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Nirgendwo lernt man Philip K. Dick besser kennen als in seinen Stories. Ihm gelingt das überraschende Kunststück, seine Protagonisten, die als Arbeiter oder Angestellte ihren Alltagsgeschäften nachgehen, plötzlich in andere Galaxien zu katapultieren und ihr Leben gehörig auf den Kopf zu stellen. Nach ›Total Recall Revisited‹ zeigen die 15 in diesem Band versammelten Stories abermals die faszinierende Bandbreite von Dicks Werk. Mit einem Nachwort von Jonathan Lethem
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Seitenzahl: 568
Philip K. Dick
Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten
15 Stories
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort von Jonathan Lethem
Sie waren mit Beladen fast fertig. Draußen stand der Optus mit verschränkten Armen und düsterer Miene. Captain Franco schlenderte gemächlich die Laufplanke herunter und grinste.
»Was haben Sie?«, fragte er. »Sie bekommen das alles doch bezahlt.«
Der Optus erwiderte nichts. Er raffte sein Gewand zusammen und wandte sich ab. Der Captain setzte seinen Stiefel auf den Saum des Gewands.
»Moment. Gehen Sie nicht weg. Ich bin noch nicht fertig.«
»So?« Würdevoll drehte sich der Optus um. »Ich kehre ins Dorf zurück.« Er sah zu den Tieren, Vierbeinern und Vögeln, die die Laufplanke hinauf in das Raumschiff getrieben wurden. »Wir müssen wieder auf die Jagd gehen.«
Franco zündete sich eine Zigarette an. »Na und? Sie und Ihre Leute können jederzeit raus in die Steppe und finden neue Beute. Aber wir, wenn wir auf halber Strecke zwischen Mars und Erde sind –«
Der Optus ging wortlos davon. Franco trat zum ersten Offizier unten an der Planke.
»Wie läuft es?«, fragte er. Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Wir machen hier ein gutes Geschäft.«
Der Offizier schnitt eine säuerliche Grimasse. »Wie das wohl kommt?«
»Was ist los mit Ihnen? Wir brauchen die Tiere, und zwar dringender als die.«
»Bis später, Captain.« Der Offizier drängte sich zwischen den langbeinigen Mars-Stelzvögeln die Laufplanke hinauf ins Schiff. Franco sah, wie er verschwand. Er wollte ihm gerade folgen, als er es plötzlich sah.
»Mein Gott!« Die Hände in die Seiten gestemmt, stand er da und starrte das Ding an. Peterson kam mit hochrotem Kopf den Pfad entlang und führte es an einem Strick.
»Ging nicht schneller, Captain«, sagte er und zerrte an dem Strick. Franco ging auf ihn zu.
»Was ist das denn?«
Das Tier blieb stehen; sein mächtiger, schlaffer Körper kam langsam zur Ruhe. Mit halbgeschlossenen Augen setzte es sich hin. Ein paar Fliegen summten um seine Flanke, und es schlug mit seinem Schwanz nach ihnen.
Da saß es, und für eine Weile schwiegen die Männer.
»Das ist ein Wobb«, sagte Peterson schließlich. »Ich hab es von einem Eingeborenen bekommen, für fünfzig Cents. Er sagte, es sei ein sehr ungewöhnliches Tier. Genießt hier großen Respekt.«
»Das da?« Franco stieß gegen die mächtige, schräg abfallende Seite des Wobbs. »Das ist ein Schwein! Ein riesiges, dreckiges Schwein!«
»Ja, ein Schwein, Sir. Die Eingeborenen nennen es Wobb.«
»Ein riesiges Schwein. Muss an die vierhundert Pfund wiegen.« Franco packte ein Büschel borstiger Haare. Das Wobb japste. Seine kleinen, feuchten Augen öffneten sich. Dann zuckte sein großes Maul.
Eine Träne rollte die Wange des Wobbs herunter und platschte auf den Boden.
»Vielleicht ist es ja genießbar«, sagte Peterson verlegen.
»Das werden wir schon noch herausfinden«, sagte Franco.
Das Wobb überlebte den Start und schlief tief und fest im Laderaum des Schiffs. Als sie sich draußen im Weltraum befanden und alles reibungslos lief, befahl Captain Franco seinen Leuten, das Wobb heraufzuschaffen, damit er sich ein Urteil bilden könne, um was es sich bei diesem Tier genau handelte.
Grunzend und schnaufend quetschte sich das Wobb durch die Gänge.
»Komm schon«, ächzte Jones und zerrte am Strick. Das Wobb krümmte sich, scheuerte sich an den glatten Chromwänden die Haut ab. Es platzte in den Vorraum und sackte dort zu einem Haufen zusammen. Die Männer sprangen auf.
»Du lieber Gott«, sagte French. »Was ist denn das?«
»Peterson sagt, ein Wobb«, sagte Jones. »Es gehört ihm.« Er versetzte dem Wobb einen Fußtritt. Das Wobb stand mühsam auf, es hechelte.
»Was hat es?« French trat näher. »Ist ihm schlecht?«
Sie beobachteten es. Das Wobb rollte traurig die Augen. Sein Blick glitt über die Männer.
»Ich glaube, es hat Durst«, sagte Peterson. Er ging, um etwas Wasser zu holen. French schüttelte den Kopf.
»Kein Wunder, dass wir beim Start solche Schwierigkeiten hatten. Ich musste die ganze Ballastkalkulation neu durchgehen.«
Peterson kam mit dem Wasser zurück. Das Wobb begann dankbar zu schlürfen und bespritzte dabei die Männer.
Captain Franco erschien in der Tür.
»Dann wollen wir mal sehen.« Er ging zum Wobb und beäugte es kritisch. »Sie haben es für fünfzig Cents bekommen?«
»Ja, Sir«, sagte Peterson. »Es frisst fast alles. Ich hab es mit Getreide gefüttert, das mochte es. Und dann mit Kartoffeln und Brei und Essensresten und Milch. Es scheint gern zu fressen. Nach dem Fressen legt es sich hin und schläft.«
»So, so«, sagte Captain Franco. »Aber wie schmeckt es, das ist doch die Frage? Hat wohl kaum Sinn, es noch mehr zu mästen. Es kommt mir fett genug vor. Wo ist der Koch? Er soll herkommen. Ich will wissen –«
Das Wobb hörte auf zu schlabbern und blickte hoch.
»Captain«, sagte das Wobb. »Ich schlage wirklich vor, dass wir von anderen Dingen sprechen.«
Im Raum war es still.
»War da was?« fragte Franco. »Gerade eben?«
»Das Wobb, Sir«, sagte Peterson. »Es hat gesprochen.«
Alle sahen das Tier an.
»Was hat es gesagt? Was hat es gesagt?«
Franco trat zum Wobb. Er ging einmal um es herum und betrachtete es von allen Seiten. Dann kam er wieder zurück und stellte sich zu den Männern.
»Wer weiß, vielleicht steckt ein Eingeborener da drin«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht sollten wir es aufschneiden und nachsehen.«
»Du liebe Güte!«, rief das Wobb. »Ist das das Einzige, woran Sie und Ihresgleichen denken können, töten und aufschneiden?«
Franco ballte die Fäuste. »Kommen Sie da raus! Wer Sie auch sind, kommen Sie raus!«
Nichts rührte sich. Die Männer standen mit verdutzten Gesichtern beisammen und starrten das Wobb an. Das Wobb schlug mit dem Schwanz. Es rülpste.
»Bitte um Entschuldigung«, sagte das Wobb.
»Ich glaube nicht, dass da jemand drin ist«, sagte Jones leise. Sie sahen einander an.
Der Koch kam herein.
»Sie haben mich gerufen, Captain?«, sagte er. »Was ist denn das für ein Ding?«
»Das ist ein Wobb«, sagte Franco. »Es soll zubereitet werden. Wiegen Sie es, und finden Sie raus –«
»Ich glaube, wir sollten uns einmal unterhalten«, sagte das Wobb. »Ich würde gern mit Ihnen darüber diskutieren, Captain, wenn es Ihnen recht ist. Mir scheint, dass Sie und ich in einigen grundlegenden Dingen nicht ganz übereinstimmen.«
Der Captain brauchte für seine Antwort viel Zeit. Das Wobb wartete gutmütig und leckte sich das Wasser von den Backen.
»Komm in mein Büro«, sagte der Captain schließlich. Er drehte sich um und verließ den Raum. Das Wobb erhob sich und trottete hinter ihm her. Die Männer beobachteten es, als es hinausging. Sie hörten, wie es die Treppe hinaufstieg.
»Möchte wissen, was das wohl werden soll«, sagte der Koch. »Also, ich bin in der Küche. Wenn ihr was wisst, sagt mir Bescheid.«
»Ja«, sagte Jones. »Ja, ja.«
Mit einem Seufzer ließ sich das Wobb in der Ecke nieder. »Sie müssen verzeihen«, sagte es. »Aber ich bin süchtig nach jeder Form von Entspannung. Wenn man so konstituiert ist wie ich –«
Der Captain nickte ungeduldig. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und faltete die Hände.
»Also gut«, sagte er. »Fangen wir an. Du bist ein Wobb. Ist das korrekt?«
Das Wobb zuckte die Schultern. »Ich glaube schon. So nennen uns jedenfalls die Eingeborenen, meine ich. Wir haben unsere eigene Bezeichnung.«
»Und du sprichst Englisch? Du hattest bereits früher einmal mit Erdmenschen Kontakt?«
»Nein.«
»Und woher kannst du es dann?«
»Englisch sprechen? Spreche ich Englisch? Es ist mir nicht bewusst, dass ich irgendetwas Spezielles spreche. Ich habe nur Ihr Bewusstsein sondiert –«
»Mein Bewusstsein?«
»Ich habe seinen Inhalt studiert, vor allem den semantischen Speicher, wenn Sie so wollen –«
»Ich verstehe«, sagte der Captain. »Telepathie. Natürlich.«
»Wir sind eine sehr alte Rasse«, sagte das Wobb. »Sehr alt und gewichtig. Es fällt uns schwer, uns zu bewegen. Sie werden verstehen, dass etwas so Langsames und Schwerfälliges agileren Lebensformen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Es war für uns zwecklos, auf physische Verteidigungsmöglichkeiten zu bauen. Wie hätten wir siegen sollen? Zu schwer, um zu laufen, zu weich, um zu kämpfen, zu gutmütig, um zu jagen –«
»Wovon lebt ihr dann?«
»Pflanzen. Gemüse. Wir können fast alles essen. Wir sind sehr genügsam. Tolerant, anpassungsfähig, genügsam. Wir leben und lassen leben. So sind wir durchgekommen.«
Das Wobb sah den Captain an.
»Und darum protestiere ich nachdrücklich dagegen, gekocht zu werden. Ich kann die bildliche Vorstellung in Ihrem Bewusstsein sehen – ein Großteil von mir landet im Kühlraum, ein kleinerer Teil im Topf; ein paar Happen für Ihre Lieblingskatze –«
»Du kannst also Gedanken lesen?«, sagte der Captain. »Ist ja interessant. Kannst du noch etwas, ich meine, irgendetwas in dieser Art?«
»Nun, noch so dies und das«, sagte das Wobb geistesabwesend und sah sich im Raum um. »Ein schönes Zimmer haben Sie hier, Captain. Sie halten es gut in Ordnung. Ich empfinde Hochachtung vor ordentlichen Lebensformen. Einige Marsvögel sind recht ordentlich. Sie werfen aus ihren Nestern raus, was nicht reingehört, und fegen sie aus –«
»Ja, ja.« Der Captain nickte. »Um wieder zum Thema zu kommen –«
»Richtig. Sie sprachen davon, mich zu verspeisen. Der Geschmack, hab ich mir sagen lassen, ist gut. Ein bisschen fett, aber sehr zart. Aber wie kann zwischen Ihren Leuten und meinen ein dauerhafter Kontakt hergestellt werden, wenn Sie ein derart barbarisches Verhalten an den Tag legen? Mich essen! Sie sollten lieber mit mir philosophische Fragen diskutieren, Philosophie, Kunst –«
Der Captain erhob sich. »Philosophie. Es dürfte dich vielleicht interessieren, dass wir nicht recht wissen, was wir die nächsten vier Wochen essen sollen. Unglücklicherweise ist uns nämlich Proviant verdorben und –«
»Ich weiß.« Das Wobb nickte. »Aber wäre es nicht eher in Übereinstimmung mit euren demokratischen Prinzipien, wenn wir Strohhalme zögen oder irgendetwas in der Art? Schließlich ist Demokratie dazu da, Minderheiten vor solchen Übergriffen zu schützen. Also, wenn jeder von uns eine Stimme abgeben würde –«
Der Captain kam um den Schreibtisch herum.
»Von wegen«, sagte er. Er ging zur Tür. Er machte den Mund auf.
Und erstarrte, mit weitgeöffnetem Mund und stierem Blick; seine Finger umklammerten den Türgriff.
Das Wobb betrachtete ihn. Dann schob es sich am Captain vorbei und trottete aus dem Raum. Tief in Gedanken versunken, ging es den Gang entlang.
Im Raum war es still.
»Sie sehen also«, sagte das Wobb, »wir haben einen gemeinsamen Mythos. In Ihrem Bewusstsein finden sich viele mythische Symbole, die auch uns geläufig sind. Ischtar, Odysseus –«
Peterson saß stumm da und blickte zu Boden. Er richtete sich auf seinem Stuhl auf.
»Fahren Sie fort«, sagte er. »Bitte fahren Sie fort.«
»Ich verstehe Ihren Odysseus als eine Gestalt, die allen Mythologien jener Rassen gemein ist, die sich ihrer selbst bewusst sind. Ich interpretiere Odysseus als einen Wanderer, der sich seiner selbst als Individuum bewusst ist. Das nämlich ist die Idee der Trennung, der Trennung von Familie und Heimatland. Ein Prozess der Individuation.«
»Aber Odysseus kehrt wieder zurück.« Peterson blickte hinaus durch die Sichtluke zu den Sternen – unzählige Sterne, die intensiv in der Leere des Universums brannten. »Am Ende kehrt er nach Hause zurück.«
»So wie alle Lebewesen. Die Trennung ist nur von vorübergehender Dauer, eine kurze Reise der Seele. Sie beginnt, und sie endet. Der Wanderer kehrt zurück in sein Land, zu seinen Vorfahren …«
Die Tür öffnete sich. Das Wobb hielt inne und drehte seinen großen Kopf herum.
Captain Franco kam in den Raum, gefolgt von den Männern. Sie zögerten an der Tür.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte French.
»Meinst du mich?«, fragte Peterson überrascht. »Was soll mit mir sein?«
Franco senkte sein Gewehr. »Kommen Sie her«, sagte er zu Peterson. »Stehen Sie auf und kommen Sie her.«
Peterson schwieg.
»Gehen Sie nur«, sagte das Wobb. »Es spielt keine Rolle.«
Peterson stand auf. »Aber warum denn?«
»Das ist ein Befehl.«
Peterson ging zur Tür. French ergriff seinen Arm.
»Was soll das?« Peterson befreite sich von dem Griff. »Was habt ihr denn?«
Captain Franco ging auf das Wobb zu. Das Wobb blickte auf von seinem Platz in der Ecke, wo es dicht an die Wand gepresst lag.
»Es ist interessant«, sagte das Wobb, »dass Sie derart besessen sind von der Idee, mich zu essen. Ich frage mich, woher das rührt.«
»Steh auf«, sagte Franco.
»Wenn Sie es wünschen.« Das Wobb erhob sich grunzend. »Haben Sie ein wenig Geduld. Das ist alles nicht so einfach für mich.« Keuchend stand es auf den Beinen mit albern baumelnder Zunge.
»Schießen Sie schon«, sagte French.
»Um Himmels willen!«, rief Peterson. Jones drehte sich rasch zu ihm herum; die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Sie haben ihn nicht gesehen – wie eine Statue stand er da, mit offenem Mund. Wenn wir nicht nach ihm gesehen hätten, würde er jetzt noch da stehen.«
»Wer? Der Captain?« Peterson sah sich nach ihm um. »Aber es ist doch jetzt alles wieder in Ordnung mit ihm.«
Sie sahen zum Wobb, das mitten im Raum stand; sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich.
»Also«, sagte Franco. »Aus dem Weg.«
Die Männer traten beiseite in Richtung Tür.
»Sie haben ziemlich große Angst, nicht wahr?«, sagte das Wobb. »Habe ich Ihnen irgendetwas getan? Ich bin grundsätzlich gegen jede Gewaltanwendung. Ich habe nur versucht, mich zu schützen, das ist alles. Hätten Sie von mir erwartet, dass ich mich begierig in den Tod stürze? Ich bin ein vernunftbegabtes Wesen wie Sie. Ich war neugierig darauf, Ihr Schiff zu sehen und etwas über Sie zu erfahren. Ich schlug daher dem Eingeborenen vor –«
Das Gewehr zuckte.
»Na also«, sagte Franco. »Hab ich’s mir doch gedacht.«
Das Wobb legte sich ächzend wieder nieder. Es streckte die Klauen aus, legte seinen Schwanz an.
»Es ist schön warm hier«, sagte das Wobb. »Das heißt, dass wir uns nahe bei den Düsen befinden. Atomkraft. Sie haben viele wunderbare Dinge auf diesem Gebiet vollbracht – technisch gesehen. Offensichtlich ist in Ihrer wissenschaftlichen Hierarchie kein Platz für die Lösung moralischer, ethischer –«
Franco drehte sich zu den Männern um, die sich stumm und mit schreckgeweiteten Augen hinter ihm drängten.
»Es geht los. Aufgepasst.«
French nickte. »Sehen Sie zu, dass Sie das Gehirn treffen. Das kann man ohnehin nicht essen. Zielen Sie nicht auf die Brust. Wenn der Brustkorb zertrümmert wird, müssen wir nachher die Knochensplitter raussuchen.«
»Hört doch mal zu«, sagte Peterson und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Hat es uns irgendetwas getan? Was für einen Schaden hat es schon angerichtet? Ich frage euch! Außerdem gehört es immer noch mir. Ihr habt kein Recht, es zu erschießen. Es gehört euch nicht.«
Franco hob sein Gewehr.
»Ich geh raus«, sagte Jones, sein Gesicht sah bleich und elend aus. »Ich will das nicht sehen.«
»Ich auch nicht«, sagte French. Murmelnd gingen die beiden Männer hinaus. Peterson verharrte in der Tür.
»Es hat mit mir über Mythen gesprochen«, sagte er. »Es würde niemandem etwas tun.«
Er ging hinaus.
Franco trat auf das Wobb zu. Das Wobb schaute langsam auf. Es schluckte.
»Eine sehr dumme Geschichte«, sagte es. »Ich bin betrübt, dass Sie es tatsächlich tun wollen. Es gibt da eine Parabel, die Ihr Erlöser einmal erzählte –«
Es brach ab, starrte auf das Gewehr.
»Können Sie mir ins Auge blicken und es tun?«, sagte das Wobb. »Können Sie das?«
Der Captain schaute auf das Tier herab. »Ich kann dir ins Auge blicken«, sagte er. »Zu Hause auf der Farm hatten wir Schweine, dreckige Spitzrückenschweine. Und wie ich das kann.«
Er sah dem Wobb starr in die feuchten, funkelnden Augen – und drückte ab.
Es schmeckte ausgezeichnet.
Bedrückt saßen sie am Tisch; kaum einer hatte richtig gegessen. Nur Captain Franco schien sich prächtig zu amüsieren.
»Noch ein Stück?«, fragte er und blickte sich um. »Ein Stück Fleisch? Oder noch etwas Wein?«
»Für mich nicht, danke«, sagte French. »Ich glaube, ich geh mal wieder in den Navigationsraum.«
»Ich auch.« Jones schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Bis nachher.«
Der Captain sah ihnen nach. Ein paar weitere Männer entschuldigten sich.
»Was ist denn los mit denen?«, fragte der Captain. Er schaute zu Peterson. Peterson starrte auf seinen Teller, auf die Kartoffeln, die grünen Erbsen und die dicke Scheibe zarten, warmen Fleisches.
Er öffnete den Mund. Er brachte keinen Ton heraus.
Der Captain legte seine Hand auf Petersons Schulter.
»Es ist jetzt bloß noch organischer Stoff«, sagte er. »Die Lebenskraft ist fort.« Er aß und tunkte etwas Brot in die Soße. »Also ich, ich esse für mein Leben gern. Essen ist eines der großartigsten Dinge, die eine lebende Kreatur genießen kann. Essen, ruhen, meditieren, diskutieren.«
Peterson nickte. Zwei weitere Männer standen auf und gingen hinaus. Der Captain trank etwas Wasser und seufzte.
»Also«, sagte er, »ich muss schon sagen, dieses Mahl war ein Genuss. Mir ist viel Gutes von dem Geschmack des Wobbs berichtet worden – und es war nicht übertrieben. Wirklich großartig. Aber in der Vergangenheit war mir ein solcher Genuss nun einmal versagt.«
Er tupfte sich die Lippen mit seiner Serviette ab und ließ sich gegen die Stuhllehne sacken. Peterson blickte niedergeschlagen auf den Tisch.
Der Captain sah ihn an. Er beugte sich vor.
»Na, na«, sagte er. »Kopf hoch! Lassen Sie uns ein wenig diskutieren.«
Er lächelte.
»Wie ich bereits sagte, bevor ich unterbrochen wurde: Die Rolle des Odysseus in den Mythen –«
Peterson richtete sich mit einem Ruck auf und starrte ihn an.
»Um den Gedanken zu Ende zu bringen –«, sagte der Captain, »Odysseus, wie ich ihn verstehe –«
»Roog!«, sagte der Hund. Er stützte die Vorderpfoten auf den Zaun und sah sich um.
Der Roog lief zum Hof.
Es war früher Morgen, und die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen. Die Luft war kalt und grau, die Wände des Hauses waren feucht. Der Hund beobachtete ihn mit leicht geöffneter Schnauze, und seine großen schwarzen Pfoten krallten sich in das Holz des Zauns.
Der Roog stand beim offenen Tor und sah in den Hof. Es war ein kleiner Roog, dünn und weiß, auf wackeligen Beinen. Der Roog zwinkerte dem Hund zu, und der Hund fletschte die Zähne.
»Roog!«, sagte er wieder. Im stillen Halbdunkel hallte das Wort nach. Nichts regte, nichts rührte sich. Der Hund löste seine Pfoten vom Zaun und ging über den Hof zur Verandatreppe zurück. Er setzte sich auf die unterste Stufe und beobachtete den Roog. Der Roog warf ihm einen kurzen Blick zu. Dann reckte der Roog den Hals zum Fenster des Hauses, direkt über ihm, und schnupperte.
Wie der Blitz schoss der Hund quer über den Hof. Er prallte gegen den Zaun, und das Tor erzitterte und ächzte. Eilig entfernte sich der Roog, mit komischen kleinen Schritten trippelte er davon. Der Hund streckte sich zwischen den Torpfosten aus, schwer atmend und mit heraushängender Zunge. Er sah dem entschwindenden Roog nach.
Der Hund lag still, mit schwarzen, glänzenden Augen da. Der Tag brach an. Der Himmel wurde ein wenig weißer, und von überallher hallten die Geräusche von Menschen durch die Morgenluft. Hinter Rollos gingen Lichter an. Im frostigen Morgendämmer wurde ein Fenster geöffnet.
Der Hund rührte sich nicht. Er hielt den Gehweg im Auge.
In der Küche goss Mrs. Cardossi Wasser in die Kaffeekanne. Dampf stieg auf und nahm ihr die Sicht. Sie stellte die Kanne auf den Rand des Herds und ging zur Speisekammer. Als sie zurückkam, stand Alf in der Küchentür. Er setzte die Brille auf.
»Ist die Zeitung schon da?«, fragte er.
»Ist noch draußen.«
Alf Cardossi durchquerte die Küche. Er entriegelte die Hintertür und trat hinaus auf die Veranda. Er sah hinaus in den grauen, feuchten Morgen. Am Zaun lag Boris, schwarz und struppig, mit baumelnder Zunge.
»Zunge rein«, sagte Alf. Rasch hob der Hund den Kopf. Sein Schwanz schlug gegen den Boden. »Die Zunge«, sagte Alf. »Tu die Zunge rein.«
Der Hund und der Mann sahen einander an. Der Hund winselte. Seine Augen glänzten, fast wie im Fieber.
»Roog!«, sagte er leise.
»Was?« Alf sah sich um. »Kommt wer? Der Zeitungsjunge?«
Der Hund starrte ihn mit offenem Maul an.
»Ganz schön überdreht in letzter Zeit«, sagte Alf. »Immer hübsch mit der Ruhe. Für Aufregung werden wir beide langsam zu alt.«
Er ging ins Haus.
Die Sonne stieg höher. In der Straße wurde es hell, alles war von Farben belebt. Der Briefträger ging mit seinen Briefen und Zeitschriften über den Bürgersteig. Ein paar Kinder eilten lachend und lärmend an ihm vorbei.
Gegen elf Uhr fegte Mrs. Cardossi die Vorderveranda. Sie hielt einen Augenblick inne und atmete die Morgenluft ein.
»Riecht gut«, sagte sie. »Wird warm heute.«
In der Hitze der Mittagssonne lag der schwarze Hund lang ausgestreckt unter der Veranda. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Im Kirschbaum tummelten sich Vögel, schwatzten und schimpften. Ab und zu hob Boris den Kopf und sah nach ihnen. Schließlich stand er auf und trottete unter den Baum.
Er stand unter dem Baum, als er die beiden Roogs bemerkte, die auf dem Zaun saßen und zu ihm hersahen.
»Er ist groß«, sagte der eine Roog. »Die meisten Wächter sind kleiner als der da.«
Der andere Roog nickte mit dem wackeligen Kopf. Boris beobachtete sie angespannt und reglos. Die Roogs schwiegen jetzt und betrachteten den großen schwarzen Hund mit der zottigen weißen Halskrause.
»Wie sieht’s aus mit der Opferurne?«, fragte der erste Roog. »Bald voll?«
»Ja.« Der andere nickte. »Ist bald soweit.«
»He, du!«, sagte der erste Roog mit erhobener Stimme. »Hörst du mich? Wir haben beschlossen, diesmal das Opfer anzunehmen. Also vergiss nicht, uns reinzulassen. Mach uns keinen Ärger.«
»Denk dran«, fügte der andere hinzu. »Es ist bald soweit.«
Boris sagte nichts.
Die beiden Roogs sprangen vom Zaun herab und gingen zusammen hinüber auf die andere Seite des Gehwegs. Der erste holte eine Karte hervor, die sie gemeinsam studierten.
»Diese Gegend ist für einen ersten Versuch eigentlich nicht besonders geeignet«, sagte der erste Roog. »Zu viele Wächter … Das nördliche Gebiet dagegen –«
»Es ist nun einmal so beschlossen worden«, sagte der andere Roog. »Sie werden schon ihre Gründe haben –«
»Natürlich.« Sie blickten kurz zu Boris und entfernten sich weiter vom Zaun. Den Rest ihres Gesprächs konnte er nicht mehr hören.
Schließlich steckten die Roogs ihre Karte ein und gingen den Weg hinunter und verschwanden.
Boris trottete zum Zaun und beschnüffelte die Bretter. Er roch den ekelhaften, fauligen Geruch der Roogs, und auf seinem Rücken sträubten sich die Haare.
Als Alf Cardossi am Abend nach Hause kam, stand der Hund beim Tor und spähte den Weg hinunter. Alf öffnete das Tor und betrat den Hof.
»Wie geht’s?«, fragte er und tätschelte den Hund. »Hast du dich wieder beruhigt? Bist ziemlich nervös in letzter Zeit. Das war doch früher nicht so.«
Boris winselte und blickte unverwandt empor in das Gesicht des Mannes.
»Bist ein guter Hund«, sagte Alf. »Bist außerdem ziemlich groß für einen Hund. Schon ein Weilchen her, dass du klein und niedlich warst.«
Boris lehnte sich gegen das Bein des Mannes.
»Bist ein guter Hund«, murmelte Alf. »Möchte nur mal wissen, was du in letzter Zeit hast.«
Er ging ins Haus. Mrs. Cardossi war dabei, den Tisch fürs Abendessen zu decken. Alf ging ins Wohnzimmer und legte Hut und Mantel ab. Er stellte seinen Henkelmann auf die Anrichte und ging zurück in die Küche.
»Was ist los?«, fragte Mrs. Cardossi.
»Der Hund muss aufhören, so viel Lärm zu machen. Immer dieses Gebell. Die Nachbarn beschweren sich bloß wieder bei der Polizei.«
»Wenn wir ihn nur nicht zu deinem Bruder geben müssen«, sagte Mrs. Cardossi und verschränkte die Arme. »Aber er benimmt sich wirklich wie verrückt, vor allem freitags morgens, wenn die Müllmänner kommen.«
»Vielleicht beruhigt er sich wieder«, sagte Alf. Er steckte sich seine Pfeife an und rauchte mit ernstem Gesicht. »Früher war er doch ganz anders. Aber vielleicht gibt sich das ja, und er wird wieder wie früher.«
»Hoffen wir’s«, sagte Mrs. Cardossi.
Die Sonne war kalt und unheilvoll aufgegangen. Nebel schwebte in den Bäumen und über dem Boden.
Es war Freitagmorgen.
Der schwarze Hund lag unter der Veranda, lauschend und mit großen, spähenden Augen. Sein Fell war steif vom Raureif, und sein Atem, der ihm aus den Nasenlöchern drang, bildete dampfende Wolken in der dünnen Luft. Plötzlich drehte er den Kopf und sprang auf.
Irgendwo, noch sehr weit in der Ferne, war ein leises, mahlendes Geräusch zu hören.
»Roog!«, rief Boris und sah sich um. Er lief zum Tor und richtete sich auf, die Vorderpfoten auf dem Zaun.
Wieder war in der Ferne das Geräusch zu hören, jetzt schon etwas lauter, nicht mehr so weit entfernt. Es war ein Krachen und Scheppern, als werde ein großes Tor aufgestoßen.
»Roog!«, rief Boris. Angstvoll blickte er hinter sich zu den dunklen Fenstern. Aber dort rührte sich nichts.
Und die Straße herauf kamen die Roogs. Die Roogs und ihr Gefährt rückten unaufhaltsam vor, und die Räder holperten krachend und dröhnend über die unebenen Steine.
»Roog!«, rief Boris und sprang mit blitzenden Augen umher. Dann wurde er ruhiger. Er streckte sich auf dem Boden aus und wartete und lauschte.
Vorne vor dem Haus hielten die Roogs mit ihrem Laster. Er hörte, wie sie die Türen öffneten und auf den Bürgersteig hinaustraten. Boris wetzte in einem kleinen Kreis herum. Er winselte und drehte seine Schnauze dann wieder in Richtung Haus.
Drinnen, im warmen, dunklen Schlafzimmer, setzte sich Mr. Cardossi ein wenig im Bett auf und sah zur Uhr.
»Dieser Hund«, murmelte er. »Dieser gottverdammte Hund.« Er drehte sein Gesicht dem Kissen zu und schloss die Augen.
Die Roogs kamen jetzt den Gehweg entlang. Der erste Roog stieß gegen das Tor, und das Tor öffnete sich. Die Roogs kamen auf den Hof. Der Hund wich vor ihnen zurück.
»Roog! Roog!«, rief er. Der widerliche, bittere Geruch der Roogs drang ihm in die Nase, und er wandte sich ab.
»Die Opferurne«, sagte einer der Roogs. »Sie ist voll, glaube ich.« Er lächelte dem erstarrten, zornigen Hund zu. »Wie überaus freundlich von dir«, sagte er.
Die Roogs traten zu dem metallenen Gefäß, und einer von ihnen hob den Deckel hoch.
»Roog! Roog!«, rief Boris, dicht an die unterste Stufe der Verandatreppe gepresst. Sein Körper zitterte vor Entsetzen. Die Roogs hoben das große Metallgefäß hoch und kippten es um. Der Inhalt ergoss sich auf den Boden, und die Roogs machten sich mit ihren Schaufeln über die prallgefüllten, zerschlissenen Papiertüten her, schnappten sich die Orangenschalen, Toastreste, Eierschalen.
Ein Roog steckte sich Eierschalen in den Mund. Seine Zähne malmten darauf herum.
»Roog!«, rief Boris ohne jede Hoffnung, mehr zu sich selbst. Die Roogs waren beinahe fertig mit ihrer Arbeit, die Opfergaben aufzulesen. Sie hielten einen Moment inne und blickten kurz zum Hund.
Dann hoben die Roogs langsam und schweigend die Köpfe und blickten zum Haus hoch, die Wand hoch bis zu dem Fenster, dessen braunes Rollo bis ganz nach unten zugezogen war.
»Roog!«, kreischte Boris auf, und er lief auf sie zu, taumelnd vor Zorn und Entsetzen. Widerstrebend kehrten sich die Roogs vom Fenster ab. Sie gingen hinaus durchs Tor und schlossen es hinter sich.
»Seht ihn euch an«, sagte der letzte Roog voll Verachtung und zog die Zipfel der Decke, in der sie alles trugen, straffer über seine Schulter. Boris stemmte sich gegen den Zaun mit offener, wild schnappender Schnauze. Der größte Roog schwenkte zornig die Arme, und Boris zog sich zurück. Er ließ sich wieder unten an der Verandatreppe nieder; die Schnauze stand ihm noch offen, und aus seinem Innern drang ein Klagelaut voll Elend und Verzweiflung.
»Komm schon«, sagte einer der Roogs zu dem am Zaun verharrenden Roog.
Sie gingen den Weg entlang.
»Na ja«, sagte der größte Roog, »mit Ausnahme dieser kleinen Bereiche rings um die Wächter ist dieses Gebiet doch recht gut geräumt. Hoffentlich ist dieser Wächter hier bloß bald erledigt. Er macht uns wirklich eine Menge Ärger.«
»Nur Geduld«, sagte einer der Roogs. Er grinste. »Unser Laster ist jedenfalls voll genug. Lassen wir noch was für die kommende Woche.«
Alle Roogs lachten.
Sie gingen weiter den Weg entlang und trugen all die Gaben in ihrer schmutzigen Decke mit sich fort.
Plötzlich spürte er, dass er fuhr. Rings um ihn summten leise Düsenjets. Er befand sich in einem kleinen privaten Raketenkreuzer, der gemächlich im Überlandverkehr am Nachmittagshimmel dahinzog.
»Aah!« Er stöhnte, als er sich in seinem Sitz aufrichtete und sich die Stirn rieb. Earl Rethrick neben ihm sah ihn mit leuchtenden Augen an.
»Sind Sie wieder zu sich gekommen?«
»Wo sind wir?« Jennings schüttelte den Kopf, er versuchte den dumpfen Schmerz loszuwerden. »Oder sollte ich anders fragen?« Er konnte bereits sehen, dass es nicht Spätherbst war. Es war Frühling. Die Felder unter dem Kreuzer waren grün. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, mit Rethrick einen Fahrstuhl betreten zu haben. Und das war im Spätherbst gewesen. Und in New York.
»Ja«, sagte Rethrick. »Es sind fast zwei Jahre vergangen. Sie werden viele Veränderungen vorfinden. Vor ein paar Monaten ist die Regierung gestürzt worden. Die neue Regierung greift noch wesentlich härter durch. Die SP, die Sicherheitspolizei, verfügt jetzt über nahezu unbegrenzte Macht. Man bringt den Schulkindern jetzt bei zu bespitzeln. Aber das haben wir ja kommen sehen. Tja, was noch? New York hat sich vergrößert. Und soweit ich weiß, ist die Verlandung der San Francisco Bay abgeschlossen.«
»Was ich wissen will, ist, was ich verdammt nochmal in den letzten zwei Jahren getan habe!« Jennings steckte sich nervös eine Zigarette an. »Sagen Sie es mir?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Wo fliegen wir hin?«
»Zurück nach New York, zu unserem dortigen Büro. Wo Sie mich kennengelernt haben. Erinnern Sie sich? Wahrscheinlich erinnern Sie sich daran besser als ich. Schließlich ist das für Sie erst etwa einen Tag her.«
Jennings nickte. Zwei Jahre! Zwei Jahre seines Lebens, für immer verloren. Es schien nicht möglich. Er hatte noch überlegt, hatte mit sich gerungen, noch als er in den Fahrstuhl getreten war. Sollte er seine Entscheidung nicht doch lieber rückgängig machen? Selbst wenn er so viel Geld kriegte – und es war eine Menge, sogar für ihn –, letztlich schien das die Sache nicht wert zu sein. Er würde sich immer fragen, was für eine Arbeit er eigentlich gemacht hatte. War sie legal? War sie – Aber für Spekulationen war es jetzt zu spät. Während er noch versucht hatte, zu einer Entscheidung zu gelangen, war der Vorhang gefallen. Bedauernd blickte er durch das Fenster in den Nachmittagshimmel. Das Land unten war saftig grün. Frühling – Frühling zwei Jahre später. Und was hatte er für die zwei Jahre vorzuweisen?
»Bin ich ausbezahlt worden?«, fragte er. Er holte seine Brieftasche heraus und sah hinein. »Anscheinend nicht.«
»Nein. Sie werden im Büro ausgezahlt. Kelly wird das tun.«
»Die ganze Summe auf einmal?«
»Fünfzigtausend Credits.«
Jennings lächelte. Jetzt, nachdem die Summe laut genannt worden war, fühlte er sich ein wenig besser. Vielleicht war es ja doch nicht so schlecht. Es war fast so, als wäre er fürs Schlafen bezahlt worden. Aber er war zwei Jahre älter; und genau so viel Zeit hatte er weniger zu leben. Es war, als habe er einen Teil von sich selbst, einen Teil seines Lebens verkauft. Er zuckte die Schultern. Wie auch immer, es war geschehen.
»Wir sind gleich da«, sagte der ältere Mann. Der Robot-Pilot setzte zum Sinkflug an, sie verloren an Höhe. Unter ihnen wurden die Randgebiete von New York City sichtbar. »Also, Jennings, ich sehe Sie vielleicht nicht wieder. Wir haben zusammen gearbeitet, wissen Sie, Seite an Seite. Sie sind einer der besten Mechaniker, die ich je gesehen habe. Es war klug, dass wir Sie angeheuert haben, selbst für den Lohn. Sie haben ihn uns um ein Vielfaches zurückgezahlt – wenn Sie davon auch nicht das Geringste wissen.«
»Freut mich, dass Sie was für Ihr Geld bekommen haben.«
»Sie klingen gereizt.«
»Nein. Ich versuche nur, mich an den Gedanken zu gewöhnen, zwei Jahre älter zu sein.«
Rethrick lachte. »Sie sind noch immer ein sehr junger Mann. Und Sie werden sich besser fühlen, wenn sie Ihnen Ihren Lohn gibt.«
Sie traten hinaus auf den winzigen Dachlandeplatz des New Yorker Bürogebäudes. Rethrick führte ihn zu einem Fahrstuhl. Als die Tür zuglitt, zuckte Jennings zusammen. Das war das Letzte, woran er sich erinnerte, dieser Fahrstuhl. Dann hatte sein Bewusstsein ausgesetzt.
»Kelly wird sich freuen, Sie zu sehen«, sagte Rethrick, als sie hinaustraten in einen erleuchteten Flur. »Sie hat zwischendurch immer mal wieder nach Ihnen gefragt.«
»Warum?«
»Sie sagt, Sie sähen gut aus.« Rethrick richtete einen Codeschlüssel auf eine Tür. Die Tür reagierte und schwang weit auf. Sie betraten das luxuriöse Büro von Rethrick Construction. Hinter einem langen Mahagoni-Schreibtisch saß eine junge Frau und las in einer Akte.
»Kelly«, sagte Rethrick, »was meinen Sie wohl, wessen Zeit gerade abgelaufen ist?«
Die junge Frau blickte lächelnd auf. »Hallo, Mr. Jennings. Was ist das für ein Gefühl, wieder in der Welt zu sein?«
»Großartig.« Jennings ging zu ihr hin. »Rethrick sagt, Sie sind der Zahlmeister.«
Rethrick gab Jennings einen Klaps auf den Rücken. »Machen Sie’s gut, mein Freund. Ich muss zurück zur Fabrik. Sollten Sie irgendwann mal wieder eine Menge Geld brauchen, kommen Sie einfach vorbei, dann machen wir wieder einen Vertrag mit Ihnen.«
Jennings nickte. Als Rethrick hinausging, setzte er sich an den Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. Kelly schob ihren Stuhl zurück und zog eine Schublade auf. »Okay. Ihre Zeit ist rum, und Rethrick Construction wird Sie wie vereinbart auszahlen. Haben Sie Ihre Ausfertigung des Vertrags?«
Jennings zog einen Umschlag aus seiner Tasche und warf ihn auf den Schreibtisch. »Da ist sie.«
Kelly nahm einen kleinen Lederbeutel sowie ein paar handbeschriebene Blätter aus der Schreibtischschublade. Für eine Weile las sie die beschriebenen Blätter durch, ihr kleines Gesicht wirkte sehr konzentriert.
»Stimmt was nicht?«
»Ich glaube, Sie werden etwas überrascht sein.« Kelly gab ihm seinen Vertrag zurück. »Lesen Sie sich das noch einmal durch.«
»Warum?« Jennings öffnete den Umschlag.
»Es gibt da eine Klausel zur Alternativ-Vergütung. ›Sofern der Vertragspartner es wünscht, und zwar zu jeder beliebigen Zeit während der Dauer des Vertrags mit besagter Rethrick Construction Company –‹«
»› – steht es ihm frei, auf eigenen Wunsch anstelle der vereinbarten Geldsumme Artikel oder Produkte zu wählen, die nach seinem Dafürhalten der vereinbarten Geldsumme im Wert entsprechen –‹«
Jennings griff nach dem Leinenbeutel, zog ihn auf. Den Inhalt schüttete er sich in die Hand. Kelly sah zu.
»Wo ist Rethrick?« Jennings stand auf. »Falls er sich einbildet, dass er –«
»Rethrick hat damit nichts zu tun. Es war Ihr eigener Wunsch. Hier, sehen Sie sich das an.« Kelly reichte ihm die Papiere. »In Ihrer eigenen Handschrift. Lesen Sie. Es war Ihre Idee, nicht unsere. Ehrlich.« Sie lächelte ihn an. »Das passiert dann und wann mit Leuten, die wir unter Vertrag nehmen. Während ihrer Zeit bei uns entscheiden sie sich, kein Geld, sondern etwas anderes zu nehmen. Warum weiß ich nicht. Sie wurden ja einer Gehirnwäsche unterzogen, nachdem Sie sich einverstanden erklärt haben –«
Jennings überflog die Blätter. Es war seine Handschrift. Daran gab es keinen Zweifel. Seine Hände zitterten. »Ich kann das nicht glauben. Selbst wenn das meine Handschrift ist.« Er faltete das Papier zusammen, biss die Zähne zusammen. »Irgendwas ist mit mir angestellt worden, als ich dort war. Ich hätte niemals in so etwas eingewilligt.«
»Sie müssen einen Grund gehabt haben. Ich gebe zu, dass es nicht sehr vernünftig zu sein scheint. Aber Sie wissen nicht, was für Faktoren Sie bewogen haben mögen, bevor Ihre Erinnerung gelöscht wurde. Sie sind da nicht der Erste. Vor Ihnen hat es schon eine ganze Reihe ähnlicher Fälle gegeben.«
Jennings starrte auf das, was er da in der Hand hielt. Aus dem Leinenbeutel hatte er verschiedene Gegenstände herausgeschüttet. Einen Codeschlüssel. Eine abgerissene Eintrittskarte. Eine Paketannahmebescheinigung. Ein Stückchen dünnen Draht. Einen halben Pokerchip, mitten durchgebrochen. Einen grünen Stoffstreifen. Eine Busmünze.
»Das anstelle von fünfzigtausend Credits«, murmelte er. »Zwei Jahre …«
Er trat aus dem Gebäude, hinaus auf die Straße und in den geschäftigen Nachmittagstrubel. Noch immer war er ganz benommen, benommen und verwirrt. Hatte man ihn betrogen? Er tastete in seiner Tasche nach dem Draht, der Eintrittskarte und dem anderen Kram. Das für zwei Jahre Arbeit! Aber er hatte seine Handschrift erkannt, hatte die Verzichterklärung gesehen, die Ersatzforderung. Aber warum? Aus welchem Grund? Was hatte ihn dazu veranlasst?
Er drehte sich um, ging den Bürgersteig entlang. An der Ecke blieb er stehen, weil gerade ein Schwebekreuzer einbog.
»Los, Jennings. Steigen Sie ein.«
Sein Kopf zuckte hoch. Die Tür des Kreuzers war geöffnet. Ein Mann kniete und zielte mit einem Hitzegewehr direkt auf sein Gesicht. Ein Mann in Blaugrün. Sicherheitspolizei.
Jennings stieg ein. Die Tür ging zu, hinter ihm schlossen sich magnetische Schnappschlösser. Wie bei einem Banksafe. Der Kreuzer glitt davon, die Straße hinunter. Jennings sank auf den Sitz zurück. Neben ihm senkte der SP-Mann sein Gewehr. Auf der anderen Seite saß ein zweiter Beamter, der ihn fachmännisch nach Waffen abtastete. Er holte Jennings’ Brieftasche und die Handvoll Krimskrams hervor. Den Umschlag und den Vertrag.
»Was hat er bei sich?«, fragte der Fahrer.
»Brieftasche, Vertrag mit Rethrick Construction. Keine Waffen.« Er gab Jennings die Sachen zurück.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Jennings.
»Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen. Das ist alles. Sie haben für Rethrick gearbeitet?«
»Ja.«
»Zwei Jahre?«
»Fast zwei Jahre.«
»In der Fabrik?«
Jennings nickte. »Ich glaub schon.«
Der Beamte beugte sich zu ihm vor. »Wo befindet sich diese Fabrik, Mr. Jennings?«
»Das weiß ich nicht.«
Die beiden Polizisten sahen sich an. Der erste befeuchtete sich die Lippen, seine Miene verriet seine Angespanntheit. »Sie wissen es nicht? Eine letzte Frage: Was haben Sie in den zwei Jahren getan, was für eine Art von Arbeit haben Sie gemacht? Was war Ihre Aufgabe?«
»Ich bin Mechaniker. Ich habe elektronische Geräte repariert.«
»Was für elektronische Geräte?«
»Das weiß ich nicht.« Jennings sah ihn an. Er musste unwillkürlich lächeln, spöttisch verzogen sich seine Lippen. »Tut mir leid, aber ich weiß es nicht. Das ist die Wahrheit.«
Für einen Moment schwiegen die Beamten.
»Was soll das heißen, Sie wissen es nicht? Soll das heißen, Sie haben zwei Jahre lang an Geräten gearbeitet, ohne zu wissen, an was für welchen? Und ohne zu wissen, wo Sie sich befanden?«
Jennings richtete sich auf. »Was hat das alles zu bedeuten? Warum haben Sie mich festgenommen? Ich habe nichts getan. Ich war –«
»Das wissen wir. Wir verhaften Sie nicht. Wir wollen nur ein paar Informationen für unsere Akten. Über Rethrick Construction. Sie haben für die Firma gearbeitet, in Rethricks Fabrik. In einer wichtigen Position. Sind Sie Elektronikmechaniker?«
»Ja.«
»Sie reparieren Großrechner und was damit zusammenhängt?« Der Beamte zog sein Notizbuch zurate. »Sie gelten als einer der besten im Land, heißt es.«
Jennings sagte nichts.
»Sagen Sie uns die zwei Dinge, die wir wissen wollen, und wir lassen Sie sofort wieder laufen. Wo befindet sich Rethricks Fabrik? Und was wird dort produziert? Sie haben da Maschinen gewartet. Hab ich recht? Zwei Jahre lang.«
»Ich weiß es nicht. Ich nehm es an. Ich habe keine Ahnung, was ich während der zwei Jahre getan habe. Ob Sie mir das nun glauben oder nicht.« Jennings starrte voll Überdruss auf den Boden.
»Was sollen wir tun?«, sagte der Fahrer schließlich. »Wir haben keine weitergehenden Anweisungen.«
»Bringen wir ihn zur Wache. Hier können wir die Befragung nicht fortsetzen.« Draußen auf dem Bürgersteig eilten Männer und Frauen vorbei. Die Straßen waren von Kreuzern verstopft; Angestellte, die zurück nach Hause aufs Land wollten.
»Jennings, warum antworten Sie nicht? Was haben Sie? Es gibt doch keinen Grund, warum Sie uns nicht ein paar einfache Informationen geben sollten. Wollen Sie nicht mit Ihrer Regierung kooperieren? Warum uns Informationen vorenthalten?«
»Ich würde es Ihnen ja sagen, wenn ich was wüsste.«
Der Beamte grunzte. Keiner sprach. Schließlich hielt der Kreuzer vor einem großen Backsteingebäude. Der Fahrer stellte den Motor ab, entfernte die Steuerkapsel und steckte sie ein. Dann richtete er auf die Tür einen Codeschlüssel und entsicherte so das Magnetschloss.
»Was sollen wir tun? Ihn mit reinnehmen? Eigentlich sollen wir nicht –«
»Moment.« Der Fahrer stieg aus. Die beiden anderen folgten ihm; sie schlossen die Türen hinter sich und sicherten sie. Sie standen auf dem Bürgersteig vor der SP-Wache und berieten sich.
Jennings saß stumm, den Blick zu Boden gerichtet, im Innern. Die SP wollte Informationen über Rethrick Construction. Nun, es gab nichts, was er ihnen hätte sagen können. Sie waren bei ihm an den Falschen geraten, aber wie konnte er das beweisen? Die ganze Sache war zu unwahrscheinlich. Zwei Jahre komplett aus seinem Bewusstsein gelöscht. Wer würde ihm das glauben? Auch ihm selbst erschien es ja unglaublich.
Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, an dem er die Anzeige zum ersten Mal gelesen hatte. Sie passte genau, traf direkt auf ihn zu. Mechaniker gesucht, dazu eine allgemeine Beschreibung der Arbeit, andeutungsweise, indirekt, aber doch direkt genug, um ihm zu sagen, dass sie voll in sein Fach schlug. Und die Bezahlung! Vorstellungsgespräch im Büro. Tests, Formulare. Und dann die allmähliche Erkenntnis, dass Rethrick Construction alles über ihn erfuhr, er aber nichts über diese Leute. Was machten sie? Konstruierten, bauten – aber was genau? Was für Maschinen hatten sie? Fünfzigtausend Credits für zwei Jahre …
Und er war herausgekommen mit einer perfekten Gehirnwäsche. Zwei Jahre, und er erinnerte sich an nichts. Er hatte lange gebraucht, um diesem Teil des Vertrages zuzustimmen. Aber er hatte zugestimmt.
Jennings sah durchs Fenster hinaus. Die drei Polizisten besprachen sich noch immer auf dem Bürgersteig, beratschlagten, was mit ihm geschehen sollte. Er befand sich in einem wirklichen Dilemma. Sie verlangten Informationen, die er nicht geben konnte, Informationen, die er nicht besaß. Aber wie konnte er das beweisen? Wie konnte er beweisen, dass er zwei Jahre lang gearbeitet hatte und herausgekommen war, ohne mehr zu wissen, als zu Anfang! Die SP würde ihn in die Mangel nehmen. Es würde lange dauern, bis sie ihm glaubten, und bis dahin –
Rasch blickte er sich um. Gab es keine Fluchtmöglichkeit? Jeden Augenblick würden sie zurückkommen. Er berührte die Tür. Gesichert durch die Tripelring-Magnetschlösser. An Magnetschlössern hatte er oft gearbeitet. Er hatte sogar einen Teil eines Auslöserkerns entworfen. Ohne den passenden Codeschlüssel konnte man die Türen nicht öffnen. Falls man nicht zufällig ein Schloss kurzschließen konnte. Aber womit?
Er kramte in seinen Taschen. Was konnte er gebrauchen? Falls er die Schlösser kurzschließen, sie heraussprengen konnte, bestand eine kleine Chance. Draußen drängten Männer und Frauen vorbei, auf dem Heimweg von der Arbeit. Es war nach fünf; die großen Bürogebäude waren im Begriff zu schließen, auf den Straßen wimmelte der Verkehr. Wenn er es schaffen konnte, hinauszukommen, würden die Polizisten nicht wagen zu schießen. – Wenn er nur irgendwie hinauskommen konnte.
Die drei Polizisten trennten sich. Einer stieg die Stufen zur Wache hinauf. Gleich würden die beiden anderen wieder in den Kreuzer steigen. Jennings kramte in seinen Taschen, holte den Codeschlüssel, die Eintrittskarte, den Draht heraus. Draht! Dünner Draht, dünn wie Menschenhaar.
Er kniete nieder, strich mit seinen Fingern fachmännisch über die Oberfläche der Tür. Am Rande des Schlosses war eine dünne Linie, eine Ritze zwischen dem Schloss und der Tür. Er nahm das Drahtende und steckte es vorsichtig etwa zwei Fingerbreit ein. Schweiß bildete sich auf Jennings’ Stirn. Er bewegte den Draht eine Winzigkeit weiter, drehte ihn. Er hielt den Atem an. Das Relais müsste –
Ein Blitz blendete ihn.
Jennings warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür. Die Tür schwang auf, das kurzgeschlossene Schloss qualmte. Jennings stürzte hinaus auf die Straße und rappelte sich schnell auf. Rings um ihn her jagten Kreuzer dahin und hupten. Er duckte sich hinter einen langsameren Laster und gelangte zur mittleren Fahrspur. Ein kurzer Blick zum Bürgersteig zeigte ihm, dass die SP-Leute die Verfolgung aufgenommen hatten.
Ein Bus näherte sich, heftig schwankend, voll mit Leuten, die vom Einkaufen oder von der Arbeit kamen. Jennings ergriff das hintere Geländer und zog sich hoch auf die Plattform. Erstaunte Gesichter sahen auf ihn herab, bleiche Monde, die sich um ihn herum drängten. Der Robot-Schaffner kam auf ihn zu; er surrte ärgerlich.
»Sir –«, fing der Schaffner an. Der Bus verlangsamte seine Fahrt. »Sir, es ist nicht gestattet –«
»Schon in Ordnung«, sagte Jennings. Auf einmal erfüllte ihn eine eigentümliche freudige Erregung. Einen Augenblick zuvor hatte er noch in der Falle gesessen, ohne irgendeine Fluchtmöglichkeit. Zwei Jahre seines Lebens hatte er verloren, für nichts. Die Sicherheitspolizei hatte ihn festgenommen und von ihm Informationen verlangt, die er nicht geben konnte. Eine hoffnungslose Situation! Aber jetzt arbeitete sein Verstand wieder richtig.
Er griff in seine Tasche und holte die Busmünze hervor. Ruhig steckte er sie in den Münzschlitz des Schaffners.
»Okay?«, sagte er. Unter seinen Füßen schwankte der Bus, der Fahrer zögerte. Dann beschleunigte der Bus und fuhr weiter. Der Schaffner drehte sich um, sein Surren verstummte. Alles war in Ordnung. Jennings lächelte. Er schlängelte sich an den stehenden Fahrgästen vorbei und suchte nach einem Platz, irgendeinem Platz, wo er sich setzen konnte. Wo er nachdenken konnte.
Über vieles, sehr vieles. Seine Gedanken rasten.
Der Bus fuhr dahin, schwamm mit im ruhelosen Strom des städtischen Verkehrs. Jennings nahm die Menschen, in deren Mitte er saß, nur halb wahr. Es gab keinen Zweifel: Er war nicht betrogen worden. Die Sache hatte ihre Richtigkeit. Es war tatsächlich seine eigene Entscheidung gewesen. Sonderbarerweise hatte er nach zwei Jahren Arbeit eine Handvoll Krimskrams einer Geldsumme von fünfzigtausend Credits vorgezogen. Noch sonderbarer war allerdings, dass sich die Handvoll Krimskrams als weit wertvoller zu erweisen schien.
Mit einem Stück Draht und einer Busmünze war er der Sicherheitspolizei entkommen. Das war eine Menge wert. Geld wäre für ihn nutzlos gewesen, wenn er erst einmal in der großen Wache verschwunden wäre. Da hätten ihm auch keine fünzigtausend Credits etwas genützt. Fünf Gegenstände waren noch übrig. Er tastete seine Taschen ab. Noch fünf. Zwei hatte er bereits gebraucht. Die anderen – wofür waren sie gut? Auch für etwas so Wichtiges?
Aber das große Rätsel war: Wie hatte er – sein früheres Selbst – gewusst, dass ein Stück Draht und eine Busmünze einmal sein Leben retten würden? Er hatte es gewusst, das war gewiss. Hatte es im Voraus gewusst. Aber woher? Und die anderen fünf Sachen? Wahrscheinlich waren sie genauso wertvoll oder würden es noch sein.
Der Er jener zwei Jahre hatte Dinge gewusst, die er jetzt nicht wusste; Dinge, die fortgespült worden waren, als die Firma seine Erinnerung gelöscht hatte. Wie bei einer Rechenmaschine, bei der die Speicher gelöscht wurden. Alles war wie ein unbeschriebenes Blatt. Was er gewusst hatte, war jetzt fort. Alles war fort, ausgenommen die sieben Gegenstände, von denen noch fünf in seiner Tasche steckten.
Aber das eigentliche Problem war im Augenblick kein spekulatives. Es war sehr konkret. Die Sicherheitspolizei suchte nach ihm. Sie hatten seinen Namen und seine Beschreibung. In seine Wohnung konnte er auf keinen Fall gehen – wenn er denn überhaupt noch eine Wohnung hatte. Aber wohin dann? In ein Hotel? Die SP kämmte sie täglich durch. Zu Freunden? Das hieße, sie ebenfalls in Gefahr zu bringen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass die SP ihn schnappte, beim Spaziergang auf der Straße, beim Essen in einem Restaurant, in einer Show, während er in irgendeiner Pension schlief. Die SP war überall.
Überall? Nicht ganz. Mochte ein einzelnes Individuum auch schutzlos sein, eine Firma war es nicht. Die großen Unternehmen hatten es geschafft, frei zu bleiben, obwohl praktisch alles andere von der Regierung absorbiert worden war. Gesetze schützten nicht mehr Privatpersonen, aber immer noch Eigentum und Industrie. Die SP konnte jede beliebige Person festnehmen, aber in eine Firma konnte sie nicht einfach eindringen und sie in ihre Gewalt bringen. Das war in der Mitte des 20. Jahrhunderts eindeutig festgelegt worden.
Gesellschaften, Körperschaften, Firmen wurden vor der Sicherheitspolizei geschützt. Dafür sorgte eine Reihe von juristischen Auflagen. Zwar interessierte sich die SP für die Rethrick Construction, aber solange nicht irgendein Statut verletzt wurde, konnte sie nichts unternehmen. Wenn es ihm gelingen würde, zur Firma zurückzufinden, wäre er in Sicherheit. Jennings lächelte grimmig. Die moderne Version der Kirche als Zufluchtsort. Die Regierung kämpfte gegen die Firmen, und nicht so sehr der Staat gegen die Kirche. Das neue Notre Dame der Welt. Hier konnte der Arm des Gesetzes nicht hinlangen.
Würde Rethrick ihn wieder aufnehmen? Ja, in der gehabten Weise. Das hatte er bereits gesagt. Weitere zwei Jahre verlieren, und dann zurück auf die Straße. Würde ihm das helfen? Plötzlich kramte er wieder in seiner Tasche. Da war der restliche Krimskrams. Zweifellos hatte er die Absicht gehabt, sie zu gebrauchen! Nein, er konnte nicht zurück zu Rethrick und eine weitere Frist bei ihm arbeiten. Irgendetwas anderes sagten ihm die Gegenstände in seiner Tasche. Irgendetwas, was von größerer Dauer sein würde. Jennings grübelte. Rethrick Construction. Was konstruierten sie? Was hatte er gewusst, was herausgefunden in den zwei Jahren? Und warum war die SP so sehr daran interessiert?
Er holte die fünf Gegenstände aus der Tasche und betrachtete sie eingehend.
Der grüne Stoffstreifen. Der Codeschlüssel. Die abgerissene Eintrittskarte. Der Paketzettel. Der halbe Poker-Chip. Merkwürdig, dass so kleine Dinge so wichtig sein konnten.
Und es hatte mit Rethrick Construction zu tun.
Daran gab es keinen Zweifel. Die Antwort, alle Antworten waren bei Rethrick zu suchen. Aber wo war Rethrick? Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sich die Fabrik befand. Er wusste, wo sich das Büro befand, der große, luxuriöse Raum mit der jungen Frau und ihrem Schreibtisch. Aber das war nicht Rethrick Construction. Wusste es irgendjemand außer Rethrick? Kelly wusste es nicht. Wusste es die SP?
Sie befand sich außerhalb der Stadt. Das war sicher. Er war per Rakete gereist. Wahrscheinlich befand sie sich innerhalb der Vereinigten Staaten, irgendwo auf dem Land in den riesigen Anbaugebieten zwischen den Städten. Was für eine verteufelte Situation! Jeden Augenblick konnte ihn die SP schnappen. Ein zweites Mal würde er wohl kaum entkommen. Seine einzige Chance, wirklich in Sicherheit zu gelangen, war, Rethrick zu erreichen. Und es war seine einzige Chance, die Dinge herauszufinden, die er herausfinden musste. Die Fabrik – ein Ort, an dem er gewesen war, an den er sich aber nicht mehr erinnern konnte. Er betrachtete die fünf Gegenstände. Konnte ihm einer davon weiterhelfen?
Eine Flut von Verzweiflung überwältigte ihn. Vielleicht war alles nur Zufall, der Draht und die Busmünze. Vielleicht –
Er betrachtete den Paketzettel, drehte ihn herum und hielt ihn ins Licht. Plötzlich spürte er, wie sich sein Magen verkrampfte. Sein Herz schlug schneller. Er hatte recht gehabt. Nein, das war kein Zufall, der Draht und die Münze. Der Paketzettel war zwei Tage vorausdatiert. Das Paket, oder was es auch war, es war noch nicht einmal aufgegeben worden. Das sollte erst in achtundvierzig Stunden geschehen.
Er sah sich die anderen Dinge an. Die abgerissene Eintrittskarte. Wozu taugte so ein Abschnitt? Sie war ganz zerknittert, x-mal gefaltet. Damit konnte er nirgendwo mehr hineinkommen, nicht mit diesem Rest einer Eintrittskarte. Er sagte einem höchstens, wo man drin gewesen war.
Wo war er gewesen?
Er beugte sich vor, glättete das Papier, starrte darauf. Das Bedruckte war mitten durchgerissen worden. Nur ein Teil von jedem Wort war zu erkennen.
PORTOLA-T
STUARTSVI
IOW
Er lächelte. Das war’s. Da war er gewesen. Er konnte die fehlenden Buchstaben ergänzen. Was er sah, reichte ihm. Gar kein Zweifel: Auch das hatte er vorhergesehen. Drei von den sieben Gegenständen hatte er bereits verwenden können. Vier waren noch übrig. Stuartsville, Iowa. Gab es diesen Ort? Er sah hinaus aus dem Busfenster. Die Intercity-Raketenstation war nur etwa einen Block entfernt. In einer Sekunde konnte er dort sein. Ein schneller Spurt vom Bus, wobei ihm die Polizei hoffentlich nicht in die Quere kommen würde –
Aber irgendwie wusste er, dass man ihn nicht aufhalten würde. Nicht mit den anderen vier Dingen in seiner Tasche. Und sobald er sich in der Rakete befand, war er in Sicherheit. Intercity war ein großes Unternehmen, groß genug, um die SP von sich fernzuhalten. Jennings steckte den restlichen Krimskrams wieder ein, stand auf und zog die Halt-Schnur.
Einen Augenblick später trat er vorsichtig hinaus auf den Bürgersteig.
Die Rakete setzte ihn am Stadtrand ab, auf einem winzigen braunen Landeplatz. Ein paar Träger liefen gleichgültig herum, stapelten Gepäck aufeinander oder erholten sich von der Glut der Sonne.
Jennings überquerte den Landeplatz und gelangte zum Wartesaal; er betrachtete die Leute um sich her. Gewöhnliche Menschen, Arbeiter, Geschäftsleute, Hausfrauen. Stuartsville war eine Kleinstadt im Mittelwesten. Lastwagenfahrer. Schulkinder.
Er ging durch den Wartesaal, hinaus auf die Straße. Hier also befand sich Rethricks Fabrik – vielleicht. Falls er die Eintrittskarte richtig gedeutet hatte. Jedenfalls befand sich irgendetwas hier, andernfalls hätte er den Abschnitt nicht zu den anderen Dingen getan.
Stuartsville, Iowa. Ein Plan nahm in seinem Hinterkopf vage Konturen an. Mit den Händen in den Taschen ging er los. Er sah sich um. Ein Zeitungsbüro, Imbiss-Stuben, Hotels, Billardzimmer, ein Frisör, ein Fernsehgeschäft. Ein Raketenhändler mit riesigen Schaufenstern, hinter denen Raketen glänzten. Familienkreuzer. Und am Ende des Blocks das Portola-Theater.
Stadthäuser wurden immer spärlicher. Farmen, Felder. Meilenweit grünes Land. Am Himmel zogen träge ein paar Transportraketen, die die Farmen belieferten, vorüber. Eine kleine, unbedeutende Stadt. Genau das Richtige für Rethrick Construction. Die Fabrik würde sich hier verlieren, fern von der Großstadt, fern von der SP.
Jennings ging zurück. Er betrat eine Imbiss-Stube, BOB’S PLACE. Als er sich an die Theke setzte, kam ein junger Mann mit Brille herbei und wischte sich die Hände an seinem weißen Kittel ab.
»Kaffee«, sagte Jennings.
»Kaffee.« Der Mann brachte ihm eine Tasse Kaffee. In dem Imbiss waren nur wenige Leute. Am Fenster hörte man Fliegen summen.
Draußen auf der Straße gingen Farmer und Leute mit Einkaufstüten vorbei.
»Sagen Sie«, sagte Jennings und rührte in seinem Kaffee. »Wo kann man hier Arbeit bekommen? Können Sie mir da helfen?«
»Was für eine Arbeit?« Der junge Mann kam zurück, stützte sich auf die Theke.
»Na ja, ich bin Elektromechaniker. Fernsehen, Raketen, Computer. Solche Sachen.«
»Warum versuchen Sie’s nicht in den großen Industriegebieten? Detroit. Chicago. New York.«
Jennings schüttelte den Kopf. »Ich kann Großstädte nicht ausstehen. Ich habe Großstädte noch nie gemocht.«
Der junge Mann lachte. »Viele Leute hier wären froh, in Detroit arbeiten zu können. Sie sind Elektriker?«
»Gibt es hier irgendwelche Fabriken? Irgendwelche Reparaturbetriebe oder Fabriken?«
»Nicht dass ich wüsste.« Der junge Mann ging, um ein paar Männer zu bedienen, die hereingekommen waren. Jennings schlürfte seinen Kaffee. Hatte er einen Fehler gemacht? Vielleicht sollte er zurückfliegen und Stuartsville, Iowa, vergessen? Vielleicht hatte er aus der Eintrittskarte die falschen Schlüsse gezogen. Aber die Karte bedeutete irgendetwas, wenn er sich nicht in allem völlig täuschte. Für eine solche Erkenntnis war es allerdings ein wenig spät.
Der junge Mann kam zurück. »Gibt es nicht irgendeine Art Arbeit, die ich hier bekommen kann?«, fragte Jennings. »Nur so fürs Erste.«
»Auf den Farmen gibt’s immer Arbeit.«
»Was ist mit Reparaturbetrieben? Autowerkstätten, Fernsehgeschäften?«
»Es gibt eine Werkstatt für Rundfunkgeräte ein Stück weiter die Straße runter. Vielleicht kriegen Sie da was. Sie könnten’s versuchen. Erntehelfer werden immer gut bezahlt. Die können immer Leute gebrauchen. Die meisten Männer sind beim Militär. Haben Sie nicht Lust, Heu zu laden?«
Jennings lachte. Er bezahlte für seinen Kaffee. »Nicht besonders. Danke.«
»Manchmal fahren ein paar Männer die Landstraße rauf, um zu arbeiten. Da ist eins von diesen Regierungsprojekten stationiert.«
Jennings nickte. Er stieß die Tür auf und trat hinaus auf den heißen Bürgersteig. Eine Weile lief er ziellos umher und war ganz damit beschäftigt, seinen Plan immer wieder durchzugehen. Es war ein guter Plan; er würde alle seine Probleme auf einen Schlag lösen. Aber noch hing alles von einer Sache ab: Er musste Rethrick Construction finden. Und er hatte nur einen Anhaltspunkt, wenn es denn ein Anhaltspunkt war. Die zerknitterte Eintrittskarte in seiner Tasche. Und er musste darauf vertrauen, dass er gewusst hatte, was er tat.
Ein Regierungsprojekt. Jennings blieb stehen und sah sich um. Auf der anderen Seite der Straße war ein Taxistand, und ein paar Taxifahrer saßen rauchend und zeitunglesend in ihren Wagen. Einen Versuch war es wenigstens wert. Viel mehr Möglichkeiten blieben nicht. Rethrick würde, zumindest nach außen hin, als etwas anderes erscheinen. Falls die Firma sich als Regierungsprojekt ausgab, würde niemand Fragen stellen. Alle waren an Regierungsprojekte gewöhnt, die heimlich und ohne Erklärung betrieben wurden.
Er ging zum ersten Taxi. »Mister«, fragte er, »können Sie mir wohl eine Frage beantworten?«
Der Taxifahrer blickte auf. »Was denn?«
»Ich habe gehört, dass draußen bei dem Regierungsprojekt Arbeit zu kriegen ist. Stimmt das?«
Der Taxifahrer musterte ihn. Er nickte.
»Was für eine Art Arbeit ist das?«
»Weiß nicht.«
»Wo stellen die Leute ein?«
»Weiß nicht.« Der Taxifahrer hob seine Zeitung.
»Danke.« Jennings drehte sich um.
»Die stellen niemanden ein. So gut wie niemanden. Viele nehmen sie jedenfalls nicht. Gehen Sie lieber anderswohin, wenn Sie wirklich Arbeit suchen.«
»Okay.«
Der andere Taxifahrer beugte sich aus seinem Taxi. »Die brauchen nur ein paar Tagelöhner, Kumpel. Das ist alles. Und sie sind wählerisch. Die lassen kaum jemanden rein. Irgendeine Form von Rüstungsindustrie.«
Jennings spitzte die Ohren. »Geheim?«
»Sie kommen in die Stadt und sammeln einen Haufen Fabrikarbeiter ein. Vielleicht einen Laster voll. Das ist alles. Sie sind sehr vorsichtig bei der Auswahl.«
Jennings ging ein Stück auf den Taxifahrer zu. »Ach ja?«
»Ist ein großes Werk. Stahlwände. Unter Strom. Wächter. Und Tag und Nacht wird gearbeitet. Aber niemand kommt rein. Es befindet sich auf einem Hügel, draußen an der alten Henderson Road. Ungefähr zweieinhalb Meilen.« Der Taxifahrer tippte sich gegen die Schulter. »Man kann nur mit Erkennungsmarke rein. Sie kennzeichnen ihre Arbeiter, wenn sie sie ausgewählt haben. Sie verstehen.«
Jennings starrte ihn an. Der Taxifahrer zog auf seiner Schulter eine Linie. Plötzlich begriff Jennings. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn.
»Aber ja«, sagte er. »Ich verstehe, was Sie meinen. Ich glaube es wenigstens.« Er griff in seine Tasche und holte die noch übrigen vier Gegenstände heraus. Sorgfältig glättete er den grünen Stoffstreifen. »Meinen Sie so was?«
Die Taxifahrer sahen das Stück Stoff an. »Ganz recht«, sagte einer von ihnen, ohne den Blick abzuwenden. »Wo haben Sie das her?«
Jennings lachte. »Von einem Freund.« Er steckte den Stoff wieder ein. »Ein Freund hat ihn mir gegeben.«
Er entfernte sich in Richtung Intercity-Landeplatz. Jetzt, nachdem der erste Schritt getan war, gab es für ihn viel zu erledigen. Rethrick befand sich hier, das war sicher. Und was den Krimskrams betraf, so hatte er ihm bislang geholfen und würde ihm weiterhin helfen. Ein Ding für jedes Problem. Eine Handvoll Wunder von jemandem, der die Zukunft kannte!
Aber den nächsten Schritt konnte er nicht allein tun. Er brauchte Hilfe. Für diesen Teil brauchte er noch jemanden. Aber wen? Grübelnd betrat er den Intercity-Wartesaal. Es gab nur eine einzige Person, an die er sich wenden konnte. Die Chance war gering, doch er musste es versuchen. Er konnte es nicht allein bewerkstelligen, hier draußen. Wenn sich die Rethrick-Fabrik hier befand, müsste Kelly …
Die Straße war dunkel. An der Ecke flackerte eine trübe Straßenlaterne. Ein paar Kreuzer fuhren vorüber.
Aus dem Eingang des Wohnblocks kam eine schlanke Gestalt, eine junge Frau. Jennings beobachtete sie im Licht der Laterne. Kelly McVane ging aus, wahrscheinlich zu einer Party. Schick gekleidet, hochhackige, auf dem Bürgersteig widerhallende Schuhe, Kostüm, Hut, in der Hand eine Handtasche.
Er trat hinter sie. »Kelly.«
Rasch drehte sie sich um; erschreckt riss sie den Mund auf. »Oh!«
Jennings nahm ihren Arm. »Keine Angst. Ich bin’s nur. Wo gehen Sie hin, großartig sehen Sie aus.«
»Nirgends.« Sie blinzelte. »Meine Güte, haben Sie mich erschreckt. Was ist denn los? Was ist passiert?«
»Nichts. Haben Sie ein paar Minuten für mich Zeit? Ich muss mit Ihnen reden.«
Kelly nickte. »Ich denke schon.« Sie sah sich um. »Wohin wollen wir gehen?«
»Wo können wir reden? Ich möchte nicht, dass uns jemand zuhört.«
»Können wir nicht einfach spazieren gehen?«
»Nein. Die Polizei.«
»Die Polizei?«
»Die suchen nach mir.«
»Nach Ihnen? Aber warum?«
»Wir dürfen hier nicht stehen bleiben«, sagte Jennings grimmig. »Wo können wir hin?«
Kelly zögerte. »Wir könnten raufgehen in meine Wohnung. Da ist sonst niemand.«
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf. Kelly entriegelte die Tür, indem sie den Codeschlüssel auf sie richtete. Die Tür schwang auf, und sie traten ein; Heizung und Licht sprangen automatisch an. Kelly schloss die Tür und zog ihre Jacke aus.
»Ich werde nicht lange bleiben«, sagte Jennings.
»Ist schon in Ordnung. Ich werde Ihnen einen Drink machen.« Sie ging in die Küche. Jennings setzte sich auf die Couch und sah sich in der adretten kleinen Wohnung um. Kurz darauf kam das Mädchen zurück. Sie setzte sich neben ihn, und Jennings nahm seinen Drink. Scotch und Wasser, eiskalt.
»Danke.«