Ein Puppenheim - August Strindberg - E-Book

Ein Puppenheim E-Book

August Strindberg

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Meister der psychologischen Erzählprosa auf dem Höhepunkt seines Könnens

Ein Kapitän und seine Frau scheinen wie füreinander geschaffen. Sie führen eine Ehe, wie sie im Buche steht – sechs Jahre verheiratet und immer noch verliebt wie am ersten Tag: Doch über den rauen Winter wirbelt ein kleiner Sturm über die Felder und hinein in das beschauliche Leben der Eheleute ... Kein Autor beschrieb zwischenmenschliche Beziehungen genauer und hellsichtiger als August Strindberg. Dieses Vermögen, das ihn zum Starautor der vorletzten Jahrhundertwende machte, sichert ihm bis heute seine Aktualität.

Man kennt Ibsens Nora-Drama «Ein Puppenheim», doch existiert auch eine gleichnamige Erzählung August Strindbergs, die sich um dasselbe Thema dreht: um Liebe, Begierde, Zuneigung, Eifersucht, Selbstaufgabe – um das, was zwischen Menschen überdauert, wenn alles sonst vergeht.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 109

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

August Strindberg (1849–1912) wurde in Stockholm geboren und verbrachte lange Jahre in Paris und Berlin. Er studierte zunächst Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte, später beschäftigte er sich mit Chemie und Okkultismus. In Deutschland ist er vor allem für seine dramatischen Werke bekannt. Seine scharfe, häufig auch polemische Sozialkritik machte ihn zum wichtigsten Publizisten im Schweden der Jahrhundertwende.

«Ich lese ihn nicht, um ihn zu lesen, sondern um an seiner Brust zu liegen […] Der ungeheure Strindberg. Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten.»

Franz Kafka

«Der schwedische Seelenforscher schrieb ohne Rücksicht auf moralische Tabus und gesellschaftliche Konventionen. Ohne August Strindberg wäre die gesamte literarische Moderne ärmer an Themen, ärmer an Ambivalenzen.»

Jan-Frederic Nyström

August Strindberg

EIN PUPPENHEIM

Erzählungen

Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von Helen Oplatka-Steinlin

Die Originalausgabe der titelgebenden Erzählung erschien 1884

unter dem Titel «Ett dockhem» in einer Erzählsammlung.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 1987/2023 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel GmbH, Köln

ISBN 978-3-641-29993-4V001

www.penguin-verlag.de

Ein Puppenheim

Seit sechs Jahren waren sie verheiratet, aber sie sahen wie Verlobte aus. Er war Kapitän bei der Flotte und jeden Sommer ein paar Monate auf See. Zweimal hatte er eine große Expedition gemacht; die kleinen Fahrten taten ihm gut. Hatten sich während des winterlichen Stillesitzens Anzeichen von Muffigkeit angekündigt, so frischte die Sommerfahrt seine Laune wieder auf. Die erste Sommerreise aber war schwer! Da schrieb er seiner Gattin richtige Liebesbriefe, und er traf keinen einzigen Segler draußen auf dem Meer, ohne nicht gleich «Post» zu signalisieren. Und als er schließlich bei der Schärenküste wieder auf schwedisches Land stieß, wusste er nicht, wie er es anstellen sollte, um sie so schnell wie möglich wiederzusehen. Sie aber wusste es wohl. Bei Landsort erhielt er ein Telegramm, dass sie ihm nach Dalarö entgegenkomme. Und als sie dann bei Jutholm vor Anker gingen und er auf der Terrasse des Gasthofs ein kleines blaues Taschentuch entdeckte, da war ihm klar, dass sie es war. Aber an Bord war noch so viel zu erledigen, dass es Abend wurde, bevor er an Land gehen konnte. Als er dann endlich mit dem Ruderboot ankam, der vorderste Ruderer bei der Landebrücke den Stoß auffing und er sie auf dem Steg erblickte – gleich jung, gleich schön, gleich frisch wie immer –, da war ihm, er erlebe seine Flitterwochen noch einmal. Und als sie in den Gasthof hinaufkamen – welch ein schönes Souper hatte sie da zu arrangieren verstanden in den zwei kleinen Zimmern, die sie bestellt hatte! Wie viel sie einander zu erzählen hatten – von der Reise, den Kleinen und der Zukunft! Der Wein funkelte, die Küsse schmatzten, und dann hörte man vom Wasser her den Zapfenstreich. Aber das störte ihn nicht; er würde nicht vor ein Uhr gehen.

Wie? Er würde gehen? – Natürlich, er müsse an Bord übernachten, aber wenn er zur Weckzeit zurück sei, so genüge es. – Wann denn Weckzeit sei? – Um fünf! – Pfui, so früh! – Aber wo sie denn diese Nacht schlafen werde? – Das brauche er nicht zu wissen! – Er ahnte es aber und wollte sich den Ort gleich ansehen, doch sie stellte sich vor die Tür! Er küsste sie, nahm sie wie ein Kind auf den Arm und öffnete dann die Tür. – Oh, was für ein großes Bett! Wie die große Barkasse! Wo sie denn dieses Ding herbekommen habe. – Gott, wie sie errötete! Aber sie hatte doch seine Briefe so verstanden, dass sie im Gasthof «wohnen» würden. – Gewiss würden sie hier wohnen, wenngleich er zur Weckzeit an Bord zu sein habe; dieses verd… Morgengebet, das konnte ihm gestohlen werden. – Hu, wie er bloß rede!

«Nun wollen wir Kaffee haben und ein Feuerchen, denn die Leintücher fühlen sich feucht an!»

Was für ein kleiner verständiger Schelm sie doch war, ein so großes Bett besorgt zu haben! Wie sie sich das bloß beschafft habe. – Sie habe es doch nicht «beschafft»! – Nein, das glaube er gern. Und wie er das glaube! – Wie dumm er doch sei! – Er? Dumm? – Und dann umarmte er sie. – Nein, er solle doch artig sein! – Artig, das sei leicht gesagt.

«Da kommt das Mädchen mit dem Holz!»

Als die Glocke zwei Uhr schlug und es im Osten über den Schären und dem Wasser rot zu glühen begann, saßen sie am offenen Fenster. Es war, als sei sie seine Geliebte und er ihr Geliebter. War es nicht so? Und jetzt sollte er sie verlassen! Aber um zehn Uhr, zum Frühstück, würde er wiederkehren, und nachher wollten sie segeln. Da setzte er auf seinem Reisekocher Kaffee auf, und sie tranken Kaffee zum Sonnenaufgang und zum Gekreische der Möwen. Draußen auf dem Wasser lag das Kanonenboot, und von Zeit zu Zeit sah er den Säbel der Bugwache aufblitzen. Die Trennung war schwer, aber es war gut zu wissen, dass man sich so bald wiedersehen würde. Und dann küsste er sie zum letzten Mal, schnallte den Säbel um und ging. Als er zur Brücke hinunterkam und «Boot ahoi» rief, da versteckte sie sich hinter den Gardinen, als schämte sie sich. Er aber warf ihr mit beiden Händen Küsse zu, bis die Matrosen mit dem Boot ankamen. Dann ein letztes «Schlaf gut und träum von mir», und als er sich mitten auf dem Wasser umwandte und das Fernrohr vor die Augen setzte, erblickte er in der Kammer eine kleine weiße Gestalt mit schwarzem Haar; die Sonne schien auf ihr Hemd und ihre bloßen Schultern: Sie sah aus wie eine Seejungfrau!

Und dann wurde zur Tagwache geblasen. Die langen Töne des Signalhorns rollten zwischen grünen Inseln hinaus über das blanke Wasser und kamen hinter den Nadelwäldern auf Umwegen wieder zurück. Und ebenso «Alle Mann an Deck» und das «Vaterunser» und «Jesus, lass mich stets beginnen». Der kleine Glockenturm auf Dalarö antwortete mit einem kurzen Läuten, denn es war Sonntagmorgen. Und nun kamen in der Morgenbrise die Kutter angefahren, Flaggen flatterten, Schüsse knallten, helle Sommerkleider leuchteten auf der Zollbrücke, das Dampfboot mit der roten Wasserlinie kam von Utö herein, die Fischer zogen ihre Netze ein, und die Sonne strahlte auf das leicht gewellte blaue Wasser und über das grünende Land.

Um zehn Uhr legte das Boot ab und fuhr mit sechs Mann an den Rudern auf das Land zu. Und dann hatten sie sich wieder. Als sie im großen Speisesaal frühstückten, flüsterten die anderen Gäste untereinander: «Ist das seine Frau?» Er sprach halblaut wie ein Liebhaber, und sie schlug die Augen nieder und lachte oder gab ihm mit der Serviette eins auf die Finger.

Das Boot lag bei der Brücke bereit, und sie sollte sich an die Ruder setzen. Er wollte sich um das Focksegel kümmern. Aber er konnte seine Augen nicht abwenden von ihrer hellen, leicht gekleideten Gestalt mit der hohen festen Brust, dem kleinen entschlossenen Gesicht und dem sicheren Blick, der den Wind beobachtete, während die Hand im Wildlederhandschuh die große Schote hielt. Er wollte nur immer plaudern und nahm es beim Wenden nicht so genau. Da erhielt er einen Verweis wie ein Schiffsjunge, und das belustigte ihn unendlich.

«Warum hast du nicht die Kleine mitgebracht?», sagte er, um sie zu reizen.

«Wohin hätte ich sie denn legen sollen, was meinst du?»

«In die große Barkasse natürlich!»

Und darauf lachte sie, und er fand es herrlich, sie auf diese Weise lachen zu sehen.

«Na, und was sagte denn die Wirtin heute Morgen?», fuhr er fort.

«Was hätte sie sagen sollen?»

«Fand sie, sie habe diese Nacht ruhig geschlafen?»

«Und warum hätte sie nicht ruhig schlafen sollen?»

«Woher soll ich das wissen. Aber es hätten ja etwa Ratten an den Dielen nagen oder ein altes Dachfenster hätte knarren können; man kann ja nicht wissen, was den leichten Schlaf eines alten Fräuleins beunruhigt.»

«Wenn du nicht gleich still bist, mache ich die Schote fest und werfe dich ins Wasser!»

Sie landeten bei einer Insel und nahmen einen Mittagstrunk aus einem kleinen Korb; und darauf schossen sie mit dem Revolver auf eine Scheibe. Dann legten sie Angeln aus und gaben vor zu fischen, aber kein Fisch biss an, sodass sie weitersegelten, hinaus in die Fjorde, wo die Eiderenten strichen, hinein in den Sund, wo die Hechte im Schilf sprangen, und dann wieder heraus; und er wurde es nie satt, sie anzuschauen, mit ihr zu plaudern und sie zu küssen, wenn er in ihre Nähe kam.

So trafen sie sich sechs Sommer lang auf Dalarö; immer waren sie gleich jung und gleich ausgelassen, und sie waren glücklich.

Im Winter saßen sie jeweilen auf Skeppsholm in seiner kleinen Kajüte. Dann bastelte er an Booten für seine Jungen oder unterhielt sie mit Abenteuern aus China und von den Südseeinseln, und seine Frau saß dabei, hörte zu und musste über seine tollen Geschichten lachen. Es war ein entzückender, mit nichts anderem zu vergleichender Raum. Japanische Sonnenschirme und Rüstungen waren aufgehängt, ostindische Miniaturpagoden, australische Pfeilbogen und Lanzen, Negertrommeln und getrocknete fliegende Fische, Zuckerrohr und Opiumpfeifen. Und Papa, dessen Haar sich langsam zu lichten begann, ging immer noch nicht gerne von seinem Zuhause weg. Zuweilen machte er ein Brettspiel mit dem Gerichtsrat, und manchmal spielte man eine Partie Vira1 und genehmigte sich einen ordentlichen Grog dazu.

Früher hatte die Frau auch mitgespielt, aber seitdem sie die vier Kinder hatten, fand sie die Zeit dazu nicht mehr; doch sie saß gern ein Weilchen dabei und guckte in die Karten, und wenn sie an Papas Stuhl vorbeikam, umfasste er sie und fragte sie, ob er seine lumpigen Karten ausspielen solle.

Die Korvette sollte wieder einmal auslaufen und sechs Monate wegbleiben. Dem Kapitän war es schrecklich, denn die Kinder waren schon groß, und der Mama wurde es etwas schwer, dem ganzen weitläufigen Haushalts-Ministerium vorzustehen. Der Kapitän war auch nicht mehr so jung und unternehmungslustig wie früher, aber – es musste sein, und so reiste er. Bei Kronborg schickte er schon seinen ersten Brief ab, der den folgenden Wortlaut hatte:

Mein geliebtes kleines Wundermädchen!

Wind schwach. SSO, plus 10 °C. 6 Halbstunden auf der Freiwache. Ich kann Dir nicht beschreiben, wie fern von Dir ich mich auf dieser Reise fühle. Als wir den Wurfanker vor Kastellholm einholten (6 Uhr 30 nachmittags bei starkem NNO), war es mir, wie wenn sie mir einen Pflock in den Brustkorb gesteckt hätten, und ich fühlte mich genau, wie wenn man mir die Kette durch beide Ohrgänge zöge. Man sagt, Seeleute hätten ein Vorgefühl für Unglücksfälle. Davon weiß ich nichts, aber bevor ich nicht Deinen ersten Brief bekomme, bin ich ganz unruhig! An Bord ist nichts passiert, aus dem einfachen Grund, weil nichts passieren darf. Wie geht es Euch zu Hause? Hat Bob seine neuen Stiefel schon bekommen? Wie passen sie? Ich bin ein schlechter Briefschreiber, wie Du weißt, und schließe jetzt! Mit einem großen Kuss mitten auf dieses Kreuz hier

Dein alter Pall

PS: Du solltest Dir ein wenig Gesellschaft suchen (weibliche natürlich). Und vergiss nicht, das Fräulein auf Dalarö zu bitten, die große Barkasse gut instand zu halten, bis ich nach Hause komme! (Der Wind nimmt zu; auf die Nacht hin haben wir ihn aus Norden!)

Vor Portsmouth erhielt der Kapitän den folgenden Brief von seiner Frau:

Lieber alter Pall!

Hier ist es schrecklich ohne Dich, Du kannst es mir glauben! Und schwer ist es gewesen, denn Alice hat nun ihren Zahn bekommen; der Doktor hat gesagt, das sei ungewöhnlich früh, und es bedeute (tja, das darfst Du nicht wissen!). Bobs Stiefel passen ausgezeichnet, und er ist sehr stolz darauf. – Du hast in Deinem Brief gesagt, ich solle mir weibliche Bekanntschaft suchen. Das habe ich schon getan, oder besser gesagt, sie suchte mich. Sie heißt Ottilia Sandegren und war auf dem Seminar. Sie ist sehr ernsthaft; Pall braucht also keine Angst zu haben, dass sie seine Wunderfrau auf Abwege führt. Außerdem ist sie auch religiös. Ja, ja, wir könnten es auch vertragen, wenn es jeder von uns mit der Religion etwas genauer nähme. Sie ist, mit einem Wort, ein außerordentlicher Mensch. Und nun schließe ich für diesmal, denn Ottilia kommt und holt mich ab. Sie ist gerade angekommen und bittet, Dich unbekannterweise zu grüßen!

Ganz Deine Gurli

Dem Kapitän gefiel dieser Brief nicht! Er war zu kurz und nicht so munter wie gewöhnlich. – Seminar, religiös, ernsthaft – und Ottilia. Zweimal Ottilia! Und dann auch «Gurli»! Warum nicht «Gullan» wie früher! Hm!

Acht Tage später, vor Bordeaux, erhielt er einen neuen Brief und dazu ein Buch unter Kreuzband.