Ein Mädchen sprengt die Fesseln - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Mädchen sprengt die Fesseln E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Der sechzigste Geburtstag Ottmar Mehrings stand vor der Tür, und er sollte selbstverständlich groß gefeiert werden. Aber wie immer, wenn ein Familienfest ins Haus stand, bekam Hanna Mehring zwei Tage vorher Migräne oder Ischiasschmerzen. Hedi Mehring, die Älteste der vier Geschwister, kannte und wußte das schon, denn dann konnte alle Vorarbeit auf sie abgewälzt werden. Hannas Kraft reichte gerade zum Einkaufen. Auch Dr. Norden hatte da schon seine Erfahrungen gesammelt, denn er wurde dann selbstverständlich ins Haus gerufen, um der Patientin zu bescheinigen, daß sie nicht überfordert werden dürfte. Und was sollte er schon dagegen tun? Er wußte, daß Hanna Mehring äußerst labil war, daß sie aber immerhin vier Kinder zur Welt gebracht hatte und die Geburten nicht immer leicht gewesen waren. Aber er wußte auch, daß alles nur auf Hedi abgewälzt wurde. Hedi war achtundzwanzig Jahre, und sie war in allererster Linie die »große Schwester«. Knapp zwei Jahre alt war sie, als der Stammhalter Günter geboren wurde, und bei ihrem Vater war sie abgemeldet, war er doch schon beleidigt gewesen, daß ihm seine Frau nicht zuerst einen Sohn geboren hatte. Aber da hatte noch die Omi im Haus gelebt, die Hedi abgöttisch liebte und von der das Kind nicht an die zweite Stelle gesetzt wurde. Die Omi glich aus, was Hedi fortan entbehren mußte, und Hedi war da ja auch noch zu klein, als daß man sie schon zur Mitarbeit im Haushalt einspannen konnte. Weitere zwei Jahre später kam Susanne zur Welt, und wenn Günter dann etwas anstellte, war natürlich Hedi schuld und

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Dr. Norden Bestseller – 268 –

Ein Mädchen sprengt die Fesseln

Patricia Vandenberg

Der sechzigste Geburtstag Ottmar Mehrings stand vor der Tür, und er sollte selbstverständlich groß gefeiert werden. Aber wie immer, wenn ein Familienfest ins Haus stand, bekam Hanna Mehring zwei Tage vorher Migräne oder Ischiasschmerzen.

Hedi Mehring, die Älteste der vier Geschwister, kannte und wußte das schon, denn dann konnte alle Vorarbeit auf sie abgewälzt werden. Hannas Kraft reichte gerade zum Einkaufen.

Auch Dr. Norden hatte da schon seine Erfahrungen gesammelt, denn er wurde dann selbstverständlich ins Haus gerufen, um der Patientin zu bescheinigen, daß sie nicht überfordert werden dürfte. Und was sollte er schon dagegen tun? Er wußte, daß Hanna Mehring äußerst labil war, daß sie aber immerhin vier Kinder zur Welt gebracht hatte und die Geburten nicht immer leicht gewesen waren. Aber er wußte auch, daß alles nur auf Hedi abgewälzt wurde.

Hedi war achtundzwanzig Jahre, und sie war in allererster Linie die »große Schwester«. Knapp zwei Jahre alt war sie, als der Stammhalter Günter geboren wurde, und bei ihrem Vater war sie abgemeldet, war er doch schon beleidigt gewesen, daß ihm seine Frau nicht zuerst einen Sohn geboren hatte.

Aber da hatte noch die Omi im Haus gelebt, die Hedi abgöttisch liebte und von der das Kind nicht an die zweite Stelle gesetzt wurde. Die Omi glich aus, was Hedi fortan entbehren mußte, und Hedi war da ja auch noch zu klein, als daß man sie schon zur Mitarbeit im Haushalt einspannen konnte. Weitere zwei Jahre später kam Susanne zur Welt, und wenn Günter dann etwas anstellte, war natürlich Hedi schuld und wurde bestraft. Sie war ja schon vier Jahre und mußte Verstand haben und auch auf den kleinen Bruder aufpassen. Er ging auf die »große« Schwester los und auf die kleine dann erst recht. Weitere drei Jahre danach kam dann Klaus zur Welt.

Wie Hedis Leben bisher verlaufen war, erfuhr Dr. Norden erst an diesem Tag Anfang Januar, als er zu Hanna Mehring gerufen wurde.

Es herrschte klirrende Kälte, nachdem es kurz nach Neujahr getaut hatte. Auf die Eisglätte war dann Neuschnee gefallen, und als Hedi Dr. Norden die Gartentür öffnen wollte, weil der elektrische Türöffner eingefroren war, glitt sie aus und verstauchte sich den Arm.

Da wurde Dr. Norden, noch bevor er Hedi Erste Hilfe leisten konnte, von Hanna Mehrings Gezeter empfangen.

»Mein Gott, auch das noch«, stöhnte sie und griff sich an die

Stirn. »Ich meine, mir müßte der Kopf zerspringen, solche Schmerzen habe ich, und du stellst dich

mal wieder an…« Sie hielt inne,

weil Dr. Norden ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. »Ich wollte nur sagen, daß ich mich kaum auf den Beinen halten kann, und wer soll denn jetzt die ganze Arbeit machen?«

»Es tut mir leid, Mutter«, sagte Hedi. »Ich bin nicht mit Absicht hingefallen. Und es wird schon nicht so schlimm sein.«

Dr. Norden nahm ihre Hand empor, und sie konnte es nicht verhindern, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß.

»Auf jeden Fall muß der Arm geröntgt werden«, sagte Dr. Norden. »Ich nehme Sie gleich mit in die Klinik, Hedi.«

»Und ich, wer versorgt mich?« jammerte Hanna Mehring.

»Ich werde Klaus wecken«, sagte Hedi. »Er studiert ja Medizin und kann sich mal um dich kümmern. Es ist jetzt zehn Uhr, da kann er ruhig aufstehen.«

Sie wußte selbst nicht, woher sie den Mut nahm, solche Töne anzuschlagen, aber Hanna starrte ihre Tochter sprachlos an.

»Klaus kann doch keine Kuchen backen«, murmelte sie.

»Wenn es nicht anders geht, müssen wir die Kuchen eben beim Konditor bestellen, Mutter«, erklärte Hedi.

»Mein Gott, was das kostet, Vater wird das nicht wollen.«

»Dann soll Susanne Kuchen backen«, sagte Hedi. »Es tut mir wirklich leid, aber mir tut der Arm weh. Und wenn du dich ein bißchen zusammenreißen würdest, könntest du auch etwas tun.«

Sie wußte nicht, wie aggressiv sich das anhörte, aber sie hatte so starke Schmerzen, daß sich etwas in ihr gelöst hatte, was sie lange Zeit wie ein Panzer einengte. Dr. Norden staunte, insgeheim freute er sich auch über diese Reaktion, denn er wußte genau, daß Hanna Mehring durchaus in der Lage war, selber Kuchen zu backen. Jedenfalls war Hanna sprachlos.

Hedi rief nach Klaus, und der kam schließlich mürrisch an die Treppe. Er sah verkatert aus, und Hedi wurde noch aggressiver, als er frech wurde.

Ja, Dr. Norden bekam zum erstenmal den richtigen Eindruck vermittelt von dieser Familie, die nach außen hin so vollkommen schien.

Klaus wagte jedenfalls keinen Widerspruch mehr, als er ihm erklärte, daß Hedis Unterarm wahrscheinlich angebrochen sei. Und da er ja schon im dritten Semester wäre, könnte er seiner Mutter die schmerzstillenden Medikamente wohldosiert verabreichen.

Aber Hanna wollte keine Medikamente einnehmen. Sie machte auch keinen schmerzgeplagten Eindruck mehr, als Dr. Norden mit Hedi das Haus verlassen hatte.

»Das hat sie mit Absicht gemacht«, zischte sie. »Sie war schon die ganzen letzten Tage aufsässig. Seit Silvester, weil Brandl sie hat sitzen lassen.«

»Meine Güte, da habt ihr doch auch nachgeholfen«, sagte Klaus ehrlich. »Ihr wollt doch gar nicht, daß sie heiratet. So eine billige Haushälterin bekommt ihr nicht mehr.«

»Was erlaubst du dir?« fuhr Hanna ihren Jüngsten an.

»Was wahr ist, muß wahr bleiben. Mit Susanne hättet ihr das nicht machen können. Sie hat lieber gleich den Erstbesten geheiratet, um hier rauszukommen, und mir hängt’s auch zum Hals heraus, mir dauernd dein Gestöhne anzuhören.«

Hanna war fassungslos. Sie war zwar auch von Günter schon harte Töne gewohnt, aber Klaus war ja schließlich noch von ihnen abhängig. »Und was machst du, wenn Vater dich vor die Tür setzt?« fragte sie erbost.

»Was ich dann mache? Dieses blöde Studium hinschmeißen, weil man doch nicht weiß, ob man danach eine Stellung kriegt. Ich will Geld verdienen, liebe Mutter, viel Geld, und unabhängig sein.«

»Gerade du, weil du so fleißig bist«, sagte sie.

Er lachte auf. »Du hast ja keine Ahnung, womit man viel Geld verdienen kann. Unser Alter rechnet doch nur mit den Zahlen, mit dem Geld, das andern aus der Tasche gezogen wird. Und wenn du es genau wissen willst, Mutter, mir hängt alles zum Hals heraus. Mir tut Hedi richtig leid, weil sie sich so ausnutzen läßt. Sie hat jetzt bestimmt größere Schmerzen als du, so viel verstehe ich schon von Verstauchungen und Brüchen.«

Er lächelte spöttisch. »Ist es nicht so, daß du immer deine Migräne und deine Ischiasschmerzen bekommst, wenn ein Familientag ins Haus steht, Mutter? Früher hat ja Oma immer alles gemacht…«

»Hör auf, hör endlich auf und leg dich wieder hin!« schrie sie ihn an. »Mir kommt es grad so vor, als hättest du dich mit Hedi verabredet.«

»Das habe ich bestimmt nicht«, erwiderte er, »aber ich habe zum erstenmal begriffen, daß keiner je daran gedacht hat, daß ihr auch mal was fehlen könnte.«

*

Dr. Norden war auf solchen Gedanken mittlerweile auch gekommen.

»Jetzt bin ich wieder mal der Sündenbock«, sagte Hedi nämlich, als sie zur Klinik fuhren. »Früher war ich es immer, wenn die Kleinen was angestellt hatten, jetzt bin ich als Haustochter abgestempelt. Warum mußte es ausgerechnet mir passieren, daß meine Firma pleite macht, Dr. Norden.«

»Sie könnten doch aber eine andere Stellung finden, Hedi«, sagte er.

Sie lachte blechern auf. »Das habe ich doch gar nicht nötig. Ich werde doch so nötig gebraucht, und schließlich wollte mich ja ein lieber, netter Mann, der eine gute Stellung hat, auch heiraten. Aber er wollte eben nicht meine Eltern mitheiraten oder nicht die Haushälterin meiner Eltern, denen doch zumindest ich verpflichtet bin, da ich es nur bis zur mittleren Reife schaffte.«

»Hedi, so kenne ich Sie ja gar nicht«, sagte Dr. Norden bestürzt.

»Das machen diese blöden Schmerzen!« stieß sie hervor. »Ich kenne mich selber nicht mehr. Ja, ich hatte eine Wut, als Mutter heute morgen wieder mit ihrem wehleidigen Geschwätz anfing, nachdem sie mir gesagt hatte, welche Kuchen gebacken werden müßten, und was alles aufgetischt werden sollte für diese faule und gefräßige Gesellschaft.« Sie unterbrach sich und wischte sich ein paar Tränen von den Wangen. »Entschuldigen Sie, Dr. Norden, ich sollte so nicht reden, aber ich mag nicht mehr, daß man mich immer nur als die Hausmamsell betrachtet. Früher habe ich das wenigstens nur abends aushalten müssen, aber seit ich arbeitslos bin, geht es von früh bis spät so, und ich bekomme dann auch noch zu hören, daß ich dankbar sein müßte, bei ihnen leben zu können. Mein Gott, warum habe ich es nicht so gemacht wie Susanne und einfach irgendeinen Mann geheiratet. Es gab ja auch ein paar, die mich heiraten wollten, aber ich habe mir Dieter eingebildet, und er ist auch nicht anders als die andern. Mir hat nie jemand eine richtige Chance gegeben, und in der Schule war ich eben nicht so gut. Dankbar mußte ich immer sein, daß ich es so gut habe. Als Omi noch lebte, hatte ich wenigstens einen Menschen, der mich richtig liebhatte, aber dann, als ich aus der Handelsschule kam, konnte sie mir auch nicht mehr helfen. Da hat Vater alles bestimmt. Erst mußte ich alles lernen, was eine Frau für das Leben braucht. Vor allem kochen und nähen, waschen und bügeln, um Mutter zu helfen. Dann sollte ich natürlich auch noch Geld verdienen, und ich durfte eine Lehre im Büro machen. Das hat mir sogar Spaß gemacht, und ich konnte ja auch bei der Firma Olbricht vorankommen. Und abends natürlich den Haushalt, damit ich nicht aus der Übung komme.« Sie schlug sich an die Stirn mit der gesunden Hand. »O Gott, was müssen Sie von mir denken. Ich rede und rede…«

»Es muß wohl so sein, Hedi«, sagte Dr. Norden, »reden Sie sich nur alles vom Herzen. Manch einer ist schon erstickt an seinen Problemen, aber Sie beißen sich durch, da bin ich ich sicher, und vielleicht mußte das deshalb gerade heute geschehen.«

»Sie sind so nett«, flüsterte sie, »ich habe schon manchmal reden wollen mit Ihnen, weil ich meinte, daß ich es nicht mehr packe. Was soll ich nur tun, damit ich das nicht ewig aushalten muß?«

»Die Fesseln sprengen, Hedi, auch wenn es zuerst weh tut, aber Sie sind so tüchtig, Sie können sich ein anderes Leben aufbauen. Niemand kann von Ihnen allein verlangen, immer für die Eltern da zu sein. Sie haben noch Geschwister, die dann die gleiche Verpflichtung hätten, und außerdem ist Ihr Vater finanziell durchaus in der Lage, eine Hausangestellte zu bezahlen, wenn Ihre Mutter den Haushalt nicht schafft.«

»Das tut er niemals«, sagte Hedi.

»Nun, ich will mich nicht zu sehr einmischen«, sagte Dr. Norden. »Aber ich sehe wirklich nicht ein, warum Sie auf alles verzichten sollen. Jetzt könnten doch Ihre Geschwister mal die Geburtstagsfeier für Ihren Vater ausrichten.«

»Was meinen Sie, was ich deswegen noch zu hören bekomme.«

»Werden Sie es schlucken, Hedi? Noch ist es nicht zu spät für Sie. Und wenn Ihre Mutter wirklich krank wäre, würde ich so nicht reden, aber sie ist nicht krank. Die Migräne bildet sie sich ein, und wenn sie wirklich so schlimme Ischiasschmerzen hätte, würde sie nicht so schnell hin und her laufen können. Ich kenne meine Pappenheimer.«

Ja, er kannte die Simulanten, und eine halbe Stunde später wußte er, daß Hedi dazu nun ganz gewiß nicht gehörte. Er hatte es auch nicht einen Augenblick vermutet. Es war ein Bruch, und sie bekam einen Gips, aber außerdem hatte sie auch noch einen schmerzhaften Bluterguß im rechten Bein, denn sie war nach vorn gefallen und dazu noch auf einen Stein.

Hedi sah ihn mit einem seltsam nachdenklichen Ausdruck an, als Dr. Behnisch dann sagte, sie solle erst noch ruhen.

»Das hier ist nicht so schlimm wie das, was mir nun blühen wird«, sagte sie traurig. »Gibt es das eigentlich öfter in so honorigen Familien, Dr. Norden?«

»Es gibt auch noch Schlimmeres, Hedi. Leider muß ich das sagen. Aber Sie können einiges ändern. Es liegt bei Ihnen. Sie sind erwachsen und durchaus in der Lage, für sich selbst zu sorgen.«

»Das möchte ich ja schon lange, aber man findet es undankbar. Mutter hätte doch wahrhaftig alles für ihre Kinder getan, daß sie nun auch mal entlastet werden und es besser haben sollte. Ich frage mich nur, warum zuerst Omi alles getan hat und nun ich die Einzige sein soll, von der es erwartet wird. Es war doch auch schon so, als ich noch meine Stellung hatte. Es klingt nicht gut, wenn ich das so sage, ich weiß es, aber ich übertreibe nicht. Ich hatte kaum eine Stunde für mich, und wenn ich abends wirklich mal mit Dieter ausgegangen bin und später als elf Uhr heimkam, wurde ich schon so mißbilligend angeschaut, als wäre ich eine Herumtreiberin. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, aber mir graust es davor, wieder heimzugehen.«

»Dann bleiben Sie noch in der Klinik. Wir können es verantworten, Hedi.«

Sie schüttelte den Kopf. »Dann würde es heißen, ich hätte Vater absichtlich den Geburtstag verderben wollen. Ich muß jetzt dafür sorgen, daß genügend Kuchen ins Haus kommt, und ich weiß auch schon, wo ich den her bekomme.« Sie lächelte flüchtig. »Ich darf doch von hier aus mal telefonieren?«

»Aber selbstverständlich.«

»Es ist aber ein Ferngespräch. Nicht weit, aber es wird ja sicher ein Zähler vorhanden sein.«

»So ist es.« Er sah sie aufmunternd an. »Sie werden sich nicht unterkriegen lassen, Hedi. Aber Sie wissen auch, daß Sie jederzeit zu mir kommen können, wenn Sie Rat oder Hilfe brauchen.«

Sie hob leicht den eingegipsten Arm. »Das war ein Fingerzeig, eine Änderung herbeizuführen. Wie sagten Sie doch? Die Fesseln muß man sprengen.«

*

Als Hedi heimkam, war auch ihr Vater zu Hause. Hanna hatte ihm am Telefon die Ohren vollgejammert, daß er sich freigenommen hatte. Der überaus korrekte Beamte hatte das sehr selten gemacht, aber auch er fühlte sich persönlich beleidigt, da sein Geburtstag vor der Tür stand, und er empfing Hedi gleich mit entsprechenden Vorwürfen, ohne ihren Gips zu beachten.

»Das hast du dir ja mal wieder fein ausgedacht«, schimpfte er gleich los. Und da überkam Hedi der Zorn.

»Ja, stell dir vor, ich habe mir einen Gips als Geburtstagsgeschenk für dich anlegen lassen, weil das solchen Spaß macht, genauso wie das Hinfallen!«

Er starrte sie sprachlos an.

Hanna rief: »Du hättest ja heute morgen streuen können.«

»Hätte das nicht auch mal Günter tun können? Er ist doch zuerst aus dem Haus gegangen«, sagte Hedi.

»So brauchst du uns jetzt nicht auch noch zu kommen«, fuhr ihr Vater sie wütend an. »Was ist überhaupt in dich gefahren?«

»Es ist doch seltsam, daß mir alles als Bosheit ausgelegt wird, und ist es nicht ein bißchen komisch, daß Mutter immer gerade vor einem Familientag ihre Migräne kriegt und ihren Ischias spürt? Und hat jemals Susanne geholfen, auch als sie noch im Haus war und nicht verheiratet? Ihr betrachtet mich doch nur als euer Dienstmädchen. Die dumme Hedi, die es nicht bis zum Abitur geschafft hat, die froh sein darf, daß sie die Füße unter Vaters Tisch stecken darf. Aber schließlich zahle ich wenigstens fünfhundert Euro monatlich und arbeite dazu auch noch, während die Herren Söhne alles vorgesetzt kriegen. Ich bin gespannt, wer ihre Hemden bügelt, wenn ich nicht mehr hier bin.«

»Jetzt rede nicht solchen Unsinn«, lenkte Ottmar Mehring ein, und man konnte ihm ansehen, daß er erschrocken war. »Hier ist dein Zuhause, und du hast bisher nie geäußert, daß es dir zuviel wird, mitzuhelfen.«

»Gut, habe ich nicht, aber da ich nun mal einen gebrochenen Unterarm habe, wird es mir als Bosheit ausgelegt, und das lasse ich mir denn doch nicht gefallen. Ich habe übrigens Kuchen genug bestellt, und ich bezahle sie auch. Es entstehen euch keine Kosten, und es wird auch niemand Arbeit damit haben. Und das Essen kann der Party-Service bringen. Es kostet auch nicht viel mehr, als wenn hier alles zubereitet werden muß. Aber vielleicht bekomme ich nun auch noch zu hören, daß mir ja die Kochkurse bezahlt wurden, damit man so etwas nicht in Anspruch zu nehmen braucht.«

Da verschlug es Ottmar Mehring die Stimme. Hedi maß ihn mit einem langen Blick, dann ging sie zur Treppe. Dort drehte die sich um. »Die Kuchen werden frisch geliefert. Sacher- und Prinzregententorte, wie du es gewünscht hattest. Zwei Obsttorten und Bienenstich. Und einen Marmorkuchen hatte ich schon gestern gebacken. So, das wäre es, und jetzt möchte ich mich ein bißchen hinlegen. Mein Bein tut nämlich auch weh. Da, schau dir den Bluterguß an. Ich möchte wissen, wie Mutter jammern würde, wenn ihr das passiert wäre, aber so dämlich wie ich ist ja keiner in der Familie.«

Oben stand Klaus. Er starrte seine Schwester auch fassungslos an. »Du hast ja mächtig aufgemuckt«, sagte er, »aber ich verstehe es, Hedi.«

Nun war es an ihr, verwundert zu sein. »Was du nicht sagst«, murmelte sie.

»Ich nehme es dir auch nicht übel, was du über die Herren Söhne gesagt hast, aber du wirst doch nicht weggehen wollen?«

»O doch, kleiner Bruder, deine große Schwester hat die Nase voll«, erklärte sie.

Da war er sprachlos. Man ließ sie tatsächlich in Ruhe. Hanna fand auch kein Gehör bei ihrem Mann, als sie sagte, daß Hedi unfair wäre und ihm tatsächlich den Geburtstag verderben würde.