Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse - Sigmund Freud - E-Book
SONDERANGEBOT

Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse E-Book

Sigmund Freud

0,0
0,00 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses eBook: "Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Der Mensch glaubte zuerst in den Anfängen seiner Forschung, daß sich sein Wohnsitz, die Erde, ruhend im Mittelpunkt des Weltalls befinde, während Sonne, Mond und Planeten sich in kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen. Er folgte dabei in naiver Weise dem Eindruck seiner Sinneswahrnehmungen, denn eine Bewegung der Erde verspürt er nicht, und wo immer er frei um sich blicken kann, findet er sich im Mittelpunkt eines Kreises, der die äußere Welt umschließt. Die zentrale Stellung der Erde war ihm aber eine Gewähr für ihre herrschende Rolle im Weltall und schien in guter Übereinstimmung mit seiner Neigung, sich als den Herrn dieser Welt zu fühlen." Sigmund Freud (1856-1939) war ein österreichischer Neurologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker. Als Begründer der Psychoanalyse erlangte er weltweite Bekanntheit. Freud gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts; seine Theorien und Methoden werden bis heute viel diskutiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sigmund Freud

Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse

Die Libidotheorie der Neurosen

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-2620-0
Inhaltsverzeichnis
Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse
Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse
Über »wilde« Psychoanalyse

Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse

Inhaltsverzeichnis

Ich will gleich zum Eingang sagen, daß ich nicht eine intellektuelle Schwierigkeit meine, etwas, was die Psychoanalyse für das Verständnis des Empfängers (Hörers oder Lesers) unzugänglich macht, sondern eine affektive Schwierigkeit: etwas, wodurch sich die Psychoanalyse die Gefühle des Empfängers entfremdet, so daß er weniger geneigt wird, ihr Interesse oder Glauben zu schenken. Wie man merkt, kommen beiderlei Schwierigkeiten auf dasselbe hinaus. Wer für eine Sache nicht genug Sympathie aufbringen kann, wird sie auch nicht so leicht verstehen.

Aus Rücksicht auf den Leser, den ich mir noch als völlig unbeteiligt vorstelle, muß ich etwas weiter ausholen: In der Psychoanalyse hat sich aus einer großen Zahl von Einzelbeobachtungen und Eindrücken endlich etwas wie eine Theorie gestaltet, die unter dem Namen der Libidotheorie bekannt ist. Die Psychoanalyse beschäftigt sich bekanntlich mit der Aufklärung und der Beseitigung der sogenannten nervösen Störungen. Für dieses Problem mußte ein Angriffspunkt gefunden werden, und man entschloß sich, ihn im Triebleben der Seele zu suchen. Annahmen über das menschliche Triebleben wurden also die Grundlage unserer Auffassung der Nervosität.

Die Psychologie, die auf unseren Schulen gelehrt wird, gibt uns nur sehr wenig befriedigende Antworten, wenn wir sie nach den Problemen des Seelenlebens befragen. Auf keinem Gebiet sind aber ihre Auskünfte kümmerlicher als auf dem der Triebe.

Es bleibt uns überlassen, wie wir uns hier eine erste Orientierung schaffen wollen. Die populäre Auffassung trennt Hunger und Liebe als Vertreter der Triebe, welche das Einzelwesen zu erhalten, und jener, die es fortzupflanzen streben. Indem wir uns dieser so nahe liegenden Sonderung anschließen, unterscheiden wir auch in der Psychoanalyse die Selbsterhaltungs- oder Ich-Triebe von den Sexualtrieben und nennen die Kraft, mit welcher der Sexualtrieb im Seelenleben auftritt, Libido – sexuelles Verlangen – als etwas dem Hunger, dem Machtwillen u. dgl. bei den Ich-Trieben analoges.

Auf dem Boden dieser Annahme machen wir dann die erste bedeutungsvolle Entdeckung. Wir erfahren, daß für das Verständnis der neurotischen Erkrankungen den Sexualtrieben die weitaus größere Bedeutung zukommt, daß die Neurosen sozusagen die spezifischen Erkrankungen der Sexualfunktion sind. Daß es von der Quantität der Libido und von der Möglichkeit, sie zu befriedigen und durch Befriedigung abzuführen, abhängt, ob ein Mensch überhaupt an einer Neurose erkrankt. Daß die Form der Erkrankung bestimmt wird durch die Art, wie der einzelne den Entwicklungsweg der Sexualfunktion zurückgelegt hat, oder, wie wir sagen, durch die Fixierungen, welche seine Libido im Laufe ihrer Entwicklung erfahren hat. Und daß wir in einer gewissen, nicht sehr einfachen Technik der psychischen Beeinflussung ein Mittel haben, manche Gruppen der Neurosen gleichzeitig aufzuklären und rückgängig zu machen. Den besten Erfolg hat unsere therapeutische Bemühung bei einer gewissen Klasse von Neurosen, die aus dem Konflikt zwischen den Ich-Trieben und den Sexualtrieben hervorgehen. Beim Menschen kommt es nämlich vor, daß die Anforderungen der Sexualtriebe, die ja weit über das Einzelwesen hinausgreifen, dem Ich als Gefahr erscheinen, die seine Selbsterhaltung oder seine Selbstachtung bedrohen. Dann setzt sich das Ich zur Wehre, versagt den Sexualtrieben die gewünschte Befriedigung, nötigt sie zu jenen Umwegen einer Ersatzbefriedigung, die sich als nervöse Symptome kundgeben.

Die psychoanalytische Therapie bringt es dann zustande, den Verdrängungsprozeß einer Revision zu unterziehen und den Konflikt zu einem besseren, mit der Gesundheit verträglichen Ausgang zu leiten. Unverständige Gegnerschaft wirft uns dann unsere Schätzung der Sexualtriebe als einseitig vor: Der Mensch habe noch andere Interessen als die sexuellen. Das haben wir keinen Augenblick lang vergessen oder verleugnet. Unsere Einseitigkeit ist wie die des Chemikers, der alle Konstitutionen auf die Kraft der chemischen Attraktion zurückführt. Er leugnet darum die Schwerkraft nicht, er überläßt ihre Würdigung dem Physiker.

Während der therapeutischen Arbeit müssen wir uns um die Verteilung der Libido bei dem Kranken bekümmern; wir forschen nach, an welche Objektvorstellungen seine Libido gebunden ist, und machen sie frei, um sie dem Ich zur Verfügung zu stellen. Dabei sind wir dazu gekommen, uns ein sehr merkwürdiges Bild von der anfänglichen, der Urverteilung der Libido beim Menschen zu machen. Wir mußten annehmen, daß zu Beginn der individuellen Entwicklung alle Libido (alles erotische Streben, alle Liebesfähigkeit) an die eigene Person geknüpft ist, wie wir sagen, das eigene Ich besetzt. Erst später geschieht es in Anlehnung an die Befriedigung der großen Lebensbedürfnisse, daß die Libido vom Ich auf die äußeren Objekte überfließt, wodurch wir erst in die Lage kommen, die libidinösen Triebe als solche zu erkennen und von den Ich-Trieben zu unterscheiden. Von diesen Objekten kann die Libido wieder abgelöst und ins Ich zurückgezogen werden.

Den Zustand, in dem das Ich die Libido bei sich behält, heißen wir Narzißmus, in Erinnerung der griechischen Sage vom Jüngling Narzissus, der in sein eigenes Spiegelbild verliebt blieb.

Wir schreiben also dem Individuum einen Fortschritt zu vom Narzißmus zur Objektliebe. Aber wir glauben nicht, daß jemals die gesamte Libido des Ichs auf die Objekte übergeht. Ein gewisser Betrag von Libido verbleibt immer beim Ich, ein gewisses Maß von Narzißmus bleibt trotz hochentwickelter Objektliebe fortbestehen. Das Ich ist ein großes Reservoir, aus dem die für die Objekte bestimmte Libido ausströmt, und dem sie von den Objekten her wieder zufließt. Die Objektlibido war zuerst Ich-Libido und kann sich wieder in Ich-Libido umsetzen. Es ist für die volle Gesundheit der Person wesentlich, daß ihre Libido die volle Beweglichkeit nicht verliere. Zur Versinnlichung dieses Verhältnisses denken wir an ein Protoplasmatierchen, dessen zähflüssige Substanz Pseudopodien (Scheinfüßchen) aussendet, Fortsetzungen, in welche sich die Leibessubstanz hineinerstreckt, die aber jederzeit wieder eingezogen werden können, so daß die Form des Protoplasmaklümpchens wieder hergestellt wird.

Was ich durch diese Andeutungen zu beschreiben versucht habe, ist die Libidotheorie der Neurosen, auf welche alle unsere Auffassungen vom Wesen dieser krankhaften Zustände und unser therapeutisches Vorgehen gegen dieselben begründet sind. Es ist selbstverständlich, daß wir die Voraussetzungen der Libidotheorie auch für das normale Verhalten geltend machen. Wir sprechen vom Narzißmus des kleinen Kindes und wir schreiben es dem überstarken Narzißmus des primitiven Menschen zu, daß er an die Allmacht seiner Gedanken glaubt und darum den Ablauf der Begebenheiten in der äußeren Welt durch die Technik der Magie beeinflussen will.

Nach dieser Einleitung möchte ich ausführen, daß der allgemeine Narzißmus, die Eigenliebe der Menschheit, bis jetzt drei schwere Kränkungen von seiten der wissenschaftlichen Forschung erfahren hat.

a) Der Mensch glaubte zuerst in den Anfängen seiner Forschung, daß sich sein Wohnsitz, die Erde, ruhend im Mittelpunkt des Weltalls befinde, während Sonne, Mond und Planeten sich in kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen. Er folgte dabei in naiver Weise dem Eindruck seiner Sinneswahrnehmungen, denn eine Bewegung der Erde verspürt er nicht, und wo immer er frei um sich blicken kann, findet er sich im Mittelpunkt eines Kreises, der die äußere Welt umschließt. Die zentrale Stellung der Erde war ihm aber eine Gewähr für ihre herrschende Rolle im Weltall und schien in guter Übereinstimmung mit seiner Neigung, sich als den Herrn dieser Welt zu fühlen.

Die Zerstörung dieser narzißtischen Illusion knüpft sich für uns an den Namen und das Werk des Nik. Kopernikus im sechzehnten Jahrhundert. Lange vor ihm hatten die Pythagoräer an der bevorzugten Stellung der Erde gezweifelt, und Aristarch von Samos hatte im dritten vorchristlichen Jahrhundert ausgesprochen, daß die Erde viel kleiner sei als die Sonne und sich um diesen Himmelskörper bewege. Auch die große Entdeckung des Kopernikus war also schon vor ihm gemacht worden. Als sie aber allgemeine Anerkennung fand, hatte die menschliche Eigenliebe ihre erste, die kosmologische, Kränkung erfahren.

b) Der Mensch warf sich im Laufe seiner Kulturentwicklung zum Herren über seine tierischen Mitgeschöpfe auf. Aber mit dieser Vorherrschaft nicht zufrieden, begann er eine Kluft zwischen ihrem und seinem Wesen zu legen. Er sprach ihnen die Vernunft ab und legte sich eine unsterbliche Seele bei, berief sich auf eine hohe göttliche Abkunft, die das Band der Gemeinschaft mit der Tierwelt zu zerreißen gestattete. Es ist merkwürdig, daß diese Überhebung dem kleinen Kinde wie dem primitiven und dem Urmenschen noch ferne liegt. Sie ist das Ergebnis einer späteren anspruchsvollen Entwicklung. Der Primitive fand es auf der Stufe des Totemismus nicht anstößig, seinen Stamm auf einen tierischen Ahnherrn zurückzuleiten. Der Mythus, welcher den Niederschlag jener alten Denkungsart enthält, läßt die Götter Tiergestalt annehmen, und die Kunst der ersten Zeiten bildet die Götter mit Tierköpfen. Das Kind empfindet keinen Unterschied zwischen dem eigenen Wesen und dem des Tieres; es läßt die Tiere ohne Verwunderung im Märchen denken und sprechen; es verschiebt einen Angsteffekt, der dem menschlichen Vater gilt, auf den Hund oder auf das Pferd, ohne damit eine Herabsetzung des Vaters zu beabsichtigen. Erst wenn es erwachsen ist, wird es sich dem Tiere soweit entfremdet haben, daß es den Menschen mit dem Namen des Tieres beschimpfen kann.

Wir wissen es alle, daß die Forschung Ch. Darwins, seiner Mitarbeiter und Vorgänger, vor wenig mehr als einem halben Jahrhundert dieser Überhebung des Menschen ein Ende bereitet hat. Der Mensch ist nichts anderes und nichts besseres als die Tiere, er ist selbst aus der Tierreihe hervorgegangen, einigen Arten näher, anderen ferner verwandt. Seine späteren Erwerbungen vermochten es nicht, die Zeugnisse der Gleichwertigkeit zu verwischen, die in seinem Körperbau wie in seinen seelischen Anlagen gegeben sind. Dies ist aber die zweite, die biologische Kränkung des menschlichen Narzißmus.

c) Am empfindlichsten trifft wohl die dritte Kränkung, die psychologischer Natur ist.

Der Mensch, ob auch draußen erniedrigt, fühlt sich souverän in seiner eigenen Seele. Irgendwo im Kern seines Ichs hat er sich ein Aufsichtsorgan geschaffen, welches seine eigenen Regungen und Handlungen überwacht, ob sie mit seinen Anforderungen zusammenstimmen. Tun sie das nicht, so werden sie unerbittlich gehemmt und zurückgezogen. Seine innere Wahrnehmung, das Bewußtsein, gibt dem Ich Kunde von allen bedeutungsvollen Vorgängen im seelischen Getriebe, und der durch diese Nachrichten gelenkte Wille führt aus, was das Ich anordnet, ändert ab, was sich selbständig vollziehen möchte. Denn diese Seele ist nichts einfaches, vielmehr eine Hierarchie von über- und untergeordneten Instanzen, ein Gewirre von Impulsen, die unabhängig voneinander zur Ausführung drängen, entsprechend der Vielheit von Trieben und von Beziehungen zur Außenwelt, viele davon einander gegensätzlich und miteinander unverträglich. Es ist für die Funktion erforderlich, daß die oberste Instanz von allem Kenntnis erhalte, was sich vorbereitet, und daß ihr Wille überallhin dringen könne, um seinen Einfluß zu üben. Aber das Ich fühlt sich sicher sowohl der Vollständigkeit und Verläßlichkeit der Nachrichten als auch der Wegsamkeit für seine Befehle.

In gewissen Krankheiten, allerdings gerade bei den von uns studierten Neurosen, ist es anders. Das Ich fühlt sich unbehaglich, es stößt auf Grenzen seiner Macht in seinem eigenen Haus, der Seele. Es tauchen plötzlich Gedanken auf, von denen man nicht weiß, woher sie kommen; man kann auch nichts dazu tun, sie zu vertreiben. Diese fremden Gäste scheinen selbst mächtiger zu sein als die dem Ich unterworfenen; sie widerstehen allen sonst so erprobten Machtmitteln des Willens, bleiben unbeirrt durch die logische Widerlegung, unangetastet durch die Gegenaussage der Realität. Oder es kommen Impulse, die wie die eines Fremden sind, so daß das Ich sie verleugnet, aber es muß sich doch vor ihnen fürchten und Vorsichten gegen sie treffen. Das Ich sagt sich, das ist eine Krankheit, eine fremde Invasion, es verschärft seine Wachsamkeit, aber es kann nicht verstehen, warum es sich in so seltsamer Weise gelähmt fühlt.

Die Psychiatrie bestreitet zwar für solche Vorfälle, daß sich böse, fremde Geister ins Seelenleben eingedrängt haben, aber sonst sagt sie nur achselzuckend: Degeneration, hereditäre Disposition, konstitutionelle Minderwertigkeit! Die Psychoanalyse unternimmt es, diese unheimlichen Krankheitsfälle aufzuklären, sie stellt sorgfältige und langwierige Untersuchungen an, schafft sich Hilfsbegriffe und wissenschaftliche Konstruktionen und kann dem Ich endlich sagen: »Es ist nichts Fremdes in dich gefahren; ein Teil von deinem eigenen Seelenleben hat sich deiner Kenntnis und der Herrschaft deines Willens entzogen. Darum bist du auch so schwach in der Abwehr; du kämpfst mit einem Teil deiner Kraft gegen den anderen Teil, kannst nicht wie gegen einen äußeren Feind deine ganze Kraft zusammennehmen. Und es ist nicht einmal der schlechteste oder unwichtigste Anteil deiner seelischen Kräfte, der so in Gegensatz zu dir getreten und unabhängig von dir geworden ist. Die Schuld, muß ich sagen, liegt an dir selbst. Du hast deine Kraft überschätzt, wenn du geglaubt hast, du könntest mit deinen Sexualtrieben anstellen, was du willst, und brauchtest auf ihre Absichten nicht die mindeste Rücksicht zu nehmen. Da haben sie sich denn empört und sind ihre eigenen dunklen Wege gegangen, um sich der Unterdrückung zu entziehen, haben sich ihr Recht geschaffen auf eine Weise, die dir nicht mehr recht sein kann. Wie sie das zustande gebracht haben, und welche Wege sie gewandelt sind, das hast du nicht erfahren; nur das Ergebnis dieser Arbeit, das Symptom, das du als Leiden empfindest, ist zu deiner Kenntnis gekommen. Du erkennst es dann nicht als Abkömmling deiner eigenen verstoßenen Triebe und weißt nicht, daß es deren Ersatzbefriedigung ist.«

»Der ganze Vorgang wird aber nur durch den einen Umstand möglich, daß du dich auch in einem anderen wichtigen Punkte im Irrtum befindest. Du vertraust darauf, daß du alles erfährst, was in deiner Seele vorgeht, wenn es nur wichtig genug ist, weil dein Bewußtsein es dir dann meldet. Und wenn du von etwas in deiner Seele keine Nachricht bekommen hast, nimmst du zuversichtlich an, es sei nicht in ihr enthalten. Ja, du gehst so weit, daß du »seelisch« für identisch hältst mit »bewußt«, d. h. dir bekannt, trotz der augenscheinlichsten Beweise, daß in deinem Seelenleben beständig viel mehr vor sich gehen muß, als deinem Bewußtsein bekannt werden kann. Laß dich doch in diesem einen Punkt belehren! Das Seelische in dir fällt nicht mit dem dir Bewußten zusammen; es ist etwas anderes, ob etwas in deiner Seele vorgeht und ob du es auch erfährst. Für gewöhnlich, ich will es zugeben, reicht der Nachrichtendienst an dein Bewußtsein für deine Bedürfnisse aus. Du darfst dich in der Illusion wiegen, daß du alles wichtigere erfährst. Aber in manchen Fällen, z. B. in dem eines solchen Triebkonfliktes, versagt er und dein Wille reicht dann nicht weiter als dein Wissen. In allen Fällen aber sind diese Nachrichten deines Bewußtseins unvollständig und häufig unzuverlässig; auch trifft es sich oft genug, daß du von den Geschehnissen erst Kunde bekommst, wenn sie bereits vollzogen sind und du nichts mehr an ihnen ändern kannst. Wer kann, selbst wenn du nicht krank bist, ermessen, was sich alles in deiner Seele regt, wovon du nichts erfährst, oder worüber du falsch berichtet wirst. Du benimmst dich wie ein absoluter Herrscher, der es sich an den Informationen seiner obersten Hofämter genügen läßt und nicht zum Volk herabsteigt, um dessen Stimme zu hören. Geh in dich, in deine Tiefen und lerne dich erst kennen, dann wirst du verstehen, warum du krank werden mußt, und vielleicht vermeiden, krank zu werden.«

So wollte die Psychoanalyse das Ich belehren. Aber die beiden Aufklärungen, daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmung dem Ich zugänglich und ihm unterworfen werden, kommen der Behauptung gleich, daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus. Sie stellen miteinander die dritte Kränkung der Eigenliebe dar, die ich die psychologische nennen möchte. Kein Wunder daher, daß das Ich der Psychoanalyse nicht seine Gunst zuwendet und ihr hartnäckig den Glauben verweigert.

Die wenigsten Menschen dürften sich klar gemacht haben, einen wie folgenschweren Schritt die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge für Wissenschaft und Leben bedeuten würde. Beeilen wir uns aber hinzuzufügen, daß nicht die Psychoanalyse diesen Schritt zuerst gemacht hat. Es sind namhafte Philosophen als Vorgänger anzuführen, vor allen der große Denker Schopenhauer, dessen unbewußter »Wille« den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichzusetzen ist. Derselbe Denker übrigens, der in Worten von unvergeßlichem Nachdruck die Menschen an die immer noch unterschätzte Bedeutung ihres Sexualstrebens gemahnt hat. Die Psychoanalyse hat nur das eine voraus, daß sie die beiden dem Narzißmus so peinlichen Sätze von der psychischen Bedeutung der Sexualität und von der Unbewußtheit des Seelenlebens nicht abstrakt behauptet, sondern an einem Material erweist, welches jeden einzelnen persönlich angeht und seine Stellungnahme zu diesen Problemen erzwingt. Aber gerade darum lenkt sie die Abneigung und die Widerstände auf sich, welche den großen Namen des Philosophen noch scheu vermeiden.

Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse

(1933)

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
29. VORLESUNG: REVISION DER TRAUMLEHRE
30. VORLESUNG: TRAUM UND OKKULTISMUS
31. VORLESUNG: DIE ZERLEGUNG DER PSYCHISCHEN PERSöNLICHKEIT
32. VORLESUNG: ANGST UND TRIEBLEBEN
33. VORLESUNG: DIE WEIBLICHKEIT
34. VORLESUNG: AUFKLäRUNGEN, ANWENDUNGEN, ORIENTIERUNGEN
35. VORLESUNG: ÜBER EINE WELTANSCHAUUNG

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

DieVorlesungen zur Einführung in die Psychoanalysewurden in den beiden Wintersemestern 1915/16 und 1916/17 in einem Hörsaal der Wiener psychiatrischen Klinik vor einem aus Hörern aller Fakultäten gemischten Auditorium gehalten. Die Vorlesungen der ersten Hälfte wurden improvisiert und unmittelbar nachher niedergeschrieben, die der zweiten während eines dazwischenliegenden Sommeraufenthalts in Salzburg entworfen und im folgenden Winter wortgetreu vorgetragen. Ich besaß damals noch die Gabe eines phonographischen Gedächtnisses.

Zum Unterschied hievon sind diese neuen Vorlesungen niemals gehalten worden. Mein Alter hatte mich inzwischen der Verpflichtung enthoben, die – wenn auch nur peripherische – Zugehörigkeit zur Universität durch Abhaltung von Vorlesungen zum Ausdruck zu bringen, und eine chirurgische Operation hatte mich als Redner unmöglich gemacht. Es ist also nur eine Vorspiegelung der Phantasie, wenn ich mich während der nachfolgenden Ausführungen wieder in den Hörsaal versetze; sie mag mithelfen, bei der Vertiefung in den Gegenstand die Rücksicht auf den Leser nicht zu vergessen.

Diese neuen Vorlesungen wollen keineswegs an die Stelle der früheren treten. Sie sind überhaupt nichts Selbständiges, das erwarten kann, sich einen eigenen Leserkreis zu finden, sondern sie sind Fortsetzungen und Ergänzungen, die in ihrer Beziehung zu den früheren in drei Gruppen zerfallen. In eine erste Gruppe gehören Neubearbeitungen von Themen, die schon vor fünfzehn Jahren behandelt worden sind, aber infolge der Vertiefung unserer Einsichten und der Veränderung unserer Anschauungen heute eine andere Darstellung verlangen, also kritische Revisionen. Die beiden anderen Gruppen umfassen die eigentlichen Erweiterungen, indem sie Dinge behandeln, die es entweder in der Zeit der ersten Vorlesungen in der Psychoanalyse noch nicht gab oder von denen damals zu wenig vorhanden war, um eine besondere Kapitelüberschrift zu rechtfertigen. Es ist nicht zu vermeiden, aber auch nicht zu bedauern, daß einzelne der neuen Vorlesungen die Charaktere dieser und jener Gruppe in sich vereinigen.

450Die Abhängigkeit dieser neuen Vorlesungen von denVorlesungen zur Einführungkommt auch darin zum Ausdruck, daß sie deren Zählung fortsetzen. Die erste dieses Bandes wird als die XXIX. bezeichnet. Wiederum bieten sie dem Analytiker von Fach wenig Neues und wenden sich an jene große Menge Gebildeter, denen man ein wohlwollendes, wenn auch zurückgehaltenes Interesse für die Eigenart und die Erwerbungen der jungen Wissenschaft zuschreiben möchte. Auch diesmal ist es meine leitende Absicht gewesen, dem Schein der Einfachheit, Vollständigkeit und Abgeschlossenheit keine Opfer zu bringen, Probleme nicht zu verhüllen, Lücken und Unsicherheiten nicht zu verleugnen. Auf keinem andern Gebiet wissenschaftlicher Arbeit dürfte man sich solcher Vorsätze zu nüchterner Selbstbescheidung rühmen. Sie gelten überall als selbstverständlich, das Publikum erwartet es nicht anders. Kein Leser einer Darstellung der Astronomie wird sich enttäuscht und der Wissenschaft überlegen fühlen, wenn man ihm die Grenzen zeigt, an denen unsere Kenntnis des Weltalls ins Nebelhafte zerflattert. Nur in der Psychologie ist es anders, hier kommt die konstitutionelle Untauglichkeit des Menschen zu wissenschaftlicher Forschung in vollem Ausmaß zum Vorschein. Man scheint von der Psychologie nicht Fortschritte im Wissen zu verlangen, sondern irgendwelche andere Befriedigungen; man macht ihr aus jedem ungelösten Problem, aus jeder eingestandenen Unsicherheit einen Vorwurf.

Wer die Wissenschaft vom Seelenleben liebt, wird auch diese Unbilde hinnehmen müssen.

Wien, im Sommer 1932

FREUD

29. VORLESUNG: REVISION DER TRAUMLEHRE

Inhaltsverzeichnis

Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie nach länger als fünfzehnjähriger Pause wieder zusammengerufen habe, um mit Ihnen zu besprechen, was die Zwischenzeit an Neuem, vielleicht auch Besserem, in der Psychoanalyse gebracht hat, so ist es von mehr als einem Gesichtspunkt aus recht und billig, daß wir unsere Aufmerksamkeit zuerst dem Stande der Traumlehre zuwenden. Diese nimmt in der Geschichte der Psychoanalyse eine besondere Stelle ein, bezeichnet einen Wendepunkt; mit ihr hat die Analyse den Schritt von einem psychotherapeutischen Verfahren zu einer Tiefenpsychologie vollzogen. Die Traumlehre ist seither auch das Kennzeichnendste und Eigentümlichste der jungen Wissenschaft geblieben, etwas wozu es kein Gegenstück in unserem sonstigen Wissen gibt, ein Stück Neuland, dem Volksglauben und der Mystik abgewonnen. Die Fremdartigkeit der Behauptungen, die sie aufstellen mußte, hat ihr die Rolle eines Schibboleth verliehen, dessen Anwendung entschied, wer ein Anhänger der Psychoanalyse werden konnte und wem sie endgültig unfaßbar blieb. Mir selbst war sie ein sicherer Anhalt in jenen schweren Zeiten, da die unerkannten Tatbestände der Neurosen mein ungeübtes Urteil zu verwirren pflegten. So oft ich auch an der Richtigkeit meiner schwankenden Erkenntnisse zu zweifeln begann, wenn es mir gelungen war, einen sinnlos verworrenen Traum in einen korrekten und begreiflichen seelischen Vorgang beim Träumer umzusetzen, erneuerte sich meine Zuversicht, auf der richtigen Spur zu sein.

Es hat also für uns ein besonderes Interesse, gerade am Fall der Traumlehre zu verfolgen, einerseits welche Wandlungen die Psychoanalyse in diesem Intervall erfahren, anderseits welche Fortschritte sie unterdes im Verständnis und in der Schätzung der Mitwelt gemacht hat. Ich sage es Ihnen gleich heraus, Sie werden nach beiden Richtungen enttäuscht werden.

Durchblättern Sie mit mir die Jahrgänge derInternationalen Zeitschrift für (ärztliche) Psychoanalyse, in denen seit 1913 die maßgebenden Arbeiten auf unserem Gebiet vereinigt sind. Sie finden in den früheren Bänden eine ständige Rubrik »Zur Traumdeutung« mit452reichen Beiträgen zu den verschiedenen Punkten der Traumlehre. Aber je weiter Sie gehen, desto seltener werden solche Beiträge, die ständige Rubrik verschwindet endlich ganz. Die Analytiker benehmen sich, als hätten sie über den Traum nichts mehr zu sagen, als wäre die Traumlehre abgeschlossen. Wenn Sie aber fragen, was die Fernerstehenden von der Traumdeutung angenommen haben, die vielen Psychiater und Psychotherapeuten, die an unserem Feuer ihre Süppchen kochen – ohne übrigens so recht dankbar für die Gastfreundschaft zu sein –, die sogenannten Gebildeten, die sich auffällige Ergebnisse der Wissenschaft anzueignen pflegen, die Literaten und das große Publikum, so ist die Antwort wenig befriedigend. Einige Formeln sind allgemein bekannt worden, darunter solche, die wir nie vertreten haben, wie der Satz, alle Träume seien sexueller Natur, aber gerade so wichtige Dinge wie die grundlegende Unterscheidung von manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken, die Einsicht, daß die Angstträume der wunscherfüllenden Funktion des Traums nicht widersprechen, die Unmöglichkeit, den Traum zu deuten, wenn man nicht über die dazugehörigen Assoziationen des Träumers verfügt, vor allem aber die Erkenntnis, daß das Wesentliche am Traum der Prozeß der Traumarbeit ist, all das scheint dem allgemeinen Bewußtsein noch ungefähr so fremd zu sein wie vor dreißig Jahren. Ich darf so sagen, denn ich habe im Laufe dieser Zeit eine Unzahl von Briefen erhalten, deren Schreiber ihre Träume zur Deutung vorlegen oder Auskünfte über die Natur des Traumes verlangen, die behaupten, daß sie dieTraumdeutunggelesen haben und dabei doch in jedem Satz ihre Verständnislosigkeit für unsere Traumlehre verraten. Das soll uns nicht abhalten, uns nochmals im Zusammenhang vorzuführen, was wir vom Traum wissen. Sie erinnern sich, das vorige Mal haben wir eine ganze Anzahl von Vorlesungen darauf verwendet, zu zeigen, wie man zum Verständnis dieses bisher unerklärten seelischen Phänomens gelangt ist.

Wenn uns also jemand, z. B. ein Patient in der Analyse, einen seiner Träume berichtet, so nehmen wir an, er habe uns hiemit eine der Mitteilungen gemacht, zu denen er sich durch den Eintritt in die analytische Behandlung verpflichtet hatte. Eine Mitteilung freilich mit ungeeigneten Mitteln, denn der Traum ist an sich keine soziale Äußerung, kein Mittel der Verständigung. Wir verstehen ja auch nicht, was uns der Träumer sagen wollte, und er selbst weiß es auch nicht besser. Nun haben wir rasch eine Entscheidung zu treffen: Entweder der Traum ist,453wie uns die nichtanalytischen Ärzte versichern, ein Anzeichen dafür, daß der Träumer schlecht geschlafen hat, daß nicht alle seine Hirnpartien gleichmäßig zur Ruhe gekommen sind, daß einzelne Stellen unter dem Einfluß unbekannter Reize weiterarbeiten wollten und es nur in sehr unvollkommener Weise konnten. Wenn dem so ist, dann tun wir recht daran, uns mit dem psychisch wertlosen Produkt der nächtlichen Störung nicht weiter zu beschäftigen. Denn was sollten wir von dessen Untersuchung für unsere Absichten Brauchbares erwarten? Oder aber – doch wir merken, wir haben uns von vornherein anders entschieden. Wir haben – zugegeben, recht willkürlich – die Voraussetzung gemacht, das Postulat aufgestellt, daß auch dieser unverständliche Traum ein vollgültiger, sinn-und wertvoller psychischer Akt sein müsse, den wir in der Analyse wie eine andere Mitteilung verwenden können. Ob wir recht haben, kann nur der Erfolg des Versuchs zeigen. Gelingt es uns, den Traum in eine solche wertvolle Äußerung umzuwandeln, so haben wir offenbar Aussicht, Neues zu erfahren, Mitteilungen von einer Art zu erhalten, wie sie uns sonst unzugänglich geblieben wären.

Nun aber erheben sich vor uns die Schwierigkeiten unserer Aufgabe und die Rätsel unseres Themas. Wie stellen wir es an, den Traum in eine solche normale Mitteilung umzuwandeln, und wie erklären wir es, daß ein Teil der Äußerungen des Patienten diese für ihn wie für uns gleich unverständliche Form angenommen hat?

Sie sehen, meine Damen und Herren, daß ich dieses Mal nicht den Weg einer genetischen, sondern den einer dogmatischen Darstellung gehe. Unser erster Schritt ist, unsere neue Einstellung zum Problem des Traums durch die Einführung zweier neuer Begriffe, Namen, festzulegen. Wir heißen, was man den Traum genannt hat, den Traumtext oder denmanifestenTraum, und das, was wir suchen, sozusagen hinter dem Traum vermuten, dielatentenTraumgedanken. Dann können wir unsere beiden Aufgaben in folgender Art aussprechen: Wir haben den manifesten in den latenten Traum umzuwandeln und anzugeben, wie im Seelenleben des Träumers der letztere zum ersteren geworden ist. Das erste Stück ist eine praktische Aufgabe, es fällt derTraumdeutungzu, braucht eine Technik; das zweite eine theoretische, es soll den angenommenen Prozeß derTraumarbeiterklären und kann nur eine Theorie sein. Beide, Technik der Traumdeutung und Theorie der Traumarbeit, sind neu zu schaffen.

Mit welchem Stück sollen wir nun anfangen? Ich meine, mit der454Technik der Traumdeutung; es wird plastischer ausfallen und Ihnen einen lebendigeren Eindruck machen.

Also der Patient habe einen Traum erzählt, den wir deuten sollen. Wir haben gelassen zugehört, ohne dabei unser Nachdenken in Bewegung zu setzen. Was tun wir zunächst? Wir beschließen, uns um das, was wir gehört haben, um denmanifestenTraum, möglichst wenig zu kümmern. Natürlich zeigt dieser manifeste Traum allerlei Charaktere, die uns nicht ganz gleichgültig sind. Er kann zusammenhängend sein, glatt komponiert wie eine Dichtung, oder unverständlich verworren, fast wie ein Delirium, kann absurde Elemente enthalten oder Witze und anscheinend geistreiche Schlüsse, er kann dem Träumer klar und scharf erscheinen oder trüb und verschwommen, seine Bilder mögen die volle sinnliche Stärke von Wahrnehmungen zeigen oder schattenhaft sein wie ein undeutlicher Hauch, die verschiedensten Charaktere mögen sich in demselben Traum zusammenfinden, auf verschiedene Stellen verteilt; der Traum mag endlich einen indifferenten Gefühlston zeigen oder von den stärksten freudigen oder peinlichen Erregungen begleitet werden – glauben Sie nicht, daß wir diese unendliche Mannigfaltigkeit im manifesten Traum für nichts achten, wir werden später auf sie zurückkommen und sehr vieles an ihr für die Deutung verwertbar finden, aber zunächst sehen wir von ihr ab und schlagen den Hauptweg ein, der zur Traumdeutung führt. Das heißt, wir fordern den Träumer auf, sich gleichfalls vom Eindruck des manifesten Traums frei zu machen, seine Aufmerksamkeit vom Ganzen weg auf die einzelnen Teile des Trauminhalts zu richten und uns der Reihe nach mitzuteilen, was ihm zu jedem dieser Teilstücke einfällt, welche Assoziationen sich ihm ergeben, wenn er sie einzeln ins Auge faßt.

Nicht wahr, das ist eine besondere Technik, nicht die gewöhnliche Art, eine Mitteilung oder Aussage zu behandeln? Sie erraten auch gewiß, daß hinter diesem Verfahren Voraussetzungen stecken, die noch nicht ausgesprochen worden sind. Aber gehen wir weiter. In welcher Reihenfolge lassen wir den Patienten die Teilstücke seines Traums vornehmen? Da stehen uns mehrere Wege offen. Wir können einfach der chronologischen Ordnung folgen, wie sie sich bei der Erzählung des Traums herausgestellt hat. Das ist die sozusagen strengste, klassische Methode. Oder wir können den Träumer weisen, sich zuerst dieTagesresteim Traum herauszusuchen, denn die Erfahrung hat uns gelehrt,455daß fast in jeden Traum ein Erinnerungsrest oder eine Anspielung an eine Begebenheit des Traumtags, oft an mehrere, eingegangen ist, und wenn wir diesen Anknüpfungen folgen, haben wir oft mit einem Schlag den Übergang von der scheinbar weit entrückten Traumwelt zum realen Leben des Patienten gefunden. Oder wir heißen ihn, mit jenen Elementen des Trauminhalts den Anfang machen, die ihm durch ihre besondere Deutlichkeit und sinnliche Stärke auffallen. Wir wissen nämlich, daß es ihm bei diesen besonders leicht werden wird, Assoziationen zu bekommen. Es macht keinen Unterschied, auf welche dieser Arten wir uns den gesuchten Assoziationen nähern.

Und dann erhalten wir diese Assoziationen. Sie bringen das Verschiedenartigste, Erinnerungen an den gestrigen Tag, den Traumtag, und an längst vergangene Zeiten, Überlegungen, Diskussionen mit einem Für und Wider, Bekenntnisse und Anfragen. Manche von ihnen sprudelt der Patient heraus, vor anderen stockt er eine Weile. Die meisten zeigen eine deutliche Beziehung zu einem Element des Traums; kein Wunder, denn sie gehen ja von diesen Elementen aus, aber es kommt auch vor, daß der Patient sie mit den Worten einleitet: Das scheint gar nichts mit dem Traum zu tun zu haben; ich sage es, weil es mir einfällt.

Hört man sich diese Fülle von Einfällen an, so merkt man bald, daß sie mit dem Trauminhalt mehr gemeinsam haben als nur die Ausgangspunkte. Sie werfen ein überraschendes Licht auf alle Teile des Traums, füllen die Lücken zwischen ihnen aus, machen ihre sonderbaren Zusammenstellungen verständlich. Endlich muß man sich über das Verhältnis zwischen ihnen und dem Trauminhalt klar werden. Der Traum erscheint als ein verkürzter Auszug aus den Assoziationen, nach allerdings noch nicht durchschauten Regeln hergestellt, seine Elemente wie die aus einer Wahl hervorgegangenen Repräsentanten einer Menge. Es ist kein Zweifel, daß wir durch unsere Technik erhalten haben, was durch den Traum ersetzt wird und worin der psychische Wert des Traums zu finden ist, was aber nicht mehr die befremdenden Eigentümlichkeiten des Traums, seine Fremdartigkeit, Verworrenheit zeigt.