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Volker Strübing liest und singt. Auf Lesebühnen, Poetry Slams, Literaturfestivals sowie in Kabaretts und Comedy Clubs. Seine Texte sind rasant, skurril und lustig auch wenn sie Tragödien erzählen. Mit schwarzem Humor und einem genauen Blick für das Abseitige berichtet er von Reisenden und Nachbarn, Helden und Antihelden, von frisch Verliebten und liebenswerten Paranoikern. Sein Alter Ego kämpft mit Herpes und böswilligen Doppelgängern, wird in einer Parallelwelt von der nie aufgelösten Stasi gejagt und fällt buchstäblich aus allen Wolken aber immer wieder auf die Füße.
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Seitenzahl: 200
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Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2007
Copyright: Verlag Voland & Quist – Greinus und Wolter GbR
ISBN: 978-3-938424-61-2
Covergestaltung: Marcel Theinert und Mario Helbing
E-Book-Erstellung: nimatypografik
Internet: www.voland-quist.de
Vorwort
1. Teil
Fleischsalat
Café Prägnant
Ich bin nicht paranoid. Ich kann beweisen, dass ihr mich fertig machen wollt!
Am Fenster
Der Benjamin
Mein Leben nach dem Tode
Berlin–Amsterdam. Ein Roadmovie
2. Teil
Die große Mauerparkorgie
Komischer Tag
Zwei Stunden bis Frankfurt
Ein Engel auf Erden
3. Teil
Die Liebe in den Zeiten der S-Skoliose
Die Liebe in den Zeiten der S-Skoliose II
Ein deutsches Leben – 1. Treibgut auf dem Meer der Einsamkeit (1971–84)
Ein deutsches Leben – 2. Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein (1984–85)
Ein deutsches Leben – 3. Wie mein Herz gebrochen wurde (1985–86)
4. Teil
Das Geheimnis der Illuminaten
Vorwärts zum 55. Jahrestag der DDR!
Der Feind in meiner Haut
Danke
Volker Strübing, 1971 geboren, ist in Sachsen-Anhalt und Berlin-Marzahn aufgewachsen. Über viele Jahre war er Mitglied der Lesebühnen „LSD – Liebe statt Drogen– sowie der „Chaussee der Enthusiasten–. Er gewann 2005 bei den deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften den Einzelwettbewerb und 2006 gemeinsam mit Micha Ebeling den Team-Wettbewerb. Zusammen mit Kirsten Fuchs schrieb er das Buch zur 3sat-Doku „Nicht der Süden–. Zuletzt erschienen „Mr. & Missis.Sippi–, ein weiterer Reisebericht, und seine Trickfilme rund um „Kloß & Spinne– auf DVD.
(Foto: Stefanie Lamm)
Meiner Mutter, die in diesem Buch völlig zu Unrecht schlecht wegkommt. Meinem Vater, der in diesem Buch völlig zu Unrecht keine Rolle spielt.
Ende 1995, Anfang 1996 fragten mich immer wieder Bekannte und Freunde, ob ich nicht sonntags mit zur Reformbühne Heim & Welt kommen wolle. Sehr gut sei das und sehr lustig, sagten sie. Mag sein, entgegnete ich, aber es ist eine Lesung. Nichts, womit ich einen Sonntagabend zu verplempern gedachte.
Ich frage mich, was aus mir geworden wäre, wenn ich standhaft geblieben und nicht eines Tages doch mitgegangen wäre … etwas »Vernünftiges« womöglich? Hm. Eher nicht, aber einiges in meinem Leben wäre ganz anders verlaufen. Seit ich das erste Mal im rappelvollen Schokoladen stand und Ahne, Bov Bjerg, Falko, Manfred Maurenbrecher, Michael Stein und Jürgen Witte, der Besetzung der Reformbühne an jenem Tag, lauschte, bin ich den Lesebühnen im Speziellen und der live vorgetragenen Literatur im Allgemeinen verfallen.
Als ein halbes Jahr später die Lesebühne »Supernova« (heute »LSD«) gegründet wurde, war ich mit von der Partie. Anfangs mit selbstgemachten satirischen Schlagern, ab Ende 1996 auch mit Kurzgeschichten. Seither stand ich allein bei LSD über 500-mal auf der Bühne.
Das vorliegende Buch und die CD zeigen einen Querschnitt meines Schaffens der vergangenen Jahre. Beginnend mit »Ein Ziegelstein für Dörte« – der ersten richtigen Kurzgeschichte, die ich überhaupt geschrieben habe, bis hin zu den »Kloß und Spinne«-Trickfilmen, mit denen ich gerade etwas Neues ausprobiere.
Es war nicht einfach, eine Auswahl für dieses Buch zu treffen. Auch wenn ich weit davon entfernt bin, jede Woche zwei neue Geschichten zu schreiben, so haben sich doch inzwischen einige hundert angesammelt. (Und beim Durchlesen so mancher Texte trieb mir der Gedanke, dass ich das mal öffentlich vorgelesen habe, die Schamesröte ins Gesicht.) Ich hoffe, das Buch ist lustig, abwechslungsreich und an manchen Stellen vielleicht sogar ein bisschen spannend geworden.
Viel Spaß beim Lesen
Volker Strübing
im August 2007
Es war der vierte Morgen des Programms Neues Leben . Schluss mit dem Rumsumpfen!, hatte ich vor ein paar Tagen beschlossen. Schluss damit, um drei betrunken ins Bett zu gehen, den halben Tag zu verschlafen und den andern halben Tag aus verquollenen Augen verständnislos in die Gegend zu gucken. Von nun an würde ich jeden Tag spätestens um neun aufstehen und aktiv in den Tag starten.
Die ersten drei Tage waren die Hölle gewesen. Ich hatte es noch nicht geschafft, Bettgehzeit und Alkoholkonsum meinem neuen Leben anzupassen. Und in dieser Nacht hatte ich zu allem Überfluss kaum ein Auge zugetan. Erst hatten sich zwei Betrunkene vor meinem Parterre-Fenster geprügelt, ein Spektakel, das einschließlich Polizeieinsatz und dem Versuch die Schuldfrage zu klären, 90 Minuten in Anspruch nahm, dann hatten mich Alpträume vom Schlaf abgehalten.
Und jetzt, mein Hirn hatte endlich ein nettes Thema zum davon Träumen gefunden, riss mich der Radiowecker mit einer dieser hysterischen Morgensendungen aus dem Schlaf, bei denen man nicht erwacht und denkt: »Scheiße, jetzt muss ich aufstehen«, sondern »Scheiße, jetzt muss ich aufstehen und Amoklaufen!«
Der Radiowecker war das wichtigste Instrument der Aktion Neues Leben . Wenn ich ihn voll aufdrehte und in der gegenüberliegenden Zimmerecke deponierte, konnte ich unmöglich im Bett bleiben!
Was für ein schrecklicher Morgen. Ich war müde, verschwitzt, hatte Kopfschmerzen und der Moderator kreischte mich an, dass ich bei ihm richtig sei und mich gefälligst über den nächsten größten Hit aus den 70er, 80er und 90er Jahren und das Beste von heute freuen solle.
Nackt robbte ich durchs Zimmer und langte mit der Hand nach dem gerätgewordenen Morgengrauen. Das Gequake verstummte. Besser fühlte ich mich nicht.
Misstrauisch betrachtete ich den Radiowecker. Kein Wunder, dass mein Kopf weh tat und ich die ganze Nacht unter Alpträumen gelitten hatte: Man musste sich nur mal überlegen, dass dieses Ding die schreckliche Musik und die gute Laune des geistesgestörten Ansagers quasi aus der Luft destillierte. Aus der Luft, die mich umgab, die ich die ganze Nacht eingeatmet hatte, die ich auch jetzt noch einatmete! Aber erst einmal musste ich richtig wach werden, dann konnte ich weiter darüber nachdenken.
Ich schlurfte in die Küche, setzte Kaffeewasser auf, dann schleppte ich mich gähnend und ächzend ins Bad, um die Zähne zu putzen.
Die Zahnpasta war alle.
Richtig alle. Ich quetschte und rollte und fluchte, doch nicht das winzigste Fitzelchen kam mehr aus der Tube. Das war unmöglich! Einen kleinen Rest kriegte man immer raus! Ich wickelte die Tube um die Zahnbürste und versuchte mit der Faust noch etwas herauszuquetschen. Alles vergeblich. Das hatte ich noch nie erlebt. Eine Katastrophe!
Sind – von einer höheren Warte aus betrachtet – leere Zahnpastatuben nicht eine erschreckende Allegorie auf die Endlichkeit des Lebens, ein Vorbote des Todes? Die unansehnliche, sinnlose Hülle, die zurückbleibt, wenn Seele oder Zahncreme herausgequetscht wurden … Ich hauchte mir vorsichtig in die hohle Hand und verzog angewidert das Gesicht. Roch das vielleicht nicht nach Verwesung? Und kam dieser Geruch nicht direkt aus meinem Kopf? Und das am frühen Morgen, wo ich mich doch eigentlich wieder ganz dem Leben zuwenden sollte …
Na gut, mit dem Mundgully würde ich erstmal leben müssen. Ich ging zur Wanne, um mir Wasser einzulassen, soviel Zeit musste sein, denn nichts ging über ein heißes Bad und einen Kaffee, um einen verkorksten Morgen zu retten.
Ich drehte die Hähne auf, doch es kam nur kaltes Wasser. Ich blickte ungläubig zum Boiler, der über der Wanne hing. Der Boiler war aus. Häh? Wieso war denn jetzt der Boiler aus? Der war doch nie aus! Der war doch immer auf volle Pulle! Tag und Nacht warteten 80 Liter kochendheißes Trinkwasser darauf, meinen Körper zu reinigen!
Ach nein … Ich hatte ja beschlossen, das ausgedehnte Morgenbad durch eine kalte Dusche zu ersetzen und den Boiler abgeschaltet, um nicht in Versuchung zu geraten. Das Resultat war, dass ich die Hygiene in den letzten drei Tagen stark vernachlässigt hatte. Jetzt roch ich so, dass ich am liebsten einen großen Bogen um mich selbst gemacht hätte.
Trotzdem: Kalt duschen kam nicht in Frage. Nicht wo’s mir schon so schlecht ging! Aber ich konnte den Durchlauferhitzer in der Küche benutzen und mich am Waschbecken waschen. Nur einen Lappen würde ich improvisieren müssen. Der Geschirrlappen lag steif und stinkend neben dem Becken und einen Handwaschlappen besaß ich nicht. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und nahm ein frisches T-Shirt aus der Wäschetruhe. Nein, das war zu schade, das hatte 20 Euro gekostet. Außerdem stand in großen freundlichen Buchstaben »I AM O.K.!« darauf. So, wie der Tag begonnen hatte, würde ich es wohl nachher zur Selbstsuggestion anziehen müssen. Aber hier, der olle schwarze Baumwollschlüpfer, den mochte ich sowieso nicht, der würde einen prima Lappen abgeben.
Inzwischen kochte das Wasser auf dem Herd. Prima. Ich pfefferte den Schlüpfer ins dunkelbraune Spülbecken und suchte nach einer sauberen Tasse. Das war eher so eine Art Ritual, denn soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich noch nie eine gefunden. Überall standen Tassen herum, in denen Kaffeesatz vor sich hinschimmelte. Ich entschied mich für eine der frischeren, in denen sich noch einzelne Schimmelinselchen befanden, statt eines einzigen, gut entwickelten Teppichs. Für eine Tasse also, bei der ich noch aus dem Kaffeesatz lesen und noch nicht mit ihm diskutieren konnte. Heißes Wasser rein und einen Schuss Fit und ab mit der Brühe ins Waschbecken – Scheiße! – da lag ja noch die schwarze Unterhose drin!
Verärgert spülte ich den Schlüpfer unter fließendem Wasser ab, holte mein Duschbad aus dem Bad, drückte einen ordentlichen Flatsch in den Slip und seifte mir beherzt Brust, Bauch, Achseln und Schritt ein.
Dann schaute ich verwundert auf die Duschbadflasche. Da stand »Creme Shower. Extra zart«. Von Peeling kein Wort. Ich blickte an mir herunter und sah viele kleine schwarze Punkte auf meinem Körper. Aber ich hatte den Schlüpfer doch ausgespült!!!
Ich untersuchte das Unterwäschestück und stellte fest, dass es wesentlich mehr Geduld erfordert hätte, einen rauen, mit Eingriff versehenen Schlüpfer von Kaffeesatz zu befreien, als ich momentan aufbringen konnte. Resigniert schmiss ich ihn in eine Ecke und holte mir einen neuen aus der Wäschetruhe. Mit wutverzerrtem Gesicht friemelte ich die zahllosen Kaffeeflöhe aus Achsel- und Schamhaar.
Als ich endlich das Duschbad in den neuen Schlüpfer drückte, verdunkelte sich die Küche. Verwundert schaute ich zum Fenster, an das die alte Frau Schlibrowski aus dem Nachbarhaus ihre Nase drückte, die Augen entsetzt aufgerissen, dabei das von der Seite einfallende Sonnenlicht mit beiden Händen abschirmend. Parterrewohnungen bringen gewisse Nachteile mit sich.
Ich warf den Schlüpfer ins Waschbecken zurück, steckte der Alten die Zunge raus und floh in mein Zimmer, wo die Rollos noch unten waren. Okay, ich gab auf. Ich hatte es probiert, aber jetzt gab ich auf. Ich würde mich anziehen und stinken.
Als Erstes zog ich das T-Shirt über, dessen »I AM O.K.!« mir jetzt sehr hämisch vorkam. Dann wühlte ich mich auf der Suche nach einem trockenen Schlüpfer einmal durch die komplette Wäschetruhe. Ich fand keinen. Die beiden Schlüpfer, die ich zum Waschen verwendet hatte, waren die letzten sauberen gewesen.
Meine Fähigkeit mich zu ärgern, war so gut wie aufgebraucht. Ich zuckte mit den Achseln, stieg direkt in meine Jeans, zog den Reißverschluss hoch und brüllte auf.
Der Schmerz war unvorstellbar: Zwischen den Zähnen des Reißverschlusses, der sich keinen Millimeter mehr nach oben oder unten bewegte, hing ein Stück Haut, welches üppig mit klitzeklitzekleinen, sehr empfindlichen Nervenenden ausgestattet war, eine Tatsache, aus der ich bei anderer Gelegenheit schon einiges Vergnügen geschöpft hatte; Vergnügen, das ich jetzt mit Zinseszins zurückzahlte. Plus Vorauszahlung für die nächsten zehn Jahre.
Ganz sachte, ganz vorsichtig zuppelte ich am Reißverschluss herum. Jetzt nur nichts falsch machen, dachte ich, nur keine unüberlegten Bewegungen.
»GUTEN MORGEN MIT DEN GRÖßTEN HITS DER 70ER, 80ER UND 90ER JAHRE UND DEN BESTEN VON HEUTE!« brüllte mich in diesem Moment jemand von der Seite an. Ich zuckte zusammen und riss den Reißverschluss bis zum Anschlag hoch. Blut spritzte. »Ein Gruß von uns an alle Morgenmuffel. Das nächste Lied wird ihre schlechte Laune bestimmt vertreiben!«
Ich hatte vorhin nur die Snooze-Taste des Weckers erwischt und gerade waren die zehn Minuten Schlummerzeit abgelaufen. Wimmernd trat ich nach dem Folterinstrument, ein Stück der Plasteverkleidung platzte ab und bohrte sich in meinen Fuß.
»Bumm, bumm, bumm« hämte eine Rummelrave-Bassdrum und eine Mädchenstimme trällerte »Gimme your dick, cause I’m horny«. Ich hob den schwarzen Kasten auf und versuchte, ihn gegen die Wand zu schleudern, aber eine scharfes hervorstehendes Stück der gebrochenen Verkleidung verfing sich in meinem T-Shirt und riss es in Brusthöhe auf zehn Zentimetern Länge auf, dann fiel es mir aus der Hand und direkt auf meinen gemarterten Fuß.
Aber wenigstens hatte ich dabei den Stecker aus der Wand gerissen – das Grauen verstummte. Stöhnend schleppte ich mich zum Spiegel und öffnete vorsichtig die Hose, um die Verheerungen zu betrachten. Doch mein Blick blieb an meinem T-Shirt hängen. Das gesplitterte, scharfkantige Gehäuse des Radioweckers hatte einen Buchstaben zerfetzt. Statt »I AM O.K.!« stand da nur noch »AM O.K.!«
Ich wusste, was ich zu tun hatte.
Ich hasse Fleischsalat. Fleischsalat schmeckt nicht. Fleischsalat sieht nicht gut aus. Und was ist das überhaupt für eine Wortkombination? »Fleisch« und »Salat«, das passt doch genauso wenig zusammen wie »Tofu« und »Würstchen« – Fleischsalat! Hört mir auf! Gut, ich gebe es zu, auch ich habe Fleischsalat gegessen, aber ich war ein Kind, ein dummes Kind, denn alle Kinder sind dumm. Von wegen: Kindermund tut Wahrheit kund, das ist Blödsinn, aus dem Kindermund kann gar nichts Gescheites rauskommen, man muss sich nur mal angucken, was sich das Kind da alles reinsteckt: Schmutz und Schnuller und verschluckbare Kleinteile und Fleischsalat.
Gut, ich habe sogar als Jugendlicher noch Fleischsalat gegessen, aber Jugendliche sind schließlich auch dumm, mindestens so dumm wie Kinder, wahrscheinlich sogar noch dümmer, erzählt mir nichts, ich war selbst einmal ein Jugendlicher, ich weiß, wie dumm Jugendliche sind: Jugendliche fangen an mit Rauchen und Saufen und Geschlechtsverkehr oder zumindest dem davon Träumen und wollen die Welt verbessern und essen Fleischsalat und wundern sich dann , dass sie Pickel kriegen – so dumm sind die! Ich weiß das, ich war selbst mal Jugendlicher und habe Fleischsalat gegessen, damals war ja auch noch DDR und es gab praktisch jeden Tag hartes Brot mit Fleischsalat und dazu ein Glas Rosenthaler Kadarka – gut, dass diese Zeit vorbei ist! Ich hasse Fleischsalat.
Meine Freundin hingegen liebe ich. Und meine Freundin wiederum liebt Fleischsalat. Ich habe keine Ahnung warum, aber sie liebt ja auch mich, ich frage da lieber nicht genauer nach …
Sie liebt mich und Fleischsalat, und ich liebe sie so sehr, dass ich ihr manchmal Fleischsalat mitbringe. Aus der Kaufhalle. Kleine Fetzen irgendeines Tieres, ein paar klein geschnittene Gewürzgürkchen, die sich sicher auch mehr vom Leben erhofft hatten, und ein Batzen Mayonnaise. Hab ich gekauft. Für meine Freundin, so sehr liebe ich sie. Sie freut sich darüber, aber das reicht ihr noch lange nicht. Ich soll ab und zu sagen: »Ich liebe dich« und nicht immer nur: »Hier Schatz, Fleischsalat!«
»Kannst du mir nicht einfach mal Blumen mitbringen?«, sagt sie manchmal, wenn ich ihr wieder ein Päckchen Fleischsalat mit spitzen Fingern hinhalte und sage: »Hier Schatz, Fleischsalat!«
»Blumen? Aber ich liebe Blumen!«, sage ich dann. »Wie kann ich dir Blumen mitbringen, um dir meine Liebe zu zeigen, wenn ich sie mir doch selbst gerne angucke? Das wäre doch nicht selbstlos! Fleischsalat soll das Zeichen meiner Liebe sein!«
»Aber Selbstlosigkeit verlangt doch niemand!«, sagt sie dann. »Seine Liebe kann man doch auch mit Dingen zeigen, die einem selbst gefallen!« Als ich dann beim nächsten Mal einen Jessica-Alba-Kalender mitgebracht habe, hat sie mich ganz komisch angeguckt. Versteh einer die Frauen. Ich bin lieber wieder auf Fleischsalat umgestiegen.
»Du könntest ja auch einfach mal sagen: Ich liebe dich!«, hat sie gesagt, als ich das nächste Mal »Hier Schatz, Fleischsalat!« gesagt habe. Dabei ist das meine Art, ihr zu sagen, dass ich sie liebe. Ein Satz der Liebe ganz für sie alleine, ein Satz, den ich keiner anderen Frau sagen würde, ein Satz, den niemand sonst niemandem sonst sagt. Nicht so eine abgedroschene Hollywood-Floskel. Von wegen »Einfach mal »Ich liebe dich« sagen!« – »Ich liebe dich!« sagt man nicht. Wer »Ich liebe dich« sagt, sagt auch »Folgen Sie diesem Wagen!« oder »Lass mich hier zurück, allein kannst du es schaffen«.
»Du Spinner«, hat meine Freundin neulich gesagt und: »Probier es doch mal, es ist nicht schwer! Sag einfach: Ich liebe dich!«
»Natürlich ist es schwer, ich liebe dich zu sagen.«
»Probier’s doch mal!«
»Der Satz »Natürlich ist es schwer, ich liebe dich zu sagen« enthielt bereits die geforderte Wortgruppe – Herrgott, was willst du denn noch?!«
Da hat sie sich nur umgedreht und ist davongerauscht. Versteh einer die Frauen. Ich hab ihr dann noch »Lass mich hier zurück, allein kannst du es schaffen« hinterhergerufen.
Naja. War alles halb so schlimm. Ich hab ihr am nächsten Tag in der Metro einen 10-Kilo-Eimer Fleischsalat gekauft, mein liebevollstes Lächeln aufgesetzt und gesagt: »Hier Schatz, Fleischsalat.«
Verdammt, wie hieß dieses Café noch mal, in dem Marianne auf ihn wartete? Er wusste nur noch, dass er sich sicher gewesen war, den Namen nicht aufschreiben zu müssen, weil er so einprägsam war. Halt! War das nicht der Name? Café Einprägsam? »20.00 Uhr im Café Einprägsam«, war es das, was sie gesagt hatte? Nein, nein, Café Einprägsam war es nicht gewesen. Café Markant? Nein. Aber irgendwie so ähnlich hatte es geklungen. Egal, er wusste immerhin noch die Straße und würde sich daran erinnern, wenn er den Namen über der Tür las – na bitte! Dort drüben, das musste es sein: Café Prägnant. Genau. Um acht im Prägnant hatte sie gesagt. Mal sehen, was für ein blöder Laden das war. Von außen sah es jedenfalls nach einem Pupnasencafé aus. Die Fassade war rosa, Fensterrahmen und Tür waren hellblau gestrichen und an der Tür hing ein großes Nichtraucher-Schild. Ach du heiliger Bimbam, murmelte er – ein Fluch den er sich für Situationen aufsparte, in denen es wirklich Grund zu fluchen gab. Situationen, in denen all die auf »Fuck« und »Scheiße« beruhenden Mainstreamschimpfwörter viel zu harmlos waren.
Er selbst hatte nie geraucht, doch Nichtraucher-Cafés ließen ihn unwillkürlich an Brettspiele spielende, Pfefferminztee trinkende Ödbratzen in Strickpullovern denken, die das Herstellen von Batikkleidung und Patchworkdecken für kreative Selbstverwirklichung hielten und denen jede menschliche Wahrnehmungsfähigkeit abhanden gekommen sein musste, andernfalls sie weder den Terror ihrer Brut noch ihre eigene Langweiligkeit ertragen hätten.
Klar waren das blöde Vorurteile. Er selbst hätte nie etwas anderes behauptet. Er liebte und pflegte seine Vorurteile. Bei der letzten Zählung war er auf 41 gekommen.
Er fragte sich, was Marianne hier wollte. Hatte sie mit Rauchen aufgehört und wollte nicht in Versuchung geführt werden?
Das Café war gut gefüllt, die Gäste waren vor allem junge Frauen. Aus den Boxen drangen sanfte Streicherklänge. Auch das noch, dachte er.
Er entdeckte Marianne an einem Tisch in der Ecke und steuerte auf sie zu, wobei er sich bemühte, die schlechte Laune herunterzuschlucken.
»Hallo Marianne.«
»Hallo Thomas.«
»Bin ein bisschen spät, musste ein bisschen rumrennen, konnte mich nicht an den Namen des Cafés erinnern.« Er blickte sich um. Von innen sah es aus wie eine Million andere Cafés in dieser Gegend. »Hm, besonders prägnant finde ich den Laden ehrlich gesagt nicht.«
»Oh, es geht nicht um den Laden, sondern um das Publikum. Der Name spielt auf das englische pregnant an. Das ist ein Laden für Schwangere.«
Thomas verzog das Gesicht. »Na toll und was sollen wir hier …«, dann begriff er die Implikation. Er sagte leise: »Ach du heiliger Bimbam …« und kippte auf den Stuhl ihr gegenüber.
Eine Kellnerin trat an den Tisch und stellte einen Teller mit einer ulkigen Wurst ab.
»Du bist schwanger?«
Marianne zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich.«
»Ich nehme an, Sie möchten etwas trinken?«, wandte sich die Kellnerin grinsend an Thomas.
»Äh ja.«
»Wie wär’s mit einem »Schreck lass nach« – ein Cocktail, den wir extra für Anlässe wie diesen erfunden haben. Enthält acht Zentiliter Stroh Rum. Oder das Angebot der Woche: Kräuterlikör mit extrabitterem Espresso. Wir nennen ihn »Preis der Lust«.«
»Äh, nein, einfach …«
»Wir hätten da auch noch »Mom&Dad«: Rohes Ei mit einem Schuss Küstennebel.«
»Das ist ja widerlich!«
Marianne legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ach Thomas, nun hab dich doch nicht so. Ist doch lustig!«
»Lustig? Oh Mann, bringen Sie einfach zwei doppelte Wodka.«
»Tut mir leid, wir schenken Alkohol ausschließlich an werdende Väter aus, ich darf ihrer Freundin keinen Schnaps bringen.«
»Die sind beide für mich.«
»Ach so. Natürlich.«
»Und für mich bitte noch einen Orangensaft«, rief Marianne.
»Ein Orangen-Fruchtwasser. Sehr gerne«. berichtigte die Kellnerin streng und rauschte davon.
Marianne kicherte. »Die haben hier lauter so verrückte Namen. Das hier zum Beispiel heißt »Schwangerschaftstest«« – sie zeigte auf das braune Ding auf ihrem Teller – »weil das nur Schwangere runterkriegen.«
»Und was ist das?«
»Saure Gurke im Schokomantel.«
Thomas guckte skeptisch. »Na, ich weiß nicht. Haschisch könnte man damit auch nachweisen. Wenn ich dran denke, was ich bekifft schon alles für Sachen gegessen habe.« Er trat mit dem Fuß gegen einen Metallkübel mit Schnappdeckel. »Und das? Eine Biotonne für Schwangerschaftsabbrüche?«
»Du bist doof. Das ist’n Kotzkübel. Du weißt doch, dass Schwangeren total oft schlecht wird.«
»Bei dem Essen kein Wunder. Was haben die denn hier noch?«, fragte er und nahm die Speisekarte. Unter der Rubrik Pasta fand er Nabelschnürchen – in Klammern Spaghetti – und Schwangerschaftsstreifen – in Klammern Bandnudeln. Er blätterte die Karte angewidert durch, bis er unter der Rubrik Nachtisch ein Angebot namens Werdende-Mutter-Kuchen fand und sie mit einem lauten »Igitt« auf den Tisch knallte.
»Haben Sie gewählt?«, fragte die Kellnerin und stellte einen doppelten doppelten Wodka und ein Glas Orangensaft ab.
»Nein! … Naja … doch … verdammt noch mal. Ich nehme …« – er holte tief Luft – »das Kaiserschnitzel.«
»Gerne. Mit Frühchen?«
»Was?!«
»Mit jungen Möhrchen.«
»Jaja.«
Die Kellnerin ging zum Nebentisch. Thomas blickte ihr wütend nach, dann drehte er sich wieder zu Marianne. »Seit wann bist du denn nun eigentlich plötzlich schwanger?«, fragte er aggressiver, als er beabsichtigt hatte.
»Ich weiß es doch noch gar nicht ganz sicher.«
»Hm. Du hattest doch gesagt, dass du die Pille nimmst.«
»Willst du etwa behaupten, dass ich gelogen habe?«
»Nein, ich …«
»Dass ich mir mit Absicht von dir habe ein Kind machen lassen?«
»Aber nein …«
»Dass jetzt womöglich mein Studium den Bach runtergeht und ich mit Rauchen aufhören muss, nur um dem werten Herrn eins auszuwischen?«
»Was!? Hey, ich meine doch bloß …«
»Ich meine doch bloß, ich meine doch bloß! Du und dein »Ich meine doch bloß« ! Es steht noch nicht mal fest, dass du Vater wirst, da versuchst du schon, dich aus der Verantwortung rauszuwinden!«
»HÄH?!«
Marianne warf theatralisch die Arme in die Luft, rief »Ouhhhhhh … du … !!!!«, sprang auf und verschwand in einer kleinen Kabine neben der Bar.
Thomas blieb völlig verdattert zurück.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, riet ihm die Kellnerin. »Wenn Ihre Freundin in fünf Minuten dort rauskommt, ist sie wieder gaaaanz ausgeglichen. Sie wissen doch, wie zickig Schwangere manchmal sind. In dieser Kabine sitzt ein studentischer Mitarbeiter, den sie nach Herzenslust beschimpfen und beschuldigen kann. Der hört sich das alles an, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen und am Ende sagt er ganz leise und zerknirscht: »Hast ja recht. Entschuldige bitte« . Wirkt Wunder – noch einen Wodka?«
Die gegen mich gerichtete Verschwörung hat nur einen Fehler: Sie ist zu perfekt. Dadurch bin ich ihr auf die Schliche gekommen.
Neulich zum Beispiel. Hatte ich Herpes. An der Lippe. Und was für eine! Die Mutter aller Herpen, eine schaurig glänzende Kolonie von Millionen wimmelnder Viren, des Ekels bunte Blüte. Ich sah aus, als hätte ich mir ein Gemälde von HR Giger auf die Lippe tätowieren lassen, als hätte ich einen Zombie gegessen und mir hinterher nicht den Mund abgewischt, als hätte mir ein Hund in den Mundwinkel geschissen – verdammt noch mal: Ich schien dem feuchten Traum eines pubertierenden Warzenschweins entsprungen! In meinem Mundwinkel sah’s aus wie bei Hempels auf dem Kompost; Fotos von mir hätte man als Appetitzügler verkaufen können; ich war der Homo horribilis! Stellt euch die Hexe aus dem Märchen von Hänsel und Gretel vor, mit all den Grieben und Pickeln, wie sie euch mit ihrem langen, warzenübersäten Zeigefinger zu sich heranwinkt … habt ihr das Bild vor Augen? Und jetzt stellt euch noch vor, sie wäre nackig ! So scheiße sah ich aus mit diesem Mundfurunkel, dieser Lippenhämorrhoide, diesem Fressleisten-Lepra!