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Anne Funk beginnt eine verhängnisvolle Affäre. Wie man in Sachen Liebe Schluss macht, eine Freundschaft beendet, von falschen Idealen ablässt – das alles hatte sie bis dato in ihrer Lebenskarriere gelernt. Aber so kurz vor der 30 will sie von einem anderen Alltag kosten. Ein Jahr auf Ibiza – quasi als Tapas, die ihr wieder Appetit auf das Menü ihres Lebens machen sollen.
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Seitenzahl: 194
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Anne Funk
Ein Jahr auf Ibiza
Reise in den Alltag
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagkonzeption: Agentur RME Roland Eschlbeck
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
Umschlagmotiv: © Getty Images
ISBN (E-Book): 978-3-451-80058-0
ISBN (Buch): 978-3-451-06236-0
Für Patrick – Liebe meines Lebens
Diese Geschichte hat sich so
oder so ähnlich zugetragen.
Einige Namen wurden geändert,
einige Daten, einige Details.
Was bleibt, ist echte Sehnsucht, echte Liebe,
echte Erfahrung.
Inhalt
prólogo
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Januar
Februar
März
epílogo
„ANNE FUNK MACHT TABULA RASA!“ Mein Facebook-Eintrag an diesem schwül-heißen Juli-Abend war folgenschwer: Ohne meine Pläne im Detail preiszugeben, wollte ich ein Statement an die Öffentlichkeit abgeben. Eines, das meinen Alltag reinigt wie das Gewitter, das sich draußen ankündigte. Wie man in Sachen Liebe Schluss macht, eine Freundschaft beendet, von falschen Idealen ablässt – das alles hatte ich bis dato in meiner 29-jährigen Lebenskarriere gelernt. Aber ich wollte, so kurz vor der Dreißig, von einem anderen Alltag kosten. Ein Jahr auf Ibiza – quasi als Tapas, die mir wieder mehr Appetit auf das Menü meiner Vita machen sollten.
Zwei Jahre und vier Besuche zuvor hatte meine verhängnisvolle Affäre mit der Insel begonnen. „Wir müssen hier mal raus, und wenn es nur für eine Woche ist!“, beschloss mein Freund P. damals. Und ich machte mich zwischen Redaktionsalltag und Magisterarbeit auf die Suche nach einer passenden Destination für den Tapetenwechsel. Sardinien, Portugal oder Korsika kamen in die engere Auswahl. Aber alle kurzfristigen Angebote überstiegen unser Budget. „Wie wär’s mit Ibiza?“, schlug ich vor – überrascht von meiner Initiative, da ich Balearen-Urlauber bislang in zwei Kategorien unterteilt hatte: die Ballermann-Billigtouristen und die betuchten Finca-Touristen, die ganz in Weiß gekleidet zwischen Strandclub und Agroturismo-Bleibe fernab von Palma de Mallorca lustwandelten. Beides war für uns ausgeschlossen – aus ästhetischen beziehungsweise finanziellen Gesichtspunkten. „Für 320 Euro eine Woche Ibiza mit Flug und Hotel“, das beruhigte zumindest mein monetäres Gewissen („Viel falsch machen kann man ja da nicht“). Und die Aussicht, die Strand-Tage in Club-Nächte zu verwandeln, ließ uns alles andere als kalt.
✽✽✽
„Guck mal, da hinten ist Es Vedrà. Das Inselchen ist ein spiritueller Kraftort – da muss ich hin!“, rüttelte ich P. bei der Landung auf der weißen Insel wach. Der schielte verschlafen zuerst in Richtung der kargen Felsspitze vor Ibiza, die ich ihm aus der Vogelperspektive präsentierte. Und dann, doch etwas skeptisch, auf mich – denn seit einigen Monaten war ich damals auf einem Esoterik-Trip und wollte auf der sogenannten magischen Insel mit Yoga beginnen. Doch dann verzauberte uns Ibiza tatsächlich: Den Clubs hatten wir schon am ersten Abend abgeschworen, nachdem wir die Opening-Party des Privilege erlebt hatten. Rund 10 000 Gäste fasst der größte Club der Welt, und zur Saison-Eröffnung schien sich unter diesen zehntausend kaum jemand zu finden, der seine Laune nicht chemisch gepusht hätte. Wir blieben zwei Stunden.
An den darauf folgenden Tagen entpuppte sich die nur 572 Quadratkilometer kleine Insel als viel zu facettenreich, als dass sie und ihre Gäste in eine meiner Schubladen gepasst hätten: Da waren die Festland-Spanier, die wie die Engländer (Letztere residieren zumeist in ihrer Hochburg San Antoni im Westen der Insel) kommen, um die Sommerresidenz der weltbesten DJs zu zelebrieren. Da waren die Familien mit Kindern, die das klare Wasser, die sauberen Strände und die vielen Aktiv-Urlaub-Angebote pauschal nutzen. Da waren die Jugendlichen, die, gerade der Pubertät entschlüpft, in einem Cluburlaub einen Party-Trip mit wenig Schlaf und allen Freiheiten suchen. Da war der Jetset, der mit Organic Food, Yoga und Yacht der Vida Loca fröhnt. Da waren die Individualisten, die ebenfalls mit Yoga (allerdings ohne Yacht) in einem sogenannten Retreat (eine Art Rückzugsprogramm aus dem Alltag) ihrem neuen Ich auf der Spur waren und dafür meist im ruhigen Norden der Insel Erfüllung finden. Ganz zu schweigen von jenen, die die magische Insel als Lebensmittelpunkt auserkoren haben und zu denen ich später noch kommen werde.
So unterschiedlich die Motive der Ibiza-Gäste sind, so abwechslungsreich waren damals unsere Tage. Und wir kosteten vom organischen Essen (man könnte es auch orgiastisch nennen, denn die Vorstellung, gesund und köstlich zu essen, löste in mir als Genussmensch rauschhafte Zustände aus) und ließen einen Tag auf einem weißen Daybed mit Cocktails und Blick aufs Meer in einem der Beach-Clubs verstreichen. Ergötzten uns beim Hippie-Nachtmarkt an Räucherstäbchen, Tuniken und Vollwert-Cookies. Tanzten zu den Trommeln, umringt von Feuerspuckern, beim sonntäglichen Happening am Benniras Beach. Und erkundeten die Spuren der Piraten in Ibizas Altstadt, Dalt Villa.
✽✽✽
Als wir schließlich an Es Vedrà angekommen waren, schien sogar mein Freund in den Bann der Mythen und Legenden um das Inselchen geraten zu sein. Denn als ich ihn dabei ertappte, wie er bunte Steine am Strand sammelte, gab er wie selbstverständlich zu, dass er doch eine Art Strahlkraft spürte, die dieser Felsen aussendete. An meinem Geburtstag schließlich schickte mein Vater mir eine Mail: „Vive le jour où tu es née. Laisse entrer le soleil dans ton cœur!“ (Es lebe der Tag, an dem du geboren bist. Lass die Sonne in dein Herz eintreten.) Wir kommunizierten in Herzensdingen immer auf Französisch. Er hatte gespürt, wie gut mir, die noch vor der Abreise müde, gestresst und ein wenig orientierungslos war, diese Insel tat. So wie mein Vater mein Seelenverwandter war, so war diese Insel in sieben Tagen eine Art Seelenheimat geworden.
Ein Gefühl, das mich damals schlichtweg überrumpelte – konnte ich diesen Bann doch logisch nicht erklären. Gut, da waren das Meer, das Klima, der Urlaub fernab vom Alltagsstress. Aber es gab gleichermaßen etwas, das mir genau entsprach, das mich, die viel zu viel in der Vergangenheit kramte und für Zukunft und Karriere malochte, einfach ich selbst sein ließ, so, wie ich war – in jedem Augenblick.
Als unser Flieger abhob, musste ich weinen. (Das letzte Mal hatte ich zum Urlaubsabschied mit acht Jahren in der Bretagne geweint und auch nur, weil ich meine Strandfreunde verlassen musste.) Zurück in der deutschen Heimat ließ mich das Gefühl nicht los, und ich bekam Sehnsucht – so sehr, dass ich meine Freundin Madeleine schon drei Monate später überredete,wieder mit mir eine Woche auf der magischen Insel zu verbringen.
Es folgten zwei weitere Besuche im darauffolgenden Jahr. Und mit jedem Mal Ibiza, mit jedem tieferen Eintauchen, mit jeder Begegnung mit den Menschen vor Ort, den gebürtigen Einwohnern, den Aussteigern und den Althippies, wuchs meine Leidenschaft für diese Insel. Ich wollte einfach dort sein. Nicht nur drei Wochen im Jahr. Immer wieder hatte ich überlegt, wie ich das wohl anstellen sollte – und den Traum als „Urlaubs-Schwärmerei“ abgetan.
✽✽✽
Aber auf meine erste Ibiza-Begegnung folgten Erlebnisse, die mein Wertesystem ziemlich ins Wanken brachten: Als mein geliebter Vater schon wenige Monate nach meinem ersten Mal auf Ibiza verstarb, hatte mein Leben fortan wenig gemeinsam mit dem der jungen Frau, die, behütet aufgewachsen, Studium, Volontariat und Redaktionsleitung gleichzeitig meisterte, die zwischendurch auf hippen Partys unterwegs war, gute Freunde hatte – und doch nicht so richtig wusste, wohin mit alledem.
Ich brauchte vor allem Zeit, Ruhe, Rückzug, nachdem mein Vater gegangen war und ich nicht begreifen konnte, dass in meinem sicheren Leben wirklich so etwas passieren konnte. Dass ein Mensch einfach todkrank ist, stirbt und niemand, nicht mal ich mit meinem großen Lebenshunger und Ehrgeiz, etwas dagegen tun konnte.
Ich zog mich zurück, arbeitete still vor mich hin, lernte nachts für meinen bevorstehenden Studienabschluss, mied Freunde, Bekannte und erst recht Partys – zwei Jahre lang. Wenn ich zwischendurch auf der Insel war, fühlte ich mich geborgen wie zu Hause nie: Da waren die Arbeit, die erledigt werden wollte, die Wohnung, die aufgeräumt werden wollte, die Freunde, die nichts so recht mit mir anzufangen wussten, und meine Mutter, der ich beistehen wollte. Alles kostete mich unglaublich viel Kraft, und ich fragte mich ernsthaft, ob ich irgendwann wieder richtig herzlich lachen könnte. Und doch, ich konnte, nach einiger Zeit – und wieder war es auf Ibiza. Ich weiß schon nicht mehr genau, warum, aber P. und ich saßen am Strand, erzählten und … schwupps, da war es, mein viel zu lautes, schallendes Lachen von früher – weil das Leben leicht war …
Damals bin ich erschrocken – über mich selbst –, aber ich wusste, dass es gut so war. Noch am selben Tag kauften wir ein Bild: Das Bild zeigte eine aufgehende Hibiskusblüte und war ganz in Gold, Weiß und Rot gehalten – meine Lieblingsfarben. Es war das erste Bild, das Elli, eine Auswanderin und inzwischen gute Freundin, bei der wir auf Ibiza wohnten, vor dreißig Jahren gemalt hatte, als sie auf die Insel kam.
Schon von der ersten Begegnung an hatte sie mich fasziniert – eine starke Frau, die auf der Insel viele menschliche und finanzielle Enttäuschungen erlebt hatte und doch nicht von ihr lassen wollte. Ihren Frust malte sie weg, was man ihren Bildern nie anmerkte, weil sie zarte, geschwungene Linien, wunderschöne Symbole und leuchtende Farben vereinten. So ein Hoffnungsmacher-Bild war auch ihr erstes Werk auf Ibiza. „So wirst du auch wieder aufblühen!“ dachte ich mir damals und deutete auf die pralle Hibiskusblüte.
✽✽✽
An jenem Juli-Abend, an dem ich mein Tabula-rasa-Vorhaben verkündete, saß ich in unserem Wohnzimmer und hatte das Bild lange betrachtet. Da wusste ich, dass ich recht hatte. Ich hatte wieder ein Ziel. Und obwohl meine Lieblingsblume landläufig eher als Hawaiiblume durchgeht, war sie für mich mit ihren leuchtenden Farben, dem Stempel, der an ein schmuckes Zepter erinnert, und ihren zarten Blüten ein Symbol für Ibiza geworden. In China gilt der Hibiskus als „Symbol für Ruhm, Reichtum und Pracht sowie für die sexuelle Anziehungskraft eines jungen Mädchens“, so wenigstens verrät es uns Wikipedia. An sich schon keine schlechte Prophezeiung – für mich war sie mehr als das, pure Lebenslust. Ich wusste, ich will dort sein und mich wieder öffnen, wie die Hibiskusblüte das jeden Morgen tut, wenn die Sonne aufgeht. Wieder eine Prise Exotik in mein Leben bringen, das in der südwestdeutschen Provinz rund um Saarbrücken eine Spur zu statisch geworden war.
Eine gute Idee, denn die Schnittmenge zwischen Ibiza und Saarbrücken scheint auf den ersten Blick dürftig: Googelt man die Begriffe gemeinsam, rangiert auf Platz eins der Suchergebnisse ein Swingerclub namens Ibiza in Saarbrücken.
Ich schob mein MacBook zur Seite und beschloss, die Sache professioneller anzugehen: Ein Projektplan musste her! Ich schnappte mir das dicke Notizbuch mit dem üppig verzierten Ledereinband, das ich beim letzten Ibiza-Urlaub auf dem Hippiemarkt ergattert hatte, und notierte zunächst alles, was mir in den Sinn kam: Ibiza-Kontakte (Uli, Jerome, Selina … und …?) anschreiben, Spanisch lernen, Dauerauftrag auf mein Sparkonto, Gültigkeit Ausweis prüfen … und, und, und. Die Liste war lang und wirr – aber ich wollte mir noch ein halbes Jahr Vorbereitung gönnen. Schließlich sollte ich nicht wie einer der Rückwanderer enden, die im TV für Top-Quoten sorgen.
Als ich auf die Uhr schaute, war es zwei Uhr nachts. Aus einem schwül-heißen Juli-Abend, der mit einem Facebook-Posting und einem Blick auf die letzten beiden Jahre begonnen hatte, war eine Vision geworden. Das Gewitter hatte sich längst verzogen, die Luft roch wieder frisch, und ich wusste, dass die Reise längst begonnen hatte.
MEINE AUFBRUCHSSTIMMUNG SEIT JENEM JULI-ABEND hatte sich zu einem tosenden Sturm entwickelt und alles hinweggefegt, was nicht mehr in mein Leben gehörte. Auch die schönen Gewohnheiten. Und so begab es sich, dass, nachdem ich Job und Wohnung gekündigt hatte, auch mein Mann mir kündigte. Was blieb, waren eine Handvoll treuer Freunde und meine geliebte Hündin Mona.
Noch Wochen zuvor hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wie Beziehungskitt über 1500 Kilometer funktioniert – eine kostspielige und fragwürdige Angelegenheit.
Und so kam mit dem Frühling die Leichtigkeit zurück, und ich konnte ohne Herz-Schmerz-Ballast in mein Inselleben starten.
Ohne? Na ja … nicht ganz. Denn praktischerweise hatte ich noch vor dem Abflug mein Herz verloren – im Saarland. Zwar wäre der Typ rein optisch auch locker als Ibicenco durchgegangen, und auch sein Charme und Esprit strahlten eher südländisch als saarländisch. Aber: Er wohnte schlicht am falschen Ort.
In meiner alten Heimat, die nicht mehr zu meiner neuen passte. Aber ich konnte nicht widerstehen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich ihn traf, war urplötzlich ein Stück von meinem riesengroßen Fernweh gestillt. Ich fand ein Stück neue Heimat in meiner alten. Und auch wenn wir sehr unterschiedlich waren, wirkte Patrick seltsam vertraut.
Immerhin kannte ich ihn – schon drei Jahre zuvor war ich Patrick sozusagen „ins Netz“ gegangen. Auf einer Online-Plattform, die Business-Kontakte vernetzen soll und die ich für die Online-Redaktion, in der ich arbeitete, testen wollte. Nicht wissend, dass der Kontakt sieht, wenn ich seine Seite besuche. Also war ich bass erstaunt, plötzlich eine Nachricht des Beau, den ich im Netzwerk einer Freundin entdeckt hatte, in meiner Mailbox zu finden. Sie lautete sehr charmant etwa so: „Hey, was machst du auf meiner Seite?! Kennen wir uns?“
Ich konterte: „Klar, aus der Stadt!“ – Wohl wissend, dass es in einer pittoresken Stadt wie Saarbrücken, mit überschaubarem Nachtleben, mit Sicherheit so sein musste.
Natürlich hatte ich,vertrauensselig, sämtliche Kontaktdaten samt Handynummer auf dieser Plattform hinterlassen. Sodass Monsieur mich prompt ein paar Tage später zum Kaffee ausführen wollte. „Bisschen plump, oder?“, dachte ich mir und war doch geschmeichelt. Aber auch vernünftig: Was, wenn der Typ mir wirklich gefiel? Immerhin steckte ich in einer damals noch glücklichen Beziehung. Also wimmelte ich ihn ab – „Stress, sorry, ein andermal gerne“.
Drei Jahre später – und frisch getrennt – entdeckte ich ihn auf Facebook. Eine Freundin kommentierte seinen unfreiwilligen Auftritt am Tatort-Set, in das er versehentlich als Passant hineingeplatzt war und den Dreh vermasselte. Mein Glück! Mein „Like“!
Also wies ich ihn darauf hin, dass noch ein Kaffee aussteht. Motto: „Ich bin solo und eh bald weg, was soll der Terz!?“ Wir verabredeten uns beim Thai für die darauffolgende Woche.
Schon zuvor hatten wir stundenlang gechattet, und ich erzählte von meinen Ibiza-Plänen und dass ich gerne meinen dreißigsten Geburtstag im Juni mit ihm dort verbringen würde. So forsch kannte ich mich nicht, aber ich hatte dieses Nach-mir-die-Sintflut-Gefühl, das alle jene haben, die den schalen Beigeschmack hinter sich lassen und aufbrechen zu einem großen Traum – zu einem neuen Job, einem neuen Land oder einer neuen Liebe.
„Ich bin dabei!“, so seine prompte Antwort. Und ich wusste: Mit diesem Mann ist alles möglich! Zum ersten Date begleitete mich mein Anstandswauwau Mona. Die Mischlingshündin hat eine untrügliche Menschenkenntnis. Eine echte Nase!
Noch bevor ich „Hallo“ sagen konnte, war sie auf seinen Rücksitz gehüpft (kein Mäkeln seinerseits!!!) und küsste ihn. Eine offenherzige Geste, die sich mir erschloss, als ich ihn sah – die ich mir aber verbot! Einige Gläser Wein und einen fantastischen Abend später erlaubte ich es mir auch, meine Gefühle ebenso unmissverständlich klarzumachen wie meine flauschige Gefährtin. Es war beim Kuss geblieben, und ich beeilte mich, die Stufen zu meiner Wohnung so zu erklimmen, dass er nicht merkte, dass ich völlig hin und weg war.
Einige Tage später – das Herzflimmern war nur noch größer geworden – kam der Tag meiner Abreise nach Ibiza. Ich wollte keinen großen Bahnhof – nur ihn am Flugsteig. Mona wartete geduldig in ihrer Flugreisebox. Und ich wusste nicht mehr, wohin ich gehörte. Kopf dort, Herz hier.
Kurz bevor meine Großmutter starb, gab sie mir einen wichtigen Hinweis: „Das Leben ist wie ein Karussell. Manchmal dreht es sich langsam, manchmal dreht es sich schnell!“ Bei Patricks Abschiedskuss, der keiner bleiben sollte, fiel mir ihr Sprüchlein wieder ein und ich beschloss, das Karusselltempo trotz Schwindel voll mitzugehen. Koste es, was es wolle. Und ich weinte bitterlich, als ich im Flugzeug saß.
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Der Berg an Frauenzeitschriften – mein allseits bekannter Fetisch – konnte mich nicht beruhigen. Aber das Meer. Ich schlief einen kurzen, tiefen Schlaf, und als ich aufwachte, passierten wir gerade die Bucht von Palma. Nur noch einen Inselhopser entfernt wartete mein neues Zuhause. Bei diesem Gedanken sauste das Kopfkarussell nur noch mehr, die Tränen flossen unaufhaltsam, und ich wusste nicht einmal, ob es Glück, Sehnsucht, Vermissen, Liebe oder Unsicherheit war.
Also schob ich meine goldene Pilotenbrille aufs Näschen und blätterte in der Elle nach Sommer-Nagellack-Trends. Azurblau und „Schlamm“ sollten also Füße und Hände der It-Girls erobern … Aber ich taugte nicht als It-Girl und blätterte weiter – und da war sie … meine Insel! Zunächst auf Hochglanz mit Paparazzi-Bildern von Kate Moss und Kylie Minogue. Und dann live und in Farbe. Der Flügel der Maschine reflektiert die Sonnenstrahlen – gleißend in meine Pupillen und mein Herz. „Achtung, hier fängt was Neues an.“ Spot an! Und dann erkenne ich unter mir die vertrauten Landzungen, Hügel und Städtchen.
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Auf dem Meer der Schaum der Wellen, durchbrochen von Yachten, die eine weiße Gischtfahne hinter sich herziehen.
Wir drehen eine Schleife über das Meer und gleiten an der Küste entlang. Unter uns liegt Bora Bora – der Beachclub mit dem „Tick“: Aus der Not der unmittelbaren Nähe zur Landebahn des Flughafens haben die Erfinder kapitalen Kult gemacht. Jeder Jet wird von den Strandgästen winkend und kreischend begrüßt – gern auch barbusig. „Hello Freaks!“, freue ich mich, und dann hat sie mich wieder und ich sie … meine Insel.
Es ist wie das Wiedersehen mit der besten Freundin, mit der man seit dem Studium eine innige Fernbeziehung führt. Man sieht sie lange nicht, man telefoniert nicht – Sorry, Stress! –, und doch ist das Wiedersehen jedes Mal eine emotionsgeladene Erfolgsstory.
Ab dem Moment, an dem du sie siehst, ist es, als seist du nie weg gewesen. Du fühlst dich aufgehoben, Vertrautes empfängt dich, und doch weißt du, dass man sich verdammt viel zu erzählen hat.
Ich hoffe, dass die Passagiere nicht bei der Mittelstreckenlandung klatschen – vergeblich! Die beiden Jungs, Marke „Hey, wir fahren ins Punta Arabi!“, denen man vor der Abreise vorsorglich Kondome zugesteckt hat, johlen und zwängen sich mit ihren Abi-2007-Hüten an der welken Jetset-Lady vorbei. Das Pärchen vor mir streitet noch vor Urlaubsantritt, und eine Kate-Moss-Kopie in Sommerstiefeln haut mir ihre Yogamatte versehentlich an den Kopf.
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Als ich aus dem Flieger steige, schlägt mir warmer Wind entgegen, der nach Pinien und Meer duftet. Mit meinen Koffern bewaffnet stapfe ich los, um Mona abzuholen. Sie ist noch etwas schläfrig von der Bachblütenmischung vor dem Abflug und kuschelt sich an mich. So trotten wir zum Ausgang. „Hier, Liebes!“ Natürlich, diese kristallklare Stimme – sie gehört nur einer. Elisa. Endlich.
Elisa hatte ich drei Jahre zuvor bei meiner zweiten Begegnung mit Ibiza kennengelernt. Wir waren damals auf derselben Finca zum Urlaub.
Sie Yogalehrerin, ich begeisterte Yoga-Anfängerin. Beide Zwilling. Beide lebenshungrig. Es dauerte damals knapp zehn Minuten beim nachmittäglichen Sonnenbad am Pool und wir wussten – das ist Fügung.
Ohnehin war ich damals auf einer Art Esoteriktrip. Die Überzeugung hat die Eso-Phase überlebt. Und so ergab es sich, dass sie zwei Jahre später mit ihrem Mann Kalle nach Ibiza auswanderte und dort ihr eigenes Yogastudio aufbaute.
Die beiden fanden ein Anwesen im Osten, in der Nähe von Santa Eularia, und starteten mit knapp fünfzig einfach noch mal neu.
Hier sollte für die erste Zeit Monas und mein Zuhause sein. In der schnuckligen Casita – einem kleinen Häuschen mit gerade mal dreißig Quadratmetern etwas abseits vom Haupthaus. Mona und ich hüpften zu Elisa in den Jeep. Gib Gas, Baby, hier wartet das Leben!
✽✽✽
Elisas Fahrstil war rasant wie ihre Yoga-Stunden, und so rauschten wir vorbei am Jahrmarkt in Jesus und den Großflächen-Plakaten der Clubs, schnitten enge Kurven und ratterten den Feldweg zur Finca hoch. Ich schob das schwere Eisentor zur Seite. „Felicidad“ – zu Deutsch: Glücksgefühl, Seligkeit – haben die beiden ihren gemauerten Lebenstraum getauft und mit großen Fliesenlettern am Eingang kenntlich gemacht.
Mit großem Hallo empfängt uns Kalle – eine royalblaue Sonnenbrille à la Elton John auf der Nase. Er ist Elisas Gegenstück – lange, grau melierte Locken umrahmen sein Gesicht. Kalle ist Lebemann, durch und durch. Interessierte sich früher leidenschaftlich für Harleys und später für Buddha. „Psychedelisch“ ist das Adjektiv, das seinen Stil am besten trifft, und doch kommt er ohne Yoga aus.
Der Typ Mann, der viel erlebt hat – und trotz Faible für psychedelische Computeranimationen ganz ohne synthetische Drogen auskommt. Im Mundwinkel trägt er als Accessoire stets eine Rosen-Zigarette, so wie andere Leute Kaugummi kauen. „Hola“, begrüßt er mich mit leichtem Akzent. Seine Heimat, den Ruhrpott, lässt er nonchalant durchklingen. Ich schmettere ihm meine Saarland-Version des „Hola“ entgegen, und er drückt mich feste – herzlich! „Komm rein, kannste rausgucken“, grinst er mich an, und seine Frau gibt ihm einen liebevollen Klaps auf den gelockten Hinterkopf. Wie gerne hätte ich Patrick jetzt bei mir.
✽✽✽
Ob wir in zwanzig Jahren auch so hier stehen? Seit ich Elisa und Kalle kenne, weiß ich, dass es die große Liebe gibt. Genauer gesagt, dass es sie zweimal gibt. Einmal füreinander. Und einmal für ein gemeinsames Herzensprojekt, das gewachsen ist. Eines, das verbindet. Trotz aller vermeintlichen Unterschiede zwischen den beiden. Und dieses Projekt heißt „Ibiza – mit all seinen Facetten“.
Es gibt wenige Orte auf dieser Welt, die auf so wenigen Quadratkilometern so viele scheinbare Gegensätze vereinen. Ibiza ist mit seinen 572 Quadratmetern die Insel der Reichen und der Hippies, der Party-People und der spirituellen Om-Gemeinde. Sie alle haben ihre Lebensentwürfe. Sie alle sind Be-Sucher eines magischen Fleckchens Erde. Sie alle sind auf der Suche – genau wie ich.
„Zwischen den weißen Häusern dieser Insel findet man den Sommer seines Lebens. Ich würde für immer hierbleiben.“ So beschreibt der Philosoph Walter Benjamin seine erste Begegnung mit Ibiza in einem Essay von 1932.
Schon in den Dreißigern war Ibiza unter Dichtern und Denkern en vogue – lange bevor der internationale Jetset seine schillerndes Ibiza-Wunderland kultivierte: Albert Camus etwa schwärmte bei seinem ersten Ibiza-Besuch, er habe die „Idee der Langsamkeit“ entdeckt. Aber kraftvoll und ein wenig unwirklich, wie das Eiland dann und wann schimmert, nährte es auch Surrealisten wie Jacques Prévert mit traumhaften Ideen.
Ich halte es mit Benjamin: Auch ich würde für immer hierbleiben. Aber könnte ich es auch? Dass Ibiza unerbittlich und anstrengend sein kann, wusste ich von meinen Freunden, die sich hier niedergelassen hatten. Die einen kamen und gingen wieder. Nur um dann nach fünf Jahren wiederzukommen und für immer zu bleiben. Die anderen wollten nur einen „Sommer ihres Lebens“ hier verbringen, und Elisa und Kalle hatten bereits ein Jahr mit Höhen und Tiefen erlebt. Aber ihr Wille und ihre Liebe zur Insel schienen ungebrochen.
Als ich Mona in der Casita versorgt hatte, ließ sie sich erst mal ins frisch gemachte Körbchen plumpsen. Und auch ich war hundemüde und emotionsgetränkt. Das leise regelmäßige Schnarchen meiner Hündin beruhigte mich. Ich beschloss, meinen Schatz anzurufen – und nicht daran zu denken, dass ich ihn sehr lange nicht sehen würde. Ich vermisste ihn unglaublich! Und vermutete, dass auch hier die Insel ihre Finger im Spiel hatte.
Ibiza wirkt wie ein Brennglas auf meine Gefühlswelt – Glück, Trauer, Sorgen und eben auch Liebe loderten hier schnell lichterloh. Ich wählte die „Darlin“-Nummer und hörte seine Stimme am anderen Ende. Vertraut, warm, mit dem typischen Bass.
„Na, Funky, gut gelandet auf deiner Insel?“
„Hm“, murmelte ich … und versuchte möglichst nach „Yeah, yeah“ zu klingen.
„Die Sonne scheint, die Partys sind heiß, das Essen ist gut“, fuhr ich in Touri-Postkartenmanier fort, um mir und ihm ein Sehnsuchtsdrama zu ersparen.
„Klingt aber nicht so, Baby. Aber: Hey, du bist da, wo du hin wolltest. Und ich bin bei dir!“, tröstete er mich.