Ein Traum von einem Schiff - Christoph Maria Herbst - E-Book

Ein Traum von einem Schiff E-Book

Christoph Maria Herbst

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Beschreibung

UNTERWEGS AUF DEM DAMPFER DER NATION: DA BLEIBT KEIN BULLAUGE TROCKEN! Drei Wochen auf dem legendären Traumschiff – Traum oder Alptraum? Schauspieler Christoph Maria Herbst war auf der »schwimmenden Schwarzwaldklinik« engagiert und hat eine Art Roman über die Reise geschrieben: unvergessene Begegnungen mit Montezuma und liebenswerten öffentlich-rechtlichen Fossilen, mit Zyklonen und Pantoffeldieben zwischen Panama und Bora Bora. Viel Spaß … bei einem der letzten Abenteuer unserer Zeit! »Unterhaltsamer Blick hinter die Kulissen.« NDR2 »Wer Herbsts Art mag, wird das Buch lieben.« Porta Magazin »Dieses Debüt reiht sich charmant ein in jüngere Schiffserzählungen wie ›Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich‹ von David Foster Wallace oder ›In 180 Tagen um die Welt‹ von Matthias Politicki.« WDR 1LIVE

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Seitenzahl: 174

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Christoph Maria Herbst

Ein Traum von einem Schiff

Eine Art Roman

Erzählung/en

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung][Karte][Motto]PrologbuchKöln, 14. Dezember 2009, 17.19 UhrLogbuch1 Berlin, Dienstag, 22. Dezember 2009, 16.48 Uhr2 Mittwoch, 23. Dezember3 Freitag, 1. Januar 20104 Samstag, 2. Januar, 14.11 Uhr8 Stunden späterWeitere vier Stunden späterNoch drei Stunden später5 Sonntag, 3. Januar6 Montag, 4. Januar auf ihr7 Dienstag, 5. Januar, 10.17 Uhr8 Die Nacht darauf9 Der nächste Abend10 Tachsüber11 Dienstag, 12. Januar, 16.12 Uhr12 Prime Time13 Mittwoch, 13. Januar, 4.07 Uhr14 Ausgeschifft15 Nachmittags16 Der Abend17 Sonntag, 17. Januar, immer noch Viña del Mar18 Letzter Festlandtag19 Papeete, Dienstag, 19. Januar, 9.42 UhrAm Flughafen20 Bora Bora, Mittwoch, 20. Januar Wie … Penis?21 Boring Boring, Mittwoch, 27. Januar, 7.34 Uhr22 WeißnichtwoundwiespätEpilogbuch»Hallo, Christoph! Hörst du [...]

Für

M.G.

und

C. auf L.

 

 

»Ich bin unterwegs seit Wochen, die mich wie Jahre dünken. Es treibt mich auf den Meeren um […] Ich habe das ewige Meer auf beide Arten erlebt, in Schläfrigkeit und Gebraus …«

Thomas Mann

Prologbuch

Köln, 14. Dezember 2009, 17.19 Uhr

»Hallo, Christoph! Hörst du mich?«

»Wenn ›Hallo, Christoph! Hörst du mich?‹ bislang alles war, ja.«

»Gut. Die Verbindung ist schlecht.«

»Stimmt. Wer ist denn da?«

»Deine Agentin.«

»Ach, die Geheimagentin. Lange nichts gehört. Hast du neue Stimmbänder oder arbeitest du verdeckt?«

»Bin im Zug, deswegen die Verzerrung. Wie geht’s?«

»Du, es regnet seit Wochen und das bei minus zwei Grad.«

»Nennt man das nicht schneien!?«

»Nee, nicht in Köln. – Was kann ich für dich tun?«

»Das ZDF hat angerufen.«

»Kannst du absagen. Die zahlen zu schlecht.«

»Absagen würde ich auch gerne, aber aus anderen Gründen. Irgendwann solltest du für die aber auch mal arbeiten.«

»Was ist es denn? Ist Claus Kleber gestorben?«

»Nee, Rademann.«

»Rademann ist tot?«

»Hat angerufen.«

»Wow. Mr. Schwarzwaldklinik himself. Und ich soll Sascha Hehn spielen?«

»Mann, jetzt hör doch mal zu. – Hallo?«

»Ich hör zu.«

»Es geht ums Traumschiff.«

»Ich sag doch, sag ab.«

»Klar. Wollte es trotzdem mit dir besprechen.«

»Hör mal, wir haben doch die Abmachung, dass du mich bei Selbstverständlichkeiten nicht anrufen musst.«

»Dann ist ja gut. Alles andere hätte mich auch gewundert.«

»Was verpasse ich denn?«

»Harald Schmidt spielt mit, Jürgen Vogel wird wohl auch dabei sein, und die Reise geht die komplette südamerikanische Westküste entlang mit Panama, Costa Rica, Ecuador, Peru und Chile und von da fliegen die in die Südsee nach Bora Bora. – Hallo?«

»Sag’s zu!!«

»Aber ich –«

»Sag’s zu-hu!!«

 

… tut-tut-tut-tut-tut-tut-tut-tut-tut …

Logbuch

1Berlin, Dienstag, 22. Dezember 2009, 16.48 Uhr

Wolfgang Rademann will mich kennenlernen.

Der erfolgreichste Fernsehproduzent Deutschlands möchte ein finales Gespräch, bevor er mich eintütet.

Sitze im Berliner Hotel Kempinski, wo der Herr anscheinend Hof zu halten pflegt, und komme mir recht verloren vor in der rokokoesken Ecke an dem brennenden Kamin und in meinen abgewetzten Jeans auf der plüschigen Brokatchaiselongue.

Vielleicht ist das ja … die Besetzungscouch!? Lasse meinen Blick über das Polster schweifen: Der Stoff ist weder fleckig noch durchgescheuert.

Aber in der Schweiz bin ich auch nicht gerade. Neutrales Gebiet sieht anders aus. So griff mich gleich beim Betreten der Lobby etwas Livriertes mit Kajalaugen ab und näselte mich an:

 

»Herr Rademann kommt jeden Moment. Wenn Sie dort drüben Platz nehmen wollen. Sie sind doch Markus Maria Herbst?«

»Ja, aber dann sind Sie Siegfried und Roy!«, konnte ich mir so grad eben noch verkneifen und nickte einfach nur. Dies allerdings dann doch verkniffen.

Unaufgefordert wurde mir gleich eine mehrstöckige Porzellanetagere mit einem bunten Strauß diverser Pralinen und Printen, mindestens elf Spritzgebäcksorten und hochglanzglasierter Marzipanwürfel zwischen Sofa und Kamin auf den marmornen Clubtisch gestellt, um mir im größten Wartezimmer der Welt die Zeit zu versüßen. Sauer stieß mir auf, warum ich überhaupt hier saß.

Hatte meine Agentur doch nicht zugesagt?

War das hier noch eine Art Casting?

Hätte ich rasch noch ein Gedicht auswendig gelernt haben sollen oder zumindest eine kleine Steppnummer einstudieren müssen?

Habe in Ermangelung irgendwelcher zeitvertreibender Frauenzeitschriften die oberste Ebene meiner persönlichen Zuckerpyramide schon weggeputzt. Wie kariöse Vorboten verlassen kleine säuerliche Wölkchen meinen Mund, die auch im Nachklang noch glasiert schmecken. Wenn ich so weitermache, wird mich Rademann in einer Stunde eh nicht mehr erkennen. Wenn er überhaupt weiß, wie Markus Maria Herbst aussieht. Er dürfte sich mit seinen knapp Hundert wohl kaum für Stromberg interessieren, eher fürchte ich einen Einlauf von ihm, da ich in den Neunzigern mal zwei Pornofilme synchronisiert habe. Vielleicht erwartet er von mir, dass ich mich, bevor das unbefleckte Traumschiff mich empfängt, öffentlich von meinem damaligen Gestöhne distanziere!? Vielleicht will er aber auch nur ein Autogramm auf genau diese beiden DVDs.

Das Einzige, was ich mir vorgenommen habe, ist, ihm noch blöder zu kommen, wenn er mir blöd kommt.

Bestimmt schiebt Mr. Traumschiff die präpotente Bugwelle des Erfolgsmenschen vor sich her und hat sich seinerseits vorgenommen, mir, dem Comedy-Leichtmatrosen, so lange auf die Füße zu treten, bis ich vor Dankbarkeit vor einem Fernsehwolf wie ihm, der mich wie eine Kartoffel mit bloßer Hand zerquetschen könnte, auf die Knie sinke.

Nichts dergleichen werde ich zulassen.

Im Gegenteil: Habe extra vor dem Spiegel einige überhebliche Gesichtsausdrücke geübt, die ihm vor Augen führen sollen, was ich wirklich über ein Unterhaltungsfossil wie ihn denke und wie wenig ich von seinem künstlerischen Ground Zero halte. Da kann er mit noch so vielen, fetten Zigarren im Mund auf dicke Hose machen, während er an seiner goldenen Uhr in seiner Weste spielt und imaginäre Fussel von seinem Nadelstreifen entfernt, kann er noch so sehr durch mich durchgucken, mich ignorieren oder von mir verlangen, dass ich seine handgenähten Luxusbudapester lecke. Nur weil er ein Quotengarantgigant ist und ich mit meiner kleinen Büroserie eher im Trüben des Marktanteils fische, braucht er noch lange nicht zu denken, er sei was Besseres. Wo sind denn alle seine Fernseh- und Grimmepreise? Nur weil die Schwarzwaldklinik selbst in ihrer Wiederholung noch mehr Zuschauer hat als Wetten, dass …?! oder eine komplette Staffel meiner eigenen Serie, muss er nicht denken, das sei ein Qualitätssiegel. Im Gegenteil. Im Laufe der Jahre habe ich es geschafft, mir erfolgreich einzureden, dass wenige Zuschauer Qualität bedeuten, und auch alle meine Therapeuten haben mir recht gegeben, dass es niemals gut sei, die breite Masse zu erreichen, es sei denn man wolle Unterschichtenfernsehen machen, Mob TV, Hartz-IV-Bespaßung.

Nee, Nee, mein Lieber!! Ich fühl mich sauwohl mit meiner Handvoll zuschauender Studenten und Studienräte! Und vergiss nicht, du hast mich angerufen und du kannst froh sein, dass ich auf deinem komischen Albtraumschiff mal für ein bisschen Glanz sorge neben diesen ganzen Volkshochschulschauspielern.

Ich brauch dich nicht!

Ich kann auch ohne dich!

Viiieeel besser kann ich sogar ohne dich, und wenn du denkst … –

 

»Christoph, jrüß dich, ick bin der Wolfjang. Entschuldije die Vaspätung, aber ick hab dit einfach nich eher jeschafft. Kommt nich wieda vor. Trinksse ooch ’n Biea?«

 

Ein unauffällig gekleideter Herr mit riesengroßen, jugendlich wirkenden Augen, sympathischem Lächeln und Plastiktüte über dem Handgelenk setzt sich zu mir.

 

»Ääääh … ja, ja, sehr … äh … sehr gerne, Wolf … äh … Herr Rademann, aber nur, wenn ich Sie einladen darf?!«

»Dit is nett jemeint, aba ick wil ja wat von dia, und da isset ja dit Mindeste, dat ick dich einlade, wa? Und übrijens, ick bin der Wolfjang!«

 

Nickend ergebe ich mich kampflos diesem Charismakoloss, nicht ohne mich zu fragen, was es wohl mit dieser Markendiscountertasche auf sich hat. Bestimmt sind da die Requisiten drin für die Szene, die ich ihm jetzt vorspielen soll.

 

Wenn unsere hinduistischen Freunde recht haben und es so etwas wie Seelenwanderung gibt, dann hat Wolfgang Rademann bereits im alten Rom im Forum Romanum erfolgreich gebrauchte Streitwagen verkauft. Dieser, wie ich erfahre, 75-jährige ältere Herr, ist dermaßen überzeugend in allem, was er sagt, dermaßen straight in allem, was er tut, und dermaßen unschuldig in allem, wie er denkt, dass er mir einen VW Käfer aus den 70ern als Hybridwagen verkaufen könnte. Darüber hinaus ist er ein Bild von einem – Jungen, ein großer Junge von graziler Wucht. Wenn er anfängt, aus seinem Leben zu erzählen, funkeln seine Augen wie illuminierte Kronleuchter, nur, dass er nicht, wie die meisten alten Menschen, Gefangener der eigenen Vergangenheit ist; von früher erzählt er immer nur, um eine Brücke ins Heute und die Zukunft zu schlagen, und spätestens dann spricht er wie ein Kleinkind über Weihnachten. Alles, was er noch vorhat, plant und sich wünscht, kann unmöglich noch in dieses sein Leben passen und in diesem Moment wünsche ich mir, die Hindus hätten recht.

 

Wolfjangs Lieblingswörter sind »Knalla«, »Knülla« und »Kracha«, und wenn er lacht, brennt die Luft. Es ist ein »Muahahahahahaha«, das aus seinem Mund platzt, gefolgt von einem »Pffffffffffffffffffffft«, das er herstellt, indem er die Lippen so schürzt, als wolle er das grad gelegte Feuer noch anfachen.

Zu seiner Anzughose trägt er nicht das passende Jackett, sondern ein blaues Hemd, das den oberen Knopf nicht mehr zubekommt und es stattdessen vorzieht, den einen oder anderen Schatten eines Flecks vorzuweisen. Zunächst gehe ich davon aus, dass sie Abdrücke ehemaliger Spaghettispritzer oder Schweißperlen sind, komme aber schließlich zu der Erkenntnis, dass es sich dabei um getrockneten Speichel handelt, der ihm aus dem Mund läuft, wenn er abends, nach einem harten Tag der Akquisition von Schauspielern und der Inquisition von Redakteuren, auf seinem Ohrensessel mit ausklappbarer Fußbank einnickt. Im selben Augenblick entwickle ich Gefühle, die nur ein Enkel empfinden kann.

Unentwegt kritzelt er irgendwelche Hieroglyphen auf einen zerknitterten Block, den er in der Tasche seines vermeintlich bügelfreien Hemdes spazieren trägt, so, als wisse er gar nicht, wohin mit all seinen Ideen. Über seinem Handgelenk hängt die ganze Zeit, wie festgetackert, die merkwürdig schlaffe Tüte eines Supermarktes, der sich auf No-Name-Produkte spezialisiert hat, und am liebsten möchte man ihm einen Euro geben. Von mir würde er sogar zwei kriegen, wenn ich nur erführe, was sich in der Tasche befindet.

Im Laufe des Gespräches meine ich zu erahnen, was er mit sich rumträgt. Es wird Knoblauch sein. Dieser Ilja Rogoff der deutschen Fernsehunterhaltung riecht nämlich so unglaublich nach Knofi, als habe er sich seinen eigenen müffelnden Jungbrunnen mitten in Charlottenburg gebohrt; ganz sicher hat er das dünnste Blut der Welt und Viren haben keine Chance bei ihm, es sei denn, sie tragen mittlerweile Sauerstoffmasken. Das macht ihn mir leider nur noch sympathischer, bin doch auch ich, solange ich denken kann, zur Freude meiner Umwelt ein großer Freund dieser Knolle zermürbendster Ausdünstung.

»Wolfi riecht nach Knofi! Wolfi riecht nach Knofi!«, höre ich gedankenverloren das Echo, während ich das kleine Rademännlein im zarten Alter von sechs Jahren vor mir sehe, mit blauem Hemd, vollgekritzeltem Schiefertäfelchen und Plastebeutel in einer Ecke seines Schulhofs stehend, und seine komplette Klasse richtet den Zeigefinger auf ihn.

 

»Samma, die Biere müssen die noch brauen oder ßu wat sind wir hier jebeten, am besten ick koof den janzen Laden und mach ne Wurstbude draus, dit is doch nich möglich, bis die wat bringen, bin ick in der Sahara ja ersoffen … Muahahahahahaha … Pffffffffffffffffft!«

 

Ähnlich schnell wie sein Blut fließt auch seine Rede, die sich kaum stoppen lässt; wenn man es aber dennoch schafft, in eine seiner wenigen Atempausen zu grätschen – allem Anschein nach hat er an der Stelle, wo handelsübliche Menschen Lungenflügel haben, Windmaschinen, die grad Gedachtes im selben Moment als formulierte Sätze einfach rausblasen –, ist er ein aufmerksamer und aufgeschlossener Zuhörer.

Am Ende unseres monologischen Dialogs lüftet er ungefragt das Tütengeheimnis. Seine untertassengroßen Augen verengen sich für einen winzigen Moment zu Schlitzen, als er, ohne hinzugucken, eine Hand nestelnd in die Tasche steckt. Dabei behält er mich, wie ein Löwe die Gazelle, konzentriert im Blick, und ich meine, mehr als nur einen Schalk in seinem Nacken zu entdecken.

Was wird seine Hand hervorholen?

Eine Familienpackung hochdosierten Knoblauchs in Gelatinekapseln gepresst?

Den Schlüssel eines Gebrauchtwagens?

Oder einen weiteren Rademann, an dem eine weitere Tüte baumelt?

Eh ich mich’s verseh, drückt er mir eine Kladde in die Hand, und ich bin mir sicher, dass es sich dabei um das Drehbuch handelt. Als ich sie öffne, fallen mir zehn Din-A4-Seiten mit Farblaserfotokopien in den Schoß: die schönsten Ziele der anstehenden Reise inklusive Bilder des unfassbaren Luxusresorts auf Bora Bora.

Dieser gerissene Hund!

Er weiß genau, warum ich hier sitze.

Genüsslich bekommt er mit, wie meine Augen trocken werden, da meine Lider vor lauter Reizüberflutung vergessen, sich zwischendurch für die Wässerung mal zu schließen, und schiebt, erst kurz bevor sie drohen, auf den Tisch zu kullern, das dünne Drehbuch hinterher.

Eine perfekte Übergabedramaturgie.

Das Buch fühlt sich dünner an als die vorherige Kladde. Auf jeden Fall aber ist es nicht so bunt und garantiert werde ich es weniger interessant finden als die Bilder.

 

Elf Bier später möchte ich ein Kind von ihm, beiß mir kurz vorher aber noch auf die Zunge. Irgendwann setzen sich dann doch meine Beck’s durch, und ich hör sie sagen:

 

»Wolf … hicks! … Wolfgang Radeber … äh … Rademann! Genaussso hab ich mir ddich vorge … hicks! … vorgestellt: bescheiden und ßurückhaltend, mit einem Wort, genauso knallaknüllakracha, wie ich deine Fi … hicks! … Filme und Serien finde, und es wird mir eine Ehre ssein, auf deinem Fuck … hicks! … auf deinem Flaggschiff mitfahren zu dürfn!«

 

Kaum ist der Satz gelallt verhallt, zeigt mir mein Gegenüber alle seine 32 Zähne, die er komplett oben zu tragen scheint, und verabschiedet sich mit einem überglücklichen:

 

»Mein Junge, ick freu mia. Willkommen an Bord!«

 

Und urplötzlich wird mir klar, dass ich der Caster war und nicht er, dass er für sich und seine Serie die Werbetrommel gerührt hat, um mich zu überzeugen.

Gerührt und davon überzeugt, vor etwas ganz Großem zu stehen, ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche und smse meiner Agentin:

der beelze ist gar kein bub, sondern ein mann und der heißt rade, und dem habe ich grad meine seele verkauft und weißt du womit? mit recht! dein dr. faust

Als ich auch drei Stunden nach Absenden noch keine Reaktion erhalten habe, google ich vorsorglich nach neuen Schauspieleragenturen.

2Mittwoch, 23. Dezember

Ich schlafe schlecht. Seit sechzehn Tagen. Seit vierzehn Tagen wache ich auch schlecht. Tja, wenn’s einmal läuft. Ich sollte einfach tagsüber pennen und nachts meinem Tagwerk nachgehen. Wie wär’s mit einer Umschulung zum Bäcker? So übernächtigt wie ich tagsüber bin, kann ich froh sein, wenn mich mein Fitnessclub noch reinlässt. Das Foto auf dem Mitgliedsausweis hat mit dem 3D-Christoph nur noch das schüttere Haar und die eine oder andere Knitterfalte gemein.

 

Bin letztens auf meinem Fahrrad eingenickt. Gott sei Dank bin ich nicht von einem holländischen Sattelschlepper erfasst worden, das Rad stand zwischen Stepper und Laufband. Nicht auszudenken, wenn mir so was zur Rush Hour auf dem Stadtring passieren würde. So, wie ich danach aussähe, würde mir Rademann sicher gleich die feste Rolle des Kapitäns anbieten.

Noch schlimmer entwürdigt als nach diesem Schlummerstündchen fühle ich mich allerdings nach einem rekordverdächtigen Nickerchen in der clubeigenen, auf 80 Grad erhitzten Sauna, wonach ich mir vorkomme wie eine Mischung aus getrockneter Banane und geschreddertem Grillwürstchen. Einer Schlange nach der Häutung gleich krieche ich aus dem Schwitzraum und versenke meinen versengten Leib, der mehr mit einer einsachtzig großen Brandblase gemein hat, im Kältebecken, das mich zischend abschreckt und kurz danach zum Whirlpool mutiert. Wenn man die Telefonnummer der Guinnessbuch-Redaktion mal braucht, hat man sie nicht zur Hand, aber die Jungs dort hätten mich sicher eher irgendwo eingewiesen als irgendwo eingetragen, und in diesem Moment stoßen auch schon zwei Pärchen zu mir, die sich wundern, dass hier seit neuestem ein sprudelnder Jakuzzi steht.

Hätte um ein Haar den kompletten Pool leergesoffen, so sehr verlangt meine innere Wüste danach, da ich aber weder Lust habe, mit vier weiteren Nackten auf dem Trockenen zu sitzen, geschweige denn Chlor zu rülpsen, tue ich das einzig Sinnvolle und schiebe mir, wie der Anästhesist den Tubus, einen Wasserschlauch in den Hals. Gerädert, gebrandmarkt und gewässert warte ich jetzt nur darauf, dass mich noch jemand teert und federt, allein, das bleibt aus.

Versuche endlich ein weiteres Mal, das zu tun, dessentwegen ich doch eigentlich hergekommen bin, nämlich zu trainieren. Das Drehbuch, besser Drehheftchen, sieht nämlich die eine oder andere Oben-ohne-Szene vor. Habe mir fest vorgenommen, meine Rolle, die überhaupt kein Fleisch hat, nicht durch mein Eigenes aufzuwiegen, sondern im Gegenteil, dafür zu sorgen, dass ich mich in meiner Haut wohlfühle, wenn ich schon keine habe, in die ich schlüpfen kann. Sixpack werde ich nicht mehr hinkriegen. Momentan habe ich allerdings gerade mal ein One Pack im Angebot, und auch das ist lediglich die Narbe von einer Blinddarmoperation, die, je nachdem, wie das Licht fällt, durchaus als Muskel durchgehen kann. Da es für mich jedoch keine Alternative ist, mich weitere fünfmal unter das Messer zu legen, bleibt mir also nur der konservative Weg der Sit-ups.

Kaum dass ich liege, schlafe ich ein.

Was mir träumte, bin ich nicht in der Lage aufzuschreiben, denn es wird sich um ähnlich unbeschreibliche Bilder handeln, wie man sie haben dürfte, wenn man auf einem LSD-Trip gleichzeitig noch Cannabis raucht, weil man sich erst dann das mit diesem Bungee-Jumping traut. Was ich noch sicher weiß, ist, dass der Traum roch. Es war eine Mischung aus Pitralon und Knoblauch. Ganz sicher, ich war besessen von Rademann, und hätte ich nicht in Kauf nehmen wollen, dass sich der Exorzist in meiner Diözese totlacht, hätte ich ihn gebeten, eine Austreibung bei mir vorzunehmen.

Zunächst aber habe ich mir auf dem Weg zu meiner Gastrolle meine Speckrolle vorzunehmen. Wär doch gelacht, wenn ich mich nicht binnen kürzester Zeit in den frühen Sascha Hehn verwandeln kann – zumindest untenrum.

3Freitag, 1. Januar 2010

Gestern mit Freunden Silvester gefeiert.

Hab beim Bleigießen was Rechteckiges aus dem kalten Wasser gefischt, mit griffartigem Anhängsel an der schmaleren Seite.

»Is’ das denn?«, fragt mich A.

»’Ne Plastiktüte. Ihr seid dran.«

 

Döse nachmittags auf der Couch ein.

Traum vom Schiff.

Sitze auf dem Achterdeck, mit schlecht geklebter Halbglatze und Kinderschänderbart. Nicht in einem Liege-, sondern auf einem Drehstuhl, mit Rollen. Vor mir stehen, Hand in Hand, Ulf und Tanja. Die beiden wollen heiraten, sofort, und ich als Chef, ich sei ja quasi der Kapitän, und als Kapitän dürfte ich sie doch trauen. Ich antworte: »Das … ähh, das ist natürlich … richtig …« – Oder ob sie besser direkt zu Admiral Becker gehen sollten, weil ich womöglich wieder mal nicht zuständig wär. Fahre mir mit den Fingerspitzen über den Kinnbart: »Ich? Nicht zuständig? Det is ’n Brülla!«

Lache röchelnd mit halboffenem Mund.

 

Traumschiffschornstein tutet, hört sich aber an wie alte Kaffeemaschine. Aus einem Rettungsboot unterhalb der Reling nervt Ernie mit Marilyn-Monroe-Perücke: »Ich bin ein blonder Passagier! Woooohl!«

4Samstag, 2. Januar, 14.11 Uhr

Meine Güte, was hab ich getan?

Ich – habe – unterschrieben. Beim Klabautermann. Ich geh aufs Traumschiff.

Will ich wirklich meine bislang recht rundlaufende Karriere zum Eiern bringen und von der Schlossallee in die Turmstraße umziehen, und das für eine Blumenkette, die mir bei der Ankunft um den Hals gelegt wird?

Will ich wirklich, dass mir die komplette Branche nicht mehr in die Augen gucken kann und sich ab jetzt nur noch Soapies, Telenovelatanten und andere Konsonantenpromis mit mir unterhalten?

Reicht es nicht, in einer Wurstfabrik zu arbeiten? Muss man deswegen gleich selber Wurst werden?

Werde ich genügend untalentiert spielen können, um zu überzeugen?

Wie spricht man schlechte Texte gut?

Wie schnell kriegt man gute Laune schlecht?

Andererseits hat die Rolle – wenn man sie so bezeichnen will, ich würde sie eher Hülle nennen – nichts mit Stromberg zu tun, und das ist doch genau das, was ich seit einiger Zeit will. Das Problem ist nur, sie hat mit Niemandem was zu tun. Das ist kein Mensch, den ich da zu spielen hab, sondern eine Phrasendreschmaschine, die Klischees wie Worthülsenfrüchte erntet, um diese dann zu erbrechen. Ich hab das Gefühl, jemanden spielen zu müssen, der jemanden spielt, der jemanden spielt.

Oh, das klingt gut.

So ein bisschen nach Metaebene.

Genauso mach ich’s.

Gaaanz falscher Ansatz! Was rede ich vom Dachstuhl, wenn kein Fundament da ist. Grübel nicht so viel, tu es einfach, so wie alle anderen.

Hirn aus! Mund auf! Text raus! Amen.

 

»Nee! Neeneeneeneenee, ich kann das nicht«, denke ich, »ich kann das nicht, und ich will das nicht. Ich ruf die Agentur an. Ich steig aus«, und höre »… make sure that all electronic devices are totally switched off!« als Letztes, bevor der Airbus gen Panama abhebt.