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Lady Camille Lydingham will für ihren ausländischen Verehrer ein perfektes englisches Weihnachtsfest inszenieren. Dazu engagiert sie Schauspieler, die ihre unkonventionelle Familie ersetzen sollen. Ihr Plan mündet allerdings bald im Chaos, denn die Darsteller vergessen ständig ihre Rollen. Dann steht auch noch ihre Jugendliebe Grayson Elliot vor der Tür. Camille versucht, ihn so schnell wie möglich wieder loswerden, doch der vermaledeite Kerl will sich dieses verrückte Schauspiel keinesfalls entgehen lassen und gibt sich prompt als ihr verschollener Cousin aus. Camille könnte ihn erwürgen. Wenn er nur nicht so verdammt verführerisch wäre ...
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Seitenzahl: 542
Cover
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Was die Schauspieler angeht …
Bevor sich Victoria Alexander dem Schreiben widmete, war sie eine erfolgreiche Journalistin. Sie hat bereits zahlreiche Romane verfasst, wurde mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet und schaffte mit einem ihrer Bücher sogar den Sprung auf den ersten Platz der NEW-YORK-TIMES-Bestsellerliste. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Omaha, Nebraska.
Victoria Alexander
EIN SÜSSESGESCHENK
Roman
Aus dem amerikanischen Englischvon Ulrike Moreno
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2012 by Cheryl Griffin
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»What Happens At Christmas«
Originalverlag: Kensington Books
Published by Arrangement with Cheryl Griffin
Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC
vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,
30827 Garbsen
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Kerstin Fuchs
Titelillustration: © hotdamnstock
© shutterstock/Marilyn Volan
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-5973-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
18. Dezember 1886
Und du hältst das für eine gute Idee«, sagte Lady Beryl Dunwell zu ihrer Schwester. Ihr Gesichtsausdruck verriet nicht, ob ihre Worte als Frage oder Kommentar gemeint waren, was wie immer ziemlich irritierend war. Vor allem deshalb, weil das Gesicht ihrer Schwester wie ein Spiegelbild ihres eigenen war und man eigentlich immer wissen sollte, was die eigene Zwillingsschwester dachte.
»Nein, für eine gute Idee halte ich das nicht. Eine gute Idee ist, ein dem Wetter entsprechendes Cape zu tragen. Referenzen zu verlangen, bevor man einen neuen Bediensteten einstellt, oder die gleiche Anzahl von Damen und Herren zu einem Souper zu laden, ist eine gute Idee. Aber was ich dir gerade erklärt habe« – Lady Camille Lydingham beugte sich ein wenig vor und erwiderte den Blick ihrer Schwester mit einer Entschiedenheit, die alle Zweifel Lügen strafte, die sich vielleicht noch irgendwo in ihrem Hinterkopf befanden –, »ist keine gute Idee, sondern ein genialer Einfall.«
»Ich befürchte nur, dass die Genialität dieses Einfalls davon abhängt, ob die Sache schiefgeht oder nicht«, erwiderte Beryl, während sie ihre Schwester über den Rand ihrer Teetasse betrachtete.
In den letzten Monaten waren die Zwillinge dazu übergegangen, sich mindestens alle zwei Wochen im Ladies Tearoom der Buchhandlung Fenwick and Sons zu treffen. Der Tearoom war der Treffpunkt der Damen der Gesellschaft geworden. Auch jetzt war fast kein freier Tisch mehr zu bekommen. Camille war sich nicht ganz sicher, warum der Tearoom so beliebt geworden war; er war kaum anders als die restlichen Räume der Buchhandlung, gesäumt von Regalen voller scheinbar wahllos eingeräumter Bücher. Der Tee und das Gebäck waren vorzüglich, doch in der gehobenen Gesellschaft ging vorzüglich nicht unbedingt auch mit en vogue einher. Da die beiden Schwestern jedoch absolut en vogue waren und dies der beliebteste Treffpunkt für Damen war, war er selbstverständlich auch der Ort, an dem sie anzutreffen waren.
»Und mir scheint, dass es alles Mögliche gibt, was danebengehen könnte«, fuhr Beryl fort. »Ganz fürchterlich danebengehen.«
»Unsinn.« Camille tat die Warnung ihrer Schwester mit einer gleichgültigen Handbewegung ab. »Ich habe viel darüber nachgedacht, und es ist ein geradezu perfekter Plan.«
»Es ist das ›geradezu‹, was dir zu denken geben sollte«, entgegnete Beryl ironisch.
»Kein Plan kann ganz und gar perfekt sein, obwohl …« Camille überlegte einen Moment. »Obwohl ich zu behaupten wage, dass dieser Plan so perfekt wie möglich ist. Mutter und Delilah verbringen Weihnachten in Paris bei ihrer Freundin, Gräfin Soundso, und werden bis weit nach Neujahr nicht nach England zurückkehren. Onkel Basil ist auf Safari in Afrika, und wie du weißt, pflegt er bei solch weiten Reisen monatelang wegzubleiben. Was mir sehr recht ist, da ich eine vorbildliche englische Familie, ein ebenso vorbildliches englisches Weihnachtsfest und einen stilvollen englischen Landsitz brauche.« Camille stieß einen leidgeprüften Seufzer aus. »Und obwohl wir aus sicherer Entfernung durchaus vorbildlich erscheinen mögen, ist aus der Nähe betrachtet sehr wenig Vorbildliches an unserer Familie.«
»Millworth Manor ist stilvoll genug«, murmelte Beryl.
»Ja, das ist es, Gott sei Dank.« Camille nickte. »Und dieses Jahr wird sich auf diesem stilvollen Landsitz eine ebenso stilvolle englische Familie zu Weihnachten einfinden.« Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Es wird keinen Flirt zwischen Mutter und irgendeinem potenziellen Liebhaber geben, der glaubt, die weihnachtliche Stimmung würde ihm den Weg in ihr Bett erleichtern. Es wird kein lüsterner Onkel da sein, der allen ahnungslosen weiblichen Wesen nachstellt, die sein Interesse wecken. Es werden keine von Mutters ausländischen Exilanten da sein, die den guten alten Zeiten in dem Land, wo immer sie auch herkommen mögen, nachtrauern. Und natürlich wird es auch keine aufstrebenden Poeten, exzentrischen Künstler oder überhaupt jemanden geben, der in irgendeiner Weise schöpferisch tätig ist und durch Schmeicheleien Mutters oder unsere Gunst und Unterstützung zu erlangen hofft.«
»Du stellst uns ja schon fast wie eine Zirkusfamilie dar.«
»Es besteht ja wohl auch kaum ein Unterschied zwischen Mutters Haus und einem Zirkus, insbesondere zu Weihnachten – obwohl es in einem Zirkus wahrscheinlich weniger chaotisch zugeht.« Camille stieß einen weiteren tiefen Seufzer aus. »Wenn Vater noch da wäre …«
»Das ist er aber nicht«, fiel Beryl ihr scharf ins Wort. »Er ist schon seit zwanzig Jahren nicht mehr da, und nicht einmal zu Weihnachten nützt es etwas, sich Dinge zu wünschen, die man nicht haben kann.« Sie holte tief Luft. »Aber da du dir so viel Mühe machst und dich zweifellos auch in große Kosten stürzt …«
»Oh Gott, ja.« Camille schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so kostspielig sein würde, eine Schauspielertruppe zu engagieren!«
»Nun, immerhin tauschst du einen ganzen Haushalt aus. Lass sehen.« Beryl überlegte kurz. »Zunächst einmal brauchst du jemanden für die Rolle der wohlmeinenden, ehrgeizigen, etwas kapriziösen Mutter und einen weiteren Schauspieler für die des alternden Wüstlings, der nicht begreift, dass er heute längst nicht mehr so charmant oder attraktiv ist, wie er es einmal war. Dann noch jemanden für die Rolle der stets ungehaltenen, sich immer irgendwie überlegen vorkommenden jüngeren Schwester …« Beryl maß Camille mit einem entschiedenen Blick. »Delilah würde da niemals mitspielen, das weißt du.«
»Dann ist es ja gut, dass sie mit Mutter in Paris ist.« Es erstaunte Camille und Beryl immer wieder, wie wenig Fantasie ihre jüngere Schwester besaß und welch übertriebenes Schicklichkeitsgefühl sie hatte. Woher kam das nur? »Und vergiss nicht, dass ich neben den Hauptdarstellern auch noch die Nebenrollen besetzen muss.« Camille zählte sie an den Fingern ab. »Ich brauchte auf jeden Fall einen Butler und eine Haushälterin, eine Köchin und eine Reihe von männlichen und weiblichen Bediensteten. Meine eigene Zofe ist die einzige, die dabei sein wird.«
»Und was hast du mit Mutters Dienstboten gemacht?« Beryl starrte sie betroffen an. »Und mit Clement?«
»Du brauchst mich nicht so anzusehen, als hätte ich ihn umgebracht und im Garten verscharrt.« Camille verdrehte ihre Augen. »Da sogar Mutter in den letzten Jahren nur selten zu Weihnachten auf dem Landsitz war, hat Clement das Fest dann immer bei seiner Nichte in Wales verbracht, glaube ich. Es wäre ja auch absurd, einen Butler im Haus zu haben, wenn niemand da ist. Die anderen habe ich alle in Urlaub geschickt – bezahlten selbstverständlich.«
»Selbstverständlich«, murmelte Beryl.
»Eine weitere größere Ausgabe. Aber mir wurde versichert, dass die meisten der Schauspieler in der Haushaltsführung besser sind als auf der Bühne, was ein Glück ist, da ich diese Arbeit schließlich auch von ihnen erwarte.« Camille senkte vertraulich die Stimme. »Wie mir gesagt wurde, waren die meisten der Schauspieler bis vor kurzem noch als Dienstboten beschäftigt. Also müsste zumindest dieser Teil unserer kleinen Komödie ganz gut klappen.«
»Na ja, solange sie sich um den Haushalt kümmern können …«
»Sie sind jedenfalls kein bisschen berühmt als Schauspieler, was einerseits praktisch, andererseits jedoch auch ein Grund zur Sorge ist.« Camille trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf den Tisch. »Sie müssen glaubwürdig sein. Aber da es mir furchtbar peinlich wäre, wenn einer von ihnen erkannt würde, ist ihr mangelnder Erfolg als Schauspieler also auch durchaus von Vorteil für mich.«
Beryl starrte sie an, als könnte sie nicht recht glauben, was sie da hörte. »Es ist sehr schwer, gutes Personal zu bekommen.«
»Ja, das ist es. Aber nachdem sie nicht besonders gefragt sind, sind sie mehr als bereit, dieses … sagen wir, Engagement zu übernehmen. Und so teuer sie auch sind, hätten sie mir doch sehr viel mehr berechnet, wenn sie bekannter wären«, schloss Camille mit einem zufriedenen Lächeln.
»Ein Glück, dass du sie dir leisten kannst.«
»Ja, gottlob hat Harold mir ein ansehnliches Vermögen hinterlassen.«
Viscount Lydingham war erheblich älter gewesen als Camille, als sie seine Frau geworden war. Aber ältere Männer mit Vermögen und gesellschaftlicher Stellung waren ja auch genau die Art von Herren, die zu heiraten die drei Schwestern von ihrer Mutter angehalten worden waren. Beryl, Camille und Delilah hatten das auch brav getan. Ihr Lohn dafür war, verwitwet und finanziell unabhängig zu sein. Und das in einem Alter, in dem sie noch jung genug waren, um das Leben zu genießen und Liebe anzustreben, falls dies ihr Wunsch sein sollte.
Trotzdem war Harold ein sehr netter Mann gewesen. Camille war froh, ihn gefunden zu haben, und die meiste Zeit waren sie glücklich oder doch zumindest zufrieden gewesen. Seine Anforderungen an sie waren in den acht Jahren ihrer Ehe minimal gewesen. Sie hatte sich als exzellente Ehefrau erwiesen und ihn wirklich gern gehabt. Aus Achtung vor ihm hatte sie sogar zwei volle Jahre nach seinem Ableben nicht einmal daran gedacht, mit einem anderen Mann zu flirten. Selbst heute, vier Jahre nach seinem Tod, vermisste sie ihn noch.
»Und du tust das alles, um einen Mann zu beeindrucken …«
»Nicht bloß einen Mann. Einen Prinzen«, sagte Camille ein bisschen von oben herab. Auch ihre beiden Schwestern hatten eine gute Partie gemacht, und es könnte sogar sein, dass Beryls zweiter Mann eines Tages Premierminister werden würde, doch keine ihrer Schwestern war jemals auch nur in die Nähe einer Liebschaft mit jemandem von wahrhaft royalem Geblüt gekommen. »Prinz Nikolai Pruzinsky aus dem Königreich … Ach, ich kann mich nicht erinnern, wie es heißt, aber es ist eines dieser kleinen Länder, mit denen Mitteleuropa förmlich übersät ist.«
»Aber du kennst diesen Mann doch kaum.«
»Das wird sich mit der Heirat ändern.«
»Dennoch erscheint mir dein Plan reichlich übertrieben.«
»Vielleicht ist er das, aber er ist die Mühe wert. Prinz Pruzinsky besitzt ein riesiges Vermögen und sogar ein eigenes Schloss – und abgesehen davon ist er auch noch ein sehr gut aussehender, attraktiver Mann. Und von königlichem Geblüt, wie ich schon sagte. Was mich zu einer Prinzessin macht, wenn ich ihn heirate. Er ist alles, was ich je gewollt habe, und er steht sooo dicht davor« – Camille hob Daumen und Zeigefinger und ließ kaum einen Zentimeter Luft dazwischen –, »mir einen Heiratsantrag zu machen. Er hat ihn zwar noch nicht in Worte gefasst, aber schon mehr als nur ein paar Andeutungen gemacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er jetzt nur noch überzeugt werden muss, dass unsere Familie respektabel genug ist, um einer königlichen eingegliedert zu werden.«
»Was du ihm beweisen wirst, indem du ihm eine vornehme englische Familie und ein angemessenes englisches Weihnachtsfest präsentierst?«
»Genau.« Camille nickte.
Beryl schenkte sich Tee aus der Kanne auf ihrem Tisch nach, und Camille konnte sehen – da ein Zwilling fast immer weiß, was der andere denkt –, dass ihre Schwester sich sehr sorgfältig ihre Worte überlegte. »Mir scheint, dass er, falls du ihn wirklich heiratest, irgendwann einmal Mutter, Delilah und Onkel Basil kennenlernen wird. Die echten, meine ich. Auf der Hochzeit beispielsweise. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
Camille winkte ab. »Ich muss zugeben, dass ich noch nicht alle Einzelheiten ausgetüftelt habe, aber das hole ich schon noch nach. Zuallererst kommt Weihnachten, was sehr viel Planung erfordern wird. Du hast es vielleicht noch nicht bemerkt, aber Weihnachten nähert sich mit der Unausweichlichkeit eines … eines …«
»… eines abwärts rollenden Felsbrockens, der alles auf seinem Weg vernichten wird?«, warf Beryl mit einem honigsüßen Lächeln ein.
»So würde ich es nicht gerade nennen, aber ja.«
»Und nach Weihnachten? Was dann?«
»Auch hier muss ich zugeben, dass ich das noch nicht weiß. Aber mir wird schon etwas einfallen. Und der Rest wird sich ergeben«, sagte Camille mit einer Zuversicht, die sie nicht wirklich empfand. »Diese Brücke werde ich überqueren, wenn sie in Erscheinung tritt. Man kann nicht von mir erwarten, dass ich mir jetzt schon über jedes noch so kleine Detail Gedanken mache, aber ich bin überzeugt, dass mir auch dazu etwas Geniales einfallen wird.«
»So genial, wie Schauspieler zu engagieren, um sie zu Weihnachten deine Familie spielen zu lassen?«
Camille biss die Zähne zusammen. Beryl hatte die lästige Eigenschaft, hin und wieder einfach zu realistisch zu sein. »Sogar noch genialer, denke ich.«
»Das wirst du auch brauchen! Dein jetziger genialer Plan ist nämlich der absurdeste, den ich je gehört habe. Das kann unmöglich gutgehen.«
»Du meine Güte, Beryl, gerade um diese Jahreszeit sollte man ein bisschen mehr Gottvertrauen haben!«
Beryl starrte sie entgeistert an. »Gottvertrauen?«
»Gottvertrauen«, bestätigte Camille entschieden. »Vor der Hochzeit werde ich dem Prinz vermutlich alles beichten. Und da er jetzt schon ganz bezaubert von mir ist, bin ich der festen Überzeugung, dass er mir diese klitzekleine Täuschung dann auch gern verzeihen wird …«
Beryl verschluckte sich an ihrem Tee. »Klitzekleine?«
»Verhältnismäßig kleine«, berichtigte sich Camille und nickte. »Wahrscheinlich wird er meine kleine Komödie sogar sehr erheiternd finden. Er ist leicht zu amüsieren. Und es ist ja auch nicht so, als gäbe ich ihm ein falsches Bild davon, wer ich bin oder wer wir sind. Nicht wirklich jedenfalls. Bezüglich unserer Abstammung habe ich nicht gelogen. Es sind nur die einzelnen Persönlichkeiten, die ein bisschen … nun ja, unkonventionell sein können. Im Grunde versuche ich nur, den armen Mann zu beschützen und ihm das traditionelle englische Weihnachtsfest zu bieten, das er erwartet und verdient. In gewisser Hinsicht ist es mein Weihnachtsgeschenk an ihn. Und ich bin mir sicher, dass wir uns alle köstlich darüber amüsieren werden … irgendwann.«
»Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass du ganz schön verrückt bist?«
»Oder ganz schön raffiniert.« Camille tippte sich an die Stirn. »Wie ein Fuchs.«
»Wie ein tollwütiger Fuchs vielleicht. Du hast das alles nicht richtig durchdacht, Camille! Es ist nur ein weiteres deiner impulsiven Abenteuer.«
»Unsinn! Impulsive Abenteuer habe ich mir seit mindestens einem Jahr abgewöhnt.«
»Seit dem Brighton-Zwischenfall, meinst du?«
»Ja, wahrscheinlich. Aber der spielt jetzt keine Rolle mehr.«
Sie hasste es, an das erinnert zu werden, was ihre Familie als den »Brighton-Zwischenfall« bezeichnete. Es war wahrhaftig nicht ihre Sternstunde gewesen und der Inbegriff aller Fehleinschätzungen, die sie je gemacht hatte, auch wenn es ihr damals äußerst amüsant erschienen war. Dieser Zwischenfall war gerade noch am ausgewachsenen Skandal vorbeigeschlittert. Eine schlecht durchdachte Wette hatte dabei eine Rolle gespielt, hervorgerufen von viel zu viel Champagner, zwei ihrer engsten Freundinnen, die sogar noch angetrunkener waren als sie, einen Maskenball im Freien und Kostüme, die gefährlich nah daran gewesen waren, so gut wie gar nichts zu bedecken. Sie alle waren nur vor dem völligen und äußersten Ruin bewahrt worden, weil ihre Gesichter nicht zu erkennen waren, sie einen verhältnismäßig makellosen Ruf besaßen (wer hätte auch schon ausgerechnet sie verdächtigt?), und weil es Nachsaison gewesen war und daher nur wenige die Namen der maskierten Damen kannten.
»Ich habe sehr viel über diese kleine Komödie nachgedacht.« Tatsächlich hatte so viel vorzubereiten gehabt, dass sie an nichts anderes mehr hatte denken können.
»Ich kann nicht glauben, dass du dir all diese Mühe machst.« Beryl betrachtete ihre Schwester aus schmalen Augen. »Seines Geldes wegen tust du das nicht. Harold hat dir mehr hinterlassen, als du in deinem ganzen Leben ausgeben kannst, auf jeden Fall mehr als genug, um dir dein eigenes Schloss zu kaufen, falls das dein Wunsch sein sollte. Ist es seines Titels wegen?«
»Ich fand schon immer, dass ›Prinzessin Camille‹ sich wunderbar anhören würde.«
»Trotzdem kann ich nicht …« Beryls Augen weiteten sich. »Bist du etwa verliebt in ihn?«
»An diesem Mann ist nichts, was nicht liebenswert wäre«, antwortete Camille vorsichtig.
Nun ja, sie war nur ein Mal in ihrem Leben verliebt gewesen. Doch damals war sie noch sehr jung und naiv gewesen und hatte nicht einmal begriffen, dass sie verliebt war – bis es zu spät gewesen war. Sie hatte Harold ausgesprochen gern gehabt und ihn in gewisser Weise auch geliebt, aber sie war nie in ihn verliebt gewesen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es einen großen Nutzen gab für wahre Liebe in der realen Welt; aber schön wäre es natürlich schon, jemanden zu lieben …
»Es kann gut sein, dass er in mich verliebt ist. Zumindest habe ich das Gefühl, dass es so sein könnte.«
»Das war nicht meine Frage.«
»In dieser Familie haben wir noch nie aus Liebe geheiratet«, wandte Camille ein, obwohl das nicht ganz wahr war. Sie hatte schon lange die Vermutung, dass ihre Mutter aus Liebe geheiratet hatte, was wohl auch der Grund dafür war, dass sie ihre Töchter dazu erzogen hatte, es aus anderen Gründen zu tun. In dieser Hinsicht zumindest war ihre Mutter eine sehr praktisch veranlagte Frau.
»Aber liebst du …«
»Noch nicht. Aber ich rechne fest damit, dass das noch kommen wird«, fügte sie schnell hinzu. »Ja, ich bin mir sogar sehr sicher, dass ich ihn sehr bald von ganzem Herzen lieben werde. Es gibt nichts an ihm, was man nicht lieben könnte.«
»Das sagtest du bereits.«
»Diese Tatsache verdient es, wiederholt zu werden.«
»Na ja, ein immenses Vermögen und ein königlicher Titel machen es ja auch wirklich einfacher, jemanden zu lieben«, räumte ihre Schwester mit einem freundlichen Lächeln ein.
Aber Camille ließ sich nicht davon täuschen. Ihr Lächeln mochte zwar freundlich sein, aber der Sarkasmus in Beryls Worten war nicht zu überhören.
»Das musst du gerade sagen! Du hast Charles, deinen ersten Mann, aus genau den gleichen Gründen geheiratet wie ich Harold.«
»Ich hatte Charles sehr gern.«
»Ja, aber du hast ihn nicht geliebt. Und du warst auch nicht in Lionel verliebt, als du ihn geheiratet hast.«
»Nein«, erwiderte Beryl gedehnt. »Aber …«
Camille starrte sie an. »Ach du meine Güte, Beryl! Erzähl mir nicht, dass du in deinen eigenen Mann verliebt bist!«
»Das könnte durchaus möglich sein.«
»So ein Unsinn«, mokierte sich Camille. »Niemand verliebt sich in seinen eigenen Ehemann! Das gibt es einfach nicht. Jedenfalls hast du ihn ganz sicher nicht aus Liebe geheiratet.«
»Nein, ich habe ihn geheiratet, weil seine Ambitionen meinen eigenen entsprachen. Jetzt aber …« Beryl machte eine kurze Pause. »Kurz nach Beginn dieses Jahres, also schon vor Monaten, haben Lionel und ich uns darauf geeinigt, auf unsere jeweiligen amourösen Abenteuer zu verzichten und unsere … Aufmerksamkeiten aufeinander zu beschränken.«
Camille machte große Augen. Die außerehelichen Eskapaden ihrer Schwester und ihres Schwagers waren schon beinahe legendär. »Und?«
»Und es läuft viel besser, als ich gedacht hätte.« Sie zuckte mit den Schultern. »Denn es ist tatsächlich so, dass ich in meinen eigenen Mann verliebt sein könnte.« Beryls Lippen verzogen sich zu einem etwas verwirrten Lächeln, als ob sie selbst nicht glauben könnte, was sie sagte. Sie sah jedoch sehr zufrieden, ja sogar glücklich aus. Camille konnte sich nicht entsinnen, schon einmal einen solchen Ausdruck im Gesicht ihrer Schwester gesehen zu haben. Jedoch war sie sich auch ziemlich sicher, dass Beryl noch nie zuvor verliebt gewesen war. Ein ungewöhnlicher Anflug von Neid versetzte Camille einen Stich. Aber sie ignorierte ihn, denn wenn ihre Zwillingsschwester glücklich war, war sie es auch für sie.
»Das ist wundervoll.«
Beryls Augen verengten sich misstrauisch. »Meinst du das wirklich ernst?«
»Aber natürlich! Du weißt sehr gut, dass ich es sonst nicht sagen würde.« Camille nickte. »Lord und Lady Dunwell hatten immer einen gewissen Ruf in Bezug auf Flirts, Geliebte und dergleichen. Es kommt also nur unerwartet für mich, weiter nichts.«
»Niemand rechnete weniger damit als ich«, gab Beryl leise zu.
»Was werden denn nun die Klatschmäuler ohne euch tun?«
Beryl lachte. »Sie werden mit anderen vorliebnehmen müssen.«
»Ich freue mich für dich, Beryl.«
»Dann solltest du dir überlegen, in meine Fußstapfen zu treten.«
»Und wie? Indem ich einen Mann heirate, der vielleicht eines Tages unser Land regieren wird?«
»Nein.« Beryls blaue Augen suchten den Blick ihrer Schwester, und wie immer war es so, als schaute sie in einen Spiegel. »Indem du dich verliebst.«
Camilles Augenbrauen zogen sich zusammen. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich so lang und breit über Liebe auszulassen. Ich dachte immer, du hieltest das für ziemlich einfältig.«
»Das war, bevor ich mich verliebte«, sagte Beryl lediglich und machte eine kleine Pause. »Du warst auch einmal verliebt, Camille, wenn ich mich recht entsinne.«
»Das war vor langer, langer Zeit«, erwiderte sie schnell, weil es nichts war, woran sie erinnert werden wollte. Damals hatte sie der Liebe den Rücken gekehrt – aber eigentlich war ihr auch gar keine andere Wahl geblieben. Und falls es im Laufe der Jahre den einen oder anderen Moment des Bedauerns gegeben hatte oder einen zufälligen Gedanken bezüglich dessen, was hätte sein können, so war es doch sinn- und zwecklos. Sie hatte ihn vollkommen aus ihrem Kopf und Herzen verdrängt. Sie hatte sich nie nach ihm erkundigt, und ihre Schwester war klug genug, niemals seinen Namen zu erwähnen. So war das Leben nun einmal. Jedermann hasste es, an Fehler erinnert zu werden, die man vielleicht gemacht hatte, schließlich konnte man ohnehin nichts mehr ändern. Und so blieben sie am besten in der Vergangenheit, wo sie auch hingehörten.
»Möchtest du das nicht noch einmal erleben?«
»Ich habe es ja kaum erlebt, Beryl. Aber das wird sich ändern!«, sagte Camille entschieden. »Diesmal bin ich fest entschlossen, mich zu verlieben.« Sie griff nach der Teekanne und schenkte sich nach, um Zeit zu gewinnen und sich ihre nächsten Worte zurechtzulegen.
Warum sie Nikolai heiraten wollte, war nicht leicht zu erklären, ohne sehr habgierig und oberflächlich zu wirken. Und obwohl sie zweifellos auch ihre habgierigen Momente hatte und hin und wieder auch ein bisschen oberflächlich war, betrachtete sie sich insgesamt gesehen keineswegs als habgierig und oberflächlich. Es war nicht das Vermögen des Prinzen, was sie interessierte, denn Geld besaß sie selbst mehr als genug. Es war nicht einmal sein Titel, auch wenn »Prinzessin Camille« sich in der Tat sehr gut anhörte. Vielleicht war es das Abenteuer, was sie reizte: das Abenteuer, von einem gut aussehenden Prinzen in ein fremdes Land entführt zu werden und dort glücklich und zufrieden den Rest ihres Lebens zu verbringen. Abenteuer zu erleben, von denen sie bisher kaum gewusst hatte, dass sie existierten; Abenteuer, die tief in ihrem Innersten etwas ansprachen. Beryl war viel zu nüchtern, um so etwas zu verstehen, aber sie war ja auch schon immer die Vernünftigere der Zwillinge gewesen. Für Camille hingegen war die Heirat mit einem Prinzen der Stoff, aus dem Märchen gemacht waren – welche Frau würde sich das nicht wünschen? Und Camille wünschte es sich nicht nur, sondern war auch fest entschlossen, es zu erreichen.
»Es ist nicht so, als wäre ich darauf aus, mir einen Prinzen einzufangen. Bei unserer ersten Begegnung wusste ich nicht mal, dass er ein Prinz war. Nikolai zieht es vor, inkognito zu reisen, wenn er sich im Ausland aufhält. Er sagt, es sei viel einfacher, die Menschen eines fremden Landes kennenzulernen, wenn er nicht von all dem Drumherum seines königlichen Rangs behindert wird und nicht als Prinz, sondern als ganz normaler Mensch behandelt wird.«
»Was für eine … aufgeklärte Denkweise für einen Prinzen.«
»Er ist sogar sehr aufgeklärt und modern. Er nimmt seine Verpflichtungen sehr ernst und sagt, er möchte ein Prinz für das Volk sein. Das ist sehr bewundernswert, auch wenn ich es nicht ganz verstehe, aber er ist ja Ausländer, und daher können ihm seine kleinen Eigenarten wohl verziehen werden. Stell dir vor, es ist ihm sogar lieber, nicht mit Titeln wie ›Eure Hoheit‹ und dergleichen angesprochen zu werden. Bis er den Thron besteigt, zieht er es vor, bei Auslandsreisen unter einem seiner geringeren Titel, Graf Pruzinsky, bekannt zu sein. In den meisten Dingen ist er jedoch überaus korrekt. Er hat mich nicht einmal geküsst! Und das, obwohl er mich gebeten, ja geradezu bekniet hat, ihn mit seinem Vornamen anzusprechen. Das ist natürlich nicht geziemend, aber wunderbar intim.«
»Und nichts, was man von einem Prinz erwarten würde.«
»Ich finde es sehr charmant. Es gibt nichts Schöneres, als mit Angehörigen königlicher Familien auf vertrautem Fuß zu stehen, weißt du.«
»Nein, das weiß ich nicht, aber ich will es dir mal glauben.« Beryl betrachtete sie neugierig. »Und wie hast du diesen ungewöhnlichen Prinzen kennengelernt?«
»Wir sind uns ganz zufällig über den Weg gelaufen. Ich verließ gerade einen Ball, und er kam soeben erst an. Dann stolperte ich über einen Stein, und er fing mich auf.« Sie lächelte bei der Erinnerung daran. »Es war sehr romantisch und … na ja, Schicksal eben.«
»Verstehe.«
»Ich mag ihn sehr.«
Beryl nickte. »Sonst würdest du ihn bestimmt nicht heiraten wollen.«
»Außerdem könnte er sehr gut meine letzte Möglichkeit sein, zu heiraten und mich zu verlieben.«
»Vielleicht solltest du dir überlegen, ob du dich nicht zuerst in den Mann verlieben und ihn dann erst heiraten willst.«
»Ein komischer Rat aus deinem Munde. Und wie lange soll ich darauf warten, dass das geschieht, Beryl?« Camille rümpfte die Nase. »Wir sind immerhin schon über dreißig, und wer weiß, wie viele Gelegenheiten sich noch bieten werden …«
»… eheliches Glück zu finden?«, warf Beryl ein.
»Genau.« Camille nickte. »Das hier könnte meine letzte Chance sein. Ich zweifle nicht daran, dass er mich sehr glücklich machen wird, und bin fest entschlossen, ihm eine wunderbare Ehefrau zu sein.«
»Und Prinzessin.«
»Ja, ich werde auch eine sehr gute Prinzessin sein.« Camille grinste. »Wir werden kleine Prinzen und Prinzessinnen haben und zusammen alt werden. Und sehr, sehr glücklich miteinander sein.«
Beryl lächelte. »Dann solltest du dir deine Pläne von nichts und niemandem vereiteln lassen.«
»Das habe ich auch nicht vor.« Camille holte tief Luft. »Aber ich werde deine Unterstützung brauchen.«
»Ach?«
»Ja, denn ich werde übermorgen in Mutters Haus umziehen, und da es ohne meine Schwester – Zwillingsschwester! – kein richtiges Weihnachten wäre …«
Beryl verengte misstrauisch die Augen.
»Hoffe ich«, fuhr Camille rasch fort, »dass du und Lionel das Fest mit uns auf dem Land verbringen werdet.«
»Mit euch?«
Camille nickte.
»Mit dir, dem Prinzen und einem Schauspielerensemble, das die Familie spielen wird?«
Camille seufzte. »Es klingt wirklich recht absurd, wenn du es so ausdrückst.«
»Es gibt keine Möglichkeit, es so auszudrücken, dass es nicht absurd klingt.«
»Du musst das verstehen! Es ist ja nicht nur so, dass wir nicht besonders traditionell sind – Nikolai hat dummerweise auch noch irgendeine merkwürdige Vorliebe für englische Weihnachtsfeste. Eine weitere Eigenheit von ihm, aber Fremde können nun mal sehr … nun ja …«
»… fremdländisch sein?«, warf Beryl hilfreich ein.
»Genau.« Camille nickte. »Er hat Mr. Dickens’ sämtliche Weihnachtswerke gelesen. Das Heimchen am Herde, Die Sylvesterglocken und natürlich auch Eine Weihnachtsgeschichte. Und ich möchte ihm ein traditionelles englisches Weihnachtsfest mit der richtigen Art von englischer Familie bieten. Denn genau das ist es, was er gerne hätte.« Sie zwang sich, ihrer Stimme einen etwas wehmütigen Tonfall zu verleihen. »Und das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt, Beryl.«
»Wie auch, ihn davon zu überzeugen, dass er nicht in eine Familie von fragwürdigem Anstand einheiraten würde?«
»Ach ja.« Camille tat ihre Bemerkung mit einer Handbewegung ab. »Das natürlich auch.«
Beryl dachte einen Moment lang nach. »Das ist nichts, was Lionel befürworten würde.«
»Aber für einen Mann, der Premierminister werden will, kann es doch nur hilfreich sein, einen ausländischen Staatschef kennenzulernen.«
»Du hast du wiederum recht.«
Camille verkniff sich ein zufriedenes Lächeln. »Und du kannst ihm ja auch klar machen, wie wichtig es für mich ist. Außerdem ist es Jahre her, seit wir Weihnachten zusammen auf dem Landsitz verbrachten. Es wird wieder so wie früher sein, als wir noch Kinder waren. Wir werden das Haus festlich schmücken, einen Julbock für die Geschenke aufstellen und Weihnachtslieder singen, und es wird ein ganz, ganz wundervolles Fest werden.« Ein flehentlicher Ton schwang jetzt in ihrer Stimme mit. »Oh bitte, bitte, Beryl, tu es mir zuliebe! Ich verspreche dir auch, dich nie wieder um etwas zu bitten, das mit Schauspielern und Weihnachten zu tun hat.«
»Na schön. Solange du es mir fest versprichst, wie könnte ich da Nein sagen? Ganz abgesehen davon« – Beryls Augen funkelten vor Belustigung – »dass ich mir dieses Weihnachtsfest sowieso um nichts auf der Welt entgehen lassen würde, Schwesterherz.«
21. Dezember
Schön, dich wieder daheim zu haben, Grayson.« Lord Fairborough musterte seinen Neffen mit einem abwägenden Blick. »Du bist viel zu lange fort gewesen.«
»So lange war es auch nicht, Sir.« Grayson Elliotts Lächeln tat die Worte seines Onkels als maßlos übertrieben ab.
Onkel Roland zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Ich würde sagen, dass elf Jahre sogar eine sehr lange Zeit sind.«
»Mag sein.« Gray trank seinen Brandy und betrachtete den älteren Mann vor ihm. Er sah viel besser aus, als Gray befürchtet hatte. Tatsächlich waren die Jahre sogar sehr gut mit seinem Onkel umgegangen. Sein Haar war ein bisschen mehr ergraut, sein Gesicht ein bisschen faltiger, aber alles in allem hatte Onkel Roland sich gut gehalten. Trotzdem konnte Gray nicht umhin, zu denken, dass einige von Onkel Rolands Falten seiner eigenen langen Abwesenheit zugeschrieben werden könnten. Er wusste, dass sein Onkel und auch seine Tante sich in diesen letzten elf Jahren große Sorgen um ihn gemacht hatten. Der Einzige, der sich nicht gesorgt hatte, war Winfield, sein Cousin. Aber Win hatte ja auch schon bei mehr als einer Gelegenheit zugegeben, dass er Gray beneidete um seine Freiheit zu tun, was ihm beliebte, und dass er sein eigenes, wenn auch nur indirektes Vergnügen aus den Erlebnissen seines Cousins bezog. Gray wäre der Erste, der bereit war, zuzugeben, dass die Regelmäßigkeit seiner Korrespondenz an Onkel und Tante allenfalls nur willkürlich gewesen war. Manchmal hatte er über ein halbes Jahr lang keinen Brief geschrieben. Die Gewissensbisse, die ihn jetzt erfassten, ignorierte er jedoch. »Aber sie ist schnell vergangen.«
»Für dich vielleicht, aber nicht für uns andere.« Onkel Roland lachte leise. »Ich nehme an, dass es eine ziemlich abenteuerliche Zeit für dich gewesen ist.«
»Gelegentlich war sie das, oh ja«, erwiderte Gray schmunzelnd. Natürlich hatte es auch Abenteuer gegeben in der Zeit, während er sein Vermögen aufgebaut hatte, aber es war alles andere als leicht gewesen. Seine Bemühungen um und anschließende Investitionen in Schifffahrt, Eisenbahn und Importe nach Amerika waren äußerst strapaziös gewesen und hatten ihm wenig Zeit für Amüsement oder den Genuss seines Erfolgs gelassen. Aber die harte Arbeit hatte sich ausgezahlt, denn heute besaß er das Vermögen, das zu erlangen er ausgezogen war. »Und ich habe dir dafür zu danken.«
»Unsinn.« Sein Onkel winkte ab. »Was ich dir geliehen habe, war unbedeutend, und du hast es mir schon vor über zwei Jahren zurückgezahlt. Mit Zinsen.« Er hielt einen Moment inne. »Das war übrigens nicht nötig. Dein Vater war immerhin mein einziger Bruder, und ich habe dich immer als meinen zweiten Sohn betrachtet.«
»Und dafür war ich dir auch immer dankbar.«
Er hatte immer gewusst, wie glücklich er sich schätzen konnte, nicht wie eine unerwünschte Verpflichtung behandelt worden zu sein. Er war kaum fünf Jahre alt gewesen, als sein Vater und seine Mutter, eine Amerikanerin, gestorben waren. Seine Tante und sein Onkel hatten ihn aufgenommen, um ihn zusammen mit ihrem eigenen sechsjährigen Jungen großzuziehen. Sie hatten ihn nie anders als ihren eigenen Sohn behandelt, und trotzdem bestand ein Unterschied zwischen ihnen. Win trug den Titel Viscount Stillwell und würde eines Tages der Earl of Fairborough sein, während Gray nie mehr als ein titelloser Verwandter sein würde.
»Es war nicht nötig, in die Welt hinauszuziehen, wie du es getan hast, weißt du.« Ein schroffer Ton schwang in der Stimme seines Onkels mit. »Ich hatte immer die Absicht, für ein gutes Auskommen für dich zu sorgen und mein Vermögen und meine Ländereien so gerecht wie möglich zwischen dir und Winfield aufzuteilen. Natürlich wird er meinen Titel und Fairborough Park erben, aber …«
»Es war nötig, Onkel«, sagte Gray ein wenig schärfer als beabsichtigt. Aber dann wiederum hatten sie die gleiche Diskussion ja auch schon geführt, als er Fairborough Hall und England verlassen hatte, um sein Glück zu machen. In etwas milderem Ton fügte er hinzu: »Es gibt Dinge, die man allein tun muss.«
»Du warst schon immer dickköpfig und eigenständig – wovon einiges mit Sicherheit auf dein amerikanisches Blut zurückzuführen ist.« Sein Onkel starrte ihn einen langen Moment an, und ein wehmütiges Lächeln erschien um seine Lippen. »Aber du hast auch so viel von meinem Bruder in dir. Heute noch mehr als damals.« Er erhob sein Glas. »Willkommen daheim, mein Junge!«
»Danke, Onkel.« Gray lächelte. »Es ist schön, wieder zurück zu sein.«
Es tat wirklich gut, wieder daheim zu sein. Bis jetzt war ihm nicht einmal bewusst gewesen, wie sehr er England und seine Familie vermisst hatte – auch wenn es in gewisser Weise fast so war, als wäre er nie fortgegangen.
Alles in dem Landhaus war noch genauso, wie er es in Erinnerung hatte. Er blickte sich in der Bibliothek seines Onkels um. Die bis zur Decke reichenden Regale mit ihren akribisch angeordneten Büchern waren unverändert. Beim näheren Betrachten würde er zweifellos feststellen, dass kein einziges Buch an der falschen Stelle stand, sondern alles noch genauso war, wie sein Onkel es liebte. Auch die bequemen Ledersessel und das Sofa standen an den gleichen Plätzen wie immer und sahen kein bisschen mitgenommener aus nach all den Jahren. Der mächtige Mahagonischreibtisch, der schon Grays Großvater und dessen Großvater gehört hatte, nahm noch immer den gleichen Platz zwischen den beiden Bleiglasfenstern ein. Dieselben Familienporträts hingen in exakt der gleichen Art und Weise da wie immer – bis auf die bemerkenswerte Ausnahme über dem Kamin.
Als Gray das letzte Mal in diesem Raum gewesen war, hatte ein Porträt seines Großvaters diesen Ehrenplatz eingenommen, doch nun hingen dort zwei andere Bilder. Beide waren sich erstaunlich ähnlich und dennoch überhaupt nicht gleich. Beide stellten jeweils zwei Knaben dar, und alle vier Gesichter wiesen eine Ähnlichkeit auf, die eine enge Verwandtschaft zwischen ihnen erkennen ließ. Abgesehen von dem unterschiedlichen Stil der Maler hätten beide Porträts von denselben Jungen sein können. Aber das zur Linken war ein Bild von Graysons Vater und Onkel, als sie vielleicht zehn und zwölf Jahre alt gewesen waren. Das Bild rechts davon zeigte Gray und Win und war gemalt worden, als sie zehn oder elf gewesen waren. Obwohl der Stil des älteren Gemäldes ein bisschen steifer war, war es dem Künstler doch sehr gut gelungen, die Zuneigung des älteren Bruders zu dem jüngeren wiederzugeben. Was das andere Porträt anging, so erinnerte Gray sich noch sehr gut an die Sitzungen mit dem Künstler, in deren Verlauf sie ihn durch ihre ganz eigene Version der Hölle eines Zehnjährigen geschickt hatten. Irgendwann hatte der so gestrafte Maler ihnen mit schlimmen Konsequenzen gedroht, falls sie sich nicht benahmen. Schlimm, erinnerte sich Gray, bedeutete, dass zwar nicht Onkel Roland, aber Tante Margaret über ihr Verhalten in Kenntnis gesetzt werden würde. Denn sie war es gewesen, die ein Porträt der Jungen hatte malen lassen wollen, obwohl eine Fotografie wesentlich einfacher und für alle weit weniger strapaziös gewesen wäre. Doch wehe dem, der Tante Margarets Wünsche und Absichten durchkreuzte!
»Bist du denn nun endgültig zurückgekehrt? Oder ist es noch zu früh, dich das zu fragen?«
»Ich fürchte, darüber muss ich erst noch nachdenken.« Gray wollte der Frage nicht ausweichen, er war sich nur tatsächlich nicht sicher, wie lange er in England bleiben würde. Er musste erst noch entscheiden, ob es nur ein Besuch oder eine endgültige Heimkehr war. Allermindestens würde er jedoch bleiben, solange ihn sein Onkel brauchte, auch wenn er vorsichtshalber schon für den Tag nach Weihnachten eine Schiffspassage nach Amerika gebucht hatte. Doch natürlich konnte die Passage jederzeit storniert werden.
»Dann werden wir später darüber reden«, sagte Onkel Roland. »Deine Tante wird ebenfalls sehr erfreut sein, dich zu sehen.«
»Wo ist sie? Ich erwartete schon, sie die Treppe herunterfliegen zu sehen, sowie die Dienstboten euch die Nachricht meiner Ankunft überbrachten.«
»Wenn du uns geschrieben hättest, dass du endlich heimkehren würdest, wäre sie hier gewesen.« Ein leiser Vorwurf schwang in der Stimme seines Onkels mit. »Da sie jedoch keine Ahnung davon hatte, hält sie sich seit einigen Tagen in London bei der Familie ihrer Schwester auf, um Weihnachtsgeschenke einzukaufen und was sie sonst noch für die Fröhlichkeit und Festlichkeit der Jahreszeit für nötig hält. Wir erwarten sie am Tag vor Weihnachten zurück.« Er lächelte. »Allerdings bist du das beste Geschenk, das sie sich hätte wünschen können. Sie hat dich sehr vermisst. Wie wir alle übrigens.«
»Und ich euch«, erwiderte Gray und musterte seinen Onkel prüfend. »Wie geht es dir, Onkel?«
»Gut genug für einen Mann in meinem Alter, nehme ich an.« Onkel Roland zuckte mit den Schultern. »Ich bewege mich regelmäßig, nur kann ich leider nicht mehr alles essen, was ich früher gerne aß, was zwar zu erwarten war, aber dennoch ärgerlich ist. Meine Knochen ächzen ein bisschen, aber alles in allem behaupte ich mich ganz gut gegen die Spuren der Zeit.«
»Du bist also nicht krank gewesen?«
»Oh, ich hatte eine böse Grippe vor ein paar Monaten.«
»Das ist alles?«
»Es war eine sehr unangenehme Erkältung«, sagte Onkel Roland nachdrücklich.
Gray wählte seine Worte mit Bedacht. »Dann bist du also nicht … todkrank?«
»Todkrank?« Onkel Roland machte große Augen. »Sehe ich so aus, als ob ich in den letzten Zügen läge?«
»Du siehst gesund aus, aber …«
»Wir sterben alle, Cousin. Einige von uns früher als andere.« In Reitkleidung und mit einem breiten Grinsen im Gesicht kam Win in die Bibliothek geschlendert.
Gray sprang auf und starrte seinen Cousin an. Seine Verärgerung über Wins offensichtliche Lüge vermischte sich mit Freude über das Wiedersehen mit dem Mann, der für ihn wie ein Bruder war. »Du hast geschrieben, er würde sterben.«
»Das wird er auch.« Win zuckte mit den Schultern. »Wir alle sterben irgendwann. Dem Tod kann niemand von der Schippe springen.«
Onkel Roland runzelte die Stirn. »Winfield, was hast du getan?«
»Was ich getan habe, Vater, war, dir und Mutter euren größten Weihnachtswunsch zu erfüllen – gleich nach meiner Heirat und dem Erben, den ihr von mir haben wollt. Aber das wird bis zu einem der nächsten Weihnachtsfeste warten müssen.« Win warf seinem Vater das ansteckende Lächeln zu, das schon mehr als einer widerstrebenden Dame zum Verhängnis geworden war; dieses unwiderstehliche Lächeln, mit dem er fast immer erreichte, was er wollte.
»So.« Er ging zu seinem Cousin, blieb vor ihm stehen und sah ihm in die Augen. Sie waren beide von hochgewachsener Gestalt mit höchstens einem Zentimeter Unterschied zwischen ihnen. Auch vom Körperbau her waren sie sich sehr ähnlich, beide waren kräftig und sehr gut in Form. »Wirst du jetzt endlich zugeben, dass du einen Fehler gemacht hast? Dass du schon vor Jahren hättest heimkehren sollen und insgeheim sehr froh bist, dass ich dich letztendlich dazu gezwungen habe? Oder soll ich mit dir in den Garten hinausgehen und dich ordentlich verdreschen, wie ich es früher getan habe, als wir noch jung waren?« Er grinste noch breiter. »Du unzivilisierter Amerikaner!«
»Du konntest es damals nicht und kannst es auch heute nicht.« Grays Grinsen war nicht weniger breit als das seines Cousins. »Du aufgeblasener englischer Pinkel!«
Onkel Roland stöhnte.
Win klopfte Grayson auf die Schulter. »Dann verzeihst du mir also?«
Erleichterung kämpfte mit Ärger, und Zuneigung gewann. Gray zuckte mit den Schultern. »Nun ja, im Geiste der Weihnacht …«
Win lachte und umarmte ihn. »Schön, dich wiederzuhaben.«
»Schön, wieder da zu sein.« Noch bevor er sie ausgesprochen hatte, erkannte er, wie wahr die Worte waren. Er war viel zu lange weg gewesen.
Onkel Roland räusperte sich, und die Cousins wandten sich ihm zu. Für einen Moment umwölkten sich die Augen des älteren Mannes, was Gray verriet, dass Onkel Roland an sich selbst und seinen geliebten jüngeren Bruder dachte. Es war nicht von der Hand zu weisen, wie sehr Win seinem Vater ähnelte; mit seinem dunklen Haar und seinen blauen Augen war er wie eine jüngere Version Onkel Rolands – so wie auch Gray das Ebenbild seines eigenen Vaters war mit seinem dunkleren Haar und den dunkelbraunen Augen.
Onkel Roland richtete einen strengen Blick auf seinen Sohn. »Unter normalen Umständen kann ich solche Winkelzüge nicht billigen. Da jedoch Weihnachtszeit ist und deine Absichten offensichtlich gute waren …« Er versuchte vergeblich, ein zufriedenes Grinsen zu verbergen. »Kann eine kleine Täuschung wohl ausnahmsweise mal vergeben werden, im Geiste der Weihnacht und dergleichen, denke ich.« Seine Augen verengten sich ein wenig. »Und was diese andere Sache anbelangt …«
»Keine Angst, Vater«, sagte Win mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Was das betrifft, so habe ich schon einen Plan. Und ich würde sogar jede Wette eingehen, dass ich bis zum nächsten Weihnachtsfest verheiratet bin.«
Onkel Roland musterte ihn zweifelnd; dann schnaubte er nur ungläubig und wandte sich ab, um sein Glas wieder aufzufüllen.
»Hast du einen Plan?«, flüsterte Gray seinem Cousin ins Ohr.
Wins Lächeln schwand. »Nicht einmal den Schimmer eines Plans.«
Gray verkniff sich ein Grinsen. Das Zimmer war nicht das Einzige, was sich nicht verändert hatte.
»Mylord?« Prescott, seit eh und je der Butler der Familie, war in der Tür erschienen. »Sie wünschten, kurz vor eins an die Uhrzeit erinnert zu werden.«
»Ja, danke, Prescott.« Onkel Roland warf einen letzten Blick auf seinen Sohn und seinen Neffen. »Ich befürworte dein Verhalten nicht, aber es war nicht deine schlechteste Idee, mein Junge.«
Win lachte. »Danke, Vater.«
Onkel Roland ging zur Tür. »Ich hoffe allerdings sehr, dass dein Plan bezüglich jener anderen Sache genauso gut gelingen wird.«
»Ich auch, Vater.«
Onkel Rolands skeptische Antwort verlor sich zwischen Korridor und Bibliothek. Gray hielt es für das Beste, dass man die Worte nicht verstehen konnte; der Ton war unmissverständlich.
»Wie ich sehe, gehen die Bemühungen, dich vor den Altar zu bringen, weiter.«
»Sie werden nicht eher aufhören, bis ich mich für den Rest meiner Tage an irgendein armes, ahnungsloses Geschöpf gebunden habe.« Win ging durch den Raum zu der Karaffe mit dem Brandy auf Onkel Rolands Schreibtisch und schenkte sich ein Glas ein. »Und das ist deine Schuld, weißt du.«
Gray lachte. »Wieso ist es meine Schuld?«
»Wenn du hier wärst, würden Mutter und Vater ihre Bemühungen auf uns verteilen, statt sie auf mich allein zu konzentrieren. Während Vater einen Erben will, möchte Mutter eigentlich nur eine weitere Frau in der Familie haben.« Win zeigte mit dem Glas auf seinen Cousin. »Die kannst du ihnen genauso gut liefern wie ich.«
»Wahrscheinlich schon.«
»Und deshalb erwarte ich eine Entschuldigung von dir.«
»Ach ja?«, versetzte Gray mit hochgezogener Augenbraue. »Wenn überhaupt, bin ich ja wohl derjenige, der eine Entschuldigung verdient.«
»Weil ich dir schrieb, dass Vater stirbt?«
Gray starrte ihn an. »Findest du nicht, dass das nach einer Entschuldigung verlangt?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Win nachdenklich und lehnte sich an die Schreibtischkante. »Wie schon gesagt, wir sterben alle. Dass Vater nicht in naher Zukunft sterben wird, ist eigentlich belanglos.«
»Das würde ich nicht ›belanglos‹ nennen.«
»Wie dem auch sei, es hat jedenfalls bewirkt, was ich damit bezweckte.« Win nippte an seinem Brandy und betrachtete seinen Cousin. »Ich hätte schon vor Jahren darauf kommen sollen.«
»Du hättest mich auch einfach bitten können heimzukehren«, sagte Gray und erschrak über sich selbst.
»Und habe ich das etwa nicht getan?« Wins Augen verengten sich. »Lass mich überlegen … Als du drei Jahre weg warst, bat ich dich zurückzukehren.«
»Ich konnte nicht …«
»Im Jahr darauf, als meine erste Verlobung gelöst wurde und ich zutiefst erschüttert war, bat ich dich heimzukommen und mir zu helfen, meinen Kummer zu ertränken.«
»Damals war es mir unmöglich …«
»Und zwei Jahre später bat ich dich, zu meiner Hochzeit zu kommen, und es passte dir mal wieder nicht.«
»Aber das war auch nur eine weitere Heirat, die nicht stattfand.«
»Die im allerletzten Moment nicht stattfand, wohlgemerkt! Es fehlte nicht viel, und ich wäre am Altar stehengelassen worden.« Er schüttelte bedrückt den Kopf. »Ich war am Boden zerstört, weißt du. Ich hätte die Unterstützung oder doch zumindest die starke Schulter des Mannes brauchen können, der mein bester Freund und wie ein Bruder für mich ist. Aber du konntest dir ja wieder einmal nicht die Mühe machen.«
»So, wie die Umstände lagen …«
»Und zwei Jahre später, als du endlich das Vermögen gescheffelt hattest, für das du so hart gearbeitet hattest, als du nicht mehr mittellos und perspektivlos warst …«
»Win«, unterbrach Gray ihn mit einem warnenden Unterton in seiner Stimme.
Sein Cousin fuhr jedoch gnadenlos fort. »… als sie verwitwet war und die Gelegenheit kam, es ihr ins Gesicht zu schleudern …«
»Win!«
»… bist du auch nicht heimgekommen.« Win stieß einen resignierten Seufzer aus. »Nachdem dich nicht einmal das nach Hause locken konnte, wusste ich beim besten Willen nicht mehr, was es könnte.« Er trank einen Schluck von seinem Brandy. »Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich nicht schon vor Jahren auf die Idee gekommen bin. Vater und dem Tode nahe!«, sagte er lachend. »Er ist viel zu dickköpfig, um zu sterben und alles in meine Hände zu übergeben, so tüchtig sie auch sein mögen.«
»Ich war fest entschlossen, in naher Zukunft nach England zurückzukehren.«
»Ich weiß.«
Gray runzelte die Stirn. »Wieso? Woher?«
»Das konnte ich dem Tonfall deiner Briefe in den letzten beiden Jahren entnehmen und auch einigen vagen Andeutungen in denen des Jahrs davor. Es war dir selbst vielleicht nicht einmal bewusst. Aber ich kenne dich so gut wie – nein, besser noch, als du dich selber kennst.«
»Ich habe noch immer keine Ahnung, was du mir eigentlich sagen willst.«
»Du weißt ganz genau, was ich dir sagen will, aber da dieses Gespräch elf Jahre auf sich warten ließ … elf Jahre, Gray!« Win schüttelte den Kopf, und ein anklagender Blick verdunkelte seine blauen Augen.
Gray starrte ihn an. »Ich … soll mich entschuldigen?«
»Und ob du das tun solltest!« Win stand auf und ging um seinen Cousin herum. »Du bist einfach weggegangen und hast Vater und Mutter glauben lassen, du müsstest selbst dein Glück machen, aus irgendeiner Art Verpflichtung deinen Eltern oder dir selbst gegenüber – was genau, war nie ganz klar, aber es hörte sich gut an.«
»Das ist genau der Grund, aus dem ich fortgegangen bin«, beharrte Gray.
»Ach ja? Du wusstest sehr gut, dass Vater die Absicht hatte, dir die Leitung der Familiengeschäfte zu übertragen, während ich mich um die Ländereien und Liegenschaften kümmern sollte. Vermutlich glaubte er, miteinander könnten wir, ich weiß nicht, die Welt beherrschen oder irgendetwas anderes, nur unwesentlich Geringeres erreichen.«
»Nun ja …«
»Es war kein unnötiges Pflichtgefühl seinerseits und Barmherzigkeit schon gar nicht, und das weißt du genauso gut wie ich.«
»Ja, wahrscheinlich schon, aber …«
»Aber stattdessen kehrtest du deiner Familie den Rücken und erlaubtest einer Frau, die dich für jemanden mit Vermögen und Titel fallen gelassen hatte, deine Lebensweise zu beeinflussen.«
Gray reagierte gereizt auf diese letzten Worte. »So war das nicht …«
»Nein?« Win verengte ärgerlich die Augen. »Wenn ich mich recht entsinne, hat Camille Channing – die heutige Lady Lydingham und Frau, die du liebtest – dich abserviert, um einen viel älteren Mann mit Geld und Rang zu heiraten. Einen Mann, der hatte, was du nicht hattest. Trifft das so weit zu?«
»Mehr oder weniger …«
»Um etwa genau die gleiche Zeit hast du, der immer ein vernünftiger Mensch zu sein schien, dir in den Kopf gesetzt, das Land schon fast fluchtartig zu verlassen und dein Glück woanders zu suchen, ausgerüstet mit kaum mehr als einem bescheidenen Darlehen von meinem Vater. Korrigiere mich, falls ich mich irre.«
Gray schüttelte den Kopf. »Sprich weiter.«
»Und dann, als sie verwitwet war und du einen Haufen Geld gemacht hattest, ja sogar schon fast als unanständig reich bezeichnet werden konntest …«
»Das weiß ich nicht …«
»Wie dem auch sei …« Win hörte nicht auf, Gray zu umkreisen wie ein Raubtier, bevor es zum entscheidenden Schlag ausholt, was äußerst irritierend war. »Da weigertest du dich noch immer heimzukommen. Weil …«
Gray biss die Zähne zusammen. »Weil?«
»Weil es nicht genug war«, sagte Win mit einem triumphierenden Beiklang in der Stimme. »Du musstest ihr nicht nur beweisen, dass du genauso gut warst wie der Mann, für den sie sich entschieden hatte, sondern dass du besser warst. Dass du zwar keinen Titel hattest, aber viel mehr Geld. Und da sie und ihre Schwestern immer ziemlich raffgierig waren in dieser Hinsicht, wäre es ein wunderbarer Triumph über die Frau, die dir das Herz gebrochen hat, erst heimzukehren, wenn dein Vermögen sehr viel größer war.«
Gray konnte das nicht einmal bestreiten. »Ich gebe zu, dass das einer meiner Beweggründe gewesen sein könnte …«
»Ah! Wusste ich’s doch.« Win hob sein Glas. »Jetzt kannst du ihr deinen Erfolg unter die Nase reiben.«
»Früher hätte ich es vielleicht getan, aber heute …« Gray schüttelte den Kopf. »Heute ist es die Mühe nicht mehr wert.«
»›Die Mühe nicht mehr wert‹? Du meine Güte!« Win starrte seinen Cousin an. »Seit wann bist du so edel?«
»Ich bin nicht edel.« Gray nippte nachdenklich an seinem Brandy. »Es – sie – bedeutet mir nichts mehr. Die Vergangenheit ist Vergangenheit, und was vorbei ist, ist vorbei. Es lässt sich nicht mehr ändern, und ich sehe keinen Grund, mich damit aufzuhalten. Ich habe mit Camille – oder Lady Lydingham – schon länger abgeschlossen, als ich mich entsinnen kann. Wie gesagt: Ihr heute noch etwas zu beweisen, wäre mir die Zeit nicht wert.«
»Oh, bravo, Gray! Was für ein exzellenter Vortrag.« Win prostete Gray zu. »Sehr beeindruckend. Natürlich glaube ich kein Wort davon, aber trotzdem sehr beeindruckend.«
»Es spielt keine Rolle, ob du es glaubst oder nicht«, entgegnete Gray mit einem Schulterzucken. »Ich bin an nichts mehr interessiert, was mit Lady Lydingham zu tun hat – außer vielleicht an der Freundschaft, die uns einmal verbunden hat.«
»Verstehe.« Win trank einen Schluck Brandy und betrachtete seinen Cousin versonnen. »Dir ist aber bewusst, dass sie noch immer Witwe ist und nicht wieder geheiratet hat, wie ich in meinen Briefen vielleicht schon erwähnte?«
»Ja, das hast du.« Auch Gray trank seinen Brandy. »Mit bemerkenswerter Häufigkeit.«
»Und das interessiert dich nicht?«
»Kein bisschen.«
»Und wenn ich nun hinzufügen würde, dass sie über Weihnachten auf dem Landsitz ihrer Mutter ist, nicht mehr als einen halbstündigen Ritt von hier entfernt, würde auch das nichts für dich ändern?«
»Absolut nicht.«
»Und wenn du ihr zufällig auf der Straße begegnen würdest, würde dein Herz dann nicht schneller schlagen und in deiner Brust flattern wie ein eingesperrter Vogel?«
»Wie ein eingesperrter Vogel?« Gray lachte. »Großer Gott, Mann, was ist los mit dir?«
»Ich versuche, mich poetisch auszudrücken«, beschied Win herablassend. »Ich habe das Herz eines Poeten, das weißt du doch.«
»Hast du nicht.«
»Na ja, vielleicht nicht.« Win zuckte mit den Schultern. »Das ist aber auch völlig unbedeutend im Moment, da es nicht mein Herz ist, über das wir sprechen, sondern deins.«
»Win.« Gray beugte sich vor und sah seinem Cousin in die Augen. »Ich gebe zu, dass ich Camille Channing einmal mein Herz zu Füßen legte. Und ja, das hat tatsächlich zu meinem Bestreben beigetragen, es in der Welt draußen zu etwas zu bringen, worin ich zugegebenermaßen ja auch sehr erfolgreich war. In dieser Hinsicht war sie das Mittel zum Zweck. Vielleicht war sie auch einmal selbst der Zweck, aber heute nicht mehr. In mir sind absolut keine Gefühle mehr für sie zurückgeblieben, bis auf die, die ein alter Freund für einen anderen hat.«
»Dann würdest du dir also keine Mühe geben, ihr aus dem Weg zu gehen?«
»Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte.«
»Und solltest du ihr wieder mal begegnen …«
»Ganz unerwartet auf der Straße?« Gray grinste.
»Oder wo auch immer«, fuhr Win fort. »Würdest du sie behandeln wie …«
»Wie man es mit jedem Nachbarn tut, den man fast sein Leben lang gekannt hat. Wie die Freunde, die wir einmal waren«, sagte Gray entschieden. »Mit Höflichkeit und Freundlichkeit.«
»Du würdest also nicht das Bedürfnis haben, sie in die Arme zu schließen, sie mit Küssen zu überhäufen und sie deiner unsterblichen Liebe zu versichern?«
Gray lachte. »Du liebe Güte, nein!«
»Wenn du dir sicher bist …«
»Bin ich.«
»Ausgezeichnet.« Win nickte. »Als Mutter vor drei Tagen nach London aufbrach, hinterließ sie der Köchin Anweisung, am selben Tag, an dem Lady Lydingham oder der Rest ihrer Familie eintreffen, einen Korb mit ihren besten Brötchen, Teekuchen und Plätzchen vorzubereiten und ihn als freundliche nachbarschaftliche Geste nach Millworth Manor bringen zu lassen. Das Gebäck unserer Köchin ist immer noch das Beste der ganzen Grafschaft. Mutter war sich nur nicht ganz sicher, ob auch Lady Lydinghams Mutter und Schwestern über Weihnachten hier sein würden. Lady Briston und ihre jüngste Tochter sollen in Paris sein.«
Gray warf seinem Cousin einen argwöhnischen Blick zu. »Und?«
»Und meinen Informationen nach ist Lady Lydingham gestern eingetroffen. Die Köchin hat den Korb gepackt, und er muss abgeliefert werden.«
»Und?«
»Und obwohl ich natürlich einen Diener schicken könnte, würde Mutter mir den Kopf abreißen, wenn der Korb nicht von einem Familienmitglied übergeben würde.«
»Dann hat sie mit ›Familienmitglied‹ wahrscheinlich dich gemeint.«
»Aber nur, weil sie nicht wusste, dass du hier sein würdest. Und ich habe leider noch viel zu tun.« Win bedachte seinen jüngeren Cousin mit einem grimmigen Blick. »Denn während du weg warst, um dein Vermögen zu machen, habe ich alles gelernt, was wir Vaters Wunsch entsprechend gemeinsam hätten tun sollen – Geschäftliches und Finanzielles sowie die Verwaltung sämtlicher Besitztümer und Investitionen der Familie. Was bedeutet, dass ich ein sehr hart arbeitender und vielbeschäftigter Mann bin. Es ist eine enorme Last, kann ich dir sagen …«
»Ich kann es mir nur vorstellen«, murmelte Gray.
»Die mir wenig Zeit für gesellschaftliche Feinheiten lässt.«
»Was vermutlich der Grund ist, warum du eine Verlobte nach der anderen verlierst.«
»Es würde mich jedenfalls nicht überraschen. Mann, ich musste mir heute praktisch die Zeit für einen Ausritt stehlen, bevor du ankamst! Und ich brauche dich, um diese nachbarlichen Weihnachtsgrüße an Lady Lydingham zu überbringen.«
Gray starrte ihn an. »Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich es vorziehen würde, es nicht zu tun.«
»Warum?« Win musterte ihn prüfend. »Du sagtest doch gerade noch, du würdest ihr nicht aus dem Weg gehen.«
»Das tue ich ja auch nicht.«
»Und ihr beide wart schon Freunde, bevor du dich in sie verliebtest.«
»Das stimmt.«
»Und du sagtest auch, du empfändest nichts mehr für sie. Du hättest mit ihr abgeschlossen. Und solltet ihr euch begegnen, würdest du sie mit Freundlichkeit und Höflichkeit behandeln wie ein alter Freund, der einem anderen begegnet.«
»Das habe ich gesagt, ja, aber …«
»Aber?« Win zog eine Augenbraue hoch. »Aber vielleicht war es dir ja nicht ernst. Vielleicht hegst du ja doch noch Gefühle für sie. Oder du hast Angst, sie wiederzusehen könnte zurückbringen, was …«
»Himmelherrgott, Win!«, fuhr Gray dazwischen. »Ich bringe ihr den verdammten Korb.«
»Das ist ja auch wirklich das Mindeste, was du tun kannst, nachdem du mich all diese Jahre im Stich gelassen hast, um …«
»Ich sagte doch, ich tue es!«
»Ja, ja, ich weiß – ich hatte nur schon lange nicht mehr so viel Spaß«, antwortete Win mit einem mutwilligen Grinsen und ging zur Tür. »Ich werde der Köchin sagen, dass sie den Korb jetzt packen kann, damit du dich, sagen wir in einer Viertelstunde auf den Weg machen kannst.« An der Tür blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu seinem Cousin um. »Egal, was du sagst, ich weiß, dass dir die Situation ein bisschen unangenehm sein wird. Du hast Camille seit elf Jahren nicht mehr gesehen, und bis du vor ihr stehst, kannst du nicht mit Sicherheit sagen, dass deine Gefühle für sie wirklich vollkommen erloschen sind.«
»Unsinn«, sagte Gray. »Ich hege daran nicht den kleinsten Zweifel, auch wenn du es anscheinend tust.«
Win betrachtete ihn einen Moment versonnen, und dann nickte er. »Ausgezeichnet. Und wenn du zurückkommst, kannst du mir bei meinem Plan helfen, zumindest bis zum nächsten Weihnachtsfest verheiratet zu sein.«
»Ich schätze, dass du dabei wirklich alle Hilfe brauchen wirst, die du kriegen kannst, da du ja noch nicht einmal eine bestimmte Frau im Sinn hast«, erwiderte Gray mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme.
»Das macht es nur zu einer noch größeren Herausforderung, alter Junge. Und Herausforderungen liebte ich schon immer.« Win grinste auf die gleiche verwegen-selbstbewusste Art wie schon zuvor und verließ das Zimmer.
Grays Lächeln verblasste, als die Tür der Bibliothek sich schloss. Verdammt, verdammt, verdammt! Warum musste Win ihm ausgerechnet heute diesen Besuch aufzwingen? Morgen vielleicht oder übermorgen – oder vielleicht sogar am Weihnachtstag … Ja, Weihnachten wäre perfekt gewesen. Eine zufällige Begegnung in der Kirche, umringt von unzähligen Leuten, das wäre eine zivilisierte Art und Weise, nach so langer Zeit die Frau wiederzusehen, die ihm, wenn auch unbeabsichtigt, das Herz gebrochen hatte.
Gray schwenkte den Brandy in seinem Glas und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Er hatte Win nicht belogen, nicht wirklich jedenfalls. Er hatte Camille tatsächlich schon vor langer Zeit in die Vergangenheit verbannt. Genauso, wie er auch schon vor langer Zeit zu der Erkenntnis gelangt war, dass das zwischen ihnen Vorgefallene ebenso sehr seine Schuld gewesen war wie ihre, oder vielleicht sogar noch mehr die seine.
Er hatte Camille jahrelang gekannt, aber ihm war nie bewusst gewesen, dass er sie liebte, bis sie kurz davor stand, Lord Lydingham zu heiraten. Nein, das war nicht wahr. Erkannt hatte er es schon lange vorher, als er eines Tages schlagartig begriff, dass aus dem Mädchen, das auf dem benachbarten Landsitz lebte, eine junge Frau geworden war. Die Frau, der sein Herz gehörte. Und trotz dieser Erkenntnis hatte er überhaupt nichts unternommen. Doch damals war er jung und unsicher gewesen – und im Nachhinein betrachtet auch ein Idiot, denn erst am Tag vor ihrer Hochzeit hatte er ihr endlich seine Gefühle für sie gestanden.
Natürlich war es dumm von ihm gewesen zu erwarten, dass sie alles über Bord werfen würde, was man sie ihr Leben lang gelehrt hatte, aber er hatte es gehofft. Dabei hatte er sehr wohl gewusst, dass sie es für ihre Aufgabe im Leben hielt, eine gute Partie zu machen, denn wer konnte schon wissen, was der Familie einmal widerfahren würde? Im Laufe der Jahre hatten sie hin und wieder darüber gesprochen, und es war ihm wie eine ausgesprochen praktische Sichtweise einer Frau erschienen. Armut, hatte sie ihm einmal sehr ernsthaft versichert, lauere hinter jeder Ecke. Nicht, dass Lady Briston der Verarmung je auch nur nahegekommen war. Aber man wusste ja nie, was unter einem anderen Dach vor sich ging. Lord Briston war seit vielen Jahren tot, und Lady Briston hatte nie wieder geheiratet. Lord Bristons Zwillingsbruder zog es noch immer vor, sich als »Colonel Channing« anzusprechen zu lassen, obwohl er längst den Dienst quittiert hatte, statt den Titel anzunehmen, den er von seinem Bruder geerbt hatte, aus Achtung dem Verstorbenen gegenüber offenbar. Demnach waren wahrscheinlich weder Colonel Channing noch Lady Briston je ganz über Lord Bristons Ableben hinweggekommen. Camilles Schwester Beryl hatte eine gute Partie gemacht, und nun war Camille an der Reihe.
Sie war total schockiert gewesen von Grays Liebeserklärung und hatte ihm, so rücksichtsvoll sie konnte, klargemacht, dass es schlicht unmöglich war. Sie hatte ihm sogar dafür gedankt, dass er versuchte, sie von einer Heirat ohne wahre Liebe abzuhalten, die sie sich stets gewünscht hatte. Aber in ihren Augen war etwas gewesen, das ihre Worte Lügen strafte.
Und da hatte er sie geküsst. Zum ersten und zum letzten Mal. Sie hatte den Kuss erwidert, und für einen unglaublichen Moment war ihm tief in seinem Herzen klar gewesen, dass alles möglich war. Dass sie ihn ungeachtet dessen, was sie sagte, wirklich liebte.
Doch dann hatte sie ihn weggestoßen und gesagt, es sei das Beste, wenn er auf der Stelle ginge. Und er war so dumm gewesen, ihr daraufhin vorzuwerfen, dass sie ihn