Eine Revision für den Tod - Ari F. Maer - E-Book

Eine Revision für den Tod E-Book

Ari F. Maer

5,0

Beschreibung

Aufgrund der Testamentsänderung eines seiner Partner sieht ein Umweltaktivist die Realisierung seiner Träume in Gefahr und schreitet daher nicht ein, als die vom geänderten Testament Betroffenen das neue Dokument ignorieren. Ein Zeuge ist bald ausgeschaltet, und alles scheint im Lot. Doch einige Jahre später fallen einem Prokuristen Ungereimtheiten in der Firma auf und er drängt auf eine Revision. Wenige Tage später kommt er im Schneetreiben von der Straße ab und kann nur noch tot geborgen werden. Hauptkommissar Steiger vermutet Mord. Bei seinen Ermittlungen findet er heraus, dass der Prokurist vor der tödlichen Fahrt ein Medikament eingenommen hat. Als die ungeklärten Todesfälle sich häufen, in denen die Wirksubstanz des Medikaments der gemeinsame Nenner ist, setzt Steiger sich auf die Fährte des Mörders.

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Personen und Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit noch lebenden oder verstorbenen Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Prolog

12. FEBRUAR 2008

Der Atem des alten Mannes ging schwer. Die Buchstaben, die sich schwarz von dem weißen Hintergrund des Monitors abhoben, fingen langsam an zu flimmern. Eine letzte Bestätigung mit einem Mausklick. Einen Augenblick später erwachte der Drucker neben dem Computer zum Leben.

»Unterschreiben«, forderte er seine beiden Besucher auf.

Sein alter Freund, ihm gegenüber in einem Rollstuhl sitzend, beugte sich tief über den Tisch, murmelte Unverständliches und setzte mit zittriger Hand seinen Namen dorthin, worauf der Zeigefinger seines Weggefährten deutete.

Der jüngere, asketisch wirkende Mann mit rötlich blondem Haar starrte den Text minutenlang ausdruckslos an. Seine Hand, die den goldenen Füllfederhalter zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt hielt, sank langsam auf die Tischplatte zurück.

Sichtlich betroffen machte er einen letzten Versuch, den beiden Greisen ihr Vorhaben auszureden.

»Damit erweist ihr unserer Mission einen Bärendienst. Ein besseres Management für die Realisierung unserer Idee lässt sich nicht mehr finden.«

Der alte Mann, der sein Leben lang angefeindet und dem alles geneidet worden war, strich mit einer fahrigen Bewegung über sein silbernes Haar. Mit vom Alter brüchiger Stimme reagierte er sofort auf dieses Argument.

»Mein Entschluss steht fest. Ich habe von Blendern, schönem Gerede und spitzfindiger Paragraphen-Auslegung noch nie etwas gehalten. Solches Getue tarnt nur einen Betrug.«

Verständnislos sah ihn der jüngere Mann an. Die Vorstellung, um einen Traum beraubt zu sein, wollte ihm nicht in den Kopf. Neben ihm hustete der Mann im Rollstuhl heftig. Man sah ihm immer noch an, dass er einst hochgewachsen gewesen war. Sein Haar, das vor vielen Jahren schwarz geglänzt hatte, schimmerte silberweiß, und der Bart, der sein Kinn bedeckte, war silbergrau. Seine Augen spiegelten eine Müdigkeit wider, die sich in langen Jahren angesammelt hatte.

»Er will mit diesen Scheinheiligen auch ein Ding drehen«, provozierte er

Aufgeschreckt durch diese fast flüsternde Stimme neben sich fühlte sich der jüngere Mann betroffen.

»Ich habe nur eine gesunde Umwelt im Auge. Frei von Schulden an unsere Kinder. Alles andere wäre Blasphemie an unserer gesamten Ökologie«, rechtfertigte er sich.

»Schluss mit solchen Phrasen, an denen sich ein bestimmter Personenkreis bereichert.« Der alte Mann schloss den Computer und machte eine Kopfbewegung zu seinem Freund im Rollstuhl.

»Wenn dich dein Gewissen plagt, bezeugt eben ein anderer unseren Entschluss.« Seine Stimme hörte sich immer noch leise an, aber der Ton verriet, dass dieser Mann, der seine letzten Tage im Rollstuhl fristete, einst gewohnt war zu befehlen.

Der Asket mit dem rötlich blonden Haar verharrte einen Moment in Schweigen. Die Erkenntnis, dass dieser Ausgang noch verändert werden konnte, hatte etwas Tröstliches. Als sich diese Schlussfolgerung bei ihm durchsetzte, schrieb er seinen Namenszug unter das Papier.

14. FEBRUAR 2008

Der Schmerz, der seinen alten Körper peinigte, erschien ihm unerträglich. Aus einem unruhigen Schlaf gerissen knipste der alte Mann seine Nachttischlampe an und griff nach der vertrauten Tablettenbox. Mit zitternden Händen langte er in die Ablage, holte eine schon vorsortierte Kapsel hervor und schluckte sie mit Wasser aus dem Glas auf seinem Nachttisch hinunter.

Minuten verstrichen. Statt einer entspannenden Wirkung setzte in seinem Körper ein biologisches Chaos ein.

Seine Hormone fingen an verrückt zu spielen. Sein Pulsschlag wurde immer schneller. Hämmernde Herzschläge waren das Letzte, was er noch mitbekam, bevor sein Leben erlosch.

15. FEBRUAR 2008

Sein alter Freund war tot. Obwohl wegen der Krebserkrankung und eines hohen Alters damit zu rechnen gewesen war, kam diese Nachricht für ihn überraschend. So unvorhergesehen, dass er an unerwünschte Sterbehilfe glaubte.

Bedrängt von der Schlechtigkeit, die er in seinem langen Leben erlebt hatte, dominierten in seinem Kopf die Gedanken an das vor drei Tagen aufgesetzte Dokument. Die Bestätigung einer Kenntnisnahme von diesem Dokument war umgehend gekommen, aber irgendwie wurde er die Ahnung nicht los, dass da ein Beruhigungsmanöver gefahren wurde.

Noch einmal entschloss er sich persönlich zu handeln. Er bestellte seinen Chauffeur und ließ sich von ihm zu seiner Hausbank nach Müllheim fahren. Dort mietete er für fünf Jahre ein weiteres Schließfach an, um darin die von seinen Freunden beglaubigte Kopie abzulegen.

Nach dem Verlassen der Bank suchte er seinen Anwalt auf, übergab ihm den Schlüssel und verfügte, dass ihn fünf Jahre nach seinem Tode seine zweite Frau erhalten solle. Im Falle ihres unvorhergesehenen Todes müsse der Inhalt des Schließfachs dem Landgericht ausgehändigt werden.

Wieder in seiner Villa angekommen fühlte er sich ausgelaugt und schlecht. Wie immer in solchen Situationen vertraute er den von seinem toten Freund empfohlenen Kapseln.

Doch dieses Mal war die Wirkung eine andere. Ein Reigen bunter Lichter durchflutete sein Gehirn und formte sich zu einem Ball. Jäh ein Blitz, dem ein Absturz in tiefe Dunkelheit folgte.

17. FEBRUAR 2008

Zu völliger Untätigkeit verdammt, spürte er wieder die Nähe seiner Frau. An Schläuche und Kabel angehängt, lag er regungslos in einem Krankenbett.

Ihr Zureden, ihre Hand, die ihm über die Stirn fuhr, weckten noch einmal sein Bewusstsein. Nach einem Schauer des Entsetzens peinigte ihn ein durchaus realistischer Gedanke: Er sah seine Frau, die eine Enkelin von ihm sein konnte, dem Charme jener Männer erliegen, die er ausschalten wollte.

Vergebens versuchte sein Mund ein paar mahnende Worte zu formen. Er blieb stumm, und als er mit seiner rechten Hand ein Zeichen machen wollte, spürte er sie nicht mehr.

Zwölf Stunden später folgte er seinem Freund in den Tod, ohne sich verständlich gemacht haben zu können.

Heinzelmann hatte es gestern Abend zur Sprache gebracht. Ausgerechnet dieser mickrige, penetrante Rudi Heinzelmann, dessen Pensionierung in einem Jahr bevorstand.

Helmut Breitkreuz drosselte das Tempo seines Laufes. Links lichteten sich die Bäume, deren spärliches Laub dem einsamen Jogger einen Blick hinunter zum Schluchsee freigab. Was er sah, war genauso trüb wie seine Gedanken. Nur dunkles Wasser, über dem ein kalter Wind Wellen vor sich her peitschte. Am Himmel türmten sich bleierne Wolken auf, und am Seeufer beugten sich an diesem Novembermorgen Sträucher und junge Bäume einer zornigen Natur.

Breitkreuz erreichte eine Abzweigung und schlug den Weg zum See hinunter ein. Endlich der Düsternis des Waldes entronnen, setzte er seinen Lauf entlang des Seeufers fort. Trotz der Unebenheit des Geländes nahm er wieder Tempo auf, um ein zunehmendes Kältegefühl nicht aufkommen zu lassen.

Vergebens! Breitkreuz wurde sich bewusst, dass das Frieren, das seinen Körper quälte, nicht Morgenkälte, Wind oder Feuchtigkeit als Ursache hatte, sondern dass es die Erinnerung an Heinzelmanns Worte war, die er bei der gestrigen Besprechung leitender Angestellter der mittelständischen Firma Mahler in den Raum gestellt hatte:

»Ich muss leider zur Sprache bringen, dass dringender Verdacht auf Manipulation des Geschäftsablaufs besteht.«

Kühl hatte Dr. Hermann Mahler, der Senior-Chef, darauf alle Anwesenden gemustert.

»Was willst du damit andeuten, Rudi?«, wollte er sofort wissen. Breitkreuz war dabei den Gedanken nicht losgeworden, dass der Alte auch einer Unregelmäßigkeit auf der Spur war.

»Belege mir unbekannter Produkte tauchen auf. Trotz Rücksprache mit der Fertigungsleitung kann mir von denen keiner erklären, um was sich da handeln soll, noch weiß jemand über deren Verwendung Bescheid.«

»Müssen Sie wegen eines Vorganges, der sich im Datennetz zurückverfolgen lässt, den ganzen Betriebsablauf durcheinanderbringen, Herr Heinzelmann?«, fühlte sich Kurt Mahler, der Sohn des Seniors, von diesen Worten provoziert.

Entrüstet, die Augen hinter seiner Brille weit aufgerissen, war ihm mit fast weinerlicher Stimme der alte Mann die Antwort nicht schuldig geblieben.

»Ich habe nur meine Pflicht getan. Leider muss ich auf einer Revision bestehen.«

Die Reaktion des Seniors war ein Bekenntnis zu seinem Prokuristen gewesen.

»Lass das, Kurt. Rudi hat gehandelt, wie ich es von ihm gewohnt bin. Sollte sich sein Verdacht erhärten, ist solches Handeln heutzutage leider nicht mehr alltäglich.«

Dann war die Stunde von Dr. Roland Mahler, einem Neffen des Seniors, gekommen. Gemeinsam mit seinem Bruder Eckhard stritt er gegen seinen Vetter Kurt um die zukünftige Führung der Firma. Beide Brüder zusammen besaßen achtundvierzig Prozent der Firmenanteile.

»Wenn ein solcher Verdacht von unserem alten, gegen jeglichen Verdacht gefeiten Prokuristen geäußert wird, unterstütze ich seinen Wunsch nach einer Revision.«

Breitkreuz hatte da den Eindruck gehabt, dass Eckhard nur aus Opposition zu seinem Vetter Kurt dem Antrag seines Bruders zugestimmt hatte. Möglich, dass bei dem auch nicht alles sauber war, da ihn zu sehr grünes Gedankengut belastete.

Doch jetzt war unwiderruflich ein Gespenst losgelassen worden.

Mit gleichmäßigem Atmen versuchte Breitkreuz diesem Tagtraum Herr zu werden.

Da war Ingrid, die sein Denken beeinflusste. Als Messe-Mieze hatte er sie in Düsseldorf kennengelernt. Wunderschöne Stunden hatten sie gemeinsam in einem Hotel erlebt. Diese hatten sich, auf einen Vorschlag von ihr, auf den Balearen fortgesetzt. Ein Spaß, der sein Konto gewaltig angenagt hatte, obwohl sie Großzügigkeit zeigte und für einen Abstecher nach Andalusien die Extrakosten übernommen hatte.

Breitkreuz wurde den Gedanken nicht los, doch die gesamte Zeche bezahlt zu haben – oder noch die Quittung dafür zu bekommen.

Was hatte er in Sektlaune und im Liebesrausch alles von sich gegeben? Als einer von wenigen Vertrauten arbeitete er an einer noch geheimen Entwicklung von Diplomingenieur Dr. Hermann Mahler. Jener, ein typischer Schwarzwälder Tüftler, der über einhundertzwanzig Patente hielt, war auf eine Sache gestoßen, die bereits existierende Verfahren zur Gewinnung von erneuerbarer Energie durch Wasserkraft revolutionierte.

Seine Schritte wurden schneller. Der Atem lauter. Sosehr er sich auch körperlich anstrengte, er konnte dem Gedanken nicht davonlaufen, Ingrid könnte auf ihn angesetzt worden sein.

Er versuchte sich einzureden, wie sie auf etwas angesetzt werden konnte, in das nur wenige Techniker, vom Alten handverlesen, und er, ein Fachmann für Turbinen, eingeweiht waren. Zudem war er als Sachse Außenseiter in dem Klüngel des Alten, wo duzen und sich lecken Standardwörter waren. Diese Menschen aber mit einem Vertrauensbruch in Verbindung zu bringen dünkte ihn abwegig.

Breitkreuz hielt einen Moment inne, um tief Luft zu holen. Jetzt erst nahm er den einsetzenden Nieselregen wahr. Er zog die Kapuze seiner Sportjacke über den Kopf und setzte seinen Lauf fort.

Wirre Überlegungen formten sich weiter in seinem Kopf.

Schloss er Leute aus, die an dieser Sache arbeiteten, konnten sich nur die zerstrittenen Cousins verplappert haben.

Kurt war Betriebswirt und voll auf modernste Computer-Kommunikation fixiert. Zahlen, Statistiken, Schaubilder, wer dies beherrschte, war sein Mann. Gut möglich, dass da Scheiße gebaut worden war und Heinzelmann nur einem Phantom in einem Computerprogramm nachging. Nicht auszuschließen, bei Kurts Vorliebe für perfekte Datenverwaltung, war allerdings eine Speicherung von solchen Daten, die sein misstrauischer Vater nicht dem Netz zugänglich machen würde.

Was für Kurt die Cyberwelt war, war für Eckhard die Vision einer idealen Ökologie. Er und sein Freundeskreis würden alles daransetzen, energiesparende Heilsbotschaften unter die Leute zu bringen.

Roland wiederum war als Professor an verschiedenen vom Land geförderten Forschungsprogrammen für erneuerbare Energie beteiligt.

Von allen dreien, wenn auch unbedacht, konnten firmeninterne Hinweise über das Projekt des alten Mahler nach außen gedrungen sein.

Durch fast völlige Einsamkeit laufend, wurde Breitkreuz von dem unheimlichen Gefühl beschlichen, in eine Sache mit ungewissem Ausgang hineingezogen zu werden.

Nervös schaute er auf seine Uhr. 8 Uhr 38. Um 9 Uhr 30 kam ein Zug aus Freiburg. Mit ihm hatte sich Ingrid angesagt. Gestern hatte sie ihm dies durch ihr Handy angekündigt, als sie in Düsseldorf den ICE nach Freiburg genommen hatte.

Wie weggeblasen waren die Gedanken an eine Existenzvernichtung. Nur einer dominierte noch: Spurten! Spurten!, um rechtzeitig den kleinen Bahnhof neben dem Hotel zu erreichen, wo er sich einquartiert hatte. Allein die Vorstellung, gemeinsam mit Ingrid das Erlebnis einer wohltuender Dusche auszukosten, gab ihm die fehlende Körperwärme zurück.

***

Fritz Ahrend, ein großer, förmlicher Mann mit randloser Brille, das ergraute Haar leicht gescheitelt, saß hinter seinem Schreibtisch in einem mit einheimischen Hölzern getäfelten Büro. Ihm gegenüber hatte ein sportlich aussehender Mann Ende dreißig mit leicht verlebten Gesichtszügen Platz genommen, dessen langes blondes Haar, im Nacken zusammengebunden, ihm den Rücken herunterhing.

»Was faselt ihr da? Unser Objekt soll kalte Füße bekommen haben?«, steigerte sich Ahrend in einen Ärger hinein.

»Nun ja«, sagte Horst Kowalski, der vor einem Jahr nicht ganz freiwillig seine Karriere bei der Drogenfahndung beendet hatte und jetzt als Privatdetektiv nicht zimperlich bei der Wahl seiner Aufträge war. »Ingrid hat mich über Unregelmäßigkeiten bei der Firma Mahler informiert. Scheinbar so gravierend, dass einer der Gesellschafter auf die Forderung eines Prokuristen nach einer Revision eingegangen ist.«

»Soll das heißen, ihr habt jegliche Vorsicht außer Acht gelassen und womöglich noch Konten bewegt?«

»Haltet ihr mich für einen Idioten? Unser Informant scheut jetzt jegliches Risiko, da er um seinen Job fürchtet.«

Trotz der ungünstigen Entwicklung verzog Ahrend seinen Mund zu einem zynischen Lächeln. Was der alte Mahler, mit dem er genug Patentstreitigkeiten ausgefochten hatte, mit einem machte, der sein Vertrauen missbrauchte, sprengte seine Vorstellungskraft.

»Fühlt sich deine Ingrid schon so ausgelaugt, dass sie nicht mehr in der Lage ist, fehlende Informationen aus ihrem Klienten herauszustreicheln? Respekt, Respekt! Das muss ein Bock sein, sollte er die geschafft haben.« Genugtuung für die Peinlichkeit, selbst bei Ingrid nicht richtig angekommen zu sein, schwang in seinen Worten mit. »Jedenfalls kommen wir nicht weiter«, stellte er schließlich nüchtern fest.

Kowalski straffte die Schultern, wobei er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Für einen Moment dachte er an das wir, das Ahrend achtlos in seinen Satz eingeflochten hatte. Es war ein weiterer Mosaikstein in seiner Vermutung, dass Ahrend und seine Firma Attrappen eines mächtigen Energie-Riesen geworden waren.

Davon überzeugt, meinte er:

»Tatsache bleibt, bei der Firma Mahler ist eine Revision angesagt. Auch wenn diese in keinem Zusammenhang mit unseren Aktivitäten stehen sollte, wäre es Schwachsinn, die nötige Vorsicht außer Acht zu lassen.«

Nervös trommelte Ahrend mit seinen Fingern ein paar Takte auf seine Schreibtischplatte.

»Wollt ihr damit andeuten, andere könnten uns zuvorgekommen sein?«

»Ist dieser Gedanke so abwegig?«

Ahrend hielt mit dem Trommeln inne.

»Nein«, bekannte er. »Sollte dies zutreffen, hätten wir ein zusätzliches Problem, für dessen Lösung wieder einmal eure Überredungskunst gefragt ist.«

»Ich wüsste von keinem, der sich nach Begleichung anfallender Spesen dieser Kunst entziehen könnte«, prahlte Kowalski.

In Ahrends Gesichtszügen dominierte ein hinterhältiges Grinsen, als er darauf einging.

»Beruhigende Worte aus eurem Munde. Wie wäre es, wenn ihr dafür sorgt, dass die schöne Ingrid endlich unter die Haube kommt? Ist sie mit ihrem Informanten glücklich verheiratet, gibt es auch keinen Anstoß mehr an Luxusreisen, die von einer liebenden Braut finanziert wurden.«

Ahrend hielt inne, um Kowalskis dämlichen Gesichtsausdruck auszukosten. Seinen Blick fest auf ihn gerichtet fuhr er fort: »Unser Hauptproblem wird allerdings nicht so leicht zu lösen sein. Findet heraus, wer Urheber dieser Revision ist. Denn nur der könnte über Hinweise verfügen, die uns schaden könnten.«

»Ich soll …«

»… verhindern, dass unser guter Firmenruf Schlagzeilen für die Presse liefert«, fiel ihm Ahrend ins Wort. »Bis jetzt nur Spesen. Keine wirklich brauchbaren Resultate. Ich denke, es wäre so langsam angebracht, wirkliche Überzeugungsarbeit zu liefern.«

***

Noch einmal zeigte sich der November von einer schönen Seite. Herrlicher Sonnenschein verwöhnte drei Ausflügler, die mit der Schauinsland-Bahn hochgefahren waren, um auf der Terrasse des Berghotels die Mittagssonne zu genießen.

Unten im Tal, wo man sonst Freiburg sehen konnte, lag alles unter einem dichten Wolkenmeer. Aus ihm ragten wie Inseln die Bergspitzen hervor. Im Westen, jenseits des Rheines, waren sogar die Gipfel der Vogesen auszumachen.

Die drei, sonst aufgeschlossen für die Schönheit der Natur, hatten heute für diese Aussicht keinen Blick übrig.

»Wir müssen unser Projekt verschieben«, wandte sich Eckhard Mahler, ein drahtiger, mittelgroßer Typ mit dünnem, rötlich blondem Haar, an seine Gefährten.

Dr. Stefan Engelhard, Sportarzt und Orthopäde, von ähnlicher Statur wie Mahler, wischte sich verärgert mit einem Papiertaschentuch die Nase.

»Wie stellst du dir das vor? In diese Sache haben wir schon viel zu viel investiert, um uns noch mit einem blauen Auge davonstehlen zu können«, sagte er energisch.

»Genau da liegt das Problem«, unterstrich Mahler noch einmal seine Forderung.

»Bist du verrückt geworden?«, ließ ihn der Dritte nicht weiterreden.

Dr. Hans Kufner war als Jurist in hoher Position beim Regierungspräsidium beschäftigt. Im Gegensatz zu seinem Freund Mahler, der einen asketischen Lebensstil auslebte, war er von wuchtiger Statur und brachte annähernd neunzig Kilo auf die Waage. Nicht nur äußerlich unterschied er sich von den beiden, sondern auch in seiner Lebensart. Während diese sich mit Apfelsaftschorle begnügten, schenkte er sich aus einer Karaffe einen vorzüglichen Spätburgunder nach.

»Ich und verrückt geworden«, Mahler gab sich empört. »Glaubt mir, ich sage so etwas nicht, um euch zu erschrecken. Auf mich kommen Probleme zu. Heinzelmann, unser penibler Prokurist, hat etwas in die Nase bekommen. Mein Bruder Roland wittert da schon eine Chance, Vetter Kurt, zuständig für Bilanzen, Statistiken und das dazugehörige Zahlenwerk, etwas anhängen zu können. Voreilig wie immer, wenn es um seinen Rivalen geht, unterstützt er Heinzelmanns Forderung nach einer Revision.«

»Erkläre das etwas ausführlicher, Eckhard«, forderte ihn Kufner auf, nachdem er sein Glas auf den Tisch zurückgestellt hatte.

Mahler räusperte sich. Der Gedanke, Betriebsinternes ausplaudern zu müssen, behagte ihm nicht. Nach kurzem Überlegen brachte er das Nötigste dazu zur Sprache.

»Heinzelmann hat Belege von Produkten in seine Finger bekommen, die mit unserem Betriebsablauf gar nichts zu tun haben. Da niemand darüber Bescheid zu wissen scheint, will er in dieser Sache Klarheit schaffen. Mein Onkel, misstrauisch, wie er ist, unterstützt das Ansinnen. Ihn treibt die Furcht, es könnten Trojaner im Netz versteckt worden sein, die es auf seine Patente abgesehen haben. Roland ist auch dafür, aber mit dem Hintergedanken, Kurt bloßstellen zu können. Er geht davon aus, dass da ein falsches Programm im System ist.«

»Na und?« Dr. Engelhard machte eine unwirsche Geste zu Kufner hinüber. »Was hat das mit unserer Sache zu tun?«

»Ausgerechnet du fragst das? Glaubst du, ich hatte die euch vorgestreckten zwei Millionen zu Hause unter der Matratze versteckt? Ist zwar alles durch Immobilien und Wald abgedeckt, aber um zu der von dir gesetzten Frist an solche Summen zu kommen, musste ich es über die Firma machen.«

»Weißt du, was ein Verschieben unseres Projektes bedeutet, Eckhard? Alleine auf deine Zusage hin habe ich Fördergelder beordert. Sollte es an die Öffentlichkeit dringen, dass die Gelder jetzt geparkt werden, da es nicht mehr weitergeht, dann gnade uns Gott«, nahm tief verärgert Kufner Stellung dazu.

»Bleibt auf dem Teppich, Kinder«, sagte Engelhard. »Was kann uns schon passieren?«

»Dir vielleicht nichts«, giftete Mahler. »Es sei denn, sie kommen dir auch auf die Schliche, dass du von alten Gewohnheiten nicht lassen kannst. Warst du damals nicht Assistenzarzt an der Uni, als eine gewisse Fakultät böse Schlagzeilen mit Praktiken leistungsfördernder Präparate machte?«

Engelhard hielt den Blick fest auf Mahler gerichtet.

»Ich habe genug von solchen Zweideutigkeiten«, knurrte er. »Wenn du etwas sagen willst, rede nicht um eine Sache drumherum, die dich am meisten selbst betrifft.«

Mahler sprang auf, stieß dabei gegen den Tisch und kippte sein Glas um.

»Beruhige dich, Eckhard«, beschwichtigte ihn Kufner. »Es ist die Sache nicht wert, dass ihr euch in die Haare kriegt. Gehen wir lieber der Frage nach: Hat dieser Heinzelmann dich im Visier, oder geht er sonstigen Unstimmigkeiten nach?«

»Bei so einem Eigenbrötler ist schwer vorauszusagen, was gerade in seinem Hirn vorgeht. Penibel geht der jeder Ungereimtheit nach, doch Beschuldigungen bringt der nicht ohne stichhaltige Beweise vor.«

»Du meinst, nicht einmal deinem Onkel gegenüber hat er Andeutungen eines Verdachtes geäußert?«, wollte Kufner wissen.

»Bestimmt nicht«, antwortete Eckhard mit einem Hauch von Verärgerung in der Stimme. »Ohne es belegen zu können, prangert Heinzelmann niemanden an. Hätte er Beweise in der Hand, wäre er sofort zu meinem Onkel gerannt und hätte sie nicht in einer Revision gesucht.«

Dr. Engelhard nippte nachdenklich an seiner Schorle.

»Hat diese Revision schon begonnen?«, zeigte er aufkommendes Interesse an Mahlers Problemen.

»So etwas wird doch nicht Wochen vorher angekündigt. Rechne aber damit, dass sie noch vor der Jahresinventur stattfindet«, seufzte Mahler.

Engelhard zog die Brauen zusammen.

»Wenn ich darüber nachdenke, was du da von dir gegeben hast, machst du es dir verdammt einfach. Was ist mit dem Pferdchen, das wir noch im Rennen haben? Es läuft in Hochform. Im Januar beginnen die Meisterschaften. Mit intensiver Betreuung könnten wir einen Gewinn einfahren, und du deutest, aus Furcht von dieser Revision, Passivität an.«

Mahler setzte sich kopfschüttelnd wieder auf seinen Stuhl.

»Was du auch von mir hältst, ich muss zuerst meinen Laden in Ordnung bringen und nicht die Typen, die uns ins Haus stehen, zusätzlich durch großzügiges Sponsern auf mich aufmerksam machen«, beharrte er auf seinem Entschluss. »Wie wäre es, wenn du diese Sache einmal selbst in die Hand nehmen würdest?« Mahler schaute Engelhard ins Gesicht. Um dessen schmale Lippen nahm er die letzte Spur eines verblassenden Lächelns wahr. Jäh entdeckte er, dass ihn seine Antwort sehr interessierte.

Engelhards Kopf zuckte herum.

»Du weißt, dass das nicht geht«, sagte er halblaut.

***

Rudi Heinzelmann blickte auf die Uhr an der Wand. 16 Uhr 5.

»Ich muss jetzt gehen, Hermann«, entschuldigte er sich bei dem Mann im blauen Arbeitsmantel, dem er in einem nur mit dem nötigsten Mobiliar eingerichteten Werkstatt-Büro gegenübersaß.

»Zu einer Vesper im Löwen drüben wird es doch noch reichen«, lud ihn Hermann Hauser ein, der in seinem kleinem Betrieb auch Teile für die Firma Mahler fertigte.

»Danke, Hermann. Verschieben wir das auf einen anderen Tag. Heute fühle ich mich wirklich nicht in Hochform.«

»Dein Kreuz, Rudi? Man sieht es dir an. Rudere zurück und spann ein paar Tage aus. Was hast du nächstes Jahr von deiner Pension, wenn du statt in deinem Büro in Wartezimmern bei Ärzten herumhockst?«

»Schön wäre es. Leider steht uns noch vor Weihnachten eine Revision ins Haus, die ich beantragt habe. Auf deine Einladung zurückkommend, ein Glas Wasser darfst du mir auftischen, damit ich meine Medizin herunterschlucken kann.«

»Mit Lumpenzeug im Magen willst du bei Dunkelheit den Simonswald hinunterfahren? Ich mache dir einen besseren Vorschlag. Lass dein Auto stehen und mein Sohn fährt dich heim nach Kirchzarten.«

»Meinst es gut mit mir, Hermann. Ich denke aber darauf verzichten zu können. Vorgestern war ich privat, auf Empfehlung eines guten Bekannten, bei einem neuem Orthopäden. der hat sich vor allem auf Sportmedizin spezialisiert. Nach einem gründlichen Check hat der mir eine Medizin gegeben, die dieses Mal wirklich geholfen hat.«

Besorgt schüttelte der alte Geschäftspartner den Kopf.

»Wie du dich einmal geäußert hast, nimmst du auch noch Tabletten gegen Bluthochdruck und für die Herzkranzgefäße ein. Kannst du mit einem solchen Mix noch sicher Auto fahren? Außerdem ist es bald stockdüster, und Schneefall ist auch angesagt worden.«

»Kein Problem«, beschwichtigte Heinzelmann. »Gerade darauf habe ich den neuen Arzt angesprochen. Der hat mir versichert, mir ein Naturpräparat gegeben zu haben, das nicht Diclofenac als Wirksubstanz hat.«

»Ogottogott, was ist das wieder für ein Zeug?«

»Da gebe ich dir recht, Hermann, wirklicher Hammer, der zu zentralnervösen Nebenwirkungen führen kann.«

Hauser starrte Heinzelmann ungläubig an, bevor er kopfschüttelnd seiner Bitte nach einer Flasche Wasser nachkam.

Mit zitternden Händen füllte Heinzelmann daraus einen Plastikbecher voll. Aus seiner Brusttasche brachte er ein abgepacktes Tütchen zum Vorschein. Dessen Inhalt, ein fahlgelbes Pulver, entleerte er darin.

Penibel entsorgte er danach Plastikbecher und Tütchen in die dafür vorgesehenen Behälter.

Hauser begleitete ihn noch auf den Parkplatz hinaus. Trotz der Kälte blieb er noch draußen stehen und sah dem abfahrenden Opel Zafira nach. Erstaunt nahm er wahr, wie auf der Straße, in welche die Parkplatz-Ausfahrt mündete, plötzlich zwei Scheinwerfer angingen. Im Licht der Parkplatz-Beleuchtung erkannte er flüchtig einen roten Audi, der hinter Heinzelmann herfuhr.

***

Hauser lag mit seiner Prognose richtig. Leichter Schneefall setzte bereits ein, als Rudi Heinzelmann Furtwangen hinter sich gelassen hatte.

Dem älteren Mann hinter dem Steuer war es nicht gut. Wenigstens wurden die Schmerzen, die von seinem Rücken ausstrahlten, erträglich, was er auf die neue Medizin und seinen bequemen Fahrersitz zurückführte.

Einen Moment beschäftigte sich Heinzelmann mit dem Gedanken, zurückzufahren, um Hausers Angebot anzunehmen. Scham, eine Unpässlichkeit einzugestehen, was in seinen Augen einem Selbstabhalftern gleichkam, ließ ihn davon Abstand nehmen.

Als er Gütenbach passiert hatte, verstärkte sich der Schneefall. Laut knirschten die auf höchste Stufe eingestellten Scheibenwischer. Immer dichter fallende Flocken setzten ihnen zunehmenden Widerstand entgegen. Ein mulmiges Gefühl beschlich Heinzelmann, als er im Scheinwerferlicht sah, wie der Schnee auf der Straße liegen zu bleiben begann. Trotz sehr guter Winterbereifung wurde er noch nervöser bei den hier oben im Schwarzwald herrschenden Witterungsverhältnissen.

Plötzliche Hitzewallungen strömten durch seinen Körper. Um die Scheibenwischer zu entlasten, waren auch Heizung und Gebläse auf Höchststufe eingestellt. Er ließ das Fenster herunter, um kühle Winterluft einzulassen. Die Schneeflocken, die ihm der Fahrtwind ins Gesicht trieb, verschafften ihm sogleich Linderung. Durch das offene Fenster fielen ihm im Seitenspiegel zwei stetige Lichter auf, die seinem Wagen in einem sich scheinbar nie ändernden Abstand folgten.

Um seiner inneren Unruhe Herr zu werden, schaltete Heinzelmann das Radio an. Nachrichten wurden heruntergeleiert. Frustriert wählte er einen anderen Sender an. Ihm vertraute Melodien wirkten sogleich beruhigend auf ihn ein.

Jäh war sie wieder da, die Wärme in seiner Brust, die ihm den Angstschweiß ins Gesicht trieb. Beinahe hätte er das Verkehrsschild übersehen, das eine scharfe Linkskurve anmahnte. Sein Fuß ging vom Gaspedal, tippte leicht die Fußbremse an, während seine Hände den Wagen in die Kurve steuerten.

Aufblendendes Fernlicht erfasste ihn, als er gerade diese Kurve nehmen wollte.

Verdammter Narr, dachte er.

Rasch holte der hintere Wagen auf. Trotz aufsteigender Panik versuchte Heinzelmann dem auszuweichen.

Ein heftiger Ruck. Blech quietschte. Heinzelmann steuerte noch weiter auf die rechte Seite.

Vor ihm eine Lücke in der Leitplanke. Ein Waldweg begann. Er sah einen Rettungsanker. Vorsichtig schlug er das Lenkrad herum. Noch ein Stoß von hinten. Heinzelmann drückte auf das Gas. Die Räder drehten durch, bevor sie den Wagen in eine Schneewehe zogen.

Zwei sich entfernende rote Lichter, funkelnd wie glühende Kohlen, waren das Letzte, was er im Rückspiegel sah, bevor sein Wagen vom Waldweg abkam.

Vor einer Wild-Futterkrippe, zwanzig Meter von dieser Stelle entfernt, ließ erschrocken ein Jäger einen Heuballen fallen, als ein Krachen die Stille im Wald zerriss. Aus reiner Gewohnheit hob er sein umgehängtes Nachtglas vor die Augen. Unten an der Kurve beschleunigte gerade ein Audi. Die Farbe konnte er nicht erkennen, aber vom Kennzeichen konnte er die Ziffern D…3…6 ausmachen, bevor der in die nächste Kurve einbog.

Erst jetzt fiel ihm das Licht auf, das in der Schonung unterhalb der Waldwegeinfahrt seinen Ursprung zu haben schien. Er suchte mit seinem Glas das Gelände ab. Reifenspuren im Schnee, die über den Wegrand führten, ließen ihn sofort zum Handy greifen.

***

Kriminalkommissarin Rita Koslowski, eine junge Frau Anfang dreißig, die dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, füllte am Automaten neuen Kaffee auf. Es war 10 vor 8. In wenigen Minuten würde ihr Chef eintreffen, und der wusste zum Arbeitsbeginn ein Tässchen von dem schwarzen Getränk zu schätzen. Gut ein viertel Jahr war sie jetzt bei der Kripo in Freiburg beschäftigt und so langsam mit den Macken ihres Chefs vertraut. Sie hatte den kauzigen alten Schwarzwälder schätzen gelernt, nach den bösen Erfahrungen, die sie in einer anderen Dienststelle gemacht hatte. Sie war in Köln aufgewachsen, hatte dort Abitur gemacht, sich dann für den gehobenen Polizeidienst beworben, das Examen mit Auszeichnung bestanden. Voller Zuversicht und Selbstvertrauen hatte sie sich auf der Sonnenseite ihres jungen Lebens gefühlt.

Dann der Berufseintritt bei der Kripo in Düsseldorf. Anmache, Mobbing, dazu eine enttäuschte Liebesbeziehung, die nicht folgenlos blieb. All dies endete in einem Nervenzusammenbruch. Nachdem sie den verdaut hatte, fand sie sich auf der Schattenseite wieder.

Die Wende zum Guten trat wieder ein, als ihre Eltern den Entschluss fassten, Großmutters Angebot anzunehmen, zu ihr nach Umkirch in den Breisgau zu ziehen.

Nach zwei Jahren Mutterschaftsurlaub hatte Rita wieder Mut gefasst und sich bei der Kripo in Freiburg beworben. Seit drei Monaten war sie jetzt schon die erste Assistentin von Kriminalhauptkommissar Andreas Steiger von der Mordkommission Freiburg.

Ihr Chef verkörperte das, was man als Schwarzwälder Urgestein bezeichnete. Etwas behäbig, mittelgroß, rundes Gesicht, das ein Schnurrbart zierte, braunes Haar, das an den Schläfen leicht ergraut war, und er machte sich keine Mühe, seinen schweren Schwarzwälder Dialekt abzustreifen.

Rita hatten die hiesigen Arbeitsbedingungen am Rande des Schwarzwaldes sofort zugesagt. Ein Problem, das sie gelegentlich noch hatte, war das fürchterliche Kauderwelsch, das hier in der Grenzregion zum Elsass und der Schweiz gesprochen wurde. Steiger benutzte nur solche Vokabeln. Altersbedingt auch noch schwerhörig, sprach er in einer viel zu starken Lautstärke. Natürlich erwartete er, von seinen Zuhörern verstanden zu werden.

Leise summte die Kaffeemaschine. Ein aromatischer Duft zog durch den Raum. An der Tür ein schwaches Klopfen.

»Mach es nicht immer so förmlich, Ulrich, wenn du zu einem Kaffee kommen willst. Die Luft ist noch rein«, rief Rita belustigt.

»Das will ich hoffen. Ich setze mich ungern einem Mief aus.«

Rita wurde verlegen. Der Mann in grauem Anzug, blauer Krawatte und mit dunkelbraunem Haar, der zur Tür hereinkam, war nicht ihr Kollege Polizeiobermeister Ulrich Hansen, sondern Kriminalrat Axel Windeck, der Leiter der Dienststelle.

»Für mich auch eine Tasse«, kostete der ihre Verlegenheit aus und deutete auf den noch verlassenen Schreibtisch von Steiger. »Hat es den wieder gestern in seine Stammkneipe gezogen?«

»Ich kenne seine Gewohnheiten nicht sehr gut, aber sollte er anderswo nicht aufgehalten worden sein, ist er immer um fünf vor acht hier«, sprang Rita für ihren Chef in die Bresche.

»Junge Frau, ich kenne seine Marotten. Immerhin kann ich mich rühmen, meine ersten Sporen bei ihm verdient zu haben«, brüstete sich Windeck.

Sofort fiel Rita ein, was ihr Hansen zugetragen hatte. Steiger, der kein Fettnäpfchen auslassen konnte, war vor zehn Jahren in eine Disziplinarstrafe hineingerannt, die ihm eine Beförderungssperre eingebracht hatte. Zweifellos der Bessere, musste er Windeck auf der Karriereleiter vorbeiziehen lassen.

Wie Rita vorausgesagt hatte, betrat Steiger, die obligatorische flache Schirmmütze auf dem Kopf, das Büro. Nach einem kurzen Morgengruß fiel er sogleich über den Kriminalrat her, mit dem er ein seltsames Freund-Feind-Verhältnis zu pflegen schien.

»Gibt es bei euch da hinten heute Morgen nur Muckefuck, dass du dich vor Arbeitsbeginn bei uns herumtreibst, um guten Kaffee zu saufen?«

Windeck machte ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken, bevor er darauf einging.

»Ist schade, wenn er kalt wird. Glaube kaum, dass du noch dazu kommst, ihn zu genießen. Lass am besten auch deinen Deckel oben. Nix mit ruhiger Kugel schieben heute.«

»Wenn du dich so um mein Wohlergehen bemüht zeigst, Axel, ist bestimmt wieder vergangene Nacht irgendein armer Sünder für die letzte Ölung präpariert worden.«

»Beruhigend, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Scharfsinn noch funktioniert«, gab Windeck bissig zurück. »Aber jetzt zur Sache«, wurde er ernst. »Gestern Nacht gab es im Simonswald oben einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang.«

»Ist dafür nicht die Landespolizei zuständig?«, unterbrach ihn Steiger.

»Nicht mehr, wenn ein zuverlässiger Zeuge gesehen haben will, wie ein Wagen bewusst von der Straße abgedrängt worden ist.«

»Mord also.«

»So kann man es auch auslegen«, stimmte der Kriminalrat zu. »Hier das dazu gesendete Protokoll von den Beamten, die den Unfall aufgenommen haben. Mehr wie das, was darin steht, kann ich euch auch nicht verraten. Zu Ihnen, junge Frau«, wandte er sich Rita zu, die Steiger gerade eine Tasse Kaffee reichte. »Sie sind jetzt annähernd ein viertel Jahr bei uns. In dieser Zeit nur Routinefälle wie Selbstmord, Messerstecherei mit tödlichem Ausgang, Mord im Affekt usw., jedenfalls mit keinerlei langfristiger Ermittlungsarbeit verbunden. Dies scheint aber ein Fall zu werden, wo Sie sich bei uns Ihre ersten echten Sporen verdienen können.«

»Hörst dich gern selber quatschen«, redete Steiger dazwischen, der gerade dabei war, die von Windeck überreichte Akte zu lesen. »Hier ist auch nicht ersichtlich, wo die Leiche gelandet ist. Noch spärlicher die Auskunft über eine genaue Todesursache.«

»Schlage vor, du setzt dich mit Weber in Verbindung. Mittlerweile dürfte sie bei ihm in der Gerichtsmedizin angekommen sein«, schlug Windeck mit hintergründigem Lächeln vor.

Prustend setzte Steiger seine Kaffeetasse auf die Schreibtischplatte zurück. Heftig winkte er mit der Hand ab.

»Es ist erst acht Uhr am Morgen. Kannst du dir vorstellen, wie der drauf ist? Ich verzichte gerne auf die Ehre, der Erste zu sein, an dem er seinen Frust ablässt. Du hast mich überzeugt. Es ist höchste Zeit, die Kurve zu kratzen. Ich denke, Rita und ich hören uns zuerst bei den Kollegen in Waldkirch um, die den Unfall aufgenommen haben.«

***

Leise brummte der Motor des Dienstwagens, an dem Rita am Steuer saß. Steiger auf dem Beifahrersitz legte eine dünne Akte auf seinen Schoß. Mit einer fahrigen Handbewegung nahm er seine Lesebrille aus dem Gesicht.

»Rudi Heinzelmann hieß das Opfer und wohnte in Kirchzarten«, kommentierte er das Gelesene. »Aus der Zeugenaussage geht hervor, dass der Unfallverursacher einen Audi fuhr. Sogar die Ziffern D…3…6… will der Zeuge auf dem Nummernschild erkannt haben.«

»Läuft da schon eine Fahndung nach dem Wagen, Herr Steiger?«, wollte Rita wissen.

»Laut Protokoll sind entsprechende Mails nach Düsseldorf und Flensburg gesendet worden.«

»Und normale Verkehrsfahndung?«

Steiger zeigte sich skeptisch.

»Im Protokoll keinerlei Vermerk darüber. Bei diesen spärlichen Anhaltspunkten würde zum jetzigen Zeitpunkt eine solche auch nichts bringen.«

»Was halten Sie von diesem Zeugen? Trotz im Protokoll vermerkter Dunkelheit sowie Schneefall zur Tatzeit behauptet er Audi-Ringe und diese Ziffern erkannt zu haben.«

»Sie meinen Wichtigmache?« Steiger hielt seine Zweifel nicht zurück. »Laut Protokoll war er mit Wildhege beschäftigt als der Unfall geschah. Er ist also Jäger. Schließen wir einmal in dieser Situation das sprichwörtliche Latein aus, haben solche Menschen eine sehr ausgeprägte Beobachtungsgabe.«

Einsetzender Schneefall zwang Rita, ihre Aufmerksamkeit ganz auf die für sie ungewohnten Straßenverhältnisse zu richten. Außerdem hatte sie die Ausfahrt nach Waldkirch erreicht.

Zehn Minuten später, von Rita bereits verständigt, empfing sie Polizeihauptmeister Arnold Mählin auf dem dortigen Polizeirevier.

»Ja gibt es dich auch noch, Steiger?«, begrüßte er ihn, wobei er Rita die Hand reichte. »Sieht so aus, als wäre an dieser Sache wirklich etwas dran, wenn wieder alte Brauereigäule gesattelt werden.«

Rita quittierte den festen Händedruck mit einem Lächeln. Welten lagen zwischen den Förmlichkeiten ihrer früheren Dienststelle und dem hier herrschenden groben Humor.

»Übertreibe es nicht, Mählin. Es waren ja deine Jungs, die diesen Fall ins Rollen brachten. Wo sind denn die beiden? Hätte gerne mit ihnen ein paar Worte gewechselt.«

»Da hast du leider Pech. Keiner von meinen Leuten ist seit gestern Abend aus den Schuhen gekommen. Der erste heftige Wintereinbruch. Kannst dir ja ausmalen, wie es bei uns gekracht hat. Du glaubst nicht, wie viele noch abgefahrene Sommerreifen auf den Felgen haben. Was bei uns in den letzten zwölf Stunden an Protokollen geschrieben worden ist, würde bei euch einen Vierteljahres-Verbrauch decken.«

»Wenn du wieder in Übung gekommen bist, darfst du mir gerne bei der Formulierung eines Berichtes für den Staatsanwalt aushelfen«, blieb ihm Steiger eine Antwort nicht schuldig. »Schlage vor, wir diskutieren einmal bei einem Bier darüber weiter. Im Moment gebe ich mich mit den Handynummern der beiden Beamten zufrieden. Was mich noch interessieren würde, ist der Wagen des Verunglückten.«

»Der Wagen ist schon bei euch in der kriminaltechnischen Untersuchung. Womit ich euch noch dienen kann, ist das, was wir darin gefunden haben.«

»Wunderbar, Arnold. Schauen wir einmal deine zusammengetragenen Schätze an.«

Mählin führte sie sogleich in einen Nebenraum, wo alles im Wagen Gefundene auf einem großen Tisch ausgebreitet war.

Steigers erster Blick galt einer in einem Plastiktütchen versiegelten Tablettenbox.

»Interessant zu erfahren, womit sich unser Opfer bei der Stange hielt. Rita, funken Sie Hansen an, er soll das Zeug abholen und zu Weber in die Gerichtsmedizin bringen«, ordnete er an.

Sein Blick wurde von zwei Plastikkisten angezogen, die am Tischende aufgetürmt waren. Was vor dem Unfall an Maschinenteilen sorgsam geordnet worden war, lag jetzt wild durcheinander in den Behältern. Obendrauf, deutlich sichtbar, ein Lieferschein.

Bevor er den Lieferschein in die Hand nahm, streifte er Schutzhandschuhe über und setzte seine Lesebrille auf.

Hermann Hauser, Feintechnik und Präszisions-Teile Furtwangen, war als Firmenname vermerkt.

»Da, Mädchen«, hielt er ihr den Lieferschein vors Gesicht. »Hier ist heute auch noch ein Besuch angesagt.« Seine Worte ließen sie frösteln. Sie schaute an ihm vorbei durch das Fenster, wo dichtes Schneetreiben herrschte. »Und wenn wir gerade beim Ausflugmachen sind, könnten wir bei unserem Zeugen auch noch vorbeischauen«, redete er weiter, als wäre draußen schönstes Wetter.

»Sag mal, Mählin«, wandte er sich dem Polizisten zu. »Kannst du mir die Adresse des Zeugen geben?«

»Einfach zu merken. Liegt sogar auf dem Weg nach Furtwangen. Rotzinger heißt er, ist Landwirt, betreibt nebenbei in Bregenbach oben eine Wirtschaft und hat auch eine eigene Jagd. Warte einen Augenblick, ich bereite ihn auf euer Kommen vor.«

Rita machte Steiger auf ein Notizbuch und ein Handy aufmerksam, die ebenfalls auf dem Tisch lagen.

»Hansen soll dies auch mitnehmen und zur Technik bringen, wenn er die Pillen abholt.«

»Rotzinger erwartet euch in einer dreiviertel Stunde in seiner Beize, die den schönen Namen Zur Tanne trägt«, rief Mählin, der wieder aus seinem Büro zurückkam.

»Ist recht, Arnold. Danke für eure gute Arbeit. Wir machen uns jetzt auf den Weg. Bei dem Wetter will ich wieder daheim sein, bevor es dunkel wird.«

***

Rotzingers Aussage ließ keinen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Steiger hatte aus dem Fenster der Gaststube mit dem Nachtglas des Jägers auf den Waldrand geschaut. Er war erstaunt gewesen, welche Einzelheiten er trotz des dichten Schneetreibens aus etwa fünfzig Metern Entfernung noch wahrnehmen konnte.

Gestärkt durch ein zweites, deftiges Frühstück, fuhren sie weiter. Steiger, der jetzt das Steuer übernommen hatte, schmunzelte, als er an vorhin dachte, wo der Wirt eine mit Hausmacher Spezialitäten gespickte Platte aufgetischt hatte. Rita hatte ungläubig den Kopf geschüttelt. Dabei hatte ihr Pferdeschwanz nach allen Richtungen gependelt.

Zwanzig Minuten später passierten sie die Unglücksstelle. Anhaltendes Winterwetter hatte längst alle Spuren zugedeckt. Nur ein paar Absperrbänder und ein zurückgelassenes Verkehrsschild gaben noch Zeugnis von der gestrigen Tragödie.

Kurz vor Mittag steuerte Steiger den Golf auf den Parkplatz der Firma Hauser. Ihr Eigentümer zeigte sich erschüttert, als er nach Vorstellung und Begründung des Besuches vom Tode seines Geschäftspartners erfuhr.

»Rudi Heinzelmann war nicht irgendeine unbedeutende Null, sondern Urgestein der Firma. Genauso wie der alte Mahler baute er auf gegenseitiges Vertrauen und Qualität. Traten unvorhergesehene Probleme auf, konnte man mit ihm reden«, machte Hauser seiner Betroffenheit Luft.

»Es wird ja irgendwie weitergehen«, versuchte Steiger den sichtlich mitgenommenen Mann zu beruhigen.

»Ja, für jedes Maschinenteil ein im Computer eingegebenes Angebot. Die Idealvorstellung eines modernen Betriebsablaufs vom jungen Mahler. Nur um einen darauf aufmerksam zu machen, wo er billiger fertigen lassen kann. Das ist sein Stil. Heinzelmann hat den damit gebremst, indem er ihm Eskapaden bei Billigfertigung vorhielt, wo nur Schrott oder dringend Gebrauchtes jenseits abgemachter Termine ankam.«

»Ihr meint, der Junior-Chef hatte Grund, Heinzelmann eins auszuwischen, weil der sich von ihm bloßgestellt fühlte?«, kam Rita mit dieser Frage ihrem Chef zuvor.

»Was weiß ich. Zerstritten waren sie auf jeden Fall«, regte sich Hauser weiter auf.

Steiger bedachte Rita mit einem anerkennenden Blick, bevor er sich wieder Hauser zuwandte.

»Kann ich mir vorstellen. Strammer Jüngling, der in der Symbiose mit dem Netz sein Heil sieht. Hält bestimmt die Arbeitsweise der vorherigen Generation für ein Relikt aus der Steinzeit«, sprach ihm Steiger aus der Seele.

»Bei euch auch schon?«

»Jedenfalls ist es nicht mehr die Zeit, in der wir noch den Rechenschieber benutzten. Damit kannte ich mich aus. Ist Vergangenheit. Die paar Berufsjahre werde ich auch noch absitzen«, ging Steiger auf die Psyche Hausers ein. »Da ändern wir aber nichts mehr. Bleiben wir bei Heinzelmann. Können Sie mir sagen, was der Grund seines Besuches bei Ihnen war?«

»Habe es schon vorher angedeutet. Rudi schloss mit mir einen neuen Liefervertrag ab. Bei dieser Gelegenheit brachte er, wie jedes Jahresende, einige Präsente mit. Dabei nahm er noch eine besonders eilige Lieferung in Empfang. Ach ja.« Hauser hielt einen Moment inne und fügte dann hinzu: »Ein besonders bekömmliches Präsent habe ich hier. Es wäre jetzt wirklich angemessen, Rudis Andenken damit zu ehren.«

Im Gegensatz zu Rita wunderte sich Steiger nicht, als Hauser auf einen Metallschrank zuging und aus ihm eine Flasche Himbeergeist nebst drei Gläsern hervorholte. Zwei davon schob er randvoll gefüllt seinen Gästen über die Tischplatte zu.

»Auf Rudi«, hob er sein Glas.

Steiger, kein Kostverächter, tat es ihm gleich und leerte es in einem Zug. Rita entschuldigte sich mit »im Dienst sein« und »Chauffeur-Pflicht«, was die beiden Alten belustigte Blicke tauschen ließ.

Jetzt, wo durch diese Geste persönlicher Kontakt hergestellt war, gingen sie auch auf das Duzen über.

»Sag mal, welchen Eindruck hat Heinzelmann gestern auf dich gemacht?«, wollte Steiger wissen.

»So gut wie du war er jedenfalls nicht drauf. Ich musste ihm eine Flasche Wasser besorgen, damit er irgendein Pulver runterspülen konnte.«

»Sag bloß«, Steiger setzte sein Glas ab, das er noch in der Hand hielt. »Was war denn das für ein Zeug, mit dem er sich bei der Stange halten wollte?«

»Frag mich was Leichteres. Er schüttete aus einem mitgebrachten Tütchen ein gelbliches Pulver in einen Becher Wasser. Er war von dessen Wirkung so überzeugt, dass er mein Angebot, sich von meinem Sohn nach Hause fahren zu lassen, ablehnte.«

Steigers Blicke schweiften durch den Raum und blieben an beiden Müllbehältern hängen.

»Ist dieses Tütchen nach Gebrauch zufälligerweise da hineingelandet?«, fragte er und deutete er auf den blauen Sack.

»Ja, doch«, fiel es Hauser wieder ein. »Penibel, wie der Rudi einmal war, hat er es sogar selbst reingeschmissen.«

»Ist dort noch der gestrige Müll drin?«

»Ich denke, nicht. In der Regel entsorgt am Abend die Putzfrau die Säcke.«

»Haben wir noch eine Chance, diesen Müllsack aus deinem Büro zu finden?«

Hauser überlegte einen Augenblick.

»Der Container wird am Freitag entleert«, sinnierte er. »Nachdem Heinzelmann sein Tütchen in den Sack schmiss, habe ich darin die Verpackung dieser Flasche entsorgt. Das müsste als Anhaltspunkt reichen, um ihn wieder ausfindig zu machen.«

»Wunderbar.« Steiger nickte zufrieden. »Kannst du dafür sorgen, dass jemand diesen Sack aus dem Müllcontainer herauswühlt?«

»Wünsche hast du. Aber was tut man nicht alles für den armen Rudi. Gott hab ihn selig.« Mit einem Zug leerte er den von Rita stehen gelassenen Himbeergeist, ehe er nach seinem Telefon griff.

Zehn Minuten später kam ein Jugendlicher mit einem blauen, halb gefüllten Plastiksack herein.

»Wohin damit, Meister?«, fragte er. Seine Stimme verlor sich, da durch die offen gelassene Tür Lärm aus dem Maschinensaal zu hören war.

»Gib schon«, schrie Steiger, der die Frage nicht mitbekommen hatte.

Ohne Scheu leerte er den Müllsack über Hausers Schreibtisch aus.

»Gott verdamme mich«, entfuhr dem sogleich ein Fluch. »Wir sind hier nicht in einer heruntergekommenen Amtsstube.«

»Ist dienstlich. Schenke uns lieber noch einen nach. Wirkt beruhigend und ist ganz im Sinne des Dahingeschiedenen«, tröstete ihn Steiger.

Die Vorstellung, die beiden Alten könnten sich in den nächsten fünf Minuten in die Haare kriegen, ließ Rita um ihre Beherrschung kämpfen. Hinter ihrem Rücken versteckt, kicherte der in einen blauen Overall gekleidete Auszubildende in seine Hand.

»Da, das Tütchen«, schrie Hauser plötzlich. Bevor Steiger dessen ausgestreckter Hand folgen konnte, hatte es Hauser schon zwischen Obstschalen und benutzten Papiertaschentüchern herausgefischt.

»Und, was ist damit?« Er deutete mit geschlossener Hand auf den Müll, der seinen Schreibtisch bedeckte.

»Ich mach das schon, Herr Hauser«, bot sich Rita an. Dabei gestand sie sich ein, dass Steiger mit einer solchen Vorgehensweise sich selber alle Stolpersteine für seine Karriere in den Weg gelegt hatte.

Während sie ihrem Versprechen mit Hilfe des Auszubildenden nachkam, der ein anhaltendes Grinsen nicht unterdrücken konnte, nahm Steiger das Tütchen in Empfang.

»Eurem Getue nach sieht es so aus, als wäre es bei Heinzelmanns Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen«, meinte Hauser, dessen Groll einer gesunden Neugier gewichen war. Als Friedensgeste füllte er zwei Gläser mit Himbeergeist nach.

Rita schaute besorgt zum Fenster hinaus. Draußen hatte der Schneefall jedoch aufgehört. Etwas beruhigt atmete sie auf. Sie hatte kaum Erfahrung mit winterlichen Straßenverhältnissen. Ihr Chef wohl, aber der war jetzt auf seinesgleichen gestoßen. Noch ein zwei Schnäpse, und mit seiner Fahrtüchtigkeit war es vorbei.

»Liegst nicht ganz daneben«, orakelte mit lauter Stimme neben ihr Steiger. »Darum ist es von äußerster Wichtigkeit, wenn dir von deinem gestrigen Besucher noch etwas einfallen würde. Zum Beispiel: Hat er Frust abgeladen, sich über etwas geäußert, was dir belanglos erschien, oder dir gar Vertrauliches zugeflüstert?«

Hauser blickte ihn an. Steiger sah in seinen Augen Überraschung.

»Ja, in dieser Richtung war etwas«, bekannte er. »Heinzelmann antwortete mir auf meine Bemerkung, er solle einmal richtig ausspannen, dies gehe nicht, weil er auf einer Revision bestanden habe. Auch erwähnte er einen neuen, von einem Bekannten empfohlenen Orthopäden, zu dem er gewechselt sei. Dieser hat ihm auch dieses bewusste Pulver besorgt, auf das er schwor.«

Steiger deutete auf die geleerten Gläser.

»Hat er auch den Namen dieses Arztes erwähnt oder sich gar näher über diese Revision geäußert?«

»Nein, Rudi war kein Schwätzer. Seine Betriebstreue galt dem alten Mahler, und wenn er auf eine Revision drängte, dann nur, weil er Schaden auf die Firma zukommen sah.«

»Gibt es heute nur noch selten. Auf Rudi«, hob Steiger sein nachgefülltes Glas.

»Prost«, murmelte Hauser. »Da fällt mir noch etwas ein«, sagte er, nachdem er sein leeres Glas wieder abgesetzt hatte. »Als Rudi, den ich auf den Parkplatz hinausbegleitet hatte, losfuhr, fiel mir das Scheinwerferlicht eines anderen Wagens auf, der hinter ihm herfuhr. Im Licht der Parkplatzbeleuchtung erkannte ich, dass es ein roter Audi war.«

»Bist du dir da sicher?«

»Natürlich. Ich fahre ja dasselbe Modell. Oder traust du mir zu …« Hauser unterbrach sich und blinzelte schalkhaft, wobei er auf die Flasche deutete. »Du siehst auch danach aus, als könntest du noch einen vertragen, bevor du dich auf den Heimweg machst.«

Rita, gerade fertig mit der Abfallbeseitigung, tauschte einen stummen Blick mit Steiger.

Dieser griff in seine Rocktasche und gab ihr den Autoschlüssel.

»Fahren Sie«, bat er.

Draußen auf dem Parkplatz, zu dem sie Hauser begleitet hatte, fragte ihn Steiger, was das für eine Wirtschaft auf der anderen Straßenseite sei. Wieder aufkommender Schneefall, und das Wissen um Ritas Unerfahrenheit bei hochwinterlichen Straßenverhältnissen ließ ihn von einer Einkehr Abstand nehmen.

»Im Ernst, Chef, hattet ihr wirklich vor, nach der bei diesem Rotzinger getilgten Hausmacher Platte und den bei Hauser auf Heinzelmanns Seelenheil getrunkenen Schnäpsen noch einmal in eine Wirtschaft zu gehen?«, spöttelte Rita, als sie den Wagen aus dem Parkplatz fuhr.

Steiger, der dabei war, etwas in sein Notizbuch zu schreiben, hielt mit seiner Tätigkeit inne.

»Halten wir fest: Es war ein sehr aufschlussreicher Besuch bei diesem Hauser. Das mit der von ihm erwähnten Revision könnte sich wirklich als seine sehr heiße Spur erweisen. Jedenfalls sieht es so aus, als käme sein Tod etlichen gelegen, um einiges unter den Teppich kehren zu können. Dann«, Steiger klopfte mit seinem Kugelschreiber auf das Armaturenbrett, »ist Hauser der zweite Zeuge, der diesen Audi erwähnt, der, wie es aussieht, Heinzelmann verfolgte. Es wäre unlogisch, wenn der Audifahrer ihm schon auf dem Hinweg auf den Fersen war und erst auf dem Rückweg handelte. Spekulieren wir einmal, dem Fahrer des Audi war das Ziel von Heinzelmann nicht fremd. Würden Sie bei dieser Kälte die ganze Zeit im Auto sitzen, wenn Sie seinen Terminplan gekannt hätten? Von der Wirtschaft gegenüber Hausers Firma hätten Sie alles im Auge gehabt. Fazit: Morgen schicken wir Hansen los, sich hier oben etwas umzuhören und, was wichtiger ist, auch Phantombilder von auffälligen Gästen dieser Wirtschaft zu machen.«

***

Steiger war, vom Parkplatz kommend, auf dem Weg durch einen schier endlosen Korridor, um sich den anderen im Besprechungsraum anzuschließen. Einen Moment hielt er inne, um sich zu vergewissern, auch die richtigen Unterlagen in seiner alten Aktentasche verstaut zu haben.

Es war früher Nachmittag. Im Gegensatz zu gestern war es erheblich milder geworden. Das ständige Nieseln hielt immer noch an und hatte bereits draußen die Schneedecke in wässrigen Matsch verwandelt, von dem noch reichlich an seinen Schuhen haftete.

»Sieht lausig aus draußen«, brachte er hervor, als er den Raum betrat, wo Rita, Dr. Ottmar Weber, der Gerichtsmediziner, Hauptwachtmeister Ullrich Hansen, sein zweiter Assistent und – was ihn keineswegs verwunderte – Kriminalrat Windeck auf ihn warteten.

»Du wirst deine bisherigen Recherchen doch nicht als lausig bezeichnen wollen«, ging Windeck sofort auf Steigers Äußerung ein.

»Das nicht gerade. Aber wir stehen ganz am Anfang. Was wir bisher haben, sind Hinweise, mit denen wir ein Motiv begründen können.«

»Ihr geht von Mord aus?«, fragte der Gerichtsmediziner. »Euer Opfer hätte diesen Unfall mit geringen Blessuren überlebt, wäre da nicht eine plötzliche Herzschwäche eingetreten.«

»Wieder so ein Argument von dir, das Winkeladvokaten für Spitzfindigkeiten vor Gericht munitioniert«, hielt ihm Steiger vor. »Objektiv haben wir einen älteren Mann, der von der Straße abgedrängt wurde. Glaubwürdig von einem Zeugen geschildert und von der Technik bestätigt, die an Heinzelmanns Stoßstange Spuren von einem anderen Fahrzeug nachweisen konnte. Der Unfall geschah an einer Stelle, wo auch unter normalen Umständen mit Vorsicht gefahren werden muss. Heinzelmann war ein erfahrener Fahrer, der zudem diese Strecke von seinen Besuchen bei den Zulieferern der Firma Mahler kannte. Bei dem zur Tatzeit herrschenden Schneetreiben hat er bestimmt auf eine angepasste Fahrweise geachtet. Er muss also sehr langsam gefahren sein, was der Unfallverursacher ausgenutzt hat, um ihn von der Straße zu drängen. In die Einfahrt eines Waldweges hinein, wo keine Leitplanken Schutz vor einem Abkommen von der Straße boten. Erst hier muss er dann völlig die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren haben.« Steiger machte eine Pause. Wie auf einem Lehrgang, den er gelegentlich im Rahmen von Polizeikursen leitete, wartete er, bis die Spannung bei seinen Hörern stieg. »Was nicht für vorsätzliche Tötung spricht«, fuhr er fort, »ist die Wahl des Tatortes, wo eine Schonung von jungen Christbaumtannen einen Unfall mit tödlichem Ausgang unwahrscheinlich machte. Halten wir fest: Der Wagen überschlug sich seitlich einmal, als er vom Weg abkam. Ist eine Person richtig angeschnallt, Heinzelmann war es, kommt sie in der Regel bei einem solchen Unfall mit dem Leben davon.«

»Sie gehen davon aus, dass der noch unbekannte Audifahrer nur einen Warnschuss abgeben wollte?«, kam Rita mit ihrer Frage Windeck zuvor.

»Nehmen wir es einmal an. Hätte er ganze Arbeit machen wollen, boten sich dazu andere Streckenabschnitte an.«

»Die Revision«, Rita schaute Steiger anerkennend an. Was hinter ihm geflüstert wurde, schien wahr zu sein. Es war sein messerscharfer analytischer Verstand, der andere Schwächen von ihm abdeckte und ihn sich gegen Widersacher und Rivalen behaupten ließ. »Herr Steiger«, ließ sie in Gegenwart des Kriminalrates das Anreden mit »Chef« weg, »gehen Sie davon aus, dass der Unfall nur Schweigen anmahnen sollte und nicht ein geplanter Mord war?«

»Einkalkulierten Tod sollte man als Mord auslegen«, erwiderte er rätselhaft. »Als erste Spur haben wir nur diese Revision. Da müssen wir auch ansetzen. Dieser herbeigeführte Unfall kann nicht nur ein Schweigen bei Heinzelmann angemahnt haben, sondern wird, was ich für wahrscheinlicher halte, ein Versuch gewesen sein, ihn durch Verletzungen außer Gefecht zu setzen.«

»Du räumst selber ein, keinerlei Beweise für eine Tötungsabsicht zu haben. Das, was du dir bisher zusammengereimt hast, reicht jedem Anwalt aus, um auf Fahrerflucht zu plädieren«, hielt ihm Dr. Weber vor.

»Vorausgesetzt, er starb eines natürlichen Totes«, gab ihm Steiger zurück.

»Waaas.« Weber, ein gefürchteter Zyniker, zog dieses Wort bewusst in die Länge, um sich in Szene zu setzen. Als er sich der Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher war, deutete er auf Steiger. »Die Todesursache war eindeutig ein Herzinfarkt. Eine andere Auslegung hieße das Geschmiere beachten, das in Zeitungen aufgetischt wird, die zweimal wöchentlich unaufgefordert in die Briefkästen geworfen werden.«

»Ottmar hat da recht«, schlug sich Windeck auf seine Seite. »Vielleicht bist du sogar selber der Drahtzieher solcher Gerüchte. Mit deinem Stil ist so etwas durchaus vereinbar.«

»Mein Gott, Axel.« Steiger hob seine Hände und ließ sie hörbar auf den Tisch fallen. »Legt mir noch in den Mund, ich hätte hoffnungsvolle Nachwuchsreporter, die unter bezahlt bei den von der Werbung getragenen Blättern ihre erste Sporen verdienen, dazu animiert zu schreiben, geheimnisvolle Drogen wären da im Spiel.«

»Wie kommen sonst solche Schauermeldungen zustande?«, bohrte Windeck misstrauisch nach.

»Rita kann es bezeugen. Da war Hauser, wahrscheinlich der Letzte, der mit unserem Opfer gesprochen hat. Glaubhaft bezeugte er, dass Heinzelmann in seiner Gegenwart ein Pulver gegen seine Schmerzen eingenommen hat. Dann, als wir die Hülle fanden, in der das Zeug verpackt war, ist auch noch ein Lehrbub anwesend gewesen. Hauser war so erschüttert vom Tode seines alten Geschäftsfreundes, dass es ihm nach geistiger Stärkung war.«

»Gutmütig, wie du einmal bist, hast du es nicht übers Herz gebracht, ihn in seiner Trauer alleine zu lassen«, orakelte Windeck sarkastisch. »Du meinst die beiden?«

»Nur eine Vermutung«, betonte Steiger. »Hauser hat sicher mit Freunden und Bekannten darüber geredet, und der Auszubildende wird sich in einer Disco oder in einem Verein damit wichtig gemacht haben. Öffentlich geäußerte Vermutungen, einem windigen Lokalreporter zu Ohren gekommen, und da braucht man sich wirklich nicht zu wundern, wie solche Geschichten zustande kommen.« Dr. Weber schenkte Steiger einen misstrauischen Blick, bevor er den vor sich liegenden Ordner aufschlug.

»Auch das mit diesem Pulver scheint weit hergeholt zu sein. Wir sind bei der Obduktion weder in seinem Magen noch in seinem Blut auf eine Substanz gestoßen, die schmerzstillend wirkt. Nur Metoprololtartrat, Isosorbiddinitrat und Acetylsalicylsäure waren nachweisbar. Verständlich ausgedrückt: Ein Betablocker für Bluthochdruck, Nitrate zur Erweiterung der Herzkranzgefäße und ein Hemmer für die Blutverdünnung.«

»Du hast mich überzeugt, Ottmar«, winkte Steiger ab. »Aber, nur aus Neugier – gibt es auch Substanzen, die durch einen raschen Abbau kaum mehr nachweisbar sind?«

»Oh ja! Es gibt solche Medizin, wo eine Nachprüfbarkeit unerwünscht ist. Soll Power machen und auch gut gegen Muskelschmerzen sein. Ihr braucht nur an den Skandal im Zusammenhang mit der Sport-Fakultät an der Uni zu denken.«

»Ah!«, nickte Steiger, befriedigt, weil seine Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein schien.

»Ein Dopingpräparat?« Windeck tippte nachdenklich sein linkes Jochbein an. »Steiger, hast du in dieser Richtung etwas in der Hinterhand?«

»In dem bei Hausers Büro gefundenem Papiertütchen waren noch einige Reste des von ihm eingenommenem Pulvers. Ein paar Krümel davon gab ich einem alten Schulkameraden, der in Basel in der Forschung eines Pharmakonzerns tätig ist. Dieser fand zwar auf die Schnelle nicht heraus, um was es sich genau handelt, aber er ist sich sicher, dass da auf Enzymbasis gearbeitet wird. Übrigens, er hat mir für die Gerichtsmedizin einen Bericht mitgegeben.«

»Her damit«, bellte Weber empört. »Typisch Steiger, seine feinen Schweizer Freunde jenen vorzuziehen, die sich für ihn am Leichengestank den Appetit verderben.«

»Spiel dich nicht auf wie eine Nonne, die ihr Keuschheitsgelübde bereut«, gab Steiger zurück. »Ottmar!«, mahnte er ihn mit erhobenem Finger. »Sei ehrlich. Eine solche Untersuchung hättest du in der Uni machen lassen müssen. Womöglich von denselben Leuten, die dieses Zeug ausgebrütet haben.«

»Keine Hektik«, erbat sich der Kriminalrat. »Obwohl mir in diesem Falle dein Misstrauen berechtigt erscheint, hättest du dich mit Weber aussprechen können. Er wird doch jemanden in der Uni kennen, der, wie er selber, über jeden Verdacht erhaben ist, an solchen Sachen mitzumachen.« Auffordernd schaute er den Gerichtsmediziner an.

»Ja, es gibt einen, unbestechlich, misstrauisch, und lungert auch gern in Altstadtkneipen herum wie der Steiger. Hast du noch dein Tütchen?«, zeigte Weber sich dem gegenüber versöhnlich. »Die und Heinzelmanns Leiche dürften reichen, um dich bei dem einzuführen.«

***

Draußen begann es zu dämmern. Breitkreuz schaltete das Licht in seinem gemütlich ausgestatteten Wohnzimmer ein. Bevor er sich wieder setzte, schloss er die Balkontür seines Appartements, das die zweite Etage eines herrlich gelegenen alten Hauses in Wolfenweiler einnahm.

Noch einmal schaute er durch die Scheibe über das beginnende Rheintal im nördlichen Markgräflerland. Einbrechende Dunkelheit, die mit einem aufkommenden Nebel gepaart war, verschluckte draußen jegliche Einzelheit. Auszumachen waren nur noch bizarre Schatten, hervorgerufen vom Zimmerlicht, das auf Rosenhecken und Sträucher fiel.

Spukgeschichten gingen ihm durch den Kopf. Fröstelnd zog er die Vorhänge zu und ließ, sonst nicht seine Art, sogar die Jalousien herunter. Heinzelmanns Tod, das gestrige Gespräch mit einem kauzigen alten Kriminalkommissar und Gerüchte in der Zeitung hatten ihn dünnhäutig werden lassen.

Hinter ihm ging die Tür auf. Personen, die er auf seiner Ferse wähnte, Spanner sowieso, wären voll auf ihre Kosten gekommen, bei einem nicht verdeckten Fenster. Ingrid, vom Badezimmer kommend, kam, nur mit einem Slip bekleidet, über die Schultern ein Handtuch und ein weiteres um den Kopf gewickelt, zur Tür herein.

»Willst du dich nicht fertig machen, Schatz? Du hast mir doch heute einen netten Abend in Freiburg versprochen«, schmollte sie.

»Du hast recht. Lass uns ausgehen, damit mir endlich diese lästige Heinzelmann-Geschichte aus dem Kopf geht.«

»Vergiss den bitte. Oder sollen wir uns von einem Spuk womöglich den Abend verderben lassen? Der Alte hatte einen Autounfall, so stand es in der Zeitung.«

»Es wurden aber auch noch über andere Vermutungen geschrieben.«

Sie ging einige Schritte auf ihn zu. Ihr Gang war katzenhaft, ihre nackte Haut solargebräunt, und in ihrem schmalen, rassigen Gesicht dominierte ein alles versprechendes Lächeln.