Eine Gabi zu Weihnachten - Alexander Fakoó - E-Book

Eine Gabi zu Weihnachten E-Book

Alexander Fakoó

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Beschreibung

Frisch getrennt, träumt Jürgen von seiner heimlichen Liebe, nicht ahnend, dass auch diese ihn als den heimlichen Seelenpartner erkoren hatte. Plötzlich geht alles ganz schnell und Gabi stolpert unerwartet in sein Leben. Und das auch noch zu Weihnachten. Doch ganz so einfach ist es nicht, wacht doch ihr Vater wie ein Tugendwächter über sie, um sie und ihre Liebhaber zu schützen. Nur er kennt das Familiengeheimnis um Tod und Krankheit, doch trotz moderner Technik, die ganze Wahrheit blieb auch ihm verborgen. Aber auch die ambivalente Gabi weiß nicht immer, was sie will...

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Inhaltsverzeichnis

Auf dem Weihnachtsmarkt - 23. Dezember

Nicht mehr allein - 24. Dezember

Vaters Dienstreise - 25. Dezember

Die Fahrt in die Berge - 26. Dezember

Die Pläne des Vaters - 27. Dezember

Im Kinderheim - 28. Dezember

Die Offenbarung - 29. Dezember

Selbstvorwürfe - 30. Dezember

In der Schneebaude - 31. Dezember

Neujahrsbraten für alle - 1. Januar

Nachwort: Maddie

Auf dem Weihnachtsmarkt - 23. Dezember

Jürgen konnte heute schon um vier Uhr das Büro verlassen, sein Chef war schon zwei Stunden überfällig und gerade hatte er angerufen und erzählt, dass er im Stau steckte. Die Autobahn war zwar fast vor der Haustür, aber wer vor Weihnachten im Stau steckte... Jürgen checkte noch mal schnell im Internet, wo sein Chef wirklich war. Die Handy-Nummer hatte er ja, auch wenn sein Chef seine Rufnummer immer unterdrückte. Natürlich, das war ja klar! Von wegen Stau, dort wo die Anzeige blinkte, war nicht mal eine Bundesstraße. Er kannte diese Kleinstadt in den Bergen, sein Angelsee war dort in der Nähe. Und er wusste, dass dort auch Gabi wohnte. Sie war ihm auf dem letzten Betriebsfest aufgefallen, aber er hatte keine Chance, als sein Chef ihr den Hof machte. Gabi war eine bildhübsche Frau Mitte zwanzig. Eigentlich viel zu jung für seinen Chef, aber der konnte ja ganz andere Geschütze auffahren, von denen Jürgen nur träumte. Jürgen dachte an das kurze Gespräch mit ihr in der Garderobe und hatte schnell gemerkt, dass sie sehr intelligent war. Wenn sie also den Chef zu sich eingeladen hatte, dann sicherlich nicht aus Liebe.

Als er das Büro verließ, blies ein ordentlicher Wind, so dass er gezwungen war, seine Jacke bis oben hin zu schließen. Dieser Dezember-Wind immer, fuhr es ihm durch den Kopf. Er erinnerte sich an einige Fernsehberichte, die gerade ein paar Tage vor Weihnachten von Schneeverwehungen und Blitzeis berichteten. Zwar kam der Schnee dieses Jahr spät, aber die Luft war kristallklar und eiskalt. Wenn er jetzt direkt nachhause laufen würde, würde er wahrscheinlich zuhause keine Hand mehr regen können. Also machte er einen Umweg über den Weihnachtsmarkt. Der Stand mit dem Glühwein befand sich wie jedes Jahr an der linken hinteren Ecke, dort wo auch die Losbude stand. Gelost hatte er schon lange nicht mehr. Er hatte noch nie etwas gewonnen und glaubte nicht daran, dass im Lostopf überhaupt ein großer Gewinn steckte. Für einen Glühwein reichte sein Geld gerade noch und er begab sich etwas abseits an einen dieser Stehtische, um den heißen Becher abstellen zu können. Zaghaft umschloss er mit beiden Händen sein Getränk und spürte, wie die Hitze nicht nur seine Hände erwärmte. Nach ein paar tiefen Schlucken erfasste ihn auch eine innere Wärme, so dass er sich beherrschen musste, um nicht seinen Mantel auszuziehen.

Er musste wohl so eine Viertelstunde gestanden haben. Der Becher war noch nicht leer, aber es war wohl jetzt so, dass er den Glühwein mit seinen Händen erwärmen musste und nicht der Glühwein seine Hände. Von dort wo er stand, hatte er einen guten Blick zu den vier anderen Buden gegenüber. Er belächelte oft seine Mitmenschen, wenn sie stundenlang an den Bratwürsten anstanden oder noch schnell einen Nussknacker oder eine Pyramide als Weihnachtsgeschenk kauften. Jürgen hatte in seiner Wohnung am Stadtrand nicht mehr viele Weihnachtsfiguren, nachdem ihn seine Frau Anfang diesen Jahres verlassen hatte. Was sollte er auch damit. Seine Frau hatte es immer schön gefunden, in der Adventszeit die Wohnung voll zu stellen. Aber letztes Jahr am dritten Advent - nein, er wollte jetzt nicht daran denken. An der Spielzeugbude stand eine Frau mit ihrem kleinen Sohn und versuchte ihm klarzumachen, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr keine Holzeisenbahn bringen würde. Als alles reden nichts half, zerrte sie den weinenden Jungen hinter sich her. Wie können Eltern nur so grausam sein? Aber war er nicht auch grausam, als er damals die Weihnachtsfiguren zerstörte?

Jürgen steckte seine Hände in die Manteltasche, der Becher war längst in der Mülltonne verschwunden. Es wurde Zeit, in den Nebenstraßen sein Auto zu suchen. Er hatte immer Probleme damit, da er sich selten daran erinnern konnte, wo er sein Auto in der morgendlichen Hast abgestellt hatte. Die drei in Frage kommenden Straßen sahen auch noch ziemlich ähnlich aus und er hatte noch keine Dreh gefunden, die fürchterlichen Straßennamen auseinander zu halten. Alle drei Namen sagten ihm nichts. Ja wenn die eine Straße Einsteinstraße geheißen hätte... Die Frau an der Bratwurstschlange hatte den gleichen Mantel an, wie der, den Jürgen seiner Frau vor sechs Jahren geschenkt hatte. Jürgen bekam einen Schreck und drückte sich noch etwas mehr in den Schatten. Er hatte seine Frau vor vier Monaten das letzte Mal gesehen. Sie hatte ihm Werner vorgestellt und seine Hand gehalten. Wie ein junges Liebespaar, hatte er gedacht. Noch konnte er nicht genau erkennen, ob es seine Frau war. Wenn er jetzt von hier verschwinden wollte, musste er unweigerlich dort vorbei. Zwischen den Buden war kein Durchkommen, die Fichten waren angenagelt, die die Zwischenräume ausfüllten.

Die Frau hatte ihre Wurst bezahlt und drehte sich um. Ihm blieb das Herz fast stehen, sie sollte ihn jetzt hier nicht sehen. Die Frau kam nun sogar geradewegs auf seinen Tisch zu. Als die Glühweinbude ihr Gesicht erhellte, wagte er nicht mehr zu atmen. Es war nicht seine Frau - es war Gabi! Sie sah müde aus, aber ihr bildhübsches Gesicht schien trotzdem etwas zu strahlen. Als sie ihn erkannte, huschte für einen Moment sogar ein kleines Lächeln über ihre Wangen. Oh, wie er dieses Lächeln liebte. Aber es war ebenso schnell verschwunden und er merkte, dass er sie noch nie so ernst gesehen hatte. Sie grüßte und sah ihm nur kurz in die Augen. Dieser Blick, eine hundertstel Sekunde nur, aber er sprach Bände. Sein Herz schlug kräftig. Er zwang sich ruhig zu atmen und kramte tief nach geeigneten Worten. Er wollte eine Brücke bauen, er wollte ihr Freund sein. Er wollte Vertrauen geben, was er selbst so schmerzlich vermisste. Ihre Liebe wollte er gar nicht, da sah er für sich keine Chance, aber ihr Vertrauen, um ihr zu helfen. In Gedanken umarmte er sie wie eine Schwester, die Liebeskummer hatte. Aber er sagte nichts und nickte ihr nur zu. Auch sie blickte nun auf ihre Bratwurst, um ihm nicht weiter in die Augen sehen zu müssen.

Die Menschen sind schon kompliziert, dachte er auf dem Heimweg. Gabi hatte wortlos ihre Wurst gegessen und sich verabschiedet. Als sie weg war wurde ihm schlagartig kalt. Die Wirkung des Glühweins war längst verschwunden und der Wind tat das Übrige. Sein Auto hatte er schnell gefunden. Die drei Straßen war er in letzter Zeit immer in der gleichen Reihenfolge abgegangen. Und in der ersten Straße stand er schon, sein Opel. Für einen BMW, wie ihn sein Chef fuhr, hatte es noch nicht gereicht, aber sein Opel hatte trotz seiner sechs Jahre bisher nur wenig gemuckt. Morgen war Weihnachtsabend und er hatte noch keinen Plan. Allein zu sein hat ja viele Vorteile. Aber wenn man zu Weihnachten allein ist, ist das doppelt bitter. Auf der Heimfahrt fiel ihm sein Chef wieder ein. Wenn der Chef aber nicht mit Gabi zusammen war, wo war er dann?

Zuhause war es kalt. Zwar hatte er in seiner Mietwohnung im zweiten Stock eine Zentralheizung und wenn der Hausmeister im Keller richtig heizte, glühten fast die Heizkörper. Aber anscheinend war auch der Vermieter zu Einsparungen gezwungen gewesen und hatte dem Hausmeister einen Heizplan zugesteckt, der ein stundenweises Heizen entsprechend der Außentemperatur vorschrieb. Der Wind war zwar sehr unangenehm, aber er überzeugte den Hausmeister nicht im Geringsten, seine Pflichten zu verletzen. Er wohnte ja auch nicht hier. Jürgen drehte die Heizkörper weiter auf, als ob er damit der Heizung den Befehl erteilen könnte, jetzt wieder Wärme zu schicken. Natürlich wusste er, dass sie nur ansprang, wenn die Rücklauftemperatur...

Jürgen half sich immer in solchen Situationen damit, seine Hände für ein paar Minuten unter das warme Wasser zu halten. Ähnlich wie beim Glühwein sog er so die Wärme in seinen Körper. Seine warmen Hausschuhe verhinderten danach, als er vor seinem Computer saß, dass die eingefangene Wärme wieder in den Fußboden entweichen konnte. Der Computer war jetzt sein bester Freund. Er war sein Fenster in die Welt, seine geistige Herausforderung. Wenn er nachhause kam, sah er als erstes in seinem Briefkasten nach Post. Aber statt Post waren immer mehr kostenlose Zeitungen drin. Für ihn war es danach selbstverständlich, auch in seinen virtuellen Briefkasten zu sehen. Zwar waren auch dort fast nur Werbesendungen zu finden, aber noch hatte er die Flut im Griff und trennte schnell die Spreu vom Weizen. Sein nächster Gedanke war wieder das Handy vom Chef. Auch zuhause hatte er das Programm installiert und konnte so den Ort jedes eingeschalteten Handys auf ein paar Kilometer genau orten. Der blinkende Punkt war immer noch in der Kleinstadt. Aber bei wem war er gewesen, dass er die Ausrede mit dem Stau brauchte?

Jürgen rieb sich die Augen. Was er gerade im Fernsehen in den Spätnachrichten gesehen hatte, kam ihm vor wie ein böser Traum. Nun war also doch der Winter eingetroffen. Pünktlich zum Weihnachtsfest, der Weihnachtsmann kann sich freuen. Auch alle Kinder werden begeistert sein, dachte er. Aber nicht die Autofahrer. Auf fast allen Autobahnen gab es sofort kilometerlange Staus. Über die Hälfte der Nachrichtenzeit wurde von diesen Zuständen berichtet und einige Autofahrer befragt, warum sie trotz Schneewarnung unterwegs waren. Und etwa zwei Minuten vor Ende war auch sein Chef im Auto auf der Autobahn zu sehen. Natürlich wäre er dienstlich unterwegs, hatte er gesagt. Und nun glaubte ihm Jürgen auch. Aber wieso war sein Handy in den Bergen? Jürgen verstand die Welt nicht mehr. Bisher hatte er sich auf die Technik verlassen können. Zumindest zum großen Teil. Er kannte die Schwachstellen dieser Apparate, aber wenn sie liefen, lieferten sie verlässliche Ergebnisse. Jürgen grübelte noch, als er längst in seinem Bett lag. Spielte die Welt auf einmal verrückt?

Die Bildpunkte, die er bisher für Handys gehalten hatte, waren gar keine Handys. Es waren Autos. Mittels GPS konnte man ja jedes Fahrzeug orten. Wenn man die Autonummer eingab, bekam man Fahrzeugtyp und Geschwindigkeit angezeigt. Ein roter Punkt bedeutete, dass dieses Fahrzeug auf der Autobahn die Maut bezahlt hatte. Alle anderen Fahrzeuge wurden weiß dargestellt. Er musste eine ganze Weile überlegen, bis ihm die Autonummer des Chefs eingefallen war. Aber dieses Fahrzeug wurde nicht angezeigt. Es steht irgendwo, ging es ihm durch den Kopf. Er kramte eine ganze Weile in seinem Notizbüchlein, aber er musste feststellen, dass er bisher nur Handynummern aufgeschrieben hatte. Autonummern konnte er keine weiteren finden. Also gab er seine Autonummer ein und als sich die Karte aufgebaut hatte, staunte er nicht schlecht. Während er vor seinem Computer saß, war sein Auto in der Kleinstadt. Bei Gabi? Seine Gedanken fingen an zu kreisen. Schweißgebadet wachte er auf. Sein Puls raste, so dass er Angst hatte aufzustehen. Aber liegen bleiben und diesen verrückten Traum weiter träumen wollte er auch nicht. Da war ihm diese reale Welt doch lieber. Er rutsche langsam aus dem Bett auf den Fußboden und versuchte sich hinzusetzen. An das Bett gelehnt und leicht fröstelnd beruhigte er sich langsam. An Traumdeutungen hatte er noch nie gedacht, aber eine Ursache haben Träume schon. Bevor er jedoch einen Grund für diesen Traum gefunden hatte, verblassten die Erinnerungen daran und der gestrige Tag rückte in den Vordergrund.

Nicht mehr allein - 24. Dezember

Der heiße Kaffee tat gut. So nach einer halben Stunde, er hatte inzwischen die Bettdecke vom Bett gezogen und sich umgehängt, raffte er sich endlich auf und war in die Küche getorkelt. Jetzt aß er genüsslich sein Nutella-Brötchen und betrachtete die Welt aus einer ganz anderen Perspektive. Sein Frühstückstisch stand nicht in der Küche, die war dafür viel zu klein. Eine kleine Abstellkammer, die zu seiner neuen Wohnung gehörte, hatte eine gute Aussicht über das Tal. Der Wald auf der anderen Seite, zu Fuß fast nicht zu erreichen, inspirierte ihn immer wieder zu Jagdgeschichten. Er selbst war kein Jäger, aber sein Großvater hatte ihn des Öfteren mit auf die Pirsch genommen. So saß er oft hier und beobachtete den Waldrand in der Hoffnung, dort einen Hirsch oder ähnliches zu entdecken. Während er seinen Kaffee trank starrte er in die Dunkelheit und nachdem er im Zimmer die Lichtstärke reduziert hatte, sah er langsam die weiße Welt dort draußen. Auch bei uns hat es mächtig geschneit, dachte er und war froh, dass heute, am 24. Dezember sein Büro geschlossen war. Sein Chef war ein umgänglicher Typ, wenn auch sehr von sich eingenommen, und hatte kurzerhand Freitag, den 24. für einen "Frei-Tag" erklärt. Jürgen fielen die Bilder vom Fernsehen ein und er fragte sich, ob sein Chef gut zuhause angekommen war. Er sah auf die Uhr, aber zu dieser frühen Stunde konnte er seinen Chef nicht anrufen. Da dem Computer die Uhrzeit völlig egal war, machte Jürgen eben diesen an. Vielleicht spielte der PC jetzt wieder in der richtigen Liga.

Da der kleine Zeiger der Küchenuhr noch nicht einmal die sechs erreicht hatte, erschrak er mächtig, als sein Handy klingelte. Die Rufnummer war unterdrückt und so konnte es nur der Chef sein. Alle anderen die er kannte zeigten ihre Rufnummer an, wie es sich auch für ordentliche Menschen gehörte. Er dachte nicht schlecht von seinem Chef, aber diese Tatsache störte ihn. Leise, als ob er jemanden beim Schlafen stören könnte, sagte er seinen Namen. Das hatte er sich angewöhnt, auch wenn er nicht wusste wer dran ist. Aber es war nicht sein Chef, es war Gabi. Sofort war ihr Gesicht vom Weihnachtsmarkt wieder da. Er fragte sich, wieso sie ihn anrief, wo sie ihn gestern fast wie einen Trottel stehen gelassen hat. Ihre Stimme, so fand er, passte nicht so richtig zu ihrem Aussehen, aber das merkte man bloß, wenn man sie nicht sah. Mit etwas zittriger Stimme fragte sie, ob er heute ins Büro kommen würde. Wusste sie nicht, dass der Chef... Aber er wollte sie jetzt nicht vor den Kopf stoßen und antwortete mit etwas Umschweife. Wegen dem vielen Schnee könne er vielleicht nicht pünktlich sein. Einen kurzen Augenblick sagte Gabi nichts, so dass Jürgen nur ihren leisen Atem hörte. Im Hintergrund war eine Lok zu hören - wo war sie? Sie musste wohl gemerkt haben, dass Jürgen den Pfiff gehört hatte und erklärte sofort, dass sie auf dem Bahnhof sei und nicht wisse, wohin sie gehen oder fahren sollte. Zwei Sätze später wusste Jürgen, wo er sie abholen musste und kramte seine Winterstiefel hervor.

In der Dämmerung sah der Schnee sehr schön aus und immer wenn die Autoscheinwerfer einen Baum streiften, glänzten seine Zweige für kurze Zeit. In der Stadt hatte der Winterdienst seine Arbeit schon gut verrichtet. Aber als er die Stadt in Richtung Bergland verließ, wurde ihm schlagartig bewusst, dass seine Hilfsbereitschaft eine riskante Sache werden könnte. Aber für Gabi hätte er alles getan. Ihre Freundschaft zu erhalten, einfach nur mal ihre Hand zu halten und in ihre hübschen Augen zu sehen waren alle Strapazen wert. Der Schneefall hatte nachgelassen. Heute am 24. Dezember, dachte er, sind ganz schön viele Autofahrer unterwegs zur Arbeit. Die wenigsten hatten einen Chef wie Jürgen. Mehr als 40 konnte man nicht fahren und Jürgen sah ständig auf die Uhr. Er hatte zwar keine Zeit mit Gabi vereinbart, aber er dachte, dass sie im Bahnhof oder gar davor sitzend frieren würde. Was war bloß los mit ihr? Hätte er nur gestern schon seine Hilfe angeboten. Nun kam der schlimmste Abschnitt der Strecke. Auf einem Kilometer ging es nur bergauf und so wie der Winterdienst hier geräumt hatte... Wenn auch nur ein LKW quer stand, musste er umkehren und einen Umweg von 20 Kilometern machen. Der Tag hatte sich wenigstens schon so weit ausgebreitet, dass in den entfernten Dörfern die Straßenlaternen ausgingen.

Der Berg war weniger beschwerlich gewesen als angenommen. Die LKWs hatten wohl vorsorglich eine andere Route gewählt und der neue Nissan vor ihm konnte seinem Opel nicht das Wasser reichen. Er hatte schon mit Bedacht einen kleinen Abstand gehalten und als er merkte, dass das Fahrzeug vor ihm an Geschwindigkeit verlor und anfing zu trudeln, hatte er beherzt überholt und mit gleich bleibendem Tempo die Steigung erklommen. Von hier ging es nur noch einige Serpentinen durch den Wald und auf der rechten Seite näherte sich der Straße langsam die Eisenbahnstrecke. In der Ferne war schon die große Brücke zu sehen, die in einem schwarzen Loch endete. Die Bahn hatte es einfach, rein in den Berg und auf der anderen Seite wieder raus. Die Straße fiel dagegen plötzlich wieder ab und umrundete die ganze Kleinstadt auf der linken Seite. Das alte Gebäude gleich nach dem Ortseingang war der Bahnhof. Mit seiner Angelausrüstung war er hier oft ein- und ausgestiegen. Aber das war Jahrzehnte her und er glaubte sich zu erinnern, dass der Bahnhof mal rot gestrichen war. Die jetzige gelbe Farbe war nur noch zu erahnen und die Fensterläden sind seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.

Jürgen musste nicht lange suchen. Gabi saß im Bahnhof auf einer alten Bank. Es war die einzige Sitzgelegenheit hier und sie musste sie sich noch mit vier anderen Wartenden teilen. Sie saß zusammen gesunken am hinteren Ende, wohl auch ein Zeichen, dass sie vielleicht die längste Zeit hier saß. Als sie ihn sah, sprang sie auf und umarmte ihn, als ob er ihr Vater wäre und sie nachhause hole. Sie sagte nur Danke, aber es klang in seinen Ohren wie eine Liebeserklärung. Nachdem sie ihn losgelassen hatte, sah sie ihn an und strahlte über das ganze Gesicht. Er wusste nicht, wie er seine Gefühle ordnen sollte. Aber sie kam im zuvor und küsste ihn kurz. Dann gab sie ihm den Koffer, nahm selbst ihre Reisetasche und drängte ihn zum Ausgang. War es nun Schauspiel, echt oder nur wegen der Leute? Er wusste es nicht und schlurfte einfach hinterher. Als sie im Auto saßen und er fragen wollte, wohin sie nun fahren sollten, brach sie plötzlich in Tränen aus und fiel ihm wieder um den Hals. Jürgen hatte seine große Liebe am Hals und wusste nicht, wie er sich weiter verhalten sollte.

Mit ihren Gefühlsausbrüchen zu Recht zu kommen, war schon damals für ihn schwierig. Auf der Betriebsfeier vor einem Jahr hatte er sich in sie verliebt. Aber wer nicht, dachte er. Sie war hübsch und das schien sie zu genießen. Er hatte immer auf seine Menschenkenntnis gesetzt, aber bei ihr versagte sie. Gabi konnte einen ansehen, dass man die Hochzeitsglocken hörte und im nächsten Moment lachte sie mit einem anderen Kollegen. Sie hatte sich im Auto dann die Tränen getrocknet und ohne ihn anzusehen, leise zu erzählen begonnen. Jürgen streichelte ihre Hand und sagte fast noch leiser, er wolle mit ihr in ein Café. Sie nickte und verstummte für kurze Zeit. Jürgen nutzte die kleine Pause um den Motor zu starten. Er kannte sich ja hier etwas aus und wusste wo ein schönes Café war, welches auch schon so früh offen hatte. Während der Fahrt fing Gabi wieder zu erzählen an und Jürgen gab sich große Mühe, den Motor nicht unnötig aufheulen zu lassen. Zehn Minuten brauchten sie bis zur Truckerstube. Dort war es warm, Jürgen bestellte zwei Kaffee und für sie eine heiße Suppe und Gabi erzählte. Nur ab und zu sah sie ihn an um sich zu vergewissern, ob er auch zuhörte. Und diese Blicke waren nicht aufreizend, diese Blicke gaben den Blick frei in eine tief verstörte Seele.

Gabis Geschichte ging Jürgen lange nicht aus dem Kopf. Wie konnte sich Jürgen nur in seinem Chef so täuschen. Ja, er kannte seinen Chef schon lange. Bald acht Jahre. Und das ist im heutigen Berufsleben schon eine kleine Ewigkeit. Sie waren immer gut ausgekommen. Aber was nun Gabi erzählt hatte, hatte Jürgen doch ganz schön erschüttert. Er wird ja seinen Chef erst im neuen Jahr wieder sehen. Aber sein Verhältnis zu ihm wird nie wieder so sein können wie früher. Und je länger er über die ganze Sache nachdachte umso verständlicher wurde ihm auch Gabis Verhalten gestern.

Zum ersten Mal begegnete Jürgen Gabi vor drei Jahren hier in diesem Ort. Er war nur auf der Durchreise und hatte einige seiner Anglerfreunde getroffen. Natürlich wurden die Fische bei jeder Erzählung größer und so war es kein Wunder, dass er nach vier Stunden immer noch im Biergarten am See anstatt im Zug saß. Es war herrlichstes Sommerwetter und so witzelten natürlich alle Burschen auch über das andere Geschlecht. Es wurden auch flotte Sprüche gerufen und so manche hübschen Mädchen drehten sich nach ihnen um und lachten ihrerseits über die Jungs, die noch nicht ganz trocken hinter den Ohren waren. Manche Mädchen schüttelten auch mit dem Kopf oder steckten die Zunge raus. Und dann kam sie! Jürgen musste sie angestarrt haben wie eine Erscheinung, denn sein Freund Klaus musste ihn erst richtig knuffen, bis er sich ihm zuwendete. Aber seine Augen müssen Bände gesprochen haben und Klaus rief mehrmals seinen Namen, bis Jürgen ihn nicht nur ansah, sondern ihm auch zuhörte. Sie heiße Gabi sagte Klaus, wohnte am oberen Ende dieser Stadt, wo die schönen bunten Häuser stehen und arbeitete in einer kleinen Firma der Stadt. An diesem Tag sagte Jürgen gar nichts mehr, er trauerte nur der verpassten Gelegenheit nach und bemühte sich, ihr Bild in seinem Kopf zu behalten. Wenigstens wusste er ihren Namen, aber das nutzte ihm nichts, da er weder dienstlich noch privat wieder in diese Richtung fuhr.