Ehrensache, Jeeves! - P. G. Wodehouse - E-Book

Ehrensache, Jeeves! E-Book

P. G. Wodehouse

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Beschreibung

Wodehouse-Fans können aufatmen! Weiter geht’s mit Herrn Bertie und seinem getreuen und über die Maßen gebildeten Diener Jeeves – und der ganzen Entourage aus der zauberhaften Welt des degenerierten Adels.

Wieder einmal steht alles kopf im Leben von Bertie Wooster: Durch ein von ihm ausgelöstes Missverständnis droht die Verlobung von Gussie Fink-Nottle und Madeline zu platzen, Tante Dahlia schwafelt von einem silbernen Sahnekännchen in Form von einer Kuh, das er einem Antiquitätenhändler madigmachen soll, und ein alter Freund erwartet ein Ständchen über die Freuden der Liebe von ihm. Eine Situation, die nur Jeeves aufzulösen weiß, für ihn eine Ehrensache …

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P. G. Wodehouse

Ehrensache, Jeeves!

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Schlachter

Insel Verlag

1. Kapitel

Ich streckte eine Hand unter der Bettdecke hervor und klingelte nach Jeeves.

»Guten Abend, Jeeves.«

»Guten Morgen, Sir.«

Das erstaunte mich.

»Ja ist es denn Morgen?«

»Jawohl, Sir.«

»Sind Sie auch sicher? Draußen sieht es so dunkel aus.«

»Das ist der Nebel, Sir. Wir sind, wie Sie sich erinnern mögen, im Herbst – Gezeit der Nebel, reicher Ernte Zeit.«

»Wie war das noch gleich?«

»Gezeit der Nebel, Sir, reicher Ernte Zeit.«

»So? Aha. Alles klar. Tja, wie dem auch sei – bringen Sie mir doch bitte einen Ihrer Katertrunke.«

»Im Kühlschrank steht schon einer für Sie bereit, Sir.«

Er schwirrte ab, und ich setzte mich mit jenem recht unerquicklichen Gefühl auf, das einen manchmal befällt, wenn man glaubt, in zirka fünf Minuten das Zeitliche segnen zu müssen. Am Vorabend hatte ich im Drones Club ein kleines Dinner für Gussie Fink-Nottle ausgerichtet – eine Art Abschiedsgruß vor seiner anstehenden Hochzeit mit Madeline, der einzigen Tochter von Sir Watkyn Bassett, CBE. Solche Dinge gehen nie spurlos an einem Mann vorüber. Tatsächlich hatte ich kurz vor Jeeves’ Eintreten geträumt, irgendein Lumpenhund treibe mir Pflöcke in den Schädel, und zwar keine stinknormalen Pflöcke, wie sie Jaël, das Weib Hebers, zu verwenden pflegte, sondern glühend heiße.

Jeeves kehrte mit dem Muntermacher wieder. Eilends goss ich ihn mir hinter die Binde und fühlte mich nach Ablauf jener kurzen Unpässlichkeit, die sich nicht vermeiden lässt, wenn man Jeeves’ patentierten Morgentrunk kippt – dabei fliegt nämlich die Schädeldecke hoch, und die Augen schießen aus den Höhlen und prallen wie Tennisbälle an der gegenüberliegenden Wand ab – schon etwas besser. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, Bertram habe sich zur altgewohnten Hochform aufgeschwungen, doch wenigstens rekonvaleszent durfte ich mich nennen, sodass einem kleinen Plausch nichts mehr im Wege stand.

»Ha!«, sagte ich, fing die Augäpfel auf und steckte sie an ihren angestammten Ort. »Na, Jeeves, was tut sich in der weiten Welt? Ist das die Zeitung da?«

»Nein, Sir. Es handelt sich um Prospektmaterial aus dem Reisebüro. Ich habe gedacht, Sie mögen vielleicht einen Blick hineinwerfen.«

»Ach?«, sagte ich. »Das also haben Sie gedacht?«

Nun trat ein ebenso kurzes wie – falls dies das passende Wort ist – beredtes Schweigen ein.

Wenn zwei willensstarke Männer auf engstem Raum zusammenleben, sind gelegentliche Zusammenstöße fast zwingend, und zu einem solchen war es kürzlich im Wooster’schen Haushalt gekommen. Jeeves versuchte mich seit einiger Zeit zu einer Kreuzfahrt um den Globus zu bewegen, ein Ansinnen, dem ich nichts abgewinnen konnte. Doch ungeachtet meiner dezidierten Abfuhren verging kaum ein Tag, an dem er mir nicht ein Sträußchen oder Bouquet jener bilderreichen Broschüren vorlegte, die diese Welt-wir-kommen-Knilche zwecks Ankurbelung ihres Geschäfts zu verschicken pflegen. Jeeves’ Gebaren beschwor das Bild eines beflissenen Vierbeiners herauf, der unverzagt die immer gleiche tote Ratte auf dem Salonteppich deponiert, obschon er verschiedentlich mit Worten und Gesten darüber aufgeklärt worden ist, dass die Nachfrage schwächelt, ja gegen null tendiert.

»Jeeves«, sagte ich, »Schluss mit dem Unfug!«

»Aber Reisen bildet doch, Sir.«

»Mir steht die Bildung bis hierhin! Schon vor Jahren war ich randvoll davon. Nein, Jeeves, ich weiß, was mit Ihnen nicht stimmt. In Ihnen regt sich der alte Wikinger. Sie dürsten nach dem salzigen Duft des Meeres. Sie sehen sich mit Seemannsmütze übers Deck schreiten. Gut möglich, dass Ihnen jemand von den Tänzerinnen auf Bali vorgeschwärmt hat. Sie haben mein ganzes Verständnis und Mitgefühl. Aber nicht mit mir! Ich weigere mich entschieden, in einen verfluchten Ozeandampfer verfrachtet und um den Erdball geschifft zu werden.«

»Sehr wohl, Sir.«

In seiner Stimme lag ein gewisser Unterton, und da ich erkannte, dass der gute Mann zwar nicht direkt unwirsch, aber doch alles andere als wirsch war, wechselte ich taktvoll das Thema.

»Tja, Jeeves, das war eine hocherfreuliche Sause gestern Abend.«

»Tatsächlich, Sir?«

»O ja. Wir haben uns aufs Prächtigste amüsiert. Gussie lässt Sie herzlich grüßen.«

»Sehr liebenswürdig von ihm, Sir. War Mr. Fink-Nottle gesund und munter?«

»Munter ist gar kein Ausdruck, wenn man bedenkt, dass die Uhr tickt und er in Kürze Sir Watkyn Bassetts Schwiegersohn sein wird. Tja, lieber er als ich, Jeeves, lieber er als ich.«

Ich sprach mit beträchtlichem Nachdruck und will den Grund auch gleich verraten: Ein paar Monate zuvor war ich am Abend der großen Ruderregatta in die Fänge der Justiz geraten, weil ich versucht hatte, einen Polizisten seines Helms zu entkleiden. Nach unruhiger Nacht auf einer Zellenpritsche wurde ich am nächsten Morgen vor das Polizeigericht in der Bosher Street gezerrt und mit einer Buße von fünf Pfund belegt. Der Richter aber, der diese haarsträubende Strafe unter Beigabe etlicher ehrenrühriger Seitenhiebe ausgesprochen hatte, war kein anderer als der alte Bassett gewesen, Papa von Gussies prospektiver Braut.

Wie sich herausstellte, war ich einer seiner letzten Klienten, denn wenige Wochen später erbte er von einem entfernten Verwandten ein kleines Vermögen und verzog sich aufs Land. So jedenfalls lautete die offizielle Version. Ich dagegen vertrat die Theorie, dass er alle Bußen in sein Sparschwein umgeleitet hatte. Fünf Mäuse hier, fünf Mäuse dort – das läppert sich mit den Jahren.

»Sie haben diese Schreckgestalt doch nicht vergessen, Jeeves? Eine harte Nuss, wie?«

»Vielleicht flößt Sir Watkyn als Privatmann ja weniger Furcht ein, Sir.«

»Das wage ich zu bezweifeln. Man kann es drehen, wie man will – Höllenhund bleibt Höllenhund. Doch genug von diesem Bassett. Ist Post gekommen?«

»Nein, Sir.«

»Anrufe?«

»Einer, Sir. Von Mrs. Travers.«

»Tante Dahlia? Dann weilt sie also wieder in der Stadt?«

»Jawohl, Sir. Sie gab ihrem Wunsch Ausdruck, dass Sie sie schnellstmöglich zurückrufen.«

»Da weiß ich noch etwas Besseres«, sagte ich gutgelaunt. »Ich mache ihr gleich meine Aufwartung.«

Und eine halbe Stunde später schlappte ich die Treppe zu ihrem Stadthaus hoch und wurde vom alten Seppings, ihrem Butler, eingelassen, ohne beim Überschreiten der Schwelle auch nur zu ahnen, dass ich mich in null Komma nichts in einer Bredouille wiederfinden würde, die meine Seele prüfen sollte, wie sie noch kaum je geprüft worden war. Ich spreche von der unheimlichen Affäre rund um Gussie Fink-Nottle, Madeline Bassett, Papa Bassett, Stiffy Byng, Reverend H. P. (»Stinker«) Pinker, das Kuhkännchen aus dem 18. Jahrhundert und ein braunes, ledergebundenes Notizbüchlein.

Keinerlei böse Ahnung verdüsterte meinen Seelenfrieden, als ich ins Haus stiefelte. Voller Freude sah ich dem Wiedersehen mit der fraglichen Dahlia entgegen. Bei dieser handelt es sich, wie ich schon früher erwähnt habe, um meine gute und verdiente Tante, die man auf keinen Fall mit Tante Agatha verwechseln darf, welche Glasscherben verspeist und auf der nackten Haut Stacheldraht trägt. Neben dem rein intellektuellen Vergnügen, mit Tante Dahlia einen Klönschnack zu halten, war da noch die schöne Aussicht, eine Einladung zum Lunch zu ergattern: Dank der stupenden Virtuosität ihres französischen Kochs Anatole gibt es für einen richtigen Gourmet kein stärkeres Lockmittel als ihren Futtertrog.

Die Tür zum Morgensalon stand offen, als ich durch die Eingangshalle schritt, und ich erhaschte einen Blick auf Onkel Tom, der sich gerade mit seiner Tafelsilberkollektion verlustierte. Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, ihm Hallihallo zu sagen und mich nach seiner überaus störungsanfälligen Verdauung zu erkundigen, doch die Vernunft ließ mich davon Abstand nehmen: Bekommt dieser Onkel einen Neffen zu Gesicht, nagelt er ihn gern fest und verbreitet sich ziemlich erschöpfend über Ziselierungen, Punktgravuren und gegenläufige Voluten, von gekniffelten Rändern im Hochrelief und Schlangenhautpunzierungen einmal ganz zu schweigen, und so fand ich, Schweigen sei hier Gold. Deshalb wetzte ich mit versiegelten Lippen weiter zur Bibliothek, wo Tante Dahlia dem Vernehmen nach ihr Lager aufgeschlagen hatte.

Die alte Blutsverwandte steckte bis übers ondulierte Haar in Druckfahnen. Wie alle Welt weiß, ist sie die allseits geschätzte Eigentümerin von Milady’s Boudoir, einem Wochenblatt für die holde Weiblichkeit, in dem ich einst einen Artikel zum Thema »Was der gutgekleidete Herr trägt« publiziert hatte.

Mein Erscheinen brachte sie an die Oberfläche. Sie begrüßte mich mit einem jener kernigen Halali-Rufe, die ihr damals, als sie noch auf die Jagd gegangen war, zu großer Prominenz in all den Standesorganisationen verholfen hatte, die dem britischen Fuchs gern Saures geben.

»Na, du Spottgeburt, was führt dich hierher?«, erkundigte sie sich.

»Man munkelt, dass du mit mir etwas betratschen willst.«

»Aber nicht, dass du hier hereinplatzen und mich von der Arbeit abhalten sollst. Ein paar Worte am Telefon hätten vollauf genügt. Doch wahrscheinlich hast du instinktiv gespürt, dass ich heute keine freie Minute habe.«

»Falls du dich fragst, ob ich zum Lunch bleiben kann, sei unbesorgt: Wie immer ist es mir ein Vergnügen. Was hat uns Anatole denn heute zu bieten?«

»Dir kein Krümelchen, mein kreuzfideler Bandwurm. Heute Mittag tafelt die Romanautorin Pomona Grindle bei mir.«

»Die würde ich zu gern kennenlernen!«

»Wirst du aber nicht, da es sich um ein reines Tête-à-Tête handelt. Ich möchte ihr einen Fortsetzungsroman für mein Boudoir abschwatzen. Nein, dir wollte ich lediglich auftragen, in ein Antiquitätengeschäft in der Brompton Road – gleich nach der Oratorianerkirche – zu gehen und ein Kuhkännchen durch den Kakao zu ziehen.«

Das war mir zu hoch, ja mir drängte sich der Eindruck auf, hier rede eine Tante hundertprozentigen Kokolores.

»Was soll ich womit tun?«

»Der Laden bietet ein Kuhkännchen aus dem 18. Jahrhundert feil, das Tom heute Nachmittag kaufen wird.«

Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

»Ach so, eins dieser Silberdinger?«

»Ja, eine Art Sahnekrüglein. Geh hin und lass es dir zeigen, und kaum hast du es vor dir, reagierst du mit kalter Verachtung.«

»Und wozu soll das gut sein?«

»Um das Selbstbewusstsein dieser Burschen anzukratzen, Blödmann! Um in ihnen Zweifel zu säen, auf dass sie den Preis heruntersetzen. Je günstiger Tom das Ding kriegt, desto glücklicher wird er sein. Und ich will ihn in Hochstimmung sehen, denn falls ich die Grindle für diesen Fortsetzungsroman gewinnen kann, werde ich ihm ein hübsches Sümmchen aus den Rippen leiern müssen. Was diese Bestsellerautorinnen für ihren Schamott verlangen, ist schlechterdings obszön. Flitz also unverzüglich hin und betrachte das Ding kopfschüttelnd.«

Einer Tante der rechten Art tue ich stets gern einen Gefallen, doch hier musste ich, um mit Jeeves zu sprechen, ein nolle prosequi einlegen. Obschon seine Morgenmixturen praktisch Wunder wirken, verzichtet man auch nach ihrem Genuss besser darauf, die Birne rotieren zu lassen.

»Ich kann unmöglich den Kopf schütteln. Nicht heute.«

Sie musterte mich mit einem vorwurfsvollen Zucken der rechten Augenbraue.

»So also sieht es aus? Na ja, wenn dir deine Exzesse das Kopfschütteln verbieten, dann kräuselst du eben die Lippen.«

»Ja, das lässt sich einrichten.«

»Dann mal los! Und atme schneidend ein. Versuch zudem mit der Zunge zu schnalzen. Ach ja, und sag den Herrschaften, deiner Meinung nach sei das Kännchen holländisch-modern.«

»Warum das?«

»Keine Ahnung. Offensichtlich ist dies etwas, was ein Kuhkännchen, das auf sich hält, besser nicht sein sollte.«

Sie hielt inne und ließ den Blick versonnen über mein wohl recht totenähnliches Antlitz schweifen.

»Dann hast du dir gestern Abend also die Hucke vollgesoffen, mein Herzblatt? Es ist schon erstaunlich: Jedes Mal wenn ich dich sehe, erholst du dich gerade von irgendeiner wüsten Zecherei. Hörst du mit dem Saufen denn gar nie auf? Nicht mal im Schlaf?«

Ich verwahrte mich gegen die Unterstellung.

»Du tust mir unrecht, Tantchen. Wenn es nicht gerade etwas zu feiern gibt, bin ich ein äußerst moderater Schluckspecht. Zwei Cocktails, ein Glas Wein zum Dinner und allenfalls ein Likörchen zum Kaffee – das ist Bertram Wooster. Gestern Abend habe ich jedoch für Gussie Fink-Nottle einen kleinen Polterabend ausgerichtet.«

»Tatsächlich?« Sie lachte, und zwar etwas lauter, als mir bei meiner angeschlagenen Gesundheit lieb war, doch in belustigtem Zustand hat sie von jeher dazu geneigt, den Putz von der Decke rieseln zu lassen. »Spink-Bottle, wie? Herrjemine! Wie geht’s unserem alten Molchfreund denn immer?«

»Picobello.«

»Hat er deine Orgie mit einer Rede beehrt?«

»Ja, und das überraschte mich dann doch, denn ich hatte mich schon auf seine schamrote Weigerung eingestellt. Aber denkste! Wir tranken auf sein Wohl, und er erhob sich, ohne mit der Wimper zu wackeln, wie Anatole sagen würde, und schlug uns in Bann.«

»Voll bis an die Kiemen, darf ich wohl annehmen?«

»Im Gegenteil. Schon fast unverschämt nüchtern.«

»Das ist mal was ganz Neues.«

Wir verfielen in nachdenkliches Schweigen und sannen jenem Sommernachmittag in der Grafschaft Worcestershire nach, wo meine Tante ihren Landsitz hat und wo Gussie, der damals aufgrund besonderer Umstände den Kanal bis zum Eichstrich voll hatte, das Wort an die Eleven der Höheren Schule von Market Snodsbury richtete, und zwar anlässlich der jährlichen Preisverleihung.

Wenn ich zu einer Geschichte über einen Burschen ansetze, über den ich schon früher eine Geschichte erzählt habe, weiß ich nie so genau, wie viele Erklärungen ich vorausschicken soll. Dieses Problem gilt es von allen Seiten zu beleuchten. Setze ich zum Beispiel blind voraus, dass meine Leser über Gussie Fink-Nottle bestens Bescheid wissen, und stürme entsprechend voran, mache ich die Kunden, die mir beim ersten Mal nicht an den Lippen hingen, zwangsläufig kopfscheu. Widme ich dem Vorleben des Mannes dagegen acht Bände, werden jene anderen, die mir sehr wohl an den Lippen hingen, ein Gähnen unterdrücken und »Kalter Kaffee – weiter im Text!« murmeln.

Die einzig gangbare Lösung liegt wohl darin, die erste Gruppe möglichst schnell mit den einschlägigen Fakten vertraut zu machen und die zweite mit entschuldigender Geste zu bitten, sich ein Minütchen mit anderem zu beschäftigen, ehe ich mich ihr wieder zuwende.

Dieser Gussie also war ein fischgesichtiger Kumpel von mir, der sich mit Erreichen des Erwachsenenalters auf dem Land eingegraben und sein Dasein ganz dem Molchstudium gewidmet hatte: Er hielt die kleinen Gesellen in einem Glasaquarium und beobachtete ihr Verhalten mit Argusaugen. Man könnte ihn als eingefleischten Eremiten bezeichnen (falls man das Wort »Eremit« kennt), und damit läge man goldrichtig. Nach menschlichem Ermessen waren die Aussichten, eine Nadel in einem Heuhaufen zu finden, sehr viel größer als die, Gussie je dabei zu erleben, wie er zärtliche Worte in irgendwelche Ohrmuscheln flüsterte und zum Kauf von Platinring und Trauschein schritt.

Doch die Wege der Liebe sind unergründlich. Eines Tages lernte er Madeline Bassett kennen und fing lichterloh Feuer für sie, weshalb er aus seinem Schneckenhaus kroch und zu buhlen begann. Nach vielerlei Irrungen und Wirrungen wurde er schließlich erhört und dafür eingeplant, binnen kurzem im Hochzeitsfrack und mit Gardenie im Knopfloch an der Seite dieser Schreckschraube vor den Altar zu treten.

Eine Schreckschraube nenne ich sie, weil sie eine Schreckschraube war. Wir Woosters sind galant, doch den Mund lassen wir uns nicht verbieten. Eine schlaffe, schmalzige, sentimentale Gans war dieses Mädchen, mit schmelzenden Augen und gurrender Stimme sowie den ausgefallensten Ansichten über Sterne und Kaninchen. Ich weiß noch, wie sie mir einst erzählte, Kaninchen seien Zwerge, die der Feenkönigin aufwarteten, und die Sterne seien Gottes Gänseblümchenkette. Was völliger Mumpitz ist – sie sind nichts dergleichen!

Tante Dahlia stieß ein tiefes, grollendes Lachen aus, denn Gussies Ansprache in Market Snodsbury gehört bis heute zu ihren schönsten Erinnerungen.

»Der gute alte Spink-Bottle! Wo steckt er denn jetzt?«

»Im Hause von Papa Bassett – Totleigh Towers, Totleigh-in-the-Wold, Gloucestershire. Heute Morgen ist er dorthin zurückgekehrt. Die Hochzeit wird in der Dorfkirche stattfinden.«

»Gehst du hin?«

»So weit kommt’s noch!«

»Stimmt, das wäre ja auch zu schmerzhaft für dich, wo du doch selbst in die Kleine verliebt bist.«

Ich starrte sie an.

»Verliebt? In ein Frauenzimmer, das glaubt, ein Kindlein komme auf die Welt, wann immer sich eine Fee das süße Näschen putzt?«

»Aber verlobt mit ihr warst du doch.«

»Etwa fünf Minuten lang, jawohl, und ohne mein Zutun. Liebe Tante«, sagte ich verdrießlich, »du kennst doch diese grauenvolle Geschichte aus dem Effeff.«

Ich erschauerte, denn es handelte sich um eine Episode in meinem Lebenslauf, der ich ungern nachsann. Passiert war mit einem Wort Folgendes: Gussie, der durch den jahrelangen Umgang mit Molchen keinerlei Mumm mehr in den Knochen hatte, war davor zurückgeschreckt, um Madeline Bassett anzuhalten, und hatte mich gebeten, es an seiner statt zu tun. Doch als ich es tat, glaubte die dumme Trine tatsächlich, ich hielte selbst um sie an, was schließlich dazu führte, dass sie Gussie nach dessen schimpflichem Auftritt bei der Preisverleihung nicht nur auf Eis legte, sondern sich mir an den Hals hängte, und so musste ich eben den Buckel hinhalten. Denn mal ehrlich: Ist eine junge Frau zur Überzeugung gelangt, dass ein Bursche sie liebt, und erzählt sie ihm brühwarm, dass sie ihren Verlobten ins Regal zurückstelle und nun bereit sei, ihn unter Vertrag zu nehmen – was kann er da groß machen?

Dank der überaus erfreulichen Aussöhnung der beiden Pestbeulen war die Sache in letzter Minute ins Lot gekommen, doch beim Gedanken an die ausgestandene Gefahr erschauerte ich noch immer. Ganz unbeschwert würde ich mich erst fühlen, wenn Gussie auf das »Willst du, Augustus« des Pfarrers ein scheues »Ja« gehaucht hatte.

»Falls es dich interessiert – auch ich gedenke der Hochzeit fernzubleiben«, sagte Tante Dahlia. »Sir Watkyn Bassett ist mir von Herzen zuwider, und ich finde nicht, dass man ihn noch anspornen soll. Ein Galgenstrick, wie er im Buche steht!«

»Dann kennst du den alten Grindskopf also?«, fragte ich recht erstaunt, auch wenn es im Grunde nur unterstrich, was ich stets sage: Wie klein die Welt doch ist!

»Jawohl, ich kenne ihn. Er ist mit Tom befreundet. Sie sammeln beide altes Tafelsilber und knurren einander darum wie die Wölfe an. Erst letzten Monat war er bei uns in Brinkley. Und willst du wissen, wie er sich für all die Gastfreundschaft revanchierte, mit der ich ihn überhäufte? Hinter meinem Rücken wollte mir der Kerl Anatole abspenstig machen!«

»Nein!«

»Doch. Glücklicherweise erwies sich Anatole als standhaft – nachdem ich sein Salär verdoppelt hatte.«

»Verdopple es noch mal«, sagte ich ernst. »Verdopple es immer weiter. Wirf das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster, auf dass dir dieser überragende Meister der Braten und Haschees nicht durch die Lappen gehe.«

Ich war stark aufgewühlt. Mich erschütterte der Gedanke, dass der unvergleichliche Anatole in Brinkley Court, wo ich mich per Selbsteinladung stets an seinen Speisen delektieren durfte, um ein Haar seine Kochschürze an den Nagel gehängt und beim alten Bassett angeheuert hätte, dem letzten Menschen auf dem weiten Erdenrund, der Bertram je an den gedeckten Tisch bitten würde.

»Jawohl«, sagte Tante Dahlia, deren Augen angesichts dieser grauenhaften Aussicht erglühten, »genau ein solch ruchloser Rosstäuscher ist Sir Watkyn Bassett. Sag deinem Spink-Bottle, er solle sich bei der Hochzeit vorsehen. Ist er auch nur eine Sekunde nicht auf dem Quivive, mopst ihm der alte Haderlump in der Sakristei bestimmt die Krawattennadel. Und nun«, sagte sie und griff nach einem Blatt, das wohl einen tiefsinnigen Essay über die Säuglingspflege in guten wie in schlechten Zeiten enthielt, »mach dich vom Acker. Ich muss etwa sechs Tonnen Druckfahnen korrigieren. Ach, und gib dies doch Jeeves, wenn du ihn siehst. Es handelt sich um den ›Ratgeber für den Herrn Gemahl‹. Er ist randvoll mit profundesten Einsichten über Seitenborten an Smokinghosen, und ich möchte, dass Jeeves ihn auf Herz und Nieren prüft. Ich kann nicht ausschließen, dass es sich um kommunistische Propaganda handelt. Und ich darf doch darauf zählen, dass du deinen Auftrag nicht vermasselst? Sag mir in deinen eigenen Worten, was du genau tun sollst.«

»Ich gehe in den Antiquitätenladen …«

»… in der Brompton Road …«

»… in der, wie du richtig sagst, Brompton Road, und frage dort, ob ich das Kuhkännchen sehen kann …«

»… und ziehst es durch den Kakao. Schön. Und jetzt kratz die Kurve. Die Tür befindet sich hinter dir.«

Leichten Herzens trat ich auf die Straße und winkte eine des Wegs kommende Kalesche herbei. Manch einer hätte vergrätzt reagiert, weil sein Vormittag so mutwillig zerklüftet worden war, doch mich erfüllte nichts als Wonne darüber, einen solchen Liebesdienst tun zu können. Wie ich oft sage: Kratzt man nur lange genug an Bertram Wooster, kommt der Pfadfinder in ihm zum Vorschein.

Der Antiquitätenladen in der Brompton Road machte seinem Namen alle Ehre und erwies sich als Antiquitätenladen in der Brompton Road. Wie alle Antiquitätenläden – von den piekfeinen rund um die Bond Street einmal abgesehen – war er außen schmuddelig und innen düster und muffig. Ich weiß nicht, woran es liegt, doch im Hinterzimmer solcher Etablissements scheint stets ein Eintopf vor sich hin zu köcheln.

»Sagen Sie mal«, hob ich an, als ich eintrat, hielt aber sogleich inne, weil ich feststellte, dass der Händler schon mit zwei anderen Kunden beschäftigt war.

»Ach, Verzeihung«, wollte ich noch anfügen, um zu vermitteln, dass ich mich ohne böse Absicht vorgedrängt hatte, als die Worte auf meinen Lippen erstarben.

Die bereits erwähnte »Gezeit der Nebel« war recht üppig ins Geschäftslokal geschwappt und hatte die Sicht verfinstert, doch selbst so erkannte ich, dass der kleinere und ältere der beiden Kunden kein Unbekannter war.

Es handelte sich um Papa Bassett persönlich. In Fleisch und Blut. Kein Ölbild.

In uns Woosters fließt, wie hinlänglich bekannt ist, das Blut einer zähen Bulldogge. Nun kam es in Wallung. Ein schwächerer Mann hätte sich bestimmt auf Zehenspitzen davongestohlen und das Weite gesucht, doch ich wich nicht von der Stelle. Was vergangen war, so fand ich, musste doch irgendwann auch passé sein: Durch Entrichtung jener fünf Kröten glaubte ich meine Schuld gegenüber der Gesellschaft beglichen zu haben, sodass ich von dem alten Ekelfrosch nichts mehr zu befürchten hatte. Deshalb blieb ich stehen und musterte ihn abschätzig.

Mein Auftauchen hatte ihn herumschnellen und kurz in meine Richtung blicken lassen, und seither linste er mich immer wieder verstohlen an. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die verborgene Saite in seiner Erinnerung angeschlagen und er erkennen würde, dass es sich bei dem schmächtigen, distinguierten Herrn, der im Hintergrund auf seinen Schirm gestützt stand, um einen alten Bekannten handelte. Und siehe da, inzwischen war der Groschen gefallen. Der Ladenbesitzer hatte sich hinter die Kulissen verzogen, und der alte Bassett kam zu mir herüber und nahm mich durch seine Windschutzscheibe scharf ins Visier.

»Schau an, schau an«, sagte er. »Junger Mann, ich kenne Sie. So schnell vergesse ich kein Gesicht. Sie saßen einst vor mir auf der Anklagebank.«

Ich deutete einen Bückling an.

»Aber nicht zweimal. Gut so! Das Ganze war Ihnen also eine Lehre? Keine krummen Touren mehr? Bestens. Aber worum ging’s noch gleich? Nein, nicht verraten, ich komme selbst drauf. Ich hab’s: Handtaschenraub!«

»Nein, nein. Es war …«

»Handtaschenraub«, insistierte er. »Ich kann mich genau erinnern. Aber das ist ja nun Schnee von gestern, wie? Wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen, was? Prächtig. Roderick, kommen Sie mal. Ein hochinteressanter Fall.«

Sein Kumpel, der ein Silbertablett in Augenschein genommen hatte, legte es hin, um uns Gesellschaft zu leisten.

Es handelte sich, wie ich bereits hatte feststellen können, um einen buchstäblich atemberaubenden Kerl. Mit seinen geschätzten zwei Metern zehn Körpergröße und dem karierten Mantel, der ihn fast so breit wie lang erscheinen ließ, lenkte er die Aufmerksamkeit nicht nur auf sich – er behielt sie auch im Bann. Als hätte Mutter Natur einst einen Gorilla fabrizieren wollen, nur um es sich im letzten Moment anders zu überlegen.

Doch nicht allein die Ausdehnung des Mannes machte Eindruck. Was aus der Nähe noch mehr frappierte, war sein mächtiger Quadratschädel, den in der Mitte ein dünnes Schnurrbärtchen zierte. Der Blick war stechend und durchdringend. Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser in der Zeitung auch schon das Bild eines Diktators mit gerecktem Kinn und lodernden Augen gesehen hat, der bei der feierlichen Eröffnung einer Kegelbahn die Massen mit feurigen Reden aufpeitscht, denn genau an einen solchen erinnerte er mich.

»Roderick«, sagte der alte Bassett, »ich möchte Ihnen diesen Burschen vorstellen. Er illustriert aufs Schönste meine alte These, dass ein Zuchthausaufenthalt nichts Erniedrigendes hat und auch dem Charakter nicht schadet. Zudem hindert es den Betreffenden keineswegs daran, sich über vergangene Schmach hinwegzusetzen und nach Höherem zu streben.«

Ich erkannte in den letzten Worten ein Bonmot aus Jeeves’ Werkstatt und fragte mich, wo es der Alte wohl aufgeschnappt hatte.

»Schauen Sie sich den Mann doch nur an. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich ihn zu drei Monaten verknurrt, weil er in Bahnhöfen Handtaschen stahl. Der Gefängnisaufenthalt hat ihm offenbar gut getan – er hat sich geläutert.«

»Ach ja?«, sagte der Diktator.

Auch wenn es sich nicht gerade um ein »Ach was!« handelte, missfiel mir der Ton entschieden. Garstig und hochnäsig musterte mich der Kerl, und ich dachte unwillkürlich, dass er der ideale Kandidat dafür wäre, ein Kuhkännchen durch den Kakao zu ziehen.

»Und was bringt Sie darauf, dass er sich geläutert hat?«

»Das liegt doch wohl auf der Hand! Schauen Sie ihn nur an. Adrett und gepflegt – ein rechtschaffenes Mitglied der Gesellschaft. Womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient, entzieht sich meiner Kenntnis, doch Handtaschen klaut er bestimmt nicht mehr. Womit beschäftigen Sie sich denn heute, junger Mann?«

»Offensichtlich mit Schirmen«, warf der Diktator ein. »Wie ich sehe, hat er sich Ihren geschnappt.«

Ich wollte die Unterstellung schon entrüstet von mir weisen, ja hatte zu diesem Behuf bereits den Mund geöffnet, als mich die Erkenntnis traf – und zwar so heftig wie ein mit einer sandgefüllten Socke verabreichter Kinnhaken –, dass sie Hand und Fuß hatte.

Siedend heiß fiel mir nämlich ein, dass ich ja ohne Schirm aus dem Haus gegangen war. Gleichwohl stand ich nun bis zu den Zähnen beschirmt da. Was mich bewogen hatte, mir das Exemplar neben dem Stuhl aus dem 17. Jahrhundert zu angeln, kann ich nicht sagen, sofern es sich nicht um jenen Urinstinkt handelte, der einen schirmlosen Mann stets nach dem nächstbesten Parapluie greifen lässt – wie eine Blume, die sich nach der Sonne streckt.

Eine mannhafte Entschuldigung erschien mir am Platze. Während der Übergabe des stumpfen Gegenstands brachte ich sie an.

»Oje. Tut mir schrecklich leid.«

Der alte Bassett sagte, auch ihm tue es leid – leid und weh. Genau solche Dinge, meinte er, trieben einen Mann wie ihn in die Verzweiflung.

An dieser Stelle musste der Diktator unbedingt seinen Senf dazugeben, indem er fragte, ob er die Polizei rufen solle. Die Augen des alten Bassett blitzten auf. Als Richter entwickelt man bestimmt eine Schwäche dafür, die Polizei zu rufen – wie ein Tiger, der einmal Blut geleckt hat. Doch schließlich schüttelte er den Kopf.

»Nein, Roderick, das könnte ich nicht. Nicht heute, am glücklichsten Tag meines Lebens.«

Der Diktator kräuselte die Lippen, so als finde er, das Glück ließe sich durchaus noch mehren.

»So hören Sie doch«, blökte ich, »das war ein Versehen.«

»Ha!«, sagte der Diktator.

»Ich habe geglaubt, dies sei mein Schirm.«

»Genau das, guter Mann«, versetzte der alte Bassett, »ist Ihr Grundproblem. Sie sind völlig unfähig, zwischen meum und tuum zu unterscheiden. Diesmal lasse ich Sie laufen, aber ich möchte Ihnen raten, auf der Hut zu sein. Kommen Sie, Roderick.«

Sie zwitscherten ab, wobei der Diktator vor der Tür nochmals stehen blieb, um mir einen weiteren Blick zuzuwerfen und erneut »Ha!« zu sagen.

Für einen feinfühligen Mann war das Ganze, wie man sich denken kann, höchst unerfreulich, und so hätte ich Tante Dahlias Auftrag am liebsten sausen lassen, um in die Wohnung zurückzukehren und mir einen weiteren Jeeves’schen Katertrunk zu genehmigen. Auch den Hirsch zieht es nach schweißtreibender Jagd bekanntlich zur kühlen Quelle. Ganz ähnlich verhielt es sich hier. Jetzt erst erkannte ich, wie irrwitzig es von mir gewesen war, mich auf Londons Straßen zu wagen, obwohl ich nur eines dieser Dinger intus hatte, und ich war drauf und dran, mich davonzustehlen und zur Tränke zurückzukehren, als der Ladeninhaber in Begleitung einer würzigen Eintopfschwade und einer rotblonden Katze aus den Kulissen zurückkehrte und sich nach meinem Begehr erkundigte. Da er das Thema schon aufs Tapet gebracht hatte, sagte ich ihm, ich hätte gehört, dass er ein Kuhkännchen aus dem 18. Jahrhundert feilbiete.

Er schüttelte den Kopf. Er war ein recht trübsinniger und schon stark angeschimmelter Kauz, der hinter der Kaskade seines weißen Backenbarts fast verschwand.

»Sie kommen zu spät. Es ist bereits für einen anderen Kunden reserviert.«

»Für einen gewissen Travers?«

»Aaah.«

»Das hat seine Richtigkeit. Seien Sie unbesorgt, mein lieber Freund und Kupferstecher«, sagte ich, wie stets um Höflichkeit bemüht. »Der fragliche Travers ist mein Onkel. Er schickt mich, damit ich mir das Ding einmal anschaue. Graben Sie’s doch bitte aus. Bestimmt ist es der letzte Dreck.«

»Es ist ein ganz zauberhaftes Kuhkännchen!«

»Ha!«, sagte ich, auf das Vokabular des Diktators zurückgreifend. »Das glauben Sie! Schauen wir mal.«

Ich gestehe gleich, dass ich kein großer Freund von altem Tafelsilber bin, und obschon ich Onkel Tom noch nie mit einem derartigen Geständnis vor den Kopf gestoßen habe, war ich schon immer der Meinung, dass seine Schwäche für solchen Klumpatsch von einer Beklopptheit zeugt, die er besser im Zaum halten sollte, damit sie sich nicht noch weiter ausbreitet. Deshalb rechnete ich nicht damit, dass mein Herz beim Anblick des Objekts Freudensprünge machen würde. Doch als der backenbärtige Tattergreis in sein Schattenreich abzottelte und gleich darauf mit dem Ding zurückkehrte, wusste ich nicht recht, ob ich lachen oder weinen sollte, so erschütternd fand ich den Gedanken, dass mein Onkel für solchen Müll gutes Geld auszugeben gedachte.

Es handelte sich um eine silberne Kuh. Doch wenn ich Kuh sage, darf der Leser keineswegs an einen anständigen, auf sich haltenden Wiederkäuer denken, der sich den Wanst auf der nächstbesten Weide mit Gras vollschlägt. Dies war vielmehr ein höhnisches und finsteres Wesen der Unterwelt, die Sorte Kuh, die fast gewohnheitsmäßig aus dem Mundwinkel spuckt. Sie war etwa zehn Zentimeter hoch und fünfzehn lang. Der Rücken klappte an einem Scharnier auf. Der Schwanz war geschwungen, sodass die Spitze das Rückgrat berührte und wohl einen Handgriff für den Sahneliebhaber abgab. Der Anblick riss mich in eine Welt des abgrundtiefen Grauens.

Entsprechend leicht fiel es mir, den von Tante Dahlia skizzierten Plan auszuführen. Ich kräuselte die Lippen und schnalzte im selben Moment mit der Zunge. Außerdem holte ich schneidend Luft und legte die Haltung eines Mannes an den Tag, dem jede Sympathie für dieses Kuhkännchen abging, worauf der angeschimmelte Zausel zusammenzuckte, als hätte ich ihn an seiner empfindlichsten Stelle gepiekst.

»Ts-ts-ts!«, sagte ich. »Herrjemine, Herrjemine! Nein, nein, nein! Das ist aber gar nicht nach meinem Geschmack«, sagte ich unter unablässigem Kräuseln und Schnalzen. »Grundverkehrt.«

»Grundverkehrt?«

»Völlig verkehrt. Dieses Ding ist ja holländisch-modern!«

»Holländisch-modern?« Vielleicht trat ihm Schaum vor den Mund, vielleicht auch nicht. Sicher konnte ich mir nicht sein, doch seine Seelenpein war mit Händen zu greifen. »Was heißt hier ›holländisch-modern‹? Es stammt aus dem England des 18. Jahrhunderts. So schauen Sie doch die Meistermarke an!«

»Ich sehe keine Meistermarke.«

»Sind Sie blind? Da, gehen Sie nach draußen, dort ist es heller.«

»Alles klar«, sagte ich und begab mich zur Tür, wobei ich zunächst schleppend wie ein Connaisseur dahinschlenderte, den es wurmte, dass er hier nur seine Zeit vergeudete.

Ich sage »zunächst«, da ich schon nach zwei, drei Schritten über die Katze stolperte, und Über-Katzen-Gestolper verträgt sich nun mal schlecht mit schleppendem Schlendern. Jäh schaltete ich in den höchsten Gang und schoss aus der Tür, als wäre ich ein polizeibekannter Ganove, der nach erfolgtem Schaufenstereinbruch zum Fluchtwagen stürmt. Das Kuhkännchen flog mir aus der Hand, und nur ein glücklicher Zufall ließ mich draußen in einen Mitbürger prallen. Andernfalls wäre ich holterdiepolter in der Gosse gelandet.

So glücklich war der Zufall allerdings nicht, da sich der Betreffende als Sir Watkyn Bassett entpuppte. Gleichermaßen entsetzt und entrüstet glotzte er mich durch seinen Kneifer an, und mir war, als ziehe er im Geist Bilanz: erstens Handtaschenraub, zweitens Schirmklau und drittens nun dies. Er gebärdete sich wie ein Mann, dem genau dies in seiner Raupensammlung noch gefehlt hatte.

»Roderick, rufen Sie die Polizei!«, brüllte er in heller Aufregung.

Der Diktator fackelte nicht lange.

»Polizei!«, belferte er.

»Polizei!«, jaulte oben im Tenor der alte Bassett.

»Polizei!«, übernahm der röhrende Diktator die Bassstimme.

Und kurz darauf zeichnete sich im Nebel etwas überaus Großes und Drohendes ab, das die Frage stellte: »Was soll denn das werden?«

Natürlich hätte ich alles erklären können, wäre ich vor Ort geblieben und ins Detail gegangen, doch ich hatte keine Lust, vor Ort zu bleiben und ins Detail zu gehen. Flink machte ich einen Schritt zur Seite, gab Fersengeld und war über alle Berge. Eine Stimme rief noch »Stehen bleiben!«, doch davon sah ich selbstredend ab. Stehen bleiben – Ideen haben die Leute! Ich wetzte allerlei Gässchen hinunter und Seitenstraßen entlang. Schließlich fand ich mich in der Nähe des Sloane Square wieder, wo ich in ein Taxi stieg, um in die Zivilisation zurückzukehren.

Zuerst wollte ich zu einem leichten Lunch in den Drones Club fahren, doch schnell wurde mir klar, dass ich dem nicht gewachsen wäre. Niemand weiß den Drones Club mehr zu schätzen als ich – die geistsprühende Konversation, den Kameradschaftsgeist, die vom Witz und Grips der Großstadt berstende Atmosphäre –, doch ich wusste, dass beim Mittagstisch haufenweise Brötchen herumfliegen würden, und mir war einfach nicht nach fliegenden Brötchen. Blitzartig änderte ich die Strategie und wies den Fahrer an, mich vor dem nächsten türkischen Bad abzusetzen.

In einem türkischen Bad pflege ich gern länger zu verweilen, und entsprechend spät kehrte ich nach Hause zurück. Zuvor hatte ich im Ruheraum zwei, drei Stündchen Augenpflege betrieben, was zusammen mit dem heilenden Fluss der Transpiration im Dampfraum und dem erfrischenden Sprung ins Eisbad meine Bäckchen rosig gefärbt hatte. Deshalb lag auf meinen Lippen schon fast ein lustiges Trallala, als ich das heimische Schnappschloss entriegelte und Kurs auf den Salon nahm.

Doch schon im nächsten Moment wurde meiner Ausgelassenheit der Strom abgedreht, denn ich erblickte auf dem Tisch einen ganzen Stapel Telegramme.

2. Kapitel

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser auch zu denen gehört hat, die dem Bericht über meine früheren Abenteuer mit Gussie Fink-Nottle folgten, oder ob er gerade anderweitig beschäftigt war, doch falls er dazugehört hat, wird er sich erinnern, dass der ganze Schlamassel mit einer Sturmflut von Telegrammen losbrach, und so wird es ihn nicht überraschen, wenn er erfährt, dass ich den Berg an Umschlägen argwöhnisch betrachtete. Seit damals wittere ich in Telegrammen jedweder Quantität entsetzliches Ungemach.

Auf den ersten Blick glaubte ich, etwa zwanzig dieser Mistdinger vor mir zu haben, doch bei genauerer Betrachtung waren es nur drei. Allesamt waren sie in Totleigh-in-the-Wold aufgegeben und mit demselben Namen gezeichnet worden.

Das erste lautete wie folgt:

Wooster,

Berkeley Mansions,

Berkeley Square,

London

Komm sofort. Heftiger Zwist zw. Madeline und mir. Antwort erbeten.

Gussie

Das zweite:

Erstaunt über ausbleibende Reaktion auf mein Telegramm des Inhalts: »Komm sofort. Heftiger Zwist zw. Madeline und mir.« Antwort erbeten.

Gussie

Und das dritte:

Hör mal, Bertie, warum reagierst du nicht auf meine Telegramme? Habe heute zwei des Inhalts geschickt: »Komm sofort. Heftiger Zwist zw. Madeline und mir.« Falls du nicht schnellstmöglich kommst und dich nach Kräften um Versöhnung bemühst, ist die Hochzeit abgeblasen. Antwort erbeten.

Gussie

Ich habe erwähnt, dass mein Aufenthalt im türkischen Bad einiges zur Wiederherstellung des mens sana in corpore-Dingsbums beitrug, doch die Durchsicht dieser grauenerregenden Botschaften bewirkte einen sofortigen Rückfall. Meine bösen Ahnungen waren also wohlbegründet gewesen. Beim Anblick der vermaledeiten Umschläge hatte mir eine Stimme ins Ohr geflüstert, nun fange alles von vorne an – und genau dies tat es.

Der Klang der vertrauten Schritte hatte Jeeves aus dem Wohnungshintergrund herbeischweben lassen. Mit einem Blick erfasste er, dass es um seinen Brotherrn nicht zum Besten bestellt war.

»Sind Sie krank, Sir?«, erkundigte er sich besorgt.

Ich ließ mich in einen Sessel plumpsen und strich mir mit fahriger Hand über die Stirn.

»Krank nicht, Jeeves, aber fix und fertig. Da, sehen Sie selbst.«

Er ließ die Augen über das Dossier schweifen und wandte sie dann mir zu, und ich las in ihnen die respektvolle Sorge, die ihm mein Wohlbefinden bereitete.

»Höchst beunruhigend, Sir.«

Er klang ernst. Offensichtlich erkannte er des Pudels Kern. Der unheilvolle Gehalt der Telegramme war ihm so klar wie mir.

Selbstverständlich diskutieren wir nie über das ganze Bassett-Wooster-Kuddelmuddel, denn das hieße ja, den guten Namen einer Dame besudeln, doch Jeeves ist mit den Fakten bestens vertraut und hat volle Kenntnis von der Gefahr, die mir von jener Seite droht. Es bedurfte folglich keiner Erklärung dafür, dass ich mir nun fieberhaft eine Zigarette ansteckte und die Kinnlade mit sichtlicher Mühe wieder hochklappte.

»Was ist Ihres Erachtens vorgefallen, Jeeves?«

»Darüber lässt sich nur schwer spekulieren, Sir.«

»Die Hochzeit könnte abgesagt werden, behauptet Gussie. Warum? Genau diese Frage stelle ich mir.«

»Jawohl, Sir.«

»Bestimmt stellen auch Sie sich diese Frage, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir.«

»Man steht vor einem Rätsel, Jeeves.«

»Geradezu vor einem Mysterium, Sir.«

»Mit Gewissheit lässt sich einzig sagen, dass sich Gussie wieder einmal – und auf eine von uns noch in Erfahrung zu bringende Weise – wie ein Volltrottel aufgeführt hat.«

Ich sann Augustus Fink-Nottle nach und rief mir in Erinnerung, dass ihm in der Dussel-Klasse noch nie jemand das Wasser hatte reichen können. Die besten Preisrichter waren sich darin seit Jahren einig, und schon in der Privatschule, wo wir uns kennengelernt hatten, war ihm der Spitzname »Schafskopf« zugefallen, und zwar gegen die scharfe Konkurrenz von Bingo Little, Freddie Widgeon und mir.

»Was soll ich nur tun, Jeeves?«

»Am besten würden Sie sich wohl nach Totleigh Towers verfügen, Sir.«

»Aber wie soll das gehen? Der alte Bassett würde mich doch kurzerhand an die frische Luft setzen.«

»Falls Sie Mr. Fink-Nottle in einem Telegramm Ihre Lage schilderten, wüsste er möglicherweise Rat.«

Das erschien mir plausibel. Spornstreichs eilte ich zum Postamt und kabelte folgende Botschaft durch:

Fink-Nottle,

Totleigh Towers,

Totleigh-in-the-Wold

Das ist ja gut und schön. Du sagst, komm sofort, aber wie zum Kuckuck sollte ich? Du weißt ja nicht, wie ich zu Papa Bassett stehe. Keineswegs so, dass er Bertram mit offenen Armen empfinge. Würde mich in hohem Bogen rauswerfen und Hunde auf mich hetzen. Und spar dir den Vorschlag, dass ich mich mit falschem Backenbart als der Bursche ausgebe, der die Sickerrohre kontrolliert – der alte Knacker kennt meine Visage und würde mich gleich durchschauen. Was lässt sich da tun? Was ist passiert? Warum heftiger Zwist? Inwiefern heftiger Zwist? Was heißt »Hochzeit abgeblasen«? Warum zum Henker? Was hast du der Kleinen getan? Antwort erbeten.

Bertie

Die Replik kam während des Abendessens:

Wooster,

Berkeley Mansions,

Berkeley Square,

London

Erkenne Problem, glaube aber, dass ich Kind schaukeln kann. Halte trotz angespannter Beziehung weiter Kontakt zu Madeline. Teile ihr mit, dass Eilbrief mit deiner Bitte um Einladung eingetroffen. Rechne baldigst mit ebensolcher.

Gussie

Und nach durchwälzter Nacht gingen mir am nächsten Tag sage und schreibe drei weitere Telegramme zu.

Das erste lautete so:

Habe Kind geschaukelt. Einladung auf dem Weg. Bring mir bitte das Buch Mein Freund, der Molch von Loretta Peabody mit, erschienen bei Popgood & Grooly, im Buchhandel erhältlich.

Gussie

Das zweite:

Bertie, du Knalltüte, wie ich höre, kommst du hierher. Bin entzückt, da du mir großen Gefallen tun kannst.

Stiffy

Und das dritte:

Komm nur, Bertie, so du denn magst, aber ist es auch klug? Wird dich mein Anblick nicht unnötig schmerzen? Streust du damit nicht Salz in Wunde?

Madeline

Jeeves brachte mir gerade den Morgentee, als ich diese Depeschen las. Ich überreichte sie ihm schweigend, und ebenso schweigend las er sie durch. Ich konnte mir eine geschätzte Flüssigunze des kräftigenden Heißgetränks zuführen, ehe er sprach.

»Nach meinem Dafürhalten sollten wir sofort aufbrechen, Sir.«

»Nach meinem auch.«

»Ich werde auf der Stelle packen. Wünschen Sie, dass ich Mrs. Travers telefonisch kontaktiere?«

»Warum denn?«

»Sie hat heute Morgen mehrmals angerufen.«

»So? Ja, dann klingeln Sie sie besser an.«

»Das dürfte nicht nötig sein, Sir. Ich vermute, dass sie das ist.«

Von der Wohnungstür her hörte man ein lang anhaltendes Klingeln, als habe eine Tante den Daumen auf den Knopf gedrückt und nicht mehr abgezogen. Jeeves verschwand von der Bildfläche, und dass ihn seine Intuition nicht getäuscht hatte, zeigte sich kurz darauf. Eine dröhnende Stimme rollte durch die Wohnung, jene Stimme, die einst die baldige Ankunft eines Fuchses so laut angekündigt hatte, dass sich Dahlias Jagdbrüder und -schwestern nur mit Mühe im Sattel halten konnten.

»Ist der Satansbraten denn noch nicht auf, Jeeves? … Ach, da bist du ja.«

Tante Dahlia kam über die Schwelle gerauscht.

Zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit hat diese Verwandte aufgrund jahrelanger und bei Wind und Wetter durchgeführter Fuchshatz einen tiefroten Teint, doch nun spielte er stärker denn je ins Malvenfarbene. Ihr Atem ging stockend, und in den Augen lag ein irres Funkeln. Selbst ein Bursche, der nicht ganz so aufgeweckt war wie Bertram Wooster, hätte erraten, dass vor ihm eine Tante stand, der eine Laus über die Leber gelaufen war.

Ganz augenscheinlich brodelte in ihr eine Neuigkeit, die sie unbedingt loswerden wollte, doch sie verschob den Anstich, um mir einen Rüffel zu erteilen, weil ich so spät noch in den Federn lag – oder vielmehr, wie sie es in ihrer freimütigen Art ausdrückte, weil ich schlief wie ein Ratz.

»Nein, nicht wie ein Ratz«, stellte ich richtig. »Ich liege schon länger wach, ja ich wollte mir gerade das Morgenmahl zu Gemüte führen. Du leistest mir hoffentlich Gesellschaft? Auf dem Programm steht Rührei mit Speck, doch du brauchst es nur zu sagen, dann lassen wir die Räucherheringe auffahren.«

Sie schnaubte mit einer Heftigkeit, die mich noch vor vierundzwanzig Stunden aus der Bahn geworfen hätte. Selbst in meiner halbwegs robusten aktuellen Verfassung traf sie mich wie eine jener Gasexplosionen, von denen dann in der Zeitung steht: »Bilanz – 6 Tote!«

»Rührei! Räucherheringe! Was ich brauche, ist ein Brandy mit Soda. Sag Jeeves, er soll mir einen mixen. Und falls er das Sodawasser vergisst, soll’s mir recht sein. Bertie, es ist etwas Grauenhaftes passiert.«

»Dann verziehen wir uns besser ins Esszimmer, mein zitterndes Espenlaub«, sagte ich. »Dort sind wir ungestört. Jeeves wird hier drin packen wollen.«

»Reist du denn ab?«

»Jawohl, nach Totleigh Towers. Ich habe von dort höchst beunruhigende Nachrichten …«

»Totleigh Towers!? Jetzt schlägt’s dreizehn! Und ich bin hier, um dich dorthin abzukommandieren.«

»Was!?«

»Es geht um Leben und Tod.«

»Wie meinst du das?«

»Das wirst du sehen, sobald ich mich erklärt habe.«

»Dann komm jetzt ins Esszimmer und erklär dich ohne weitere Umschweife.«

»Also schön, du Großmeisterin der Andeutungskunst«, sagte ich, nachdem Jeeves die Viktualien gebracht und sich entfernt hatte. »Raus mit der Sprache!«

Zunächst herrschte Schweigen, welches einzig vom wohltönenden Klang einer Brandy und Soda kippenden Tante und ihres Kaffee nippenden Neffen gestört wurde. Schließlich stellte sie ihr Glas hin und holte tief Luft.

»Bertie«, sagte sie, »ich will zuerst ein paar Sätze über Sir Watkyn Bassett, CBE, loswerden. Mögen Blattläuse seine Rosen befallen. Möge sich sein Koch vor der großen Abendgesellschaft einen Affen ansaufen. Möge der Drehwurm in seine Hennen fahren.«

»Hat er Hennen?«, fragte ich, um Klärung bemüht.

»Möge seine Zisterne auslaufen und mögen weiße Ameisen, so es welche in England gibt, die Grundfesten von Totleigh Towers wegnagen. Und wenn er an der Seite seiner Tochter Madeline durchs Kirchenschiff schreitet, um sie dieser Nulpe Spink-Bottle an die Hand zu geben, so möge er einen gigantischen Niesanfall erleiden und feststellen, dass er ohne Taschentuch aus dem Haus gegangen ist.«

Sie hielt inne, und ich fand, dass dies bei aller Markigkeit doch stark der Relevanz entbehrte.

»Durchaus«, sagte ich. »Ich pflichte dir in toto bei. Aber was hat er denn getan?«

»Das will ich dir gern verraten. Erinnerst du dich noch an das Kuhkännchen?«

Erschauernd spießte ich einen Happen Spiegelei auf.

»Ob ich mich noch daran erinnere? Wie sollte ich das je wieder vergessen? Ob du’s glaubst oder nicht, Tante Dahlia, als ich in den Laden kam, stand dort – welch ein Zufall! – kein Geringerer als dieser Bassett …«

»Überhaupt kein Zufall! Er war dort, um sich zu überzeugen, dass das Ding wirklich so umwerfend ist wie von Tom behauptet. Denn dein behämmerter Onkel – stell dir mal solche Hirnverbranntheit vor, Bertie! – hatte dem Mann tatsächlich davon erzählt, wo er doch hätte wissen müssen, dass der Schuft einen teuflischen Plan aushecken würde, um ihn zu übertölpeln. Und so kam’s dann auch. Tom hat gestern Mittag mit Sir Watkyn Bassett in dessen Klub gegessen. Auf der Speisekarte stand kalter Hummer, und dieser Machiavelli hat Tom doch glatt angestachelt, ihn zu bestellen.«

Ungläubig starrte ich sie an.

»Du willst mir doch nicht erzählen«, sagte ich entgeistert, da ich mit seinem überaus heiklen und fein austarierten Verdauungsapparat wohlvertraut war, »dass Onkel Tom Hummer gegessen hat? Nach allem, was letzte Weihnachten passiert ist?«

»Angetrieben von diesem Kerl, hat er nicht nur kiloweise Hummer, sondern klafterweise Gurkenscheiben verputzt. Wenn man seiner Geschichte glaubt – die er mir erst heute Morgen erzählen konnte, da er gestern beim Heimkehren nur noch stöhnte –, widersetzte er sich zunächst. Er gab sich stark und unbeugsam. Doch die Umstände hatten sich gegen ihn verschworen. Bassetts Klub scheint zu denen zu gehören, wo die kalten Speisen auf einer großen Tafel in der Raummitte ausliegen, sodass kein Gast sie übersehen kann.«

Ich nickte.

»So ist es auch im Drones Club. Catsmeat Potter-Pirbright hat die Wildpastete vom Fenster auf der anderen Seite einmal mit sechs Brötchen hintereinander getroffen.«