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Der Privatdetektiv Thomas Lohbeck glaubt nicht mehr an die Menschheit, er hat schon zu viel gesehen und miterlebt. Als er seine sinnlos gewordene Existenz gerade beenden will, erhält er unvermittelt einen neuen Auftrag, der ihn in ein irrwitziges und ko(s)misches Abenteuer stürzt.
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Seitenzahl: 292
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Das Buch:
Der Privatdetektiv Thomas Lohbeck glaubt nicht mehr an die Menschheit, er hat schon zu viel gesehen und miterlebt. Als er seine sinnlos gewordene Existenz gerade beenden will, erhält er unvermittelt einen neuen Auftrag, der ihn in ein irrwitziges und ko(s)misches Abenteuer stürzt.
Der Autor:
Patrick von Wantoch wurde 1979 im Ruhrgebiet geboren. Mittlerweile lebt der gebürtige Dortmunder mit seiner Familie in Kempen am Niederrhein. Hauptberuflich ist der Autor im Finance Bereich tätig, seit 2020 schreibt er darüber hinaus Romane und Kurzgeschichten.
Der Autor ist nicht gewillt, sich irgendwelchen Genrekonventionen zu unterwerfen, geschweige denn, sich in Schubladen pressen zu lassen. Daher schreibt er, was und wie es ihm in den Sinn kommt. Das Genre spielt dabei keine Rolle, die Geschichte zählt.
Nachdem 2021 sein Debüt "Das Leben ist auch nur ein Film" erschien, veröffentlichte er 2023 seinen zweiten Roman „Ein ko(s)mischer Auftrag“. Weitere sind in Planung.
Widmung
Dieses Buch ist Christopher gewidmet:
Bruder. Freund. Endgegner.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Thomas Lohbeck hatte mit diversen Mitteln versucht, sich umzubringen, und musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass ihm dies schlicht und ergreifend unmöglich war.
Er hatte, als er heute Nachmittag auf dem versifften Sofa die Augen aufschlug, den Entschluss getroffen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Zu schwer lastete die Vergangenheit auf ihm und die Zukunft brachte keine Hoffnung.
Thomas richtete sich auf und setzte sich auf die Kante des abgenutzten Möbelstücks, das an Scheußlichkeit kaum zu überbieten war. Er sah sich in dem Raum um. Karg, hässlich, funktional. Ein großer Schreibtisch vor einer breiten Fensterfront, durch deren Scheiben er eine Stadt sah, die ihm nichts mehr zu geben hatte.
Daneben ein Aktenschrank und ein eingegangener Ficus. Über der Couch ein gerahmtes Bild, das von einem Flohmarkt stammte. Zu seiner Linken eine Tür mit Milchglasfenster, auf der er spiegelverkehrt entziffern konnte: Thomas Lohbeck – Private Ermittlungen. Er war dieses Dasein vollends leid.
Es gab noch einen kleinen Nebenraum, der mit einer Toilette, einer schmalen Duschkabine und einem Waschbecken aufwartete. Thomas betrat ihn und zögerte zuerst, das Licht einzuschalten. Er hatte Angst vor dem Gesicht, das ihm aus dem Spiegel entgegensehen würde. Nachdem er ein paar Mal durchgeatmet hatte, drückte er auf den Lichtschalter. Der Anblick kam ihm vage bekannt vor. Unrasiert und mit tiefen Augenringen sah die Gestalt ihn an. Er sah beschissen aus, in seinem zerknitterten hellgrauen Anzug, mit der pottenhässlichen Krawatte.
Auf einmal fuhr ein grässlicher Schmerz durch seinen Kopf und zwang ihn, sich an dem fleckigen Waschbecken abzustützen. Ein eindringlicher Satz bahnte sich den Weg direkt aus dem Nirgendwo. Er donnerte geradewegs in seinen Schädel und schien mit einem Presslufthammer gewaltsam in sein Hirn gebohrt zu werden:
GLEICH WIRST DU EINEN AUFTRAG BEKOMMEN, DER DEIN LEBEN VERÄNDERN WIRD
Nachdem der Schmerz etwas nachgelassen hatte und er sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, versuchte er, daraus schlau zu werden. Ihm war nicht klar, woher er kam. Er zweifelte an seinem Verstand. Wurde er jetzt verrückt? Begann er Stimmen zu hören? So etwas hatte er noch nie erlebt. Er war durch und durch Realist und hatte keine plausible Erklärung dafür. Aber auch wenn dies augenblicklich seine detektivische Neugierde weckte, wäre es ihm unerträglich gewesen, einen weiteren Auftrag anzunehmen. Ein Tag war wie der andere, ein Auftrag glich dem nächsten. Dieser würde sich bestimmt auch nicht so wahnsinnig unterscheiden. Selbst mit der unsubtilen Ankündigung nicht. Nicht anders genug, um dafür am Leben zu bleiben.
Thomas hatte sich niemals so geirrt, aber das konnte er zu diesem Zeitpunkt ja nicht wissen. Er wollte mit all dem nichts mehr zu schaffen haben, er sehnte sich nach Frieden.
Da er seinen Abgang nicht von langer Hand geplant hatte, sondern eher einer spontanen Laune heraus handelte, suchten seine Augen nach irgendetwas, womit er seinen Plan in die Tat umsetzen könnte. Er durchforstete die karge Einrichtung nach etwas Brauchbarem.
Die naheliegendste Variante war sein Revolver, den er in einer Schublade des Schreibtisches aufbewahrte. Er setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und holte das gute Stück heraus. Es war ein Smith & Wesson 500, ein Double-Action-Revolver und eine der stärksten Faustfeuerwaffen der Welt. Sollte für seine Zwecke genügen. Er klappte die Trommel auf und wie immer, wenn er sie nicht mit auf einen Einsatz nahm, war sie leer. Er würde niemals eine geladene Waffe einfach so herumliegen lassen. Thomas griff in die unterste Schublade und hob den falschen Einsatz heraus, unter dem er die Munition und seine Papiere aufbewahrte. Für einen Safe war er nicht solvent genug. Er füllte jede der Kammern mit Patronen des Kalibers 500 S&W Magnum, obwohl er nur eine brauchen würde. Wer immer seinen Leichnam als Erstes zu sehen bekäme, würde eine schöne Sauerei vorfinden. Dabei war unerheblich, ob er sich die Waffe bei seinem Todesschuss gegen die Schläfe, unter das Kinn oder in den Mund steckte. So oder so würde von seinem Kopf wahrscheinlich nicht viel übrig bleiben und er müsste anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert werden.
Thomas entschied sich für die sicherste Variante und nahm den Lauf in den Mund. Er schmeckte nach Metall und Öl. Ohne lange weiter darüber nachzudenken, spannte er den Hahn und sein Finger zitterte nicht, als er den Abzug betätigte. Er erwartete ein lautes Geräusch, eine Millisekunde Schmerz und dann ewige Dunkelheit. Was er bekam, war ein Klicken, als der Hammer auf die Patrone traf. Ungläubig riss der Privatdetektiv die zuvor geschlossenen Augen auf. Das war doch gar nicht möglich, die Waffe funktionierte einwandfrei und die Patronen waren niemals nass geworden. Er hatte noch nie einen Blindgänger gehabt. Kurz schaute er auf den Revolver, als ob dieser ihm mitteilen könnte, was schief gelaufen war.
Thomas steckte sich den Lauf abermals in den Mund, schloss erneut die Augen und zog den Abzug durch.
Klick.
Er grunzte und wiederholte das Ganze direkt noch einmal.
Klick.
Der Detektiv richtete den Revolver daraufhin in den Raum hinein.
Bäng.
Der Ficus ließ endgültig sein Leben und Thomas Ohren klingelten von dem lauten Schuss.
Diesmal hielt er sich die Waffe an die Schläfe und drückte ab. Wieder kam nur ein Klicken. Die Trommel war einmal durch. Fünf Patronen, vier Blindgänger. Sollte das ein Zeichen sein? Er lud ihn erneut mit neuen Geschossen und hielt sich die Smith & Wesson unters Kinn:
Klick. Klick. Klick. Klick. Klick.
Keine der Patronen zündete. Thomas lud die Waffe erneut und zielte auf das hässliche Bild über dem Sofa, das eine Bar zeigte, an deren Tresen mehrere Leute saßen, die einen Drink nahmen und Detektive darstellen sollten. Da sie von hinten oder maximal im Halbprofil gezeichnet waren, konnte man nur vermuten, um wen es sich handelte. Thomas verpasste Sam Spade und Philip Marlowe, die er immer darauf zu erkennen geglaubt hatte, fünf Körpertreffer. Jetzt klingelten seine Ohren erst recht und er kam sich ziemlich verarscht vor.
Da Schüsse in dieser Gegend nichts Besonderes waren, machte er sich nur wenig Gedanken, dass jemand die Polizei rufen könnte. Aber selbst diese wurden jäh unterbrochen:
DAS WIRD NICHT FUNKTIONIEREN
Wieder ein Satz, der in seinem Kopf dröhnte und nicht von ihm selbst stammte. Die Botschaft klang in seinen Ohren lauter nach als die abgegebenen Schüsse. Da schwante ihm, dass er sich so leicht wohl nicht aus der Affäre ziehen konnte.
Wer oder was auch immer ihm einen Auftrag verpassen wollte, hatte anscheinend erheblichen Einfluss auf die Realität. Nur, wie war das möglich? Wie konnte jemand dafür sorgen, dass die Patronen nur abgefeuert wurden, wenn er sie nicht gegen sich selbst richtete? Der Detektiv beschloss, sich nicht so einfach damit abzufinden.
„Das wollen wir doch mal sehen. Ich bestimme über mein Leben!“, sagte Thomas laut in den Raum hinein.
Er hatte eine andere Idee, ließ die unbrauchbare Waffe fallen und ging in seine Nasszelle. Der Detektiv nahm die quer im Raum aufgespannte Wäscheleine von ihren Haken. Diese war reißfest und bestand aus einem Stahlkern mit Gummiummantelung. Er erinnerte sich noch daran, dass er im Geschäft dafür ein paar Euros extra hingeblättert hatte, weil der Verkäufer ihm dazu geraten hatte. Jetzt war er froh darüber. Er formte an dem einen Ende eine Schlinge und band diese mit dem Henkersknoten. Das hatte er mal in einer alten Doku gesehen und diese vollkommen überflüssige Information war bei ihm hängen geblieben. Thomas sah sich im Raum um, wo er seinen provisorischen Strick anbringen könnte. Da fiel ihm der Deckenventilator ein, den hatte er beim Bezug direkt in den Stahlbalken gebohrt. Etwas Stabileres hatte er nicht. Er stellte sich auf den Schreibtischstuhl und knotete die Leine mit einem Bulinknoten fest. Den hatte er damals beim Klettern gelernt.
Thomas hielt kurz inne. Sie hatten diesen Knoten beide gelernt. Simone und er. Da waren sie relativ frisch verliebt gewesen und hatten die Wochenenden oft mit Wandern und Klettern verbracht. Die zweitschönste Zeit in seinem Leben, nur übertroffen davon, als Simone ihm Niklas geschenkt hatte und sie eine Familie geworden waren. Der Detektiv versuchte, diese Bilder abzuschütteln. Falls es etwas nach dem Tod gab, würde er sie gleich wiedersehen und wenn nicht, würde er wenigstens nicht mehr leiden.
Entschlossen hing er sich mit seinem vollen Gewicht versuchsweise an die Wäscheleine, um sicherzugehen, dass es halten würde. Es hielt. Aber natürlich nur so lange, bis er sich die Schlinge um den Hals gelegt hatte und von seinem Schreibtisch sprang. Da riss dann der schwere Ventilator aus der Decke und landete neben ihm auf dem Boden.
DAS KLAPPT NICHT
Langsam gewöhnte der Detektiv sich an diese einseitigen Botschaften und sein Kopf schien nicht mehr direkt zu explodieren.
„Du kannst mich mal!“, schrie er, wobei es ihm egal war, dass der Empfänger ihn wahrscheinlich nicht hörte.
Thomas hatte die Faxen dicke und sprang ohne weitere Überlegungen in seiner Verzweiflung direkt durch das große Doppelfenster hinter seinem Schreibtisch in den vermeintlichen Freitod. Die Wäscheleine hing dabei noch immer um seinen Hals.
Unnötig zu erwähnen, dass die Markise unter dem Fenster seines Büros seinen Sturz abfederte und er recht wohlbehalten auf der Straße aufschlug. Er hatte zwar ein paar Schrammen, Kratzer und Schnitte davon getragen, aber er war noch immer höchst lebendig.
Als er sich gerade aufgerappelt hatte, sah er einen riesigen SUV mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Straße rasen. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, schmiss sich Thomas mit letzter Kraft vor den schweren PS-Protz. Er hatte bis zuletzt gewartet und war sich sicher, dass dieser nicht mehr ausweichen konnte. Tat er aber doch, auf eine in seinen Augen physikalisch unmögliche Art und Weise. In dem einen Moment war der Kühlergrill unmittelbar vor seinem Gesicht und im nächsten sah er nur noch die Rückscheinwerfer. Den Stunt hätte nicht mal Schumi hinbekommen. Niemand konnte so eine Reaktionszeit haben und ein so schweres Gerät noch herumreißen. Nachdem er Thomas passiert hatte, fuhr der Wagen weiter, als ob nichts gewesen wäre.
Der Detektiv ahnte schon, was nun kommen würde, und behielt recht:
HÖR AUF MIT DEM UNSINN
Es hätte witzig sein können, wenn es nicht so tragisch gewesen wäre. Wieder oben angekommen, schob er den Schreibtischstuhl vor das kaputte Fenster, goss sich einen großen Schluck aus der auf dem Tisch stehenden Flasche Whisky ein und starrte verdrossen in die Gegend, ohne etwas Bestimmtes zu fixieren.
Hier saß Thomas Stunden später immer noch, da ihm aufgrund eines kosmischen Scherzes keine andere Wahl blieb. Die erste Flasche war leer, die zweite geöffnet. Weil die Scheibe kaputt war, wehte in dieser Nacht ein laues Lüftchen in sein Büro. Es nieselte. Gefühlt schon seit Jahren. Thomas wusste nicht, wann es das letzte Mal trocken gewesen war und er die Sonne hatte scheinen sehen. Hatte das Wetter sich seiner Gemütslage angepasst oder anders herum? Er versuchte, diese komischen Botschaften und seine Situation zu verdauen.
Thomas konnte sich nicht umbringen, weil irgendjemand mit scheinbar übernatürlichen Fähigkeiten wollte, dass er einen Auftrag übernahm. Er schien sich nicht dagegen wehren zu können. Also akzeptierte er vorläufig sein Schicksal, lud den Revolver erneut und wartete mit der Waffe in der einen und dem Whiskyglas in der anderen Hand auf diesen ominösen Auftraggeber.
Er war umgeben vom Dunst einer Zigarette, die er sich an der Vorhergehenden angesteckt hatte, und blickte in die Nacht.
Tante-Emma-Läden wechselten sich mit Kneipen, Pfandleihen und Amüsier-Schuppen ab und erschufen so eine dreckige Kulisse, die perfekt zu seiner missmutigen Stimmung passte.
Sein Universum schien schon seit der Tragödie, einem Groschenroman zu ähneln oder aus einem Film noir entliehen, in Grautönen gemalt und bar jeglicher Hoffnung.
Nun war er zu allem Überfluss auch noch ein Spielball der Launen irgendeines dreckigen Mistkerls geworden.
Er forschte in den tiefsten Gehirnwindungen nach einer Erklärung für die Misere, in der er steckte und dachte zwangsläufig auch wieder an seine Frau und seinen Sohn, während er weiter Glas für Glas leerte und Zigarette um Zigarette inhalierte.
Thomas hatte mal ein glückliches Leben geführt, war Familienvater gewesen. Doch das war lang vorbei.
Er nahm einen weiteren tiefen Schluck aus dem Glas und ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Mund herumschwenken, bevor er sie seine Kehle mit ihrem rauen und kratzigen Aroma hinuntergleiten ließ. Eine der wenigen Freuden, die ihm vergönnt waren, was aber nichts erträglicher machte.
Der Detektiv war Ende dreißig. Sein Erzeuger hatte das Weite gesucht, als er gerade in die Schule gekommen war. Eine andere Frau, natürlich ohne Kinder, hatte dabei eine Rolle gespielt. Sie hatten nie wieder etwas von ihm gehört. Seine Mutter war zu stolz, um ihm nachzuspüren und Alimente einzufordern. Also nahm sie mehrere Jobs gleichzeitig an, um sie beide durchzubringen. Daher hatte sie weder die Zeit noch die Kraft, ihn zu erziehen oder ihm eine erstrebenswerte Zukunft zu ermöglichen, obwohl sie das aufopferungsvoll versuchte. Aber es reichte nur für Nahrung und ein Obdach.
Thomas war also viel allein, wuchs in einem sozialen Brennpunkt mit den falschen Leuten auf und verbrachte mehr Zeit auf der Straße als in der Schule. Ohne männliches Vorbild fing er bald an, kleinere Einbrüche zu begehen, dealte, prügelte sich und tat alles, was seine sogenannten Freunde auch taten.
Dann wandte sich das Leben zum Besseren, denn er lernte mit 17 seine zukünftige Frau auf der Party eines Freundes kennen. Simone war zu dem Zeitpunkt 16 und stammte aus gutem Hause. Sie bemühte sich ebenfalls, dass er die Kurve bekam, genau wie seine Mutter. Damit er ein anständiges Mitglied der Gesellschaft wurde. Heiratsfähiges Material. Er wusste bis heute nicht, was sie damals in ihm gesehen hatte, aber sie liebte ihn und er liebte sie. Das genügte vollauf.
Es kam, wie es kommen musste. Nach einer kurzen Phase des Glücks, in der Thomas seinen Arsch hochbekam, versuchte er sein Abitur zu machen. Die Zukunft hätte alles für sie bereithalten können, aber da wurde sie schwanger. Eine Abtreibung kam für die katholische Simone nicht in Betracht, weswegen sie die Schule nach dem Fachabitur abbrach, natürlich in der festen Überzeugung, ihr Abitur nachzuholen, sobald das Kind aus dem Gröbsten raus sei, wozu es selbstverständlich nie kam.
Thomas ging nach bestandener Abiturprüfung zur Polizei, ein Verehrer seiner Mutter besorgte ihm einen Ausbildungsplatz dort, ganz so viele Optionen gab es nicht, um die Familie durchzubringen. Sie zogen in eine billige Wohnung, sein Sohn Niklas kam zur Welt und eine Zeit lang arrangierten sie sich mit der Situation. Sie hatten wenig, aber sie waren zusammen und sie waren glücklich.
Eines Abends, sein Sohn Niklas war gerade sechs geworden und sollte nach den Sommerferien in die Schule kommen, fuhr ein betrunkener Autofahrer schnurstracks auf den Bürgersteig und beendete die Leben seiner Frau und seines Sohnes. Einfach so. Thomas hatte das Ganze mitansehen müssen. Simone und Niklas hatten sich um die Ecke ein Eis geholt und waren auf dem Heimweg. Er kam gerade von der Schicht und sah noch die freudige Erwartung in den Gesichtern seiner Familie, bevor das Auto von der Straße abkam und sie niedermähte. Mit ihrem Blut im Gesicht, so nah waren Sie ihm schon gewesen, fast in Sicherheit, stellte er direkt fest, dass jede Rettung zu spät kam. Thomas hielt die verstümmelten Leichen der beiden Menschen, die ihm alles bedeuteten in den Armen und schrie und weinte.
Als der besoffene Typ aus dem Auto stieg, um zu sehen, was er angerichtet hatte, sah Thomas sprichwörtlich rot und schlug auf ihn ein, ausdauernd und so hart er konnte. So lange bis einige Passanten in der Lage waren, ihn in seiner wilden Raserei zurückzuhalten.
Die Rettungssanitäter stellten den Tod von Simone und Niklas fest und verfrachteten den Unglücksfahrer ins nächste Krankenhaus, wo er in derselben Nacht seinen Verletzungen erlag. Thomas‘ Waffenbrüder von der Polizei legten ihm Handschellen an und brachten ihn auf die Wache. Im Gerichtsverfahren wurde er zwar schuldunfähig gesprochen und seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, aber als Polizist konnte er daraufhin nicht mehr arbeiten.
Sein ehemaliger Vorgesetzter riet ihm, seine Brötchen zukünftig als Privatdetektiv zu verdienen, denn dafür brauchte er keine Ausbildung und konnte auf seinen Erfahrungsschatz als Polizeibeamter zurückgreifen.
Das war vor etwa zehn Jahren. Seitdem führte er diese Kanzlei und hielt sich irgendwie über Wasser. Er suhlte sich in Selbstmitleid und Whisky und nahm einen beschissenen Job nach dem anderen an. All dies führte ihn zu dieser Nacht, in der es gleich an der Tür klopfen würde und sein außergewöhnlicher Auftraggeber erscheinen würde.
Wenn er überhaupt jemand empfangen müsste, dann sollte es wenigstens wie in den Filmen eine Femmes fatales in einem roten Kleid sein. Das hätte zumindest einen gewissen Stil. Aber so viel Glück würde ihm wohl eher nicht vergönnt sein.
Wer auch immer da gleich erschien, Thomas würde versuchen, den Auftrag abzulehnen, doch er wusste jetzt schon, das würde ihm nicht gelingen. Der Fremde mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten würde einen Weg finden. Was sollte Thomas auch sonst machen, wenn sein Leben sowieso nicht mehr ihm gehörte? Blöd hier rumsitzen und sich zuschütten, bis seine Leber versagte? Das klappte ja wahrscheinlich auch nicht.
Thomas spürte, jetzt war es fast so weit. Beinahe bildete er sich ein, Parfüm zu riechen und hohe Absätze im Treppenhaus zu hören, doch nichts davon war wirklich.
Draußen begann es heftiger zu regnen, zu blitzen und zu donnern, wie um die passende Stimmung zu erzeugen, in dieser Nacht, die sein Schicksal werden sollte.
Thomas wusste schon fast gar nicht mehr, wie Tageslicht aussah, seine Tage waren seit dem Unglück nur noch grau und düster. Er schlief tagsüber in dieser 2-Zimmer-Wohnung, die er zur Kanzlei umgestaltet hatte.
Meistens waren es Männer, die Beweise für die Affären ihrer Frau brauchten. Oder Frauen, die das Gleiche benötigten, um sich von ihren untreuen Männern scheiden zu lassen. Manchmal war es ein kurzfristiger Personenschutz für einen Abend. Lausige Fälle, lausige Bezahlung. Kein Glamour in dieser Branche.
Thomas erwartete diese verzweifelten Seelen, hinter seinem ramponierten Schreibtisch. In einem fadenscheinigen zerknitterten Anzug, der weitaus bessere Tage gesehen hatte. Manchmal erwischten sie ihn auch schlafend auf dem, in der Ecke stehenden Sofa. Da er sich keine Empfangsdame leisten konnte und im Suff kein Bett benötigte, war dies hier gleichzeitig Büro und Wohnung. Im Hinterzimmer war seine spärliche Garderobe untergebracht und das kleine Bad beherbergte die Toilettenutensilien. Nicht gerade eine kundenfreundliche Atmosphäre, aber wer so verzweifelt war, zu jemandem wie ihm zu kommen, der erwartete auch nicht viel. Bestenfalls die Lösung seines Problems und mehr war Thomas nicht: ein Problemlöser.
Ein Klopfen riss ihn aus seinen Überlegungen und als er sich umdrehte, erwartete Thomas die Silhouette einer sexy Frau, umgeben von Zigarettendunst zu sehen, die ihm mit kratziger, aber verführerischer Stimme einen Job anbieten würde.
Was er erkennen konnte, war jedoch eine schmale Gestalt, die höchstens einen Meter groß war. Diese sah irgendwie unförmig aus, wirkte etwas plump und dicklich.
Thomas spannte den Hahn des Revolvers. Wenn ihm die Visage dieses Mistkerls nicht gefiele oder das was er zu sagen hatte, würde er ihn direkt wegblasen. Zumindest, falls die Knarre bei dem Ankömmling funktionierte, was mittlerweile irgendwie unwahrscheinlich war.
Mit zusammengebissenen Zähnen stieß er mehr ein Knurren als ein Wort aus: „Herein.“
Die Tür schwang langsam auf und die kleine Gestalt trat aus dem dunklen Flur in den diffusen Lichtschein des Büros. Thomas traute seinen Augen nicht.
Ein etwa einen Meter großer Teddybär, tapste in den Raum. Er war braun und hatte riesige schwarze Knopfaugen. Da hörte die Ähnlichkeit mit einem Kuscheltier aber auch schon wieder auf. Der Bär trug eine schwarze Lederhose mit etlichen aufgenähten Schnallen und Nieten. Die Hose hatte etwas Hochwasser und ließ weiße Socken in ebenfalls schwarzen Lederschuhen aufblitzen. Der Oberkörper steckte in einem silbernen, eng anliegenden Oberteil, das an den Ärmeln auch mit Nieten und Schnallen bestückt worden war, was natürlich zu einem stimmigen Gesamtbild beitrug. Als ob das alles nicht schon mehr als genügt hätte, trug das Kuscheltier darüber hinaus einen überdimensionierten Gürtel, der ein wenig an einen Box-Championship-Gürtel erinnerte und lief hier einfach so mit selbstverständlicher Gelassenheit, als wäre es die normalste Sache der Welt, auf den Schreibtisch zu. Zu seinem Glück hätte nur noch gefehlt, dass dieser Plüsch-Jacko ein Tänzchen hinlegte und einen Song performt hätte.
Den Gefallen tat er dem Detektiv aber nicht. Im Gegenteil, er blieb mitten im Raum in lässiger Pose stehen und sprach ihn direkt an, während Thomas ihn nur mit offenem Mund anstarren konnte.
„Nabend“, gab das kleine Wollknäuel von sich.
Klar, er trug Kleidung, lief durch die Gegend, dann musste er ja auch sprechen können. Ging ja nicht anders. Mehr als nur leicht irritiert erwiderte Thomas den Gruß nicht.
„Schnüffler, ich habe einen Auftrag für dich, der dein Leben verändern wird“, setzte die kuschelige Gestalt süffisant hinzu.
Thomas war vollkommen überrumpelt und konnte die Situation noch gar nicht wirklich begreifen, geschweige denn akzeptieren, was hier vor sich ging. Deswegen konnte er auch keine Antwort geben.
Was für ein Tag. Langsam hatte Thomas keinen Bock mehr. In Ermangelung einer besseren Alternative tat er, was er die letzten Stunden auch getan hatte. Er zündete sich eine neue Fluppe an, inhalierte tief, goss sich gleichzeitig einen dreifachen Whisky ein und stürzte diesen hinunter.
Unbeeindruckt davon fragte sein ungebetener Besucher: „Da es mit Höflichkeit und Gastfreundschaft hier anscheinend nicht allzu weit her ist, dürfte ich mir dann wenigstens selbst auch einen Drink nehmen?“
Seine Stimme klang alles andere als teddybärig, eher wie die eines Barmanns, der in den letzten 30 Jahren mehr Zigaretten geraucht als Getränke ausgeschenkt hatte.
Da Thomas nach wie vor nicht wusste, wie er reagieren sollte, kam er dem Bärchen etwas entgegen. Er holte ein weiteres Glas von der Anrichte neben seinem Schreibtisch und blies kräftig hinein, um den Staub halbwegs heraus zu bekommen. Dann füllte er es mit zwei Fingerbreit Whisky, womit die zweite Flasche auch Geschichte war. Daraufhin ließ er es über den Tisch gleiten und bevor es von der Tischkante hinunter segeln konnte, stoppte der Fellige es gar nicht so ungeschickt mit seinen beiden Tatzen. Er goss sich den Drink genauso hinter die Binde, wie Thomas es zuvor getan hatte, nur halt beidpfotig.
„Ich hätte nicht erwartet, dass du stumm bist“, schoss der Bär verbal in seine Richtung.
„Ich hätte nicht erwartet, dass Jacko geschrumpft und in einem mottenzerfressenen Fellbündel reinkarniert, heute in mein Büro tapsen und mir einen Auftrag erteilen würde“, gab Thomas bissig zurück.
„Was sollte ich denn deiner Meinung nach tragen?“, fragte der Bär angriffslustig. „Einen grauen, fleckigen, zerknautschen, drittklassigen Anzug von der Stange, kombiniert mit einem zerknitterten, weißen Hemd? Um den Hals eine fürchterlich hässliche, schlecht gebundene anthrazitfarbene Krawatte? Und ausgelatschte, dreckige Lederschuhe, die farblich nicht zum Gürtel passen?“
Thomas sah an sich runter und konnte ihm jetzt nicht in jedem Punkt widersprechen, so gerne er das auch getan hätte. Er machte eine Handbewegung an seiner Gestalt herauf und herunter und entgegnete: „Touchè. Aber findest du deinen Aufzug jetzt wirklich modisch up to date?“
Statt zu antworten schüttelte der Teddy, natürlich ohne zu fragen, eine Zigarette aus der auf dem Tisch liegenden Schachtel und hob sie mit dem Mund auf.
„Nicht so leicht ohne Finger, was?“, fragte der Detektiv ihn amüsiert.
Der Bär hatte augenscheinlich erneut keine Lust zu antworten, ließ sich stattdessen von Thomas Feuer geben und inhalierte tief.
Das Kuscheltier mit der Reibeisenstimme und dem zuckersüßen Gesicht, schnaubte verächtlich, holte von ganz tief unten einen beachtlichen Schleimbatzen hervor und spie selbigen auf den Teppich des Privatdetektivs. Das war Thomas da aber auch schon egal.
„Hast du Arschloch etwa etwas gegen den größten Musiker, den die Welt je gesehen hat?“
„Nein. Ich habe Elvis immer sehr geschätzt“, erwiderte Thomas trocken.
„Diesen verkackten Lastwagenfahrer aus Tupelo, Mississippi, der 1977 stark übergewichtig an einem Cheeseburger auf seinem eigenen Klo erstickt ist?“
„Wie sprichst du denn über den King? Den erfolgreichsten Solokünstler aller Zeiten, der auch 45 Jahre nach seinem Tod noch immer Generationen fasziniert und beeinflusst. Wie kann man nur auf einen schwarzen Bengel aus Gary, Indiana stehen, der seine eigene Hautfarbe verleugnet und sich 2009, weit nach Überschreitung seines Zenits, mit einer Überdosis Schlafmittel in den Rock ’n’ Roll-Himmel verabschiedet hat?“
„Es gibt nur einen King. Den King of Pop.“
„Lachhaft. Der einzige King ist der King of Rock ’n‘ Roll.“
Der Bär seufzte tief und stellte fest: „Das kann ja heiter werden. Hier kommen wir erst mal nicht weiter, oder?“
„Nein, ich glaube, das treibt die Geschichte nicht voran. Was zur Hölle bist du? Was willst du von mir? Und wieso lässt du nicht zu, dass ich sterbe? Das warst du doch, oder?“
„Das kann ich nicht alles gleichzeitig beantworten.“
„Ok, dann fangen wir kleinschrittig an. Wie heißt du?“
„Mein Name ist Bo, für meine Freunde BB.“
Thomas konnte nicht anders, trotz aller Absurditäten dieses Tages und kicherte: „BB? Bo Bär?“
Der Teddy verzog keine Miene.
„Ok. Scheiß auf deinen Namen. Was bist du?“
„Was ich bin? Ist das nicht offensichtlich? Ich bin ein Bär und dein Sidekick bei dieser Mission. Jeder hat seine Rolle zu spielen und das ist meine. Du bist der abgefuckte Privatschnüffler, der Mann fürs Grobe. Gemeinsam haben wir etwas zu erledigen, dass von größter Wichtigkeit ist. Hast du noch was zu trinken?“
„Nein.“
„Na, dann können wir ja auch anfangen.“
„Womit anfangen?“
„Das erklär ich dir unterwegs.“
„Und wenn ich mich weigere?“
„Das hat dir ja bisher viel gebracht, dich gegen deine Bestimmung aufzulehnen, Thomas“, antwortete Bo sarkastisch. „Tja, das ist nur ein Unterschied zwischen uns beiden. Du willst sterben, weil dein Leben Scheiße ist, und warst extrem schockiert, dass ich das nicht zugelassen habe. Ich hingegen freue mich auf diese Mission und habe diese auf dem Weg hierhin direkt genossen. Und mir den ein oder anderen Abgang beschert.“
„Du hast gewichst, bis du an meine Tür geklopft hast?“
„Ja und es war herrlich. Wenn wir nämlich ungefähr das machen, was von uns erwartet wird, haben wir durchaus Freiheiten bei dieser Sache. Die gedenke ich zu nutzen, solange es mir möglich ist.“
„Du bist also gar nicht der Obermotz?“, fragte der Detektiv.
„Nein. Auch ich bin nur ein kleines Rädchen im Getriebe.“
„Es macht dich geil unfrei zu sein? Bist du Hedonist?“
„Weder das eine noch das andere. Aber ich mache das Beste aus der Situation.“
„Ich bin mittlerweile eher Fatalist“, gab Thomas zu.
„Wird mir gerade philosophisch gesehen etwas zu anstrengend. Du hast also alle Hoffnung fahren lassen? Macht das Dasein da noch irgendeinen Sinn?“
„Nein. Deswegen will ich ja auch nicht mehr leben.“
„Das wäre aber eine Verschwendung wertvoller Ressourcen und das kann ich nicht zulassen. Wie dem auch sei. Ich gedenke meinen Auftrag zu erfüllen und abseits davon genieße ich so viel ich kann“, erklärte der Bär.
„Darf ich dir eine Frage stellen?“
„Klaro, wir sind ja jetzt quasi Partner.“
„Woran denkt ein jackoverehrender Teddybär beim beidpfotigen Onanieren?“
„Auf jeden Fall nicht an deine Wichsfresse!“, sagte der Teddy provokant.
„Nee, ernsthaft. Verrat es mir.“
Der Bär schüttelte den Kopf.
„Dann erklär endlich, was du von mir willst.“
„Auf dem Weg. Können wir jetzt los oder dauert diese fruchtlose Unterhaltung noch die ganze Nacht?“
„Ich werde nichts dergleichen tun. Ich bleibe hier entspannt sitzen.“
Anstatt etwas zu erwidern, spuckte der Teddybär die Zigarette, die er die ganze Zeit im Mundwinkel hatte baumeln lassen, ebenfalls auf den Teppich. Das war der Moment, in dem dieser und der Zeitungsstapel Feuer fingen.
Bo grinste den Privatdetektiv an: „Du hast keine Chance, dich zu weigern.“
Thomas sah sich um und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn das alles fertig machte. Er hatte keinen Feuerlöscher, das war ihm immer zu überkandidelt erschienen. Das Grinsen des Bären wurde noch breiter. Da kam dem Detektiv eine Idee. Er stellte sich vor das langsam immer größer werdende Feuer, öffnete seinen Hosenstall und wollte selbiges auspinkeln. Was natürlich nicht funktionierte, hätte ihm klar sein sollen. Sein Urin wirkte wie ein Brandbeschleuniger und die Flammen züngelten in Sekundenschnelle doppelt so hoch.
„Bisschen viel getankt, was?“, stellte Bo belustigt fest.
Thomas war echt fassungslos. Trotzdem drehte er sich in einer schnellen Bewegung um, riss die Decke von der Schlafcouch und erstickte damit die Flammen, was tatsächlich gelang. Äußerst zufrieden drehte er sich zu Bo um, der zu seinem Entsetzen aber noch immer sehr siegessicher aus der Wäsche schaute. Er hob die Tatzen an seine Ohren und hielt sie sich zu. Thomas konnte sich keinen Reim darauf machen, bis ein ohrenbetäubender Knall ertönte, eine Explosion das halbe Gebäude in Schutt und Asche legte und er mit einem mal aus seinem Büro ungehindert auf das Nachbarhaus gucken konnte. Da, wo ihm vorher die Wand zur Nachbarwohnung den Blick verstellt hatte.
Der Bär lachte verächtlich, zuckte die Schultern und verließ das Büro.
Draußen sah Thomas Feuerwehr und Krankenwagen mit viel Tamtam, Blaulicht und Sirene ankommen. Eine megaphonverstärkte Stimme erklärte, dass das Gebäude evakuiert werden müsse, da es aufgrund einer Gasexplosion nicht mehr sicher sei.
Ach was, dachte Thomas sich und ergab sich seinem Schicksal, so viel konnte er anscheinend wirklich nicht dagegen ausrichten. Der Bär saß einfach am längeren Hebel. Noch zumindest. Thomas würde diesen Auftrag erledigen, um danach endlich das durchzuziehen, was er sich vorgenommen hatte.
Er nahm seinen Trenchcoat vom Haken, steckte seine Brieftasche und seinen Autoschlüssel ein und ging diesem komischen Teddybären hinterher.
Der Regen war wieder in ein Nieseln übergegangen. Als Thomas draußen angekommen war, begrüßte BB ihn mit den Worten: „Oh. Elvis has left the building.“
Auf diesen überflüssigen Kommentar ging er nicht ein, sondern direkt zu seinem 1955er Cadillac-Fleetwood-Sixty-Special, sein ganzer Stolz und die einzige Sache, die ihm nach dem plötzlichen herzinfarktbedingten Tod seiner Mutter noch etwas auf dieser Welt bedeutete. Er setzte sich hinters Steuer, startete den Motor und fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag ein wenig wohl. Es war ein Nachbau des Wagens, den der King seiner Mutter geschenkt und das Einzige, was Thomas sich jemals in seinem Leben gegönnt hatte.
Bo klopfte an die Tür. Der Detektiv zog an der Beifahrertür den Knopf nach oben und zog am Griff. Dann musste er warten, bis das Bärchen erst den Fußraum geentert und den Beifahrersitz erklommen hatte. Keiner der Passanten schien davon Notiz zu nehmen oder es ungewöhnlich zu finden, dass ein Teddybär im Bühnenoutfit durch die Gegend lief, also störte Thomas sich auch nicht länger daran. Da es seinem Begleiter sichtlich schwerfiel, ohne Hände die Tür zu schließen, beugte er sich über ihn und machte das selbst. Zu guter Letzt schnallte er die haarige Gestalt an.
„Schicker Wagen. Eine Klitzekleinigkeit zu feminin, oder?“, fragte der Bär, als er sich umsah.
„Du hast keine Ahnung, wie maskulin dieser Wagen ist, Fellgesicht.“
„Aber er ist Pink.“
„Und?“
„Und nix.“
Der Bär verschränkte die Arme.
„Das ist das Auto des Kings“, sagte Thomas voller Stolz.
„King Richard ist Caddillac gefahren?“
„Albernes Bärchen. Elvis hat genau so einen Wagen gehabt und er steht noch immer in Graceland.“
„Schwul. Genauso schwul wie sein Hüftschwung.“
„Dein Bubi konnte noch nicht mal Auto fahren. Der hat sich nur immer in den Schritt gefasst, um zu sehen, ob sein Minidödel nicht vielleicht doch durch das ganze Bleichen abgefallen ist.“
Bo sah ihn böse an, nur um dann zu erwidern: „Trotzdem schwul. Ist dir eigentlich klar, dass mein King, die Tochter von deinem gebumst hat?“
„Das sehe ich nicht so.“
„Wie bitte?“, fragte der Teddy.
„Er hat sie nicht gebumst.“
„Die waren zwei Jahre verheiratet“, warf Bo ein.
„Aber die Ehe wurde nie vollzogen“, erwiderte der Detektiv.
„Und wie sie die vollzogen haben. Jede Nacht haben sie vollzogen und er hat Lisa Marie so richtig durchgenommen.“
„Albern. Der hat weder Lisa Marie gepoppt noch diese komische Debbie.“
„Hast du dir seine Kinder mal angesehen? Natürlich sind die von ihm. Voll die ähnlichen Gesichtszüge und so“, sagte Bo.
„Aber er hat ihn nicht reingesteckt.“
„Wie meinen?“
„Na, das war eine künstliche Befruchtung. Und ich hoffe für all die anderen armen Kinder, dass er ihn auch da nicht reingesteckt hat.“
„Du verdammter Hund. Verleumder! Das ist alles erstunken und erlogen!“
Thomas sah, wie sehr der Bär sich aufregte und wie ihm beim Keifen die Spucke von den Lippen troff. Er beschloss, noch eins draufzusetzen: „Wenn ich es mir recht überlege, glaube ich auch nicht, dass er ihn überhaupt jemals irgendwo reingesteckt hat.“
Vertrauensvoll beugte er sich zu Bo hinüber.
„Ich glaube, der ist ihm bei der Bleicherei und den OP‘s abgefallen.“
Der Teddybär schaute ihn nun an, als ob er den Verstand verloren hätte.
„Spinnst du?“
„Nein, überleg doch mal, das erklärt sowohl die Kopfstimme als auch den ständigen Griff in den Schritt. Er hat ihn halt Zeit seines Lebens gesucht.“
Der Bär hatte auf die Diskussion allem Anschein nach keine Lust mehr.
„Willst du jetzt endlich mal mit deiner bereiften Kasparschaukel losfahren?“
„Wo geht’s denn hin?“, antwortete Thomas und verbuchte das nach der ganzen Schikane, der er in den vergangenen Stunden ausgesetzt war mal als Sieg.
„Wir fahren zum Waisenhaus“, entgegnete das Bärchen bestimmt.
„In diesem sumpfigen Moloch von einer Stadt gibt es ein Waisenhaus?“
„Na klar, hast du eine Ahnung, wie viele Waisen eine Stadt wie diese hervorbringt?“
„Unzählige möchte ich wetten.“
„Mit der Einschätzung liegst du verdammt richtig.“
Während sie durch eine graue, hässliche, urbane Landschaft fuhren, die wie eine Mischung aus Berlin, Chicago und Basin City aussah, wurde der Regen wieder stärker. Trotzdem genoss er die Fahrt, das vertraute Gefühl hinter diesem Lenkrad. Als sie eine Weile schweigend vor sich hingefahren waren und der Bär weder mit Einzelheiten zu dem Auftrag, noch zum Standort ihres Ziels herausrückte, sagte Thomas: „Wo ist denn dieses verdammte Waisenhaus?“
„Fahr einfach aus der Stadt raus, Richtung Norden, dann werden wir schon darauf stoßen.“
„Warum weißt du eigentlich mehr als ich?“
„Weil ich um einiges cooler bin als du.“
„Im gleichen Ausmaß wie Jacko cooler als der King war? Ich schmeiß mich weg“, antwortete Thomas sarkastisch.
„Natürlich war der King of Pop cooler als der hüftenschwingende Milchbubi, dem du hörig bist. Vergleich doch mal den Moonwalk mit diesem schwulen Rumgehampel, so von wegen Außenwirkung und Stil.“
„Bist du schon wieder homophob?“