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Diverse Autoren

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. E-Book 1: Nathalie, das Schmeichelkätzchen E-Book 2: Der Schokoladenboy E-Book 3: Das uneheliche Kind E-Book 4: Der Engel von Sophienlust E-Book 5: Leid unter falschem Verdacht E-Book 6: Endlich sind wir eine Familie E-Book 7: Eigensinnige, süße Mandy E-Book 8: Hurra, wir bekommen eine neue Mutti! E-Book 9: Das Geheimnis um die kleine Mary E-Book 10: Arme kleine Jill

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Inhalt

Nathalie, das Schmeichelkätzchen

Der Schokoladenboy

Das uneheliche Kind

Der Engel von Sophienlust

Leid unter falschem Verdacht

Endlich sind wir eine Familie

Eigensinnige, süße Mandy

Hurra, wir bekommen eine neue Mutti!

Das Geheimnis um die kleine Mary

Arme kleine Jill

Sophienlust – Staffel 50 –

E-Book 491-500

Diverse Autoren

Nathalie, das Schmeichelkätzchen

Roman von Vandenberg, Patricia

»Hm, das duftet aber besonders verführerisch!« Carola schaute der Köchin Magda über die Schulter, die eifrig dabei war, den Sonntagsbraten zu beschöpfen. »Da werden unsere Trabanten aber wieder futtern.«

Als Magda nicht antwortete, fragte Carola: »Warum machst du denn so ein böses Gesicht, Magda?«

»Morgen kommt die Neue! Nur weil ich mal ein paar Tage nicht so konnte, brauchte man mir doch nicht gleich eine Fremde vorzusetzen.«

»So darfst du das nicht auffassen«, tröstete Carola. »Den Kochlöffel wird Frau Weymar dir niemals aus der Hand nehmen. Sie kommt doch zur Entlastung von Frau von Schoenecker.«

Aber so ganz einerlei war auch Carola die Neuerung auf Sophienlust nicht. Daran, dass immer wieder neue Kinder kamen, daran waren sie gewöhnt. Dass aber eine neue Arbeitskraft eingestellt worden war, das verursachte allgemeine Unruhe. Jeder fragte sich, ob dadurch nicht die Harmonie gestört werde, die bisher unter ihnen geherrscht hatte.

»Neue Besen kehren gut«, brummelte Magda vor sich hin. »Hoffentlich fegt der Besen uns nicht alles weg!«

»Was du für Gedanken hast«, lachte Carola nun. »Das brauchen wir doch wohl nicht zu befürchten. Kannst du nicht verstehen, dass Herr von Schoenecker seine Frau öfter in Schoeneich haben möchte?«

»Wenn sie nicht mehr so oft hier ist, wird alles anders werden«, orakelte Magda. »Die Huber-Mutter hat prophezeit, dass durch die Neue viel Unruhe nach Sophienlust kommt.«

»Was für dich noch lange kein Grund sein sollte, so schwarz in die Zukunft zu sehen. Frau Weymar besitzt ein Kind. Vielleicht bringt das die Unruhe nach Sophienlust.«

»Was sollte denn ein dreijähriges Kind für Unruhe bringen?«, widersprach Magda.

»Vergiss nicht, dass Sophienlust das Haus der fröhlichen Kinder sein soll. So hat es Dominiks Urgroßmutter bestimmt. Ihr verdanke auch ich, dass ich hier eine Heimat gefunden habe. Und nun lass uns lieber an die hungrigen Kinder denken.«

»Hetzt mich nur recht, damit die Neue sagen kann, ich sei alt und klapprig.«

»Warum bist du nur so renitent, Magda?«, fragte Frau Rennert, die eben zur Tür hereintrat. »Frau Weymar ist eine sehr nette, und außerdem sehr sympathische, junge Frau. Ich will nicht hoffen, dass du ihr den Anfang schwer machen willst. Wir sind eine große Familie, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Damit lasst uns das Thema beenden.«

*

Elfie Weymar, um die es bei diesem Gespräch ging, saß zu dieser Stunde ihrem Bruder Gregor gegenüber. Nervös rückte er immer wieder seine dunkle Hornbrille zurecht.

»Ich bin dir dankbar, dass du zu mir gekommen bist, Elfie«, sagte er froh. »Nach allem, was du mir vorwerfen könntest, habe ich nicht zu hoffen gewagt, dich noch einmal zu sehen.«

»Dein Brief machte mir Sorgen«, erwiderte sie leise. »Du hast also Schwierigkeiten in deiner Ehe.

»Ja«, entgegnete er knapp.

»Möchtest du mir nicht sagen, wie ich dir helfen könnte?«

Die Antwort fiel ihm sichtlich schwer. Sehr redselig war er allerdings noch nie gewesen. Manchmal hatte Elfie sich gewundert, dass er Astrid, eine so kapriziöse Frau, geheiratet hatte. Konnte eine Ehe zwischen zwei so verschiedenen Menschen überhaupt gut gehen?

»Ich wollte dich bitten, zu mir zu ziehen«, antwortete er.

Ein abweisender Zug legte sich um ihren Mund. »Warum? Du hast doch eine Hausangestellte«, entgegnete sie.

Gregor Weymar sah seine Schwester verlegen an. »Du missverstehst mich völlig, Elfie. Ich habe sehr viel nachgedacht. Dabei ist mir bewusst geworden, wie sehr wir dir alle Unrecht getan haben. Lieber ein Kind und keinen Mann, als eine unglückliche Ehe! Natürlich sollst du Nathalie mitbringen. Dann kann ich vielleicht einiges gutmachen.«

Elfie betrachtete ihren Bruder mitleidig.

»Es ist doch auch besser für das Kind, wenn du immer mit ihm zusammen sein kannst«, fuhr er hastig fort. »Hast du dir das nicht gewünscht?«

»Ja, ich habe es mir sehr gewünscht«, erwiderte sie, »und endlich geht dieser Wunsch in Erfüllung.«

»Dann werdet ihr bleiben?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Nein, Greg! Ich trete morgen eine Stellung an, die mir gestattet, Nathalie bei mir zu behalten. Ich arbeite in einem Kinderheim.«

»Dort wird man dich nur ausnützen«, begehrte er auf. »Frauen in deiner Situation sind ein gefundenes Fressen für solche Institutionen.«

»So ist es in Sophienlust nicht«, unterbrach sie ihn kühl. »Dort hat man mir größtes Verständnis entgegengebracht.«

»Womit du mir wohl zu verstehen geben willst, dass du es mir nicht verzeihen kannst, dass ich dir damals heftige Vorhaltungen gemacht habe. Mein Gott, Elfie, ich habe dabei doch nur an dich gedacht! Warum musstest du dich an einen Mann hängen, der dich dann sitzenließ?«

Sie legte den Kopf stolz in den Nacken. »Du bist darüber nicht informiert, und ich gestatte dir keine Kritik«, antwortete sie aggressiv.

»Wer ist überhaupt Nathalies Vater? Warum gibst du nicht seinen Namen preis? Ich hätte ihn schon zur Rede gestellt.«

»Du hast genug mit dir und deiner Ehe zu tun«, bemerkte sie anzüglich. »Vielleicht verrätst du mir erst einmal, warum es so weit kommen konnte. Astrid hat dich doch um den Finger gewickelt.«

»Ich hatte wenig Zeit, und da tauchte ihr Jugendfreund Norström wieder auf. Er hat sie regelrecht umprogrammiert.«

»Das kannst du mit deinen Computern machen, aber bei einer Frau gelingt das nicht«, widersprach Elfie. »Und was ist mit Betsy?«

»Natürlich will Astrid das Kind, aber noch gebe ich nicht auf. Darum ist mir viel daran gelegen, dass du hierbleibst, Elfie. Astrid behauptet, dass ich mit dem Kind nicht fertig werde. Kannst du diese Anstellung nicht rückgängig machen?«

»Nein, das kann ich nicht.« Bitter stieg eine Erinnerung in ihr auf. Vor drei Jahren hatte sie mit ihrem Schicksal auch allein fertig werden müssen. Gerade als sie das ihrem Bruder sagen wollte, klopfte es leise an die Tür.

Ein zierliches blondes, etwa sechs Jahre altes Mädchen trat ein. Ihr folgte ein braunhaariger Knirps, von dem man auf den ersten Blick nicht sagen konnte, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.

»Nathalie wollte zu ihrer Mutti«, sagte Betsy leise. »Entschuldige bitte, wenn wir stören, Vati!«

Nathalie beachtete den Onkel, der ihr fremd war, nicht. Sie kletterte ihrer Mutter auf den Schoß.

»Will bei dir bleiben, Mutti«, flüsterte sie.

Über ihren Kopf hinweg sah Elfie, wie sich Betsys Augen mit Tränen füllten.

»Meine Mutti soll auch wiederkommen«, stieß Betsy trotzig hervor. »Vati hat ja so wenig Zeit.«

Hilflos blickte Gregor Weymar seine Schwester an. Er las einen heimlichen Vorwurf in ihren Augen.

»Warum ist Betsys Mutti nicht da?«, fragte Nathalie flüsternd. »Betsy ist doch so brav. Schön hat sie mit mir gespielt.«

»Möchtet ihr nicht weiterspielen?«, fragte Elfie. »Ich habe etwas mit Onkel Greg zu besprechen.«

»Komm doch, Nathalie!«, drängte Betsy. »Du darfst auch meine Ingepuppe haben.«

»Du gehst aber nicht fort, Mutti«, bettelte die Kleine. »Du lässt mich nicht hier! Ich will lieber zu den vielen Kindern.«

Betsy sah ihren Vater an. »Ich möchte auch lieber in das Kinderheim«, flüsterte sie, »wenn Mutti noch länger fortbleibt.«

Das Schweigen, das nun folgte, schien die Kinder zu bedrücken. Sie gingen wieder hinaus.

»Dass Astrid das dem Kind antun kann«, stieß Greg Weymar zornig hervor.

»Ist dieser Jugendfreund der einzige Grund, warum Astrid dich verlassen will?«, fragte Elfie.

Gregor Weymar wurde merklich unsicher, erwiderte aber nichts.

»Vielleicht wäre es gar kein schlechter Gedanke, Betsy vorerst mit nach Sophienlust zu nehmen«, meinte Elfie. »Sofern man dort einverstanden ist.«

»Damit Astrid mir zum Vorwurf machen kann, ich hätte keine Zeit für das Kind?«

»Aber das stimmt doch. Betsy fühlt sich verlassen, Greg. Versuch doch, mit Astrid ins Reine zu kommen, aber so, dass Betsy nicht von euren Differenzen merkt. Sie macht sich bestimmt ihre eigenen Gedanken. In Sophienlust wäre sie abgelenkt. Überleg es dir. Ich gehe mit den Kindern inzwischen spazieren.«

*

Davon waren beide Mädchen begeistert. Nathalie plapperte unentwegt, sodass es gar nicht auffiel, dass Betsy immer nachdenklicher wurde.

»Wie ist es in einem Kinderheim, Tante Elfie?«, fragte sie, als Nathalie mal eine Pause einlegte.

»In Sophienlust ist es sehr schön«, versicherte Elfie. »Es ist ein großes Gut mit vielen Tieren.«

»Aber auch vielen Kindern«, ergänzte Betsy eifrig. »Man braucht nicht immer allein zu spielen. Mutti ist noch nie allein verreist«, fuhr sie zusammenhanglos fort. »Sie war zornig auf Frau Effner, und Vati war zornig auf Onkel Olaf.«

So ist das also, dachte Elfie traurig. Wahrscheinlich haben sie beide Grund zur Eifersucht.

»Würdest du mich mitnehmen, Tante Elfie?«, fragte Betsy. »Ich habe dich schon sehr gern. Nathalie auch. Warum habt ihr uns früher nie besucht?«

Weil eine uneheliche Mutter für die vornehme Familie Weymar indiskutabel ist, dachte Elfie. Aber sie konnte keine Schadenfreude darüber empfinden, dass nun die Ehe ihres Bruders gefährdet war. Es ging um das Kind, das entweder ohne Vater oder ohne Mutter aufwachsen musste, wenn es zur Trennung kam.

»Wenn ich Vati schön bitte, erlaubt er sicher, dass ich in das Kinderheim darf«, sagte Betsy. »Dann bin ich nicht mehr so allein. Ich habe dich und Nathalie.«

»Und die Ingepuppe nehmen wir mit«, freute sich Nathalie.

»Die bleibt hier«, antwortete Betsy trotzig. »Ich habe sie von Mutti. Sie soll ruhig sehen, dass ich böse auf sie bin, weil sie so lange wegbleibt.«

Diese Bemerkung bestärkte Elfie in ihrem Entschluss, etwas zu unternehmen, um zu verhindern, dass Betsy in einem seelischen Zwiespalt aufwuchs.

Es bedurfte jedoch keiner langen Rede, um von ihrem Bruder die Zustimmung zu erhalten. Er war inzwischen auch zu der Überzeugung gelangt, dass das Kinderheim die beste Lösung sei.

Elfie rief in Sophienlust an. Sie brauchte Denise von Schoenecker keine lange Erklärung zu geben.

»Betsy kann mit uns kommen«, berichtete sie ihrem Bruder. »Aber du musst mir versprechen, den Versuch zu machen, dich mit Astrid zu versöhnen.«

»An mir soll es nicht liegen«, versicherte er. »Es fragt sich nur, was sie dazu sagt.«

»Und Frau Effner?«, fragte Elfie anzüglich.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Betsy sagte mir, dass Astrid ihretwegen zornig war.«

»Sie ist meine Sekretärin, sonst nichts«, erwiderte er aufgebracht. »Astrid hat mir völlig unbegründete Vorwürfe gemacht. Frau Effner ist tüchtig. Dass sie gut aussieht, dafür kann ich nichts. Sehe ich wie ein Ehebrecher aus?«, fragte er sarkastisch. »Du kennst doch meine spießbürgerlichen Ansichten zur Genüge, Elfie. Hast du nicht selbst genug darunter zu leiden gehabt?«

»Das ist eine andere Sache. Wie weit kann man einem Mann schon trauen?«

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Du bist also doch noch nicht darüber hinweg, obwohl du Nathalies Vater noch immer deckst«, meinte er.

»Das, mein lieber Greg, ist allein meine Angelegenheit«, entgegnete sie kühl. »Mir tut Betsy leid, sonst könntest du deine Probleme allein lösen, wie ich die meinen allein lösen musste. Mein Kind bedeutet mir jedenfalls alles. Nathalie ist daran gewöhnt, dass ich ihr Mutter und Vater zugleich bin. Für Betsy würde es weitaus schlimmer werden. Denke daran!«

*

»Nun bringt sie gleich zwei Kinder mit«, sagte Magda, als sie Elfie Weymars Ankunft vom Küchenfenster aus beobachtete, mürrisch.

»Die kleine Blonde ist ihre Nichte«, erläuterte Frau Rennert freundlich. »Frau Weymar hat darum gebeten, dass sie sie mitbringen darf. Und nun will ich kein mürrisches Gesicht mehr sehen, Magda!«

»Sie sieht ja wie eine Dame aus«, meinte Magda trotzdem abfällig. »Was wird die schon leisten.«

»Warten wir es ab!«

Seufzend verließ Frau Rennert die Küche. Diesmal war Magda schon sehr hartnäckig mit ihren Vorurteilen. Hoffentlich kam es nicht zu offenen Differenzen.

Während Frau Rennert die beiden Kinder unter ihre Aufsicht nahm, wurde Elfie Weymar von Denise von Schoenecker bereits in ihre Pflichten eingeführt.

»Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, Frau von Schoenecker, dass ich Betsy auch noch mitbringe«, begann Elfie mit bebender Stimme die Unterhaltung.

»Aber ganz im Gegenteil. Dieses Haus öffnet seine Türen für alle Kinder, die uns zugeführt werden.«

»Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Bruder bat mich, bei ihm zu bleiben.« Mit kurzen Worten schilderte Elfie die Situation.

»Dann muss ich mich doppelt freuen, dass Sie doch zu uns gekommen sind«, sagte Denise herzlich.

»Ich gab Ihnen mein Wort«, erwiderte Elfie schlicht.

Und wenn diese Frau einmal ihr Wort gibt, hält sie es auch, dachte Denise. War es möglich, dass ein Mann eine solche Frau im Stich ließ? Elfie Weymar gehörte bestimmt nicht zu jenen, die sich einem x-beliebigen Mann hingaben.

Bestimmt war es auch keine jugendliche Unbesonnenheit gewesen. So viel Menschenkenntnis traute sich Denise schon zu. Die Schlussfolgerung aus ihren Überlegungen war, dass Elfie Weymar den Mann geliebt haben musste, ihn wahrscheinlich noch immer liebte, denn sie hatte mit keinem Wort eine Entschuldigung für ihr Verhalten gesucht, wie andere Frauen es in ihrer Lage vielleicht getan hätten.

*

Frau Rennert hatte die beiden Kinder an die Hand genommen. Während Nathalie munter drauflosplauderte, schaute sich Betsy mit erstaunten Augen um.

»Wo sind denn die anderen?«, fragte sie endlich. »Ich dachte, es gibt sehr viele Kinder hier.«

»Die größeren sind in der Schule, die kleinen im Pavillon. Dorthin werde ich euch jetzt bringen.«

»Nathalie will den Habakuk sehen. Mutti hat mir von ihm erzählt«, wehrte die Kleine ab.

»Den wird euch Nick später vorführen. Das lässt er sich nicht nehmen«, erwiderte Frau Rennert freundlich.

»Wer ist Nick?«, fragte Betsy.

»Dominik von Wellentin-Schoenecker«, erklärte ihr Frau Rennert.

»Mag er Kinder?«, fragte Betsy.

»Ja, und Sophienlust gehört ihm.«

»Alles?«, wunderte sich Betsy. »Wenn er ein Junge ist?«

»Und was für einer! Aber den lernt ihr schon kennen. Jetzt mache ich euch erst einmal mit den kleineren Kindern bekannt, damit es nicht zu viel auf einmal sind. Dann könnt ihr euch auch die Namen besser merken.«

Carola kam ihnen schon entgegen. Betsy betrachtete sie nachdenklich.

»Sie hat so schönes blondes Haar wie meine Mutti«, flüsterte sie. »Wie heißt sie?«

»Carola«, erwiderte Frau Rennert geduldig.

»Meine Mutti heißt Astrid«, sagte Betsy. »Und ich heiße mit meinem richtigen Vornamen Elisabeth.«

»Ich heiße Nathalie«, sagte die Kleine voller Stolz.

*

»Sind sie schon da?«, war Dominiks erste Frage, als er aus der Schule kam.

Pünktchen erstattete ihm sofort eingehend Bericht. »Sie sind sehr nett«, erklärte sie. »Die kleine Nathalie ist ganz reizend. Sie hat sich schon mit Vicky angefreundet.«

»Du tust ja, als ob du wunder wie groß wärest«, lachte er.

»Sie ist aber noch ganz klein«, erwiderte Pünktchen gekränkt. »Gar nicht viel größer als Henrik.«

»Dann kann man ja mit ihr noch gar nichts anfangen«, bedauerte Nick.

»Betsy ist schon größer, aber noch nicht ganz so groß wie ich«, fuhr Pünktchen eifrig fort.

»Du Knirps«, meinte er gutmütig, aber Pünktchen bekam es doch in die falsche Kehle.

»Carola hat einen Knirps, aber das ist ein Regenschirm«, entgegnete sie trotzig. »Mich kann man nicht zusammenklappen.«

»In Vatis Koffer würdest du auch so hineinpassen«, grinste er.

Pünktchen schob die Unterlippe vor. »Manchmal kannst du einen richtig ärgern«, beschwerte sie sich.

»Einen Spaß wirst du doch wohl noch vertragen?«, neckte er sie. Er hatte es ganz gern, wenn Pünktchen ein bisschen wütend wurde. Dann sah sie immer so ulkig aus.

Überhaupt brauchten Kinder seinetwegen nicht gar so brav sein. Von der stillen, scheuen Art hatten sie hier schon genug gehabt. Doch zu seinem Bedauern musste er feststellen, dass Betsy auch zu dieser Sorte gehörte. Nathalie dagegen, so reizend sie auch war, passte im Alter besser zu Vicky und Henrik, der jetzt auch schon überall dabei sein wollte.

Dominiks Interesse an den beiden Neulingen war diesmal recht schnell erschöpft. Sie blieben ja hier. Sie gehörten zu Frau Weymar, die er sehr nett fand. Also gab es gar kein Rätselraten. Seiner Meinung nach hatte sich die Huber-Mutter diesmal ganz bestimmt mit ihrer Prophezeiung geirrt. Da es während der ersten Wochen keinerlei Aufregungen gab, ließ auch Magda sich überzeugen, dass ihre Sorgen völlig unbegründet waren. Frau Weymar war so tüchtig, wie man es von ihr erwartet hatte. In Magdas Belange mischte sie sich nicht ein.

Denise war überaus glücklich, dass sie einen so guten Griff getan hatte, und Alexander von Schoenecker nicht weniger, denn nun konnte sich seine Frau endlich mehr Ruhe gönnen. Sie alle hofften, dass dieser Zustand anhalten würde.

*

Gregor Weymar hatte gerade Elfies ersten langen Brief gelesen und war bei dem Schlusssatz angelangt, der lautete: »Ich bin sehr froh, dass sich diese Lösung als so vorteilhaft für Betsy erwiesen hat. Hoffentlich gibt es auch in eurer Ehe eine glückliche Lösung.« Da tat sich die Tür auf, und Astrid trat ein.

Zuerst erschrak er über ihr überraschendes Kommen, dann über ihr Aussehen. Die sehr kapriziöse Astrid erweckte nicht den Anschein, als hätte sie einen erholsamen Urlaub hinter sich.

»Wo ist Betsy?«, war ihre erste Frage, noch bevor sie einen Gruß über die Lippen gebracht hatte.

Gregor Weymar erhob sich zögernd, und ging auf Astrid zu, doch sie wich Schritt für Schritt zurück.

»Es ist Abend, und sie ist nicht zu Hause«, begehrte sie auf. »Käthe ist auch nicht da. Hast du Betsy etwa schon bei deiner Freundin untergebracht? Mich wundert nur, dass sich diese nicht schon hier eingenistet hat.«

»Astrid, können wir nicht vernünftig miteinander sprechen?«, bat er. »Deine Vorwürfe entbehren jeder Grundlage. Käthe hat gekündigt. Es war gewiss nicht meine Schuld.«

»Natürlich meine«, schleuderte sie ihm zornig ins Gesicht. »Ich bin ja an allem schuld.«

»Das habe ich nie gesagt. Wir sind erwachsen, seit sieben Jahren miteinander verheiratet, und wir waren sehr glücklich. Warum sollten wir es nicht wieder sein?«

Ihre feinen Augenbrauen schoben sich zusammen. »Wo ist Betsy? Ich frage es dich noch einmal.«

»In einem Kinderheim«, erwiderte er müde.

Sie lachte höhnisch auf. »Du hast unser einziges Kind in ein Heim gesteckt? Ich hätte es mir denken können, dass sie dir im Wege ist.«

»Jetzt ist es aber genug«, brauste er auf. »Wer ist denn davongelaufen? Ich doch nicht. Dieser Norström hat dich völlig eingewickelt.«

»Das ist nicht wahr. Dies alles hat mit Olaf nichts zu tun. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, außer dass ich eben bei meinem Jugendfreund mehr Verständnis fand als bei dir. Wenn du aber denkst, ich wäre die ganze Zeit mit ihm beisammen gewesen, dann täuschst du dich. Ich war bei meinen Eltern.«

»Wie aufschlussreich. Nun, dann kann ich wohl damit rechnen, dass du alle gegen mich mobilisierst.«

»Ich habe nicht über uns gesprochen«, erwiderte sie resigniert. »Ich hätte mich zu sehr geschämt.«

»Warum, wenn du dich betrogen fühlst?«, fragte er gereizt. »Hack doch auf mir herum! Du bist ja blind und taub, wenn ich dir alles erklären will. So geht es doch nicht, Astrid. Jede Ehe gerät mal in eine Krise. Wir haben eben das verflixte siebte Jahr. Wenn du dich vernachlässigt gefühlt hast, gut, dann musst du auch bedenken, dass ich in meinem Beruf vorankommen will. Es sind genug da, die auf meine Stellung lauern. Ganz so einfach, wie du es dir vorstellst, ist es auch nicht.«

»Papa hat dir hundertmal angeboten, in seine Firma einzutreten«, begehrte sie auf. »Du hättest es doch wahrhaftig nicht nötig gehabt, für andere den Kuli zu spielen.«

»Nun übertreib aber nicht«, sagte er vorwurfsvoll. »Immerhin bin ich technischer Direktor, wenn ich auch mit Olaf nicht konkurrieren kann.«

»Lass Olaf endlich aus dem Spiel. In welchem Kinderheim ist Betsy? Ich möchte es endlich wissen.«

Im Allgemeinen war Gregor Weymar verträglich, aber Astrid hatte ihn inzwischen mehrmals an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. So wurde er aufsässig.

»Du hast dich drei Wochen lang nicht darum gekümmert. Du hast nicht einmal geschrieben«, warf er ihr vor. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass Betsy dir so wichtig ist.«

»An das Kind konnte ich nicht schreiben. Lesen kann es doch noch nicht. Und was hätte ich dir schon schreiben sollen?«

»Zumindest, wo du dich aufhältst. Es war mir nämlich nicht so gleichgültig, wie ich dir gleichgültig zu sein scheine.«

Sie ging nicht darauf ein. Sie war überreizt und nicht zur Nachgiebigkeit geneigt. Ihre weibliche Eitelkeit spielte dabei auch eine Rolle. Marga Effner war ihr ein Dorn im Auge. Auch jetzt noch.

»Ich hatte Elfie gebeten, zu mir zu kommen«, erklärte Gregor Weymar, »aber sie hatte bereits eine Stellung in dem Kinderheim Sophienlust angenommen. Betsy äußerte selbst den Wunsch, auch dorthin zu gehen. So willigte ich schließlich ein.«

»Elfie?«, fragte Astrid gedehnt. »Plötzlich hast du dich wieder deiner Schwester erinnert, obwohl du sie damals in Grund und Boden verdammt hast?«

»Ich habe sie nicht in Grund und Boden verdammt. Ich habe nur gesagt, dass dieser Fehltritt nicht hätte zu sein brauchen.«

»War es denn ein Fehltritt?«, fragte sie trotzig. »Vielleicht wollte sie nur ein Kind und keinen Mann. Immerhin ist es besser so, als wenn ein Kind schließlich zwischen den Eltern steht.«

»Du hast auch nicht immer so gedacht«, warf er ihr vor.

»Aber jetzt denke ich so. Man kann seine Meinung ändern, wenn man selbst in Konflikte gerät. Aber du bist ja erhaben. Was du tust, ist immer richtig.«

Nun waren sie schon wieder beim Streiten. Gregor Weymar sah kein gutes Ende mehr.

»Hast du dich von Olaf Norström getrennt?«, fragte er gepresst.

»Warum sollte ich mich von ihm trennen? Uns verbindet nichts, was uns nicht schon früher verbunden hätte. Ich habe dich jedenfalls nicht betrogen, wenn du es auch nicht glauben willst.«

Ein langes Schweigen war zwischen ihnen. Dann sagte er leise: »Astrid, sollten wir nicht versuchen, noch einmal von vorn zu beginnen oder an die Zeit anzuknüpfen, in der noch alles in Ordnung war?«

Sie überlegte einige Minuten. »Es kommt ganz darauf an, ob du dich von Marga Effner trennen willst«, stieß sie dann hervor.

Er stöhnte in sich hinein. »Sie ist unersetzlich als Arbeitskraft, wenn du das doch einsehen würdest! Es würde ewig dauern, bis eine andere sich eingearbeitet hätte.«

Sie warf den Kopf in den Nacken. »Nun, ich werde ja wohl nicht unersetzlich für dich sein«, sagte sie bebend. Dann fiel die Tür mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss.

Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen. Sein Stolz verbot es ihm. Schließlich war er ein Mann und kein Hanswurst. Wie es nun aber weitergehen sollte, wusste er nicht.

*

In Sophienlust war die geruhsame Zeit vorüber. Denise hatte den Entschluss gefasst, das Haus renovieren zu lassen. Im Hinblick darauf, dass Wolfgang Rennert und Carola nun ernsthaft an ihre Heirat dachten, musste auch Wohnraum für die beiden geschaffen werden, denn für eine abgeschlossene Wohnung war innerhalb des Gutshauses kein Platz mehr.

Denise wusste, wie wichtig es für ein junges Ehepaar war, wenigstens für Stunden ganz allein zu sein. Wolfgang und Carola waren ihr für dieses Verständnis dankbar.

Nun wurde der Architekt erwartet, der die Pläne für den Umbau und Anbau machen sollte. Oft hatte Denise sich schon mit Elfie Weymar darüber unterhalten, denn schon während der kurzen Zeit ihres Hierseins war ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden jungen Frauen entstanden.

Am Montagmorgen sollte Carlo Gröner eintreffen. Man hatte ein Gästezimmer für ihn hergerichtet, denn es würde einige Tage in Anspruch nehmen, bis er alles geprüft und seine genauen Berechnungen angestellt haben würde.

»Wo sollen dann die Kinder hin, wenn alles umgemodelt wird?«, erkundigte sich Dominik misstrauisch.

»Das werden wir noch überlegen«, meinte Denise. »Dazu haben wir ja noch ein paar Wochen Zeit.«

Es bereitete ihr natürlich auch Sorge, denn es war viel zu umständlich, die Kinder innerhalb des Hauses hin und her zu verlegen. Aber optimistisch, wie sie nun einmal war, meinte sie, dass ihnen schon noch etwas einfallen würde.

Carlo Gröner kam. Er war jung und aufgeschlossen, sehr sympathisch und von seinem Auftrag begeistert. Sehr angetan war er allerdings auch auf den ersten Blick von Elfie Weymar.

Denise entging das nicht, doch sie hoffte im Stillen, dass es dadurch keine Komplikationen geben würde. Elfie blieb allerdings so zurückhaltend wie immer.

Die Kinder beobachteten die Tätigkeit des Architekten mit einigem Misstrauen.

»Wenn alles umgebaut wird, wo sollen wir dann hin?«, fragte auch Malu nachdenklich. »Man wird uns doch nicht fortschicken?«

»Vielleicht wollen sie gar keine Kinder mehr behalten«, bemerkte Angelika trübsinnig, »und wollen es uns bloß noch nicht sagen.«

»Ach wo«, mischte sich Pünktchen ein. »Das tun sie nicht. Tante Isi will doch nur, dass wir es ganz schön haben.«

Diese Meinung teilten jedoch nicht alle, und so herrschte oft Unruhe.

»Wir brauchen bloß Nick zu fragen, der sagt es uns schon«, behauptete Pünktchen. »Der lässt auch nicht zu, dass wir fortgeschickt werden.«

»Das kommt davon, dass manche Kinder solche Schmierfinken sind und die Wände bemalen müssen«, äußerte sich Malu laut. Mancher Kopf senkte sich nach dieser Bemerkung schuldbewusst.

»Ich gehe jedenfalls nicht weg, und wenn ich bei den Ponys schlafen muss«, erklärte Pünktchen.

»Da stinkt es aber«, rief jemand.

»Mir stinken die Ponys nicht«, trumpfte Pünktchen auf.

Zum Glück kam Nick. »Was regt ihr euch denn so auf?«, fragte er. »Wir können Sophienlust doch nicht verkommen lassen. Alle paar Jahre muss es eben renoviert werden. Wenn alle Stricke reißen, könnt ihr ja nach Schoeneich kommen, solange die Handwerker hier sind.«

Ein bisschen eng würde es dort schon werden, aber Nick gelang es, die Kinder von der großen Sorge zu befreien, dass sie auseinandergerissen würden.

»Er ist der Besitzer und weiß schon, was er will«, meinte Betsy nachdenklich. Dann wurden ihre Augen plötzlich groß und rund. »Da ist ja meine Mutti«, flüsterte sie, machte aber keine Anstalten, zu ihr zu laufen. Im Gegenteil, wie der Wind verschwand sie im Pavillon. Nick, neugierig geworden, warum sie so reagierte, folgte ihr.

»Warum läufst du denn davon, Betsy, wenn deine Mutti dich besuchen will?«, erkundigte er sich.

»Sie will mich bestimmt mitnehmen, aber ich will nicht. Ich bin gern hier.«

Auch Nathalie kam angetrabt. Sie verstand sich mit ihrer älteren Cousine sehr gut und hatte mit kindlichem Instinkt sofort erfasst, dass sie bekümmert war.

»Warum läufst du weg?«, fragte auch sie.

»Weil Mutti gekommen ist«, erwiderte Betsy trotzig. »Ich will nicht fort.«

»Du kannst auch gar nicht fort«, versicherte Nathalie treuherzig. »Du musst bei Nathalie bleiben. Was sollst du denn allein zu Hause?«

Ja, was sollte sie allein zu Hause, wenn Mutti doch nicht dablieb? Plötzlich beschäftigte sich Betsy wieder damit, warum alles so anders geworden war.

Auch Elfie Weymar wurde von dem Besuch ihrer Schwägerin überrascht. Ein Kontakt hatte niemals zwischen ihnen bestanden. Wie hätte das auch sein sollen?

Als Gregor und Astrid geheiratet hatten, waren sie in eine weit entfernte Stadt gezogen. Anfangs hatte Elfie das junge Ehepaar zwar ein paarmal besucht, aber sie war sich zwischen den Verliebten recht überflüssig vorgekommen.

Als Elfie und Astrid sich nun gegenüberstanden, kam es Elfie in den Sinn, wie verliebt Gregor und Astrid die ersten Jahre gewesen waren. Konnte das restlos vorüber sein?

Astrid war sehr verlegen. »Ich habe von Greg erfahren, dass Betsy hier ist«, begann sie stockend. »Ich musste kommen.«

»Willst du sie holen?«, fragte Elfie beklommen.

»Das ist meine Absicht. Ein Kind gehört zur Mutter.« Astrids Lippen wölbten sich trotzig.

Elfie blickte schweigend vor sich hin. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Astrids Wunsch war verständlich, allerdings dachte sie zugleich auch an ihren Bruder.

»Würdest du Betsy bitte rufen oder mir sagen, wo ich sie finden kann?«, fragte Astrid eigensinnig.

»Wir sollten erst einmal miteinander sprechen«, schlug Elfie einlenkend vor. »Ich will mich bei Gott nicht in eure Angelegenheiten mischen, aber Betsy sollte nicht unnötig in Konflikte gestürzt werden.«

»Das ist nicht meine Absicht, aber mit Greg kann man nicht reden. Er hat seinen Dickkopf.«

»Und du nicht?«, fragte Elfie versöhnlich. »Differenzen in einer Ehe sollte man nicht zu sehr dramatisieren.«

»Das sagst du. Du kannst da gar nicht mitreden.«

Elfies Gesicht überschattete sich. »Nein, ich kann nicht mitreden. Ich bin allein verantwortlich für mein Kind«, erwiderte sie ruhig, »aber Betsy hat ein Anrecht auf beide Eltern. Ich bitte dich inständig, Astrid, das Kind nicht aus purem Trotz in einen seelischen Zwiespalt zu stürzen. Betsy ist hier gut aufgehoben. Du kannst dich davon überzeugen.«

Astrid überlegte. »Was hat dir Greg eigentlich alles erzählt?«, fragte sie gereizt. »Natürlich ergreifst du seine Partei. Er ist ja dein Bruder.«

»Ich ergreife nicht seine Partei! Ich denke nur daran, dass ihr einmal aus Liebe geheiratet habt und sehr glücklich gewesen seid. Betsy hatte eine harmonische Kindheit. Wie soll sie verstehen, dass jetzt plötzlich alles anders geworden ist?«

Nur mühsam konnte Astrid die Tränen unterdrücken. Elfie spürte sehr genau, dass sie sich selbst quälte. Deshalb entschloss sie sich, ganz offen mit ihr zu reden, selbst auf die Gefahr hin, eine Abfuhr zu bekommen.

»Was ist eigentlich mit diesem Olaf Norström?«, schnitt sie das schwierige Thema geradeheraus an. »Willst du dich von Greg scheiden lassen, um ihn zu heiraten?«

»Das ist doch alles Blödsinn«, brauste Astrid auf. »Greg redet sich das ein. Olaf hat uns früher auch manchmal besucht, ohne dass es ihn gestört hätte. Wenn er sich nicht mit dieser Marga Effner eingelassen hätte, wäre alles anders.«

»Redest du dir das nicht auch nur ein?«, fragte Elfie vorsichtig. »Ich kann nicht glauben, dass Greg dich betrügt.«

»Weil er so seriös aussieht?«, lachte Astrid auf. »Man sieht es den Männern nicht an der Nasenspitze an, was in ihnen vorgeht. Diese Effner ist ein raffiniertes Biest.«

Vielleicht hatte Astrid nicht so unrecht. Elfie konnte sich kein Urteil erlauben, sie kannte diese Frau ja nicht. Aber ihr lag daran, Astrid vor einem unüberlegten Schritt zu bewahren, der Betsy schaden könnte.

»Ich möchte jedem gerecht werden«, sagte sie leise. »Wie stehst du innerlich zu Greg, Astrid? Würdest du es mir bitte offen sagen?«

Astrid senkte den Blick. »Wenn er mir nichts mehr bedeuten würde, wäre mir alles egal«, stieß sie hervor. »Man kann die Jahre doch nicht auslöschen, Elfie. Er war und ist die große Liebe in meinem Leben. Du musst es mir glauben.« Ihre Stimme bebte.

»Ich glaube es dir ja«, flüsterte Elfie gedankenvoll. »Aber dann ist es die ganze Sache doch nicht wert, dass du dich hinter deinem Eigensinn verschanzt.«

Astrid betrachtete sie sinnend. »Würdest du mir sagen, warum du dich von dem Vater deines Kindes getrennt hast?«

Elfies Herz tat einen schnellen Schlag. »Ich habe mich nicht von ihm getrennt. Er hat sich von mir getrennt, was mich aber nicht daran hindert, dass es keinen anderen Mann mehr in meinem Leben geben wird. Und nun frage bitte nichts mehr.«

»Wir haben dir wahrscheinlich sehr Unrecht getan«, fuhr Astrid fort. »Warum bist du so bemüht, unsere Ehe zu kitten? Eigentlich müsste es dich doch freuen, wenn es bei uns auch schiefgeht?«

»Kann man sich an dem Unglück anderer freuen?«, fragte Elfie verhalten. »Ich habe Betsy lieb gewonnen. Sie ist ein sensibles Kind. Bitte, tu nichts, was ihr wehtun könnte.«

»Ich werde deine Worte beherzigen«, erwiderte Astrid nachgiebig. »Aber wenn Betsy mit mir kommen will, werde ich sie mitnehmen.«

Sie wird es nicht wollen, dachte Elfie. Aber sie brachte es doch nicht übers Herz, ihrer Schwägerin zu sagen, dass Betsy nicht ein einziges Mal nach ihren Eltern gefragt hatte.

*

»Das ist Nathalie«, stellte Elfie ihre kleine Tochter der unbekannten Tante vor. Nathalie verschränkte die Hände auf dem Rücken und setzte eine aggressive Miene auf.

»Willst du mir nicht guten Tag sagen?«, fragte Astrid freundlich. Sie suchte eine Ähnlichkeit mit Elfie in dem runden Kindergesichtchen, aber sie konnte keine finden. Das braune Haar, die dunklen Augen – dies alles gab es nicht in der Familie Weymar. Nathalie musste ihrem Vater ähnlich sein, und Astrid fragte sich, was es für Elfie bedeuten mochte, dieses Kind immer wieder anzusehen.

»Nein, ich will nicht guten Tag sagen«, erklärte Nathalie bockig. »Du willst mir Betsy wegnehmen. Aber Betsy will auch nicht fort.«

»Wo ist sie denn?«, fragte Astrid betroffen.

»Sag ich nicht«, antwortete Nathalie. »Keiner sagt’s.«

Astrid überlegte. Vielerlei ging ihr durch den Sinn. »Wenn ich dir nun verspreche, dass ich sie nur besuchen will?«

»Muss ich ihr erst sagen«, murmelte die Kleine. Schon flitzte sie davon.

»Du scheinst recht zu haben, Elfi.« Astrid war niedergeschlagen. Eine Woge von Melancholie durchströmte sie. Es wurde ihr bewusst, dass sie ihr Kind allein gelassen hatte und ihm damit einen tiefen Schmerz zugefügt hatte.

Elfie schwieg. Sie fühlte, dass Astrid jetzt nachzudenken begann. Mehr als zuvor und ohne Egoismus. Man musste ihr Zeit lassen.

*

Nathalie wusste, wo sie Betsy finden konnte, obgleich sich diese ein gutes Versteck ausgesucht hatte. Zusammengekauert saß sie in einer Baumhöhle.

»Hab nichts verraten«, raunte Nathalie. »Die Mutti ist nur auf Besuch gekommen. Sie will dich nicht mitnehmen.«

»Das sagt sie nur so, damit ich rauskomme«, behauptete Betsy.

»Denk ich nicht. Sie hat es versprochen.«

Betsy wusste nicht recht, was sie tun sollte. Einerseits hatte sie Sehnsucht nach ihrer Mutti, andererseits war ein kindliches Misstrauen in ihr.

»Kannst es ihr ja selbst sagen, dass du bei uns bleiben willst«, meinte Nathalie, die den Ernst der Situation nicht recht begreifen konnte.

»Werde ich auch.« Betsy entwickelte eine Energie, die man nicht von ihr gewöhnt war. Sie kroch aus der Baumhöhle und klopfte sich den Schmutz ab. Nathalie trippelte neben ihr her, als sie durch den Park gingen.

Betsy versteifte sich, als ihre Mutter auf sie zugeeilt kam und sie in ihre Arme schloss. »Ich komme nicht mit«, erklärte sie sogleich aggressiv.

»Davon habe ich doch gar nichts gesagt«, erwiderte Astrid beherrscht.

»Mir geht es sehr gut«, stellte Betsy ungefragt fest. »Es ist schön hier, und Tante Elfie ist sehr lieb.« Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Wo warst du, Mutti?«

»Bei den Großeltern. Sie waren sehr enttäuscht, dass du nicht mitgekommen bist.«

»Du hast mich ja nicht mitgenommen«, erwiderte Betsy.

»Möchtest du, dass wir zu ihnen fahren? Sie würden sich sehr freuen.«

»Nein, ich will hierbleiben«, betonte das Kind aufs Neue. »Ich will erst wieder nach Hause, wenn alles so ist wie früher und du nicht mehr mit Vati streitest.«

Nathalie hatte es vorgezogen, die beiden allein zu lassen.

»Zeigst du mir dein Zimmer?«, fragte Astrid ihre Tochter.

»Unser Zimmer. Es gehört Nathalie und mir. Hier brauche ich nicht allein zu schlafen und auch nicht allein zu spielen.«

Vielleicht wäre alles nicht so weit gekommen, wenn wir mehrere Kinder hätten, dachte Astrid nach diesen Worten.

»Es ist schön, wenn man nicht allein ist«, betonte Betsy nochmals. »Nick hat noch drei Geschwister. Warum habe ich keine?«

Darauf eine ehrliche Antwort zu geben, sah Astrid sich außerstande. Sie hatte sich immer nur ein Kind gewünscht. Und auch Greg war damit zufrieden gewesen.

»Nicht alle Kinder haben Geschwister«, erwiderte sie ausweichend.

»Manche Kinder haben auch keine Eltern«, überlegte Betsy. »Wie Angelika und Vicky. Dann müssen sie immer in einem Heim bleiben.«

»Das brauchst du nicht, mein Liebling«, murmelte Astrid beklommen.

»Hat Vati sich gefreut, dass du wieder da bist?«, fragte die Kleine nachdenklich. »Warum vertragt ihr euch nicht mehr?«

»Wenn wir uns nun wieder vertragen – kommst du dann gern wieder heim?«

»Ja, dann schon. Aber ich möchte gern Geschwister haben, mit denen ich spielen kann«, beharrte Betsy. »Und ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man sich streitet.«

Sie erteilt mir eine Lektion, dachte Astrid betroffen. Sie war überrascht, worüber sich ein sechsjähriges Kind schon Gedanken machte.

Ob auch Elfie daran dachte, dass einmal eine Zeit kommen könnte, in der Nathalie nach ihrem Vater fragen würde?

Bevor Astrid Abschied nahm von Sophienlust, hatte sie noch einmal Gelegenheit zu einem Gespräch mit Elfie. Da stellte sie ihr diese Frage.

Elfies Gesicht verschloss sich. »Ich werde ihr die Antwort geben, die sie erwartet«, erwiderte sie leise. »Ich bereue nichts, wenn du das wissen willst, Astrid.«

*

Noch am selben Abend musste Elfie jedoch erkennen, dass die Eheschwierigkeiten ihre Bruders auch ihr Probleme brachten.

Sie hatte die Kinder zu Bett gebracht. Wie immer hatte sie ihnen eine Geschichte erzählt und mit ihnen ein Schlafliedchen gesungen.

»Deine Geschichten gehen immer gut aus, Tante Elfie«, meinte Betsy. »Das finde ich schön.«

»Ich auch«, echote Nathalie. »Warum habe ich keine Großeltern, Mutti? Betsy hat doch auch welche.«

»Du kannst meine ja mithaben«, bot Betsy an, als Elfie nach einer Antwort suchte.

»Nathalie will selber welche haben«, beharrte die Kleine. Immer, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte, nannte sie sich mit ihrem Namen. »Nathalie will auch einen Vati haben.«

Ich darf es jetzt nicht tragisch nehmen, sagte sich Elfie. Sie weiß ja gar nicht, was sie redet.

Natürlich wusste das die kleine Nathalie nicht, aber ihre Fantasie beflügelte ihre Wünsche.

»Wo ist mein Vati?«, fragte sie trotzig. »Er soll endlich mal kommen.«

Hilflos suchte Elfie nach einer Erklärung. Betsy kam ihr zu Hilfe. »Vatis haben immer viel zu tun«, erklärte sie. »Oder sie sind tot, wie der von Vicky und Angelika.«

Elfies Herz zog sich zusammen. Daran, dass Clemens tot sein könnte, wollte sie nicht denken. Nein, das nicht! Irgendwo musste sie ihn immer suchen können, immer noch.

Zum Glück war Nathalie so müde, dass sie keine weiteren Fragen stellte. Sie schlief ein, als Betsy ihr Abendgebet sprach.

Elfie war noch ganz ihren Gedanken hingegeben, als sie Betsy flüstern hörte: »Und dann, lieber Gott, mach, dass Vati und Mutti sich wieder vertragen und dass Nathalies Vati auch mal Zeit hat, sie zu besuchen.«

Elfie beugte sich zu ihr hinab. »Du bist doch ein vernünftiges Mädchen, Betsy«, flüsterte sie. »Nathalie ist noch so klein. Sie hat keinen Vati mehr, und deshalb kann er auch nicht kommen. Ich will nicht, dass sie traurig darüber ist.«

Betsy nickte. »Wir reden nicht mehr davon, Tante Elfie.«

»Du sollst auch nicht traurig sein, Kleines«, versuchte Elfie sie zu trösten. »Es wird bestimmt alles wieder gut.«

Betsys Augen leuchteten auf. »Hat Mutti das gesagt?«, wollte sie wissen.

Elfie legte den Finger auf den Mund, weil Nathalie sich bewegte. Sie nickte nur, und wünschte mit heißem Herzen, dass wenigstens dieses Kind nicht enttäuscht würde.

Sie selbst war so deprimiert wie schon lange nicht mehr. Ja, ganz sicher würde Nathalie eines Tages ernsthaft nach ihrem Vater fragen. Sie war ein aufgewecktes Kind, aber was verstand sie schon von einer großen Liebe, die an irgendeinem unbegreiflichen Missverständnis gescheitert war?

War es wirklich nur ein Missverständnis gewesen? Musste sie sich nicht doch endlich zu der Überzeugung durchringen, dass Clemens sich gegen sie entschieden hatte? Warum wollte sie sich selbst belügen?

Sie zog ihren Mantel an und ging hinaus in die kühle, sternklare Nacht. In einer solchen Nacht hatten sich ihre Herzen gefunden. Elfie hatte vom ersten Augenblick an gewusst, dass er, nur er, ihre ganze Liebe besitzen würde. Jetzt sah sie ihn vor sich, als wäre es erst gestern gewesen: Sein schmales Gesicht, die braunen Haare, die dunklen Augen, den Mund, der so selten lächelte, und doch so zärtlich sein konnte. Sie erschauerte, als sie an den ersten Kuss dachte, der ihr Schicksal besiegelt hatte.

»Was bin ich ohne dich, Elfie«, hatte er gesagt, und dennoch hatte er sie allein gelassen. Warum nur, warum? Ihr Blick wanderte zum Himmel, als könnte er ihr eine Antwort geben.

Schnelle Schritte näherten sich. Elfie schrak aus ihren Gedanken auf. Carlo Gröner stand vor ihr.

»Wie schön, Sie einmal allein zu treffen«, sagte er erfreut. »Es ist ein herrlicher Abend.«

»Ja, es ist ein herrlicher Abend«, erwiderte sie tonlos. Sie wäre lieber allein gewesen, aber war es nicht gut, dass sie von ihren Reminiszenzen abgelenkt wurde?

»Wollen wir nicht einen Spaziergang machen?«, schlug Carlo Gröner verlegen vor. »Ich bin so vermessen zu gestehen, dass ich mich gern einmal mit Ihnen unterhalten würde, Frau Weymar.«

Warum nicht, dachte sie. Er bringt mich wenigstens auf andere Gedanken. Es ist völlig sinnlos, dass ich in der Vergangenheit lebe. Was vorbei ist, ist vorbei.

Nach seiner recht forschen Aufforderung schien ihr Begleiter jedoch nur schwer einen Anknüpfungspunkt zu finden. Doch gerade das stimmte Elfie zugänglich. Er war kein Charmeur, dem die Worte leicht über die Lippen kamen. Befangen sagte er: »Ich muss sehr viel über Sie nachdenken, Frau Weymar.«

»Wieso?«, fragte sie leichthin.

»Das ist nicht so leicht zu erklären. Sie haben sicher bemerkt, dass ich mich sehr für Sie interessiere, aber Sie weichen mir ständig aus.«

Elfie zwang sich zu einem Lächeln. »Tatsächlich?«

»Ich frage mich, warum Sie sich so distanzieren. Sie sind jung und schön, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf.«

»Du lieber Himmel«, entfuhr es ihr. »Wollen Sie mich eitel machen?«

»Ich stelle nur Tatsachen fest«, erwiderte er ernst.

»Warum sind Sie mit Ihrer reizenden kleinen Tochter allein? Ich habe mich vergeblich bemüht, es in Erfahrung zu bringen.«

Ob es ihm einen Schock versetzen würde, wenn er die Wahrheit erfuhr? Nun, jedenfalls schuf sie Klarheit.

»Ich war nie verheiratet«, erwiderte sie ruhig. »Genügt Ihnen diese Erklärung?«

Er wandte ihr sein Gesicht zu. »Jedenfalls schockiert sie mich nicht, wenn Sie das vielleicht erwartet haben.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Könnte ich mich an den Gedanken gewöhnen, Nathalie einen anderen Vater zu geben, überlegte Elfie. Nein, niemals wehrte sich etwas in ihr. Nathalie ist alles, was mir geblieben ist.

»Muss eine Enttäuschung ein ganzes Leben überschatten?«, fragte Carlo Gröner verhalten.

»Es war keine Enttäuschung«, erwiderte sie. »Es war sehr viel Glück.«

Sie vernahm seinen raschen Atemzug. »Ist er tot?«, fragte er leise.

»Ich weiß es nicht«, entgegnete sie mit bebender Stimme. »Gott gebe, dass es nicht so ist.«

»Bitte, Elfie verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er flehend, »aber wenn ich Ihnen Zeit lasse, wenn ich viel Geduld habe, könnten Sie mir dann nicht eine Chance geben? Ich liebe Sie, und das sind keine leeren Worte. Ich weiß genau, was ich sage.«

Da ist ein Mann, der mich liebt, ging es ihr durch den Sinn, obwohl er Bescheid weiß. Er macht sich keine Illusionen. Nathalie würde einen Vater haben. Sie wünscht sich doch einen. Carlo Gröner ist ein sympathischer Mann. Er sucht kein Abenteuer.

Nein, dachte sie zugleich. Es wäre ein schrecklicher Selbstbetrug. Es gibt nur einen Mann, nach dem ich mich sehne. Mag er mich auch verraten haben, ich kann ihn nicht verraten.

»Wir hätten uns besser nicht getroffen«, entgegnete sie tonlos.

»Bitte, Elfie, denken Sie noch einmal darüber nach«, flehte er. »Ich werde warten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es wäre zu wenig, was ich Ihnen geben könnte.«

»Aber es könnte mehr werden, Elfie«, sagte er eindringlich. »Darf ich mich wenigstens als Ihren Freund betrachten?«

»Warum liegt Ihnen so viel daran? Wir kennen uns doch erst ein paar Tage.«

»Ich habe halt eine bestimmte Vorstellung von einer Frau, und dieser entsprechen Sie genau.«

»So, dass Sie sogar ein Kind in Kauf nehmen?«, meinte sie verwundert.

»Doch nicht in Kauf nehmen. Ich mag Kinder, und Nathalie ist entzückend und sehr zutraulich.«

Elfie versank in Nachdenken. Sollte Nathalies plötzlicher Wunsch nach einem Vati dieser Zutraulichkeit entspringen? War es Carlo Gröner, der den Wunsch ausgelöst hatte?

In dieser Nacht überlegte Elfie noch lange, ob sie diesem netten Carlo Gröner Nathalie zuliebe nicht doch eine Chance geben sollte. Als sie dann aber einschlief, geisterte Clemens durch ihre Träume, und als sie aufwachte, war ihr Gesicht nass von Tränen.

*

Spät am Abend war Astrid zu Hause angekommen. Sie fand ihr Heim leer. Überall standen gefüllte Aschenbecher, in der Küche benutztes Geschirr. Sie öffnete erst einmal weit die Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und ordnete das Geschirr in die Spülmaschine.

Weibliche Hilfe schien Greg nicht zu haben, und sie wusste, wie hilflos er allein war. Wo aber mochte er jetzt sein? Versumpfte er irgendwo?

Sie wartete lange, doch er kam nicht, sodass ihre versöhnlichen Gedanken wieder einem heftigen Zorn wichen. Fast war sie schon entschlossen, ihre Koffer wieder zum Wagen zu bringen, als sie an Betsys traurige Augen dachte. Ihrem Kind zuliebe wollte sie diesmal nicht kapitulieren.

An diesem Tag sank Astrid in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie immer wieder emporschreckte. Doch der Morgen kam, ohne dass Greg heimgekommen war. Na warte, dachte sie, diesmal nagele ich dich fest.

Sie kleidete sich sorgfältig an und fuhr zur Fabrik. In den Büros hatte gerade die Arbeit begonnen. Der Portier kannte sie und gab ihr ohne Rückfrage einen Passierschein.

Astrid fuhr in den fünften Stock hinauf, klopfte an die Tür des Vorzimmers und trat rasch ein.

Marga Effner blickte erstaunt auf. Glühende Röte überzog ihr Gesicht, als sie Astrid vor sich stehen sah.

Der Neid musste es ihr lassen, sie war ein ungewöhnlich apartes Mädchen. Das trug allerdings nicht zu Astrids Wohlbefinden bei.

»Ich möchte meinen Mann sprechen«, sagte sie kühl.

»Aber der Herr Doktor ist doch seit Sonnabend verreist«, erwiderte Marga verwundert. »Wir erwarten ihn nicht vor übermorgen zurück.«

Astrid war so gereizt, dass sie die Beherrschung verlor. »Und wann erwarten Sie ihn zurück?«, fragte sie zornig.

»Wie soll ich das verstehen?« Nun nahm auch Marga Effners Stimme einen gereizten Ton an.

»Wie es gemeint ist. Wir wollen doch offen miteinander reden. Wir haben eine sehr glückliche Ehe geführt, bis Sie dazwischenkamen.«

»Ich? Du liebe Güte«, sagte Marga verblüfft. »Sie können doch nicht glauben, dass ich privat mit Ihrem Mann – nein, das wäre wirklich zum Lachen. Ich habe die Absicht, in Kürze zu heiraten, und so leid es mir tut, diese angenehme Stellung und einen sehr angenehmen Chef aufzugeben – im Hinblick auf Ihre Verdächtigungen ist es wohl doch besser.«

Nun stand Astrid recht kleinlaut da.

Magda Effner lächelte nachsichtig. »Sind Sie schon lange dieser Meinung?«, fragte sie ironisch. »Warum hat Dr. Weymar dann nie mit mir darüber gesprochen? Ihnen wird er doch aber gesagt haben, dass solche Gedanken absurd sind?«

Natürlich hatte er das, aber Astrid hatte ihm nicht geglaubt. Und nun war sie die Blamierte. Es traf ihre Eitelkeit sehr.

»Dann kann ich Sie nur bitten, meinem Mann nichts von meinem Besuch zu sagen«, murmelte sie.

»Aber warum denn nicht? Es trüge doch nur zur Klärung bei«, meinte Marga Effner ruhig. »Sehen Sie, man findet es nicht oft, dass man einen so sympathischen Chef hat, der dazu überaus korrekt ist. Ich war immer überzeugt, dass Ihre Ehe sehr glücklich sei, Frau Weymar, wenn ich das bemerken darf.«

Greg musste sich gut in der Gewalt haben, wenn man ihm die häuslichen Sorgen nicht anmerkte, besser als sie. Astrid schämte sich. Bedrückt trat sie den Rückzug an.

»Wo hält sich mein Mann jetzt auf?«, fragte sie leise.

Marga blickte auf ihren Notizblock. »Heute in Hannover, morgen in Hamburg«, erwiderte sie. »Möchten Sie auch die Hotels wissen?«

Nun denkt sie bestimmt, ich will ihn bespitzeln, ging es Astrid durch den Sinn.

»Nein, danke«, erwiderte sie. »Er kommt übermorgen zurück, sagten Sie?«

»Wenn nichts dazwischenkommt. Wie geht es Betsy?«

»Sehr gut«, erwiderte Astrid tonlos. »Auf Wiedersehen, Frau Effner.«

Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft, dachte Marga Effner. Na, hoffentlich kam nun alles wieder ins Lot. Sie hatte wohl bemerkt, dass Dr. Weymar manchmal sehr zerstreut und niedergeschlagen gewesen war, aber sie war nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie der Anlass dazu sein könnte. Wie dumm manche Frauen doch waren. Da hatte Frau Weymar einen so charaktervollen Mann und machte sich dennoch das Leben schwer.

Ähnlichen Gedanken gab sich auch Astrid hin. Um sich abzulenken, stürzte sie sich in die Hausarbeit, für die sie sonst nicht viel übrig hatte. Aber da Käthe das Feld geräumt hatte, blieb ihr gar nichts anderes übrig, und plötzlich fand sie sogar Spaß daran.

Wenn Greg zurückkam, sollte alles blitzblank sein. Staunen sollte er, und Betsy sollte mit ihrer Mutter zufrieden sein. Aber konnte sie ihren Mann jetzt noch von ihren guten Vorsätzen überzeugen? Hatte sie das Kind nicht schon mit dem Bade ausgeschüttet? Und dann war da auch noch Olaf, der sich ernste Hoffnungen auf sie machte, obgleich sie ihm diese auszureden versucht hatte. Zu dumm, dass er gerade in einem Augenblick aufgetaucht war, als sie völlig aus der Fassung geraten war. Wahrscheinlich hatte sie doch manches gesagt, das er zu seinen Gunsten ausgelegt hatte. Astrid war sehr unzufrieden mit sich.

*

Auch Elfie erging es an diesem Tag ähnlich. Sie war sehr unzufrieden mit sich, denn immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie Carlo Gröner eindringlich musterte.

Sie sprach mit ihm die Sonderwünsche für den Umbau durch, da Frau von Schoenecker heute mit ihrem Mann in die Stadt gefahren war. Am Nachmittag wollte Carlo Gröner Sophienlust wieder verlassen, um anderen Verpflichtungen nachzukommen. Er würde aber wiederkommen, und dann wollte er sie noch einmal fragen. Das hatte er ihr schon angedeutet.

Wenn sie in sein offenes, frisches Gesicht blickte, schien ihr der Gedanke, ein stilles Glück an seiner Seite zu finden, schon gar nicht mehr so abwegig. Ein Leben lang allein zu bleiben, einer verlorenen Liebe nachzutrauern, war das nicht zu viel?

Als ihre Blicke sich wieder einmal trafen, lächelte er. »Schauen Sie mich nur ganz genau an, Elfie«, sagte er herzlich. »Vielleicht finden Sie doch noch etwas Liebenswertes an mir. Ganz unsympathisch bin ich Ihnen ja hoffentlich nicht.«

»Nein, durchaus nicht«, gab sie verlegen zu.

Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Dann gebe ich die Hoffnung nicht auf. In ein paar Wochen komme ich wieder. Und vielleicht darf ich Ihnen zwischendurch auch einmal schreiben.«

Wieder irrten ihre Gedanken ab. Wie oft hatte sie damals an Clemens geschrieben, aber er hatte keinen Brief beantwortet. War es für ihn doch nur ein Abenteuer, eine Sommerliebe gewesen? Gab es eine andere Frau, die größere Anrechte auf ihn hatte? Immer wieder waren ihr solche Gedanken gekommen, weil sie sich nicht hatte damit abfinden wollen, dass er für immer aus ihrem Leben verschwunden war. Welche Frau, die einen Mann so tief liebte, fand sich schon damit ab?

»Nun sehen Sie schon wieder bekümmert aus«, stellte Carlo Gröner fest. »Sie sollten lachen, Elfie, es steht Ihnen so gut. Wenn ich Ihnen doch helfen könnte, fröhlich und unbeschwert in die Zukunft zu blicken. Wollen Sie sich nicht einmal alles vom Herzen reden?«

»Später vielleicht«, erwiderte sie.

Sie ging wieder an ihre Arbeit, aber sie konnte sich nicht konzentrieren.

Magda erschien mit einem Tablett. »Sie haben noch gar nicht gefrühstückt, Frau Weymar«, meinte sie fürsorglich. Ihre Vorurteile gegen »die Neue« waren längst vergessen. Nun versuchte sie ihren Fehler durch doppelte Zuvorkommenheit gutzumachen.

»Ich habe es ganz vergessen, Magda«, erwiderte Elfie freundlich. »Vielen Dank.«

»Ich wäre schon früher gekommen«, meinte Magda verschmitzt, »aber ich wollte nicht stören. Der Herr Gröner war lange bei Ihnen.«

Gegen ihren Willen errötete Elfie tief. »Es gibt viel zu besprechen.«

»Er ist ein sehr netter Mann, und wie reizend er mit der Nathalie ist«, fuhr Magda fort. »Es gibt schon noch zuverlässige Männer, und in Sophienlust haben sich schon viele Herzen gefunden. Nun denken Sie aber bloß nicht, dass wir Sie loswerden wollen, Frau Weymar.«

»So schnell werdet ihr mich auch nicht los«, entgegnete Elfie mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich fühle mich hier schon wie zu Hause.«

Zu Hause, dachte sie, du lieber Gott, wie hatte sie sich da gefühlt! Wie eine Ausgestoßene, und so war sie ja auch behandelt worden. Sie wollte nicht mehr daran denken, aber sie musste es doch, als Magda wieder gegangen war.

»Dass du uns das antun musst«, hatte die Mutter gejammert. »Vater wird es nie verwinden. Aber du bist alt genug, um die Konsequenzen zu ziehen. Dem Gerede fühlen wir uns nicht gewachsen. Nie hätte ich geglaubt, dass ich einmal so etwas mit dir durchmachen müsste, wo du doch wirklich genügend anständige Männer kanntest, die dich gern geheiratet hätten.«

Elfie hatte es nicht mehr hören können. Anständige Männer! Clemens war ein anständiger Mann gewesen, oder hatte sie sich das nur eingeredet?

Weg mit diesen Gedanken. Sie musste sich endlich ihrer Arbeit zuwenden, sonst meinte Frau von Schoenecker womöglich noch, dass sie zu trödeln beginne, sobald sie nicht im Hause war.

*

Kurz vor dem Essen kam Nathalie, um einmal nach ihrer Mutti zu sehen. Sie hielt einen kleinen Plüschaffen an sich gedrückt.

»Den habe ich von Onkel Carl«, erklärte sie stolz. »Damit ich an ihn denke, wenn er nicht mehr da ist. Er ist ja so lieb, Mutti«, versicherte sie.

Elfie wurde es ganz eigen. Es war wirklich lieb von ihm, aber wahrscheinlich war das doch nur ein Versuch, sich über Nathalie in ihr Herz zu stehlen.

Nun, das konnte sie ihm nicht einmal verübeln. Nathalie schien hellauf begeistert von ihm zu sein, und wenn sie selbst sich schon mit dem Gedanken vertraut machen wollte, doch einmal zu heiraten, dann nur einen Mann, der ihr Kind liebte und dem Nathalie zugetan war.

»Er ist ja kein richtiger Vati«, plapperte Nathalie, »aber ein lieber Vati könnte er schon sein. Das sagt Betsy auch.«

»Es freut mich, dass du dich mit ihm verstehst«, meinte Elfie.

»Wir sollen ihn mal besuchen, hat er gesagt. Er baut Häuser, Mutti. Vielleicht baut er auch eins für uns?«

»Gefällt es dir in Sophienlust nicht mehr?«

»Doch schon, aber immer können wir doch nicht hierbleiben.«

»Warum denn nicht?«

Nathalie sah sie nachdenklich an. »Weil doch sonst nur Kinder da sind, die gar keine Eltern haben.«

Auf dieses Argument wusste Elfie nicht gleich eine Erwiderung, aber zum Glück hatte es Nathalie eilig, Betsy ihr Äffchen zu zeigen. Sie hüpfte davon, ein unbeschwertes Kind, das keine Ahnung von den Sorgen ihrer Mutter hatte.

*

»Schauen wir doch mal bei Claudia hinein«, meinte Denise zu ihrem Mann, als sie auf dem Rückweg von der Stadt waren.

»Jetzt können wir ja öfter mal einen Kaffeeklatsch machen, nachdem Frau Weymar sich so gut eingearbeitet hat. Na, hoffentlich bleibt sie uns erhalten«, fuhr sie seufzend fort. »Der gute Gröner scheint heftig Feuer gefangen zu haben.«

»Was ich ihm nicht mal übel nehmen kann. Sie ist eine reizende Frau«, meinte Alexander von Schoenecker. »Und Nathalie ist entzückend.«

»Du schwärmst ja förmlich«, neckte sie ihn.

»Nun leg es aber bitte nicht falsch aus. Manche Männer müssen doch tatsächlich blind sein, wenn sie eine solche Frau im Stich lassen.«

»Wir wissen doch gar nicht, wie es gewesen ist«, bemerkte Denise nachdenklich. »Sie macht nicht die kleinste Andeutung.«

»Und diesmal scheint dein diplomatisches Geschick im Aushorchen zu versagen«, lächelte er. »So sympathisch Gröner mir auch ist, ich hoffe doch, dass er sich einen Korb holt, damit Elfie Weymar uns erhalten bleibt.«

»Du Egoist! Wir haben nicht das Recht, dem Glück eines Menschen im Wege zu stehen.«

»Wenn du so denkst, meine geliebte Denise, dann wollen wir die Tage noch recht genießen. Ich sehe dich leider schon wieder in deinem Büro hocken.«

Sie waren vor dem hübschen Bungalow der jungen Brachmanns angelangt, und schon kam ihnen Claudia freudestrahlend entgegen.

»Wie schön, dass ihr mal an mich denkt«, lachte sie. »Ihr habt eine günstige Stunde erwischt. Die Kinder schlafen, und Lutz zeigt gerade diesem verrückten Sonderling die Häuser.«

»Welchem verrückten Sonderling?«, fragte Denise erstaunt.

»Ach, das wisst ihr noch gar nicht«, fuhr Claudia fort. »Seit Tagen macht er schon die Gegend unsicher. Ich möchte nur wissen, was er hier verloren hat. Jedenfalls scheint er einen Narren an der Gegend gefressen zu haben. Er will unbedingt ein Haus kaufen. Und da mein geschäftstüchtiger Schwiegerpapa einige Häuser gebaut hat, bekniet der närrische Herr Oswald jetzt uns. Na, mir kann es nur recht sein, wenn er einen guten Preis zahlt. Papa gibt Lutz zehn Prozent Provision, wenn es zu einem Abschluss kommt.«

»Seit wann bist du denn so geldgierig?«, neckte Alexander von Schoenecker die bildhübsche junge Frau, der die Lebensfreude aus den Augen lachte.

»Seit ich weiß, was Kinder kosten.«

Denise war im Augenblick sehr an diesem Fremden interessiert. Es war selten, dass jemand sich hier ansiedeln wollte, der nicht in der Wellentinschen Fabrik beschäftigt war. Und da sonst im näheren Umkreis nichts Bemerkenswertes geschah, fragte sie Claudia noch ein wenig aus.

»Wir werden schon richtige Klatschtanten«, meinte Claudia lachend. »Aber das kommt davon, dass hier jeder jeden kennt.«

Sie waren gerade dabei, ihren Mokka zu trinken, als Lutz kam.

»Uff, das wäre geschafft«, stöhnte er erleichtert, nachdem er die Freunde herzlich begrüßt hatte.

»Es war eine schwere Geburt, den alten Herrn zufriedenzustellen. Man möchte meinen, dass er eine ganze Kinderschar in dem Haus unterbringen will.«

»Wieso Kinderschar?«, erkundigte sich Claudia interessiert. »Er ist doch mindestens siebzig.«

»Alter schützt vor Torheit nicht«, erwiderte Lutz Brachmann schmunzelnd. »Jedenfalls prüfte er jedes einzelne Zimmer dahingehend, ob es sich für ein Kinderzimmer eignet.«

»Vielleicht hat er eine ganz junge Frau und will sich hier mit ihr in die Einsamkeit zurückziehen«, vermutete Claudia. »Geld scheint er ja genug zu haben, und dafür nehmen manche Frauen auch einen Großvater in Kauf.«

»Jedenfalls ist er sehr vital, und wenn man erst ein bisschen warm mit ihm wird, kommt er einem auch gar nicht mehr so verrückt vor.«

»Ihr macht mich direkt neugierig.«

»Das bist du ja schon lange«, schmunzelte Alexander.

»Du wirst Herrn Oswald bestimmt noch kennen lernen«, meinte nun Lutz Brachmann.

»Er hat sich eingehend nach Sophienlust erkundigt.«

»Guter Gott, er wird euch doch nicht Konkurrenz machen wollen?«, rief Claudia aus. »Manchmal bekommen alte Herren so einen Tick, wenn sie einsam sind.«

»Nun, dazu ist das Haus doch nicht groß genug«, bemerkte Lutz. »Für zwei, drei Kinder hat es Platz, aber nicht für zehn oder zwanzig. Wie geht es denn so bei euch? Ist das Haus wieder voll?«

»Mir genügt es«, brummte Alexander.

»Und wie lässt sich eure neue Kraft an?«, fragte Claudia.

»Ausgezeichnet. Wir können uns jetzt öfter mal ein Plauderstündchen gönnen, Claudi. Wann kommst du nach Schoeneich?«

»Wann mein Göttergatte es gestattet.«

»Sie tut gerade so, als wäre ich ein Tyrann«, brummte Lutz.

»Bist du ja auch. Wehe, wenn ich mal nicht da bin, wenn er früher heimkommt. Aber wenn ich stundenlang auf ihn warten muss, das macht ihm nichts aus.«

»Das ist nicht wahr«, protestierte er. »Jede Stunde, die ich nicht bei dir sein kann, wird mir zur Ewigkeit.«

Denise und Alexander verabschiedeten sich.

»Sie sind nach wie vor glücklich«, stellte Denise erfreut fest. »Es ist ein schönes Gefühl, Alexander. Wie schrecklich wäre es, wenn bei unseren Freunden der Haussegen schief hinge.«

»Du würdest schon dafür sorgen, dass er wieder geradegerückt würde«, entgegnete er liebevoll. »Du bist ein richtiger Friedensengel.«

»Und du machst die bezauberndsten Komplimente, die sich eine alte Ehefrau nur wünschen kann.«

»Du sehr alte Ehefrau«, lachte er und küsste sie schnell auf den Mund.

Wie dankbar muss ich sein, dachte Denise. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass es bei anderen Ehepaaren anders ist als bei uns, obwohl wir oft genug mit Zwistigkeit konfrontiert werden.

Sie kamen an dem Haus vorbei, das Lutz Brachmann gerade an jenen alten Sonderling verkauft hatte. Es war ein sehr hübsches Haus, vor dessen Tür eine große dunkelblaue Limousine teuerster Ausführung stand.

»Fahr mal ein bisschen langsamer«, bat Denise ihren Mann, »er kommt gerade aus dem Haus.«

»Du neugieriges Mädchen«, scherzte er.

Der Mann war groß, hager und hatte eisengraues Haar. Leider konnte Denise ihn nur flüchtig betrachten, wollte sie seine Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken, denn er blickte wachsam zur Straße herüber.

»Ich möchte nur wissen, durch wen er in unsere Gegend verschlagen worden ist«, meinte Denise sinnend.

»Das wirst du ganz bestimmt schnellstens herausbringen«, neckte sie ihr Mann. »Wie ich unsere lieben Dorfbewohner kenne, werden sie schon dafür sorgen, dass wir baldigst alle Einzelheiten wissen.«

Doch darin sollte er sich getäuscht haben. Jener Herr Oswald schien tatsächlich ein Sonderling zu sein. Niemand brachte etwas über ihn in Erfahrung.

*

Es konnte Elfie nicht verborgen bleiben, dass Nathalie Carlo Gröner nachtrauerte. Überall schleppte sie das Plüsch­äffchen mit sich herum, das auch mit in ihrem Bett schlafen musste.

»Kommt er bestimmt wieder, Mutti?«, fragte sie.

»Er hat hier ja noch zu tun«, erwiderte Elfie ausweichend.

»Aber dann machen wir mal einen Ausflug mit ihm, nicht wahr?«

»Wenn du es gern möchtest?«

»Möchtest du es nicht?«, fragte Nathalie enttäuscht. »Ist mein Vati lieber als er?«

Es machte Elfie irgendwie glücklich, dass sie nicht in der Vergangenheitsform sprach.

»Er ist sehr lieb, mein kleines Mädchen«, erwiderte sie zärtlich.

»Aber warum kommt er dann nicht zu seiner kleinen Nathalie?«, fragte das Kind betrübt. »Er braucht mir doch gar nichts zu schenken, wenn er kein Geld hat. Ich möchte nur einen lieben Vati haben.«

Wenn du es doch hören könntest, Clemens, dachte Elfie bekümmert. Aber was würde das nützen, falls er inzwischen an eine andere Frau gebunden war? Ich muss mir Gewissheit verschaffen, überlegte sie weiter, damit ich von ihm loskomme. Wenn ich keine Entschuldigungen mehr für ihn finde, werde ich ein neues Leben beginnen, damit Nathalie mir nicht mehr diese schrecklichen Fragen stellt. Dass sie schon so früh damit begann, kam sicher durch die Gesellschaft von Betsy, die sich ständig mit ihren Eltern beschäftigte.

Mit brennender Ungeduld wartete Elfie auf eine Nachricht von ihrer Schwägerin, aber umsonst.

Auch Betsy wartete. »Hat Mutti noch nicht geschrieben?«, fragte sie.