Rebellen, das sind sie. Dich will ich in diesen Kreisen nicht wissen. Ich möchte, dass es du zu etwas bringst in deinem Leben. Denk an deine verstorbene Mutter. Sie würde mir voll und ganz recht geben. Diese Leute, die einfach so in den Tag hinein leben und nicht bereit sind, irgendeine Verantwortung zu übernehmen, sind kein guter Umgang für dich.« Jens Dobner seufzte. »Wir haben das schon hundertmal durchgekaut. Leider führen solche Debatten mit dir zu nichts...«

»Noch zwei Jahre, Papa, dann bin ich volljährig.«

»Und hoffentlich gescheiter, Kleines.«

»Michelle hat mir einige …« Leas Stimme färbte sich wieder spöttisch, »… Freizeitvergnügen in Aussicht gestellt, die für mich der blanke Horror sind. Bergwandern und irgendwelche Sehenswürdigkeiten bewundern …«

»Vielleicht kannst du dich doch noch damit anfreunden.«

»Nie im Leben. Ich glaube auch nicht, dass Michelle jemals wieder einen weiteren Urlaub mit mir macht. Ich werde ihr nämlich in den nächsten zwei Wochen das Leben ziemlich schwer machen.«

»Davon rate ich ab, Tochter. Erinnere dich an mein Versprechen. Wenn du dich nicht änderst, stecke ich dich in ein Internat, und zwar weit weg von Neustadt. Wie du selbst schon gesagt hast: Es sind noch zwei Jahre bis zu deiner Volljährigkeit. Und in den zwei Jahren kann ich dir das Leben ziemlich schwer machen. Du kannst es dir aussuchen.«

»Das ist Nötigung!«, begehrte Lea auf.

»Diesen Ausdruck benutzt du ja gerne, mein Kind. In deinen Augen mag das auch so sein. Ich bin der Meinung, dass ich lediglich der Verantwortung gerecht werde, die ich als dein Vater für dich habe. Eines Tages wirst du es mir wahrscheinlich danken. Bestell’ Michelle die besten Grüße von mir. Sie kann mich ja jederzeit anrufen. Und dir, Tochter, wünsche ich einen erholsamen und läuternden Urlaub. Es muss doch möglich sein, dass wir beide uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Findest du nicht, dass wir es deiner Mama schuldig sind?«

»Bring’ bitte nicht die Mama ins Spiel, Papa. Bitte …«

»Schon gut. Also, Tschüss, Kleines. Und wenn ich dir ein paar geruhsame Tage wünsche, dann meine ich das ehrlich.«

»Tschüss, Papa. Ich melde mich wieder.« Als Leas Hand mit dem Smartphone nach unten sank, hatte sie Tränen in den Augen.

*

Michelle und Lea hatten gefrühstückt. Das Angebot war reichlich und gut gewesen. Die Speisen, die geboten wurden, stammten aus der Region und waren frisch und von bester Qualität. Sogar Lea, die an dem Urlaub bisher kein gutes Haar gelassen hatte, musste zugeben, dass das Frühstücksbüffet kaum zu toppen war.

»Was machen wir nun mit dem herrlichen Tag?«, fragte Michelle lächelnd und schaute Lea dabei an, als erwartete sie von ihr eine versöhnliche Antwort. Sie wurde herb enttäuscht.

»Am Besten wieder ins Bett gehen, einschlafen und erst in zwei Wochen wieder aufwachen«, nörgelte das Mädchen und schoss ihrer Tante einen schrägen Blick zu. »Aber wie ich dich kenne, wird dir schon etwas einfallen, etwas, womit du mich nerven kannst.«

»Läutern, mein Schatz, nicht nerven«, versetzte Michelle. »Ich will, dass du merkst, dass es auch ein anderes Leben gibt, als das, das dein Freundeskreis führt.«

»Nur weil sie gern chillen und spezielle Musik hören, sind müssen sie nicht schlecht sein.«

»Ich habe nie behauptet, dass sie schlecht sind. Das Problem ist, dass die neuen Freunde, mit denen du seit einiger Zeit deine ganze Zeit verbringst, arbeitsscheu sind und irgendwann – so weit nicht schon geschehen –, in die Asozialität abrutschen. Mit ihrer Aufmachung und ihrem provozierenden Verhalten wird sie nie jemand einstellen. Aber sie wollen ja ohnehin lieber gegen alles protestieren, statt selbst etwas besser zu machen.«

»Sie halten zusammen, sie sind eine verschworene Gemeinschaft. Einer für alle, alle für einen! Das ist das Motto. Dass man sie wegen ihrer Aufmachung zu Außenseitern abstempelt und sie kein Betrieb einstellt …«

Michelle winkte ab. »Du brauchst sie nicht zu verteidigen, Lea. Ich weiß, was ich von deinen Freunden zu halten habe. Sie wollen Außenseiter sein, wahrscheinlich wollen sie gar nicht, dass sie irgendein Arbeitgeber einstellt. Reden wir nicht mehr davon.«

Gitti Reisinger kam zum Tisch der beiden. »Wie’s scheint, sind Sie fertig«, sagte sie. »Kann ich das Geschirr abräumen?«

»Bitte«, versetzte Michelle. »Vorher aber hätte ich eine Frage an Sie. Gibt es in St. Johann etwas besonders Sehenswertes? Ich meine, welchen Tipp würden Sie persönlich geben?«

Gitti musste nicht lange überlegen. »Sehenswert ist auf jeden Fall unsere Kirche. Die müssen S’ gesehen haben, sonst haben S’ was versäumt. Natürlich können S’ dort net den ganzen Tag verbringen.« Gitti lachte hell auf. »Heut’ ist’s wieder sehr warm und ich würd’ ihnen raten, zum Achsteinsee hinauszufahren. Dort finden S’ alles, was Sie sich für einen schönen Sommertag wünschen können; Eisdielen, Cafès, kleine Geschäfte und Fischlokale …«

»Hört sich gut an«, bemerkte Michelle.

»Sie können aber auch wandern«, fuhr Gitti fort. »Im Umkreis gibt es einige Almen, die einen Besuch wert sind. Sie können aber auch zur Kachlachklamm aufsteigen. Die Kachlach, sie entspringt ganz oben beim Gletscher, stürzt dort in eine enge Schlucht. Die Klamm ist einzigartig und ganz sicher ein Erlebnis. Außerdem haben wir zwei weitere Gemeinden im Wachnertal, nämlich Waldeck und Engelsbach. In Waldeck gibt es eine Kletterwand. Da können S’, wenn S’ Interesse haben, bouldern. Es ist völlig ungefährlich.«

»Was ist der Achsteinsee?«, fragte Lea schnippisch. »Ein richtiger See, oder irgendein sumpfiger Fischweiher, in dem Blutegel schwimmen.«

Etwas verwundert musterte Gitti das Mädchen. Schließlich erwiderte sie: »Draußen, an der Rezeption, haben wir eine Reihe von Prospekten, unter anderem auch eins vom See. Von einem sumpfigen Fischweiher kann auf keinen Fall die Rede sein.«

»Vielen Dank«, sagte Michelle, die sich über Lea ärgerte. »Wir werden uns wohl zunächst mal im Ort ein wenig umsehen. Zu dem See können wir immer noch hinausfahren.«

»Ich wünsch’ Ihnen jedenfalls einen schönen Tag«, gab Gitti zu verstehen. »Schauen S’ sich aber auf jeden Fall unsere Kirche an. Es ist unser Schmuckstück hier in St. Johann.«

»Das machen wir ganz bestimmt.« Michelle erhob sich und nickte Lea auffordernd zu. Gleich darauf verließen beide den Frühstücksraum.

Auf ihrem Zimmer angelangt ärgerte sich Michelle: »Was soll solches Gerede?«

Sie machte Lea nach: »Ist der Achsteinsee ein sumpfiger Fischweiher, in dem Blutegel schwimmen?« Ihre Stimme nahm wieder den normalen Klang an. »Willst du dich bei den netten Menschen hier unbeliebt machen?«

»Lass mich doch, Tante. War doch nur ein Scherz.«

»Über den ich mich beinahe totgelacht hätte, und die Bedienung auch. Ich werde jetzt den hilfsbereiten Mann, diesen Marko Bredgauer, anrufen und ihn für heute Abend ins Hotel zum Essen einladen. Dann sehen wir uns die Kirche an. Mich interessiert vor allem die Madonna, die von einer einmaligen Schönheit sein soll. Anschließend fahren wir zum Achsteinsee. Dann kommen wir sicherlich dem etwas näher, was du willst, und was du unter Ferien verstehst.«

»Es war wirklich als Spaß gedacht, Tante.«

»Sicher, schwarzer Humor, so schwarz wie der Nagellack und der Lippenstift deiner Freundin Tamara.«

Lea schnitt eine Grimasse, sagte aber nichts mehr.

*

Sie verließen wenig später das Hotel und spazierten zur Kirche. Ehe man das Kirchenschiff betreten konnte, musste man durch einen Vorraum, der mit Glaswänden vom Kirchenschiff abgetrennt war.

An einem Schwarzen Brett hingen die Kirchlichen Bekanntmachungen und Plakate zu kommenden Kirchenkonzerten und Veranstaltungen. In einem Ständer wurden Ansichtskarten angeboten. In dem Vorraum befand sich darüber hinaus die Bank mit den Kerzen, die man beispielsweise zum Gedenken an seine Verstorbenen für ein paar Cent erwerben konnte.

Michelle und Lea beachteten weder die Prospekte, noch die Postkarten.

Sie betraten die Kirche, und während sich Lea betont gelangweilt umschaute, staunte Michelle. Die Freskos, die die Decke des Kirchenschiffs schmückten, stellten Szenen aus dem Alten und Neuen Testament war, waren von einer einzigartigen Schönheit und reichten von der Erschaffung der Welt bis hin zur Himmelfahrt Christi. Auch die bleigefassten, farbigen Fensterbilder zeigten Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament. Kleine Holztafeln an der Wand darunter verrieten die Namen derjenigen, die sie irgendwann einmal gestiftet hatten.

Um diese frühe Zeit waren noch nicht viele Besucher in der Kirche. Die wenigen gingen herum, schauten sich interessiert die Fresken und Bilder an, manche fotografierten. Man hörte leise Unterhaltungen, das leise Quietschen von Schuhsohlen auf dem Steinboden, manchmal ein unterdrücktes Hüsteln oder Niesen.

Michelle hatte alles verinnerlicht, was sich auf den ersten Blick dem Auge bot. Sie nahm Lea am Handgelenk und raunte ihr zu: »Komm, wir suchen die Madonna.« Sie zog das Mädchen mit sich fort, das ihr – wenn auch widerwillig –, folgte.

Sie fanden die Muttergottesstatue in einer Nische.

Michelle sah sie und hielt für Sekunden die Luft an. Nachdem sie die Atemluft ausgestoßen hatte, murmelte sie: »Schau dir diese Statue an, Lea. So etwas Schönes siehst du vielleicht in deinem ganzen Leben nicht mehr.«

Entgegen ihrer sonstigen Art, sich schnippisch und herausfordernd zu geben, nickte das Mädchen und erwiderte im Flüsterton: »Diese Statue ist wirklich sehr scchön. Man kann kaum glauben, dass sie von Menschenhand geschaffen wurde.«

Michelle und Lea waren wie gebannt von der Schnitzerei. Das filigrane Gesicht der Skulptur strahlte etwas aus, das den Betrachter auf sonderbare Weise verzauberte und mit Worten kaum zu beschreiben war. Der Faltenwurf des Kleides, die feinen Hände, der goldene Strahlenkranz … Kaum jemand konnte sich dem Bann, den diese von Meisterhand gefertigte Heiligenfigur ausübte, entziehen.

»Gefällt Ihnen die Schnitzerei?«, fragte eine sonore, männliche Stimme hinter Michelle und Lea. »Die Madonna ist der schönste und gewiss auch kostbarste Besitz unserer Kirche.«

Sie wandten sich um und sahen einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann, der mit einem schwarzen Anzug bekleidet war, an dessen Revers ein kleines goldenes Kruzifix glitzerte und der einen weißen Priesterkragen trug. Freundliche Augen lächelten sie an.

»Sie ist von einzigartiger Schönheit«, antwortete Michelle.

Lea nickte.

»Ich bin der Pfarrer von St. Johann. Mein Name ist Trenker.«

»Ich heiße Michelle Filbinger, das ist meine Nichte Lea – Lea Dobner. Wir machen zwei Wochen in St. Johann Urlaub und sind gestern erst angekommen.«

»Das freut mich. Sie werden Ihre Freude an unserem schönen Ort und überhaupt an dem ganzen Tal haben. Wo kommen S’ denn her?« Sebastian war nicht entgangen, dass Lea leicht die Augen verdreht hatte.

»Wir kommen aus Neustadt an der Weinstraße«, antwortete Michelle.

»Ah, Rheinland-Pfalz. Hatten S’ eine problemlose Anreise?«

»Bis auf einen platten Reifen kurz vor St. Johann – ja. Gott sei dank erhielten wir Hilfe. Ein junger Mann, er heißt Marko, kam mit seinem Traktor auf einem Feldweg daher. Er hat das Rad gewechselt.«

»Sie reden sicher vom Bredgauer Marko, Frau Filbinger. Das ist der einzige Marko, den ich kenn’ und dessen Eltern eine Landwirtschaft besitzen.«

»Ja, stimmt, sein Name ist Bredgauer. Ich hab’ ihn für heute Abend zum Essen ins Hotel eingeladen.« Michelles Augen begannen zu strahlen. »Er ist ein ganz besonders netter und hilfsbereiter Mensch. Und wir sind ihm sehr, sehr dankbar, dass er uns geholfen hat.«

»Der Marko ist in der Tat ein anständiger Kerl, stets hilfsbereit und freundlich. Ich denk’, es freut ihn, wenn Sie sich ihm gegenüber dankbar zeigen. Bestellen S’ ihm schöne Grüße von mir, wenn S’ ihn heut’ Abend treffen. Ich muss leider weiter, sonst hätte ich ihnen gern noch mehr von unserer schönen Kirche gezeigt. Also dann, pfüat Ihnen. Ich darf Ihnen einen erholsamen Urlaub wünschen.«

Sebastian schaute Lea an. »Und dir, Madel, wünsch’ ich, dass du auch noch deinen Spaß hier bei uns findest. Bei uns ist die Welt nämlich im Großen und Ganzen noch recht in Ordnung.«

Lea blinzelte, ihr Blick irrte ab und das jähe Unbehagen stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Sebastian lächelte verständnisvoll, nickte den beiden noch einmal zu und entfernte sich dann.

»Woher weiß er, dass mir der Urlaub nicht den geringsten Spaß macht?«, fragte Lea raunend, als der Pfarrer weit genug weg war, sodass er sie nicht mehr hören konnte.

»Wahrscheinlich ist ihm nicht entgangen, wie du die Augen verdreht hast, als er von seinem schönen Ort und dem Tal sprach.«

»Aber …«

»Kein Aber, Mädchen, ich hab es auch gesehen.«

Etwas betreten schaute Lea in die Richtung, in die der Pfarrer davongegangen war.

Michelle blieb Leas Verlegenheit nicht verborgen und sie wertete es als kleinen Erfolg. »Schauen wir uns noch ein wenig um«, schlug sie vor. »Dann holen wir unsere Badesachen aus dem Hotel und fahren zum Achsteinsee. Einverstanden?«

»Was bleibt mir anderes übrig.«

Schnell hatte Lea zu ihrer schnoddrigen Art zurückgefunden.

*

Dass Lea von der Größe des Sees und der gesamten Anlage, angefangen bei dem riesigen Parkplatz, dem gewaltigen Bergpanorama, bis hin zur weitläufigen Liegewiese überrascht war, konnte Michelle daran ersehen, dass der Teenager gleich nach dem Betreten der Anlage stehen blieb und den staunenden Blick in die Runde schweifen ließ.

Weiter draußen auf dem See sah man Boote und einige Windsurfer, etwas abseits befanden sich Anlegestellen einiger Bootsverleihe. In der Nähe des Badestrandes gab es eine künstliche, fest verankerte Insel, auf der sich hauptsächlich Kinder und Jugendliche tummelten.

»Na, Lea, wie gefällt dir das?«, fragte Michelle.

»Es ist nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe«, antwortete das Mädchen. »Ich denke, hier halte ich es aus bis zum Abend.«

»Um vier Uhr dreißig brechen wir hier unsere Zelte ab«, erklärte Michelle. »Denn um sechs Uhr habe ich unser Treffen mit Marko ausgemacht. Bis wir in den Ort kommen, duschen und uns für den Abend zurechtmachen …«

»Du willst dem Typen gefallen, Tante, nicht wahr?«

»Wie kommst du darauf?«

»Du hast einen total seltsamen Gesichtsausdruck, wenn du von ihm sprichst.«

»Nun ja …« Michelle errötete leicht.

»Er sieht aber auch gut aus«, fuhr Lea fort und beobachtete ihre Tante von der Seite. »Das findest du doch auch, oder etwa nicht?«

Michelle nickte. »Ich habe schon hässlichere Männer gesehen.«

»Suchen wir uns einen Platz«, schlug Lea vor.

Das war gar nicht so einfach, denn die Liegewiese war von vorne bis hinten belegt. Vor allem die schattigen Plätze waren allesamt besetzt, und so blieb den beiden nichts anderes übrig, als ziemlich am Rand auf einem Stück Rasen ihre Decke auszubreiten.

Sie entledigten sich ihrer Kleidung bis auf den Bikini, und während sich Michelle bäuchlings auf die Decke legte, sagte Lea: »Ich gehe ins Wasser. Hoffentlich ist es nicht allzu kalt.«

Sie ging davon.

Michelle drehte etwas den Kopf und schaute ihr hinterher. Rein figürlich war Lea nicht mehr weit davon entfernt, eine Frau zu sein. ›Es ist kein Wunder, dass sich Jens ihretwegen Sorgen macht‹, dachte Michelle. ›Fast erwachsen und dennoch innerlich fast noch ein trotziges Kind. Und so leicht beeinflussbar. In der Gruppe, in der sie sich seit kurzer Zeit am wohlsten fühlt, soll es ja sehr freizügig zugehen. Ich weiß nicht, ob Jens es wegstecken könnte, wenn er Lea tatsächlich an dieses düstere Clique verlieren würde. Er hat Nicoles Tod noch nicht verarbeitet …‹

Michelles Handy klingelte. Sie setzte sich, kramte den Apparat aus der Handtasche und nahm das Gespräch an. »Michelle Filbinger«, meldete sie sich.

»Hier ist Marko. Seid ihr schon am See?«

Michelle erinnerte sich, dass sie ihm am Morgen, als sie ihn angerufen hatte, um ihn zum Essen einzuladen, erzählt hatte, was sie an diesem Tag unternehmen wollten. »Ja, vor wenigen Minuten sind wir angekommen. In der Kirche haben wir euren Pfarrer kennengelernt. Das scheint mir ein sehr interessanter Mann zu sein. Er hat gut über dich gesprochen.«

»Der Trenker, ja, der ist in Ordnung. Sein Bruder leitet das Polizeirevier in St. Johann. Mit den zweien kann man Gäule stehlen. Der Pfarrer ist ein erfahrener Bergsteiger. Der macht so manchem Möchtegernbergsteiger was vor.«

»Ja, er schaut recht durchtrainiert aus.«

Eine kurze Pause entstand. Dann erklang wieder Markos Stimme: »Ich wollt’ nur mal nachfragen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem wollt’ ich Ihnen sagen, Michelle, dass ich mich schon auf den Abend freu’. Ich bin noch nie zum Essen eingeladen worden. Es ist für mich so etwas wie eine Premiere.«

Michelles Herz schlug etwas höher, ein Lächeln umspielte ihren Mund, was sie selber allerdings gar nicht wahrnahm. Die Freude über den Anruf hatte es ihr ins Gesicht gezaubert, und sie gestand sich ein, dass auch sie sich mehr als normal auf den Abend mit Marko freute. Und das lag nicht nur an seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Sie musste zugeben, der kernige Bursche hatte einen gewaltigen Eindruck bei ihr hinterlassen. Ja, keine Frage. Marko hatte ihr gefallen, und das war sicher auch ein Grund für die Einladung zum Essen.

»Ich freue mich ebenfalls, Marko. Wir werden uns einen schönen gemütlichen Abend machen. Sie können mir etwas von sich erzählen, ich erzähle Ihnen etwas von mir. Es wird gewiss sehr kurzweilig.«

»Eigentlich bin ich heut’ schon fertig mit meiner Arbeit. Wenn’s Ihnen nix ausmacht, Michelle, dann komm’ ich jetzt zum See und leist’ Ihnen ein bissel Gesellschaft. Ich war schon lang nimmer baden und weiß schon fast nimmer, wie’s ist am See.«

Wieder vollführte Michelles Herz einen Sprung in der Brust. Sein Angebot, ihr Gesellschaft zu leisten, war ein hundertprozentiges Indiz dafür, dass sie ihm mehr als nur sympathisch war. Es war ihm wohl ebenso ergangen wie ihr. Bei ihm war anscheinend auch gleich der Funke übergesprungen. Und er wollte nicht bis zum Abend warten, um in ihrer Nähe zu sein.

›Ja, komm her, beeile dich!‹, jubelte eine Stimme in ihr. Laut sagte sie: »Was sollte es mir ausmachen? Meine Nichte vertreibt sich den Nachmittag wahrscheinlich auf der Insel. Da sind einige Halbstarke, die wohl um sie herumschwärmen werden wie die Motten um das Licht.« Michelle lachte belustigt auf. »In Ihrer Gesellschaft vereinsame ich wenigstens nicht hier auf meiner Decke.«

»Ich bin in spätestens einer halben Stunde da. Wo finde ich Sie denn?«

Michelle schaute sich um, dann erklärte sie Marko ihren ungefähren Liegeplatz. »Ich werde aber den Eingang im Auge behalten«, endete sie. »Und wenn ich Sie sehe, winke ich.«

»Dreißig Minuten!«, versicherte er. »Ich möchte Sie gern auf Kaffee und Kuchen oder einen Becher Eis einladen. Oder müssen Sie auf Ihre schlanke Linie achten?«

»Ich mache Ausnahmen«, lachte sie.

»Bis dann, pfüat Ihnen.«

»Tschüss!«

Michelle verstaute ihr Smartphone in der der Tasche und legte sich wieder zurück, schob die Hände flach hinter den Kopf und schloss die Augen. Ein warmes Gefühl durchströmte sie. Marko war ihr völlig fremd, und dennoch hatte sie das Gefühl, ihm innerlich ganz nah zu sein. Sie hatte nie daran geglaubt, aber es schien sie zu geben, die Liebe auf den ersten Blick.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es halb zwölf Uhr war. Plötzlich konnte sie es kaum erwarten, dass er kam. Um Lea brauchte sie sich nicht zu kümmern. Das Mädchen war sechzehn, und wenn Lea von den Burschen auf der künstlichen Insel umschwärmt wurde, konnte dies nur dazu beitragen, dass sie Abstand gewann und sich nach und nach von dem Freundeskreis löste, dem sie momentan noch anhing.

Die Gewissheit, dass sich Marko für sie interessierte, versetzte Michelle in einen geradezu euphorischen Zustand. Alle Augenblicke schaute Michelle auf die Uhr, und jedes Mal hatte sie das Gefühl, dass sich seit Markos Anruf die Zeiger langsamer bewegten.

Aber die Zeit verrann, und als zwanzig Minuten verstrichen waren, setzte sich Michelle und ließ den Eingang zur Liegewiese nicht mehr aus den Augen.

Und dann, es war kurz vor zwölf Uhr, erschien Marko.

Michelle riss es regelrecht von der Decke in die Höhe, ihr rechter Arm zuckte hoch und sie begann wie verrückt zu winken …

*

Es war fast zur gleichen Zeit, als Max Trenker mit seinem Dienstwagen vor dem Pfarrhaus parkte und ausstieg. Er drückte den Rücken durch und reckte die breiten Schultern, dann ging er zur Tür und läutete.

Wie an jedem Werktag, an dem Max Mittagessensgast im Pfarrhaus war, öffnete ihm Sophie Tappert. Sie lächelte den jüngeren Bruder des Pfarrers freundlich an.

»Einen wunderschönen Tag, liebe Frau Tappert«, grüßte Max lächelnd und lüftete seine Dienstmütze. »Ihr täglicher Kostgänger ist wieder da.«

»Grüaß Gott, Max. Gehen S’ nur herein. Ihr Bruder wartet schon im Esszimmer.« Sophie, die gute Seele des Pfarrhauses und Herrin über die Küche, gab die Tür frei, sodass Max an ihr vorbeigehen konnte.

Er hängte seine Mütze an einen Haken der Garderobe und schnupperte in die Luft. »Nach was riecht es?« Als Sophie etwas sagen wollte, hob er schnell die Hand. »Lassen S’ mich raten. Pilze … Irgendetwas mit Pilzen. Sagen S’, dass ich recht hab’, Frau Tappert.«

»Ihr Geschmacksinn ist wieder einmal untrüglich. Es gibt Käse-Pilz-Omeletts. Ich hab’ mir gedacht, dass wieder einmal fleischlos net schaden könnt’.«

»Fein, ich freu’ mich schon. Und außerdem freu’ ich mich auf das Gesicht meines Bruders, wenn ich ihm erzähle, dass einer der Vandalen, die auf Hubertusbrunn gewütet haben, möglicherweise überführt werden kann.«

»Was!«, platzte es regelrecht aus Sophies Mund. »Das ist eine ganz gute Nachricht. Hat man den Kerl wenigstens gleich festgenommen? Hat er die Namen seiner Komplizen verraten? Weiß man schon den Namen seines Auftraggebers?«

»Langsam, langsam, Frau Tappert«, lachte Max, »Sie fragen mir ja ein Loch in den Bauch.«

»Bitte, Max, spannen S’ mich net auf die Folter.«

»Wissen S’ was, Frau Tappert, ich geh jetzt ins Esszimmer, Sie bringen die Omeletts, die dürfen ja net lang auf den Esser warten. Und dann bericht’ ich, was mir vor einer halben Stund’ ein Kollege aus Garmisch telefonisch mitgeteilt hat. So muss’ ich es net zweimal erzählen.«

»Ich beeil’ mich«, versicherte Sophie und eilte auch schon in die Küche, um die Omeletts auf die vorgewärmten Teller zu laden und zu servieren.

Max ging ins Esszimmer, wo Sebastian schon am Tisch saß und in einem Magazin las.

»Servus. Schön, dass du da bist.« Sebastian klappte das Magazin zu und legte es auf die Seite.

Max knöpfte die Uniformjacke auf und nahm Platz.

Da kam auch schon Sophie mit den Tellern. Auf jedem lagen zwei Omeletts, knusprig gebraten. Pilzduft breitete sich im Esszimmer aus. Sophie stellte vor jeden der Brüder einen Teller hin. »Guten Appetit, die Herren«, wünschte die mütterliche Frau und setzte sich.

»Wollen S’ uns beim Essen zuschauen, Frau Tappert?«, fragte Sebastian. »Warum essen S’ net mit uns?«

Sophie schüttelte den Kopf. »Danke, ich hab’ schon gegessen«, erklärte die Haushälterin. »Ich hab’ mich zu Ihnen gesetzt, weil ich hören möcht’, wer für die Verwüstungen am Jagdschlössl verantwortlich ist. Ihr Herr Bruder will’s net zweimal erzählen, hat er gesagt.«

Sebastians Kopf war herumgezuckt, fragend starrte er seinen Bruder an. »Nun red’ schon!«, forderte er Max auf.

»Ja, du hast richtig gehört«, sagte Max und griff nach dem Besteck. »Einer der Kerle, die für die Verwüstungen auf Hubertusbrunn verantwortlich sind, konnte identifiziert werden. Er ist bereits polizeibekannt. Es handelt sich um einen Neunzehnjährigen aus München. Sein Name ist Stefan Graser.«

»Und was ist mit den anderen Kerlen? Und hat er den Auftraggeber verraten?« Man konnte Sebastian die Erregung ansehen, die ihn befallen hatte. Er stand regelrecht unter Strom.

»Man hat den Burschen vernommen. Aber er hat geschwiegen wie ein Grab und bestreitet alles. Er behauptet, dass der Kerl in dem Video ein Doppelgänger sei, und beruft sich sogar auf ein Alibi. Das wird noch geprüft.«

»Hat man ihn festgenommen?«, fragte Sophie.

»Sie meinen in Untersuchungshaft genommen, wie? Nein. Dazu reichen die beiden Straftaten nicht aus. Und wenn er tatsächlich ein Alibi vorweisen kann, dann wird man ihm die Tat sowieso nur ganz schlecht nachweisen können.«

»Aber wenn er doch im Video zu sehen ist!«, stieß Sophie hervor.

»So gut ist die Bildqualität net, dass ein Irrtum zu hundert Prozent ausgeschlossen werden könnt’. Auch die Gesichtserkennungssoftware kann mal eine Falschmeldung bringen. Aber die Kollegen in Garmisch sind sich sicher, dass er einer der Vandalen ist. Und sie werden net ruhen, bis die Taten aufgeklärt sind.«

»Das heißt also, wir müssen weiterhin abwarten«, murmelte Sebastian etwas enttäuscht. Achselzuckend fügte er hinzu: »Aber lieber soll man einen Schuldigen, dem die Schuld net eindeutig nachzuweisen ist, laufen lassen, als dass man einen Unschuldigen verurteilt.«

»Ja, das ist ein Rechtsgrundsatz, der in Deutschland absolute Gültigkeit hat. In dubio pro reo! Im Zweifel für den Angeklagten. Aber wie ich schon gesagt hab’: Man geht bei der Kripo davon aus, dass Graser einer der Täter ist. Selbst wenn er ein Alibi präsentiert – man wird es genauestens unter die Lupe nehmen.«

Sophie erhob sich, und ihr Gesichtsausdruck verriet Enttäuschung. »Es ist also gar net sicher, dass diese Gangster überführt werden können. Schade. Jetzt sollten S’ aber essen, meine Herren, eh’ die Omeletts kalt sind.«

Sebastian und Max machten sich über das Essen her.

*

Marko Bredgauer sah Michelle winken, ein erfreutes Lachen trat auf sein Gesicht, und er eilte auf sie zu. »Da bin ich!«, rief er aufgekratzt, als er bei ihr angekommen war. Er musterte sie und es kostete ihm Mühe, seine Aufmerksamkeit von ihrer schlanken, straffen und dennoch sehr weiblichen Figur zu lösen, um bei ihr nicht das Gefühl entstehen zu lassen, anmaßend und aufdringlich zu sein. Er schaute ihr in die Augen, glaubte auf deren Grund ebenfalls Freude zu erkennen, und sagte: »Da kann man’s aushalten, gell? Zum Achsteinsee kommen die Leut’ sogar von weit her. Er ist eine der Attraktionen im Wachnertal.«

»Ja, hier ist es in der Tat sehr, sehr schön. Nicht mal meine Nichte hat etwas auszusetzen.« Michelles Stimme klang ein wenig dünn, denn sie war trotz des entspannten Eindrucks, den sie zu vermitteln versuchte, verlegen und unsicher.

»Wo ist sie denn?«

Michelle wandte sich ab und war froh, ihre Verlegenheit überspielen zu können, indem sie nach dem Mädchen Ausschau hielt. Sie erspähte Lea auf der künstlichen Insel, deutete in ihre Richtung und erwiderte: »Da drüben, auf der Insel.« Ein Lächeln verzauberte ihr hübsches, gleichmäßiges Gesicht und ließ ihre Zähne zwischen den sinnlich geschnittenen Lippen blitzen. »Und wie es scheint, hat sie auch schon ein paar Verehrer gefunden. Sehen Sie nur, drei … nein, es sind vier junge Burschen, die sie regelrecht belagern. Da hat sie anscheinend großen Eindruck gemacht.«

»Das geht schnell bei der Jugend«, erklärte Marko schmunzelnd. »Setzen S’ sich noch ein bissel, Michelle. Ich zieh’ mich aus, und dann trinken wir dort …« Er hob den Arm und zeigte auf ein kleines Cafè, gleich an der Liegewiese, bei dem es noch zwei freie Tische gab, »… Kaffee. Vorausgesetzt, Sie nehmen meine Einladung an.«

»Es gibt keinen Grund, sie auszuschlagen«, versetzte Michelle und lächelte in einer Weise, die ein ungewohntes Prickeln in seinem Magen auslöste.

Nicht nur, dass sie ihm von ihrem Erscheinungsbild her ausnehmend gut gefiel, es war auch ihre natürliche und spontane Art, die ihn faszinierte. Kurz gesagt: Es gab an ihr nichts, was ihn nicht positiv berührt hätte.

Mit einer Grazie, die ihresgleichen suchte, ließ sie sich auf die Decke sinken, lächelte zu ihm in die Höhe, und das Flackern in seinen Augen verriet ihr, dass sie ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlt hatte. ›Reiß dich am Riemen, Michelle! Du bist doch kein Teenager mehr. Du musst ihn erst besser kennenlernen. Lass’ besser ihn aus der Reserve kommen.‹ Das waren ihre Gedanken, während sie ihm zuschaute, wie er sich seines T-Shirts entledigte, seine Sandalen auszog und schließlich aus seiner Jeans stieg. Er war schlank, unter seiner Haut zeichnete sich eine kräftige Muskulatur ab.

»Sie sind gebaut wie ein Leichtathlet«, erklärte Michelle anerkennend. »Treiben Sie Sport?«

Er grinste. »Ich hab’ genug Sport im Kuhstall und auf den Wiesen, Feldern und Äckern. In meiner Freizeit setz’ ich mich lieber hin und streck’ die Beine unter’n Tisch, genehmige mir eine Halbe Bier oder ein Glas Wein und lass’ es gern ruhig angehen.«

»Eine vernünftige Einstellung, man soll sich nicht auch noch in der Freizeit abhetzten«, erklärte Michelle. »Wobei ich gestehen muss, dass ich mindestens zweimal in der Woche ins Studio gehe.«

»In eine Muckibude! Das, denk’ ich, wär’ nix für mich. Wenn schon Sport, dann lieber joggen oder Rad fahren. Da ist man wenigstens in der Natur.« Marko stand jetzt in schwarzen Badeshorts da. Einem Anflug von jähem Übermut folgend hielt er Michelle die rechte Hand hin. »Gehen wir in das Cafè«, sagte er, »eh’ alle Tische besetzt sind.«

Michelle griff nach seiner Hand und zog sich an seinem Arm in die Höhe. Die Berührung ihrer Hände war elektrisierend. Wieder tauchten für einen kurzen Moment ihre Blicke ineinander, dann aber ließ Michelle Markos Hand los.

»Gehen wir!« Erneut gab sie sich ein klein wenig burschikos, und wieder war es nur, weil sie ihre Unsicherheit überspielen wollte.

»Einen Moment«, sagte Marko, hob seine Hose auf, holte seine Geldbörse heraus der Gesäßtasche. »Jetzt können wir«, gab er zu verstehen.

Sie ergatterten einen der freien Tische und im nächsten Moment stand auch schon eine Bedienung bei ihnen, um sie nach ihren Wünschen zu fragen.

»Möchten Sie Kaffee oder Eis?«, fragte Marko an Michelle gewandt.

»Kaffee, bitte.«

»Kuchen?«

»Nein, danke.«

Marko nickte. »Also doch auf so wenige Kalorien wie möglich bedacht.«

»Nun ja, man muss ja nichts übertreiben, wir wollen heut ja auch noch essen gehen«, antwortete Michelle lächelnd und klopfte sich mit der Hand leicht auf den flachen Leib.

»Zwei Kaffee bitte«, sagte Marko zu der Bedienung, die sich bedankte und entfernte.

Marko schaute Michelle schmunzelnd an. »Was hat Sie veranlasst, Ihren Urlaub in St. Johann zu verbringen, Michelle? Hier gibt es keine Muckibude und auch keine Disco für Lea. Zu uns kommen in der Regel Touristen, die Natur und Ruhe suchen, um frische Kraft zu schöpfen und die leeren Akkus mit neuer Energie aufzuladen.«

»St. Johann ist genau das, was ich gesucht habe«, antwortete Michelle. »Aber nicht ich bin es, der Abstand gewinnen soll, sondern meine Nichte.«

»Sie ist doch noch viel zu jung, um schon Erholung nötig zu haben. Wahrscheinlich geht sie noch zur Schule. Sicher, heutzutag’ kann Schule auch schon Stress bedeuten …«

»Das ist nicht das Problem«, versetzte Michelle. Einen kurzen Moment fragte sie sich, ob sie Marko, der ihr so gut wie fremd war, erzählen sollte, was sie bewogen hatte, mit Lea nach St. Johann zu fahren, um sie quasi für zwei Wochen aus dem Verkehr zu ziehen. Aber war er ihr wirklich so fremd? War da nicht ein unsichtbares Band aus Zuneigung und Verständnis? Marko war in ihren Augen ein geduldiger, besonnener Mann, und sie hatte sofort Vertrauen zu ihm gefasst.

»Wo liegt das Problem dann?«, fragte er.

Michelle kam zu dem Schluss, dass sie mit ihm offen reden konnte. »Lea ist die Tochter meiner Stiefschwester Nicole. Leider ist Nicole vor einem Jahr an Krebs verstorben. Mein Schwager war in dieser schwierigen Phase mit Leas Erziehung etwas überfordert. Er hat zwar sein bestes gegeben, aber Sie können sich vorstellen, dass ein pubertierender Teenager nur schwer zu bändigen ist.«

»Solche Fälle kenne ich auch. Diese jungen Leute sind net nur ein Problem für ihre Väter. Auch die Mütter haben’s oft schwer mit ihnen. Aber bei einem alleinerziehenden Vater stell’ ich mir das schon besonders heikel vor. Ich vermute, dass Ihr Schwager auch beruflich gefordert ist …«

»Ja. Er ist Optiker und ist ganztags eingespannt. Aber bei einer Sechzehnjährigen, die schließlich nicht mehr beaufsichtigt werden muss wie ein Kleinkind, sollte das kein Problem sein. Bei Lea ist es der Freundeskreis. Sie hat eine Freundin. Tamara hat einen Typen kennengelernt, der sich der düsteren Gothic-Szene zugehörig fühlt. Auf diesen Zug ist Tamara sofort aufgesprungen. Sie schminkt sich nun das Gesicht fast weiß, malt sich die Lippen, die Finger- und Zehennägel schwarz an und hat sogar in ihrem Zimmer die Wände schwarz angestrichen.«

»Von diesen Grufties hab’ ich schon gehört«, bemerkte Marko. »Ich denk’ das ist ein Spleen einiger Zeitgenossen, die um jeden Preis auffallen möchten. Das sind doch harmlose Spinner.«

»Harmlos sind sie«, pflichtete Michelle bei. »Aber die jungen Leute, denen sich Tamara angeschlossen hat, gehen der Schule und der Arbeit ziemlich erfolgreich aus dem Weg. Auch Tamara hat inzwischen die Schule abgebrochen. Es sind insgesamt fünf Typen, zwischen siebzehn und zweiundzwanzig Jahren, sie hausen in einer Wohngemeinschaft, und meine Nichte fühlt sich von dieser Gruppe stark angezogen. Ihr gefällt das vermeintliche freie, ungebundene Leben. Ihr Vater und ich möchten sie von der fixen Idee heilen, eines Tages in diese WG zu ziehen.«

»Geht Lea noch zur Schule oder macht sie eine Berufsausbildung?«, erkundigte sich Marko.

»Sie besucht das Gymnasium, und nach dem Abitur soll sie studieren. Das will jedenfalls mein Schwager. Er war zuletzt mit Leas Erziehung total überfordert, und so habe ich beschlossen, ihm beizustehen. Das war der Grund für diesen Urlaub. Lea wollte nicht mit, und wenn man sie hört, dann behauptet sie, gezwungen worden zu sein. Mein Ziel ist es ihr in den zwei Wochen hier in aller Ruhe klarzumachen, dass das Leben kein Kindergeburtstag ist und dass man sähen muss, wenn man ernten will.«

»Sie sind doch selber noch recht jung, Michelle«, murmelte Marko.

»Aber ich habe begriffen, was wichtig ist im Leben. Meine Mutter ist gestorben, als ich elf war. Zwei Jahre später starb mein Vater. Nicole – meine Mutter hat sie mit in die Ehe gebracht –, hat mich zu sich genommen und für mich gesorgt. Sie war zwölf Jahre älter als ich. Sie hat mit einundzwanzig Leas Vater geheiratet. Ein Jahr später kam Lea zur Welt. Ich bin zwar ihre Tante und zehn Jahre älter als sie, aber dadurch, dass ich in ihrer Familie groß geworden bin, war sie für mich immer so etwas wie eine kleine Schwester. Ich habe die mittlere Reife gemacht, und dann habe ich eine Ausbildung in einem Drogeriemarkt begonnen. Als ich volljährig war, musste ich für mich selbst sorgen.«

»Ihr Leben war net einfach«, murmelte Marko voller Anteilnahme. »Und sie haben die Herausforderung angenommen und bewältigt. Ich denk’, dass Sie das nötige Stehvermögen haben, um Lea auf den rechten Weg zu führen. Sie sind eine starke Frau, Michelle. Und das sag’ ich net nur so, diesen Eindruck hab’ ich tatsächlich von Ihnen.«

»Warum sagen wir nicht du zueinander?«, fragte Michelle.

»Ja, warum eigentlich net?«

Jetzt brachte die Bedienung ihren bestellten Kaffee.

»Ich bezahl’ gleich«, sagte Marko und winkte lächelnd ab, als die Bedienung Wechselgeld herausgeben wollte. Mit einem erfreuten ›Dankschön‹ eilte die Bedienung davon.

»Hast du was dagegen, wenn ich dir während der zwei Wochen helf’, deiner Nichte die Flausen von einem Leben als Gruftie auszutreiben?«, fragte Marko nach einer Weile, nachdem sie am Kaffee genippt hatten.

»Ich denke, du bist als Landwirt ziemlich eingespannt«, gab Michelle zu bedenken.

»Das hält sich jetzt in Grenzen. Das Getreide ist geerntet, das Grummet eingebracht. Nur der Mais steht noch, aber wenn ich den ernte, seid ihr schon längst wieder zu Hause. Es sind im Moment nur die Kühe und Kälber, die versorgt werden müssen. Wär’ das nix für deine Nichte?«

»Das – das käme ja einer Therapie gleich«, rief Michelle spontan aus. »Marko, deine Idee ist Gold wert! So ein Kalb würde das Herz des Mädchens wahrscheinlich im Sturm erobern. Sie käme auf andere Gedanken und hätte eine Verantwortung. Marko, am liebsten würde ich dich jetzt umarmen.«

›Warum tust du’s net?‹, meldete sich eine Stimme in ihm. ›Einen größeren Gefallen könntest du mir gar net tun.‹ Er überlegte kurz und brachte sogleich seine Zweifel zum Ausdruck: »Nur nix überstürzen. Umarmen kannst du mich immer noch, wenn die Lea mitspielt. Es kann ja sein, dass sie kein Interesse an den Kälbern hat. Dann hast du dich zu früh gefreut.«

»Da kommt sie«, sagte Michelle. »Wir können sie ja fragen.«

*

Leas blaue Augen blitzten auf, als sie am Tisch ihrer Tante Marko erkannte. Mit einem Blick erfasste sie, dass er eine sportliche Figur besaß, und auch sonst gefiel er ihr ganz gut. So jung und sportlich, wie er in der Badehose aussah, hatte er sie schwer beeindruckt.

»Hallo«, grüßte sie, als sie bei dem Tisch ankam. »Sind Sie zufällig hier, Marko? Ich dachte immer, Bauern haben keine Zeit für private Vergnügen.«

»Setz dich zu uns«, lud Michelle ihre Nichte ein. Ihr entging nicht, dass diese Marko mit einem ausgesprochen direkten Blick musterte. »Wir haben gerade über dich gesprochen.«

»Manchmal nimmt man sich einfach die Zeit«, beantwortete Marko grinsend Leas Frage. »Auch Bauern sind Menschen, die Bedürfnisse haben, und denen das Wort Vergnügen net fremd ist.«

»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Lea und errötete leicht. Fast Hilfe suchend schaute sie Michelle an. Die aber lächelte nur und wies auf einen freien Stuhl.

Lea setzte sich. »Wieso redet ihr über mich?«, fragte sie nach.

»Marko hat eine Idee, wie man dir den Urlaub hier ein klein wenig kurzweiliger gestalten könnte«, sagte Michelle.

»Aus welchem Grund seid ihr der Meinung, dass man mir den Urlaub interessanter gestalten müsste?«, strömte es bissig über Leas Lippen. Sie war sofort wieder in die Defensive gegangen. Misstrauisch musterte sie ihre junge Tante. »Was hast du Marko über mich erzählt? Vielleicht, dass du mich retten musst, weil ich, ohne deine Fürsorge und Unterstützung, als arbeitsloser Gruftie ende?«

»Warum so aggressiv, Lea?«, mischte sich Marko ein. »Dazu besteht kein Grund. Michelle meint es doch nur gut mit dir. Ich meinte nur, es wäre interessant für dich mal zu mir auf den Hof zu kommen. Ich habe fünf Kälber im Stall stehen. Das jüngste ist gerade mal vier Monate alt. Fünf junge, possierliche Tiere, die natürlich besonderer Pflege und Versorgung bedürfen, weil sie nicht mehr bei ihren Müttern sind.«

»Das ist ja grausam!«, entrüstete sich Lea. »Was hätte Ihre Mutter gesagt, wenn man Sie ihr weggenommen hätte, als sie noch ein Baby waren?« Ihre Augen funkelten kämpferisch.

Marko lachte auf. Dann sagte er: »Ich seh’s schon, Madel, von Milchwirtschaft hast du keine Ahnung. Pass auf, ich erklär’ dir jetzt ganz kurz. Kühe geben zum ersten Mal in ihrem Leben Milch, nachdem sie ihr erstes Kalb geboren haben. Die Kälber werden von den Muttertieren getrennt und kommen in die Kälberaufzucht, wo sie Ersatznahrung erhalten. Die Milch der Kuh wird verkauft. Um die Milchproduktion der Kuh aufrechtzuerhalten, wird sie bald nach der Geburt erneut gedeckt.«

»Das heißt, dass es ohne Kälber keine Kuhmilch gäbe«, konstatierte Lea.

»Genauso schaut’s aus«, bestätigte Marko.

»Das ist mir auch neu«, musste Michelle zugeben.

»Wie schon gesagt«, ergriff Marko wieder das Wort, »die Kälber brauchen unsere Fürsorge. Ein ­Madel wie du wär’ genau das richtige für die Viecherln. Was hältst du von meinem Vorschlag, Lea? Du brauchst ja net gleich zusagen. Vielleicht willst du dir die Kälber erst mal anschauen. Du magst doch Tiere, oder etwa net?«

»Natürlich mag ich Tiere«, erklärte das Mädchen. »Aber Kälber … Ich weiß nicht.«

»Sie fressen einem aus der Hand und sind absolut zutraulich. Du wirst sie mögen.«

Lea schien ein wenig hin- und hergerissen zu sein. Sie versuchte in Markos Gesicht zu lesen. »Ist das wirklich Ihre Idee, oder hat meine Tante …«

»Meine Idee«, versetzte Marko. »Aber deine Tante findet meinen Vorschlag gut. Wenn ich mich net um die Kälber kümmern müsst’, wär’ mir sehr geholfen. Es wären ja in der Früh net mehr als anderthalb oder zwei Stunden, die du sie versorgen müsstest. Danach könntest du ja wieder mit deiner Tante zum Achsteinsee fahren oder eine Bergwanderung unternehmen.«

»Bergwandern!«, rief Lea fast entsetzt aus. »Ich glaube, das ist nichts für mich. Dafür kannst du mich wahrscheinlich nicht begeistern.« Herausfordernd musterte sie Michelle. Die aber ging nicht darauf ein. Und so sagte Lea: »Aber das mit den Kälbern könnte ich ja mal ausprobieren. Den ganzen Tag an dem See zu verbringen wird mich sicher bald langweilen.«

»Dann liegen wir also nicht ganz verkehrt mit unserer Idee, dir die Zeit hier ein bisschen interessanter zu gestalten«, warf Michelle dazwischen.

»Nein«, antwortete Lea, »ich freue mich schon auf die Tiere.« Dabei warf sie Marko einen Blick zu, der diesem durch und durch ging.

›So himmelt man einen Menschen an‹, durchfuhr es Michelle und ihr wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, dass Lea in einem Alter war, in dem sie sehr wohl wusste, dass es zweierlei Geschlechter gab. Ihre Schwärmerei für den einen oder anderen Jungen hatte Michelle bisher nicht ernst genommen. War es heute dieser oder jener Bursche, hatte sie zwei Tage später schon wieder einen anderen Schwarm.

Ja, Lea flirtete offensichtlich mit Marko. Und das machte Michelle gereizt. »Möchtest du was trinken, oder gehst du gleich wieder schwimmen? Ich hab’ dich vorhin mit ein paar Jungs auf der Insel gesehen.«

Lea strahlte Marko an und erwiderte: »Das sind ein paar Dummköpfe, die sich ganz besonders cool geben. Sie haben lauter dumme Sprüche gebracht, ich hab’ denen aber gezeigt, was ich von ihrer plumpen Anmache halte.« Lea zuckte mit den Schultern. »Ich bleibe lieber hier und leiste euch Gesellschaft.«

Michelle lag eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber sie verkniff sie sich, warf Marko stattdessen einen prüfenden Blick zu, und sah ihn etwas starr grinsen. Spürte er, dass ihm Lea schöne Augen machte? Rührte sein betretenes Lächeln daher, dass es ihm peinlich war, dass das Mädchen offensichtlich Gefallen an ihm gefunden hatte?

Die Bedienung kam und fragte Lea, was sie ihr bringen dürfe. Das Mädchen bestellte sich ein kleines gemischtes Eis und eine Cola.

»Ich freue mich schon auf den Abend«, sagte Lea, als sich die Bedienung wieder entfernt hatte. Und wieder versuchte sie, Markos Blick zu erhaschen. »Sie müssen mir auch noch den Weg zu Ihrem Hof erklären, Herr Bredgauer. Um wie viel Uhr muss ich in der Früh erscheinen, um mit Ihnen im Stall zu arbeiten?«

Michelle vibrierte innerlich. ›Diese Göre versucht doch tatsächlich, sich an Marko ranzumachen!‹ Sie stieß scharf die Luft durch die Nase aus und gab sich Mühe, ruhig zu sprechen, als sie sagte: »Bist du wirklich so erpicht darauf, im Kuhstall zu arbeiten? Stelle dir das nur nicht als Spielerei vor. Ich kann mir vorstellen, dass dich diese Arbeit ziemlich fordern wird.«

»Willst du mir die Freude verderben, Tante?«, fuhr Lea Michelle an. »Du hast es doch für eine gute Idee gehalten. Und jetzt, wo ich mich dafür zu begeistern beginne, willst du mir Angst machen.«

»Ganz und gar nicht«, verteidigte sich Michelle. »Ich will nur nicht, dass du dir falsche Vorstellungen von der Arbeit machst und enttäuscht aufgibst.«

»Sie zeigen mir doch, was ich machen muss, vor allem, wie die Arbeit zu erledigen ist?«, fragte Lea wieder an Marko gewandt.

Der nippte an seinem Kaffee. »Natürlich«, murmelte er, ohne Lea dabei anzusehen. Er spürte ganz deutlich, dass er Lea mehr beeindruckte, als ihm recht war, und er fühlte sich deswegen peinlich berührt. Wegen Michelle war er gekommen, weil er sich in sie verliebt hatte. Dass deren Nichte ihn plötzlich so ungeniert anhimmelte, war ihm unangenehm und schürte in ihm das Unbehagen.

Um dem Gespräch eine Wendung zu geben sagte er: »Ihr seid zum ersten Mal hier im Wachnertal. Wie ich schon mal angedeutet hab’, gibt es für mich im Moment in der Landwirtschaft net allzu viel zu tun. Ich würd’ euch gern die Gegend ein bissel zeigen. Wir haben hier einiges zu bieten. Die Kandereralm wär’ beispielsweise ein schönes Ziel. Ich könnt’ euch auch hinauf zur Kachlachklamm führen. Die Kachlach ist ein Gebirgsfluss, der hoch oben am Gletscher entspringt und auf ihrem Weg ins Tal in eine tiefe, enge Schlucht stürzt. Die Klamm ist eine echte Attraktion. Man muss sie gesehen haben. Über sie führt der Weg zur Streusachhütte auf dem Kogler. Der Kogler ist einer unserer Zweitausender, von denen es einige rund ums Wachnertal gibt.«